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| author | Roger Frank <rfrank@pglaf.org> | 2025-10-15 04:48:31 -0700 |
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Hägele + +Commentator: Alban Stolz + +Release Date: July 13, 2005 [EBook #16279] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZUCHTHAUSGESCHICHTEN *** + + + + +Produced by Robert Kropf and the Online Distributed +Proofreading Team at https://www.pgdp.net + + + + + +_ Kursiv / italic +# Fett / bold +% Antiqua / antiqua +[] Korrektur von Satzfehlern / correction of typos + + + + Zuchthausgeschichten + + von + +einem ehemaligen Züchtling + + + * * * * * + + + Mit einem Vorwort + + von + + #DR. ALBAN STOLZ# + + +Professor an der Universität zu Freiburg. + + + * * * * * + + +#ZWEITER THEIL# + + + * * * * * + + +Münster, 1853. + + +#Der Duckmäuser# + + +Wir befinden uns im Krankensaale des Zuchthauses zu Freiburg. Es ist ein +helles, freundliches, trauliches Gemach; die reinlichen Betten mit ihren +Täfelchen oben an der Wand, die einfachen, doch stets blank gescheuerten +Nachttische, der lange Tisch mitten in der Stube, dort an der Säule die +Schwarzwälderuhr mit ihrem bunten Zifferblatte und schwerfälligem, +regelmäßigen Picken, der große Kachelofen dort neben der Thüre, dessen gelb +glasirte Kacheln mit dem mattgrünen Wandanstriche harmoniren, der +Ordinationskasten mit seinen Flaschen, Gläsern, Schüsseln und Düten +obendrauf, all dieses zusammen macht einen gemüthlichen, wohlthuenden +Eindruck und das geschäftige Hin- und Hereilen des Krankenwärters, das +freundlich stille Benehmen des Aufsehers, das menschenfreundliche des +Arztes und der Beamten bei ihren Besuchen lassen Einen schier vergessen, +daß man ein Zuchthäusler, ein Gefangener sei und dies um so mehr, weil die +Tracht der Sträflinge durch die langen weißen Röcke der Genesenden in +Vergessenheit gebracht und der Lärm der Arbeitssäle nur von weitem zu hören +ist. + +Dort an einem Fenster sitzt ein bleicher, hohläugiger Bursche, hüstelt +zuweilen und schaut mit seinen großen Augen, aus welchen bereits der +Lichtschimmer einer andern Welt leuchtet, schwermüthig und sehnsüchtig in +die herrliche Landschaft hinaus. Das nahe Gebirge mit seinen bunten +Wäldern, langen Kämmen und Felsenwänden, die Hügel mit ihren Kapellen, +Schlössern, Höfen, Obstgärten, Weinbergen und wogenden Saatfeldern, das +weite sonnige Rheinthal mit seinen blitzenden Quellen und Bächen, +unübersehbaren Matten und Feldern, Alleen und kleinen Wäldchen, aus denen +die Kirchthürme vieler Dörfer herüberwinken, im Hintergrunde eine lange im +Duft verschwindende Waldlinie, weiter hinten eine Hügelkette voll Dörfern, +gleichsam mitten in einem ungeheuern Garten stehend, vom dunkeln, den +Gebirgszug abschließenden Walde umzäumt; zuletzt hinter diesem mächtigen +Zaune das mächtige, wie eine dunkle Wolkenmasse in das gartenähnliche +Rheinthal herüberstarrende Vogesen-Gebirge, auf welches sich das tiefe Blau +des Himmelsdomes zu stützen scheint--all dieses gewährt einen Anblick, +dessen entzückende Schönheit der roheste Sträfling tief empfindet, wenn er +auch seine Empfindung niemals auszusprechen und noch weniger mit dem Messer +des Verstandes anatomisch zu zergliedern versteht. + +Und wenn erst die leuchtende Königin des Tages hinabtaucht in einem +Gluthmeere voll unaussprechlicher Farbe, ihre halbe Scheibe hinter den +dunkeln Vogesen vollends versinkt, ihre letzten Strahlen aus hundert +Fenstern und Quellen blitzen und zucken, das weite Rheinthal, die Höhen des +Schwarzwaldes mit einem rosigen Verklärungsschimmer übergießen, der mehr +und mehr, die Ebene dem Sohne der Nacht, dem Schatten überlassend die Höhen +emporfließt, von den höchsten Gipfeln noch einen Scheideblick in das +dämmernde Thal hinabwirft und dann zum Himmel zurückkehrt--ach, man glaubt +Gott über das Land schreiten zu sehen, in ein versinkendes Paradies +hineinzuschauen! ... + +Im kranken Gefangenen wird der Verbrecher vergessen, wenn er nicht selbst +daran erinnert, das Damoklesschwert der Hausordnung hängt minder drohend +über seinem Haupte, an die Stelle unerbittlicher Beamten tritt der heilende +Arzt. + +Der Gefangene nähert sich einigermaßen dem Zustande der Freiheit, die +Krankenstube verbindet ihn durch die Aussicht in den Marktlärm des +Stadtlebens mit der Gesellschaft, durch die Aussicht in die wunderliebliche +Landschaft mit der Natur, durch beides mit Gott etwa? Selten! ... + +Alle Vortheile, aber auch alle Nachtheile der Krankenstuben ordentlicher +Spitäler finden sich in diesem Saale des Zuchthauses vereiniget. + +Gegenwärtig liegen nur wenige Kranke in den Betten, mehrere sitzen auf dem +Rande derselben oder auf einfachen Stühlen, andere am langen Tische, um +Kaffeebohnen auszulesen oder Düten zu fabriziren. + +Mild und freundlich schaut die Sonne herein, der ergraute Aufseher macht +ein Schläfchen, wer wollte es ihm verübeln? Tausende von Nächten hat er in +einer langen Reihe von Jahren treulich durchwacht, schon seit zwölf Uhr +Nachts ist er wieder auf den alten Beinen, die Natur überwältiget ihn, er +mag immerhin duseln und träumen von einer bessern Besoldung! ... + +Mehrere Gestalten sind uns bekannt. + +Auf jenem Bette liegt halbaufgerichtet der Mordbrenner aus der Baar, stützt +das Bulldoggengesicht in die schwielenharte Faust und starrt finster und +trotzig durch die hellen Scheiben in das freundliche Himmelsblau. + +In jenem Winkel lehnt der Exfourier, blättert in einem alten, +halbzerrissenen Gebetbuche und das höhnische Zucken der Mundwinkel zeigt +schon, daß er nicht betet, sondern critisirt, wenn er auch nicht von Zeit +zu Zeit über "den Thurm Davids, das elfenbeinerne Gefäß und goldene Haus" +seine Kasernenwitze losließe. + +Neben ihm liegt Martin der Wirthssohn, das Gespenst des früheren +Schlosserlehrlings mit verzweiflungvoller Resignation lächelnd, wenn er zu +fühlen vermeint, wie der Tod langsam zu seinem Herzen steige. + +Das Murmelthier fehlt auch nicht, sondern schnarcht den Faden des Lebens +weiter, während im weißen Nachtrocke und Pantoffeln leise eine Gestalt mit +gebräunter, von tiefen Leidenschaften durchwühltem Gesichte auf und ab +wandelt--der Spaniol, der vor kurzer Zeit mit dem betrogenen und als Räuber +zum zweitenmal verurtheilten Zuckerhannes hier zusammentraf. Von Zeit zu +Zeit steht der Spaniol düster sinnend an einem Fenster, welches in das +Straßenleben der Stadt hinabsehen läßt und ein wilder Schmerz arbeitet in +seinen Zügen. Draußen Revolution, der erste Kanonendonner der "großen +Zukunft" und er--mit seinen himmelstürmenden Ansichten, seiner verzehrenden +Thatkraft und seinem brennenden Ehrgeize ein Sträfling, ein ohnmächtiger +Gefangener, ein gemeiner Verbrecher! ... + +Kein Wunder, daß er heute nicht predigt; sein Stolz läßt ihm keine laute +Klage zu, aber er herrscht auch hier und würde nicht nur der Liebling der +meisten Beamten und Aufseher, sondern wohl auch der meisten Mitgefangenen +sein, wenn nur der kropfige Zuckerhannes nicht da wäre und geplaudert +hätte. + +Doch diesen blutarmen Menschen um die sauerersparten Pfenninge betrügen, +das ist eine That, welche auch im Zuchthause nicht immer Vergebung findet +und weil der Betrogene den Spaniolen als Vater seines ganzen Unglücks +betrachtet, nichts von der Rechtfertigung desselben hören mochte und bei +der Mehrzahl der Sträflinge in der ersten Zeit vollen Glauben fand, deßhalb +neigte sich der Spaniol bisher mehr den Hütern als den Gehüteten zu und +soll neulich den ärgsten Aufseher im Eifer für die Hausordnung überboten +haben. + +Wenn er naht, verstummen die Meisten, aus ihren Blicken kann er Vieles +lesen, heute mag er nicht predigen! ... + +Der Zuckerhannes selbst liegt im Bette, athmet zuweilen schwer auf und +hustet krampfhaft, horcht auf die Reden einer kleinen Gruppe seiner nähern +Freunde, welche ganz in seiner Nähe sich niedergelassen hat. + +Da finden wir den einst so fröhlichen und lebendigen, jetzt immer düstern +und schwermüthigen Bläsi, aus der Pfalz, diesen unglücklichen Dragoner, den +das Schicksal so hart vom Gaule geworfen. + +Neben ihm sitzt der Patrik von Hotzenwald, dieser rohe, ungehobelte, doch +gutmüthige und witzige Spitzbube, der immerhin noch mehr werth ist, denn +sein Nachbar, der Donat, dessen Geschichte deutlich zeigt, was aus einem +Menschen ohne Erziehung, Geld und Religion werden kann, wenn der Stachel +der Genußsucht tief im Fleische mit seinen lüsternen Schwingungen steckt. + +Diese Leute hören dem Duckmäuser zu, welcher keine Gelegenheit fand, dem +Zuckerhannes Gutmachgeld zu senden und sich jetzt nach Bruchsal gemeldet +hat, weil er voraussieht, sein einziger Freund werde nicht mehr mit dem +Leben davonkommen. Den langwierigen Todeskampf des Unglücklichen darf und +mag er nicht ansehen, mag nicht erleben, daß eines Tages ihm das Glöcklein +verkündiget, der Hegäuer habe ausgelitten und die letzte Freude des +lebenslänglich Verurteilten habe ein Ende. Lieber will er allein, ganz +allein in einer Zelle leben, denn er hat zwar als Bube betrogen und +gestohlen, bei den Soldaten böse Streiche gemacht und zuletzt seinen Vater +ermordet, doch ein grundverdorbener Mensch ist er bei alledem _nicht_ +und wer seine tragische Geschichte kennt, wie der Zuckerhannes dieselbe aus +seinem eigenen Munde hörte oder dazu noch schwarz auf weiß von seiner +eigenen Hand besaß, der kann diesen Unglücklichen nicht mehr verachten, er +muß ihn bemitleiden und begreift, daß ein solcher Mensch mitten unter +Sträflingen jahrelang vereinsamt lebte und Sehnsucht nach der Zelle +empfindet. + +Was er jetzt dem verunglückten Dragoner, dem ungeschlachten Patrik und dem +leichtsinnigen Donatle erzählt, sind nur Bruchstücke und der Zuckerhannes +könnte Manches dagegen einwenden, weil er den am Hochmuth laborirenden +Duckmäuser auswendig und inwendig sammt der ganzen Geschichte desselben zu +kennen vermeint und findet, derselbe wasche sich viel weißer als er sei ... +Man mag sagen, was man will, _der Mensch_ ist _ein geborner +Aristokrat_, denn Jeder will schöner, reicher, gescheider [gescheidter], +vornehmer und besser sein, wie der Andere, jeder sucht bei Andern soviel +als möglich zu gelten und vertuscht, heuchelt, lügt, mag er Bettler oder +Graf oder noch mehr sein; die Sträflinge bleiben auch hierin Menschen und +die Wenigen, die es dahin gebracht haben, mit Sünden, Lastern und +Verbrechen groß zu thun, sind eigentlich verkehrte Menschen, +_Unmenschen_! ... Der Vatermörder ist kein Unmensch; schon die +Erzählung, welche er seinen Kameraden zum Besten gibt, verräth dem +Eingeweihten die Sucht, nicht schlecht sondern so gut als möglich zu +erscheinen, und wir glauben, die wahre Geschichte desselben beweise, der +arme Tropf sei wirklich unserer Achtung und noch mehr unserer Theilnahme +würdig, seine Geschichte eine sehr lehrreiche Alltagsgeschichte aus den +niederen Volksklassen. + + + + +#DER DUCKMÄUSER ALS SCHULBUBE.# + + +Wer sich einen Bauersmann vorstellt, der unter seinem Nebelspalter etwas +finster hervorschaut und dessen eckiges Gesicht die Sorgen des Lebens +tüchtig durchfurcht haben, obwohl sie nicht im Stande waren, einen Zug +ernsten Trotzes in unterthänigst kriechende Demuth vor jedem bessern Rocke +zu verwandeln, der hat das Gesicht des Vaters unseres Helden gesehen und +wird den abgetragenen Kittel, die Lederhosen, deren ursprünglich gelbe, die +Weste, deren ehemals rothe in eine von den Malern bisher unentdeckte Farbe +übergegangen ist, nicht vergessen und noch weniger die knorrigen +Eichenfäuste und die breitgetretenen Füße des Mannes. Wer sich näher nach +ihm erkundigte, würde überall erfahren haben, der Jakob sei ein nicht ganz +armer Mann mit sechs lebendigen Kindern, habe niemals recht lesen lernen, +folglich auch den "höflichen Schüler" niemals studirt und sei eine +grundehrliche Haut, welche Gott und den Amtmann fürchte, mit seinem Weibe +glücklich lebe und von jedem Nachbarn geliebt werde, obwohl er ein bischen +hart, unbeugsam und auffahrend dazu sein könne. + +Sein Weib, die Theres, mag in ihrer Jugend nicht häßlich gewesen sein, aber +auf dem Lande wird die Schönheit gar rasch verschwitzt und wenn eine Frau +ihre zwölf Kindbetten durchgemacht hat, wirds schlimm aussehen, wenn hinter +der Leibesruine nicht ein treues, frommes Herz schlägt. Doch unter dem +Mieder der Theres sah es gut aus und deßhalb lebte sie auch mit ihrem Alten +recht glücklich, insofern festes Vertrauen auf Gott alle Sorgen und +Drangsale des Tages ohne viel nutzloses Klagen und Weinen überstehen läßt. + +Jakob hatte auf dem Felde, in Wald, Stall und Scheune, die Theres an all +diesen Orten, in der Küche, am Waschzuber, in allen Winkeln des Hauses und +im Garten dazu vom Anbruch des Tages bis zur sinkenden Nacht alle Hände +voll zu thun, so daß die Beiden außer an Sonn- und Feiertagen wenig mit +einander plaudern, geschweige zanken konnten. Wenn es so kalt wurde, daß +der Jakob seine 5- bis 8pfündigen Schuhe anziehen mußte, dann wurde er +etwas brummig, denn das war Zeitverlust und wenn der Mond schien, war er im +Stande, noch in der Sommer-Nacht zartes Laub und dergleichen für seine +Kühe, Geisen und Schweine zu holen und es war gut, daß seine Hände nichts +davon wußten, die Brombeeren und Schlehen hätten auch Dornen, und daß er +mit bloßen Füßen im Verhau herumstolperte, ohne von spitzen Dornen, Steinen +und dergleichen mehr als eine Ahnung zu besitzen. In der Nacht bekam er +seine Ruhe, wenn nicht gerade eine Kuh kalbern wollte, das Geschrei der +Kinder beirrte ihn wenig; wenn er die ganze Woche tüchtig gearbeitet hatte +und am Sonntagmorgen vor der Kirche so glatt und freundlich wie ein +Schuljunge hinter dem Ofen hervortrat, wo er sich ohne Spiegel und Seife +musterhaft rasirte, dann pflegte er zu sagen: "Theres, die Arbeit ist +gethan, heute wird zum Herrgott gebetet und Mittags im Hirzen drüben ein +Hälbsle getrunken, wenn auch der Bettelvogt noch zehnmal schellt von wegen +der Herrensteuer!" ... + +Die Theres freute sich auch auf den Sonntag, denn wenn es für sie auch +keinen Hirzen gab, so gab es doch eine Kirche und eine rechte Predigt und +ordentlicher Gottesdienst erquickt ein frommes Weibergemüth mehr, denn ein +Fäßlein Burgunder oder gar Capwein. Die Woche über kam die Theres kaum zum +Athemholen und in der Nacht, wenn der Jakob schnarchte trotz der größten +Baßgeige, fing die Plage erst recht an, denn die eisgraue Großmutter konnte +die Kinder in der Nacht nicht alle pflegen und schweigen und trocken legen, +und wenn eines zahnte oder sonst krankte, schlossen die beiden armen Weiber +oft kein Auge. + +Am Sonntag aber wars so traulich in dem aufgeputzten Häuslein, als ob die +Leute die Kirche aus dem Gottesdienste mit sich genommen hätten und Mittags +stand auch Fleisch auf dem Tische, an hohen Festtagen Wein aus dem hintern +Fäßlein, wo der Alte und Gute älter und besser wurde, während der +Gewöhnliche vom Essig wenig sich unterschied. + +Nachmittags nach der Vesper zog dann Jakob seinen blauen Rock ohne Kragen +mit tellergroßen Metallknöpfen an, stopfte sein Pfeiflein, drückte den +Nebelspalter ein bischen aufs linke Ohr und machte mit dem Liebhardt, +Fidele, Michel oder Bassi einen Gang durch die Fluren und dann in den +Hirzen, um bis zum Abend an seinem Hälbsle zu trinken, während das junge +Volk kegelte, auf der Straße spielte, in Rädlein beisammen stand oder Arm +in Arm kettenweise singend durch das Dörflein auf und ab zog. Es mochte +zweifelhaft sein, ob der Jakob an seinen Aeckern und Kühen größere Freude +hatte, denn an seinen Kindern, mindestens pflegte er jene zärtlich, während +er diese nach Herzenslust herumkrabbeln, fallen und heulen ließ, ohne sich +groß umzusehen, dagegen bleibt es sicher, daß die alte Hanne ganz vernarrt +in ihre Enkel und die Theres in den Benedikt am vernarrtesten war. + +Der Benedikt, ihr erstes Kind hieß ihr "Augäpfelchen" und man darf ihr +solche Vorliebe verzeihen, obwohl sich dieselbe nicht nur in Blicken und +Reden kund gab. Der Benedikt mit seinen schwarzen Haaren, den runden +Apfelbäcklein, kohlschwarzen Augen und dem freundlichen Munde war wirklich +ein herzallerliebstes Büblein und dabei so munter und gescheid, wie keins +im Dorfe gefunden wurde. + +Die Leute hatten keine eigene Kirche, nicht einmal eine Kapelle, mußten im +Leben und Tod ihrem Herrgott die Besuche im nächsten Orte abstatten und als +der Benedikt die ersten Höslein an hatte und vom Vater am rechten von der +Mutter am linken Händlein zum ersten Mal in die Kirche geführt wurde, +blieben alle Leute stehen und gab es eine ganze Prozession von schweigenden +und redenden Bewunderern, das Herz der Eltern bebte vor Freude und daheim +konnte Theres der alten Hanne nicht genug erzählen, welche Ehre sie mit dem +"Augäpfelchen" eingeerndtet, wie brav er in der Kirche gewesen, die +Händlein gefaltet und bei der Wandlung mit Kreuzmachen und Brustklopfen gar +nicht mehr aufgehört habe. Das Büblein holte bereits Alles beim Krämer, +besorgte alle Aufträge pünktlich, griff alles geschickt an, es mochte sein, +was es wollte und lachte vor Vergnügen laut auf, wenn man es nur lobte. Mit +Lob ließ sich der Benedikt durchs Feuer treiben. + +Besaß das Dörflein keine eigene Kirche und keinen Pfarrer, so besaß es doch +eine eigene Schule und einen Schulmeister. Zwar hatte dieser nirgends +besonders studirt, war eine gefallene Größe, nämlich ein großer Maurer, der +von einem Dachsparren herabgefallen und ein Bein gebrochen hatte, dabei ein +guter, braver Mann und wußte Alles den Kindern beizubringen, was diese in +der Welt brauchen, vor allem den Katechismus. + +Der Benedikt saß keine sechs Wochen in der Schulstube, so wurde auch der +alte Lehrer gänzlich in ihn vernarrt und es dauerte keine zwei Jahre, so +kannten die Kinder Einen Ihresgleichen als Unterlehrer, nämlich des Jakoben +Benedikt. + +Was Andere in einem Jahre lernen, lernte unser Held ohne große Mühe in vier +Wochen und was der Mathes, der acht volle Jahre stets im Eselsbänklein saß +und später dennoch ein tüchtiger Bauer und braver Mann geworden ist, in +seinem Leben niemals begreifen wird, begriff der Benedikt rascher und +leichter als die gescheideste [gescheidteste] Schulkamerädin, nämlich die +Susanna. + +Eine andere Uhr denn eine Sonnenuhr besaß weder die Schule noch der +Schulmeister und vom achten Jahre an war der kleine Schulmeister auch +"Zeitverwalter" mit einer kleinen Unterbrechung gegen das Ende der +Schuljahre, wo der Muthwille, der in ihm steckte, den alten Lehrer einige +Wochen in Verzweiflung setzte. + +Das Augäpfelchen der Theres wurde das Augäpfelchen des Lehrers, aller Buben +und Mägdlein und vieler Erwachsenen und vielleicht haben die +Weihrauchwolken dazu beigetragen, auch seine Gestalt in die Länge und +Breite zu treiben. + +Mit den Buben stand er gut, weil er der Stärkste, bei allen Spielen und +lustigen Streichen, die sich mit seiner Unterlehrersehre vertrugen, voran, +dabei unpartheisch und freundlich gegen alle war und bei den Mädlen stand +er besser als jeder Andere angeschrieben, weil er eine merkwürdige Vorliebe +für sie hegte, sie zart und schonend behandelte, gegen Schimpf und Schläge +schützte, ihnen in der Schule einsagte, beim Singen eines Liedes den +rechten Ton anstimmte und die leidigen Schulaufgaben gegen ein bischen Lob +oder auch gegen ein Schmätzlein machen half. + +Um nicht weitläufig zu werden und dennoch einen rechten Begriff von dem +kleinen Benedikt zu bekommen, der ein ganz anderer Kerl war, denn der +verachtete, blutarme und arg vernachläßigte Zuckerhannes, wollen wir nur +drei Thatsachen aufmerken. + +An einem Frühlingstage wird in der Schule biblische Geschichte gelesen und +die Kinder schauen sehnsüchtig durch die Scheiben in die grünende und +blühende Welt und rücken unruhig hin und her, denn das stundenlange Sitzen +und Schwitzen ohne Unterbrechung ist die Folter der Kinderjahre. Auf einmal +zupft ein Mädle das Andere und ein Bube den Andern und wer den Grund +entdeckt, hält die Hand vor den Mund oder kichert laut. Weßhalb? Der +"Unterlehrer" hat aus einem Stücklein Holz und vier beinernen Knöpfen ein +Wägelein gezimmert, einen kleinen Kiesel als Fracht darauf gelegt und vier +stattliche Maienkäfer, an eine Deichsel gebunden, ziehen das Ganze über die +Sitzbänke. Der Lehrer merkt's, zieht die Stirne kraus und ruft den Benedikt +auf, im Lesen fortzufahren. Wer beim letzten Wort weiter fährt, ohne eine +Miene zu verziehen, ist der Benedict. Der Lehrer weiß, welchen Kopf und +welche Kenntnisse der muthwillige Unterlehrer besitze, meint, derselbe sage +einige Satze auswendig her und werde bald stecken bleiben, doch der +Benedict liest und liest, ohne nur einmal zu stottern, ohne eine Silbe zu +verfehlen. + +Dessen verwundert sich der Lehrer, steht auf, greift nach Benedicts Buch +und siehe--dieser hat Alles auswendig hergesagt, denn lesen konnte er schon +deßhalb nichts, weil er das Buch, wie der Lehrer auch seither geglaubt, +verkehrt in der Hand hielt. + +Dieser Streich und hundert ähnliche dazu verschafften dem Benedict den +Beinamen "Leichtsinn" und mit den Jahren wuchs sein Leichtsinn wirklich, +wie er denn einmal, als ein Schuldschein geschrieben werden sollte, dem +Lehrer keinen andern machte als folgenden: + +"Ich heiße Leichtsinn, bin der Leichtsinnigste und habe in diesem Zustande +geschrieben!" + +Wenn er wollte, brachte er stets die besten Aufsätze, doch schien er immer +weniger zu wollen, der Lehrer sagte wenig dazu, verschonte ihn fernerhin +auch mit Schlägen und wußte warum. + +War eine Schulaufgabe zu machen oder gar die Sonntagspredigt +nachzuschreiben, so gings wie eine Prozession zu Jacobens Haus, denn hier +saß der Benedict, trug die Predigt Wort für Wort im Kopfe und dictirte +Jedem der zu ihm kam und Jedem verschieden, je nachdem er den Hansjörg mit +seinem harten Hirnkasten, den Mathes, diesen privilegirten und getreuen +Eselsbankdrücker oder einen Gescheidtern vor sich bekam. Die besten +Aufsätze jedoch dictirte er den Mädlen, lief stundenlang von Haus zu Haus +und bevor die Sabin insbesondere das Fließblatt ins Heft gelegt hatte, +dachte er nicht ans Ballspielen oder an etwas Anderes. + +An einem Winterabend zogen alle Buben ihre Schlitten lange vor der Betzeit +heim und mit vielen Erwachsenen dem Rindhofe zu und Niemand fragte, was es +gebe, weil Jeder wußte, es werde alldort Comödie gespielt. Die Mädchen +saßen schon in der Scheune, Sabinens Gesicht glänzte vor Freude; sie saß +mit der Mutter Theres und Hanne auf der vordersten Bank, der Jacob fehlte +auch nicht und sah heute nicht sorgenschwer und finster drein, sondern +koste mit zweien seiner jüngern Kinder; die Bänke füllten sich rasch und +Alles schaute gespannt und ungeduldig nach einem Vorhange, der aus vier +zusammengenähten Leintüchern gebildet war. Endlich kommt auch der alte +Lehrer, eine Schelle lärmt, der Vorhang geht auf und mit einem Ah! der +Bewunderung betrachten Alle--das Marionettentheater und wissen, daß heute +der Benedict den "verlornen Sohn" spielen wird. + +Hat der Benedict dem Landstreicher Kranich nicht längst alle Possen +abgespickt? Macht er ihm nicht alle Zauberstücke nach und hat er nicht die +Herzen der Dorfbewohner schon durch den "Todessprung des Ritters, den +Doktor Faust, die Genofeva von Brabant, die drei Müllerstöchter, die +Hirlanda, schöne Magelona" und Anderes erfreut? Sind nicht Einzelne aus den +nahen Dörfern und einmal sogar der Herr Pfarrer gekommen? Hat der Benedict +nicht seine Herzkäfer, die Sabin, Euphrosin, Susann, Margreth, Thekla, +Line, Affer, Lisbeth und Andere geplagt, bis alle Puppen da waren? Hat er +nicht den Hanswurst selbst gemacht und dazu ein Stück Hosenleder +verschnitten, welches dem Mütterchen auf Ostern Schuhe hätte geben sollen? + +Heute bat er sichs sauer werden lassen, um den "verlornen Sohn" prächtig +auszustatten. Jetzt sieht man den Alten in seinem Ruhesessel, der älteste +Sohn steht trotzig vor ihm und fordert sein Erbtheil. Dann geht er fort ins +fremde Land, ein Reisender kommt zu der Mutter und sagt derselben, aus +ihrem Sohne sei etwas Großes geworden, er kommandire eine ganze Armee. +Richtig kommt der Sohn mit seiner großen Armee, diese jauchzt, johlt und +jodelt wie nach dem größten Siege selten eine und so geht das Ding fort bis +ans Ende, wo der Benedict ein bischen heiser wird. + +Wer aber beschreibt das Entzücken des Publikums? Wann hat der vielgeübte +Kranich jemals den weichherzigsten Mädlen Thränen entlockt? Der Benedict +tritt hervor, ist umringt von nassen Augen, der Lehrer wird zum Wortführer +des Lobes der Zuschauer, der Benedict verlebt eine der seligsten Stunden +seines Daseins, die Mutter desselben schwimmt mit der Sabin' und andern +Mädchen in Freudenthränen, von ihrem Augapfel, ihrem Liebling entlockt. + +Jetzt drängt sich das mehr als 80jährige Bäbele mit seinen schneeweißen +Haaren aus dem Hintergrunde hervor; war doch der Benedict auch ihr Liebling +und sie muß ihm auch ihre Huldigung darbringen. Sie thut es, doch thut sie +noch mehr, denn das Morgenroth einer höhern Welt leuchtet durch ihre +Wangen, die Augen schauen prophetisch in die Zukunft und zu dem Volke sich +wendend, spricht sie das inhaltsschwere Wort. "_Glaubt nur, ihr Leut', +aus dem Benedict wird entweder ein großer Herr oder ein großer +Spitzbube,_ in unserm Geleise bleibt er nicht!" Wie oft hat der +"Duckmäuser" in bangen Kerkernächten, in der erschütternden Einsamkeit der +Zelle an diese Worte gedacht! Bäbeles Gebeine sind längst vermodert, ihr +Name ist verschollen, doch ihr prophetisches Wort hat sich erfüllt und +zittert durch das Herz eines Lebendigbegrabenen! + +Längst haben sich die einzelnen Kameradschaften der Buben und Mädchen alle +bemüht, den Benedict an sich zu fesseln, längst war er der Mittelpunkt, um +den sich die Dorfjugend sammelte; in die "Kunkelstube", wo er gerade zu +finden war, dahin kamen auch Männer und Frauen, denn er erzählte Legenden +der Heiligen, Rittergeschichten und Anderes so schön und lebendig, daß man +Alles zu sehen und zu hören glaubte und in seinem Dörflein war noch alte +Sitte und Zucht vorherrschend und man hätte einen Menschen, der über die +Heiligen spottete oder die Unschuld erröthen machte, aus den meisten +Kunkelstuben einfach hinausgeworfen. + +Seit dem Abend, an welchem der verlorne Sohn gespielt worden, schaute der +Jacob seinen Benedict respectvoller an, derselbe war ihm und Andern längst +über den Kopf hinausgewachsen, der Held der Dorfjugend und sein Name in +allen umliegenden Dörfern mit Ehren genannt. + +Wurde ihm noch nicht die Welt zu enge, so war dies allmählig doch mit der +Schulstube der Fall. Lernen konnte er hier nichts mehr und wußte er sich +die Langeweile auch zu vertreiben, so wünschte er doch sehnlichst, Mutter +Theres möchte die Zügel ein bischen länger machen und dies war nicht der +Fall, so lange der Benedict zur Schule ging. + +Die ganze Weisheit des Vaters bestand in dem Sätzlein: Bete und arbeite! Er +ging mit Beispiel voran, hielt mit eiserner Strenge darauf, daß die +Seinigen es auch thaten und wenn die Mutter nicht Alles über ihn vermocht', +wie der Benedict Alles über die Mutter, so würde es wohl mit dem Heldenthum +kläglich ausgesehen haben! ... Auf dem Lande ist das Geld von je als die +theuerste Sache betrachtet worden, wo wenig Geld und 6 unerzogene Kinder zu +finden sind, gibts zu arbeiten; gar oft mußte der gute Benedict die +Kunkelstube meiden und bis um Mitternacht selbst spinnen; freilich spann +das Mütterchen auch mit, denn der Winter vergeht rasch und die Leinwand muß +zeitig auf die Bleiche, doch Mütterchen fing an, dem geistvollen und +gelehrten Benedict mit ihren endlosen Rosenkränzen allgemach langweilig zu +werden. Er wünschte oft, die Großmutter möge vom Kirchhofe kommen und sich +wieder statt seiner mindestens an die Kunkel setzen; die Hanne kam jedoch +nie wieder, sie hatte auf Erden genug gesponnen und der Faden ihrer +Pilgerfahrt war im letzten Spätjahr leise und sanft abgerissen worden. + +Der Communionunterricht beginnt, Benedict faßt freudige Hoffnungen, wiewohl +er erst im Sommer 14 Jahre alt wird, der Mittwoch vor dem Palmensonntag +macht dieselben zu Schanden, denn an diesem Tage werden die Namen derer +verlesen, welche zum erstenmale zum Tische des Herrn gehen und aus der +Schule entlassen werden. Zitternd vor Erwartung sitzt er da, jeder Name +zuckt wie ein Schwert durch seine Seele, zuletzt wird noch dem Mathes die +Erlösung vom Eselsbänklein angekündiget, dann kommen die Namen der Mädchen, +er kanns kaum glauben, dennoch ist's richtig--sein eigener Name fehlt, der +Lehrer mag den Unterlehrer nicht vor der Zeit verlieren. Noch mehr, die +Seraphin, einer seiner Herzkäfer, der auch erst im Heumonat 14 Jahre alt +wird, darf als "die feinste, fleißigste und sittsamste" communiciren und +die ganze Schule hört an, wie der Lehrer erklärt, der Benedict müsse als +der "Leichtsinnigste von Allen" noch ein Jahr da bleiben. + +Jetzt war Feuer unter dem Dache und brannte ein volles Jahr! ... Besaß die +Seraphin das gehörige Alter? Nein; wem hatte sie ihren Ehrenplatz zu +verdanken? Zum guten Theil dem Benedict, der ihr einsagte und alle +Schulaufgaben machte. Saß derselbe nicht an einem _verdienten_ +Ehrenplatz? Und jetzt sollte jene "die Feinste, Fleißigste und Sittsamste" +und er dagegen "der Leichtsinnigste von Allen" sein? + +Zunächst ward der Seraphin der Krieg erklärt und bald hieß das arme Mädchen +allenthalben nur "die Feinste, Fleißigste und Sittsamste" und getraute sich +nicht mehr, irgendwo hinzugehen aus Furcht vor Spott und Hohn. Hat das +Mädchen dem Lehrer _nur_ Milch und nichts Anderes schmeichelnd ins +Haus getragen? Waren die Susanna und Margreth nicht zweimal in der Nähe, +als Seraphins Mutter den weißen Korb mit einem noch weißern Tüchlein deckte +und der Tochter empfahl, den Herrn Pfarrer drüben doch recht inständig zu +bitten, daß sie aus der Schule komme und vorzustellen, was die alternde +Mutter alles zu thun habe? Würde der Benedict, wenn er Solches vorher +gewußt hätte, nicht dem Vater eine Kuh aus dem Stalle gezogen und dem +Schulmeister gebracht haben statt vergänglicher Milch und dies nur, um aus +der Schule zu kommen? ... Dem Pfarrer legte Benedict nichts in den Weg, er +besaß den Muth nicht dazu; desto schlimmer kochte er es dem Schulmeister;-- +statt des gehofften Unterlehrers besaß dieser jetzt einen unbeugsam +trotzigen, saumseligen und muthwilligen Schüler mehr, bei welchem Milde und +Güte, Bitten und Betteln so wenig fruchtete als Drohungen und Schläge. + +Schulaufgaben machte er für seine Herzkäfer, für sich selbst niemals oder +in der Art, wie jenen früher erwähnten Schuldschein. Fragte ihn der Lehrer +Etwas, so antwortete er trocken, er wisse es nicht oder machte die +Mitschüler zu lachen, bat ihn der Lehrer, ihn ein bischen abzulösen, so +ermahnte er denselben, sich an die "Feinste, Fleißigste und Sittsamste" und +nicht an den "Leichtsinnigsten von Allen" zu wenden. Einmal mußte er +hinaus, um die Sonnenuhr zu richten, was Keiner besser verstand; er that's, +verschwieg jedoch eine ganze Stunde und der Lehrer machte fort, bis Weiber +und Bursche kamen, um die Kinder zum Mittagsessen aus der Schule +fortzuholen; ein andermal richtete er die Sonnenuhr so, daß der Lehrer die +Schule fast um eine Stunde zu früh schloß. Von jetzt ab mußte jedoch der +Max aus dem Rindhof die Sonnenuhr richten lernen, und weil der Lehrer sah, +Hopfen und Malz seien am Benedict verloren, kümmerte er sich auch allmälig +wenig darum, ob derselbe schwänze oder nicht und wenn er erschien, mußte er +neben Mathesens Ersatzmann, dem dummen Hansjörg sitzen, der genug +schmunzelte, auf seinem Katzenbänklein einen so trefflichen Einbläser neben +sich zu haben! ... Endlich naht die letzte Schulprüfung, diesmal wird der +Benedict kein Lob und keinen Preis davontragen! + +Einige Buben müssen die "verhexte Kuh und rothe Milch", einige Mädchen den +"feurigen Drachen" zusammen declamiren lernen und wenn der Philipp, der +jetzt neben dem Rindhofmax auf dem Ehrenplatze sitzt, Einen hätte, der die +Rolle des belehrenden Herrn Pfarrers in den "Feuermännern" ausfüllte, würde +der Lehrer hoffen, auch dieses Jahr beim Dekan Ehre zu erndten. Demüthig +bittet der arme Mann den Benedict, ihm den einzigen und letzten Gefallen zu +erweisen und bei der Prüfung die Rolle des Belehrers in den "Feuermännern" +zu übernehmen, doch der Benedict lacht ihm schadenfroh ins Gesicht und +meint: "Ich und der Hansjörg führen auf dem Katzenbänklein die Declamation +der Stummen mit einander auf, gelt Hansjörg?"--Der Hansjörg grinzt und +nickt bejahend, die Schüler lachen, der tief gekränkte Lehrer sagt dem +Benedict, er möge ganz von der Prüfung wegbleiben und schließt die Schule +sogleich vor Wehmuth. + +Am vorletzten Tag vor der Prüfung geht der Lehrer in die Schulstube und wer +exerzirt die Prüfungshelden nach Mienen, Stellungen und Reden in die +"verhexte Kuh und rothe Milch" ein? Wer denn anders als der Benedict! + +Der Erstaunte bleibt an der Thüre stehen, bis das Ding fertig ist, dann +eilt der arme Mann, der statt Geister stets vor der Prüfung lauter +Schwarzröcke sieht, begeistert auf den Benedict zu, drückt krampfhaft +dessen Hand vor lauter Freude und bittet denselben öffentlich vor allen +Schülern um Verzeihung ob der bisherigen Zurücksetzung. Unser Held weint +auch beinahe vor Freude über solche Befriedigung des Ehrgeizes, doch trotz +den Ermahnungen des Lehrers und der Schüler setzt er sich keineswegs auf +den Ehrenplatz, sondern auf das Eselsbänklein neben dem einfältigen +Hansjörg. + +Die Prüfung naht, kommt, ist bei den kleinen Schülern vorüber, sie drängen +hinaus, die andern hinein, doch--der Benedict fehlt, mit Todesangst +schielt der arme Lehrer nach der Thüre und sucht ein Taschentuch, um einige +aufsteigende Angsttropfen abzuwischen. + +Endlich geht die Thüre auf, der Ersehnte tritt herein, schreitet stolz am +Eselsbänklein vorüber und setzt sich auf den Ehrenplatz; der verlassene +Hansjörg hat ein gar wehmüthiges Gesicht dazu gemacht! Noch niemals +zeichnete sich der Benedict bei einer Prüfung so aus, wie diesmal; auch die +Rolle des belehrenden Pfarrers in den "Feuermännern" spielt er meisterhaft +und wie Alles vorüber ist, tritt er vor die 15 oder 18 gegenwärtigen +Herren, verbeugt sich ehrerbietigst und beginnt das schöne, lehrreiche +Gedicht: "Der Holzhacker"--auf eigene Faust zu declamiren und biß bei den +Worten: + + "Und biß, o Graus, am goldnen Bröcklein die Zähne sich aus!" + +so ernsthaft und natürlich zu, daß sämmtliche Herren nachbeißen zu wollen +schienen. + +Der Declamation folgte ein langes Beifallsgeklatsche und öffentliche +Belobung des über den Benedict ganz entzückten Dekans als Abschied aus den +Kinderjahren. + +Ob unser Held den Leib Jesu Christi beim erstenmal auch würdig empfangen +und gewußt habe, was er eigentlich thue, ist ihm heute zweifelhaft, doch +meint er, der Unterricht sei ein bischen arg mangelhaft und schlecht +gewesen und ein Bube könne nicht Alles aus dem kleinen Finger saugen, wenn +er auch ein Benedict sei. + + + + +#DORFGESCHICHTEN.# + + +Wenn mans genau und eine Landkarte dazu in die Hand nimmt, lassen sich die +Einwohner des Badnerlandes in lauter Schwarzwälder und Odenwälder +eintheilen. Die schwäbische Hochebene und rauhe Alp sind wohl geognostische +Kinder des Schwarzwaldes und das Rheinthal von Basel bis Mannheim +eigentlich nur ein Bergkessel zwischen dem Schwarzwalde und den Vogesen. + +Freilich gedeihen auf den Höhen des Schwarzwaldes nur Nadelhölzer; selbst +diese verkrüppeln und verschwinden am Feldberge und wenn auf den Vorhügeln +des Rheinthales drunten Mandeln verblüht sind, Kastanien blühen und die +Rebe ihre Schößlinge treibt, sind die rechten Schwarzwälder froh, wenn ihr +Hafer angesäet und ihre Kartoffeln gestupft werden können und thun, als ob +sie heuer gerathen wollten. Doch die rechten Schwarzwälder bewohnen nur ein +kleines Gebiet; jedes Thal hat wieder sein Besonderes in Sprache, Tracht +und Sitte und wer das Murgthal bis Freudenstadt und Rothweil, das +Kinzigthal von Offenburg bis Schenkenzell und Alpirsbach, das +Simonswälderthal, Höllenthal und viele andere Thäler von der +würtembergischen Grenze bis zum Rheine besucht hat, weiß am Ende nicht mehr +recht, wo er den Schwarzwald eigentlich suchen soll, nicht weil Land und +Leute einen cosmopolitischen Brei bilden, sondern weil man kaum recht Athem +holen kann, um Verschiedenheiten in der Natur und unter den Menschen zu +finden. + +Steigt er vom Schluchsen [Schluchsee] oder Titisen [Titisee], wo Schlehen, +Preiselbeeren und andere Kinder des Nordens allein noch zu finden sind, in +die Seitenthäler herab, wo Obstbäume die Strohhütten beschatten und wogende +Saatfelder die saftiggrünen Wiesen mit ihren sprudelnden Quellen allgemach +ersetzen, die gelben Strohhüte und kurzen, faltenreichen Röcke allmälig +verschwinden und tritt er aus den Vorhügeln mit ihren Weinbergen in das +Rheinthal hinaus und wandert vom Wiesenthale abwärts bis zur Murg und zum +Neckar, so befindet er sich allerdings nicht mehr in der Gebirgswelt, +sondern in einer gartenähnlichen Ebene, doch das Gebirge kommt ihm weder +aus den Augen noch aus dem Sinn, die Ebene liefert ihm auch alle +Augenblicke etwas Anderes und wenn er aus den zahllosen Mannigfaltigkeiten +die Einheiten heraussucht, theilt er die Menschen am Ende in zwei große +Partheien, nämlich in Dorfmenschen und Stadtmenschen; im Gebirge herrschen +die Dorfmenschen, in der Ebene die Stadtmenschen vor und der Unterschied +der Dorfmenschen unter sich ist bei weitem nicht so groß, wie ihr +Unterschied von den Stadtmenschen. + +Wer das Leben und Treiben der Schwarzwälder im engern Sinne genau kennen +lernen will, muß den "Kalender für Zeit und Ewigkeit" oder "Spindlers +herzige Erzählungen aus neuerer Zeit" zur Hand nehmen, denn Berthold +Auerbachs Dorfgeschichten, so anmuthig, hinreißend und herrlich sie auch +uns und vielen tausend Andern vorkommen, sind eben doch keine eigentlichen +"Schwarzwälder" Dorfgeschichten, sondern laufen fast ohne Schwarzwälder +Lokalfarben auf die Gegensätze zwischen Stadt und Land hinaus. + +Im Gebirge verschlingt das Dorfleben das Stadtleben, in der Ebene geht´s +umgekehrt zu und wie das Stadtleben allmälig auch in den Seitenthälern und +auf den Höhen des Gebirgs zur Herrschaft kommen will, zeigt unter Andern +die Geschichte des Duckmäusers. + +Das Heimathdörflein desselben liegt an der Mündung eines Thales, das einen +allmäligen Uebergang vom Schwarzwalde zur Rheinebene bildet und zwar nicht +blos der Natur, sondern auch des Charakters der Bewohner. Land und Leute +wachsen immer und überall wundersam zusammen und für ein geübtes Auge ist +jede Gegend ein Buch, aus dem es die Geschichte, das Leben und Treiben +ihrer Bewohner so im Allgemeinen herausliest! + +Kehren wir nach diesem kurzen Ausfluge zu unserm Benedict zurück, der aus +der Schule entlassen, bereis ein bischen größer und vom Mütterlein ein +bischen weniger gezügelt wurde. + +Sein Vater, der finstere, doch grundehrliche Jacob arbeitet noch immer den +ganzen Tag, rasirt sich am Sonntag hinter dem Ofen und trägt Nachmittags +nach der Vesper seinen Nebelspalter in den Hirzen. So lange der Benedict in +der Schule war, durfte er nicht ins Wirthshaus und nicht einmal den größern +Burschen den Kegelbuben machen, doch jetzt hilft er dem Vater tüchtig +arbeiten, stolzirt am Sonntage mit Etwas herum, was bei uns fast so viel +bedeutet, als die %toga virilis% bei den alten Römern, nämlich mit +einer Tabakspfeife und wenn es ihm beifällt, auch ein Schöpplein im Hirzen +zu trinken, so sieht's der Jacob nicht gerne, doch der Sohn will thun wie +andere auch und noch mehr, weil er der Held in 5 Dörfern ist. Der Vater +hört denselben doch lieber herausstreichen als schimpfen und muß eben +nachgeben, wie andere redliche Väter auch nachgeben. + +Abends mag der Benedict nicht mehr beim Mütterlein spinnen, die kleine +Hanne kanns thun, wird dieselbe doch mit jedem Tage größer und der Bruder +geht in die Kunkelstube, um seinen Erzählerruhm aufrecht zu erhalten. Alle +einzelnen Kameradschaften der Bursche und Mägdlein buhlen um seine Gunst, +wo die Margareth ist, welche er am liebsten zu haben scheint, sitzt die +Ofenbank voll und wenn er kommt, kommt Freude und Leben und jedem der +Feierabend zu frühe. + +Alle Häuser besucht er, jeden Abend ein anderes, in jedem ist er beliebt +und bekannt und Niemand weiß, welchem er den Vorrang gebe! Uebrigens darf +man nicht glauben, daß die Buben und Mägdlein unziemliche Kurzweil trieben +an den langen Abenden, mindestens geschah dies nirgends, wo der Benedict +hinkam und dieser wußte einen wüsten Gast derb abzutrumpfen und +heimzuschicken. + +Der Liebling der Jungen wollte auch der Liebling der Alten sein, zudem dem +Mütterchen eher Ehre denn Schande machen und so wurde in den Kunkelstuben +nur Ehrbares und oft Heiliges erzählt und nichts Unziemliches geschwatzt +oder gar getrieben. Der Benedict hielt viel auf Ehre und hätte es sich +nicht nachsagen lassen, daß ein unehrbares Wort aus seinem Munde gekommen +und deßhalb liebten ihn auch alle Mädchen und ihre Eltern hatten nichts +dagegen, wenn dieselben mit ihrer Kunkel und dem Rosenkranz nach dem +Nachtessen in das Haus wanderten, in welchem der Benedict gerade zu finden +war. + +Eines Abends sitzt so eine trauliche Gesellschaft im Vaterhause des +Hansjörgen und der Benedict erzählt bis gegen 10 Uhr, daß den Zuhörern bald +die Thränen in die Augen schießen, bald die Gänsehaut aufsteigt. Jetzt +stellt die Margareth ihre Kunkel weg, streicht die braunen Haare aus der +Stirn, steht auf und sagt gar holdselig: "Benedict, 's ist bald Zeit, wir +wollen noch Eins tanzen, damit wirs lernen bis Fastnacht!"--Alle Buben und +Mägdlein sind dabei; der Benedict hat seine Klarinette bei sich, denn auch +ein Musikus ist er geworden, der blinde Hans hat ihm die Griffe und Pfiffe +gezeigt, er spielte bereits die schönsten Hopser, Ländler, Walzer und +dergleichen aus dem ff heraus und jetzt sucht er den Ton, während Tisch und +Bänke in eine Ecke gestellt werden und der Hansjörg vor Freuden mit der +Zunge schnalzt und Sprünge macht wie ein Tiroler. + +In diesem Augenblick tritt jedoch die Ursula, Hansjörgens Mutter in die +Stube und sagt zum Benedict: "He, Benedict, wollt Ihr tanzen? Weißt wohl, +daß ich nichts dagegen habe, wenn´s Zeit ist, doch ist heute nicht Freitag +Abend? Was fällt dir auch ein, an einem solchen Abend blasen zu wollen? +Kommt am Sonntag oder an einem Tage in der nächsten Woche!" + +Der Benedict wird feuerroth, steckt die Klarinette ein, geht mit dem jungen +Volke fort und sagt auf dem Heimwege zu den Mädlen, er wisse gar nicht, was +er darum gäbe, wenn er heute nur nicht in Ursulas Haus gewesen wäre! ... +Die Ursula war eine Gevatterin seiner Mutter und Gotte dreier seiner +jüngern Geschwister, hatte ihn von Kindesbeinen an geliebt und geehrt, doch +wer ihr Haus mit keinem Schritte mehr betrat und ihr auf der Straße fortan +auswich, das war er, und zwar deßhalb, weil er meinte, sie hielte ihn in +ihrem Herzen für einen religionsfeindlichen Menschen, der sich nichts +daraus mache, am Freitag zu tanzen und aufzuspielen! + +Hatte es früher schon schlechte und verrufene Leute im Dorfe gegeben, so +gab es allmälig auch Aufgeklärte, denn mancher, der als frommer, züchtiger +Rekrut fortgegangen war und auf Urlaub heimkam, hatte die Welt in der Stadt +und in der Kaserne mit neuen Augen betrachten gelernt und der reiche Max +aus dem Rindhofe wanderte jetzt fleißig in die nahe Stadt, wo er in jeder +Bierkneipe gescheidte Leute und genug kirchenfeindliche Zeitungen fand. Der +arme Benedict regierte die Jungen im Dorfe, der reiche Max sah dies nicht +gern, suchte und bekam auch Anhang und daß der vielgepriesene "Zeitgeist" +auch in diesem Dörflein zu rumoren anfange, zeigte sich vor dem +Frohnleichnamsfeste. Seit urdenklichen Zeiten saßen jedes Jahr am Tage vor +dem Frohnleichnamsfeste die Mädchen in der Schulstube und arbeiteten oft +bis Mitternacht, um das Kreuz und den Altar, zu welchem die Prozession +morgen aus dem Pfarrdorfe herüberzog, mit den stattlichsten Kränzen und +Blumen zu schmücken. Sie hätten es sich um keinen Preis nachsagen lassen, +der Herrgott am Kreuz und das ganze Kreuz sammt dem Altare seien nicht mit +Kränzen, Blumen und Bändern aufs reichlichste ausstaffirt gewesen. Die +Bänder wurden von den Mädchen und deren Müttern geliefert und heuer +kommandirt der Benedict den ganzen Tag im Schulhause, macht den +stattlichsten Kranz, der die Dornenkrone bedecken sollte und verspricht +Abends beim Fortgehen, er werde der erste sein, welcher morgen früh den +ersten Kranz ans Kreuz hefte. + +Dem schwülen Tage folgte eine Regennacht, welche zu stürmisch war, als daß +man hätte fürchten mögen, die Prozession werde darunter leiden und noch um +11 Uhr saßen einige Mädchen in der Schulstube, um beim Licht die letzten +Zurüstungen zu treffen. Der Benedict liegt im Bett und will sich eben vom +Rauschen des Sturmes in den Baumwipfeln und vom Plätschern des Regens in +Schlaf lullen lassen, als es leise an seinem Fensterlein klopft und ruft. +Er springt auf, denn er kennt diese freundliche Stimme und verwundert sich +über den seltsamen Ton derselben. + +"Hör', Benedict, _jetzt_ sind wir Mädchen zu Schanden gemacht," +berichtet die Margareth, welche den hübschen Kopf in das Kammerfensterlein +hineinstreckt, damit das Wasser vom Dache sie nicht ersäufe. + +"Verlassen und verrathen sind wir, alle Mühe war umsonst, denn die Buben +haben keine Maien geholt!" bestätigt die Susanne. "Was? keine Maien?" sagt +der Benedict erschrocken und Margareth sammt der Jutta und dem Vefele, die +auch herbeieilen, erzählen, der Max habe die Buben aufgehetzt, heuer keine +Maien im Walde zu holen und gesagt, es sei eine Schande für so große Esel, +sich noch mit solchen "Kindereien" abzugeben. Daß der Max nicht umsonst +redete, während der Benedict im Schulhause saß, stellte sich um Mitternacht +sonnenklar heraus. Die Maien sind jedoch gleichsam die Rahmen, welche das +Kreuz und den Altar liebend umfassen und wie armselig sieht ein Bild ohne +Rahmen drein? Je größer, schöner und frischer die Maien, desto größer die +Ehre für die Mädchen, an den Maien erkannten die Leute aller benachbarten +Dörfer, wie Buben und Mädchen in diesem Jahre zusammen standen, seit +Menschengedenken hatten die Maien nie gefehlt, drum that es den Mädchen +heuer desto weher, sie sahen nicht nur den Herrgott vernachlässigt, sondern +sich selbst beschimpft. + +Rathlos steht der Benedict, ängstlich stehen seine Herzkäfer vor dem +Fensterlein, der Regen stürzt wie aus Kübeln vom dunkeln Nachthimmel und ob +den Vogesen, dem Rheinthale und Schwarzwalde zugleich flammen Blitze und +kanonirt hundertstimmiger Donner. + +"Geht heim, ihr Lieben, Maien müssen her, ich verlasse Euch nicht!" sagt +endlich der Benedict, reicht den Mädchen die Hand, schließt das Fensterlein +und schleicht zu den Eltern. Die Mutter hat all ihre Seiden- und +Taffetbänder ins Schulhaus geschickt, sie weiß, daß sich die Mädchen heuer +ganz besonders abmühten, jetzt erzählt er, wie schimpflich die Buben +gehandelt und die Mutter stößt ihren Alten aus dem Schlafe. "Wär´ der +Werktag nicht schon vorbei und der Fronleichnamstag angebrochen, so ginge +ich wahrlich trotz Sturm und Wetter in den Wald!" meint der Benedict +zögernd, um den Eltern an den Puls zu fühlen. + +"Was an Sonn- und Feiertagen zu Gottes Ehre gearbeitet wird, ist keine +Sünd´! antwortet die Mutter." + +"Aber woher Maien? Die Weidenstöcke am Bach sind abgehauen, ... das +Unwetter ist grausig, ich müßte eben junge Birklein holen, ´s ist fast eine +Stunde in den Wald und wenn mich der Cyriak, der Waldhüter erwischte, gäbe +es theure Maien!" meint der Benedict. "Ah bah! Cyriak hin oder her, wenn´s +dir Ernst wäre, würdest du nicht darnach fragen, ob es theure oder +wohlfeile Maien gäbe! Warum haben denn die Buben keine geholt, he?" sagt +der Vater. + +"Weil´s der Max, der Willibald und noch ein paar so schöne es für eine +Schande erklärten und Alle, welche holen wollten, so verspotteten, daß sie +es bleiben ließen!" + +"Eine ewige Schande ist´s für euch, Buben, euch von dem ungerathenen Max, +der unserm Herrgott und dem eigenen Vater, dem herzensguten Fidele nur +Schande macht, in _der_ Art verhetzen zu lassen! Gehst du nicht, so +stehe ich wahrhaftig auf, wecke den Fidele und wir alte Kracher bringen +gewiß Maien!" fährt der Jacob auf, wirft die Schlafkappe weg und richtet +sich aufgebracht im Bette empor. + +Fünf Minuten später eilt der Benedict mit einem Beil und Stricken durch die +Sturmnacht, kein Faden an ihm bleibt trocken, bis er in den Wald kommt; +hier ist's stockfinster, doch seine Hände wissen glatte Birkenrinde von der +der jungen Erlen gut zu unterscheiden und bald hat er vier stattliche junge +Birklein vor den Wald auf die nassen Wiesen herausgeschleppt. Das Aergste +ist, daß er kaum zwei auf einmal zu tragen vermag; muß er den Weg doppelt +machen, so kommt der Tag, ehe alles an Ort und Stelle und die Freude der +Mädchen fertig ist. Was thut der Benedict? Er springt mit zwei Birklein +eine Strecke weit, springt zurück, um die beiden andern nachzuholen, macht +auf diese Weise fort und die ersten Strahlen des Tages sehen die letzten +zwei Birklein am Altare. Der Regen hat aufgehört, die Schwalben zwitschern +und die Rothkelchen singen auf den Dachfirsten, der Benedict tropfnaß und +heidenmäßig schwitzend, springt ins Schulhaus, dann zum Altare zurück, +heftet richtig, wie ers versprochen, auch den ersten Kranz ans Kreuz und +dann geht er heim, um noch ein Stündlein zu ruhen. + +Sehr früh kommen einige Bauern zum Altare, um bei der Verzierung des +Kreuzes zu helfen, alle bewundern die herrlichen Birklein, der Cyriak kommt +aber auch dazu und sagt: + +"Diesen Vier hab' ichs gestern Abend spät noch vermacht, daß sie heute da +gesehen werden! ... Am Werktag sind sie nicht geholt worden und diesen +Morgen auch nicht! ... wer die geholt hat, muß gesalzen werden! ich bring +ihn heraus, gebt Acht, 's wird theure Maien geben!" brummt er zum Xaver, +betrachtet ärgerlich die schönen Bäumlein und macht eine Faust. + +"Sie stehen besser hier, als in deinem Revier!" lacht der Xaver. + +"Heut' sind die Birklein noch schöner als gestern, gelt Cyriak?" scherzt +der alte Liebhardt. + +"Sollen auch schön Geld kosten, ich bringe den Buben heraus!" versichert +der Cyriak und geht mit starken Schritten das Dorf hinauf. + +Die Ehre der Mädchen war in den Augen aller Einheimischen und Fremden durch +die Verzierungen und durch die vier prächtigen Birklein herrlich gerettet, +dafür wurde auch der Benedict von den Mädchen schier in den Himmel erhoben +und erklärt, er allein sei treu gegen Gott und Menschen, er verdiene, daß +sie ihn zeitlebens auf den Händen trügen. + +Das Wunderbarste bei der Sache blieb, daß kein Mädchen den Waldfrevler +verrieth. Um Mittag wurde das Vefele, das heute Nacht bei demselben +gefensterlet, von ihrem Vater, dem Cyriak, ins strengste Verhör genommen, +doch sie weiß nichts und ihr Bruder, der Mathes, versichert, er wisse auch +nicht, wer die Birklein geholt, wenn ihn der Vater auch mit dem Waldbeil +vor das Hirn schlüge. Wie ein Feuerreiter eilt der Cyriak von Haus zu Haus, +von Mädchen zu Mädchen, doch die Birklein blieben abgehauen und--was keine +Erdichtung, sondern blanke Thatsache ist und ein Licht auf die angebliche +Schwatzhaftigkeit der Mädchen wirft--der Benedict unverrathen, mindestens +für das laufende Jahr. + +Vom Max und dessen Anhange mußte er dagegen Spottreden genug hören, doch +kümmerte er sich wenig um diese "neumodische Schwitt", wie der Max mit +seinen Kameraden hießen, welche auch allgemach an Werktagen und am Sonntag +unter dem Gottesdienst im Wirthshause zu sehen waren. Liberalseinsollende +Zeitungen und böse Bücher übten wohl nur Einfluß auf diese Bursche, weil +Aufklärer in jedem Wirthshause saßen; sie selbst waren keine großen Freunde +vom Kopfzerbrechen und Lesen und ihre Weisheit floß in einem unter dem +Landvolke allmälig weit verbreiteten Sprichwörtlein zusammen, welches +heißt: _Predigen und Büchermachen ist das Handwerk der Pfaffen und +G'studirten!_ Woher solches Sprichwort stamme und welche Leute es am +liebsten im Munde führten, darauf sah die "neumodische Schwitt" nicht, +sondern schloß mit ihrem gesunden Bauernverstande ruhig weiter: "Ist der +Pfaff ein Handwerker, so ist die Kirche seine Werkstätte, Gottesdienst und +Predigt aber sind Stücke seiner Arbeit. Bei jedem Handwerker hat man die +Auswahl unter seinen Arbeiten, daher wählt man aus der Predigt gerade das, +was Einem am besten gefällt und gefällt Einem nichts (was bei steigender +Aufklärung bald der Fall sein muß), nun, dann läßt man dem Pfaffen seine +ganze Arbeit und geht am Ende gar nicht mehr in die Werkstätte desselben!" + +Die Eltern der "neumodischen Schwitt" sammt den meisten bejahrtern +Einwohnern betrachteten die Kirche als das Haus Gottes, den Geistlichen als +Diener Gottes, thaten, wie ihre Urahnen, hielten Sonn- und Feiertage +heilig, beteten zu Hause, in der Kirche, im Felde bei Prozessionen und +Bittgängen, zierten das Kreuz vor dem Dorfe und schliefen nicht ein, wenn +der Benedict Legenden erzählte. Sie waren der Religion treu geblieben; +Protestanten, welche über die Jungfrau Maria, die Heiligen, die +Ohrenbeichte, das Abendmahl, die Ehelosigkeit des Pfarrers witzelten, gab +es keine und dies aus dem einfachen Grunde, weil es überhaupt im Dörflein +des Benedict und in der Umgegend weder Protestanten noch Hebräer gab. + +Es lebte da ein gutes, glückliches Völklein und wenn auch die Protestanten +von ihm als eine Art Heiden betrachtet wurden und die kleinen Kinder davon +liefen, wenn ein Hebräer auf der Straße zu sehen war, so geschah doch +Niemanden etwas zu Leide um des fremdartigen Glaubens willen. Was zum alten +Eisen gehörte, blieb der Aufklärung unzugänglich; der Jacob pflegte zu +sagen, die "neuen Lehren" seien von "alten Lumpen" längst gepredigt worden +und dafür wußte er Namen zu nennen. Doch die Aufklärung in religiösen und +politischen Dingen kam auch in dieses Dorf und ihre erste Frucht war +Zwiespalt unter dem jungen Volke beiderlei Geschlechtes. + +Der Max saß mit dem Willibald und Andern fleißig im Wirthshause, der Fidele +und die Eltern der Uebrigen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, +ermahnten, baten, weinten, zankten, fluchten und wetterten, doch gab dies +keinen Zwiespalt unter der Dorfjugend, denn hier zwitscherten die Jungen +nicht, wie die alten sangen, sondern die Alten mochten sagen, klagen und +thun, was sie wollten, die "neumodische Schwitt" ließ sich dadurch wenig +Galle aufrühren und noch weniger graue Haare wachsen. + +Zuerst begnügte sie sich, im Wirthshaus zu sitzen statt in der Werkstätte +des Pfarrers; bald spotteten sie über Jene, welche beim Alten bleiben +wollten und in demselben Jahr, in welchem der Max aus der Sonntagsschule +entlassen wurde, hatte er auch die Magdalene zum Extraschatz, ein armes, +doch hübsches Mägdlein voll Leben und Feuer. + +Weil sie einige Sommersprossen im Gesichte und rothe Haare hatte, deßhalb +hieß sie auch "die Rothe" oder das "Fegfeuer" und wegen ihres lebhaften +ungestümen Wesens zuweilen "der Feuerteufel." + +Unter den Burschen war der Max der Reichste, doch der Benedict der +Gescheidteste und Angesehenste und letzteres zeigte sich, als jener seine +Macht erprobte und einen Vorschlag machte, welcher so recht zu der +"neumodischen Schwitt" paßte. + +Uralte Sitte und patriarchalisches Leben herrschten in diesem Dörflein noch +und so bestand auch der Gebrauch, daß die Buben den Mädchen insgesammt am +Neujahr und bei andern Gelegenheiten Geschenke machten, ohne dabei Gedanken +an nähere Liebschaften zu haben. + +Nun meinte der Max, welcher vielleicht etwas von der Zehntablösungsfrage +aufgeschnappt hatte, man möge künftig den Mädchen nur noch am Neujahr Etwas +geben und zwar keine Ringe oder ein Konstanzer Gesangbuch und ähnliches +Zeug, sondern baares Geld. Er stand gerade unter der alten Linde, welche +die Jugend so vieler Geschlechter beschattete und die Sache wurde noch an +demselben Abend in allen Kunkelstuben verhandelt. Die "Rothe" und einige +andere Mädlen wären mit dem Geldgeschenk zufrieden gewesen, doch wurde viel +gestritten, der Max und der Bendict [Benedict] redeten sich für und gegen +die neue Mode schier Lunge und Leber heraus. + +Am Ostermontag kam die Angelegenheit bei den Buben und Mädchen zur +Berathung und Entscheidung, der Max hatte gotteslästerlich viele Worte, +Flaschen und Versprechungen aufgeboten, Benedict in den letzten Tagen so +geschwiegen, daß der Max ihn auf seine Seite zu bringen hoffte, doch jetzt +trat derselbe für die alte Sitte und seine jungen Herzkäfer auf und siehe +da, die meisten Buben fielen ihm zu. + +Wüthend zog Max mit den Seinigen von der Linde in den Hirzen; von diesem +Tage an brachte er dem Benedict den diesmal sehr unverdienten Namen, "der +Duckmäuser" auf; der Zwiespalt des jungen Volkes offenbarte sich noch an +demselben Tage darin, daß die Neumodischen sich im Wirthshause abgesondert +von den Altmodischen setzten, doch geschah keine feierliche +Kriegserklärung, es wurden einstweilen nur neue Namen aufs Tapet gebracht. + +Benedict hieß fortan "der Duckmäuser" und sein Anhang "die schwarze +Schwitt", Maxens Roche gab den Anlaß, dessen Schwitt die "roche" zu taufen +und von "lewatisch gewordenen Schaufelstudenten" und "Knierutschern" war +beiderseitig viel Munkelns und ingrimmigen Höhnens. + +Viele Buben und Mädchen wußten noch nicht recht, zu welcher Schwitt sie +halten sollten und am andern Sonntage stehen und sitzen sie nach der Vesper +um die Linde herum, plaudern und scherzen, singen und lachen, doch will die +Freude nicht recht in Gang kommen, denn der Benedict fehlt und vergeblich +läuft bald die Susanne, bald die Margaret mit ihren Kameradinnen ins +Oberdorf, um den Herzkäfer herbeizuholen. Im Hirzen sitzt der Jacob vor +seinem Hälbsle, daheim steht die Theres im Garten und ihr Waldburgele hält +sie immer an der Schürze, das Besele und das Kätherle folgen der Mutter wie +die Küchlein der Henne, doch weder der Jacob noch die Theres wissen, wo der +Benedict steckt und die kleinen Schwestern wissen auch nichts, als daß er +ihnen ein Rad am Wägelein flickte, worauf sie ihre "Doggenbaben" spaziren +führen, dann die Kappe genommen, den Kittel über das rothe Wamms angezogen +habe und fortgegangen sei, nachdem er in der Küche beim Anzünden der +Tabakspfeife sich noch ein bisle verbrannt habe! ... Auf einmal geht der +Ersehnte mit dem Gregor, seinem liebsten Kameraden vom Unterdorf herauf und +langsam auf die Linden zu, die Susann' und die Margareth, das Vefele und +die Apel, die Affer, Sabin' und Andere laufen ihm entgegen. + +"Sag uns doch, warum bist du bös auf uns?"--"He, ich bin mit Euch durchaus +nicht bös!"--"Ja, warum kommst heute nicht?"--"Ei, bin ich jetzt nicht +bei Euch?"--"Du bist bös mit uns, wenn du's auch verhehlst!"--"Ich bin +nicht bös, gelt Gregor nit?" "Aber", sagt der Duckmäuser jetzt laut und +vernehmlich und steht mitten unter dem Haufen, "ich und der Gregor und der +Mathes bleiben jetzt für uns Herr, und Alle, welche am Frohnleichnamstag +Maien geholt haben, dürfen nicht mehr zu mir kommen!"--"Und die, welche +keine Maien geholt, sollen _uns_ vom Leibe bleiben!" rufen die +Mädchen.--"Ich gehe über Feld, wer will mit?"--"Ich, ich, ich auch, +wohin?" rufen und lärmen die Buben.--"Ja, es dürfen keine Andern mit mir +als solche, die den Mädlen keine Maien geholt haben!" ruft der Duckmäuser. + +Der Stich wurde verstanden, die Buben sonderten sich in zwei Heere, das +größere sagt: "Benedict, wir sind bei dir!"--["]Wollt Ihr altmodisch +bleiben?" fragt der Benedict und Alle antworten. "Ja!" Einer rennt in den +Hirzen, mit feuerrothem Kopfe kommen der Max, der Willibald und Andere; der +Max scheidet zuerst seine Rothe von den andern Mädlen ab, die Buben alle +thun dasselbe, die Scheidung der Lämmer und Böcke, der schwarzen und rothen +Schwitt ist in wenigen Minuten entschieden, die rothe Schwitt verläßt mit +ihren Mädchen die Linde, am nächsten Sonntage soll sichs zeigen, ob die +rothe oder schwarze Schwitt ihren Mädlen größere Freuden zu bereiten +verstehe!" [verstehe!] + +"Lauter Markgräfler muß auf den Tisch", schwört der Max, "kein Mädle darf +an den Wänden herumstehen, wenn's auch keinen besondern Schatz hat, bei uns +gilt die Eine was die Andere, wir bringen Anderes auf's Tapet, als +Blumenzutragen, Maienholen, den Eckpfosten am Schulhaus verzieren und das +verwitterte Kreuz, wo der Herrgott bald einen Schnurres von Moos bekommt!" +Was ist das für ein Munkeln und Gerede die ganze Woche, wie gespannt sind +die Alten und Jungen, doch ruhig bleiben die Mädlen der schwarzen Schwitt, +denn ihr Herzkäfer hat gesagt: "Der Max und ich stehen einander gleich dick +gegenüber am Sonntag, obgleich er der einzige Sohn des reichen Fidele ist +und ich der des fast armen Jacob; ihr Mädlen sollt nicht zu Schanden +werden!" Am Sonntag nach der Vesper sitzen die beiden Schwitten mit ihren +Mädchen im großen Saal beim Hirzenwirth einander gegenüber; dem Duckmäuser +thut nichts weher, als daß der Hansjörg und dessen Schwester, zwei stille, +harmlose, einfältige Seelen auch bei der rothen Schwitt sitzen. Die Beiden +halten den Duckmäuser für ihren Todfeind seit dem Freitag, an welchem ihre +Mutter demselben das Tanzen und Klarinettblasen verbot, obwohl er ihnen +kein böses Wort gegeben. Der Max bekommt gar keine Zeit zum Sitzen vor +lauter Einschenken und Zubringen des Markgräflers an seine "Gemeinmädlen", +und feurige Wangen und blitzende Augen gibts unter der rothen Schwitt, bis +endlich der Max seinen Wamms auszieht, das Halstuch locker knüpft, das +Schnupftuch in einem Knopfloche seiner rothen Weste festbindet, seine Rothe +am Kopfe nimmt und sagt: "Auf Alte, wir tanzen jetzt Eins!" + +Jetzt wird getanzt, gesoffen und gefressen, daß es erst eine rechte Art +bekommt. Unter dem Tisch der rothen Schwitt liegen die Scherben aller +geleerten Flaschen, vom Tische herab regnet der Zwölfer, kein Glas darf vom +Munde, ehe es ganz geleert ist, nur der Hansjörg und dessen Schwester sind +von diesem Gesetze ausgenommen; die Pyramiden von Wecken und Bretzeln, +welche vor den Mädchen gestanden, waren zum guten Theil wieder Teig +geworden, die rothe Schwitt tanzt, stampft und jauchzt, daß der Boden +zittert und die Scheiben klirren. + +"Franz", schreit der Max dem Aufwärter zu, der mit seiner weißen Schürze +schwitzend umherfliegt, "Franz, einen Kübel voll vom Allerbesten, vom alten +Rothen!" + +"Jo, s'ischt anfangs nöthig, daß Ihr's in Kübeln fordert, d'Butelle sind bi +Gott alle z'sammeng'schlage!" brummt der Franz. + +"Franz, hol ihnen den Brunnentrog im Hof, sie können die Köpf hineinhängen, +daß sie bälder voll werden!" ruft der Duckmäuser vom Tisch seiner Schwitt +herüber und der Willibald schaut ihn giftig an. + +Schon um 5 Uhr trinkt der Max nicht mehr, hört auch nichts von der schönen +Musik, denn er liegt schwerbetrunken hinter dem Holzschoppen des +Hirzenwirths und seine Rothe mag auch irgendwo so ein Plätzlein gefunden +haben; um 6 Uhr ist von der rothen Schwitt nichts mehr zu sehen als eine im +Markgräfler gebadete und von Flaschen zerhämmerte Tischplatte voll Scherben +und Teig; die Gäste wurden theilweise fortgetragen, theilweise taumelten +sie hinaus, um im Freien sich zu lagern, nur der Hansjörg und dessen +Schwester sitzen noch da und diese führt der Duckmäuser jetzt an die lange +und dicht besetzte Tafel der schwarzen Schwitt. + +Die Mädlen der rothen Schwitt haben sich theilweise fortgeschlichen, +theilweise buhlen sie um Aufnahme bei der schwarzen, heute wird aber nichts +daraus. + +Der Duckmäuser hat auch Pyramiden von Wecken und Bretzeln aufstellen +lassen, doch nichts durfte verdorben werden; er hat stets denselben Wein +kommen lassen wie der Max, doch blieb die Tischplatte sauber und Niemand +wurde zum Saufen gezwungen; Alle sind nüchtern und in Ehren fröhlich, der +Duckmäuser sitzt stolz zwischen seiner Margareth und der Marzell. + +Den Mädlen der schwarzen Schwitt gefiel's gar wohl, keinen "Batzenvierer", +sondern denselben Wein wie die der rothen trinken zu dürfen; nunmehr ist +die rothe Schwitt fort, die Mädlen meinen, man könne jetzt mit dem Zwölfer +aufhören, weil das Prahlen und Wettzechen vorüber sei, doch jetzt läßt der +Duckmäuser erst vom Dickrothen ausstellen, bringts der heißgeliebten +Margareth zu und lacht: + +"He, Ihr glaubt, der Benedict habe einen schwindsüchtigen Geldbeutel, weil +sein Alter das Knieschlottern bekommt, wenn er ihm einen Batzen geben muß? +Seid getrost, der Dorfhanswurst hat noch Späne!" Alles Zureden und Lobreden +der Mädchen half nichts, gab nur zu zärtlichen Wortgefechten Anlaß und alle +Mädlen gelobten, der altmodischen Schwitt treu zu sein, alle Buben +schwuren, wie ehrliche Brüder zusammenzuhalten und die Mädlen in Ehren hoch +zu halten. Erst Abends zehn Uhr schied die schwarze Schwitt vom Hirzen und +vom Dickrothen, doch kein Betrunkener war zu hören oder zu sehen und den +ganzen Sommer redeten Alt und Jung vom Ehrentage, welchen der Benedict +seinen Herzkäfern bereitete. + +Am nächsten Sonntage legt der Duckmäuser der Susanne, die mit ihren +Kameradinnen aus der Kirche kommt, die Hand auf die Achsel, schaut sie gar +ernsthaft an und fragt. "Habt ihr recht andächtig gebetet, Mädlen?"--"Ja!" +--"Auch für mich?"--"Wir beten Alle für dich!" rufen die Mädlen treuherzig +und dem Duckmäuser wirds wohler ums Herz. + +Er hat sich nichts merken lassen, doch bang und schwüle ist's ihm seit dem +letzten Sonntag und finstere Ahnungen, als ob ihm etwas Großes, Ungeheures +bevorstehe, schnüren seine Brust zusammen; jetzt thut ihm das Geständniß +der lieben Kameradinnen gar wohl und gießt Muth in seine Seele!" [Seele!] +... Daheim hat der jüngere Bruder schon das Papier gerichtet und die Feder +gespitzt, damit ihm der Benedict die Predigt dictire; der Benedict kommt +und dictirt, doch guckt er wieder in Einem fort in eine Ecke und der Bruder +muß heute gar zu oft fragen: "was kommt jetzt, was soll ich jetzt +schreiben" und meint, er habe heute nicht recht aufgepaßt, sonst müßte er +nicht so lange studiren. + +Plötzlich fragt der Vater draußen mit einer Stimme nach dem Benedict, +welche diesen zittern macht; rasch öffnet er die Kammerthüre und ruft: "Was +ist's, was gibts?" Die Frage ist noch nicht recht heraus, fühlt sich der +Benedict am Titus gefaßt, hageldichte Schläge versetzt ihm der Jacob mit +einem vierfachen, reichlich mit Knöpfen versehenen Seilstumpen und brüllt. +"Wo hast du Geld geliehen?" "Hab' keines geliehen!" heult der Benedict, +krümmt sich unter den Eichenfäusten des Vaters und immer wüthender haut +dieser zu und haut zu, wie der Sohn schon auf dem Boden liegt, denn Weste +und Wamms hatte dieser ausgezogen und trug nur ein Hemd und dünne +Sommerhöslein, so daß kein Hieb verloren ging. "Ach, Vater, sechs Kreuzer +habe ich geliehen!"--"Bei wem, Schlingel!"--"Beim Aloys!"--"Wo hast noch +geliehen?"--"Beim Bernhard!"--"Wieviel?"--"Nur zwölf Kreuzer!"--"Wo hast +noch geliehen?"--"Beim Stoffel!"--"Wieviel?"--"Achtzehn Kreuzer!"--"Und wo +noch?"--"O Jesus, Maria und Joseph, laßt mich gehen, beim Bernhardt!"-- +"Wieviel?"--"Einen Sechsbätzner!" + +Auf solche Weise ging das Examen fort, der Jacob bebte vor Zorn und Wuth, +doch seine Kräfte gaben nach von lauter Zuschlägen, der Benedict aber war +Eine Beule von oben bis unten und sein Blut rann ihm über das Gesicht und +den zerfleischten Leib. Athemlos und keuchend steht der Jacob, vermag kaum +den Seilstumpen mehr in der Hand zu halten, mit heiserer Stimme gibt der +Benedict die letzte Antwort: "Ach, beim Liebhardt hab' ich zwei Gulden +geliehen!"--und aufs neue schlägt der Vater zu, daß sich der Sohn wie ein +Wurm auf dem Boden krümmt, schreckensbleich steht der Bruder, die +Schwestern weinen vor Mitleid, die Theres bringt vor Angst und Schrecken +kein Wort hervor und hat den Muth zum Abwehren verloren, denn sie kennt +ihren Alten und weiß, wozu ihn die Wuth bringen kann. + +Das Blut Benedicts, der keine Stimme und keine Thränen mehr zum Weinen hat, +gibt ihr endlich den Muth, in den Augenblicke, wo alle Kinder um Hülfe für +den Bruder schreien, aus der Küche zu springen, dem Vater, der mit beiden +Händen seinen Strick hält und zuhaut, unter den Streich zu fahren, +denselben am Arme zu packen und zur Menschlichkeit zu ermahnen. "Spring +fort, spring fort, Benedict!" rufen angstvoll die Geschwister und der +Benedict springt nicht fort, doch wankt er zur Thüre und zur Hinterthüre +hinaus in den Obstgarten und von da über den Zaun ins Feld. + +Ohne Kappe, ohne Halstuch, ohne Wamms und Weste, ohne Schuhe und Strümpfe +und dazu ohne Geld wankt der Mißhandelte von Wenigen gesehen und von Keinem +erkannt, dem Weidengebüsche am Mühlenbache zu. + +Dies waren Folgen des Ehrentages der schwarzen Schwitt. + +Der Vater hatte nicht gewußt, daß sein Sohn die Zeche bezahlte; diesen +Morgen wandelt der Liebhard mit ihm und andern Nachbarn aus der Kirche, das +Gespräch kommt auf den Benedict, Alle loben denselben und der Liebhardt +sagt: "Darfst glauben, Jacob, daß ich deinem Buben die zwei Gulden nicht +geliehen hätte, wenn er ein liederlicher Mensch wäre!"--"Was? zwei Gulden +hat er bei dir geliehen?" fährt der Jacob auf und macht Augen wie +Pflugräder.--"Hätte ich das Maul gehalten!" denkt der Liebhardt, der jetzt +erst merkt, der Jacob wisse nichts um die Sache, doch kann er nicht als +Lügner dastehen, erzählt die Sache ausführlich und der _grundehrliche_ +Jacob schämt sich in den Boden hinein, der _finstere_ Jacob aber eilt +heim, flicht Knoten am Seilstumpen und ist gerade fertig geworden, als sein +Opfer den Kopf zur Kammerthüre herausstreckte. + +Der Duckmäuser hatte nicht nur beim Liebhardt, sondern noch bei vielen +Andern, welche keine Buben oder Mädlen bei den Schwitten hatten, Geld +geliehen, wußte nicht, daß der Vater nur vom Liebhardt etwas wisse, gestand +zuerst den kleinsten, dann größere, allmälig alle Posten ein und mit den +Zahlen wuchs so der Grimm des Vaters. Als dieser der Theres Alles erzählt, +steht die gute, grundehrliche Frau gleich einer Bildsäule da und würde +ihren Mann zum erstenmal einen Lügner gescholten haben, wenn sie die +Geständnisse ihres "Augapfels" theilweise in der Küche draußen nicht selbst +gehört hätte. Beim Mittagessen erschien kein Benedict, in der Vesper fehlte +er auch und den ganzen Tag bis in die tiefe Nacht hinein war ein Geläufe +der Buben und Mädlen der schwarzen Schwitt zum Elternhause ihres +"Herzkäfers", doch vom Benedict wußte Niemand ein Sterbenswörtlein, seine +Eltern und Geschwister verriethen aber auch nicht, wie er geschlagen worden +sei und warum. + +Noch um zehn Uhr Abends geht die Margareth mit der Susanne, Marzell und +Anderen durch das Oberdorf, sie reden lauter Liebes und Gutes vom +Duckmäuser, eine dunkle Gestalt schleicht hinter ihnen eine Weile her und +dann verschwindet sie zwischen den Gartenzäunen. + +Es ist der Benedict, der seiner Wohnung zutrollt, die beiden kleinern +Schwestern stehen noch im Hofe, eilen freudig auf ihn zu und berichten auf +seine leise Frage, der Vater liege im Bett, die Mutter jedoch sei noch auf, +sie habe immer geweint und gefürchtet, er werde sich den Tod anthun, doch +wisse kein Mensch, was der Vater gethan habe. + +Die letzte Versicherung tröstet den Duckmäuser, wenns nur Niemand weiß, +dann steht alles gut! wie lieb ihn die Mädlen haben und wie hoch ihn die +Buben der schwarzen Schwitt in Ehren halten, das hat er auf dem Heimwege +erfahren! + +Am Bache hat er seine schwarzblauen Beulen und blutigen Striemen wehmüthig +betrachtet, sich dann ins Wasser gelegt und an den Wunden gerieben, +hoffend, dieselben würden eher unsichtbar werden, dann legte er sich +zwischen den Weiden nieder und schlief mit hungrigen Magen bis zum Abend, +wo er noch sitzen blieb, bis es recht finster wurde und dann fortschlich, +um zu sehen, wie es im Dorfe und daheim aussehe. + +"Gang, Hannesle, lang mer jetzt die Kleider zum Kammerfenster heraus und +bring mein Geld; es liegt hinter dem Getüchtrog in einem dunkeln Lumpen +eingewickelt!" sagt der Duckmäuser; der Hannesle geht, berichtet der +Mutter, der Bruder sei Gottlob wieder gekommen, das Mütterchen bringt das +Geld selbst und fragt, wozu er so viel geliehen. + +Ihr gesteht er Alles und sie sieht ein, daß der Augapfel Geld lieh, um die +Altmodischen der schwarzen Schwitt im Dorfe gegen die liederlichen und +allgemach verrufenen Rothschwittler in Oberhand zu halten, vergißt ihre +Schaam und würde die Beulen ihres Augapfels gerne nicht nur aus dessen +Gesicht, sondern von seinem ganzen Leibe mit ihren Zähren abgewaschen +haben. Sie will ihm Essen holen, er will nichts und sagt, er verdinge sich +noch heute Nacht in der Stadt oder sonst wo und nur das feierliche +Versprechen der Mutter, beim Vater ganz gutes Wetter zu machen, bringt ihn +davon ab, doch bleibt er nicht daheim, sondern geht wieder fort. + +Eine halbe Stunde später kommt der Duckmäuser zum Dorfe, torgelt und +taumelt und redet mit sich selber wie ein Schwerbetrunkener und findet aber +doch den Weg zu den Linden, wo noch Buben und Mädchen der schwarzen Schwitt +stehen, denn das Verschwinden ihres Herzkäfers hat Alle in schwere Unruhe +und Besorgniß versetzt und Mehrere suchen in den umliegenden Ortschaften +ihr Haupt. + +Der Mond steigt über den dunkeln Bergen des Schwarzwaldes auf und leuchtet +ins Thal, die Susanne erkennt den Duckmäuser, Alle springen ihm fragend +entgegen und sehen seine Beulen und Striemen; er spiele die Rolle des +Betrunkenen, wiewohl er im Pfarrdorfe drüben nur zwei Schöpplein schnell +hinabstürzte; sie glauben, daß er heute fortgewesen, im Rausche unbesonnen +gewesen sei, Händel angefangen und "Pumpes" bekommen habe. + +Dies war's, was er wollte, denn daß ihn seine Eltern so wenig verriethen, +als die, von welchen er Geld geliehen, wenn er nämlich dieses Geld rasch +zurückgebe, dessen war er gewiß. + +Der theuern Margareth, der holdseligen Marzell und dem herzensguten Vefele +erzählte er die Sache vom Liebhardt selbst, doch wollte er auf dem Markte, +wohin er jeden Donnerstag mit einem Korb voll Eier, Butter und dergleichen +geschickt wurde, ein großes Unglück gehabt und die zwei Gulden gebraucht +haben, um den Schaden vor dem strengen Vater zu verbergen! + +Er konnte als armer Bursche mit den paar rothen Batzen, welche die Mutter +dem Vater für ihn abschwatzte, seine Anführersrollen nicht spielen, der Max +würde ihn mit seinen Kronenthalern arg zu Schanden gemacht haben. Heimliche +Schulden drückten den Benedict und seitdem er so gründlich erfahren, was +der Vater von Schulden halte, wars ihm desto unlieber, weil die Mutter gar +zu scharfe Augen machte, wenn sie den Marktkorb zurüsten half. + +Ohne dem Augapfel ein Freudlein in Ehren zu mißgönnen, blieb sie sehr +sparsam und häuslich; seit der Geldgeschichte schien ihr auch ein Licht +darüber aufgegangen, weßhalb der Benedict seit einiger Zeit manchmal in +"Brandpeterle's" Haus schlich, welches im Punkte der Ehrlichkeit und in +einigen andern dazu nicht im besten Geruche stand. Sie paßte gewaltig auf, +wenn derselbe seinen Marktkorb auf den Kopf nahm und in die nahe Stadt +marschirte, suchte zuweilen hinter dem Getüchtrog und in andern Winkeln und +schüttelte den ergrauenden Kopf, obwohl sie niemals etwas Verdächtiges +fand. + +Man munkelte im Dorfe hie und da von Schulden des Benedict, die rothe +Schwitt meinte, "er habe es dick hinter den Ohren und sei halt der +Duckmäuser", doch die Leute wurden nach und nach bezahlt und der rothen +Schwitt das böse Maul gestopft. + +An einem Dienstag Abend sitzt der Benedict bei den Mädlen unter den Linden, +da sagt die Marzell: "Gelt, du hast heute ein Pfund Butter bei der krummen +Lisbeth für s' Baschi's Wittfrau gekauft?"--"Ja, warum sagst du's?"--"He, +die Lisbeth hat dich bei einer ganzen Heerd Weiber ausgerichtet, habest ihr +kein Geld für die Butter gegeben und nachher doch behauptet, du hättest sie +bezahlt!"--"Wart'! der Lisbeth will ichs morgen sagen! Hab' ich je in +meinem Leben um einen halben Kreuzer _betrogen?_" fährt der Benedict +auf und geht bald ein bischen verstimmt heim. + +Am nächsten Markttage steht die krumme Lisbeth mit andern Weibern und +Mädlen des Dörfleins auf dem Wochenmarkte und just neben einer +Obsthändlerin. Auf einmal kommt der Benedict, kauft für zwölf Kreuzer Obst, +gibt der Frau das Geld und geht. + +Eine Viertelstunde später kehrt er eilfertig zurück und fragt die Obstfrau +schon von weitem: "Nicht wahr, bei Euch habe ich für zwölf Kreuzer Obst +gekauft?"--"Ja, das habt Ihr!"--"Ich habe Euch ja 's Geld nicht gegeben?"-- +"Doch, doch, Ihr habts mir in die Hand gelegt!"--"Oh, das kann gar nicht +sein, ich weiß es von meinem Gelde, die zwölf Kreuzer fehlen mir nicht!" + +Wer keine doppelte Bezahlung will, ist die blutarme Obstfrau, wer darob ein +tüchtiges Geschrei anfängt, der Benedict und während alle Weiber recht +aufpassen, sagt er und schaut auf die krumme Lisbeth hinüber. "So ist's! +Die Eine will ihre Waare gar nicht, die Andere dagegen doppelt bezahlt +haben! ... Für die halbe Stadt muß ich einkaufen; gehe ich nun auch einmal +fort und vergesse in Gedanken das Bezahlen, so finde ich bald, wo es fehlt, +wenn ich die Rechnung über mein Geld stelle! ... Doch zweimal, wie es +vorgestern Eine mit ihrem Pfund Butter haben wollte, zahle ich nicht gern!" + +"Da sieht man wieder, wie man den Leuten Unrecht thut!" ließen sich die +Weiber vernehmen und schauten auf die Lisbeth. + +"Ich hab's vorgestern gleich nicht geglaubt, der Benedict geht jetzt schon +lange auf den Markt und hat sich noch nie etwas zu Schulden kommen +lassen!["] meint die Apel. + +Abends hört der Duckmäuser von seinen Herzkäfern lauter Liebes und Gutes +und einer ganzen Heerde Weiber hat die Lisbeth eingestanden, es sei leicht +möglich, daß sie Benedicts Geld für die Butter verloren habe; ein Loch sei +nicht in ihrem Rocke, doch habe sie das Geld in der Eile nicht in den +Beutel gethan und vielleicht mit dem Schnupftuche weggeworfen. + +Sauer, blutsauer ließ sich's unser Held werden, bis die ärgsten Gläubiger +zufrieden gestellt waren, Angst und Noth stand er genug dabei aus und fand, +der Erwerb auf krummen Wegen gewähre dem Menschen sehr wenig Freude; er +würde sich gern mit den paar Batzen begnügt haben, welche die Mutter ihm +zusteckte, doch sollte er _jetzt_ vor dem Max zurücktreten, aufhören, +an der Spitze der schwarzen Schwitt zu stehen und so die "Neumodischen" +Herren im Dörflein werden lassen? + +Der Max besaß Geld wie Heu; nicht blos an hohen Feiertagen und besondern +Gelegenheiten, sondern jeden Abend, den Gott gab, lebte die rothe Schwitt +herrlich und in Freuden, sei es im Hirzen oder in Kunkelstuben, und wenn +die schwarze Schwitt auch nicht groß thun, prahlen und unmäßig sein wollte, +so gab es doch von Zeit zu Zeit Gelegenheiten zum Geldausgeben und der +Benedict hätte es nicht sehen können, wie Maxens Rothe, Willibalds Luzie +und Andere mit Geschenken überhäuft wurden, während die braven, treuen und +lieben Mädlen der schwarzen Schwitt leer ausgingen. + +Wenn er jetzt zuweilen mit einem kleinen Marktkorbe auf dem Kopfe zum Ort +hinausging, so wuchs der Korb merkwürdig in die Höhe, ehe er durch das +Stadtthor keuchte und einige Weiber wollten wissen, das Wunder gehe ganz +natürlich zu; gewiß war, daß der Benedict unterwegs seinen kleinen Korb +abstellte, seitwärts vom Wege in das Weidengebüsch des Mühlenbaches trug +und weit schwerer bepackt wieder hervorkam, sich vorher nach allen Seiten +umsah, ob kein Unrechter in der Nähe sei und dann rascher als vorher der +Stadt zulief. Die krumme Lisbeth mit ihren scharfen Augen bemerkte es wohl, +andere Weiber wußtens bald; sie zogen den Benedict auf wegen seines +Abstellens bei den Weiden und dieser merkte, daß Mutter Theres sammt andern +ihres Geschlechtes und manchen Männern dazu seine Ehrlichkeit und +Redlichkeit stark bezweifelten. + +Der Liebhardt war nicht allein beim Jacob gewesen, als die Geldanleihe zur +Sprache kam, Andere mochten die Sache herum gesagt haben, Benedicts Eltern +zahlten alle ihnen bekannten Gläubiger aus, diese merkten auch etwas, das +Pfund Butter war auch noch nicht vergessen und das Dörflein lag nicht in +einer Gegend, wo man gestohlen haben mußte, um für unehrlich zu gelten; +eine wackere Lüge reichte dazu hin und der Marktkorb machte die Mutter so +mißtrauisch, daß sich der Held der schwarzen Schwitt nicht mehr zu helfen +wußte. Zuweilen kam jetzt wohl die Schwindsucht an sein Geldbeutelein, doch +von Zeit zu Zeit besaß er Geld und so vorsichtig er mit dem Ausgeben +desselben war, schüttelten doch manche den Kopf und meinten, der Max habe +mit dem Namen "Duckmäuser" keinen üblen Einfall gehabt. + + * * * * * + + + + +#DUCKMÄUSERS GLÜCKSSTERN ERBLEICHT.# + + + * * * * * + +An einem Sonntagmorgen tritt der Benedict aus der Kammer in die Stube, der +Vater rasirt sich gerade hinter dem Ofen und tritt diesmal nicht so glatt +und sauber wie sonst hervor, denn er hat sich im Eifer geschnitten oder vor +innerer Bewegung gezittert, seine Stirn ist gefaltet und der Blick so +finster, daß der Sohn bereut, durch das Löffelgeklirre der Mutter in die +Stube gelockt worden zu sein. + +"Bist du gestern Nacht nicht wieder in Brandpeterles Haus gewesen?" fragt +der Jacob und der Mund zuckt bei dieser Frage gar seltsam.--"Ja, ich war +ein Viertelstündle dort und hab' geschwind die Geschichte vom Fortunatus +mit dem Säckel und Wünschhütlein erzählen! müssen!" meint der Benedict +kleinlaut.--"Woher hast du denn diese schöne silberne Uhr, die heute Nacht +aus deinem Sacke rutschte?" fragt der Alte mit blitzenden Augen und +zitternden Lippen und zieht die Uhr aus dem Kasten--"Ho, ich habe sie +gefunden!"--"So was findet man nicht so am Wege! Kerl, was fängst Du für +ein Leben an? Gib Acht, gib Acht, daß ich nicht hinter dich komme, 's geht +dann anders als wegen dem Liebhardt!" donnert der Vater und schlägt die +Eichenfaust auf den Tisch, daß die blechernen Löffel und zinnernen Teller +in die Höhe springen und die jüngern Kinder ängstlich zusammenfahren.-- +"Alter, denk' an unsere Verabredung!" ermahnt die Theres, welche eine +Schüssel voll gebratener Erdäpfel neben die dampfende Suppe stellt.--"Wo +hast du die Uhr gefunden?" forscht der Jacob weit sanfter.--"Da und da."-- +"Bah, bah, weßhalb hast du sie denn verborgen? Weßhalb mußte ihr Picken +erst dein Glück verkünden? Soll man das Maul halten, wenn man Etwas +gefunden hat? Meinst du, es werde Niemand nach der Uhr fragen? Kerl, Kerl, +nimm dich in Acht, heute gehst du mir nicht zum Hause hinaus, hast's +gehört?["]--"Ja, ja!" versichert der zitternde Benedict und die Mutter +wirft ihm einen Blick unaussprechlicher Angst und Bekümmerniß zu, denn sie +ahnt, wie ihr Augapfel zu der schönen Uhr gekommen sein möge. Aus der +Kirche bringt der Vater die Hiobspost, gestern Abend sei dem Melchior die +Silberuhr, welche er an der Wand hängen hatte--weggefunden worden, der +Benedict glaubt sein Todesurtheil zu vernehmen, doch flicht der Vater +diesmal keinen Seilstumpen und versetzt dem Bueb nur gelegentlich einen +Stoß, daß derselbe der Länge nach zu Boden stürzt und will einen Fußtritt +oben drauf setzen, den die herbeieilende Mutter jedoch verhindert. + +Bei Nacht und Nebel trägt der Jacob die Uhr wieder dahin, woher sie +genommen wurde, kommt unbeschrieen wieder heim, kann kein Wort reden vor +Schmerz und Schaam, die Theres aber nimmt den Benedict in die Kammer, fällt +vor ihm auf die Kniee und bittet ihn unter strömenden Thränen und mit +aufgehobenen Händen, sich zu bessern und von dem Wege abzulassen, den er +eingeschlagen. + +Bei allem, was dem Christenmenschen und Kindesherzen heilig ist, beschwört +sie ihn, vor Gott und den Menschen ehrlich und rechtschaffen zu wandeln und +bringt ihn zum Schwure, wieder ordentlich zu werden. + +Sie verspürt an Eiern, Butter und dergleichen, daß es dem Duckmäuser +diesmal Ernst sei; sie kennt ihn inwendig wie auswendig und will Alles +thun, um ihn auf dem rechten Wege festzuhalten. Sie weiß, es gäbe Eine im +Dörflein, welche mehr über den Benedict vermöge, denn alle Geistlichen, +Vater und Muster zusammengenommen, diese Eine hieß Margareth und zu dieser +geht die tiefbekümmerte Theres, erzählt ihr, wie alle Ermahnungen, +Warnungen, Schläge und andere Mittel den Buben nicht von Brandpeterles +wegbringen könnten und wie es mit Melchiors Uhr zugegangen sei. + +Ob der unerwarteten und nie geahnten Nachricht erschrak die Margareth so +sehr, daß sie den Benedict, für welchen sie freudig ihr Leben gelassen +hätte, von dieser Stunde an nicht mehr liebte, sondern eher fürchtete, und +später fürchtete wie selten ein Mensch gefürchtet wird. Sie verrieth +Theresens Vertrauen mit keiner Silbe, blieb gegen dieselbe eine zärtliche +Freundin und liebende Tochter, doch die Liebe für den Benedict war aus +ihrem reinen, blutenden Herzen verschwunden, jeder Blick und jedes Wort und +die Scheu vor dem verdächtigen Geliebten verrieth es jetzt schon. + +Am dritten Abend darauf rüstet der Benedict seinen Marktkorb, die Mutter +sieht ihm mit nassen Augen zu, denn er sieht gar bleich und zerstört aus, +thut wie Einer, der nicht mehr bei sich selbst ist und hört stumm die +Aufträge herzählen, welche er morgen befolgen soll; schon um 3 Uhr will er +wie gewöhnlich fortgehen und um diese Zeit pflegt die Mutter noch ein +bischen zu schlafen. + +Der Marktkorb ist gepackt, der Benedict setzt die Kappe auf und nimmt die +Pfeife von der Wand. "Wohin willst du noch?" fragt die Mutter.--"Zu den +Andern!" brummt der Sohn kurz und grob.--"Nein, du gehst jetzt nicht zu den +Andern, sondern bleibst da! ... Wenn gute Worte nichts nützen, dann will +ich auch anders mit dir anfangen!" ruft die schwergekränkte, erzürnte +Mutter. + +Der Vater sitzt am Tische, sucht in einem alten Kalender den Tag, an +welchem die kleine Ammerey zur Welt kam, doch jetzt steht er auf und langt +nach den Stricken, die neben dem großen Legendenbuch am Kasten herabhängen, +der Duckmäuser jedoch schießt wie eine Kugel aus dem Rohr zur Thüre hinaus +in die stockfinstere Nacht hinein. + +Einige Minuten später geht er in das Haus des Brandpeterle, in welchem die +rothe Schwitt jetzt ihr Hauptquartier aufgeschlagen hat. Der Brandpeterle +sitzt nicht in der Stube, denn er liegt schon längst drüben auf dem +Kirchhofe, doch dessen verrufene Wittwe setzt eben zwei Krüge Wein auf den +Tisch, ihre hübsche, doch leichtsinnige Tochter, die Hanne, sitzt auf dem +Schooße des Willibald, der mit fünf andern Buben und fünf Mädlen der rothen +Schwitt just vom Duckmäuser redet, denn dieser wird erwartet. An diesem +Abend wird das bisherige Haupt der schwarzen Schwitt vollends zum Haupte +der rothen ernannt, die Hanne zur "ehelichen Geliebten" desselben gemacht +und der erste Beschluß des Neubekehrten heißt: Brandpeterles Haus bleibt +Hauptquartier der rothen Schwitt, die ganze Jungfrauschaft der schwarzen +ist im Bann! + +Etwa um die Zeit, wo Benedict sonst den Marktkorb auf den Kopf zu nehmen +pflegte, tritt er aus Brandpeterles Haus und geht nicht heim, um den Korb +zu holen, sondern zum Dörflein hinaus und am Kreuze vorüber, wohin er vor +drei Jahren in der Frohnleichnamsnacht die Maien gebracht. + +Er zieht die Kappe nicht herab, sondern schaut nach der andern Seite. + +Es wird Abend, wird wieder Tag, wird Sonntag, Dienstag und noch einmal +Dienstag, vom Benedict ist nichts zu sehen und zu hören, die Hanne mit der +rothen Schwitt wartet so vergeblich wie die schwarze. Am folgenden Sonntag, +während Alles in der Kirche ist, was nicht ganz notwendig in der Küche oder +bei der Wiege oder im Krankenbette bleiben muß, tritt der Duckmäuser wieder +über die Schwelle seines Vaterhauses, die Mutter steht am Heerde und kehrt +sich um, doch sie fährt erschrocken zusammen und findet keinen Gruß. + +Ohne ein Wort zu sprechen, geht er in die Kammer, zieht ein frisches Hemd +und die Sonntagskleider wieder an, nimmt einen schweren Geldbeutel aus dem +Sacke der alten Hosen, steckt denselben ein und geht mit einem barschen +"Adje" wieder zum Hause hinaus. + +Kein Kundschafter erfuhr, wohin der Benedict gegangen, doch wie es dunkel +wird, kommt er mit Zweien von der rothen Schwitt das Dorf herauf zur Linde, +die Mädchen der schwarzen Schwitt drängen sich nicht um ihn herum, wie dies +sonst immer der Fall war. "Wo ist d´ Margareth?" fragt er--"Wir wissens +nicht! ... sie wird daheim sein!" antworten Einige--"Und Ihr, was thut Ihr +da? Ihr könntet auch daheim sein!" sagt er und geht dann das Dorf weiter +hinauf. + +Im Hofe des Brandpeterle sitzen die Dorothea, Klara, die Sabine, welche aus +der "Feinsten, Fleißigsten und Sittsamsten" auch eine Helden der rothen +Schwitt geworden ist, vielleicht aus Scheu vor dem Oberhaupte der +Schwarzen. + +Der Duckmäuser will mit den Mädchen scherzen, die Gefährten dagegen halten +ihn eifersüchtig ab. "_Diese_ gehen _dir_ nichts an, dir gehört +die Hanne, laß diese sitzen, wo sie sitzen!"--"Was? Ihr habt mir nichts zu +befehlen, ich kann hingehen, wohin ich will und Ihr, wohin Ihr wollt!" + +Mit diesen Worten kehrt der Benedict den Rücken und zu der Linde zurück, wo +Mädlen der schwarzen Schwitt einsilbig beisammensitzen und kein Lied +anstimmen. + +"Guten, guten Abend, ihr Lieben! Was macht ihr Lieben?"--"Ach, was machen +wir! ... was denkst du aber auch! ... laß jetzt den Karren rennen, wohin er +rennt!"--"Was sagt denn die Margareth?"--"Ach, was sagt sie! ... was wir +halt auch sagen, daß Solches kein Mensch von dir geglaubt hätte! ... wo +bist denn gewesen die ganze Zeit?"--"Weiß es selber nicht!" "Bleibst jetzt +wieder da?"--"Dableiben? bei wem?"--"He, bei wem? bei deinen Leuten!"-- +"Heute und morgen noch nicht!"--"Ach, thue es doch der Margareth und uns zu +lieb und folge deinen Leuten!"--"Der Margareth? Wißt Ihr nicht, daß sie mir +den Abschied gegeben hat? daß ich jetzt ein Rothschwitter bin und die Hanne +meine Herzige ist?"--Die Mädchen bleiben stumm, einige fahren mit der +Schürze über die Augen, andere weinen laut. + +"Wenn Ihr zu der Margareth kommt, so sagt ihr, _sie_ habe mich zum +Herrn in´s Brandpeterles Haus gemacht, gute Nacht!" sagt der Benedict mit +bebender Stimme, ein ingrimmiger Schmerz wühlt in seinem Herzen und droht +ihn zu erwürgen, er vermag kaum das "gute Nacht" noch herauszubringen, +kehrt sich ab und geht. "Benedict höre, ich muß dir noch Etwas sagen!" ruft +ihm die Susanne nach.--"Was weißt noch?" fragt er mit unsicherer Stimme.-- +"Ich wills dir allein sagen!"--"Gut, Susanne, ich komme noch einmal zu dir +heute Abend!" + +Um 11 Uhr klopft Einer am Kammerfensterlein der Susanne, diese öffnet und +der Benedict fragt, was sie ihm denn zu sagen habe. + +Dieses schwache, einfältige Mädchen sagt in einer stundenlangen Rede Alles, +was Verstand, Ehre, Rechtschaffenheit und Gottesfurcht dem Zuhörer zu sagen +vermochten; jedes ihrer Worte dringt tief, schmerzlich tief in seine Seele, +sie fühlt, wie seine Hand in der ihrigen bebt und nimmermehr würde die +Predigt des begeistertsten Kanzelredners, nimmermehr die Thränen der Mutter +solch erschütternden Eindruck auf ihn gemacht haben, wie die Rede des +einfachen Bauernmädchens, in dessen unansehnlichem Körper eine edle, +herrliche Seele wohnte. + +Stumm hört er die Susanne an, zuletzt schließt diese mit den Worten. "Wir +Mädlen sind _alle_ bei deiner Mutter gewesen und sie hat uns +versprochen, dir solle nicht das geringste Leid widerfahren, wenn du nur +ihr und dem Vater wieder folgen wollest! ... Jetzt sage mir was du thun +willst!" + +"Liebe Susann, ich kann nicht mehr hier bleiben, ich bin vom ganzen Dorfe +verachtet!" meint der Benedict düster. + +"Nein, du bist nicht verachtet, Alle haben Mitleid mit dir und von dem, was +deine Mutter der Margareth, gesagt hat, wissen nur wir vier: ich, das +Besele, die Marzell' und die Margareth! Wir haben nirgends ein Wörtlein +gesagt und werden keines sagen, du weißt, daß wir dir treu sind!" + +"Aber die Margareth?" + +"Auch sie vergißt dir Alles und ist nicht mehr böse, wenn du jetzt folgen +willst! ... Sie ist die ganze Zeit nicht aus dem Hause gekommen, hat nur +geweint und wenn du noch jetzt zu ihr gehst, wird sie dir das Nämliche +sagen, wie ich!" + +Verzweiflungsvoll starrt der Benedict zu Boden und schweigt, die Susanne +bittet noch einmal, Besserung zu versprechen und ermahnt ihn jetzt +heimzugehen und wieder redlich zu werden, sie wolle immer für ihn beten. + +"Susanne, ich will dir folgen, will heute Nacht noch heimgehen und meine +Leute um Verzeihung bitten, aber--es nützt nichts, _es ist zu spät!_ +... Gott behüte dich liebe Freundin!" + +Verzweiflungsvoll schaut der Benedict zum sternenreichen Nachthimmel empor, +wischt zwei große Thränen ab und geht, geht jedoch nicht heim, sondern +zuerst vor das Kammerfensterlein des Besele, dann vor das der Marzell, hört +bei Beiden dasselbe, was die Susanne gesagt und pöpperlet mit bangem +klopfenden Herzen endlich noch bei der Margareth an. + +Diese benimmt sich ganz so, wie ihre besten Freundinnen es vorausgesagt +haben, versöhnt sich mit ihm und schließt ihre Predigt also: + +"Wie oft, wie oft, Benedict, hat das schneeweiße Bäbele selig von dir +gesagt, es sei nicht alles Gold, was glänze! ... Sei aber fortan jetzt brav +und redlich, ich bitte dich um Gotteswillen, Allerliebster! ... Denk´ jetzt +an unsern Herrgott, bete und arbeite, wie dein Vater, der brave Jacob sagt +und thut! ... Laß solche Sachen bleiben, dadurch wird kein Mensch +glücklich, wie du ja selbst schon oft gesagt hast!" + +Schon bricht der Tag an, die Schwalben zwitschern, es ist Zeit, den +Marktkorb endlich zu holen, er geht heim, Vater und Mutter sprechen mit +ihm, als ob gar nichts vorgefallen wäre, Benedicts Entschluß zur Besserung +steht fest, ist aufrichtig, aber--zu spät! + +Drei Tage früher und der Duckmäuser hätte wohl den armen, stets +verachteten, ungeliebten und durch die Lieblosigkeit der Menschen zumeist +verderbten Zuckerhannes niemals kennen lernen! + +Wunderbar ist die Macht, welche von einer unschuldigen, tugendhaften, +christlich gesinnten Jungfrau nicht nur auf das Gemüth eines unverderbten, +sondern auch eines verderbten, ja lasterhaften Jünglings ausgeübt wird. Die +hohe Verehrung, welche ächte Katholiken der Jungfrau Maria zollen, wurzelt +im tiefsten Geheimniß des menschlichen Herzens und wer die Liebe der +jungfräulichen Mutter nicht versteht, lernt nur schwer die Liebe des +Gottessohnes zum Menschengeschlechte verstehen. Ein Verächter Marias ist +gewöhnlich ein schlechter oder mindestens sehr befangener Christ und wer +die Jungfrauen nicht achtet, ein roher und noch häufiger ein schlechter +Mensch. Schade, daß heutzutage christlich gesinnte Jungfrauen nicht +häufiger sind! Hat Satan nicht zuerst die Eva und dann erst, als diese +gesündigt hatte, durch sie den Adam verführt? Hat die Susanne, welche noch +lebt und über den universellen Sieg der rothen Schwitt im Dörflein trauert, +nicht den grenzenlosen Leichtsinn und tief eingewurzelten Hochmuth des +Benedict in Einer Stunde gebrochen? Wie wäre er sonst unter das Fensterlein +der Margareth und nach Hause gekommen? ... Mit dem Marktkorbe auf dem Kopfe +wandert Benedict wiederum der Stadt zu, zuerst holt ihn das Besele, dann +die Marzell und zuletzt auch die Susanne auf dem Wege ein, alle drei +sprechen leise und angelegentlich mit ihm und stumm hört er ihre Reden an, +antwortet zuweilen nur mit einem schmerzlichen: Ach, ich!-- + +Die "Alltagsmarktweiber" des Wochenmarktes stecken ihre Köpfe zusammen und +verwundern sich ebenso sehr über die fremdgewordene Erscheinung des +Benedict als über das nachdenkliche Gesicht und zerstreute Wesen desselben, +denn heute bringt er auch nicht einen seiner sonstigen Marktwitze und +fröhlichen Späße vor. + +Auf dem Wege waren ihm noch früher als das Besele drei Gensdarmen begegnet; +diese gingen seinem Dörflein zu, ein schwüles, banges, unheimlichem Ahnen +erfüllte seine Seele, er sah immer nur die drei Gensdarmen, welche dem +Hause seiner Eltern zugingen und hörte nur immer, wie dieselben nach ihm +fragten! + +Er verkaufte den Marktkram und ging dann in die Apotheke, um Arznei für +sein krankes Brüderlein zu holen. Ihm folgt jedoch einer der drei fatalen +Gensdarmen und als Beweis, daß derselbe bereits wieder aus dem Dörflein +komme, folgt auch der kleinere Bruder, der Hannesle deutet bleich und +zitternd auf den Aeltesten und sagt: das ist unser Benedict! ... Der +Hannesle wartet auf die Arznei, der Verhaftete übergibt demselben den Korb +sammt dem Marktgelde und wird vom Gensdarmen in das Amtsgefängniß geführt. +Man fand nicht mehr bei ihm, was man suchte, doch er dachte an die +verflossene Nacht, gestand seine ganze Schuld dem Assessor, welchem er +vorgeführt wurde und kehrte noch am Abend desselben Tages in sein Dörflein +zurück. + +Der Jacob schmierte gerade ein Pflugrad, als er seinen Ungerathenen kommen +sah, eilte zum Hause, stellte sich neben die Theres und beide erklärten +einstimmig, _er_ habe kein Elternhaus mehr, sei für immer von ihnen +verstoßen und sie wollten vergessen, jemals einen Sohn gehabt zu haben, der +Benedict heiße. + +Diese furchtbare Erklärung brachte den Duckmäuser nicht außer sich, er +behauptete, derjenige gar nicht zu sein, welchen die 3 Gensdarmen gesucht +hätten; seine Unschuld sei gleich erkannt und deßhalb sei er auch gleich +wieder freigelassen worden nach dem ersten Verhöre. Auf solche Weise +_erschlich_ er den Eintritt ins Elternhaus. + +Viele Bewohner des Dörfleins jedoch glaubten nicht an seine Unschuld, +bürdeten ihm zehnmal mehr auf, als er jemals gethan hatte und so wenig sich +die Mehrzahl scheute, Ehre zu geben wem Ehre gebührt, so wenig scheute sich +dieselbe, ihren Argwohn und ihre Verachtung dem Benedict ins Gesicht hinein +zu werfen. + +Als ihm die Mutter ebenfalls den Markt und die häuslichen Arbeiten abnahm +und dem Gregor übergab, zugleich nirgends einen Schlüssel mehr stecken +ließ, wo etwas zu holen war, da entleidete dem Benedict das Leben im +Elternhause und er wäre fortgegangen, wenn die Mädchen ihm nicht in dieser +Zeit Proben wahrer Freundschaft und Liebe gegeben hätten. Diese scheuten +weder Muthmaßungen noch Sticheleien und böse Nachreden, theilten ruhig und +freudig seine Verachtung, gingen offen mit ihm um, kamen zur Mutter Theres, +um diese zu trösten, zu beruhigen und derselben eine freudenvollere Zukunft +zu versprechen, insofern solche von ihrem Aeltesten abhänge. Der Duckmäuser +hatte die arglosen, unschuldigen Mädchen leicht von seiner Schuldlosigkeit +überzeugt und sie glaubten an seinen guten Willen zur Besserung. Er hielt +sich möglichst fern von den Leuten, seufzte im Stillen, denn Ruhe blieb +seinem Herzen fremd. Böses erwiederte er nicht mit Bösem, nahm Alles in +Demuth hin, betete viel und nach einiger Zeit gab es auch Stunden, wo er +selbst an eine bessere Zukunft glaubte. Was thut, hofft, fürchtet ein +junger Mensch nicht in arger Bedrängniß? + +Die treuen Mädchen, welche zur altmodischen Schwitt gehörten, standen mit +ihrer Treue vereinzelt, denn die meisten Buben und Mädlen ihrer Parthei +hielten das stille, ruhige, demüthige Benehmen des außer Kredit gekommenen +Oberhauptes meist nur für einen Akt neuer Verstellung. Dagegen begegnete +die rothe Schwitt dem Duckmäuser so freundlich, zuvorkommend und +wohlwollend wie noch nie, denn sie glaubte, jetzt oder nie sei der rechte +Augenblick da, um ihn ganz an sie zu fesseln. + +"Wie lange werden die treuen Mädchen der alten Schwitt noch zu dir halten? +Wie lange wird es dauern, bis der letzte und ärgste Schlag im Hause +geschieht? Bis du von den Besten unter den Guten verachtet, verlassen, aus +dem Elternhause verstoßen sein wirst? Sind dann alle Deine Anstrengungen +nicht vergeblich gewesen? Sei pfiffig, Benedict, bei der rothen Schwitt +winkt Freude und Genuß, _gerade jetzt_ ist es die rechte Zeit zum +festen Anschluß an dieselbe! Leben die Buben und Mägdlein der rothen +Schwitt nicht auch im heimathlichen Dörflein? Haben sie nicht ihre Eltern +hier, Verwandte und Gesinnungsgenossen genug in den umliegenden Dörfern? +Stelle dich an die Spitze der rothen Schwitt, mache das Leben derselben zur +Mode, dann wird die allgemeine Verachtung aufhören, sie muß aufhören!" Also +flüstert in bangen, schlaflosen Nächten der Versucher dem Benedict ins +Herz, mächtig kämpft die Erinnerung an die Nacht des Fensterleins, mit +letzter Kraft die Liebe zur Margareth und deren Freundinnen gegen jene +Stimme an--er erlebte grausam qualvolle Stunden, der unglückliche +Duckmäuser! ... "Fort, fort von hier, das ist meine einzige Rettung!" sagt +er an einem Sonntagmorgen zu sich selbst und geht. + +Nach der Vesper steht er jedoch mit dem Willibald, der ihn eine Stunde vom +Dörflein traf und zur Umkehr bewog, unter der Linde und sein letztes Wort +heißt: Ihr dürft auf mich zählen, Willibald, ich komme bestimmt! + +Nach dem Abendessen schleicht er ohne Wamms und Kappe zur Thüre hinaus in +den Garten; hier hängt Wamms und Kappe an einem Rosenstocke, er zieht sich +an, setzt die Kappe recht aufs linke Ohr und nach einigen Minuten steht er +in der Mitte der rothen Schwitt, welche insgesammt im Hauptquartier beim +Brandpeterle sitzt und ihn jubelnd bewillkommt. + +Die Hanne mit glühenden Bäcklein holt sogleich einen Hafen voll vom Alten, +ihre Mutter überreicht ihm die Schlüssel zum Keller und zum Speicher, zur +Fleischkammer und zum Geldkasten, erklärt ihn zu ihrem Eidam und spricht: + +"Hab's schon oft der Hanne gesagt, sag's täglich, Dich und sonst keinen +Andern will ich im Haus haben, denn Keiner ist im ganzen Revier, der dir +gleicht! ... Hast ganz Recht gehabt, ganz Recht gehabt, wenn du nur einen +ganzen Maltersack voll, Maltersack voll bei so einem reichen Geizhals +erwischt hättest! ... Man muß nicht so dumm sein, nicht so dumm sein, wenn +man dazu kommen kann! ... Ich hab' eben lauter Esel, der Sepp, der Sepp, er +muß bei dir lernen!" + +Toll und bunt geht es zu beim Brandpeterle, die rothe Schwitt rast vor +Freuden über das neue Oberhaupt, selbst der Max hat allen Groll vergessen, +doch schon um halb neun steht der Benedict auf, um fortzugehen. + +Alle erklären sich dagegen, er bleibt fest und die Alte meint: "Was, du +willst fort? fort von deiner Schwiegermutter? Willst halt noch zu deiner +Schläferin, gelt? ... Möcht' nur auch wissen, was du denkst! ... Du der +lustigste Bueb im Dorf, im Dorf, magst mit einem so todten Mädle gehen, wie +die Margreth eines ist, während die vornehmsten Mädlen, wie meine Hanne, +die Hanne dort, die Finger nach dir lecken!" + +Vergeblich jedoch beschwört die Schwiegermutter den Eidam zum Dableiben, +vergeblich ruft sie: + +"Hanne, schenke ihm ein, er darf nicht fort! ... Du behälst ihn bei dir +heute Nacht und wenn seine fromme Mutter auch allen Heiligen die Füße +abrutscht!" + +Doch der Duckmäuser geht, findet die fromme Mutter mit seinen treuen +Freundinnen auf der Staffel des Hauses sitzend; sie fragen ihn, wo er +gewesen sei, er gibt eine ausweichende Antwort, doch die Dasitzenden +errathen die Wahrheit, ohne ihren Gedanken zu offenbaren, er redet wenig +und legt sich bald zu Bette. + +Von nun an schwankt er haltlos hin und her, nirgends hat er sein Bleiben, +auch bei der rothen Schwitt bleibt er nie lange und kommt nur, wenn er die +bösen Geister, welche ihn plagen, im Wein und bei der Hanne ersäufen will, +sucht dann in der Hölle Ruhe und Frieden und findet stets das Gegentheil +davon. + +Der Mutter und den treuen Mädlen entgeht seine Haltlosigkeit nicht, sie +bieten alle Macht ihrer Zärtlichkeit und Liebe auf und bringen ihn wirklich +dazu, das Haus des Brandpeterle zu meiden, der Hanne und der ganzen rothen +Schwitt mit Verachtung entgegen zu kommen. Aus dem leichtsinnigen Benedict +scheint ein ernster, rechtschaffener Mann werden zu wollen, die Mutter und +die Margareth glauben ihren Herzkäfer Gott und der Tugend gerettet zu +haben, doch an einem Freitag Morgen tritt ein Zweifarbiger, nämlich der +Amtsdiener in die Stube und meldet, der Benedict habe morgen früh um 9 Uhr +vor Amt zu erscheinen. + +Derselbe stand gerade beim Hirzenwirth im Taglohn, erfuhr von der Einladung +nichts, bis er Abends spät nach Hause kam. + +Da geht das Donnerwetter los, die Eltern meinten, er habe wieder irgendwo +einen schlechten Streich gemacht und es fehlte nicht viel, so würden sie +ihn noch in dieser Nacht fortgejagt haben. + +Mit bangem Herzen geht der Duckmäuser am folgenden Morgen vor Amt in die +Stadt und macht den Rückweg erst wieder nach vier Wochen, weil der +Gefängnißwärter nichts vom Heimgehen wissen will, bevor die Strafe +erstanden sei. + +Während dieser Zeit saß die Mutter oft gar traurig und niedergeschlagen am +Abend mit der Margareth, dem Vefele, der Marzell und der Susanne auf den +Staffeln und gegen alle Tröstungen unzugänglich, sagte sie hundertmal: + +"Er hört nicht auf zu lügen, hierin liegt der sicherste Beweis, daß er sich +nicht ändern will! Er hat über unser Haus jetzt eine Schmach gebracht, +welche nie wieder hinwegkommt, so lange er darin ist, darum soll er auch +nie wieder in dieses Haus treten, wenigstens so lange ich am Leben bin!" + +Die Mädchen meinten, Benedicts Strafe sei ja nur eine Folge des gewiß +abgelegten Leichtsinnes, die Mutter habe ihm nach der Rückkehr von der +mehrtägigen Wanderung Alles verziehen und dürfe also nicht so hart sein, +wenn sie gerecht handeln wolle, doch Alles half nichts und wenn Theres +nichts mehr zu erwidern wußte, begann sie zu seufzen oder zu schimpfen. + +An einem Mittwoch Morgen kommt der Benedict durch den Garten auf das Haus +zu und steht auf der Schwelle der Hinterthüre; die Mutter stand am Heerde, +jetzt wendet sie sich um, ihre Augen sprühen Feuer, sie eilt ihm entgegen +und ehe er sich's versieht, spritzt das Blut aus einer Wunde an der Stirn +und dann schlägt sie die Thüre vor ihm zu mit den vernichtenden Worten: + +"Du, Galgenstrick, kommst nimmer über die Schwelle dieses Hauses, so lange +ich noch schnaufe! Wirst genug haben an diesem Willkomm, kannst damit +hingehen, wohin du willst, mich _aber nenne nie mehr deine Mutter!"_ + +Sie hat ihrem Sohne den Abschied mit einem scharfkantigen Holzscheite +gegeben und er wird die Spuren der Wunde inwendig und auswendig ins Grab +nehmen.-- + + + + +#JUNGES GLÜCK UND ALTER HOCHMUTH.# + + +Es gibt nichts Lieblicheres und Wohltuenderes als die sonnenreichen, milden +Tage, welche von Maria Geburt bis Allerheiligen und manchmal bis in den +Dezember hinein der Herbst in das badische Land bringt. Oft schaut der +Schnee von den höchsten Bergen des Schwarzwaldes dem paradiesischen +Frühling und Sommer des Rheinthales tief ins Auge und der Blick in die +Schweizeralpen gibt ihm Muth zum Dableiben und muß er sich endlich in die +schattenreichsten Klüfte flüchten, zuletzt auch diese Schlupfwinkel meiden +und als neutrales Gebiet zurücklassen, wo weder der Winter noch der Sommer +herrscht und nur der Frühling sein neckisches Knabenspiel ein bischen +treibt, so kehrt der Winter von seinem Besuche bei den Schweizerbergen doch +frühzeitig wieder zurück und versucht es, seinen Schneemantel wieder über +die Höhen des Schwarzwaldes zu werfen. Entdeckt der September einige Zipfel +des Schneemantels, so lacht er darob und jagt den Winter mindestens in +seine Klüfte mit einer etwas stark verbrauchten Sonnenstrahlenruthe zurück; +der Oktober lacht auch noch, doch heult, lärmt und weint er immer mehr +dazwischen, denn der Winter redet von seinen Burgen herab schon ein +ernsthafteres Wörtlein und sendet wohl zuweilen seinen Spion, den Frost in +das Land des Herbstes; dieser gibt den Gedanken an Eroberung der Burgen +immer mehr auf, begnügt sich, in den stillen, heimlichen Thälern des +Schwarzwaldes am Tage herumzuwandern und bekommt endlich genug zu thun, um +sich den vom Gebirge herabstürzenden Vortrab des Winters vom Leibe zu +halten; wenn der November endlich auf den Kampfplatz tritt, mit seinem +wahren Diplomatengewissen und ebenso geneigt, mit dem Sommer und dem Winter +zu unterhandeln und beide an der Nase herumzuführen, so schaut dieser +manchmal griesgrämig und finster drein, wenn ihm der Oktober keinen guten +Neuen credenzt und tüchtig einschenkt. Ist der Wein gut und ein bischen +viel, dann bringts der November wohl noch dem Dezember zu und mehr als ein +sonnenhelles Lächeln zuckt über das kahle, verwitterte Gesicht des sonst so +kalten und menschenfeindlichen Alten, er lüftet wohl seinen Schneemantel +oder schlendert denselben lustig auf die Schwarzwälderberge zurück und +stirbt als treuloser Knecht des Winters in der süßen Trunkenheit, welche +der Oktober, ein rüstiger lebensfroher Fünfziger und der grauwerdende +November mit seinem abgelebten Intriguantengesichte über ihn gebracht +haben. + +Am Tage, an welchem der Duckmäuser mit blutiger Stirn und blutendem Herzen +dem Elternhaufe den Rücken kehren mußte, hatte der Oktober just scharfe +Händel mit dem Winter bekommen, denn jener hatte den Schneemantel des +letztern bereits auf den mittlern Bergen entdeckt und fürchtete für seine +Vorhügel, wo der Wein noch vollends anszukochen war; beide lärmten und +tobten, daß alle Bäume Reißaus nehmen wollten und weinten vor Zorn und +Wuth, daß die Mutter Erde ob dem Verderben ihres zersetzten Unterrockes +auch plätschernd schimpfte und kein trockener Faden an unserm Wanderer +blieb. + +Seine Werktagskleider hatte der Benedict im Thurme ein bischen stark +abgerutscht, war neben andern auch mit Flickergedanken heimgegangen, jetzt +besaß er nichts auf der weiten Welt, denn zerrissene Kleider, ein +zerrissenes Herz und einen magern Geldbeutel, und weil er doch nicht wußte, +wohin er sollte, ließ er sich vom Sturm auf's Gerathewohl vorwärts treiben +und trunken von Schmerz, gleichgültig gegen das Leben, fühlt er wenig vom +wilden Kampfe der Jahreszeiten und noch weniger von Hunger und Durst. + +Würde ihm ein Gensdarme begegnen, so würde er nichts sagen über Wer, Woher +und Wohin und ließe sich geduldig in irgend ein Gefängniß führen. + +Gegen Abend kommt er in ein fremdes Dorf und der Leuenwirth nimmt ihn auf, +weil er demselben einiges Geld zeigen kann. Er ißt und trinkt wenig, weint +jedoch viele bittere Thränen in sein Kopfkissen, weils ihm wird, als ob die +Margareth, das Vefele, die Susanne sammt der Marzell in der Kammer wären +und gar wehmüthig und traurig in das Bett des Verstoßenen hineinschauten, +der nicht einmal Abschied von diesen lieben Seelen genommen hatte. Er weint +und betet, redet im unsäglichen Wehe mit sich selber, da fährt ein Gedanke +durch seine Seele, wie ein falber Blitz durch die stürmische Wetternacht. + +Lebt nicht einige Stunden von hier, in einem Dorfe in der Nähe des Rheines +ein alter, guter Freund? Ist dieser Freund nicht wohlbestallter +Schweinehirt seines Dorfes? Braucht ein solcher nicht einen Knecht, wenn +die Zahl der unartigen, grunzenden Pflegebefohlenen ein bischen groß ist? +Heißt der Freund nicht auch Mathes, wie neben dem Gregor der beste Freund, +welchen der Benedict bei der schwarzen Schwitt besaß? Ist jener Mathes kein +"göttlicher Sauhirte", so ist er doch ein gutmüthiger, lustiger Kamerad und +ein Musikant dazu. Wie oft ließ er den Brummbaß schnurren an Kirchweihen +und an der Fastnacht, bei Hochzeiten und sogar bei einigen Festen der +schwarzen Schwitt und saß er nicht auf der Musikantenbank in der Nähe des +Benedict, wenn dieser mit seiner Klarinette die schönsten Walzer und Hopser +in den Tumult und in die Staubwolke des Tanzsaales hineinblies? Hatte er +nicht manches Glas mit dem Benedict getrunken, diesen seinen +"Herzgepoppelten" genannt, ihm von den Freuden des einsamen, stillen Waldes +und des Lebens unter den Schweinen erzählt? Kannte der Mathes nicht die +Margareth und die Marzelle und Alle, welche dem Duckmäuser jemals lieb und +werth gewesen? Wo sollte in dieser Zeit sonst ein Plätzlein gefunden +werden, wo der verstoßene Bueb überwintern konnte? + +Ganz beruhigt schläft Benedict ein, erwacht sehr frühe und lauscht, bis ein +Getrabe im Wirthshause entsteht, darf nicht lange darauf warten, läßt sich +den Weg ein bischen sagen und dieser ist nicht schwer aufzufinden. Die +Sterne stehen noch über den finstern Höhen des Gebirges, als er sich auf +den Weg macht und es wird nicht Mittag, so findet der Benedict den +schweinetreibenden Mathes mitten unter seiner Heerde im Eichwald. + +Der Hirtenhund des Mathes würdigt den Gast keines Blickes, denn er erkennt +in demselben kein rechtes Schwein und was nicht Schwein heißt, existirt für +ihn gar nicht auf dieser Welt; dagegen hört der Trüffelhund des Mathes mit +Scharren auf, bellt lustig und rennt dem Ankömmling entgegen, sein Herr +thut dasselbe und nach 3 Minuten weiß der Benedict, daß er zu keiner +gelegneren Zeit hätte kommen können. + +Der Mathes erkennt im Unglücke des Freundes eine Schickung des Himmels, +welcher sich auch eines geplagten Schweinehirten erbarmt; gerade gestern +ist der Knecht entlaufen, "'s war ein Ueberrheiner, ein Spitzbube", sagt +der Hirt und installirt sofort durch Ueberreichung des Hörnleins den +Benedict als neuen Knecht. + +Wie der schmucke Benedict, der trotz des armseligen Gewandes ein hübscher +Bursche blieb und durch das Tuch um den Kopf etwas Rührendes und +Malerisches gewann, am andern Morgen mit seinem Horn die Ringelschwänze des +Rheindorfes zusammenbläst, grüßt ihn von manchem Hofthor herüber manch +liebliches und freundliches Gesicht, und es kommt ihm vor, die Leute seien +hier wohl besser als daheim im Dörflein. + +An den letzten Häusern bläst er noch einmal recht herzhaft und freudig und +wäre das Hörnlein eine Klapptrompete gewesen, so würde er in langgezogenen +Tönen und raschen Tonläufen der neuen Heimath einen feierlichen und +jubelnden Morgengruß zugeblasen haben. Jetzt treibt ein gar reinlich +gekleidetes und nettes Mädle mit brennend schwarzen Augen, zarten rothen +Wangen und freundlichem Munde ein Mutterschwein sammt drei Ferkeln zur +grunzenden Armee, blickt auf, steht wie versteinert, geht auf den Benedict +zu, nennt ihn beim Namen, faßt dessen Hand, begrüßt ihn als Freund und +ladet ihn dringend ein, doch so bald als möglich in ihr Haus zu kommen. + +Gewiß hat noch kein Feldherr sein siegreiches Heer mit seligeren +Empfindungen in die Heimath zurückgeführt, als jetzt der Duckmäuser seine +Ringelschwänzlein zum Walde trieb. + +Er hat Brod, hat einen Freund, hat eine liebe Freundin, was will der Mensch +mehr? Bis zum Abend muß er im Walde bleiben, der Mathes ist ein +kurzweiliger Gesell, doch von zarten Gefühlen und schwärmerischen +Empfindungen versteht er nichts, dem Knechte kommt es vor, als ob der +kurze, trübe Oktobertag mit seinen dampfenden Bergwäldern ein endloser +Junitag voll Blüthenduft und Sonnenlicht und herrlicher, doch gar zu +langsam reifender Früchte sei und kaum sind seine Pflegebefohlenen freudig +grunzend und lustig schreiend heimgesprungen, kaum sind die letzten von den +Bäuerinnen unten im Dorfe in die Ställe gelockt worden, so steht der +Benedict vor der Schulkamerädin und Landsmännin, der freundlichen Rosa; ihr +Pflegevater, der alte Straßenbasche, ein ehemaliger Unteroffizier, jetzt +ein zufriedener Bauer und fleißiger Straßenknecht dazu, ladet ihn zum +Nachtessen ein und die Pflegmutter springt fort, um bei der Scheckenbäurin +drüben die versprochenen Trauben und beim Adlerwirth eine Flasche +Ueberrheiner zu holen.--Lange Jahre haben sich Rosa und Benedict nicht mehr +gesehen; sie kam fort, ehe die beiden Schwitten im Werden waren und ihre +Geschichte ist eine in jeder Hinsicht zu wahrhaftige Dorfgeschichte, die +Rosa spielt fortan eine zu erhebliche Rolle, als daß wir nichts Näheres +erzählen sollten. + +Rosas Eltern wohnten einst nicht weit vom Schulhause, in welchem der +Benedict als Unterlehrer und als "der Leichtsinnigste von Allen" +Knabenlorbeern pflückte. Sie liebte den Unterlehrer, denn er sagte auch ihr +ein, machte auch ihre Aufsätze, beschützte auch sie beim Schuckballen und +Ziehen auf der Wiese gegen den Unverstand und die Rohheit des Max, +Willibald und anderer gar früh keimender Lümmel der rothen Schwitt, welche +Freude daran fanden, die Mädchen zu necken, zum Weinen zu bringen, ihre +Kleider zu zerreißen und in den Kinderhimmel derselben hineinzubengeln, bis +sie sich schüchtern mit Zusehen begnügten oder schreiend heimsprangen. Die +Freundlichkeit, Güte und Liebe des starken Benedict gegen die schwachen +Mädlen war auch der Rosa unvergeßlich geblieben, deren Geschick sich minder +freundlich gestaltete, als das der Kameradinnen, so daß sie ohne Gottes +besondern Schutz leicht ein weiblicher Zuckerhannes hätte werden mögen, +deren es jährlich mehr im Badischen wie anderwärts gibt. Rosas Eltern waren +weder reiche noch arme, sondern mittelbegüterte, dabei grundehrliche, +gottesfürchtige Leute vom alten Schlage. + +War Benedicts Vater ein bischen zu finster und in Geldangelegenheiten oft +karg und hart, so war der Vater Rosas fast zu leutselig, zu gut und +barmherzig, schenkte Jedem gleich sein Zutrauen und litt an der +Schwachheit, niemals eine Bitte abschlagen zu können, wo das Helfen +irgendwie in seiner Macht stand. + +Kommt eines Tages ein naher Vetter zum Klaus, wie Rosas Vater hieß, der +überall der "ehrliche Klaus" genannt wurde und dessen Wort mehr galt als +heutzutage doppelte gerichtliche Versicherung; der Vetter aber klagte +erbärmlich, denn er hat Schulden, die Gläubiger wollen entweder bezahlt +sein oder einen guten Bürgen haben. Klaus redet mit seiner Alten, leistet +richtig Bürgschaft und sein bloßes Versprechen, im Nothfalle Selbstzahler +werden zu wollen, beruhigte und befriedigt die Gläubiger des Vetters. +Dieser jedoch gehört zu den vielen gewissenlosen Schuften, die gar stolz +und eingebildet im Bauernrock und Herrenmantel an Zuchthäusern +vorüberwandeln und sich darüber freuen, daß man in der Welt gemeiniglich +nur die kleinen Spitzbuben hängt, die großen dagegen laufen läßt. Er +benützt Klausens gutmüthige Schwachheit noch weiter, nimmt auf dessen +Bürgschaft hin ein ordentliches Kapital auf, macht im Stillen Haus und Hof +zu Geld und eines schönen Morgens verschwindet er aus dem Dorfe und kommt +nicht wieder; nach einigen Monaten wandern die Seinigen ihm nach und zwar +nach Amerika, wo allmälig alle Spitzbuben und Schurken der Welt sich gerne +ein Stelldichein geben und den ehrlichen Leuten das Spiel verderben. + +Jetzt kommen einige Gläubiger des saubern Vetters zum Klaus, doch ihre +Hoffnungen sind schwach, denn der Klaus ist kein reicher Mann, hat ein Weib +und vier unschuldige, unerzogene Kindlein, zudem besitzen sie nicht Schwarz +auf Weiß und das Ja, welches ehemals aus Klausens Lippen tönte, verhallt +gewiß unter dem Nein aller Gründe, welche Klugheit, Selbstliebe und +Pflichtgefühl eines Familienvaters einzugeben vermögen. + +Einige Gläubiger klopfen gar nicht an, sie wollen den biedern, ehrlichen +Mann nicht einmal durch eine Frage ängstigen. + +Zu den Andern dagegen spricht der Mann wörtlich: + +"Mit all dem Geld, für welches ich gutstand, könnte ich meine Ehre und die +Reinheit meines Gewissens nicht erkaufen. Ich hab' Euch mein Wort gegeben +und bin jetzt schuldig mein Wort zu halten, werde es thun, so gut ich's +eben vermag!" + +Einige Wochen später wird Klausens Häuslein sammt Allem, was darin und +daran ist, versteigert; er hat deßhalb mit seiner Alten keinen Streit +bekommen und mit ihr und den Kindlein beim Rindhofbauern, dem Fidele und +allzuschwachen Vater des schlimmen Max, vorläufig ein Kämmerlein und Brod +bekommen, doch am dritten Tage nach der Steigerung ist dem Klaus das Herz +gebrochen, er legt sich ins Bett und stirbt nach wenigen Stunden, während +er wörtlich also betet. Herr, du hast mich arm gemacht, darum komm' ich +jetzt zu dir und übergebe dir die Sorge für mein Weib und meine Waislein! + +Gott hat das Gebet erhört; acht Tage später bricht auch dem Weibe das Herz +und sie folgt ihrem Klaus nach in ein Land, wo es keine Schuldgesetze, +keine Bürgschaften und keine Versteigerungen gibt. + +Jetzt werden die vier Kindlein verloost und getrennt, sind noch viel zu +jung zum Arbeiten, das älteste zählt kaum 10 Jahre, das jüngste kaum einige +Wochen. Die siebenjährige Rosa wandert in das Haus eines wegen seines +Unverstandes und seiner Rohheit gefürchteten und berüchtigten reichen +Hofbauern, der nur darauf sinnt, wie das Kind sein elendes Bettlein und die +Dienstbotenkost mit Zinsen vergüten könne. + +Rosa sollte noch lange zur Schule, doch täglich muß sie den schweren +Milchkorb auf den Kopf nehmen und stundenweit in die Stadt marschiren, +sobald der Morgen graut. + +Bei uns fehlt der Schnee gar oft im Dezember und Januar; am Tage regnet's +und in der Nacht gefrierts, so daß auf allen Wegen und noch mehr auf dem +Straßenpflaster das Glatteis am Morgen die Wanderer zum Fallen bringt. + +Ein Fehltritt, dann ist's geschehen und so ging es einmal dem Rosele, +diesem schwachen Kinde; sein Fuß gleitete aus und der Milchkorb lag auf der +Straße. Wie hat das Kind vor Angst und Schrecken gezittert und gebebt, als +die Scherben der Milchtöpfe klapperten! Mit weinenden Augen schaut es zu, +wie die bläuliche Milch in gefrorene Fußtapfen und Wagengeleise rinnt, +fühlt schon den Seilstumpen sammt dem Farrenwedel des Pflegherrn auf dem +Rücken, weiß nicht mehr, was es thut, liest endlich einige Kohlköpfe und +Scherben zusammen, in welchen noch ein wenig Milch zurückblieb und läuft +still weinend und schluchzend der Stadt zu. + +Vom Korbe herab tröpfelt die Milch noch immer über das grüne Biberkleidlein +und das Kind sieht bald aus, als ob es einmal Milch geregnet habe, in +seiner Todesangst hat es die Sache erst auf dem Wochenmarkte wahrgenommen. + +Hier begegnet es seinem ehemaligen Unterlehrer, dem Benedict, denn der +Hofbauer, bei welchem Rosa lebt, wohnt nicht im Dörflein, sondern gehört +nur noch zur Gemeinde desselben. Beide sehen sich sonst blutwenig, jetzt +aber sieht er seine alte Schülerin wieder und hört die schlimmen +Prophezeiungen der Weiber, welche den unmenschlichen Hofbauern kennen. +Benedicts Geheimkasse hinter dem großen Getüchtrog ist gerade in Floribus, +er schenkt dem Rofele gerade so viel als es heimbringen soll, kauft dazu +neue Milchtöpfe, tauscht dieselben gegen alte aus und weil ein Milchtopf +ziemlich wie der andere aussieht, geht das vor Freuden weinende Mägdlein +mit dem Gelde und der vollen Anzahl seiner Töpfe aus der Stadt getrost +wieder heim. + +Der Hofbauer erfuhr niemals etwas von der Milchgeschichte und das Rofele +zählte zwölf Jahre, als es von dem Unmenschen erlöst und in demselben +Rheindorfe beim Sraßenbasche ein Unterkommen fand, in welchem jetzt der +verstoßene Duckmäuser als Knecht des "Saumathes" lebt. + +Der Straßenbasche ist, wie gesagt, ein alter pensionirter Unteroffizier, +hat in den napoleonischen Kriegen große und kleine Kugeln tausendweise +summen, singen und pfeifen hören und brachte er es im Felde bei aller +Pflichttreue und Tapferkeit nicht weiter als zum Sergeanten, so brachte er +es im Frieden und in der Ehe nicht einmal zum Vater. Er war von Hause aus +ein armer Teufel, doch sein ehemals fuchsrother Schnurrbart zündete ein +Flämmlein im Herzen eines braven und bemittelten Mädchens an, sein +grundehrliches, biederes Soldatenherz brannte schon vorher ein bischen, der +Pfarrer schloß den altmodischen Dorfroman mit einer Trauung und beiden +Leutchen fehlte bei ihrem christlichen, genügsamen und deßhalb sorgenfreien +Leben nichts zum Glücke außer einem Kinde. + +Gott, welcher den Seufzer des sterbenden Klaus gehört, lieferte dem +Straßenbasche und dessen bravem Weibe das arme Rosele in Hände und Haus und +vom zwölften Jahre ihres Alters lebte das Mädchen nicht als Magd, sondern +als erklärte Tochter und künftige Erbin des ganzen Hauswesens beim +Straßenbasche. Gar oft hatten die Pflegeeltern die Milchhafengeschichte +gehört und mit der Erzählerin gewünscht, den edelmüthigen Helfer in der +Noth kennen zu lernen, jetzt sitzt die seit sechs Jahren zur blühenden +Jungfrau herangewachsene älteste Tochter des ehrlichen Klaus mit +freudestrahlendem Gesichte dem Benedict gegenüber und dieser liest aus +ihren Augen einen ganzen Himmel heraus. + +Der Straßenbasche küßt wahrhaftig in seiner Begeisterung ob der +Milchgeschichte die Hand des armen Gastes, er und seine Frau betrachten den +Liebesdienst, als ob er ihnen erwiesen worden wäre, die Rosa hat heute +wieder Alles lang und breit erzählt, der Benedict fängt bereits an stolz zu +werden, doch plötzlich fängt die Rosa auch an, in Gegenwart der +Pflegeeltern dem Staunenden alle Streiche, welche er daheim ausgeübt, von A +bis Z herzuzählen; an jeden Streich knüpft sie sammt dem Straßenbasche gar +zärtliche Mahnungen und liebreiche Warnungen und schließt endlich die lange +Strafpredigt mit den Worten: + +["]Ueberlege, Benedict, überlege nur, was ein Gottloser stiften kann. Du +hast meine Eltern gekannt und weißt, daß wir Kinder noch glücklich in ihren +Armen leben könnten, wenn nicht ein schlechter Mensch gemacht hätte, daß +beide fast mit einander gesunden Leibes ins Grab sanken. Gott gebe ihnen +ewige Ruhe und ihrem Mörder den Frieden, mir aber Segen, dich für die +Rechtschaffenheit zu gewinnen. Meinst du, ich hätte dich und jenen +Marktmorgen je vergessen? Einen leichtsinnigen Streich nach dem andern +mußte ich von dir hören und das kränkte mich tief in die Seele hinein! ... +Darfst es glauben!" + +Sie konnte vor Weinen nicht mehr reden, dem Straßenbasche rannen auch die +hellen Thränen in den halbrothen Bart, sein Weib, die weichherzige Klara +schloß die fromme Pflegetochter in die Arme, küßte dieselbe und konnte nur +die Worte hervorbringen: Oh Rosele, mein Kind, mein liebes Kind! + +Regungslos hat der Duckmäuser bisher am Tische gesessen, jetzt steht er +tief erschüttert auf, um die Hand der Schulkameradin zu küssen und +feierlich zu geloben, ihr zu folgen, den Leichtsinn und Hochmuth von heute +an ganz fahren zu lassen und ein Christ in Wahrheit zu werden. + +Spät geht er vom Straßenbasche weg und dieser sammt der Klara haben ihm +herrliche Aussichten in ein friedsames, ländliches Stillleben mit der +Pflegetochter, ihrem einzigen Kinde gemacht, wenn er sich nur bessern +wolle. + +Der Benedict führte sich brav und klaglos auf. Er besaß keine Kleider außer +den elenden Lumpen, mit welchen er gekommen war, getraute sich nicht, von +seinen neuen Eltern bessere zu fordern, doch schon vor Neujahr war er vom +Kopf bis zu den Füßen neu gekleidet, konnte vier nagelneue weiße Hemden +aufzeigen, dazu einige Sechsbätzner, um der Rosa einen Neujahrskram zu +kaufen und was das Vornehmste dabei war, er durfte sich zum erstenmal in +seinem Leben sagen, nur auf ganz ehrlichem Wege zu all diesen +Herrlichkeiten gekommen zu sein. + +Den ganzen Tag war er mit dem Mathes im Walde bei der Armee; die viele +freie Zeit benutzte er, um Birkenreiser zu schneiden und Besen daraus zu +machen, die Besen aber sendete er auf den Markt. Einmal bekam er auch +Gelegenheit, einem schönen Hasen, der mit offenen Augen hinter einem +Pfriemenstocke schlief, das Peitschenholz zwischen die Löffel zu legen und +verkaufe das kleine Vieh an den Adlerwirth. Wenn er Morgens seine +Ringelschwänzlein zusammenblies, kam manchmal auch eine Bäurin und schenkte +dem treuen, braven Hirten einige Kreuzer und zu all diesem kamen zwei +Hochzeiten, wobei der "Saumathes" den Brummbaß wieder schnurren ließ, sein +Knecht neben ihm die Klarinette blies, daß es fast die französischen +Zollwächter drüben hörten. + +Bei diesen Hochzeiten trank er auch wieder ein Schöpplein, doch keinen +Rausch nach Musikantenart; vorher und nachher sah er das Innere einer +Wirthsstube nicht bis zum Neujahrstage, wo er zum erstenmal mit seiner Rosa +in den Adler hinüberging, der Straßenbasche mit der Klara kamen später +auch, ein Freudlein in Ehren kann niemand verwehren! + +Wie daheim, luden ihn die Leute unaufhörlich in ihre Kunkelstuben ein, doch +er blieb weg, denn entweder hatte er mit seinen Besen zu thun oder er saß +im stillen, frommen Kreise beim Straßenbasche. Noch in den letzten Tagen +des alten Jahres bemerkte der Benedict beim Ausfahren, welche Augen und +Geberden eine Katharin machte und wie sie mit Schauen, Grüßen und Reden +nicht fertig werden will, am Neujahrstag sagt ihm im Adler die Tochter des +Mathes: "Käther will Dir fünf Kronenthaler geben, wenn Du sie ins +Wirthshaus nimmst!"--"Soll sie nur einem Andern geben, ich habe schon +soviel, als ich und das Rösele brauchen!"--"Bist aber doch recht dumm, wenn +mans so haben kann!"--"Laß mich dumm sein, Fränz, und bleibe Du gescheidt!" + +Richtig sitzt er am Neujahr neben dem Rösele im Adler und die Wirthin hat +ihn glücklich gepriesen, wiewohl das Pärlein den ganzen Abend nur zwei +Flaschen Batzenvierer trank. + +Hatte er doch in kurzer Zeit nicht nur die innige Liebe der alten +Schulkameradin, sondern auch die volle Zuneigung des braven Basche und +dessen Weibes errungen, war wohlgelitten bei Jung und Alt und verlebte hier +die seligsten Tage seines Lebens! + +Weil er in keine Kunkelstube ging, kamen allmählig und besonders nach +Neujahr Buben und Mädlen, Weiber und Mannen zu ihm in die Behausung des +"Saumathes," dessen Stube bald zu klein wurde, wenn der Knecht darin zu +finden war. + +Am Neujahr hätte dieser den Schweinhirtendienst aufgeben können und wurde +arg von den Leuten im Adler geplagt, sich bei ihnen zu verdingen und der +Basche selbst redet ihm scheinbar ernstlich zu, doch der Benedict meint: +"Bah, bah, 's ist nichts; ein Wirthshaus, das wäre gerade der Platz für +mich, um bald wieder in den alten Werktagshosen zu stecken!"--"Gelt, Du +traust gewiß der Magd des Adlerwirths nicht?" lacht der Basche--"Nein, +nein, ich traue mir nicht!" erwiederte der Benedict und gar wohlgefällig +streicht der Alte den halbrothen Schnurrbart. + +Schon seit jenem Tage, an welchem der Duckmäuser bei der ersten der beiden +Hochzeiten, welche seit Oktober im Adler gehalten wurden, lief sich der +blinde Michel fast die Füße aus dem Leib, weil er Klarinettblasen lernen +wollte, der Vater desselben kam auch oft, bat inständig und machte große +Versprechungen, doch Alles nützt nichts, denn der leiblich blinde Michel +hat einen geistig blinden Vater und das Haus desselben ist gerade +dasjenige, in welchem sich die Rothschwittler des Rheindorfes häufig sehen +lassen. Zwar geht der Basche selbst zuweilen zum Nachbar hinüber, andere +ehrbare Leute thun es auch, doch der Duckmäuser glaubt, Gelegenheit zu +meiden sei mindestens für ihn das Ersprießlichste, die Leute, welche ihm in +die Stube des "Saumathes" nachrennen, bringen ohnehin Anfechtungen und +Versuchungen genug. Endlich bittet ihn das Rösele, sich des blinden Michels +zu erbarmen und demselben in der Stube der Pflegeeltern das Klarinettblasen +zu lehren und jetzt thut er es wirklich. + +Als freundlicher, gefalliger, hübscher Bursche und Geschichtenerzähler +steht der Duckmäuser längst in hohem Rufe, jetzt wird der Straßenbasche ob +dem "musikalischen Scheine" desselben schier ein Narr und räth ihm eines +Abends, zum Militär zu gehen und "Hobist" zu werden und meint, bis zum +Kapellmeister könne er's leicht bringen. Dieses Wort zündete, denn Hobist +zu werden, war einer seiner alten Jugendträume und der Gedanke an Erfüllung +dieses Traumes ließ ihm Tag und Nacht keine Ruhe mehr. + +Wem dies am wenigsten gefiel, war das Rösele und am dritten Abend, wo der +Basche wieder vom Hobistwerden spricht und der Benedict sich streckt, als +ob er just unters Maaß stehen wolle, meint sie. "Die Kasern' ist für den +Benedict noch gefährlicher als der Adler, lieber will ich ihn zeitlebens +beim Mathes sehen denn beim Regiment!"--Das heißt den alten Unteroffizier +ein bischen an der Ehre angreifen und er sagt: "Wer liederlich sein und +bleiben will, kanns bei der Sauheerd' so gut und wohl noch besser als beim +Regiment; 's gibt schlechte, gottvergessene Sauhirten und brave +gottesfürchtige Soldaten!"--"Wohl, doch kommt Alles auf die Anlage an, die +Einer hat!"--"O närrisches Kind, gerade der Anlagen wegen sollte der +Benedict Hobist werden; 's hat schon Mancher sein Glück beim Militär +gemacht und er machts auch, das weiß ich zum Voraus!"--"Ja, wenn er nur +lauter gute Anlagen hätt', doch hat er auch Anlagen, die bei den Soldaten +reichlich ... ich will gar nichts weiter sagen!"--"Bist viel zu ängstlich, +Rösele; bei den Soldaten ist eine Zucht, wo diese Anlagen, welche dir bange +machen, zurückweichen müssen; haut er über die Schnur, mein! wie wird er da +gezüchtiget! ... Übrigens ist er kein Spieler, kein Wirthshaushocker und +Vieles Andere nicht, es läßt sich nur Gutes hoffen! ... Ich machte mir ein +Gewissen daraus, gegen sein Glück zu sein!"--"O Vetter," sagt die Rosa sehr +ernst und wehmüthig, "wenn der Benedict beim Regiment einmal gezüchtigt +wird, dann ist's zu spät! ... er ist freilich kein Spieler und kein +Wirthshaushocker, das ist wahr, doch ist er stolz, leichtsinnig und dabei +der gute Jockel selbst, das habe ich als Kind auf dem Wochenmarkte schon +erfahren!"--"Bah, baperlapap, unser Herrgott lebt auch noch!" meint der +alte Unteroffizier und langt nach seinem Nasenwärmer, welcher unter der +Tafel hängt, die seinen Abschied und das Dienstzeichen einrahmt.--"Ich will +jetzt nichts mehr sagen, meint die Rosa, doch so lange ich ihn beim +"Saumathes" sehe, habe ich für ihn gute Hoffnung, es ist der geeignetste +Platz, um seine ... Anlagen niederzuhalten; dagegen gebe ich alle Hoffnung +auf und spreche ihm alle Hoffnung ab, wenn er zu den Soldaten geht! ... Ihr +werdet einmal an mich denken, Vetter!" + +Schweigend hat der Duckmäuser Alles angehört; Rosas letzte Worte wirkten +auf sein Herz, wie Hagelschlag in Blüthenwäldern, das Blut drang ihm zu +Kopfe und er mußte sich Gewalt anthun, um seinen Unmuth nicht zu äußern. +Beim Fortgehen begleitet ihn die Rosa hinaus und unter der Hausthüre fängt +sie noch einmal von der Sache an. + +Rösele wiederholt Alles, was sie drinnen gesagt hat, der Benedict entgegnet +"Denk' doch auch an den Vetter, den Straßenbasche! Ist dieser nicht von +früher Jugend bis ins gesetzte Alter Soldat gewesen und hat er Etwas zu +bereuen?["]--"Wohl wahr, doch bevor er zu den Soldaten kam, hatte er auch +nicht zu bereuen, was du bereuen mußt. Frag' ihn, ob er auch je so +grenzenlos leichtsinnig gewesen sei, wie Du? Und ob er sich auch soviel +eingebildet hat, wie Du? Wirst ganz andere Dinge hören, als man von Dir +hören kann!"--"Hoh, Rösele, sei doch nicht so hart, was kannst Du mir denn +seit Oktober vorwerfen und ist's nicht bald ein halbes Jahr?["]--"Liebster, +ich sehe und höre wohl, daß Du der alte "Leichtsinn" noch bist und mit +Gewalt deinen Leib und deine Seele verderben willst. _Jetzt_ stehst Du +auf deinem Eigenthum, in deinem eigenen Hause und dies so lange, als Du +hier bleibst, wenn Du aber in eine Stadt gehst, dann" ...--"Dann nimmst +einmal einen Andern statt meiner ins Haus, he?" fragt der Benedict etwas +verhofft.--"Nein, ich nehme keinen Andern, aber ebenso wenig Dich, wenn Du +nicht vom Regiment wegbleibst."--"Rösele, lieb Rösele, sei doch nicht so +ängstlich, wirst sehen, daß ich halte, was ich Gott und Dir und deinen +Leuten versprochen habe. Der Vater hat schon gesagt, ich komme hinüber nach +Freiburg, dann kann ich gar oft zu Dir kommen und siehst doch lieber Einen +mit dem Säbel an der Seite und dem Kriegshute auf dem Kopfe, als wenn ich +immer und ewig mit der Geisel und dem Hörnle im Dorf und Wald bei den Sauen +herumtrummle!"--"Ja gerade das ist's, was mir so bange macht; ich sehe +wohl, daß Du dich des Dienstes beim Saumathis schämst und könntest Dich +nicht schämen, wenn Du deine Umstände nur ein wenig zu Herzen nähmest!"-- +"Gute Nacht, lieb' Rösele, bleib mir nur treu und gut, dann wird Alles +recht werden!" + +In den letzten Tagen des Märzmonats wandert der Straßenbasche mit dem +Benedict nach Freiburg; der Benedict kann die schöne große, vierstöckige +Kaserne und die Offiziere, Unteroffiziere, Hobisten und Soldaten, welche +blank und stolz aus dem Thore strömen, nicht genug anschauen; sein Herz +bebt vor Freude und Bangigkeit, wie er mit seinem Begleiter die steinernen +Stufen des der Kaserne gegenüber liegenden Kommandantenhauses hinaufsteigt. + +Der Oberst verzieht das ernste Gesicht mit dem grauen Schnurrbarte zu einem +freundlichen Lächeln, denn der Straßenbasche hat als Unteroffizier unter +ihm gedient, die Beiden haben Pulver genug mit einander gerochen und kennen +sich noch recht gut; wenn der Basche ein Geschäft in Freiburg hat, muß er +zuweilen seinen ehemaligen Hauptmann heimsuchen, 's kostet dem jetzigen +Obersten nur ein Schöpplein vom Guten und er läßt sich's gar gerne kosten. + +Die Beiden werden also gar herablassend und freundlich empfangen, der +Straßenbasche rapportirt, was ihm wegen des Duckmäusers auf dem Herzen +liegt, der Oberst betrachtet den Rekruten und meint, die Sache habe gar +keinen Anstand, wenn der Junge nur von den Aerzten für tauglich erklärt +werde und ein gutes Sittenzeugniß aus seiner Heimath mitbringe. + +Wie der arme Benedict vom Sittenzeugniß hört, werden alle Luftschlösser zu +Wasser, das Herz fällt ihm in die Hosen, er bekommt so ziemlich den +Knieschlotterer und weil der Straßenbasche auf dem Heimwege auch einen +bedenklichen Kopf macht und die Neuerungen mit den Sittenzeugnissen +verflucht, verliert der Rekrut fast alle Hoffnung, jemals in seinem Leben +Hobist zu werden. + +"Sechs Jährlein Soldatenstand machte den Benedict zu einem Prachtskerl für +das Rösele, wenn er nur angenommen wird! Gottlob, daß der Oberst mein alter +Kriegskamerad war!" sagt der Straßenbasche daheim und der Benedict muß +gleich um ein Sittenzeugniß schreiben. + +Wer sich ob der Betrübniß des Benedict am meisten freut, ist außer der +Mutter Klara natürlich das Rösele, welches laut darüber jubelt, weil der +Himmel bereits ihr Flehen erhört habe. + +Am vorletzten Tag des Märzmonats sitzt die Rosa mit der Walburg und Lisi am +Tische, sie nähen und spinnen und plaudern, die Mutter hat ihr altes +Gliederreißen und ist gleich nach dem Nachtessen ins Bett gegangen, der +Vater dagegen sitzt beim runden französischen Ofen, stopft den Nasenwärmer +mit Dreimännerknaster, reicht dann das Päckle dem Benedict, dieser stopft +seinen Mohrenkopf auch, zündet dann einen Fidibus an und hält ihn auf die +Pfeife des Vaters. Der Straßenbasche thut jedoch gerade, was er +allabendlich thut, nämlich er erzählt von seinen Feldzügen und diesmal von +einem Gefechte in Spanien; statt tüchtig am Mundspitz zu ziehen, damit der +Knaster anbrenne, erzählt er immer weiter, der Fidibus brennt beinahe ab +und wie der Benedict daran erinnert, lacht der Straßenbasche und meint, ein +Soldat müsse Feuer und Schwert ertragen können, sonst sei er ein Tropf. Auf +dieses Wort hin hebt der Duckmäuser den eben weggeworfen flammenden Fidibus +wieder auf, hält denselben wiederum auf den Nasenwärmer und zwischen den +Fingern fest, bis er gänzlich verbrannt ist. + +Die Mädlen am Tische lachen sich schier krank ob solcher "Dummheit" und die +Rosa meint sehr offenherzig: "Wenn Dir nur die Finger abgebrannt wären, +dann würdest Du froh sein, Sauhirt bleiben zu können! ... Vielleicht wär' +es in anderm Betracht auch noch gut gewesen! ... was kann man sagen!"---- + +Der zweite Fidibus entzündet den Nasenwärmer des Straßenbasche und dieser +beginnt, dem Benedict Verhaltungsregeln für den Militärstand herzuzählen, +denn schon morgen muß der zweite und entscheidende Gang nach Freiburg +gemacht werden, vielleicht liegt das Zeugniß des Rekruten bereits beim +Kommando und--Probiren geht über Studiren. + +Der Vater kommt eben recht in Zug, da meint das Rösele unwillig: "Das ist +nichts, Vetter, Ihr braucht ihm nicht noch zu sagen, wie er sich zu +verhalten habe! ... Wißt Ihr, was er braucht? ... er braucht Etwas, das hat +niemand, niemand kann ihm's geben... er bleibt bei mir!"-- + + + * * * * * + + + + +#DER DUCKMÄUSER WIRD SOLDAT, SUCHT UND FINDET IN DER KASERNE VORBILDER# + + +Am 31. März 183.----es war wiederum an einem Freitag, und Mittwoche mit +Freitagen spielen im Leben unsers Helden eine merkwürdige Rolle--steht der +Benedict im paradiesischen Zustande vor den Regimentsärzten der Freiburger +Garnison und die Herren machen ein bischen seltsame Augen, Einer davon sagt +den Grund: "Füße wie zwei Sicheln, Rücken wie das Grammische +Bierkellergewölbe, vom Kinn bis zu den Knöcheln Eine Dicke, mein Gott, was +soll denn aus dieser Figur gemacht werden?" ... "Wenn wir noch Einen dieser +Art hätten, besäßen wir ein hübsches Gestell für die große Trommel!" sagt +trocken ein grauer Chirurg, der bei Leipzig die Säge drei Tage lang nicht +aus den Händen gebracht hat.--"Was hat denn der Mann bis jetzt gearbeitet?" +fragt der Kritiker wieder.--"Ich bin ein Bauer!" stottert der Benedict und +schnappt nach Luft.--"Ach, da ist der Rückenkorb viel getragen worden, man +sieht's dem Rücken, den Füßen, dem ganzen Mann an!"--"Nein, meine Herrn! +doch auf dem Kopfe habe ich viel und schwer getragen."--"Das sieht man +wohl, 's ist eine Terrasse, worauf ein Ball arrangirt werden könnte!" meint +der trockene Chirurg.--Nun, tröstet der Oberarzt, die Füße werden sich +schon wieder strecken, der Tornister wird sich auch Platz machen, der Mann +sieht gut aus, hat eine starke, ausdauernde Brust, er kann gut werden!-- +"Aber der kann doch den großen Bombardon noch nicht erspannen?" fragt der +Graue.--"Weiß nicht, er hat ... lange Finger, er ist tauglich!" lächelt der +Oberarzt, Eine Viertelstunde später mißt der Compagnieschneider im Zimmer +der Staabscompagnie dem Benedict Rock und Hosen an und prophezeit, er werde +die Montur meisterhaft machen, doch koste es ein Maaß Bier. + +Am ersten April sitzt er auf dem Gang des Hintergebäudes der Kaserne, wo +die Hobisten hausen, und ein entsetzlich langer Tambour stutzt ihn mit Kamm +und Scheere um ein Schnäpschen zu einem vollkommenen Hobisten um, hält ihm +dann den kleinen Spiegel vor und der Rekrut kann sich in seiner nagelneuen +Montur nicht genug bewundern. + +Schade, daß er nicht sofort zur Säbelkuppel greifen und zum Rösele ins +Rheindorf hinüber marschiren darf; der Weg ist doch etwas weit und die +Rekruten müssen zuerst Honneurs machen lernen, bevor sie zum Gitter +hinauskommen. + +Am zweiten Sonntag nach dem ersten April sagt der Straßenbasche beim +Mittagessen. "Rösele, am nächsten Samstag gehen wir wieder einmal auf den +Wochenmarkt, nach Freiburg hinüber und wollen sehen, was er macht!"--"Ja, +ich mag gar nichts mehr hören!"--"Sei doch nicht so einfältig, hast +verweinte Augen und ganz umsonst; er ist ja kein Kind mehr und sieht an +Andern, wie weit er mit dem Leichtsinn kommt."--In diesem Augenblicke +springt des Nachbars kleine Johanne athemlos zur Thüre herein und keucht +und sagt: "Rosa, dein junger Vetter ist wieder beim "Sanmathis!"... er ist +kein Sauhirt mehr! ... hat einen Säbel! ... Soldat ist er!" "Was? ... Beim +Hirt ist er? ... wirst nicht recht gesehen haben, Hanne!"--"Ho, er hat mir +ja einen Wecken gegeben, da guckt, den Wecken hat er mir gegeben!" + +Der Straßenbasche sieht auf und will zur Thüre hinaus, im gleichen +Augenblick öffnet sich diese und in der Stube steht ein schmucker Hobist, +der militärisch grüßt und wohlgefällig lächelt. + +"Aber Röfele, kennst ihn noch? jetzt sag' nur nichts mehr, sonst--..." "O +Vetter, ich bitt' Euch! ... will gern nichts mehr sagen, wenn einmal dort +neben Eurem Abschied ein ähnlicher von ihm an der Wand hängt!"-- + +Schon eilen Nachbarn und Freunde herein, Alle wollen den Hobisten sehen, +sprechen, ihm gratuliren, sogar der blinde Michel tappt herein und greift +an ihm herum, greift gleich einen Offizier heraus; Alles lobt, bewundert +den Benedict, tadelt die unerbittliche Rosa und diese muß zuletzt, um den +Straßenbasche nicht zu erzürnen, auch ein Wörtlein des Wohlgefallens von +sich geben. + +Wie die Leute wieder fort sind, fragt der Alte: "Wie ist's mit dem Zeugniß +vom Amt und Bürgermeister gegangen?"--["]Gar nichts weiß ich davon; +entweder ist's vergessen worden oder die Offiziere haben es gar nicht oder +im Wirthshause gelesen! Gewiß bleibt, daß zwei Andere fortgeschickt wurden, +weil ihre Zeugnisse ein paar Tage ausblieben!"--"Ho, der Oberst hat eben +deine Jugend in Anschlag genommen, er ist ein guter Herr, Alles vergißt +sich leicht, wenn Du brav bleibst!"--"Ja, brav ist der Oberst! Gestern auf +der Parade meldete ich mich und bat für heute um Urlaub, um +Kleinmonturstücke zu holen. Da hat er mich ein wenig finster angeschaut und +gefragt, ob ich denn eine Kaserne von einem Taubenschlage zu unterscheiden +wisse. In der Todesangst nannte ich ihm Euern Namen, da strich er den +großen Schnauz und gab mir Urlaub!"--"Wie lange?"--"Morgen früh bei der +Tagreveille muß ich unterm Kasernenthor sein!"--"Ja, das sieht ihm gleich, +er ist noch der alte Fuchser, bis er weiß, wen er vor sich hat!" lachte der +Unteroffizier. + +Am andern Morgen oder vielmehr kurz nach Mitternacht eilt der Benedict mit +einem ordentlichen Päcklein Freiburg zu. Mutter Klara und Rösele haben +feine, blendendweiße Leinwand, woran übrigens im gesegneten Breisgau kein +Mangel ist, hergegeben, damit der bierdürstende Compagnieschneider 2 paar +Sommerhosen daraus mache; die Mutter des blinden Michel sorgte für Leinwand +zu Unterhosen und Kamaschen, die Mutter des Saumathes brachte Hemden und +Schuhe, der Straßenbasche und Andere schwitzten etwas Geld, das Rösele +legte 3 baare Gulden dazu; noch nach Mitternacht geben einige Buben dem +Benedict das Ehrengeleite eine gute Strecke weit und kehren erst auf sein +wiederholtes Geheiß singend und jodelnd ins Dorf zurück.--Das Rösele hat +ihm mit weinenden Augen so dringend empfohlen, Gott vor Augen zu haben und +sich an brave, erfahrene Kameraden zu halten, der Duckmäuser muß Vorbilder +suchen und diese sich zu Freunden machen, hat bereits seine Augen prüfend +umhergeworfen. + +Montags nach der Austheilung der Menage mißt ihm der _Feucht_, der +Compagnieschneider die Sommerhosen an und während der Operation fällt es +dem Benedict bei, dieser Schneider sei das erbaulichste Muster eines +stillen, frommen, gottesfürchtigen Soldaten. Weßhalb? Er hat die Maaß Bier, +welche der Benedict ihm wegen der Montur zahlte, noch nicht getrunken, ist +ein alter Soldat, der schon zum vierten Mal für Andere einstund, ein +ruhiger gesetzter Mann, welcher den ganzen Tag bei seiner Arbeit sitzt, +sehr wenig redet, mit Keinem umgeht, sich in seinem Arbeitseifer ungern +stören läßt; die einzige Gelegenheit, bei welcher er zornig wird und in +seiner Seehasensprache furchtbare, niegehörte Flüche zum Besten gibt, ist +die, wenn Einer ihn necken will oder ihm Wachs, Zwirn, die Scheere, Maaße +und dergleichen verlegt oder wegstipitzt oder nach seinem Ausdrucke "Dreck +schwätzen" will. + +So lange der Benedict unter den Zweifarbigen steckt, hat sich Meister +Feucht noch nicht herausgewichst, nicht einmal den ungeheuern rothen +Schnurrbart gekämmt und wozu hätte er es thun sollen? An Werktagen wie an +Sonntagen arbeitet der Schneider und kommt kaum zur Stubenthüre, geschweige +zur Kaserne hinaus. + +Solch Muster der Eingezogenheit und Solidität hätte Benedict nicht unter +den Hobisten gesucht; diese sind ein ziemlich lustiges und leichtes +Völklein und der Feucht beinahe der Einzige, an welchen er sich getrost +anschließen möchte. + +Doch jedes Wort, was der Straßenbasche vorgepredigt, klingt fort in unserm +Rekruten und so oft er sich dem Compagnieschneider nähern will, glaubt er +aus dem ernsten, strengen Gesichte desselben folgende Worte des +Straßenbasche zu lesen: + +"Ein Rekrut soll sich vor allen längerdienenden Leuten stets in +ehrerbiethiger Stellung und Entfernung halten, sich nicht vorwitzig oder +gar frech in deren Reden mischen und Vorgesetzten jedes Ranges nur wenn er +von diesen Etwas gefragt wird, anständig, bescheiden, kurz und wahrhaftig +antworten!" + +Unter solchen Umständen mußte sich der Duckmäuser einstweilen begnügen, den +Meister Feucht aus naher Ferne zu bewundern und mit dem Spruche trösten: +Kommt Zeit, kommt Rath, dann folgt die That!-- + +Am 5. Mai steht der Schneider in aller Frühe auf, bürstet mit der +Silberglätte die rothgewordenen Messingknöpfe seines Monturfrackes, den +Säbel, die Bataillenbänder des Tschako's, klopft dann drunten im +Kasernenhofe Rock und Hosen aus, kleidet sich an und geht zum ersten Mal +seit 5 Wochen im vollen Staate zur Thüre hinaus. + +Der Benedict besitzt nicht den Muth, Einen um Erklärung des so räthselhaft +gewordenen Betragens seines Vorgesetzten zu bitten, denn er ist der Jüngste +von Allen und diesmal sicher auch der Gespannteste. Um 8 Uhr geht der +Schneider zum Rapport, wird unsichtbar bis um 9 Uhr, wo derselbe mit +geröthetem Kopfe zur Probe kommt. Letztere ist beendigt, Meister Feucht +nähert sich seinem Bette, doch zieht er den Frack nicht aus, sondern kämmt +nur seinen feuerrothen Schnurrbart recht sorgfältig und eilt dann abermals +raschen Schrittes zur Thüre hinaus. + +Der Schneiderstuhl bleibt heute den ganzen Tag unbesetzt, nicht Eine Nadel +fädelt dessen Inhaber ein, weil er sich weder beim Mittagessen, noch beim +Verlesen sehen läßt. + +Abends macht der Duckmäuser einen Spaziergang; kurz vor dem Zapfenstreich +kehrt er zurück, die Tambours spannen ihre Trommeln, beim Kasernenthor aber +hält ein Bauer mit einem Mistwagen; er trägt einen Tschako in der einen, +die Geisel in der andern Hand, auf dem Mistwagen aber liegt lang +ausgestreckt ein Soldat, ein Hobist, stöhnend, ächzend und unverständlich +fluchend. Der Benedict erschrickt nicht wenig, wie er in diesem Hobisten +sein nachahmungswürdiges Muster, nämlich den Compagnieschneider Feucht +erkennt. Doch, wem ein Unglück begegnet ist, pflegt nicht Versuche zum +Singen zu machen, der ganzen Welt Brüderschaft anzubieten und vor der +Kaserne in seligem Entzücken zu jauchzen. Der gute Feucht ist schwer +betrunken; der Bauer muß ihn abladen, singend legt er sich sofort auf den +Boden, zwei Soldaten tragen und schleppen ihn zunächst auf die Stockwache, +von da in den Dunkelarrest für Unteroffiziere und hier mag er nach etwa 36 +Stunden aus überirdischen Sphären wieder zum Bewußtsein seines soldaschen +Schneiderthumes gelangen. + +Benedict erzählt den Musikanten, was ihrem Schneider begegnet sei, doch +Keiner verwundert sich darob und der Nachbar zählt kurz Meister Feuchtens +Erlebnisse auf. Nach drei Tagen wird dieser wiederum erscheinen, sich ruhig +auf den Schneiderstuhl setzen, genau sechs Wochen lang die Nadel und das +Bügeleisen schwingen, schweigsam, unermüdlich, ruhelos, denn sechs Wochen +hat er Kasernenarrest und nur so lange der Schneider von diesem +festgehalten wird, ist Hoffnung da, daß die Hosen und Röcke der Hobisten +geflickt werden. Heute über 6 Wochen wird Feucht sich wieder putzen, um 8 +Uhr zum Rapport gehen, um sich als freier Mann zu melden, um 9 Uhr mit +rothem Kopfe, doch taktfest die Deckel schlagen, um 10 Uhr verschwinden, +Abends kurz vor dem Zapfenstreich von einem Bauer vom Mistwagen geladen, +von zwei Soldaten der Kasernenwache in den Dunkelarrest für Unteroffiziere +geschleppt werden und so fort bis in ferne Zeiten. + +Also hat's der Compagnieschneider Feucht vom Bodensee seit vielen Jahren +gehalten; alle Obersten und Generale Europas würden ihn nicht dazu bringen, +frei und freiwillig eine Nadel zu berühren, im Arrest dagegen ist er +anerkannt der eifrigste und beste Schneider des ganzen Regimentes und +dereinst wird er im Arrest oder im Rausche Abschied von der Welt nehmen und +diese wird um ein Original ärmer geworden sein. + +Der Duckmäuser hörte auf, den Compagnieschneider als sein Vorbild zu +betrachten, er dachte an Rosa und seufzte. + +Unter 30 bis 40 Mann sollte es keinen braven und frommen geben? Nein, unter +den Musikanten des Regimentes gibt es nachahmungswürdige, wackere und +geschickte Leute, vorzüglich unter den Hobisten erster Klasse, doch diese +sind verheirathete Männer, wohnen gar nicht in der Kaserne, lassen sich +nicht zu einem jungen Menschen herab, kommen nur Morgens mit dem +Kapellmeister zur Probe und der Benedict darf ihnen höchstens die +Säbelkuppel anstreichen, die Knöpfe und Anderes recht glänzend putzen.-- + +Im Zimmer befindet sich ein junger Mann, auf welchen das Auge des +Enttäuschten fällt. Derselbe spricht fast noch weniger als Meister Feucht, +geht auch mit Niemanden um, er liest beständig. Er liest vor und nach der +Probe, liest während des Mittagsessen, liest den ganzen Nachmittag und wenn +er Abends zuweilen ausgeht, nimmt er jedesmal einen Pack Bücher mit und +bringt einen andern zurück. Schon lange hätte ihn der Duckmäuser gerne um +eines seiner interessanten Bücher gebeten, doch er getraute sich dessen +nicht, Straßenbasche's Ordre kommt ihm nicht aus dem Sinn; bald eilt ein +glückliches Ohngefähr dem Schüchternen zu Hülfe. Eines Morgens steht der +Lesefreund sehr frühe auf, setzt sich ans Fenster, liest und vergißt vor +lauter Lesen das Morgenessen, liest fort, bis der Kapellmeister erscheint. + +Jetzt steht er auf, schleppt seine große Trommel an ihren Platz, haut +während der Probe ingrimmig auf das Kalbsfell hinein, schlägt einigemal +fehl und erhält dafür 2 Tage Zimmerarrest, um die Gedanken zu sammeln. +Mittags kommt er zum Benedict, ersucht denselben, ihm einen Pack Bücher in +die Leihbibliothek Waizeneggers zu tragen und alle zu bringen, deren +Nummern auf dem beigelegten Zettel ständen. Freudig geht der von +Kindesbeinen an dienstfertige Duckmäuser mit den Büchern fort, läuft jedoch +nicht die Kaiserstraße, sondern den Löwenrempart hinauf; auf diesem kleinen +Umwege ist er sicherer vor honneurswüthigen Unteroffizieren und Offizieren +und kann ein bischen in die Bücher hineinschauen. Ein leidenschaftlicher +Geschichtenerzähler ist der Duckmäuser von jeher gewesen, die Titel dieser +Bücher eröffnen ihm eine neue Welt, er begreift die Lesewuth des großen +Trommelschlägers, indem er liest: Bruckbräu oder der baierische Hiesel +geschildert als Wildschütz, Räuberhauptmann, und landesverrufener +Erzbösewicht--Simon Tanger der furchtbare Seeräuber--die sechs schlafenden +Jungfrauen, eine Ritter- und Geistergeschichte--Ritterkraft und +Mönchslist.--Die Grafen von Löwenhaupt--Tausend und Eine Ausschweifung. + +Zitternd vor Freude, denn jetzt hat unser Rekrut gefunden, an was er sich +halten soll, was ihn vor aller Gefahr wahrte und damit sein zeitliches und +ewiges Glück feststellt, tritt er in die Bibliothek und die langen Reihen +aufgestellter Bände entflammen vollends die längst gehegte Sehnsucht nach +recht vielen Büchern zur Leidenschaft. Bisher hatte er leidenschaftlich +Musik getrieben, denn in der Kaserne hatte er am ersten Tage den gewaltigen +Unterschied zwischen der Dorfkirchweihenmusik und der Musik einer +militarischen Musikbande entdeckt, unter welcher wahre Künstler und +Virtuosen steckten; die Regimentsmusik, versetzte ihn in trunkenes +Entzücken und kein Hobist übte sich fleißiger auf seinem Instrumente, denn +der Duckmäuser. Doch Clarinettblasen konnte er auch nicht den ganzen Tag +und weil er stets dachte, alle Gelegenheit meiden sei das Beste und fast +immer zu Hause blieb, so fühlte er oft herzliche Langweile. + +Nunmehr wollte er seine ganze Zeit theilen zwischen der Clarinette und den +Büchern und er thats. Bald unterschied er sich vom großen Trommelschläger +nur noch dadurch, daß er durch seinen Eifer für Musik sich die ganze +Achtung und Liebe seines Kapellmeisters erwarb, bald keiner Belehrung mehr +bedurfte, Alles vom Blatte wegblies und ein ordentlicher Künstler wurde. + +Er hätte einen wirklichen Virtuosen abgeben und zugleich mehrere +Instrumente erlernen können, doch dazu reichte die Zeit nicht hin, denn +wenn er gerade mit einem rechten Bücherhelden zu thun hatte, vergaß er oft +Essen, Trinken und Schlafen, bis er Alles wußte, was derselbe gethan und +welches Fräulein er beglückt oder welchen Tod er erlitten habe. + +Die Clarinette und der Katolog Waizeneggers verschlangen über ein Jahr +eines stillen, glücklichen, genußreichen Lebens, ließen ihn alle +Bierschenken, Wirthshäuser und Stadtmamsellen vergessen; alle Vorgesetzten +achteten und liebten ihn, die Spöttereien und Neckereien leichtfertiger +Vögel berührten ihn wenig, er gewann durch seine Freundlichkeit und +Dienstfertigkeit die meisten Kameraden für sich, ohne ihre Einladung zum +Ausgehen anzunehmen. An Samstagen fehlte er niemals auf dem Münsterplatze, +wenn er glauben durfte, die Rosa zu treffen, Abends schrieb er zuweilen +Briefe voll Gluth, Inbrunst und Tugendsinn und wenn er Urlaub bekommen +konnte, eilte er ins Rheindorf hinüber. + +Von Zeit zu Zeit brachte er seinem Rösele kleine Geschenke, vergaß niemals, +dem Straßenbasche einige Päcklein ächten Portorikos, der kleinen Johanna +und andern Kindern Milchbrödlein mitzubringen. Der alte Unteroffizier +wußte, was ein stets ordentlich gefüllter Geldbeutel bei einem Soldaten und +insbesondere bei einem Hobisten zu bedeuten habe, sah das gesunde Aussehen +und die Nüchternheit des künftigen Schwiegersohnes, hörte, wie begeistert +derselbe von seinem Stillleben in der Kaserne sprach und wie fremd ihm die +Stadt blieb, er jubelte vor Freuden und die vornehmsten Bürger des Ortes +sammt dem alten, ehrwürdigen Geistlichen eilten in das Haus des +Straßenbasche, wenn es hieß, der Zweifarbige sei im Dorfe wieder gesehen +worden. + +Als noch im nächsten Frühling die Hobisten der Rosa auf dem Wochenmarkte +dasselbe bestätigten, was sie im vorigen Sommer schon gesagt, daß nämlich +der Benedict sicherlich durch sein ewiges Lesen noch ein "Pfaffe" werde und +in ein Kloster wandere, da verloren sich auch ihre Besorgnisse, sie glaubte +an die vollkommene Besserung ihres Geliebten und fühlte sich glücklich.-- + +Eines Tages sitzt der Duckmäuser mit dem Leibe auf dem wieder einmal +verwaisten Schneiderstuhle des Meister Feucht, mit den Gedanken jedoch +schwärmt er in überirdischen Regionen und mittelalterlichen Zeiten. + +Während der Hobist an einem Stücke Komißbrod kaut, hält der Romanleser just +auf einem glänzend schwarzen Streitrosse, den Leib mit einer silbernen +Rüstung bedeckt, auf dem Haupte einen goldenen Helm mit wehendem +Federbusche und hinaufgezogenem Visir als Sieger beim Turnier auf der +Todesklippe vor dem Balkon der Ritterfräuleins. Die Königin aller +Schönheit, die bezaubernde 17jährige Gräfin Etietta, um welche sich binnen +kurzer Zeit 700 Ritter, 300 Grafen, 90 Herzoge und 11 kaiserliche und +königliche Prinzen bereits todtgeschlagen, reicht ihm eine mit Gold und +Edelsteinen reich geschmückte himmelblaue Schärpe und heftet zum Zeichen, +daß sie ihn unter Allen einzig und allein liebe, eine rothe Schleife an +seine Lanze. Eben will er in die Schranken zu den Rittern zurücksprengen, +als ein dickköpfiger Füselier zur Stube herein und gerade auf ihn losgeht, +um zu melden, Hobist Benedict werde im Münster von 2 Frauen erwartet. + +Er plumpt in die schaale, prosaische Wirklichkeit zurück, doch bang und +freudig zugleich schlägt sein Herz fort, denn augenblicklich denkt er an +Etwas, dessen Mangel einzig und allein die Seligkeit seines Kasernenlebens +stört. + +"Der Eltern Segen baut den Kindern Häuser, ihr Fluch reißt sie darnieder!" +hat er als Unterlehrer viele hundertmal gehört, gelesen und geschrieben und +das furchtbare Wort "Nenne mich nie mehr Deine Mutter!" tönt wie Todtensang +und Eulenschrei in den sonnenhaften Himmel der Gegenwart hinein. + +In aller Eile putzt er sich, eilt zur Kaserne hinaus, doch läuft er weit +langsamer, wie er bei der Post aus der Kaiserstraße auf den Münsterplatz +einlenkt, er muß sich erinnern, daß er vor kurzem Sieger im großen Turnier +bei der Todesklippe gewesen sei und als Hobist mindestens so vielen Muth +besitzen müsse, um im Nothfalle vor einer alten Frau zu erscheinen. + +Durch eine Seitenthüre tritt er in den herrlichen Tempel, wandert durch den +Säulengang emsig umherspähend hinauf und entdeckt endlich die Rosa, welche +betend vor einem Nebenaltare kniet. Dieselbe ist allein; doch nein! Die +gigantische Säule hat Rosas Nachbarin verborgen, er kennt dieselbe nicht +recht, doch sieht er soviel, daß es ein altes Mütterchen und sein pochendes +Herz sagt ihm, wer es sei. Er bleibt stehen, hustet ein wenig, Rosa schaut +um, steht auf, nimmt das ebenfalls sich erhebende Mütterchen bei der Hand, +beide kommen auf den Hobisten zu--das Mütterchen ist Mutter Theres. + +Welch Zusammentreffen, welch Wiedersehen! + +"Das ist Euer Sohn, mein geliebtester Freund!["] sagt die tiefbewegte Rosa; +laut weinend wankt das Mütterlein heran, sieht vor Thränen die Hand nicht, +welche ihr der Sohn entgegenstreckt und erst als er fragt: "Mutter, seid +Ihr mir noch immer böse" spricht sie leise schluchzend: "Nein, Benedict, Du +bist wieder mein Kind!" und reicht ihm die verwelkte Hand. + +"Gott sei Lob und Dank!" jubelt der Hobist und tritt in einen Kirchenstuhl, +um für die Erfüllung seines einzigen Wunsches zu danken, die Mutter und +Rosa thun das Gleiche. + +Alle Drei gehen in die Kaserne, der Benedict freut sich, den Weibern, die +vom Inwendigen einer Kaserne gar wunderliche Vorstellungen herumtragen, +Alles zeigen und erklären zu dürfen und ermangelt nicht, die Freude +derselben durch Vorzeigung einiger seiner lieben Bücher vollständig zu +machen. Aus der Kaserne geht's in den Löwen hinüber, ein guter Markgräfler +wird aufgestellt, der Hobist weiß schon, daß Mutter und Geliebte nicht alle +Jahre zu einem Gläslein vom Besten kommen. + +Das Aussehen und die schöne, ehrende Kleidung sammt den Reden und Benehmen +des Duckmäusers versetzten im Bunde mit dem Gläslein dessen Mütterlein in +den siebenten Himmel, sie reicht ihm alle Augenblicke die Hand, ihr Auge +ruht unbeweglich auf ihm und sie kann ihn nicht oft genug ihrer Liebe +versichern und um Verzeihung bitten. + +Mutter und Geliebte begleiten den Helden um 5 Uhr Abends zum Verlesen, der +alten Frau schießen Zähren in die Augen, wie sie ihren verlornen und +wiedergefundenen Sohn so blühend und stattlich im geschlossenen Gliede +stehen sieht und wie dessen Name verlesen wird, meint sie, die ganze +türkische Musik mit den lieben Engelein im hohen Himmel müsse einen +Freudentusch darauf folgen lassen und vergißt alle Schmerzensthränen, +welche er ihr schon ausgepreßt hat. + +Abends sagt sie beim Abschied mit weinenden Augen: "Schau' Benedict, schon +lange und viel tausendmal habe ich gewünscht, sterben zu können, mein Jakob +hat's ebenso gehabt, nun aber wünsche ich mir, noch lange zu leben, denn +ich bin wieder eine glückliche Mutter; viel Thränen hab' ich vergossen um +deinetwillen, diese aber, die jetzt über meine alten Backen fließen, sind +süß, es sind Freudenthränen!" + +Mutter und Sohn sind glücklich, am glücklichsten ist das Rösele, welches +bald mit ihr vor Freuden weint, bald ihn wie ein Engel anlächelt und sich +von diesem Tage kindlich an Mutter Theres anschmiegt. + +Am nächsten Morgen trennen sich alle Drei, sie versprechen bald möglichst +wieder zusammenzukommen, die Mutter hat fahren sollen, doch es durchaus +nicht gethan, der Sohn hat zuerst dem Rösele ein kleines, dann der Mutter +ein großes Geleit gegeben und kehrte glücklicher als je in die Kaserne zur +Klarinette und zu den Büchern zurück, welche der große Trommelschläger +indessen für ihn ausgelesen hat. + +Wo und wie kamen Mutter Theres und das Rösele zusammen? + +Auf dem Wege von Freiburg nach Sanct Georgen steht bis zur Stunde links an +der Landstraße ein winziges Kapellchen; die Rosa war vom Straßenbasche nach +Freiburg geschickt worden und hörte in diesem Kapellchen weinen und beten. +Sie trat hinein und kniete neben der Mutter Theres, jedoch ohne dieselbe zu +kennen, denn erstens ist das Kapellchen winzig wie die Neuzeit und +dämmerungsreich wie das Mittelalter und zweitens ist's schon eine schöne +Zeit, seitdem der ehrliche Klaus am Herzbruch starb, weil er keinen +Wortbruch begehen wollte, das Rösele sammt den Geschwistern ist aus dem +Dörflein fortgezogen und ein großes, stattliches "Maidle" geworden. + +Tief und schwer seufzt, bitterlich weint das Mütterchen und aus ihren Reden +entnimmt Rosa, daß schwerer Kummer um eines Ungerathenen willen ihr Herz +drückt und daß sie eine Landsmännin vor sich habe, welche im Begriffe +stehe, eine Wallfahrt nach Marien Einsiedeln zu machen, was bei einer so +alten, gebrechlichen Frau schon Etwas heißen will. Nach wenigen Fragen weiß +das Mädchen, Benedicts Mutter stehe neben ihr, das liebende Herz wallt auf +und fragt, ob das Mütterlein schon lange nichts mehr vom Sohne gehört habe +der Benedict heiße. Doch die Frage wirkt arg, das Mütterlein schreit auf +und bricht fast zusammen, fleht unter Thränen, diesen Namen nicht mehr zu +nennen, kein Wort mehr von dem Sohne zu reden. + +Daheim im Dörflein schämten sich die Eltern des Duckmäusers so sehr, daß +sie um keinen Preis nach demselben gefragt oder auch nur dessen Namen +genannt hätten. Die Dorfbewohner wußten dies, schonten deßhalb die +unglücklichen Leute, doch wußten diese von der Margareth, daß der Benedict +am Rheine drüben die Schweine hüte, denn der "Saumathis" sagte es bei einem +Besuche der Verwandten, welche er im Dörflein besaß. Kein Mensch wußte +jedoch, daß der Schweinhirt zum Hobisten geworden und in der Kaserne zu +Freiburg sei, Mutter Theres hatte sich ihr banges und doch halbfreudiges +Ahnen beim Durchmarsche durch Freiburg auch nicht erklären können. Jetzt +sagte das Rösele, was und wo der Benedict zu finden, gab sich selbst zu +erkennen und suchte die Alte zu bewegen, mit ihr in die Stadt +zurückzugehen. Lange und harnäckig bleibt die Mutter dabei, den Sohn nicht +sehen zu wollen, aber das Rösele hört mit guten Versicherungen, Bitten und +Betteln nicht auf und so kam es zuletzt doch, daß die Beiden zusammen durch +das Breisacherthor in die schöne, freundliche Kaiserstraße und beim Museum +hinüber in das Münster wandelten, in welchem Bernhard von Clairvaux den +Kreuzzug gegen die Ungläubigen im fernen Morgenlande, heuer die Jesuiten +wahrhaft zeitgemäß den Kreuzzug gegen den Unglauben im Herzen der Zuhörer +predigen. + +Ein Soldat schlägt einem hübschen Mädchen selten oder niemals eine +freundliche Bitte ab und so geschah es, daß ein dicker Füselier, der auf +dem Münsterplatze stand, die Zähne am Winde trocknete und am wunderbar +schönen, durchbrochenen Münsterthurm schwindelnd und staunend hinaufsah, +auf Rosas Geheiß eiligst zur Kaserne trabte und den Hobisten Benedict +mitten im Siege von der Gräfin Etietta weg ins Münster zum armen Mütterlein +und zur Pflegetochter des Straßenbasche zauberte. + + * * * * * + + + + +# DIE KIRCHWEIHE# + + +Vater Jakob zählt dem Hannesle just aus dem ledernen, eingeschrumpften +Opferbeutel vier rothe Batzen als Kirchweihgeld auf den Tisch, dieser hält +jeden sorgfältig zum Licht, um etwas höchst Ueberflüssiges zu untersuchen, +nämlich ob es auf dieser Erde auch Falschmünzer gebe, welche auf den +Einfall gerathen sein könnten, falsche Schweizerbatzen zu machen; das +Vefele sitzt mit der kleinern Schwester auf der Ofenbank und redet mit +Benedicts Schwestern, die Susanne nennt alle Buben, mit welchen sie auf der +Kirchweih tanzen und nicht tanzen werde, Mutter Theres sitzt am +Spinnrädlein und netzt den Faden, da--klopft es leise und bescheiden an der +Thüre. Die Mutter denkt an einen muthwilligen Buben, am allerwenigsten an +ihren Sohn, von dessen Wiedersehen sie einzig und allein ihrem Alten gesagt +hat; sie weiß, derselbe sei nicht mehr in Freiburg, sondern mit seinem +Regimente in Carlsruhe drunten und gegenwärtig mache derselbe die große +Revüe mit. Sie sagt deßhalb nicht "Herein," sondern: ["]d'Herren sind +draußen, d'Bettelleut drinnen!" und die Susann' ruft mit ihrer +glockenhellen Stimme: "Wir sind nit gärn klopft!" + +Aber die Thüre geht auf, außer der Mutter erschrecken Alle gewaltig, denn +ein großer, glänzend geputzter Soldat mit Tschako und nachläßig +überhängendem grauem Mantel steht mitten in der Stube und lächelt, daß der +keimende kohlschwarze Schnurrbart beträchtlich in die Länge wächst. + +Der Hannesle macht Augen wie Pflugräder, die kleinern Kinder schleichen +schüchtern hinter dem Ofen, der Jakob steht befremdet auf, doch die Susanne +schreit mit dem Vefele aus Einem Munde: "Ohje 's isch jo Euer Duckmäuser!" + +Er ist's richtig, denn der Oberst hat ihm nach der Revüe Urlaub auf 14 Tage +gegeben, obwohl er diesmal nicht zum Straßenbasche wollte. Nach der Revüe +nehmen ja die meisten Hobisten Urlaub und hätte der Benedict nach +jahrelangem Besinnen sich nicht wieder einmal im Dörflein sehen lassen +sollen? ... + +Jetzt fängt das Händedrücken, Küssen, Grüßen und Fragen an, der finstere +Jakob thaut ordentlich auf, die beiden Mädchen wissen nicht, was sie vor +Freuden thun sollen, denn sie möchten ebenso gern bleiben als die +unverhoffte Ankunft des alten Herzkäfers den Kammerädinnen ansagen. Endlich +rennt das Vefele ins Unterdorf, die Susanne ins Oberdorf und ehe eine halbe +Stunde vergeht, hat Benedict all den alten Lieblingen in die klaren +Aeuglein geschaut und herzinnige Freude über seine Ankunft darin +herausgelesen. Allen? Wir irren, denn zwei fehlen, erstens Maxens Rothe und +zweitens die Sabine. Die Rothe ist in Folge ihres unordentlichen Lebens bei +ihrer Schwitt nach langer, schmerzlicher Krankheit schon im 18. Jahre +gestorben, die Sabine, zur rothen Schwitt desertirt, trägt eine Frucht +ihres aufgeklärten Lebens auf den Armen und verbirgt sich gleich einer +Eule, weil sie noch nicht so weit gekommen, gleich 5 Kameradinnen, welche +zur alten Garde der rothen Schwitt gehören und mit ihren Verdiensten um +Vermehrung des Menschengeschlechts stolz thun. + +Die Meisten jedoch stehen und sitzen fröhlich und freudig in Jakobs Stube, +erst nach Mitternacht bringen sie es über sich, dieselbe zu verlassen, doch +keine schließt daheim ein Auge, jede hat's am andern Morgen gestanden. + +Am andern Tage wandelt an der Hand des alten Lehrers der Benedict der +Kirche zu; der rothe fliegende Haarbusch auf seinem glänzenden Tschako +scheint die Oriflamme zu sein, welcher das ganze Dörflein in Einem Truppe +folgt, mehr als ein bejahrter Mann und mehr als Einer wird lediglich durch +das Gedränge verhindert, dem ehemaligen Dorfhanswurst, welchen sie als +kleines pausbackiges Büblein mit schwarzen Augen voll Leben und +Beweglichkeit gesehen und geliebt, öffentlich einen Kuß zu geben. + +Nur die Buben der rothen Schwitt ließen sich nicht herbei und die Mädlen +derselben thaten gleich verscheuchten Hühnern. + +Während der langen Abwesenheit des Duckmäusers hatte die rothe Schwitt im +Dörflein große Siege gefeiert, denn es gab keinen Burschen, welcher dem +reichen, wüsten und wilden Max herzhaft und beharrlich mit Glück +entgegentrat, die schwarze Schwitt hatte ihr Haupt verloren und zerfiel. +Mancher Bube und manches Mägdlein trat zur rothen Schwitt über, weil sie +auch ein Vergnügen oder mindestens ihre Ruhe haben wollten. Seit 2 Jahren +gebot der Marx auf allen Tanzböden und in allen Wirthshäusern, über alle +Vergnügungen der Dorfjugend, schloß alle "Altmodischen" davon ab und weil +die rothe Schwitt auch in den umliegenden Ortschaften ihre Anhänger und +Verbündeten zählte, welche ebenfalls emporkamen, so wurden diejenigen, +welche hartnäckig altmodisch bleiben wollten, nicht nur von allen Freuden +und Festen ausgeschlossen, sondern auch noch auf alle möglichen Weisen +verfolgt und gekränkt. Max sah immer noch die verhaßte schwarze Schwitt +fortbestehen, so lange nicht _alle_ Buben und Mädlen ihm anhingen und +wirklich gab es Viele, welche beharrlich von allen Festen wegblieben und +Alles erduldeten, denn Solches thaten. + +Die Treuesten unter den Altmodischen waren Söhne und Töchter recht +christlich gesinnter Eltern, denn wie konnten diese ihre Kinder bei einer +Gesellschaft sehen, deren Anführer der Max vom Rindhofe war? Zog sich der +Max durch sein abscheuliches, gottloses Leben nicht einen Leibschaden zu, +so daß er auch leiblich verkrüppelte? Bezeugte nicht der eigene Vater +desselben, sein Einziger werde mit jedem Jahre liederlicher und bringe ihn +frühzeitig in die Grube? Weinte der herzensgute Fidele nicht oft bei seinen +Nachbarn die bittersten Thränen über den ausgearteten Sohn und ließ sich +nur dadurch trösten, weil er demselben weder durch Rede noch That jemals +ein böses Beispiel gegeben habe? Lagen die Gesinnungen der rothen Schwitt +nicht in täglich sich häufenden Werken offen und erschreckend zu Tage? + +Alles dies bewirkte, daß trotz dem Zerfallen und Zusammenschmelzen der +schwarzen Schwitt nach Benedicts Abfall stets ein kleines Häuflein braver +Buben und Mädlen altmodisch blieb, man mochte gegen sie unternehmen was man +wollte. + +In der letzten Maiennacht zeigten die Rothschwittler so recht ihre Bosheit +und ließen dieselbe an der armen Margareth und deren Schwestern aus, deren +Wohnhaus mit mehr als 500 Maien ganz umstellt wurde. Nahe am Kammerfenster +entdeckte man am Morgen des ersten Mai einen Strohmann von abscheulicher +Gestalt, einen Besen, mit Dünger bestrichen und mit einem Rosenkranze +behängt, eine Ofengabel mit Salbhäfelein; da einen Stab mit einem alten +Kochhafen, dort einen mit einigen Rinderschuhen, viele andere mit +Ochsenohren, Hahnenkämmen, Gansschnäbeln, Schwänzen von Katzen und Hunden, +der Eierschaalen, Nachttöpfe, Schlapphüte, weiblichen Zwilchröcke und +dergleichen gar nicht zu gedenken. + +Heuer an der Kirchweih wollte der Max das Oberkommando in zwei Dörfern +führen und, da er als Krüppel doch den Willibald Tanzkönig sein lassen +wollte, vor Allem dafür sorgen, daß die "Altmodischen" zu keinem Freudlein +gelangten--die plötzliche Erscheinung des Duckmäusers am Kirchweihsonntage +machte jedoch einen gewaltigen Strich durch seine Rechnung und er merkte +gleich, die meisten der ehemaligen Schwarzen seien eben doch keine rechten +Rothen geworden. + +Begleitet von Alten und Jungen, von Altmodischen, deren Gesichter vor +Freude strahlen und von Neumodischen, die den Stiel rasch umkehren, weil +sie keine aufrichtigen Rothschwittler sind, tritt der Benedict in die +Kirche; die beurlaubten und alten Soldaten aber weisen ihm den ersten Platz +im Soldatenstuhle an und versprechen, aus allen Dörfern des Stabes ihm zu +Gefallen auf die Kirchweihe seines Dörfleins zu kommen. Kaum ist der +Nachmittagsgottesdienst beendet, so beginnen 6 Musikanten im Hirzen +Straußische Walzer zu spielen, das Wirthshaus und der Tanzsaal wimmelt von +Infanteristen, Dragonern und himmelhohen Kanoniren, welche der Benedict aus +der Kirche mitgebracht hat, andere fremde Buben und Mädlen kommen auch und +die Rosa ist verabredetermaßen bereits seit Mittag nach langen Jahren +wieder einmal im Heimathdörflein und hat das Grab der rechtschaffenen +Eltern bereits besucht; das ganze Dörflein ist voll Leben und Freude und +die seit zwei Jahren von jeder Lustbarkeit ausgeschlossenen Getreuen der +ehemaligen schwarzen Schwitt werden die Heldinnen dieser Kirchweihe, mit +Ehrenbezeugungen und Lobreden von den achtbarsten Bürgern, geschweige von +den Jungen, überschüttet. + +Kein rechter Rothschwittler durfte sich diesmal im Tanzsaale blicken lassen +und ihre entehrten Mädlen, welche sonst die vornehmste Rolle zu spielen +pflegten, dürfen sich nicht einmal dem Hirzen nähern. + +Einige reiche Bauern, wie der Fidele, Maxens Vater und der Liebhardt, +legten einige Kronenthaler zusammen, um den getreuesten Mädlen der +schwarzen Schwitt, welche rasch wieder auflebt, eine Freude zu machen, am +Kirchweihmontag wurden schöne Halstücher gekauft und dieselben am Dienstag +ausgetanzt. + +Schon am Montag traten einige rechtschaffene Männer, denen das Treiben beim +Brandpeterle und Andern längst ein Gräuel gewesen, im Hirzen in den Bund +der schwarzen Schwitt und gelobten auf Benedicts Zusprache öffentlich und +feierlich, fortan über die Sitten der christlichen Jugend des Dörfleins zu +wachen, die ehr- und schamlosen Maxianer zu vertilgen. + +Dies und noch weit Aergeres muß der Max mit anhören, der mit dem Willibald +und zwei Anderen in einem Winkel der Wirthsstube würfelt. + +"Dort hinten, sagt der tiefbewegte Fidele und deutet auf den Max, dort +hinten hockt mein Schöner, den ich wohl noch am Galgen sehen muß!" ... Zum +Vater des Duckmäusers, zum Jacob gewendet, der heut mehr als ein Hälbsle +schluckt, sagt er weinend: + +"Euer Sohn hat Euch viel Kummer gemacht und manche Thräne ausgepreßt, denn +er war leichtsinnig, aber doch nie so liederlich und so bis ins Innerste +verdorben, wie mein Einziger dort hinten! ... Dieser macht Euch jetzt +wieder Ehre, Freude und Trost, der meinige wird mir Kummer bereiten bis zum +Grab und mein einziger Trost bleibt, daß Gott und Ihr wisset, wie ich meine +Pflicht als christlicher Vater erfüllte! ... Hab´ Alles gethan, ihn an Leib +und Seele gesund zu erhalten, jetzt ist er doch an Leib und Seele ein +Krüppel!" + +Der Max schüttelt in seinem Winkel den Würfelbecher sehr lebhaft und thut, +als ob er den Vater gar nicht höre; solch Benehmen empört alle Anwesenden, +der Benedict stachelt den Hansjörg, mit dem er einst auf dem Katzenbänklein +gesessen und Andere auf, nach zwei Minuten fliegt der Max zum Hirzen hinaus +in den Straßenkoth, der Willibald und die Andern schleichen eiligst davon. + +Von dieser Stunde an haßt der Max den Benedict tödtlich und schon am Abend +wird letzterer gewarnt, sich wohl in Acht zu nehmen, weil der Max mit +geladener Pistole auf ihn lauere, doch Jener fragt wenig darnach und +gebraucht blos die Vorsicht, während der Urlaubszeit Abends nie ohne Säbel +auszugehen. + +Am glücklichsten fühlten sich während dieser Kirchweihe die alten Herzkäfer +des Duckmäusers, die geehrten und beschenkten Jungfrauen der schwarzen +Schwitt und nur Eine bekennt, daß sie nicht so glücklich sei, wie dies der +Fall sein könnte. Diese Eine ist Margareth, Benedicts alte Geliebte, welche +die Rosa an dessen Hand sieht. Die Rosa merkt dies wohl, spricht mit dem +Benedict und sogar mit der Margareth selbst hierüber und erklärt, sie wäre +bereit, für den Duckmäuser das Leben zu opfern, doch wenn er der älteren +und damit mehr berechtigten Freundschaft gedenken wolle, so wolle sie +entsagen. + +Die Margareth jedoch meint, nicht sie, sondern das Rosele habe den Benedict +vor gänzlichem Verderben gerettet, die Entsagung müßte dem Rosele schwer +fallen und könne ihr nicht zugemuthet werden. Beide Mädchen meinten es +aufrichtig und wohlwollend mit einander und ebenso mit dem Benedict, ihr +liebreicher Streit gab den sehr zahlreich anwesenden Gästen Anlaß zu einem +Gespräche, wie es wohl in einer Stadt sehr selten vorkommen mag. + +Die Meisten kannten den Duckmäuser von Kindesbeinen an, sie wollten den +Schiedsrichter zwischen der Margareth und dem Rosele machen und bei dieser +Gelegenheit wurden alle Streiche, welche der Gegenstand ihres Streites +jemals begangen, öffentlich besprochen; er erfuhr, daß die Wände Ohren +haben; gar Vieles kam jetzt erst zur allgemeinen Kenntniß und er selbst war +gescheidt und edel genug, bei der Aufdeckung seiner unsaubern Stücklein +selbst mitzuwirken; dafür redeten Viele auch vom Guten, was er an sich trug +und vollbracht hatte. + +Endlich erhebt sich der älteste und ehrwürdigste Mann der Gemeinde, der +eisgraue Korbhannes, welcher seit mehr als zwanzig Jahren kein Wirthshaus +inwendig gesehen hat, heute seinem Liebling zu Ehren kam und seinen Sitz +zwischen dem alten Schulmeister und dem Stabhalter nehmen und sich von +diesen zechfrei halten lassen mußte. Er nimmt langsam die Zipfelkappe herab +vom zitternden Haupte, es wird so still in der dichtgedrängten Stube des +Hirzenwirths, daß man hätte können eine Stecknadel fallen hören und dann +spricht der Greis, während er mit glänzenden Augen umherschaut: + +"Ich weiß, daß ich von Gott und der Welt geliebt und geehrt werde; von +Gott--dies beweist mein alter grauer Schädel,--von der Welt--dies sehe ich +mit meinen Augen in diesem Augenblicke ... Heute ist noch ein Freudentag +für mich vor meinem Tode, an welchem ich wie ein Jüngling mit Euch und dem +lieben Herrgott Gesundheit trinken werde! Es ist ein glücklicher Tag, denn +ein Verlorner unseres Dörfleins ist ja wieder gefunden--das allein macht +mich heute so jugendlich und ist ja auch die einzige Ursache, daß der Vater +Steffen dort und die Mutter Ursula dort drüben in ihrem hohen Alter noch +einmal zu der ledigen Jugend auf der Kirchweihe sich gestellten! ... Es ist +der größte Schmerz für rechtschaffene Eltern, ein ungerathenes Kind zu +haben, aber auch der seligste Augenblick, wo ein verirrtes Kind wieder in +ihre Elternarme zurückkehrt. Davon haben wir heute einen sprechenden +Beweis, denn wer könnte wohl theilnahmlos bleiben an der Freude der Theres +und des Jacob? ... Möge Gott dem Benedict auch ferner Seine Barmherzigkeit +erzeigen, daß wir einst so wie jetzt hier voll Freuden in der Ewigkeit +beisammensitzen dürfen! ... Gott weiß es, wie ich den Benedict liebte, +seitdem er die ersten Hosen an hatte und diese Liebe ist nicht +verschwunden, als er, mit Schande und Fluch bedeckt, sich aus dem Dörflein +entfernte! ... Heute, da wir ihn als Mann und Christ wieder unter uns +haben, brennt mein Herz recht für ihn und wird ewig brennen! Ich sage: +ewig, denn gar bald wird mich Gott zu sich nehmen und daher glaube ich auch +vor Euch Allen ein Vorrecht zu haben, dem Benedict zu rathen, wie er +glücklich bleiben wird!" + +Sich zum Duckmäuser wendend, fahrt der Alte fort: + +"Dir rathe ich nun, fürchte Gott und halte Wort, dann kannst du einst mit +derselben Ruhe und Freude in die Ewigkeit schauen, wie du es an mir siehst +und nun, was diese zwei Mädlen betrifft, die dich mit gleicher Liebe +lieben, so entscheide du selbst, denn Eine nur kann´s sein!" + +Nach dieser Rede setzte sich der Greis, kein Beifallsgeklatsche ließ sich +hören, doch in mehr als Einem Augenpaar standen Thränen, der Benedict +jedoch betrachtet arg verlegen bald die Margareth, bald die Rosa und dann +wieder seine Mutter, welche neben Margarethens Großmutter, der alten Ursula +sitzt. + +Er weiß nicht, was er reden soll, hofft, Mutter Theres werde entscheiden, +doch diese ist zu gewaltig erschüttert von der Rede des Korbhannes und dem +Edelmuth der beiden Mädlen, es entsteht eine lange, peinliche Pause, bis +sich endlich gar die bereits 81jahrige Ursula erhebt und redet: + +"Wie der Korbhannes vorhin gesagt hat, so muß ich auch sagen: ich habe den +Benedict da von seiner Kindheit bis jetzt mütterlich geliebt und er allein +ist´s, der mich, eine 80jährige Großmutter, noch einmal aus der stillen +Stube in den Hirzen brachte und mir vor meinem Tode den Vorgeschmack ewiger +Seligkeit kosten läßt;--aber ich bin der Meinung, er sei noch lange nicht +aus allen Gefahren! ... Ich will mit diesen Worten den Ernst seiner +Besserung nicht bezweifeln, allein er ist noch zu jung und unerfahren, um +sich an fremden Orten unter fremden Leuten stets auf dem ebenen Wege +halten zu können. Wir können noch wohl Ursache bekommen und besonders ihr +Jüngern, über ihn so zu trauern und ihn so zu beklagen, wie wir uns heute +über ihn freuen; er ist noch nicht gewonnen, so lange er von Fremden +umgeben ist. Darum aber bin ich der Meinung, es sei am besten, er bleibe +seiner einstweiligen Retterin, wie ich das brave Rosel nennen muß, +anvertraut! ... Dieses Mädchen, von der uns oft unbegreiflichen Vorsehung +gar früh in die fremde Welt hinausgeschleudert und der rohesten Behandlung +preisgegeben, hat sich trotz allen widrigen Umständen gar lieblich, Gott +und Menschen wohlgefällig entfaltet! ... Das Rosele bekam von Gott die +Gnade, zu bewirken, was wir alle sehnlichst zu wirken wünschten und doch +nicht vermochten! ... Alle unsere Ermahnungen, Warnungen und Strafen +blieben fruchtlos bei diesem Verirrten, das Rosele aber hat ihn durch ihren +Blick wieder zu einem Christenmenschen gemacht, dessen wir uns heute alle +freuen! ... Dies scheint mir ein Beweis zu sein, daß er für keine andere +als für das Rosele und das Rosele für keinen andern als für ihn geboren +sei! ... Wohl mag ihr durch den Benedict noch Bitteres genug zustoßen, doch +sie ist wie keine andere von Allen, die hier sitzen, so für Ausdauer in +Leiden und Widerwärtigkeiten gemacht, daß sie ihn wohl zum zweiten und +drittenmal retten könnte, wenn's, was Gott verhüte, die Noth erfordere! ... +Gewiß bleibt, daß dem Rosele eine Kraft und Gnade innewohnt, um seine Seele +zu bewahren, daß dieselbe nicht ganz für Religion erkalte und ersterbe! ... +Die Hoffnung und das Zutrauen auf dieses Mädle kann mir Niemand nehmen und +darum sag' ich: unsere Margreth soll dem Rosele nicht in den Weg treten!" + +Alles stimmte bei, die Margareth verzichtet mit einem Kusse, welchen sie +der Rosa gibt und wobei ihr doch Thränen in die Augen schießen, die sie +mannhaft zurückdrängt, die Rosa aber hat während Ursulas Rede oft die +Gesichtsfarbe gewechselt und später dem Benedict, welcher sie deshalb +befragte, gesagt, erstens habe sie bei der Aufzählung seiner alten Fehler +einen großen Schmerz empfunden und sich denken können, wie wehe es ihm +thue, zweitens habe die Großmutter alle bangen Ahnungen vom Soldatenleben, +welche sie gewaltsam unterdrückte, wieder auferweckt, es sei ihr gar +seltsam und unheimlich ums Herz. + +Der Duckmäuser sagt, bei der Aufzählung seiner Sünden sei es ihm gewesen, +als ob man Alles nur sage, um Andere zu warnen und vor Schaden zu behüten +und beruhigt die Geliebte ein wenig, so daß sich dieselbe zur Mutter Theres +setzt und mit dieser sich unterhält. + +Der Benedict nimmt dann die 80jahrige Ursula in den Tanzsaal und noch heute +redet man davon, wie er zuerst mit der alten Prophetin und nachher mit der +schwächlichen Mutter Theres tanzte und wie gewaltig die Freude diese beiden +Frauen verjüngte und kräftigte, so daß sie es zur Verwunderung aller +Anwesenden aushielten bis zum letzten Ton, wiewohl von keinem bedächtigen +Menuett, sondern von einem Bauernwalzer die Rede gewesen ist. + +Freilich war der Hobist auch der beste Tänzer der Gemeinde und trug die +zwei Alten fast immer schwebend im Kreise herum. Nach drei Kirchweihtagen +wußte er wieder einmal, Tanzen sei auch eine Arbeit und das Rosele pries +sich glücklich, weil er mindestens nicht bei ihr seine Müdigkeit und +Abgeschlagenheit aller Glieder geholt hatte; die alten Herzkäfer der +schwarzen Schwitt dagegen meinten, er habe ihnen unsäglich viel Ehre +angethan, doch hätte er mit Jeder noch ein bischen mehr walzen können! + +Auf große Freud' folgt großes Leid! heißt ein altes Sprichwort und daß es +gar oft ein wahres werde, erfuhr der Held der herrlichen Kirchweihe bald, +ja das Leid trieb ihn aus dem Dörflein in die Garnison zurück, noch ehe +sein Urlaubspaß abgelaufen war. + +Er sitzt eines Abends, wo das Rosele wieder daheim beim Straßenbasche +sitzen und diesem von der seit urdenklichen Zeiten unerhörten Kirchweihe +ihres Geburtsortes erzählen mag, mit Vater, Mutter und einigen Hausfreunden +am Tische; das Gespräch kommt auf die Leichenbegängnisse und das Leidtragen +der Soldaten. Der Duckmäuser erklärt, jeder Soldat, welcher Leid tragen +wolle, trage einen schwarzen Flor am Arme oder auch nur eine schwarze +Schleife auf der Brust, je nachdem ihm an der verstorbenen Person mehr oder +weniger gelegen sei. + +Darauf fragt die Mutter: + +"Nun, wenn ich einmal sterbe, dann wirst du gewiß einen recht großen Flor +tragen?" + +Rasch und lächeld [lächelnd] meint der Benedict: + +_"Wenn Ihr einmal sterbet, dann stecke ich einen weißen Federbusch auf +meinen Kriegshut!"_ + +Hat jemals Einer Grund bekommen, einen unbesonnenen Scherz bitterlich zu +bereuen, so ist dieser Eine der arme Hobist. + +Kaum ist das Wort aus seinem Munde, so wendet ihm die Mutter den Rücken zu +und unfähig, ein Wort zu reden, beginnt sie so heftig und laut zu weinen, +daß alle Dasitzenden erschrecken. Was half es, daß Alle die Weinende zu +beruhigen suchten und ihr den Scherz erklärten? Daß der Benedict endlich +selbst mitweinte und sich anbot, unter ihren Händen augenblicklich zu +sterben, wenn er damit beweisen könne, wie aufrichtig er sie liebe? + +Das von unsäglicher Liebe erfüllte Mutterherz scheint in Einem Augenblicke +gänzlich versteinert zu sein; sie hört später mit Weinen auf, doch bleibt +sie unerbittlich, kein gutes Wort kommt mehr gegen ihn aus dem Munde, sie +mag und will ihn nicht mehr sehen, er muß aus dem Hause, soll es bei ihren +Lebzeiten nicht mehr betreten.--Der Wunsch ging in Erfüllung. + + * * * * * + + + + +#WIE EINER FAST OHNE SCHULD DES TEUFELS WERDEN KANN# + + +Von Allen, welche ihn liebten und fruchtlos versucht hatten, den Duckmäuser +mit der Mutter auszusöhnen, tief bedauert, kehrte derselbe in die Garnison +zurück. + +Das Erste, was er erfährt ist, daß sein Regiment nach Freiburg zurück +verlegt wird. Rasch schreibt er diese frohe Nachricht seiner Rosa und +bittet dieselbe, ihn doch um Gotteswillen mit der Mutter auszusöhnen, auf +ihr ruhe hierin noch seine einzige Hoffnung. + +Der Abmarsch nach Freiburg wird so rasch angetreten, daß er Gelegenheit +bekommt, die Antwort auf den Brief selbst zu holen, weil dieselbe doch +etwas lange ausgeblieben ist. + +Freudig wird er vom Straßenbasche, Saumathis, vom Rosele und allen +Bekannten empfangen, doch--Roseles Antwort lautet untröstlich genug. Was +er, der Vater, die Geschwister, die Mädlen der schwarzen Schwitt, der +Korbhannes sammt der Ursula und vielen Andern nicht vermocht hatten, setzte +auch das Rosele nicht durch, im Gegentheil erging es ihr am schlechtesten. + +In ihrer Unschuld und Liebe bat sie am eindringlichten, versicherte, nicht +weichen zu wollen, bis ihrem Benedict der übel angebrachte, doch arglose +Scherz verziehen sei, dafür fiel auch sie bei Mutter Theres in volle +Ungnade und diese wies sie aus ihrem Hause, um niemals wieder über die +Schwelle desselben zu treten. + +Solche Kränkung schmerzte, empörte, allein die Liebe duldet Alles und das +Mädchen bedauerte nur, daß auch seine Bemühungen vergeblich gewesen, der +Straßenbasche mit seinem Weibe schüttelt den Kopf und meint, die Weiber +seien ein wunderliches, unergründliches Volk. + +Kaum ist der Benedict wieder in die Garnison zurück, so entdeckt er den +Nebelspalter des Vaters und richtig steht dieser bald vor ihm und erzählt, +die Mutter habe ihn hergeschickt, damit er dem Herrn Kapellmeister +empfehle, den Hobisten Benedict recht strenge zu halten und niemals wieder +zu beurlauben. + +"Abschlagen hab ich´s der Mutter nicht können; seit jenem Abend redet und +deutet sie wenig, nimmt grausig ab und ist kränklich, bin halt zum Herrn +Kapellmeister gegangen und hab´ ihn zuerst gefragt, wie du dich +aufführtest. Er hat dich sehr herausgestrichen, deßhalb habe ich meinen +Auftrag auch nicht ausgerichtet, ´s wär eine Ungerechtigkeit. Halte dich +nur brav, die Mutter wird auch wieder anders werden!" + +So sprach der Vater, als er vom Sohne Abschied nahm. + +Das Mütterlein wurde jedoch nicht anders, sondern sandte an der Stelle +ihres Alten die Salome zum Herrn Kapellmeister. Salome war ein lediges, +jedoch mit fünf lebendigen Kindern gesegnetes Weibsbild, trug Gebetbuch, +Rosenkranz, den Loosungsgroschen und die Karte zum Kartenschlagen stets in +Einer Tasche, übernahm Wallfahrtsgänge für die halbe Welt, deßhalb auch die +Wallfahrt zum Herrn Kapellmeister, zumal Mutter Theres ihr ordentlich +spendirt und noch mehr versprochen hatte, wenn sie etwas ausrichte. + +Die Salome wußte gar ehrbare und erbauliche Gesichter zu schneiden, Alles +gut einzufädeln, was sie einfädeln wollte und es war ihr ein Leichtes, den +Kapellmeister, einen wackern, offenen Soldaten, der nicht gerne an +Verstellung glaubte, weil er selbst aller Verstellung fremd war, gegen den +Duckmäuser einzunehmen. + +Zuerst beschrieb sie demselben den answendigen, dann den inwendigen +Benedict von der Geburt bis zur letzten Kirchweihe, erzählte alle Streiche +desselben, wußte den unseligen Scherz mit dem Traueranlegen als Verbrechen +darzustellen, beschrieb dann auch die Rosa als ein verdorbenes, +gottvergessenes und heuchlerisches Geschöpf und schloß, indem sie den +Kapellmeister im Namen der tief bekümmerten und gekränkten Mutter des +Benedict bat, diesem keinen Urlaub mehr zu geben und ganz besonders auch +die Ausflüge ins Rheindorf zum Rosele zu untersagen. + +Wer schon bei der nächsten Probe dem staunenden und betretenen Duckmäuser +in Gegenwart aller Hobisten sein ganzes früheres Leben, seine "ganze +verfluchte Duckmäuserei" und die schändliche Rede gegen die alte Mutter +vordonnerte und ihm öffentlich aufs strengste verbot, jemals wieder einen +Fuß zu der "liederlichen Fuchtel" ins Rheindorf zu setzen, das war der Herr +Kapellmeister. + +Wie verächtlich betrachteten die ältern Hobisten jetzt den Benedict, wie +schadenfroh lachten die jüngern und besonders die leichtsinnigsten über den +"Klosterbruder!" + +Einen Brief nach dem andern, einer rührender als der andere, schrieb +derselbe an die Mutter, um ihr Herz zu erweichen; nie erhielt er eine +Antwort und weil er nicht mehr zum Rosele hinüber durfte, kam dieses mit +und ohne den Straßenbasche zuweilen herüber. + +Solches wird dem Kapellmeister gesteckt, einem Hagestolz, der als Todfeind +aller Bekanntschaften seiner Untergebenen, besonders der jüngern bekannt +ist und jetzt den Umgeher seines Verbotes recht zu fuchsen sich vornimmt. + +Wo fehlen beim Militär jemals Gelegenheiten zum Strafen, wenn ein +Vorgesetzter darauf ausgeht, Einem das Leben zu entleiden? + +Selten fand eine Probe statt, bei welcher der Kapellmeister den Hobisten +Benedict nicht andonnerte oder strafte, dieser gewann bald Aehnlichkeit mit +seinem ersten Vorbilde, dem Compagnieschneider, insofern auch er bereits +immer Zimmerarrest hatte. + +Von der Kirchweihe bis zur Fastnacht hielt der Duckmäuser aus und machte +seine Sache durch sein heißes Blut nicht schlimmer; das Romanlesen verlieh +ihm Gleichgültigkeit und Erhabenheit gegen die Quälereien prosaischer +Seelen und Genuß, weil er sich selbst für einen von Schicksalstücke arg +Verfolgten halten mußte. + +An Fastnacht bekamen alle Hobisten, sogar Meister Feucht für 3 Tage Urlaub, +Benedict sollte beim Adlerwirth im Rheindorfe drüben aufspielen--der +Kapellmeister jedoch gab ihm an der Stelle des Urlaubes drei Tage +Zimmerarrest. + +Am Fastnachtsonntag saß er mutterseelenallein im Zimmer, hatte deßhalb auch +die Zimmertour und weil's gerade ein Brodtag war, so faßte er das Brod für +die Hobisten und legte jedem seine zwei Laibe auf das Bett. Gegen Abend +hielt ers nicht mehr aus, sah nur immer das weinende Rosele vor sich, nahm +sich Urlaub aus dem eigenen Tornister, trat Abends zehn Uhr halberfroren in +Straßenbasches Haus, verlebte im Rheindorfe zwei lustige Tage und kehrte am +Aschermittwoch in die Kaserne zurück. + +Beim Eintritt in die Stube kommt ein Hobist auf ihn zu und klagt, weil ihm +ein Laib Brod fehle; der Duckmäuser behauptet, jedem beide Laibe auf das +Bett gelegt zu haben und wie er noch redet, wird er arretirt und wegen +eigenmächtigen Urlaubes zum erstenmal ins Dunkle gesetzt. + +Kaum tritt er aus dem Arreste, so kommt der Oberlieutenant, fragt nach dem +Laibe Brod, welcher dem Hobisten fehlte; der Benedict schwört hoch und +theuer, das Brod richtig gefaßt und richtig ausgegeben zu haben, eine +Untersuchung wird eingeleitet und der Duckmäuser wegen Unterschlagung eines +Brodlaibes im Werthe von 7 Kreuzern standgerichtlich zu drei Tagen Arrest +verurtheilt; ein standgerichtliches Urtheil hat aber stets die Entziehung +der Einstandserlaubniß zur Folge und dies setzt den Bestraften in arge +Betrübniß. + +Kaum ist er frei, so findet sich der Brodlaib; Alles beruhte auf einer +Verwechslung mit dem Brode eines andern Hobisten, der Benedict fordert +beide Hobisten dringend auf, seine Unschuld an den Tag zu legen; sie wollen +ihn insgeheim mit einer kleinen Vergütung zum Schweigen bringen, doch er +will nichts als seine Ehrenrettung, dazu lassen sie sich nicht bewegen, er +verflucht und verwünscht Beide und--merkwürdig! beide starben noch in jenem +Jahre, der eine ertrank, der andere bekam einen Blutsturz nach dem andern +und starb gleichfalls. + +Benedict gedachte der bangen Ahnungen des Rosele; eine schöne Gelegenheit +zur Erlernung des Schreinerhandwerkes bietet sich ihm an, er faßt ein Herz, +geht zum Oberst und fordert seinen Abschied. Der grundehrliche, brave, +jedoch barsche und rauhe Soldat nimmt den Degen, schlägt das Hobistlein +nach Noten herum und poltert: "Ich will dir den Abschied auf den Rücken +schreiben, du Hundsfötter, du! ... Wir müssen dich fuchteln, sonst stirbst +du im Zuchthause, du verstellte, heimtückische Bestie!" + +Brav durchgewalkt kehrt der Verzweifelnde in sein Compagniezimmer zurück, +welches er drei Frühlingsmonate nicht mehr verlassen darf. Er vergeht fast +vor Schmerz, doch hält er immer ritterlicher aus, denn seine Romane +verleihen ihm Trost, Muth, Heldenkraft. Zum Musiciren spürt er wenig Lust +mehr, liest wie der große Trommelschläger den ganzen, lieben langen Tag, +denkt und lebt sich ganz in seine Bücher hinein und ist fest entschlossen, +nach dem Muster der heldenmäßigsten Ritter allen Flohstichen und +Keulenschlägen eines widrigen Geschicks mannhaften Trotz zu bieten! + +Während der Verbannung im Compagniezimmer kam ein schwarz versiegelter +Brief vom jüngern Bruder, vom Hannesle, welcher ihm meldete, die Mutter sei +gestorben und habe ihm in ihrer letzten Stunde Verzeihung angedeihen +lassen. + +Seit jenem Abende, an welchem Benedict harmlos scherzte, er werde für sie +mit einem weißen Federbusche auf dem Kriegshute trauern, gab sich Mutter +Theres einer Schwermuth hin, welche nicht mehr wich; sie wurde still und in +sich gekehrt, suchte immer die Einsamkeit, aller Trost und alles Gerede +blieben von ihr ungehört und den Namen ihres Sohnes durfte Niemand nennen, +wer sie nicht in die furchtbarste Aufregung versetzen wollte. Von Tag zu +Tag nahmen ihre Kräfte sichtbar ab, sie wurde bettlägerig, ihr Zustand +verschlimmerte sich und die Aerzte mit ihrer Weisheit standen rathlos am +Krankenbette. + +Schon zur Zeit der Fastnacht, an welcher die rothen und schwarzen +Schwittler sich endlich in die Haare geriethen und barbarisch prügelten, +wie dies im weinreichen Baden gar oft der Fall zu sein pflegt, erwartete +man das Ende der Mutter Theres und die herrliche Margareth wich fast nicht +mehr von deren Bette. + +Schwankend zwischen Leben und Tod lag die Dulderin viele Wochen; in ihren +letzten Tagen nannte sie häufig den Namen ihres Sohnes, doch so oft man +fragte, ob man denselben herbeiholen sollte, schüttelte sie verneinend den +Kopf. Plötzlich schien sie von Neuem aufzuleben, die Krankheit gewichen zu +sein, sie vermochte wieder deutlich zu sprechen, bat, den Benedict +herbeizuholen, sie wolle und müsse demselben Alles verzeihen, wenn sie +selbst Verzeihung bei Gott erlangen wolle, _denn Alles habe sie dereinst +an ihrer eigenen Mutter verschuldet._ + +Halb aufgerichtet im Bette legte sie vor allen Anwesenden das Bekenntniß +ihrer Schuld ab und kaum war solches geschehen, so sank sie tod [todt] in +ihr Kopfkissen zurück! + +Es gibt unzählige Dinge zwischen Himmel und Erde, wovon sich die +Philosophen gar nichts oder nicht gerne träumen lassen, weil jeder Luftzug +aus einer überirdischen Welt ihre gar emsig und kunstreich gewobenen +Spinnengewebe zu zerreißen im Stande ist. + +Werke sind besser als Worte, _Thatsachen_ lehren eindringlicher denn +alle Spitzfindigkeiten der verständig gewordenen Vernunft, deßhalb mag die +Jugendgeschichte der Mutter Theres das räthselhafte Benehmen während der +letzten Zeit ihres Lebend erklären oder doch einigermaßen aufklären. + +Ihr Vater, ein vermöglicher und braver Mann starb sehr frühe, von einem +zweiten Manne bekam ihre Mutter noch einen Sohn und zwei Töchter. Dem +letzten Willen des Vaters gemäß sollte Theres, sein einziges Kind, die +Hälfte seiner Hinterlassenschaft in Empfang nehmen, sobald sie das +achtzehnte Jahr erreicht haben würde, die andere Hälfte jedoch erst nach +dem Tode der Fränz, ihrer Mutter. Theresens Stiefvater war ein roher, +wüster, leidenschaftlicher Mann, mit welchem Mutter Fränz recht unglücklich +lebte und welcher sich immer mehr dem Trunke ergab. Geduldig ertrug Therese +alle Unbilden und Mißhandlungen, welche ihr Stiefvater sammt den +Stiefgeschwistern ihr alltäglich anthaten, wurde 18, 20, 22 und 24 Jahre +alt, blieb bei der Mutter, deren einziger Trost sie war und dachte nicht an +die Herausgabe des halben Vermögens. + +Armuth und Elend nahmen jährlich im Hause zu, der Stiefvater verkaufte, was +ihm beliebte; von allen Seiten wurde Therese gewarnt, ihr Eigenthum zu +retten und in ihrem 26. Jahre verließ sie endlich das Haus der Mutter und +heirathete den Jacob. + +Bei dieser Gelegenheit kommt die schlechte, gewissenlose Wirthschaft des +Stiefvaters an den Tag, Fränz schaut jammernd in die Zukunft und bittet die +Obrigkeit um Hülfe, der Trunkenbold wird endlich mundtod [mundtodt] +gemacht, mißhandelt die Fränz ärger als je, bis sich der Himmel erbarmt +und die Arme von ihrem Quälgeiste erlöst. + +Theres hauste mit dem Jacob, ihre Stiefschwestern heiratheten auch kurz +nach einander, die Fränz lebte jetzt allein mit ihrem Sohne, dem Paul. +Dieser schlug seinem rohen, wüsten, trinklustigen Vater in Allem nach, doch +war er noch jung und wurde vorläufig nur von Neid und Mißgunst verzehrt, +weil er sehen mußte, wie die Therese, seine Stiefschwester, die schönsten +Grundstücke und Hausgeräthe und Anderes dem Jacob in die Ehe brachte. Am +meisten schmerzten ihn die beiden Rappen, seine Lieblinge, welcher der +Schwager aus dem Stalle holte und wenn der Paul gar daran dachte, die +Stiefschwester werde nach dem Tode der Mutter Fränz die andere Hälfte ihres +väterlichen Vermögens beanspruchen, dann wußte er sich fast nicht mehr zu +helfen vor Neid und Haß, zumal der eigene Vater mit all seiner Habe fertig +und auf Unkosten der Fränz beerdiget worden war. + +Mutter Fränz mußte dem Paul ihre Vorliebe schenken, ob sie wollte oder +nicht und dieser war kaum volljährig, so suchte er eine reiche Frau zu +bekommen. Im Dorfe und in der Umgegend nicht sonderlich gut angeschrieben, +durfte er nicht an jeder Thüre anklopfen, zuletzt erschlich er sich die +Liebe eines sechszehnjährigen Mädchens, der hübschen, muntern und +vermöglichen Christine und die Mutter derselben gab die Heirath zu, weil +die ältere Tochter sich hatte verführen lassen und weil sie fürchtete, +gleiche Schande an der jüngern erleben zu müssen. Der Vogt, ein +unumschränkter Dorfmonarch und vielgeltender reicher Mann, war Christinens +Vetter, hatte deren Heirath mit dem Paul ungerne gesehen, doch als diese +nicht mehr verhindert werden konnte und geschehen war, nahm er sich des +Paares gewaltig an. + +Bald redete Paul mit dem vielvermögenden Vetter, auf welche Weise die +Therese um ihre halbe Erbschaft gebracht werden könnte; der Vogt versprach +Alles zu thun und hielt Wort, bald entspann sich eine Dorfintrigue, worin +Mutter Fränz, ihre Kinder aus zweiter Ehe und ihre Tochtermänner +Hauptrollen spielten. Die Leute munkelten und redeten viel von diesen +Intriguen, Jacob und Therese bekümmerten sich anfangs wenig darum, weil sie +auf ihr geschriebenes und gültiges Recht pochten, doch wie endlich +allgemein und laut gesagt wird, Fränz habe ihre älteste Tochter verstoßen +und von der halben Erbschaft ausgeschlossen, geht Therese zur Mutter, um +dieselbe über das Geschwätz zu befragen. Mutter Fränz erschrickt sichtbar, +kann der Tochter nicht in die Augen schauen, gibt lauter ausweichende +Antworten und dies beunruhigt natürlich diese gewaltig. + +Am andern Morgen langt Jacob seinen langen Rock aus dem Kasten, setzt den +Nebelspalter auf und begleitet sein Weib zum Hofe des Dorfmonarchen. + +Der Vogt hört Alles ruhig an, dann donnert er los: + +"Du, Theres, bist eine eigensinnige, bösartige Tochter gewesen, kannst es +vor Gott nicht verantworten! ... Thut deine Mutter wirklich also, wie du da +klagst und fragst, so hat sie Recht, du hast's tausendfältig an ihr +verdient! ... Als deine Mutter im größten Elende bei ihrem liederlichen +Manne schmachtete, bist du fortgelaufen, hast einen Mann genommen, die arme +Frau wie eine Räuberin ausgeplündert! ... Wäre ich damals Vogt gewesen oder +hätte mich's angegangen, ich würde dir einen Strick um den Hals gelegt +haben, du unbarmherziges Thier!"--Die Ungerechtigkeit der Mutter und +Stiefgeschwister kränkte die schuldlose Therese zehnmal mehr, denn der +Verlust der halben Erbschaft, doch vertraut sie auf ihr gutes Recht und +Gott, und hütet sich, den Anklagen des Dorfmonarchen durch ein böses Wort +gegen die Mutter eine Handhabe zu geben. + +Sie hütet sich nicht wochen-, sondern _jahrelang_ und es scheint Gras +über die Angelegenheit gewachsen zu sein, über welche erst der Tod der +Mutter Fränz Aufschluß und volle Gewißheit zu geben vermag. + +Eines Morgens kommt der mürrische, versoffene Paul zur Therese und fordert +einen ausgehauenen Schweinstrog, welcher in Jacobs Hof steht, von ihr +zurück, weil der Schweinstrog nicht ihrem, sondern seinem Vater zugehört +habe. Therese lacht dem Paul ins Gesicht und gibt zu verstehen, sie sei im +Stande, ganz andere Forderungen zu machen, wenn das Betragen der +Stiefgeschwister es erheische. + +Jetzt fährt der Stiefbruder auf, schreit ingrimmig: + +"Was _du_ zu erwarten hast, das hast du schon und darfst dich +glücklich schätzen, wenn du nichts herauszahlen mußt!" und poltert zur +Stube hinaus, deren Thüre er zuschlägt, daß das ganze Haus und Therese vor +Zorn und Entrüstung zittert. Wenige Minuten später kommt Mutter Fränz, weiß +nichts von dem Vorgefallenen, klagt über Unwohlsein und die noch unwillige +und aufgeregte Therese meint: + +"Sterbet in Gottes Namen, Ihr könnt nichts Besseres thun! ... _Nur sagt +es mir zuvor, daß ich mir ein weißes Kleid kaufe zum Leidtragen für +Euch!"_ + +Diese Aeußerung kränkte Mutter Fränz bitter, sie verließ die Stube, kam nie +wieder zurück, verfiel in eine langwierige Krankheit und ließ der ältesten +Tochter erst wenige Minuten vor dem Tode Vergebung angedeihen. Mehrere +Wochen saß diese Tag und Nacht beim Krankenbette der Mutter, die 3 +Stiefkinder kümmerten sich nicht im mindesten um die Sterbende, denn sie +hatten, was sie wollten, nämlich ein schriftliches Testament, nach dessen +Wortlaut Therese auch nicht Einen Kreuzer erhielt. + +Sterbend verlangt Mutter Fränz das Testament, welches gleich nach der +ersten und letzten Beleidigung von Seite Theresens geschrieben worden, +zurück, um es zu vernichten, doch ein Tochtermann hatte es in Verwahrung +und war über Feld gegangen, der Vogt wird herbeigeholt und hört das letzte +Wort der Mutter Fränz: "das Testament ist ungültig, un--" Kaum ist diese +eine Leiche, so kommt der Tochtermann von der Reise zurück, zeigt das +Testament, der Vogt erklärt, der Widerruf gelte nichts, weil die Sterbende +nicht mehr bei Besinnung gewesen, Theresens halbes Erbe bleibt verloren, +denn diese fängt keinen Prozeß an, sondern betrachtet die Enterbung als +eine Strafe des Himmels. + +Mutter Theres war eine fromme, gottesfürchtige Frau; eine freudlose und +leidenreiche Jugend hatte sie vorbereitet, mit dem finstern, strengen, doch +dabei fleißigen, grundehrlichen und gerechten Jacob glücklich zu leben. Der +Benedict war es, der ihr zumeist Sorge und Kummer bereitete, sie an alte +Zeiten erinnerte und am Ende glauben machte, er sei von der Vorsehung +bestimmt, an ihr die Verwünschungen zu erfüllen, welche Mutter Fränz nach +dem erwähnten Auftritte gegen sie ausgestoßen hatte.--Der Besuch in der +Kaserne und die Kirchweihe hatten ihre abergläubischen (wenn man's so +nennen will!) Befürchtungen zerstreut; der, welchen sie von je am +zärtlichsten geliebt und welcher sie am tiefsten betrübt hatte, war +wiedergefunden. Sie liebte denselben von jeher mehr als eine gewöhnliche +Mutter, mehr als alle andern ihrer Kinder, _warum_--wußte sie selbst +nicht; die Kirchweihe weckte die ganze Gluth ihrer zärtlichsten und +sicherlich nicht durch Romanlesen verminderten oder gesteigerten wahrhaftig +leidenschaftlichen Liebe,--Der unglückselige Scherz, welchen der Hobist +machte, in derselben Stube, in welcher vor vielen Jahren Mutter Fränz ihre +Tochter verfluchte und in einer Stunde machte, wo das Licht noch nicht +angezündet war, so daß sie nur die verhängnißvollen Worte vom _weißen +Leidtragen_ hörte, die Miene des Sohnes jedoch nicht sah; dies +überzeugte sie von Neuem, _der Fluch des Himmels laste noch auf ihr und +ihr ältester, geliebtester Sohn sei geboren, um diesen Fluch zu +erfüllen._ + +Gewiß war sie selbst überzeugt, derselbe habe es mit den paar Worten nicht +böse gemeint, doch diese paar Worte sprach nicht der Benedict, sondern +sprach nach ihrer Ueberzeugung der zürnende Gott zu ihr. + +Sie hat den Sohn verflucht als ein Werkzeug des Fluches, hat ihm verziehen, +weil der Tod sich ihrer nicht erbarmen wollte--wird der Fluch oder die +Verzeihung sich als leitender Gedanke durch die fernere Lebensgeschichte +ihres Sohnes ziehen?-- + +Der Duckmäuser ward durch den Tod und die Verzeihung der Mutter nicht +sonderlich ergriffen; er erblickte in diesem Vorfalle nur einen neuen +Beweis für die aus seinen Romanen geschöpfte Ueberzeugung, zu einem +abenteuerlichen Leben bestimmt zu sein. + +Ein von der Vorsehung zu wunderbaren Dingen ausgerüsteter Mann seiner Art +läßt sich durch alle Anfechtungen der prosaischen Außenwelt wenig berühren, +lebt in andern Zeiten und höhern Regionen und begnügt sich, prosaischen +Vorgesetzten tiefe Verachtung und ritterlichen Trotz entgegenzusetzen und +diesem "Gewürme", welches auf der Keule des Herkules herumkriecht, +thatsächlich zu beweisen, daß man nach seinen kleinlichen und winzigen +Chikanen so wenig frage, als nach den Ansichten und der Ordnung der +gegenwärtigen prosaischen Welt überhaupt. + +Der Oberst hatte den Hobisten in den Zimmerarrest und damit in die ohnehin +geliebte Romanenwelt hineingeprügelt, drei Monate lang lebte der Hobist dem +Obersten zum Trutz sehr glücklich in Burgen, bei Turnieren, focht wacker +gegen Sarazenen, befreite mehr als Ein Ritterfräulein mit blauen Augen und +hochwallendem Busen, oder zog sich als weitgefürchteter Räuberhauptmann in +unzugängliche Felsburgen zurück. + +Kaum während der Probe wußte der Glückselige Etwas von der prosaischen +Wirklichkeit und mehr als einmal redete er bei seinen Erbsen und Kartoffeln +laut genug von fehdelustigen Rittern, treuen Knappen und Fräuleins, welche +ihm statt Gänseweines Nektar kredenzten. Wie die Hobisten von je den großen +Trommelschläger verlacht und verspottet hatten, so verspotteten und +verlachten sie jetzt auch den Benedict--hatte sich jener wenig daraus +gemacht, so bewirkten sie bei diesem das Gegentheil. Mehr als einmal kamen +gutmeinende Vorgesetzte und Offiziere, um dem Hobisten Benedict +zuzusprechen, damit er nicht in Doctor Rollers Hände falle, allein Güte und +Ernst prallten an ihm ab. + +Die drei Monate des Zimmerarrestes waren beinahe zu Ende, da tritt ein sehr +beliebter, gebildeter und braver Adjutant in das Hobistenzimmer und macht +dem Bedict [Benedict], der stets mit Rittern und Fräuleins redet, ganz +ruhige, vernünftige und menschenfreundliche Vorstellungen. Doch dieser hört +ihn kaum und wie der Adjutant ihm das Narrenhaus prophezeit, streckt er die +Hand aus und spricht wörtlich also: + +"Du bist nicht als ein Apostel berufen und hast einem so unerschrockenen +Ritter meiner Art durchaus keinen Vorwurf zu machen, deßhalb schweige, wenn +ich dir nicht den Fehdehandschuh vor die Füße werfen und dir meine Kraft +fühlen lassen soll!"-- + +Die Antwort des Adjutanten lautete auf 3 Tage Dunkelarrest, der +Dunkelarrest machte den Kopf des Duckmäusers nicht heller! ... Endlich sind +die 3 Monate des Zimmerarrestes verflossen, beim Beginne derselben war der +Frühling kaum im Werden, jetzt findet der Befreite Leben, Bewegung, Freude, +Liebe und Schönheit allenthalben; Alles, was er sonst gleichgültig +betrachtete, hat für ihn hohes Interesse, er fühlt sich gleichsam +neugeboren und ein schöneres, höheres Leben ist in ihm wach geworden!-- + + * * * * * + + + + +Lesefrüchte + + +Es steht zu vermuten, daß der Straßenbasche ein oder auch zweimal die +Treppen des Commandantenhauses hinanstieg, um den Herrn Obersten, seinen +alten Kriegsgefährten zu besuchen, die angetastete Ehre seines Rosele zu +retten und für den Benedict ein gutes Wort einzulegen. Eines Tages nämlich +sprach der Oberst zum Kapellmeister: + +"Hören Sie, Ihr Hobist, der Benedict, ist kein schlechter Kerl, aber er +wird durch seine verfluchte Leserei ein größerer Narr, denn der große +Trommelschläger! ... Der Kerl hockt noch im Zimmerarrest, dauert mich halb +und halb und wenn zuweilen sein Schatz vom Rheine herüberkommt, um ihn zu +besuchen, so wollen wir nichts dagegen haben. Es soll ein verständiges, +braves Mädchen sein und ganz geeignet, den Kerl vor dem Narrenhaus zu +bewahren!" + +Der Kapellmeister schrieb sich diese Ordre hinter die Ohren und wendete +nichts dagegen ein, wenn Straßenbasches Pflegetochter an Sonntagen zuweilen +in die Kaserne kam, um den gefangenen Träumer zu besuchen, wurde jedoch +diesem nicht grüner. + +Die Veränderung, welche in diesem vorging, blieb der Rosa nicht verborgen, +denn er sprach jetzt häufig in einem himmelhohen Style, welchen sie nicht +verstand und die einst so demüthigen, bescheidenen und ergebenen Reden +desselben nahmen allmälig ein Ende. Sie ermahnte ihn gar zu +lehrmeisterisch, den Obern zu gehorchen und brav zu werden, langweilte ihn +mit ihren prosaischen Predigten und obwohl er in ihrer Gegenwart die +lichtesten Augenblicke hatte und niemals vergaß, hundertmal "auf Ritterwort +und Handschlag" Gehorsam zu geloben, so hegte sie doch wenig Hoffnungen und +kehrte jedesmal nachdenklicher zum Straßenbasche zurück. + +Jetzt stolzirt der Benedict an schönen Sommerabenden als freier Mann in der +Gegend herum, die Gestalten seiner Romane steigen von den Burgruinen herab +in die Ebene, wandeln um ihn herum und er entdeckt gar viel Ritterliches +und Fräuleinhaftes in den schöngeputzten Städtern und Städterinnen. + +Außer den Mädlen der beiden Schwitten und der Rosa mit ihren Kamerädinnen +hat er noch keine Weiber kennen gelernt, doch weiß er jetzt, jene seien +prosaische, gefühllose, ungebildete "Bauerndötsche" in Zwilchröcken, mit +sonnenverbrannten Gesichtern, braunen Armen und abgearbeiteten, rauhen +Händen. Wie niedlich und zierlich sind dagegen die Städterinnen gekleidet, +wie zart, von Liebesgram gebleicht oder von beglückter Minne verklärt die +Wangen, wie grazienhaft der Gang, wie fein und tugendsam ihr Benehmen! +Täglich sieht er Hunderte, für die er sofort Lanzen haufenweise brechen +würde und täglich Eine, welche auf milchweißem Rosse mit fliegendem +Schleier auf ihrem Zelter sitzt, neben ihm den steilen Burgweg +hinaufreitet, der Burgwart stößt gewaltig ins Horn, die Knappen schwingen +jubelnd ihre schartigen Flamberge, der alte Kuno macht seine Meldungen, der +Ritter führt die Ritterin in den hohen Rittersaal und getheilt zwischen +Minne und Kampf verlebt er in der neugebauten Burg seiner Väter endlose +Jahre voll Seligkeit--bis in Freiburg der Tambour seine Kameraden zum +Zapfenstreich herausschlägt und der zum Hobisten degradirte Ritter auf des +Schusters bescheidenem Rappen in den prosaischen Kasernennothstall +zurücksprengen muß! ... Der Straßenbasche trägt nichts Ritterliches und +Knappenhaftes an sich, die Rosa bleibt ein ehrliches, gutes, doch plumpes +und grobfühlendes Landmädchen, nur der große Trommelschläger versteht +vollkommen Benedicts Seufzen, Fühlen und Denken, theilt dessen romantischen +Weltschmerz; noch mehr, der Trommelschläger hat viele Bekanntschaften in +der höhern Frauenwelt der Städte gemacht und versichert, neben zahllosen, +prosaischen, abgeschmackten Klötzen gebe es unter den Dienstmägden und +Bürgertöchtern zarte, empfindsame Seelen, der treuesten Minne würdig und +von der anmuthigsten Hingebung! + +Geht der Duckmäuser über den Karlsplatz oder in den romantischeren +Alleegarten, wo die Ritterfräuleins mit zarten Früchten der Minne sitzen +und wandeln, dann richtet er sich stolz empor, nimmt das Schwert unter den +Arm, schreitet mit Ritterschritten eines Niebesiegten an denselben vorüber, +nicht ohne ihnen züchtige und minnigliche Blicke zuzuwerfen und ist voll +Liebessehnen und Seligkeit! ... Wie oft steht er auf dem Schloßberge mit +dem großen Trommelschläger und beide verfluchen die schaale Wirklichkeit, +in %specie% den Klotz im Kommandantenhause und die Klötze in der +Kaserne oder sie träumen von jener Zeit, wo der riesenhafte Münster noch +nicht gebaut war, auf dem Kippfelsen drüben wohl mancher Lindwurm hauste +und in der Ebene mannhafte Ritter prosaischen Pfahlbürgern ihren Kram +abnahmen, dieselben zur Unterhaltung todtschlugen oder in schauerliche +Burgverließe schleppten! Manchmal wandelt der große Trommelschläger mit +einer Nymphe des Schwarzwaldes oder der Stadt durch die Auen, neben ihm der +Duckmäuser mit klopfendem Herzen, unsäglichem Wonnegefühl und tiefer +Wehmuth! Im Spätsommer bekommt Letzterer wieder einmal Urlaub, fliegt mit +Ritterfräuleins liebestrunken in das Rheindorf, dessen schaale Wirklichkeit +ihn ein bischen stark langweilt und bald zieht er durch das Land, um wo +möglich irgend eine Burg und Abenteuer aufzutreiben. + +Er wandelt zwar allein herum für prosaische Augen, doch neben sich hat er +stets die lustige, minnigliche "Itania." Alle Augenblicke breitet diese +ihre Schwanenarme nach ihm aus, er drückt sie an den Ritterbusen, erklärt +ihr die Schönheiten der Landschaften und redet von seinen und seiner Gegner +Burgen, deren hohe Thürme sich in den Silberwellen der Flüsse spiegeln. + +Jeder verwitterte Steinhaufen und jeder epheuumrankte Thurm ist ein Magnet, +welcher den Hobisten unwiderstehlich die steilsten Berge hinaufzieht und je +höher er steigt, desto prachtvoller und einladender steht die Burg da im +alten Glanze, desto lebhafter wird das Freudengetümmel im Schloßhofe und +jede Distel scheint eine Trompete zu sein, welche dem Längstersehnten, von +einer bösen Fee Verwunschenen, den Morgengruß einer neuen Zeit +entgegenschmettert. + +Allenthalben und überall sucht er seinem Ritterthume Ehre zu machen; es +kann nicht fehlen, der stattliche Bursche in der glänzenden Uniform erobert +durch sein galantes, edles Benehmen, durch seine gebildet klingenden +hochtrabenden Reden und durch Schilderungen seiner edeln Abstammung und +Güter im Sturmschritte das Herz eines Fräuleins und dafür, daß er an keine +Dulzinea von Tobosa geräth, ist schon gesorgt, weil er nicht in Andalusien +oder Estremadura, sondern im Großherzogthum Baden und in einem Herbstnebel +des 19. Jahrhunderts herumfährt! ... Die Erkorene ist freilich kein +anerkanntes, sondern ein verwunschenes Fräulein, wie deren sogar an den +Brunnen zu Freiburg und anderswo angetroffen werden, doch wohnt sie nicht +nur auf einem Berge, sondern bei einer Burg, kann mindestens als Tochter +eines Burgwartes gelten, der für anlangende Gäste zu sorgen hat und sucht +sich allseitig über die Wirklichkeit zu erheben. Ist es unmöglich, die +namenlosen Reize Itanias zu beschreiben, so begnügen wir uns mit der +Angabe, das Töchterlein des Burgwartes sei ein recht hübsches und lebhaftes +Kind von 16 Jahren, in Benedicts Augen natürlich die "engelgleiche Itania" +von Kopf bis zu den Füßen geworden. + +Ein höflicher Vater, eine für Ritterlichkeit zugängliche Mutter, ein +holdes, schuldloses, zutrauliches und plappersüchtiges Fräulein, +vortrefflicher Wein, eine Burg vor Augen, ein Feenland am Fuße des Berges-- +was konnte unserm Ritter zur Glückseligkeit fehlen? Nichts, höchstens ein +etwas längerer Urlaubspaß. + +Drei Tage voll Seligkeit verlebte er hier; die Seligkeit ward nur Eine +Stunde gestört, weil ein Hornist seines Regimentes, welcher den Abschied +genommen und im Heimathsorte am Fuße des Berges sich häuslich +niedergelassen hatte, gleich einem Gespenst in das Paradies seiner Träume +hineinstolperte und aus purem Neid über das Minneglück sogar schlechte +Witze über die Arreste und Zimmerarreste des ehemaligen Kameraden riß. + +Am letzten Abend sah der Mond ein liebendes Paar innerhalb der zerfallenden +Burgruine, fürchterliche Schwüre ritterlicher Treue hörte die Nachtluft, +perlende Thränen im Augenpaar Itanias küßte der trauernde Benedict hinweg, +denn morgen mußte er in die Welt hinaus, den Kampf mit den Tücken des +Schicksals von Neuem aufzunehmen und nur die Gewißheit, die edelste Perle +des Landes dereinst zu besitzen, gibt ihm Muth zum Scheiden, Trost im +furchtbarsten Schmerze. + +Itania lebte auf dem Lande, doch schon ihr Wohnhaus hob sie hoch über die +prosaische Alltagswelt empor; aus einem "Pensionate" kürzlich +zurückgekehrt, trug sie noch Hut und Schleier, war ein zartgebautes, +schlankes und belesenes Mädchen, liebte und verstand Ritterromane, kannte +die Welt nur durch diese, denn zwei langweilige Religionsstunden +wöchentlich geben weder Gottes- noch Weltkenntniß; auf diese Weise wird der +kleine Roman des Hobisten begreiflich und das Unglück lag nur darin, daß er +es weit ernstlicher mit diesem Romane meinte, als die 16jährige Itania +selbst und daß es ihm gelang, sich rasch die Gunst der Eltern zu gewinnen. + +Auf dem Rückwege eilt er in sein Heimathdörflein, jedoch nicht, um das Grab +der Mutter oder die Herzkäfer der alten Schwitt zu besuchen, sondern um den +Vater zu drängen, damit ihm dieser augenblicklich 50 Gulden vom +mütterlichen Vermögen herausgebe, welche er binnen einem Jahre +zurückzuzahlen schwört. Jacob macht ein gar bedenkliches Gesicht, will +wissen, wozu das Geld dienen solle und zudem hat er fast keines im Hause, +doch der Duckmäuser weiß den Alten so zu täuschen und zu bereden, daß +dieser noch in der Nacht den schweren Gang zum alten Liebhardt macht, die +Summe holt und dem Sohne gibt. + +Kaum graut der Morgen, so eilt Benedict aus dem Dörflein, macht zuweilen +Sätze wie ein Hirsch und kommt richtig wieder in seine Kaserne, wo er kaum +erwarten kann, bis der große Trommelschläger aus dem Arrest erlöst wird, um +diesen in das Geheimniß seines Glückes einzuweihen. + +Außer dem Kapellmeister und Benedict haben nämlich gerade alle Musikanten +des Regimentes Strafen auf dem Hals, weil sie bei einem gemeinsamen +Ausfluge Gelegenheit bekamen, ohnentgeldlich gut zu essen und beliebig zu +trinken, des Guten zu viel thaten und deßhalb von der Ironie des Schicksals +dahin gebracht wurden, sich auf dem Heimwege gegenseitig mit Fäusten und +Säbeln zu belehren. + +Die innere Seligkeit treibt den Duckmäuser in das Gewühl des Wochenmarktes +und wider Erwarten findet er hier das Rosele, welches ihm einen +freundlichen Morgengruß entgegensendet, der von ihm gar kühl und betreten +erwiedert wird. + +"Weßhalb so trotzig heut'? Bist bös mit mir oder was ist mit dir?" + +"Muß ich dir Alles sagen? Bin ich unter deiner Oberherrschaft, so daß ich +über mein Verhalten Rechenschaft abzulegen habe?"--"Ei, ei, so gefällst du +mir, wenn du auf diese Weise anfängst? Womit habe ich denn das verdient?" + +Benedict kehrt dem armen Mädchen den Rücken, plaudert mit der +Sergeantenfrau, welche ihm die Hemden wäscht, kauft dann in Rosas Nähe +einige Rettige und verschwindet im Gewühle. + +Am folgenden Tage Abende bringt ihm eine Frau einen Brief vom Rosele voll +zärtlicher dringender Bitten um Aufschluß über sein befremdendes und +kränkendes Benehmen, voll liebreicher Mahnungen und gutgemeinter Warnungen. +Benedict sagt der Ueberbringerin einen Ort, wohin er am Sonntage kommen und +die Antwort mitbringen werde. + +Richtig kommen Beide zusammen, er gibt dem Rosele einen Brief, sagt Adje, +kehrt eilig um und rennt fort, ohne auf das Nachrufen des staunenden +Mädchens zu hören, welches den Brief sofort erbricht, liest und mit +zitternden Knieen beinahe zusammenbricht. + +Er lautet also: + +"Rosa! Du weißt, wie man mich seit Langem hier gehalten hat und nun habe +ich die sicherste Nachricht erlangt, daß Du und nur Du die einzige und +alleinige Schuld daran bist. Will ich mein Loos ändern, so muß ich Dich für +immer meiden, was ich um so lieber thue, weil ich glauben darf, Du seiest +nicht die bisher vermeinte fromme Rosa, sondern eine Schmeichlerin voll +Falschheit und Trug. Besuche mich nicht, ich werde Dir fortan nur mit +tiefer Verachtung begegnen. Glaubst Du Forderungen an mich zu haben, so +schreibe Alles genau auf und schicke mir die Rechnung, ein anderes +Schreiben werde ich nicht annehmen oder ungelesen zerreißen. + + Hobist Benedict." + +Die edle Rosa ist des Schreibers Schutzgeist gewesen; noch vor acht Tagen +war sie mit dem Straßenbasche beim Oberst und Kapellmeister und legte ein +gutes Wörtlein für den wahrhaft Geliebten ein, sie hat ihn aus einem +liederlichen Sauhirten zu einem Menschen gemacht, mit Güte und Wohlthaten +überhäuft und--dann den Lohn der Welt empfangen, der sie vernichten würde, +wenn sie nicht um Gottes und der unsterblichen Seele des Benedict willen +gehandelt hätte. + +Gott meinte es wohl mit Rosa, als Benedict es böse meinte. + +Er opferte seinen Schutzengel einem Trugbilde und that es auf eine Weise, +welche uns vollkommen an ihm irre machen müßte, wenn nicht ein geheimer +besonderer Beweggrund ihn bei Abfassung des Schreibens geleitet hätte. + +Dieses war jedoch der Fall. + +Von Kindesbeinen an strebte er nach der Gunst der schönern und bessern +Hälfte des menschlichen Geschlechts, das heißt, nach der Gunst der Mädchen +und Frauen, mit welchen ihn sein Leben in Berührung brachte. Als Schulknabe +und Unterlehrer beschützte er die Kamerädinnen gegen Rohheiten, half +denselben in der Schule und bei Schularbeiten, that Alles, um sie angenehm +zu unterhalten und für sich einzunehmen. Was der Knabe erstrebt und +gewonnen, wollte der Jüngling nicht einbüßen, sondern erhalten und +vermehren und hieraus erklären sich großentheils seine Tugenden und +Verirrungen, jedenfalls seine Nüchternheit, Mäßigkeit, Scheu vor +Geldspielen und die Sucht, Geld auf alle Weisen und durch alle Mittel zu +erhalten. Er sparte, betrog, stahl, um seine Rolle als Haupt der +altmodischen Schwitt behaupten und den Anhängerinnen derselben kleine +Geschenke und frohe Stunden machen zu können. Wie viele seiner Herzkäfer +hat er in einer Reihe von Jahren erfreut, welche Opfer hat er oft gebracht, +um der Margareth, dem Vefele, der Marzell oder einer Andern ein kleines +Geschenk machen zu können! ... + +Seitdem er in der Montur steckt, ist es die Rosa, welcher er Geschenke +aufdrängt, um ihr seine Liebe, dem Pflegvater seine Sparsamkeit zu +beweisen. Er wandelt auf ehrlichen Wegen, muß sich Alles am eigenen Munde +absparen und wenn die Geschenke auch nur lauter Kreuzer kosteten, so machen +60 Kreuzer bereits einen Gulden und ein Gulden ist für einen Hobisten schon +ein Sümmchen. + +Jetzt hat sich der demüthige Hobist zu einem stolzen, mannhaften Ritter +gruduirt [graduirt], welcher jedem Adjutanten den Fehdehandschuh kühn vor +die Füße wirft; der Ritter hat bitterlich gespart, um eine Ritterfahrt +unternehmen zu können, auf dieser Fahrt fand er das Idol, wornach sein +überhirnter Verstand und sein fieberhaft pochendes Herz dürstete. Die +holdselige 16jährige Itania winkt im langen Kleide und mit fliegendem +Schleier von der Burg herab Tag und Nacht dem armen Hobisten in seiner +Kasernenstube zu. Großartig ist ihm die Einzige entgegengetreten, großartig +hat der Ritter sich gezeigt, großartig muß das erste Geschenk sein, welches +er seiner Gebieterin zu Füßen legen will. + +Der Hobist log sehr unritterlich beim Vater, um 50 Gulden zu erhalten, er +handelte mehr als unritterlich an Rosa, um sich desto ritterlicher gegen +Itania zeigen zu können. _Die Geschenke an Rosa müssen aufhören!_-- +hierin liegt der Schlüssel zu dem herzlosen, lügnerischen und +niederträchtigen Abschiedsbriefe, welchen er derselben in die Hand drückte +und dann vom bösen Gewissen getrieben fortrannte. + +Die bisherige Geliebte muß wissen, _weßhalb_ er ihr keine Geschenke +mehr macht; ein allmäliges Abbrechen und Sparsamwerden würde ihm bei ihr +und dem Straßenbasche nichts nützen und viel schaden, geschweige daß die +himmelanstrebende Itania keinen knickischen und knausigen halbgetreuen +Ritter zu ihren ätherischen Füßen sehen will! ... + +Die 50 Gulden reichen noch zu keinem großartigen Geschenke hin, die +Ersparnisse bei Rosa machen wenig aus, das ritterliche Einkommen muß durch +Sparsamkeit und Arbeit vermehrt werden, denn um Unverlornes mit "kühnem +Griffe zu finden," dazu ist der Benedict doch allzu ritterlich gesinnt und +allzu prosaisch gewitziget worden. + +Bisher bekam der Tabaksverkäufer monatlich 40 Kreuzer für Tabak, der +Apotheker 12 für Pomade, die Leihbibliothek 48 für Entzückungen und +Verzückungen, die Wirthshäuser nur 36 bis 40 Kreuzer, endlich trug er auch +dem kleinen Liebling der Rosa, nämlich der Johanna und dem Schwesterlein +des blinden Michel Milchbrödlein und dergleichen Geschenke zu.--Itania +winkt vom hohen Söller herab und die bisherige Monatsrechnung des Hobisten +reducirt sich auf Null. + +Der große Trommelschläger ist noch immer ein lesender Narr, der Duckmäuser +hat den Rubikon zwischen Idee und Wirklichkeit überschritten und ist zum +_handelnden_ Narren geworden. + +Er verkauft seine beiden Tabakspfeifen, thut alles, um ja Niemanden zu +begegnen, mit dem er anstandshalber einen Schoppen Bier trinken müßte, +unterrichtet mit allem Eifer zwei Damen der Stadt, die seidenrauschende und +juwelenstrahlende Tochter eines halbverzweifelten Bierbrauers und die den +hohen Adel durch ihren Aufputz beschämende Primadonna des städtischen +Theaters auf der Guitarre, musizirt im Orchester des Theaters, wodurch ihm +die Leihbibliothek mehr als ersetzt wird, endlich schreibt er in jedem +freien Augenblicke Noten für Damen und Offiziere ab und vermehrt dadurch +sein Einkommen ganz gewaltig. + +Doch noch nicht genug--der Benedict verzehrt monatlich nur einen einzigen +Laib prosaischen Komißbrodes, verkauft 14 andere monatlich um 3 Gulden 30 +Kreuzer; für das Fleisch erhält er jeden Mittag einen Groschen, endlich +schnürte der Held seinen widerspenstig knurrenden Magen mit einer vom +Meister Feucht zur guten Stunde erbettelten Binde immer fester zusammen und +träumt allnächtlich von vollen Humpen und Wildschweinköpfen, welche ihm +Itania kredenzt und vortrefflich zubereitet. + +Der große Trommelschläger bleibt der Einzige, welcher den Ritter Benedict +lobt, bewundert, tröstet, die andern Musikanten spotten und lachen oder +schimpfen beide "Büchernarren" brav aus. + +In der Stadt wurde er von seinen Zöglingen oft eingeladen, Etwas zu +genießen--doch ein Ritter ist kein Schmarotzer, läßt sich nur so weit +herab, zu nippen oder einen einzigen Bissen zu genießen, um den Anstand und +Ruf zu wahren und sprengt dann hungrig weiter. + +Meister Feucht vom Bodensee aß wie ein Löwe und soff alle sechs Wochen +trotz einem Urgermanen, blieb dabei spindeldürr und schüttelte jetzt +unaufhörlich den Kopf, weil Ritter Benedict nicht aufhörte, ganz ordentlich +und blühend auszusehen. + +Große Affekte und Leidenschaften sättigen auch den Leib, wenn sie Kinder +des Glückes sind, davon wußte Meister Feucht sammt seinen Kameraden wenig +oder dachte nicht daran. + +Benedict hielt mondenlang aus, machte sogar eine große Revüe mit und dankte +Gott, der ihm schon als Knabe die Fähigkeit gegeben zu hungern, um den +Mädlen Geschenke machen zu können. + +Die Revüe nützte seinem Magen, schadete jedoch seinen Finanzen so gewaltig, +daß er sich selbst in seinem letzten und wohlfeilen Vergnügen +beeinträchtigte. Bisher war die Dämmerungszeit sein gewesen; er hatte neben +dem großen Trommelschläger tiefergreifende, sehnsuchts- und wehmuthsvolle +Septimen- und Mollakkorde den Lüften anvertraut, um sie der angebeteten +Itania melodisch zuzuflüstern--jetzt übernahm er es, zwischen Licht und +Dunkel Monturstücke, Waffen und anderes Zeug für den Regimentsfourier und +Verwaltungsfourier zu putzen und erhielt von jedem derselben monatlich +anderthalb Gulden. + +Nebst einem herzbrechenden und hochbegeisterten Briefe hat er für mehr denn +fünfzig Gulden Schmuckwaaren an Itanien gesendet, die Antwort voll +Liebesgluth blieb nicht lange aus, deßhalb nahm er die Gelegenheit wahr, +kaufte für 36 Gulden Zeug zu einem fräuleinhaften Gewande und sandte es mit +einem bogenlangen Briefe ab. Er wartet mit fieberhafter Spannung auf +Antwort, hungert und spart, spart und hungert, denn im Frühling will er die +Burg besuchen und sich im vollen Glanze eines begüterten Ritters zeigen. + + * * * * * + + + + +#ITANIA, DAS KASERNENHÄSCHEN, DER DESERTEUR.# + + +Der Duckmäuser erhielt wirklich manchen Brief, in welchem Itania mit den +schönsten zärtlichsten und wohlgesetztesten Worten ihre innigste Liebe und +unverbrüchlichste Treue gegen ihn ausdrückte. Hundertmal des Tages zog er +diese Briefe aus der Brusttasche, küßte und las sie und las sie noch +einmal, bevor sie eingesteckt wurden. Der große Trommelschläger las +Itaniens Briefe auch und wenn er von Itanien anfing, dann hafteten +Benedicts Augen auf ihm, wie die eines Schwerkranken auf dem Arzte und +beide überlegen, welche Geschenke an Neujahr der Huldgöttin zu Füßen gelegt +werden sollten. + +Eines Morgens kommt der Glückliche vom Exerzierplatze heim, da erscheint +der Briefträger, um ihm zu sagen, es sei ein Päcklein für ihn da und er +möge es in seiner Wohnung holen. Eiligst geht er mit, erkennt Itanias Hand +auf der Adresse, unterschreibt den richtigen Empfang, fliegt zurück ins +Compagniezimmer und öffnet das Päcklein mit zitternder Hand, denn er +erwartet das wohlgetroffene Bildniß wohleingewickelt zu finden, um welches +er das Burgfräulein zu bitten wagte, und ein artiges Gegengeschenk. + +Doch--schreckensstarr und todtenblaß steht er da, denn all' seine Geschenke +sieht er wohlgeordnet vor seinen Augen, glaubt zu träumen und aus seinem +überirdischen Frühling plötzlich in den trostlosesten badischen +Altweibersommer hineingeworfen zu werden! ... + +Meister Feucht streicht seinen Fuchsbart und lacht wie ein Spitzbube, der +erste Fagotist schleicht hinter den schier zusammensinkenden Benedict und +schaut hinter dessen Rücken in folgende Hiobspost hinein: + +"Freunt! Vergebe sie mer, wenn ich ihne mit diesem Schreiben und dem +Zurikgeben des Bagets duschieren sollte. Sie seind mir lieb und werth, aber +ich will, kann und darf Nix von Ihne wisse, meine Ehre erlaubt es nicht, +denn wir wissen Alle sehr genau, daß Sie wegen schlechter Aufführung +öffentlich bekannt geworden, mußten aus dieser Ursach das elterlich haus +verlassen und stehen beim Regimend auch nicht in guter Haltung. So seind +unsere genauesten Erfahrnisse. Ich bitte daher, kommen Sie mir zu Liebe ihr +Lebtag nicht mehr auf die Burg, denn ich gebe mich durchaus in keiner +Beziehung mit einem so schlechten Basaschier ab und schäme mich genug, nur +Wohlgefallen an ihne gehabt zu haben.--Das Present aber (Gott was haben wir +für Angst gehabt, bis es wieder aus unserm Haus), so große Freid ich daran +hatte, könnte ich nicht behalten, weil ich befirchten mußte, daß es +gestolenes Gut sei. Nehme Sie es daher wieder und geben Sie es Einer, die +mit ihne gleich gesinnt ist, sonst schlagt mich der Vater tod, was übrigens +nicht nöthig ist. + +Mit durchdolchter Liebe und bleibender Achtung bin ich in Eile + + ihnige ehemalige treue Itania." + +Der Duckmäuser zittert vor Schrecken, Wuth und Schmerz, vermag weder zu +reden, noch zu denken und zu handeln, sitzt wie ein Sterbender auf seinem +Bett, bleibt etwa eine Stunde sitzen, dann zerreißt er den Brief in hundert +Fetzen und zermalmt (der große Trommelschläger hat denselben abgeschrieben, +um der staunenden Nachwelt einen Beweis der Herzlosigkeit unseres +tintenkleksenden Saeculums zu geben!) die Fetzen zu Staub, ballt die Fäuste +und knirscht. _"Warte, Karnali, du sollst's büßen!"_ Mit diesen Worten +dachte er an Rosele, denn er glaubte, diese habe aus Rachsucht nach der +Burg geschrieben und Alles verrathen. + +Der Seidenstoff war unter Itanias zarten Händen bereits zu einem +Weiberrocke geworden, der Hobist packt denselben zusammen, um ihn einer +Nätherin zu verkaufen. Hier trifft er mehrere junge Mädchen, schämt sich, +ein Kleid auszukramen, geht unverrichteter Sache wieder fort, tritt in ein +Bierhaus und die Kellnerin, ein etwas verblühtes doch hübsches Mädchen +meint: + +"Das ist ein Wunder, daß Sie allein kommen und dazu noch an einem Werktage. +Haben Sie sich heute verirrt?"--"Ich denke, es wird noch Mancher bei +Straßburg über die Brücke gehen, ohne von Ihnen gesehen zu werden!"--"Um +Vergebung, habe ich _den Herrn Ritter_ etwa beleidiget?"--"Nein, +durchaus nicht, gnädiges Fräulein, ich bin nicht so leicht zu beleidigen!" + +Das Wort "Herr Ritter" hat die Gemüthsstimmung des Duckmäusers plötzlich +verändert, er fängt ein langes freundliches Gespräch an, trinkt Bier dazu, +überzeugt sich, daß die Kellnerin Agatha eine ganz gewaltige Romanenleserin +gewesen sein muß, sich trotz dem duftendsten Ritterfräulein zu benehmen +weiß und--schon am andern Tage bringt er derselben Itanias Gewand und alle +Kostbarkeiten dazu als Weihnachtsgeschenk, beredet sie, das prosaische +Bierhaus aufzugeben und einen gemächlichen Dienst zu suchen, dabei weniger +auf Lohn, denn "auf gute Behandlung" zu sehen. + +Der große Trommelschläger war überzeugt, Itanias Brief sei ein Blendwerk +der Hölle, ein Zwangsbrief und der Ritter könne durch einen neuen Brief +wieder zu Ehren kommen, die Geliebte vielleicht aus unsäglichen Gefahren +befreien, doch Agatha versteht es, den Benedict zu bezaubern und zu +fesseln, in jeder Hinsicht die Seinige zu werden! + +Alles Arbeiten und Sparen hörte plötzlich auf, der Held war wenig mehr in +der Kaserne, verlor Zeit, Geld und noch weit mehr bei der Agatha und diese +benutzte die Gelegenheit vortrefflich, ihn in jeder Beziehung auszusaugen. +Itanias Gewand und Schmuck taugte nicht zu ihren bescheideneren Kleidern, +schöne Worte und Liebkosungen bewogen den Ritter, sie als Burgfräulein +vollständig und standesgemäß zu equipiren, sein Geld flog weg wie Spreu, +zum Arbeiten bekam er keine Zeit mehr und verlegte sich in der Raserei +seiner durch die beständig gereitzte Sinnlichkeit aufgestachelten +Leidenschaft auf--kühne Griffe, wobei ihn das Glück außerordentlich +begünstigte, so daß es wieder Spätjahr wurde, ohne daß er +Unannehmlichkeiten bekam. + +Uebrigens mußte Vater Jacob nicht nur erleben, daß die 50 Gulden, die er +von Liebhardt geliehen, nicht mehr zurückkamen, sondern auch, daß sein +ritterlicher Sohn häufig in der Nacht ins Dörflein kam und am Morgen mit +einem Theile des mütterlichen Vermögens von dannen zog, dabei den +Säbelgriff selten aus der Hand ließ. + +Nach der großen Revüe machte Ritter Benedict eine Luftfahrt mit Fräulein +Agatha, verschwendete in 3 Tagen 20 Kronenthaler theils auf Rechnung seines +Vermögens, theils auf Regimentsunkosten. + +Ein sogenannter Zufall ließ ihn während der Luftfahrt entdecken, die +Tieffühlende und Hochpoetische habe schon vor Jahren als zartsinnige +Jungfrau der badischen Regierung ganz unberufen zwei kleine Unterthanen +geschenkt und sei unter dem Namen "Kasernenhäschen" bekannt gewesen. Solche +unromantische Enttäuschung bewirkte, daß in grimmem Zorne der Ritter der +bisher Angebeteten den Fehdehandschuh ins Gesicht schleuderte, ohne die +Hand vorher aus dem Handschuhe herauszuziehen und dieselbe auf dem Wege +verließ. + +Sein Urlaub lautete auf 8 Tage und weil nach 3 Tagen sein Geldbeutel leer +geworden, hätte er in die Garnison zurückkehren sollen. + +Er that es nicht aus drei triftigen Gründen, nämlich erstens aus +Liebesschmerz, zweitens aus Furcht vor einem Wauwau beim Regimente, der ihm +gar bange Ahnungen machte und drittens aus Furcht vor der Zukunft, weil +eine Hauptquelle seines Einkommens, sein mütterliches Vermögen, vom +hartnäckigen Vater Jacob verstopft worden war. + +Nachts kommt er in das Rheindörflein, wo Rosa wohnt und wo er als Knecht +des Saumathis so glücklich gelebt hat; er will in den Adler, da begegnet +ihm sein alter Freund und Gutthäter, der Straßenbasche, packt ihn am Arm +und zwingt ihn, mit ihm zu gehen. "Was hat's Rosele verbrochen, daß Du sie +so verächtlich von Dir stießest?--Warum kannst Du so gegen uns sein, was +haben wir Dir zu Leide gethan?--Bist Du denn nicht mehr unser Freund? Mein, +wenn Du wüßtest, was alle Leute sagen!"--fragt und klagt der alte +Unteroffizier, doch hartnäckig bleibt der Duckmäuser dabei, Rosa sei an +allem Unheil Schuld, was ihm beim Regimente zustieß und wodurch jetzt sein +Glück für immer zerstört sei! + +Mutter Clara weiß gar nicht, was sie für ein Gesicht machen, geschweige was +sie reden soll, das Rosele sitzt neben ihr auf der Ofenbank, bringt vor +Schluchzen und Weinen keine Silbe hervor, endlich geht er zur Thüre hinaus, +läßt jedoch seine Kappe auf der Bank liegen. Rosa steht jetzt auf, geht ihm +nach und hält ihn fest: + +"Wo willst jetzt hin?" fragt sie seufzend und schluchzend. + +"Fort, so weit als die Welt offen steht, um Dir aus den Augen zu kommen!" +schnauzt er und will sich trotzig losreißen; sie hält ihn aus Leibeskräften +fest und weil er alle Fragen unbeantwortet läßt, will sie nur das Einzige +wissen, was er denn Schlechtes von ihr gehört habe, er möge es ihr +unverhehlt ins Gesicht sagen. + +Er bleibt stumm, sie erinnert an das Leben im Heimathsdörflein, an +Jugendzeit und Schuljahre, an die Zeit seines ersten Jahres bei den +Soldaten, an die Kirchweihe und will Alles thun, um ihn von Neuem zu +bessern, will ihm all ihr Geld freudig geben und zwar eine Summe, welche +ihn mehr als gerettet hätte, doch er brummt: "Hab Deine paar Groschen nicht +nöthig, behalte Du sie nur, Du wirst sie einmal nöthiger brauchen können!" +reißt sich von seinem weinenden Schutzengel los und verschwindet in der +finstern Nacht. + +Weil sein Urlaubspaß noch gültig war, hinderten die Zollwächter seine Fahrt +über den Rhein nicht, zumal im nächsten französischen Dorfe gerade die +Kirchweihe gefeiert wurde, wobei badische Gäste selten fehlen. + +Wir finden den Deserteur am andern Abend todesmüde vom Umherirren im +"grünen Baum" zu "Wanzenau," einem etwa zwei Stunden von Straßburg +entfernten Dorfe. + +Der Wirth, ein braver, als Elsässerfranzmann gegen "Deutschländer" +pflichtgemäß ein bischen eingenommener Mann, hat nicht nur den Deserteur +gern ins Haus aufgenommen, sondern sich von dem Schlaukopfe auch einen +stattlichen Bären auf die Nase binden lassen. + +Der Hobist behauptete, auf den Rath seiner Angehörigen desertirt zu sein, +um dadurch 50 Rohrhieben und dem sichern Tode zu entgehen, was ihm Alles +wegen eines zerbrochenen Säbels drohe. Er habe nämlich bei einer Kirchweihe +in einem badischen Dorfe aufgespielt, sein Säbel hatte an der Wand +gehangen, die Tänzer hätten vorigen Dienstag eine schwere Schlägerei +angefangen, sich seines Säbels bemächtiget, Verwundungen damit angerichtet +und zur guten Letzt die Waffe gar zerbrochen. Am Mittwoch hätten die +verhafteten Bursche von keinem Säbel Etwas wissen wollen, der Wirth habe +geradezu geläugnet, vom Benedict einen solchen zum Aufheben bekommen zu +haben, somit bleibe die "ganze Schmier" an ihm hängen und seine einzige +Rettung, in Frankreichs großmüthigen Armen Schutz zu suchen! ... + +Den Wirth zum grünen Baum, zugleich Maire des wohlhabenden Ortes hat das +Klarinettblasen des Duckmäusers dermaßen entzückt, daß dieser sein und gar +rasch der Liebling der ganzen Dorfjugend geworden ist. Am Tage arbeitet er +auf dem Felde, es kommt ihm sauer genug an, nachdem er so lange nur auf +Kasernenbrettern herumrutschte, doch vergibt er dem deutschen Fleiß nichts +gegenüber der französischen Landeskraft, Abends macht er in einem großen +Saale, worin unter Tags die hübschen Elsässerinnen mit ihren hellen +Aeuglein Welschkorn abschleizen, Musik und verdient schweres Geld. + +Alles geht vortrefflich, er läßt sich gerne neckend "Schwob" oder +"Gelbfüßler" nennen und denkt nicht ans Heimgehen, sondern an eine große +Hochzeit, welche einer der reichsten Bursche des Departements (die +Stadtherren freilich ausgenommen) hier feiert. Diese Hochzeit lockt sehr +zahlreiche Gäste herbei, währt drei Tage, der klarinettblasende Ritter +hätte sich in Wein und Bier ersäufen können, wenn er gewollt hätte, doch er +will dies nicht und aus guten Gründen. Der "große Maier," ein Schuster des +Dorfes, der kürzlich von seinem Cuirassierobersten beurlaubt wurde, will +dem armen Deserteur zeigen, daß er sich jetzt unter Franzosen befinde und +veranstaltet eine Collecte, welche so bedeutend ausfällt, daß der Benedict +ganz leicht ins Badische hätte zurückgehen und als ehrlicher Mann auftreten +können, wenn er nur gescheidt gewesen wäre. + +Doch sein Hochmuth läßt's ihm nicht zu; bereits vor der Hochzeit haben ihn +der große Maier, der Allis, der Stegenklemens, der Rappenschorsch und +Andere liebgewonnen und wenn das Schwitzen auf den Aeckern nicht wäre, +würde er wohl beim Wirth zum grünen Baum sein Lebenlang bleiben können! + +Während der Hochzeit wimmelt es im Wirthshause vom Dache bis zum Keller von +Gästen, das ganze Rathhaus ebenso, die 5 Musikanten kommen gar nicht mehr +zum Athmen, der lederne Instrumentenbeutel voll Franken und +Fünffrankenthalern bleibt ihr einziger Trost, der Benedict aber macht der +deutschen Musik unglaubliche Ehre. + +Man muß französische Musik mit deutscher verglichen haben, um dies leicht +zu begreifen, denn Musikanten und Sänger sind die Franzosen nicht, lieben +jedoch Musik und Gesang enthusiastisch und--Elsässer wollen in Allem +Franzosen sein. + +Ein Friedensrichter wurde durch die "dütschen Walser" des Deserteurs +dermaßen begeistert, daß er sofort mit dem Wirthe ausmacht, er soll den +"Schwob" nach der Hochzeit zu ihm senden, er werde dann denselben nach Metz +bringen und mit Hülfe seines Bruders, des Majors zu einem Hauptmusikanten +des 35. Regimentes machen. + +Doch Alles sollte anders kommen, der Duckmäuser in keine französische +Uniform, sondern in einen germanischen Zuchthauskittel schlüpfen! + +Am 4. Tage machten die Buben und Mädlen die üblichen Hochzeitspossen und +Umzüge, die Musikanten mußten überall voranschreiten, die Lustigkeit währte +tief in die Nacht und der dienstfertige Benedict suchte dieselbe auch auf +andere Weise denn durch seine Klarinette zu erhöhen. + +Er hatte in der Heimath einmal zugesehen, wie der Max in einer Scheune +seiner rothen Schwitt eine katholische Messe las und unternahm jetzt +dasselbe vor einem großen Haufen junger Leute. Still und lautlos sahen ihm +Alle zu bis zur Communion, wo er bei Nachäffung des kelchtrinkenden +Priesters beinahe erstickte. Jetzt erhob sich ein fürchterliches Toben, +Lärmen und hundert Stimmen riefen: "Meinst, wir seien lutherisch, Du +Schwob!--Schlagt den Schwob tod!"[tod!]--Nieder mit dem Ketzer!" + +Der lange Maier streckt den Dorfhanswurst mit einer einzigen Ohrfeige der +Länge nach auf den Boden, die Zunächststehenden fallen über ihn her, sie +hindern sich gegenseitig durch ihre Anzahl im Zuschlagen und er würde +sicher nicht lebendig davon gekommen sein, wenn nicht der alte Geistliche +sammt dem hochgeachteten Notar des Ortes zu seiner Hülfe herbeigeeilt +wären. Sie nahmen sich seiner barmherzig und kräftig an, die Fäuste ließen +ihn los, die Bursche und Männer tobten und lärmten nur noch bunt +durcheinander. + +Zu dem bleichen, zitternden Deserteur sagt der Adjunkt von Killstett. "Wir +wissen wohl, daß bei Euch drüben die Geistlichen nur Vormittags eine Stunde +geistlich, die übrige Zeit des Tages aber weltlich sind und daß ihr +Gelbfüßler alle lutherisch seid, doch bei uns kommt ihr mit solchen Späßen +nicht an!" + +Alle Freundlichkeit und Liebe gegen den Duckmäuser hat ein Ende, das +Brautpaar läßt den Hochzeitgästen und Musikanten sagen, sie möchten den +"gottlosen Schwob" ja nicht mehr ins Hochzeitshaus bringen, Gott könnte +ihnen keinen Segen schenken, wenn sie einen solchen Menschen wissentlich +unterhielten. Der große Maier macht bereits wieder Augen wie Pflugräder, +die Gesichter Anderer verkündigen einen neuen Sturm, der ehrwürdige Pfarrer +muß die Aergsten abermals beschwichtigen, Benedict sucht ängstlich +Gelegenheit zum Fortkommen, findet solche und kommt mit einigen Tritten und +Stößen glücklich ins Freie. + +Doch eilt er nicht sofort aus Wanzenau weg; der volle Instrumentenbeutel +hält ihn fest, er getraut sich nicht zurückzukehren und seinen Antheil zu +fordern, weil er im Dunkeln oder beim Wiedererscheinen gar zu leicht den +verdienten Lohn für sein Messelesen ernten könnte; die Theilung des Geldes +unter den Musikanten sollte erst am Ende der Hochzeit vorgenommen werden, +somit befindet er sich in einer recht mißlichen Lage und klettert zunächst +auf einen Baum, wo er sicher vor Entdeckung und im Stande ist, seine +Gedanken zu sammeln. Er wartet bis die meisten Leute wieder zum Rathhause +zurückgekehrt sind, klettert alsdann vom Baume herab, paßt eine gute +Gelegenheit ab, schleicht trotz einiger nachläßig gewordener und theilweise +betrunkener Aufpasser ins Haus zurück, erobert in der Geschwindigkeit nicht +blos seinen Lohn, sondern den ganzen schwergefüllten Instrumentenbeutel und +macht sich dann eiligst aus dem Staube. + +Jedoch noch nicht über die letzten Gärten und Häuser des Dorfes +hinausgekommen, vernimmt er bereits Allarm, hört auf allen Seiten schreien +und hinter sich einige Verfolger, darunter den großen Cuirassier, der +ungeheure Sätze macht und seinen Sarras unter schrecklichen französischen +und elsässischen Flüchen schwingt. + +Hat ein Romanenheld jemals den Silberschein des Mondes in die unterste +Hölle verflucht, so ist dieser der Benedict gewesen, während der +nächtlichen Galoppfahrt aus Wanzenau. Gleich einem Riesen der fabelhaften +Vorzeit schreitet der große Maier mit blitzendem Pallasch brüllend durch +die Mondnacht, hinter ihm quicken die gewöhnlichen, diesmal außergewöhnlich +erbosten Menschenkinder, jede Sekunde erhöht die Todesangst des +galloppirenden Benedict, denn jede Secunde bringt die Feinde näher und +vermehrt deren Zahl, schon hört er die schweren Athemzüge des keuchenden +Riesen, schon schwingt dieser die furchtbare Waffe und gebietet dem +"Spitzbuben" Halt auf Leben und Tod--im entscheidenden Augenblicke läßt +Benedict den schweren Instrumentenbeutel klirrend fallen, der Riese bleibt +stehen, der Verfolgte jedoch stürzt sich verzweifelnd in die Brisch, welche +breit und tief genug ist, um mit Dampfschiffen befahren zu werden, die +Todesangst verzehnfacht seine Kraft und glücklich erreicht er das +jenseitige Ufer. + +Drüben stehen die Verfolger, der große Maier ist im Besitze des +Instrumentenbeutels, man findet es nicht mehr der Mühe werth, den Deserteur +anders denn durch Schimpfnamen und Verwünschungen zu verfolgen, von denen +dieser bald nichts mehr hört, weil er triefend doch wohlgemuther auf's +Gerathewohl vom Flusse ins Land einwärts läuft. + +Mit Tagesanbruch kommt er in ein Dörflein, sein Geldbeutel ist auch ohne +den Instrumentenbeutel ordentlich gespickt, im Wirthshause legt er sich +sofort ins Bett, schläft volle 36 Stunden; seine Kleider sind indessen +getrocknet, Nöthiges schafft er an, wandert nach Straßburg "der +wunderschönen Stadt," meldet sich auf der Mairie nach Algier, wird von da +auf die Praefektur, von hier zum Rekrutirungskapitain, von diesem mit einem +Schreiben zu einem Komissaire beim Metzgerthor geschickt. Das Schreiben muß +ein Uriasbrief gewesen sein, denn der Komissaire ließ den verwunderten +Duckmäuser in den Neuthurm führen und hier volle 23 Tage Betrachtungen über +die Artigkeit und Zuneigung französischer Behörden gegen deutsche +Deserteurs anstellen. + +Nach dieser Frist ward unserm Helden eröffnet, bis auf weitere Ordre werde +Niemand nach Algier angeworben, somit müßte er die Reise nach Afrika +aufgeben; verstehe er jedoch ein Handwerk, so erhalte er einen für ganz +Frankreich gültigen Paß, widrigenfalls nur einen Paß in die Schweiz oder +über die Kehlerbrücke. + +Weil er kein Gewerbe erlernt hatte, begnügte er sich seufzend mit einem +Passe nach der Schweiz, wurde freigelassen, ging in den rothen Löwen und +setzte sich etwas tiefsinnig hinter ein "Kännle" Bier. + +Hier zieht er seinen Paß hervor, studirt vergeblich an dem französischen +Geschreibsel herum, möchte es ums Leben gern verdeutschen, flucht im besten +Deutsch leise vor sich hin, bis ein Herr, der in der Nähe sitzt und sich +nicht schämt, ein deutsches Wort zu sprechen, welche Schaam bei manchem +Philister der guten alten Reichsstadt Straßburg gefunden wird, ihm endlich +aus der Noth hilft. Dieser Herr setzt einen Nasenklemmer auf die nach +altdeutscher Sitte riechende Kupfernase, steckt dieselbe tief und gründlich +in den Paß und eröffnet dem erschreckenden Hobisten, daß er mit diesem +Passe nicht weiter als bis Basel komme, von dort aber nach Deutschland +ausgeliefert werde, weil in dem Passe bemerkt wäre, er sei ein Deserteur. + +Solch' ächtwälsche Hinterlist empört den aufrichtigen Duckmäuser ganz +gewaltig; er beschließt im Zorn, sich den Weg nach Basel zu ersparen und +gleich über die Kehlerbrücke zu spazieren, wo ein Häuflein alter +Waffengefährten stets zu finden, doch der Herr bemerkt, es sei noch nicht +aller Tage Abend und etwa um 20 Fränkchen ließe sich wohl auch noch ein +anderer Paß auftreiben. + +Der Duckmäuser geht den Handel ein, zahlt die 20 Franken in der Freude +seines Herzens, macht aus dem alten Uriasbrief Fidibus und dämpft ein +halbes Dutzend kölnische Pfeifen, während er die Rückkehr des Herrn mit dem +neuen Passe erwartet. Erst als Abends die Lichter im rothen Löwen +angezündet werden, geht unserm Helden auch ein Licht auf, doch ein ziemlich +düsteres; er stolpert durch die Stadt und Wälle bis zum Denkmal des wackern +Generals Defaix und weiß nicht, ob er sich in den "freien, deutschen Rhein" +stürzen und dadurch allen Verfolgungen und Gefahren des Erdenpilgerlebens +entgehen oder über die Brücke wandern und gute Miene zum bösen Spiel machen +soll. + +Nachdenklich setzt er sich auf einen Stein, schaut nach dem fernen +Schwarzwalde hinüber und träumt melancholisch von Itanien, bis ihn ein +kleiner Mann anredet und seinem Geschicke eine neue Wendung gibt; leider +schlägt dieselbe abermals zum Unheile und diesmal zum größten alles +erdenkbaren Unheiles aus.-- + +Bis hieher mag unsere Erzahlung gehen, den weitern Verlauf mag der Held +derselben selbst erzählen, weil wir jetzt doch wissen können, wen wir vor +uns haben und in das Zuchthaus zurückkehren müssen. + + + * * * * * + + +Die Nacht hat ihren sternbesäeten Schleier über die wunderliebliche +Landschaft ausgebreitet, durch welche das Auge manches kranken Gefangenen, +der sich an einem der Fenster des Krankensaales der warmen Sonnenstrahlen +freute, sehnsüchtig und träumerisch hinschweifte. + +Im Krankensaale, worin heute der Duckmäuser einzelne Abschnitte seiner +Geschichte mit vielen Verbesserungen und Verzierungen einigen Mitgefangenen +zum Besten gegeben, brennt nunmehr eine Laterne und vertheilt Licht und +Schatten ohne alle Rücksicht auf Kranke und Hausordnungen ziemlich +unzweckmäßig. + +Von der Außenwelt vernimmt das Ohr nur noch den regelmäßigen Schritt der +Hofwachen, zuweilen ein fern vorüberfliehendes Rollen der Kutschen oder die +muntern Lieder der Fidelen, welche in der nächsten Brauerei des Lebens +Unverstand mit und ohne Wehmuth genießen und wacker Bier dazu kneipen. + +Im Krankensaale dagegen hat die Nacht manche Unterbrechung der tiefen +Stille zu verdoppeln. Das Murmelthier schnarcht seinen kellertiefen +Grundbaß, der Seeräuber versucht von Zeit zu Zeit mit einem +ohrenzerreißenden Tenor einzufallen, der Exfourier flucht zuweilen leise +zuweilen laut über die Störenfriede, welche ihn nicht einmal an seine +Braune denken, geschweige einschlafen lassen, der Wirthssohn beneidet die +tiefen, schweren Athemzüge einiger genesenden Nachbarn und wälzt sich +ruhelos im Bette hin und her, die Auszehrenden hüsteln und ächzen, ein +Fieberkranker phantasirt von einem Amtmanne mit krummer Nase und scharfen +Klauen, der Patrik vom Hotzenwald droht von Zeit zu Zeit am Husten zu +ersticken, der glückselige Donatle lacht im Traume laut auf, der brave +unermüdliche Krankenwärter spazirt auf Socken aus und ein, denn in der +nächsten Stube liegt Einer, dessen Laufpaß in die ewige Heimath beinahe +unterschrieben ist und zum Ganzen gibt der Pendel der Schwarzwälderuhr den +schwerfälligen, melancholischen Takt. + +Der Duckmäuser schläft auch noch nicht, denn er muß dem Zuckerhannes, +welchem er Hoffnung auf Genesung und Befreiung eingeredet hat, seine +Geschichte vollends erzählen. + +Dieser glaubt nicht, den Todeskeim aufgeblüht in der leidenden Brust zu +tragen, sondern an Genesung und Befreiung und für letztere mindestens +scheint dem Unerfahrenen kein Strohhalm, sondern eine Schiffsladung von +Hoffnung vorhanden zu sein. + +Ist nicht am ersten Montage des laufenden Monats als am üblichen Besuchtage +die Emmerenz vom Hegäu herabgekommen und wie ein rettender Engel vor dem +Drathgitterfenster des Flechtwaarenmagazins gestanden und hat dem +ehemaligen Schatz Trost und Muth eingeredet? Erzählte sie nicht voll +Freuden, der Fesenbauer sei ins Dörflein und zu ihr gekommen und habe +merken lassen, er bereue die Sünden, welche er gegen die Brigitte begangen +und das Unglück, welches er über den Hannesle gebracht? Hat besagter +Fesenbauer nicht geschworen, er gäbe gerne seinen kleinen Finger, wenn er +damit dem Hannesle aus dem Zuchthause verhelfen könnte? Hat ein reicher +Bauer kein Gewicht beim Amt, bei der Regierung, den Landständen und beim +Großherzog und wird das einmal rege Gewissen des Michel wieder verstummen? +Wird dieser nicht Alles thun, um eine neue Untersuchung einzuleiten und +wird für seinen Sohn dieselbe nicht gewaltige Verminderung der Strafzeit, +baldige Begnadigung oder gar sofortige Freilassung zur Folge haben? + +Also sprach die Emmerenz am Besuchtage, ebenso heute morgen wieder der +Duckmäuser, welcher aufrichtig an die Möglichkeit der Befreiung, +zweifelhaft jedoch an das Wiederaufkommen seines Freundes glaubt und wie +sehr haben die hoffnungsreichen Reden der Beiden das kranke Herz des +kranken Zuckerhannes erquickt! + +Hoffnung und Freude sind für Kranke oft die wirksamsten Arzneien, der +Zuckerhannes hat's erfahren; er kann vor Aufregung nicht schlafen und hört +dem Duckmäuser zu, welcher ihm den Rest seiner Geschichte in die Ohren +flüstert, nämlich seiner auswendigen Geschichte, welche mit dem Eintritte +ins Zuchthaus schließt, während die inwendige noch nicht in den rechten +Gang gekommen ist und erst in der Zelle zu Bruchsal dazu kommen wird. + +Jetzt erzählt er vom rothen Löwen zu Straßburg, vom Steine beim Denkmal des +Generals Defaix, wir spitzen die Ohren und hören weiter Folgendes erzählen: + +"Wie ich so verlassen ohne Paß dahocke und recht betrübt an die Itania +denke, von der mich sichtbare und unsichtbare Berge trennen, kommt ein +klein, klein Männle auf mich zu und fragt gar sanft, was ich denn da +mache?["]--"Ho Nichts!"--"Nichts? wenn der Mensch nichts macht so sündigt +er!"--"Ja und wenn er Etwas macht, so kommt er in des Teufels Küche, wie +ist da zu helfen?"--"Was haben Sie für eine Religion?"--"Ho, ich bin +katholisch!"--"Katholisch? ... armer Mensch!"--"Ja, ein armer Teufel bin +ich, doch nicht weil ich katholisch, sondern hier fremd bin!"--"Hier fremd +und dort fremd, armer, armer Bruder!"-- + +Kurz, das Männlein fängt ein Gespräch mit mir an, ich merke, daß es sehr +fromm ist, thue auch fromm, erfahre, er sei kein Straßburger, sondern habe +blos einen kleinen Spazirgang gemacht, weil er vor lauter Liebe zum Lamme +oft nicht mehr recht schnaufen könne, wohne mehrere Stunden oberhalb +Straßburg, heiße Meister März und sei ein vom Herrn mit zeitlichen Gütern +reichgesegneter Mann, der in diesen Zeiten babylonischer Verwirrung seinen +Brüdern, welche die "Diener am Worte" und den Herrn Jesum Christum hoch +hielten, gerne unter die Arme greife, aus zeitlichem Elend und dem ewigen +Höllenpfuhl errette. + +Natürlich stellte ich mich immer frömmer, Meister März entdeckte mir bald, +er sei am 5. October 1831 Abends zwischen 5 und 6 Uhr in dem an zeitlichen +Gütern und gottseligen Seelen so reichen Basel bei Mariot in den Stand der +Gnade gekommen. So Etwas sollte mir passiren, ich könnte den Gnadenstand +brauchen! meinte ich und wer mich beredete, nach Straßburg zurückzugehen, +um zu übernachten und morgen mit ihm heimzufahren, der war mein Meister +März. + +Derselbe logirte bei einer gottseligen Wittwe in der Nähe des +Kleberplatzes; ich übernachtete in einem Wirthshause... ich glaube, es hieß +zum goldenen Apfel! ... und am andern Morgen holte mich Meister März ab und +freute sich sehr, weil ich just in einer großen Bibel las, die der kleine +Wicht mir schon am Abend nebst vielen abscheulich langweiligen Traktätlein +verehrt hatte. + +Er führte ein Wägelchen bei sich und ich sah auf den ersten Blick, daß er +ein gutes Männlein sei gegen Gleichgesinnte und das Gute oder Schlimme an +sich trug, alle Leute gleichgesinnt machen zu wollen. Die gottselige Wittwe +hat ihm viele Bibeln und ganze Päcke erbaulicher Flugschriften mitgegeben, +auf der Landstraße verschenkte er seine Bibeln an Handwerksbursche, +Marktweiber, Bauern und Bettler und als ich beim Ausstreuen und Vertheilen +der Traktätlein half, lächelte er gar lieblich... Stelle dir ein +hellbraunes Männlein vor, mit zarten Löcklein vor jedem Ohre, das Köpfchen +etwas zur Seite geneigt, die Augen den ganzen Tag voll Wasser und +Freundlichkeit, mit bleichen Wangen, einer löschhornartigen Nase, fromm +verzogenen und selig lächelndem Munde, im ganzen Gesichte kein Härlein +außer etwa 10 bis 12, welche einen Backenbart vorstellen sollten, ganz +einfache doch hübsche Kleider und du hast den Meister März, dessen feine +zarte Händlein eher einem Schulmeisterlein, denn einem Schreiner +anzugehören scheinen. + +Er redete lauter gottselige Dinge von Zion, Babel, den Freuden des +Lämmleins, von der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechtes, vom Gnadenstand +der Anhänger des "lieben, einfältigen Evangeliums," vom "treuen +Gottesmanne" Martinus Luther, vom Antichrist und von der babylonischen Hure +und ehe ich mit ihm heimkam, wußte ich schon, die Offenbarung Johannis +werde von uns fleischlichgesinnten Papisten seit 18 Jahrhunderten +_nicht_ verstanden, doch _er_, der Meister März und andere +gottselige Leute, bei denen der heilige Geist täglich sein Absteigequatier +nehme, wüßten, daß das tausendjährige Reich und die Zerstörung des +römischen Babel in ganz naher Aussicht ständen und daß der Teufel jeden am +Schopfe nehmen werde, welcher es zuließ, daß die katholische Abgötterei +"die Geister gedämpft" habe. + +Er beredete mich unterwegs einen falschen Namen anzunehmen und mich für +einen von den "römischen Geistlichen schwer verfolgten Freund der Diener am +Worte" auszugeben, welcher wegen Verbreitung von Schriften der Anhänger des +lieben einfältigen Evangeliums um sein Brod gekommen sei. Zunächst +versprach er dagegen, mich in seinem Hause aufzunehmen, das +Schreinergewerbe, zu welchem ich stets Freude hatte, lernen zu lassen und +mit allem auszurüsten, was zu einem behäbigen und wohlanständigen Leben in +Gottseligkeit gehört, wenn ich etwa als einen "Praedestinirten" mich +erwiese! + +Kannst Dir leicht denken, daß mich Meister März arg langweilte, doch habe +ich mich stets nach den Leuten gerichtet, diesmal befand ich mich in der +höchsten Noth, er versprach mir Alles, was ich brauche und der Wein sammt +dem Likör, welchen er neben seinen Bibeln in der Truhe des Wagensitzes +hatte und gegen Abend so wacker genoß, daß ich an den Compagnieschneider +Feucht dachte, setzten mich so ins Feuer, daß ich schon auf dem Wege ein +geistliches Lied von ihm erlernte, welches er abwechselnd unter Weinen und +Lachen sang und dessen Melodie ich auf der Klarinette nachspielte. Meine +Geschicklichkeit entzückte ihn dermaßen, daß er laut weinte, mir die Zügel +um den Arm band, auf die Knie sank und mit gefalteten Händen die ersten +Strophen seines Lieblingsliedes sang. + +Es war gut, daß es Nacht war und uns Niemand begegnete, ich blies so +rührend als möglich und er sang unter Thränen: + + Was ist ein Kreuz-Luft-Hühnelein? + Laßt's auch nur Kreuz-Luft-Putchen sein: + Ein Thierlein, das die Henne reucht, + Mit welcher sich das Lamm vergleicht + Dort bei Jerusalem! ... + +... Auf dem Wege sprach Meister März in keinem Wirthshause ein, doch +beinahe in jedem Dorfe saß eine gottselige "Schwester", welche mit ihm in +die Nebenkammer ging, um dem Lamme für die glückliche Ankunft des Bruders +zu danken und uns dann besser bewirthete, als es der Grünbaumwirth in +Wanzenau bei allem Reichthum hätte thun können. + +Spät in der Nacht kamen wir im Wohnorte und Hause des Meisters März an; +eine Schaar andächtiger Frauen und gottseliger Männer sammt zwei jungen, +äußerst bleich und fromm aussehenden "Dienern am Worte" waren in einem +Hintergebäude des Hauses noch in Gebet und Betrachtungen versunken, Meister +März stellte mich denselben vor und ich sah, wie große Augen alle machten +und zusammenschauderten, als sie hörten, ich sei ein "Papist aus +Dütschland." + +Einige liebliche Mädlen und gottselige Wittwen versprachen, für mich, den +in den Banden des Irrthums, der Ungnade und des Satans gefangenen Mitbruder +inbrünstig zu bitten und ihre Liebe rührte mich dermaßen, daß ich helle +Thränen vergoß! + +Du weißt, Zuckerhannes, daß ich wohl der geschickteste Schreiner des +Zuchthauses bin, ich habe als Gefangener dieses schöne Gewerbe in einer +Reihe von Jahren vom Fundamente aus gelernt, doch den ersten Grund dazu +legte ich bei Meister März. + +Meister März arbeitete nicht selbst; er führte mit einem Gehülfen und +Obergesellen das Geschäft und betete, machte Besuche und Reisen, hielt in +der großen Werkstätte Versammlungen, gab mir Essen, Trinken, Kleider, ließ +mich nicht als Lehrjungen, sondern als Bruder behandeln, betete stündlich +um meinen Gnadenstand und suchte mich auf jede Weise zu überreden, der +"römischen Abgötterei" zu entsagen. + +Er hielt viel auf meinen gescheidten Kopf und meine frommen Gesinnungen und +ich darf wohl behaupten, daß ich jetzt einer der reichsten Schreiner des +Elsasses und leicht der Schwager meines Meisters wäre, wenn ich es nur über +mich gebracht hätte, meinen Glauben abzuschwören! + +Nach und nach erzählte ich ihm viele Streiche und Verirrungen meines +Lebens, aber er ließ deßhalb nicht nach mit Zudringlichkeit und meinte, der +Mensch sei unfähig ein gottgefälliges Werk zu vollbringen, die Werke des +Menschen seien ohne Bedeutung und der Glaube allein mache selig, ich aber +müsse noch zum Glauben und Gnadenstand gelangen, das habe ihm eine +wunderbare Erscheinung schon in Straßburg angekündiget und er sei das +Werkzeug, welches mich aus einem heidnischen Gefäße des Zornes zu einem +christlichen Gefäße der Gnade mache. + +Mein Meister hatte schon manche Seele für "das Wort" gewonnen, bei mir +machte er sammt seiner arg verliebten Schwester große Versprechungen, kam +doch nicht rasch genug zum Ziele und merkte, daß es mir nur darum zu thun +sei, geschwind ein Schreiner zu werden und dann in die sündige Welt +hinauszuwandern, in Paris statt in Zion Arbeit zu suchen! ... An der +katholischen Religion liegt mir in der That wenig; man vergißt dergleichen +Dinge in der Kaserne, wo Evangelische und Juden darüber spotten und im +Zuchthause ist es ebenso, aber ich brachte es nicht über mich, meinen alten +Glauben abzuschwören, wiewohl ich mit den Lutherischen in ihre Conventikel +und Predigten ging, aus Klugheit und zur Unterhaltung die Schriften von +Jung-Stilling und Anderen las, auch das alte Testament fast auswendig +lernte und Mariotts wässerige Traktätlein fleißig vertheilte. + +Daheim im Dörflein hat meine Mutter von den Lutheranern mir früh viel Arges +erzählt; ich verabscheute dieselben beinahe, wie ich die Juden fürchtete, +hielt sie für böse Geister, aus welchen einmal der Antichrist erzeugt werde +und konnte mich von dem Aberglauben nicht losreißen, ein abgefallener +Katholik sei ewig ein Kind der Hölle und des Teufels. Vieles, was ich im +Hause meines Meisters sah und hörte, bestärkte mich im Aberglauben der +Mutter; Hochmuth und Wollust spielen bei den Muckern eine wüste und +unerträgliche Rolle und so oft ich auch versprach, meinen katholischen +Glauben fahren zu lassen, wenn man mir noch ein wenig Frist lasse, ebenso +oft trat ich zurück, wenn die Frist vorüber war. + +Eines Abends, wo der Meister mich schon recht kühl und bissig behandelte, +so daß ich gerne fortgelaufen wäre, wenn ich nur einen Paß und Geld gehabt +hätte, spottete ich über die Frömmigkeit einer Betschwester, die ich bei +einem Andern als ihrem Manne ertappte. + +Am andern Morgen kommt der Mann der Betschwester, verflucht meine böse +Zunge und babylonische Herzensverwirrung, der Meister März seufzt, verdreht +die Augen und lispelt: ["]Benedict, du bist und bleibst ein abgöttischer +Papist, entweder nimmst du noch heute meinen Glauben an oder gehst aus dem +Hause, denn mein Gewissen duldet es nicht, mich mit einem Unmenschen deiner +Art abzugeben, der eine fromme Schwester verläumdet!" Ich antworte patzig, +das fromme Männlein wird ganz wüthend, verdammt mich in die unterste Hölle, +ich gehe den Bündel zu schnüren und wenn Meister Märzens Schwester mir +nicht gesagt hätte, mich augenblicklich aus dem Staube zu machen und ihrer +angenehmen Nächstenliebe eingedenk zu bleiben, so würde mich der Gensdarm +erwischt haben, denn dieser war keine zehn Schritte mehr vom Hause, als ich +zur Hinterthüre hinausschlich. + +Ohne Paß und Kleider, besaß ich nichts außer einem Fünflivre, den Mamsell +März mir in der Eile zugesteckt hatte, lief gleich einem Feuerreiter Tag +und Nacht und kam halbtod [halbtodt] wieder nach beinahe vierteljähriger +Abwesenheit in Straßburg an. + +Hier blieb ich über Nacht, spazirte bei Kehl über die Brücke und schlug den +Weg nach meinem Heimathdörflein ein, um den Rest meines mütterlichen +Vermögens oder doch einige Napoleons zu holen und mich damit in die Schweiz +zu machen. Glaubst du es, mein lieber Zuckerhannes? + +... Schläfst du? ... Nun, s'ist gleich aus; ich reiste zu meinem Vater auf +ähnliche Weise, wie du, hungerte am Tage, lief bei Nacht und fand auch eine +kühle, böse Aufnahme! Du weißt es! Alles im Dörflein ist todtenstill, wie +ich hinkomme, nur einige Hofhunde bellten in die Nacht hinaus, zu Hause lag +Alles wie der Vater im Schlafe; ich klopfe, er steht auf, schaut zum +Fenster heraus, erkennt mich, rennt fort, um die Flinte zu holen und droht, +mich elenden Spitzbuben über den Haufen zu schießen, wenn ich nicht +augenblicklich fortgehe. + +Die Verzweiflung macht mich rasend, der Teufel zeigt mir einen Bengel, der +mitten im Hofe lag, ich packe denselben und schlage so wüthend auf die +Thüre los, daß alle Geschwister und die Nachbarn wach werden und laut +rufen. + +Plötzlich öffnet der Vater die Thüre, drückt die Flinte auf mich ab, die +Kugel streift aber blos die Achsel ["]... schau da, Zuckerhannes, dies +Wundmal ist die ewige Erinnerung an jenen fürchterlichen Augenblick! ... +ich haue in blinder, besinnungsloser Wuth mit dem langen, knorrigen Bengel +in den dunkeln Hausgang hinein und ehe ich den dritten Schlag thue, packen +mich des Liebhardts Knecht und der Hansjörg, der mit mir so lange auf dem +Katzenbänklein gesessen, von hinten, der Hannesle stürzt mit dem Lichte und +einem alten Säbel aus der Thüre und ... ich schaudere, wenn ich daran +denke, du magst dir alles Andere selbst denken!" ... Schaudernd kehrt sich +der Duckmäuser ab, schlüpft mit dem Kopfe unter den Teppich und es bleibt +ungewiß, ob er weine oder schlafe. + +Der altersgraue, finstere und allzuharte, doch sonst brave Jacob lag +blutend damals in der Hausflur, der Kopf war ihm auf einer Seite ganz +zerschmettert, er stöhnte und röchelte nur noch wenige Augenblicke und +verschied, ehe irgend eine Hülfe kommen konnte. + +Sein Sohn, der ehemalige Unterlehrer, Dorfhanswurst, Anführer der +Altmodischen, Schweinehirt, Hobist und Schreiner ist ein _Vatermörder_ +geworden und sitzt als solcher jetzt schon lange Jahre im Zuchthause. Er +ist gelassen, gleichmüthig, folgsam, arbeitsam, doch _gebessert_ ist +er nicht, schiebt die Schuld seines Unglückes nur auf Andere und wenn er +auch zugibt, der Teufel habe ihn schlecht und verbrecherisch gemacht, so +weiß er doch nicht, auf welche Weise er der Herrschaft des Teufels zu +entrinnen vermöchte. + + + * * * * * + + + +#DER DUCKMÄUSER LÄßT SICH ETWAS ERZÄHLEN.# + + +Der Duckmäuser liegt im Schlafsaale und flüstert zum Kameraden hinüber: + +"Schau, es geht jetzt ins 10. Jahr--bis Peter und Paule wird's just zehn, +daß mich die Gensdarmen geholt haben und darfst glauben, daß ich wenig +Freuden erlebte und nur so mitmachte von einem Tag zum andern und war froh, +wenn ich recht ermüdet im Schlafsaal lag. Der Zuckerhannes blieb der Erste +und Letzte, mit Dem ich mich näher einließ und ihm meine wahre Geschichte +erzählte. Er ist ein guter, armer Kerl, hat's auch im Zuchthaus besser +gefunden als draußen und sie würden ihn schon wieder gekriegt haben, davor +bin ich nicht bange! ... Ist Einer _einmal_ da gewesen, so geht's das +zweite Mal viel leichter bei den Rechtsverdrehern und bei denen, die sie +schon in den Klauen gehabt haben! ... 'S ist gut, daß er tod ist!" + +"Ja, weiß Gott, seufzt der Donat, 'n armer Teufel hockt geschwinder im +Zuchthaus, als man eine Hand umkehrt. Bin jetzt das erste Mal da, aber ich +hab' meine Sach in Amtslöchern und Correctionshäusern schon mitgemacht und +es ist mir wunderlich gegangen, könnte ein Buch davon schreiben!" + +"Ei, draußen kannst du doch Einem aus dem Wege gehen, der dir nicht gefällt +oder ihm Eins hinter die Ohren schlagen, aber hier? ... Seit der Teufel den +Spaniolen hereingebracht hat, ist's mit meiner Ruhe aus; wenn ich den +dürren Halunken mit seinen falschen Augen, die eine halbe Stunde weit im +Kopf drinnen liegen, nur ansehe, ist mir das Leben verleidet und ich +zittere an allen Gliedern und er regiert Alles, leitet Alles, kann's mit +den Aufsehern, daß es ein Schade ist. Fünf Jahre war ich nie im Arrest, +jetzt komme ich alle Augenblicke hinein und Alles ob dem Spitzbuben! + +"Der Spaniol ist ein Teufelskerl und ich meine immer, ich hätte ihn auch +schon gesehen in Donaueschingen oder in der Neustadt ... nein es war in +Lengkirch, wo er 3 oder 4 verschlossene Wagen mit fremden Thieren +commandirte und auf die Freiburgermesse zog... Er mahnt mich an Einen, dem +ich auch gerne mit der Holzaxt winkte!" + +"Verdammt, ich kann heut nicht schlafen, 's geht mir jedesmal so, wenn ich +Beize kochen muß, das Geschäft ist zu leicht für mich! brummte der +Duckmäuser;--weißt Du was, Donat, erzähle mir deine Geschichte, ich erfahre +dann wieder, wie's draußen bei ordentlichen Leuten zugeht und lerne Dich +kennen!" + +"Kann auch nicht schlafen, Du hast mir Deine Sache auch ausführlich +erzählt, eine Ehre ist der andern werth! ... Wer hat heute Nacht die +Wache?" + +"Der alte Moritz, der sieht nichts und hört nichts und wenn er kommt, +rieche ich ihn von weiten." + +"Riechen? ich habe noch nichts gerochen! meinte der Donat." + +"Hoho, warte nur, bis Du ein, zwei, drei, fünf Jährle hockst, dann wirst Du +Schnaps oder Tabak auf hundert Schritte riechen durch allen Gestank +hindurch! ... Fange nur ruhig an, wir stecken die Köpfe unter den Teppich +und ich halte die Ohren zu Dir, wie der Pfarrer, wenn er Beichte hörte!" + +"Ja, Du mußt mir aber _mehr_ glauben als er, er glaubt Keinem mehr, +weil die Meisten ihn anlügen, und die vor Allem, die Begnadigung wollen. +Der Stoffel hat mir erst gestern gesagt, er habe im Beichtstuhle mehr Gutes +als Böses gebeichtet und zwar so, daß bei seinen Gutthaten jedesmal ein +kleines Häkchen war, daß sie halb und halb wie eine Sünde aussehen! ... Er +spielt den heiligen Crispin, der den Reichen Leder stahl, um den Armen +Stiefel zu machen; es war gut, daß dieser nicht im Badischen lebte, wo sie +allgemach das Almosengeben bei drei Gulden Strafe verbieten, wenn man sein +eigen Sach' herschenkt!" + +"Nur zu, das gibt Rekruten fürs Zuchthaus! lachte der Duckmäuser. Wenn's +Bettele verboten wird, wird das Stehlen erlaubter! ... Doch, fange an, +kannst schon ein bischen laut reden, das Murmelthier schnarcht wie +besessen, daß man sein eigen Wort kaum hört!" + +"Das Beste ist, daß man Gedanken nicht einsperren kann, ich hocke da, doch +meine Gedanken streifen den ganzen Tag herum, und am liebsten nach dem +Unterland oder das Höllenthal hinauf gegen Lenzkirch, denn dort ist meine +Heimath, nämlich in jener Gegend, die für so rauh und wüst verschrieen wird +und mir doch hundert Mal besser gefällt, als der Breisgau mit allem Wein +und Obst und Kesten und der großen, schönen Stadt Freiburg dazu. Ich sehe +wahrhaftig mein niederes Strohdach und die langen braunen, hölzernen Wände, +den Milchbrunnen, den Misthaufen beim Hause und die Halde worauf es still +und heimelig steht und hinabschaut in das Thal mit den zerstreuten Häusern. +Ringsum lauter Tannenwald und dunkle Höhen, statt Trauben Tannenzapfen, +statt Aprikosen und Kesten, Schlehen und Elzbeeren und statt Welschkorn und +Tabak einzelne Hafer- und Kartoffelfelder, die selten gut ausgeben. Aber +wie schön ist's, wenn der haushohe Schnee schmilzt, die würzige +Frühlingsluft aus den Tannenwäldern herüberweht und die blitzenden Bächlein +durch die Matten eilen, mit ihrem würzigen Grün, den gelben, rothen und +weißen Blumen! ... Holz, Vieh, Milch und Schmalz gibt's bei uns auf dem +Walde und kunstfertige Leute dazu und in so mancher Strohhütte steckt mehr +Geld und Gut und vielleicht auch Bravheit, als hier wohl in manchem +Herrenhause." + +"Wenn Du so anfängst, dann werden wir vor Morgen nicht fertig; rede nicht +lang von der Heimath, sonst muß ich an meine denken, nein, _die_ ist +schön! ... Der Mensch ist halt auch wie das Vieh, er geräth am besten, wo +er daheim ist und ist ihm dort am wohlsten, wenn's in Sibirien wäre!--O +Gott!"-- + +"Sibirien? Ja, das badische Sibirien nennt man meine Gegend und noch mehr +die rechts gegen den Schluchsen und Feldberg zu. Meinethalben, ich möchte +doch mein Lebenlang gern als der ärmste Holzschläger oder Kohlenbrenner +dort leben! Jetzt will ich erzählen, wie Du es wünschest, aber wie +wünschest Du es? Ich kann halt nicht viel besser reden, als mir das Maul +gewachsen ist und man kriegt so wunderliche Gedanken!" + +"Thatsachen will ich, lauter Thatsachen!" flüsterte der Duckmäuser. + +"Aha, Thatsachen! weiß was das ist, wer ins Zuchthaus soll, erfährts! +Herrgott, wie haben sie mich mit den verdammten "Thatsachen" gequält, die +Leuteschinder und am Ende doch wegen Etwas verurtheilt, was gar keine +Thatsache ist! ... will also mit Dir reden, wie es der Asessor haben +wollte, lauter Thatsachen! paß auf!" + +Gerade wie der Zuckerhannes hatte ich auch keinen Vater, daß heißt, der +Halunke wollte nichts von mir wissen. Meine Mutter war bei Lenzkirch daheim +und diente in Freiburg in der Salzgasse und später in der Egelgasse. Sie +soll ein hübsches "Mensch" gewesen sein und ich glaube es, denn ihre +schwarzen Augen und Haare und ihr kurzer stämmiger Leib blieb, als die +rothen Backen längst verschwunden und der Mund nicht viel mehr lächelte. +Die Studenten, Offiziere und andere Herren waren ihr sehr auf den Fersen, +sie wußte davon zu erzählen, aber sie wollte lange gar keinen Liebhaber und +am Ende doch lieber Einen, der sich offen mit ihr sehen ließ, als so einen +Vornehmen, der nur ins geheim lockt und schmeichelt und jede Gans weiß, +wohinaus das Ding will. Am Ende bekam sie ein Unteroffizier am Bändel, der +ihr ganze Packe Briefe und Gedichte schrieb, in der Dämmerung niemals im +Hausgange fehlte, lauter Liebes, Gutes und Süßes gelobte und nicht ruhte, +bis ich da war. Er gab um Heirathserlaubniß ein, sagte und schwur es +wenigstens, doch war er noch kein Einständer und als das Regiment nach +Carlsruhe kam, war meine Alte petschirt und heulte sich fast die Augen aus +dem Kopf. Sie that mich zu meiner Großmutter im Haus auf der Halde, das ich +Dir beschrieb und ich verlebte dort meine besten Tage. Die Zeit, wo ich den +ganzen Tag eine Rotznase hatte und im bloßen Hemd herumklunkerte, ist die +schönste gewesen und ich wollte nur, daß ich wieder ein "Hemmetklunker" +wäre! ... Ich ging ins achte Jahr und hatte schon einigemal die Schule +besucht, wenn der Weg nicht verschneit war und auch die Mutter oft gesehen, +die mir jedesmal die Nase alle Augenblicke putzte und mir Gutseln oder +Butterwecken brachte, was ich um mein Leben gern aß, da legte sich die +Großmutter hin und starb. Ich durfte nicht mehr in der Hinterstube bleiben, +wo ich wie im Himmel gelebt, denn die andern Leute auf der Halde hätten +mich zwar behalten, allein die Mutter war unten im Dorfe verheirathet und +nahm mich zu sich. + +Der Gang von der Halde war der Gang in mein Unglück. + +Meine Mutter hatte einen Wittwer geheirathet, der für einen Uhrenmacher in +Lenzkirch arbeitete, jedoch nicht in Lenzkirch sondern daheim. + +Dieser Wittwer besaß eine durstige Gurgel, einen Humor, wie ihn der Teufel +nicht besser haben kann und 3 Kinder von der frühern Frau, die er unter den +Boden gebracht hatte mit Schimpfen und Schlagen. + +Er zeigte mir, was es heiße, einen Stiefvater zu besitzen und plagte mich +sammt der Mutter um die Wette, prügelte seine eigenen Kinder dazu und wer +von Allen geschimpft, geschlagen, gestoßen wurde und kaum mehr als ein +Kreuzschnabel zu fressen bekam, der war ich ... Meine Mutter mußte es vom +frühen Morgen bis tief in die Nacht hören, daß sie ein Soldatenmensch und +ich ein Bankert sei und wenn der Stiefvater besoffen von Lenzkirch kam, gab +es oft die ganze Nacht keine Ruhe. + +Die Mutter schlug mich nie, aber tausend Mal sagte sie, um meinetwillen +allein müsse sie leben wie ein Hund und es gereue sie, mich nicht in die +Dreisam geworfen oder erwürgt zu haben, bevor ich recht auf der Welt war! +Dafür mag der Teufel dem Unteroffizier danken! + +Die Leute im Dorfe waren nicht so arg wie die Landleute des Zuckerhannes, +ich bekam es besser und trieb mich die meiste Zeit in andern Häusern herum, +wo ich zu essen genug bekam, weil man wußte, wie mich der Stiefvater +behandelte und mich sammt der Mutter bedauerte, die sich tagaus tagein +schinden und plagen mußte und das ganze Jahr keine gute Stunde dafür bekam. +Der Pfarrer sah das Elend und sprach sie von dem wüsten Kerl weg, der aber +konnte mit dem Hauswesen und den 3 Kindern nicht allein fertig werden und +weil meine Mutter sich doch nicht ganz scheiden lassen konnte, ließ sie +sich durch seine Bitten und Versprechungen bethören und zog wieder mit mir +zu ihm. Bald fing der alte Tanz wieder an, meine Mutter bekam auch ein Kind +und dann gleich noch eines und seitdem konnte auch sie mich nicht mehr +leiden und ich irrte Tag und Nacht aus einem Hause ins andere, wo man mir +einen Platz am Ofen gönnte und etwas Warmes gab. Solches war auch nicht +überall der Fall, ich mußte auch von fremden Leuten bittere Dinge hören und +Schläge hinnehmen, doch hatte ich meine bestimmten Häuser und suchte mich +wohl daran zu machen durch Viehhüten oder Botengänge nach Lenzkirch oder in +die Neustadt oder was man mich sonst hieß. + +Ich besuchte auch die Schule und betete fleißig, denn oft genug sagte die +Mutter "Donatle, bete und denke an Gott, du hast sonst Niemanden auf der +Welt, ich kann Deine Mutter nicht sein, das siehst Du!" + +Gottlob, daß sie unter dem Boden ist, meine Kette da brächte sie sonst +hinab; sie ist schon lange todt und habe ihren Leichenzug nicht gesehen, +Gott schenke ihr die ewige Ruhe und Glückseligkeit! Auf der Welt hat sie +wenig Gutes gehabt und war doch keine böse Frau, nur zu gut für den +schlechten Stiefvater! + +Ich war bald 14 Jahre alt, da wurde unser Pfarrer versetzt und _den_ +Tag, wo der neue zum ersten Mal in die Schule kam, vergesse ich in meinem +Leben nicht! Das fortwährende Schimpfiren und Verlästern der Geistlichen +ist nicht schön und recht, es gibt gute Herren unter ihnen und der neue war +Einer davon. + +Er betrachtete mich genau, weil ich gar elend dreinsah und keinen Fetzen an +mir trug, den ein Lumpenmann hätte nehmen mögen, fragte mich, wer und woher +und dies und das und heißt mich am andern Tage ... es war just ein +Donnerstag und wir hatten "Vacanz"... in den Pfarrhof kommen. + +Kannst Dir denken, daß ich den Tag kaum abwarten konnte und hoffte, Etwas +zu kriegen. Als ich zu ihm hineintrat, fragt er mich, ob ich den Weg nach +Bonndorf wisse, ich sage: ja; dann fragt er, ob ich einen Brief an den +Herrn Stadtpfarrer in Bonndorf besorgen wolle und ich sage: gern! Da mußte +ich mich in ein anderes Zimmer setzen, die Köchin brachte mir Etwas zu +essen und ein Glas Wein, daß ich meinte, jetzt auch einmal ein großer Herr +zu sein. Nachher gab mir der Pfarrer noch einen Sechser und meinte, ich +solle in Bonndorf etwas essen, doch ich hatte gegessen, einen Sechser in +meinem Leben noch nicht gehabt und der Wein gab mir Kraft und Muth, daß ich +gar nicht spürte, was für ein Wind von Sankt Blasien herpiff [herpfiff] und +daß ich baarfuß herumzottelte. Ich flog wahrhaftig, denn in Bonndorf +glaubte ich wieder Etwas zu bekommen, bekam auch einen Zwölfer und einen +Brief retour. Als ich den Brief abgab, fragt der Herr, ob ich meinen +Sechser gebraucht habe, ich zeigte ihm den Fetzen Papier, den ich zwischen +Lenzkirch und Bonndorf gefunden, worin ich mein Geld eingewickelt hatte und +streckte es hin, damit er es wieder nehme. Doch ließ er mir nicht nur das +Geld, sondern schenkte mir auch einen Rock, ein paar Hosen und bezahlte den +Schneider, der mir eine prächtige Montur daraus zuwege machte; kurz, der +Pfarrer wurde mein Vater, ihm zu Liebe lernte ich besser in der Schule und +es war ein großes Unglück, daß der gute Herr sehr bald aus der Gegend +fortkam, denn er hat mir oft gesagt, ich müßte eine gute Profession lernen +und wenn dieses geschehen wäre, läge ich nicht in einer Kette hier! + +Kann's nicht beschreiben, wie gut der Mann gegen mich elendes Kind gewesen +ist, Gott wirds ihm entgelten und ich will froh sein, wenn er nichts von +mir erfährt! + +Ich möchte noch Vieles sagen, lauter Thatsachen, Duckmäuser, könnte die +halbe Nacht allein vom Pfarrer erzählen und thäte es lieber als das Andere, +denn der Weg, den ich jetzt betrat, war kein guter. Aus der Schule +entlassen, trieb ich mich einige Jahre in der Gegend herum, und trieb bald +Dieses, bald Jenes, um leben zu können und den Stiefvater nicht um Etwas +ansprechen zu müssen. Es ging mir gerade, wie den Hasen des Fürsten von +Donn'schingen im Winter, nämlich es war Winter und ich hatte nichts zu +beißen und zu nagen, da kamen ein Mann und eine Frau aus einem Zinken nicht +weit von meinem Orte--ich traf sie in der Sonne zu Neustadt, nein, es war +in der Post, ich sehe noch immer den dicken Posthalter mit der großen +rothen Nase, wie er mit dem Schoppen herwatschelt und jedesmal sagt: +"Gesegne's Gott, 's ist ächtes Breisgauergewächs!"--Also die Beiden +brachten mir's zu und sagten nach längerem Hin- und Hergerede: "Weißt du +was, Donatle? 'S ist Winter, hast Uebel Zeit, dein Stiefvater ist ein Lump, +du hast erfahren genug wie er uns anfeindet, aber du bist ein änstelliger +[anstelliger] Bursche, kein Mensch will sich Deiner erbarmen, komm zu uns, +bis es besser wird. Du arbeitest, was es zu arbeiten gibt, viel ist's +jedenfalls nicht und wenn Du auch Nichts kriegst, hast Du doch zu essen und +ein Obdach!" + +Das kannst Du glauben, daß ich mich nicht lange besann, sondern einschlug; +es war besser als Holzmachen oder Schneeschaufeln oder Leiternmachen, was +ich schon thun mußte. Ich ging auf der Stelle mit dem Glasjakob und seiner +alten Fränz, mit der ich ein Stück biblische Geschichte durch machte, bloß +daß die Sache einen unbiblischen Ausgang nahm. + +Die Fränz hatte 48 Jahre auf dem Buckel, graue Haare und Runzeln genug, +keine drei ganze Zähne mehr und eine Nase wie ein Ulmerkopf, kurz es war +ein altes, wüstes, ungattiges Thier und hatte außer dem ältesten Sohne, der +2 Jahre älter als ich war und längst mit dem Reff auf dem Buckel als +Glashändler im Unterland hausirte, noch 5 Kinder und die beste Seele von +der Welt zum Manne. + +Sie konnte recht gut meine Mutter sein, doch bald machte sie es wie +Putiphars Frau und weil ich nicht der Joseph, sondern der Donat bin, hing +sie mir bald am Halse und ich wurde bis über die Ohren in sie verliebt. + +Du magst es glauben oder nicht, so ein armer Tropf wie ich kommt nicht +leicht zu einem Weibsbilde und hat doch auch sein Fleisch wie Andere, die +Fränz war die Erste, mit der ich zu thun bekam. Sie wurde ganz und gar +hirnverrückt und wüthend, und ich ein vollkommener Narr! ... Item sie +schafft Rath, beredet ihren guten blinden Jakob, ihr einen Heimathschein +ausfertigen zu lassen, lügt ihm vor, sie wolle ihre Freundschaft besuchen +und in ihrer Heimath eine kleine Erbschaft holen, die sie gemacht habe, der +Mann ist voller Freuden, sie geht, in Lenzkirch finden wir uns und reisen +nicht gegen Bonndorf sondern durch das Höllenthal nach Freiburg und wutsch +dich! saßen wir über dem Rhein, arbeiteten in einer Fabrik in Mühlhausen +drüben und lebten wie Vögel im Hanfsaamen! + +Nach einigen Monaten hatte ich das Elsaß und die Fabrik und die Fränz genug +und wollte sie mir vom Halse schaffen. Aber sie hängte sich an mich wie +eine Klette, als sie den Butzen merkte und ich verließ sie bei Nacht und +Nebel. 'S freut mich noch, wenn ich mir vorstelle, wie sie am Morgen +aufwachte, nach mir griff und nichts fand als das leere Nest, was mag +_Die_ für Augen gemacht, geschimpft und geflucht haben!--Ich hatte +mich mit Kleidern gehörig ausstaffirt, trug ein wälsches Hemd oder eine +Blouse, wie mans dort drüben nennt und ziemlich Geld in der Tasche, denn +haushälterisch war die Fränz stets gewesen, das muß ich ihr nachsagen! Ich +glaube wahrhaftig, daß ihre Verfluchungen mich verfolgten, denn geliebt hat +sie den Donat, sonst würde sie nicht Mann und Kinder verlassen und mir +angehangen haben! + +Also ich laufe einige Tage, da begegnet mir be- [bei] Karlsruhe drunten ein +Mann, fragt woher, wohin und was und da er hört, ich suche einen Dienst, +gleichviel was für einen, angagirt er mich als Knecht, das heißt, ich mußte +immer Fische nach Karlsruhe schleppen und Fischhäuser hüten. Mir gefiel +Alles außer dem frühen Aufstehen, aber die Herrlichkeit dauerte nur kurze +Zeit. + +Muß ich just an des Großherzogs Geburtstag zu einem Wirth nach Karlsruhe +und ihm sagen, er möge zu meinem Herrn fahren und die Fische holen, die +bestellt worden seien; dieser läßt den Knecht einspannen und der +Mathäubesle, also hieß der Knecht, ein fuchsrother Kerl voll Sommerflecken +im Gesichte, der am Titisee daheim war, meint: Landsmann, fahr mit! ... Wir +sitzen auf dem Wagenbrett, der Mathäubesle will zufahren, da fängt ein ganz +verfluchtes Kanoniren an, der Gaul wird scheu, der Mathäubesle kann's nicht +mehr halten, springt über die Leitern hinab, ich will unten durch, bleibe +hängen und das wüthende Roß schleppt das Wägele sammt mir einige hundert +Schritte weit, wo endlich einige Dragoner stehen und ihm den Weg +versperren. + +Kannst Dir denken, wie ich zugerichtet war; halbtodt wurde ich in ein +fürnehmes Spital getragen. Keinen Fleck am ganzen Leib gabs, der mir nicht +wehe that, ich war nur Eine Wunde und Ein Pflaster, lag viele Wochen +elendiglich darnieder und wäre wohl nicht davon gekommen, wenn die +Karlsruher Aerzte mich armen Kerl nicht so fleißig und sorgfältig besucht +und für mich gesorgt hätten, als ob ich nicht der Donatle vom Schwarzwald, +sondern ein Prinz wäre. + +Die halbe Kost fing just an, mir recht zu schmecken, da wurde ich aus dem +Spital entlassen und durfte nicht mehr zum Fischhändler, sondern wurde +heimgewiesen mit dem Zeugniß, daß ich arbeitsunfähig sei und mich zuerst +erholen müsse. Eines Theils war es mir nicht recht, denn der Fischhändler +hatte ein Prachtsweib und dieses war zu mir in den ersten Tagen in die +Kammer gekommen und hatte Dinge geredet, die mir klärlich zeigten, ein +junger, starker Schwarzwälder sei ihr weit lieber als so ein alter, +abgelebter Stockfisch, der ihr Mann hieß. Sie hätte mich gut gehalten, die +Arbeit war ohnehin nicht weit her und große Lust zum Arbeiten hat mich mein +Leben nie geplagt, wenn es nicht sein mußte. Anderseits gefiel mir aber +auch das Herumziehen und als ich beim Sternen die Steig hinausging und mich +wieder von meinen Bergen umschlossen sah, freute es mich gewaltig, doch +dachte ich wieder ans Fortgehen nach einigen Wochen und die Sache kam so, +daß ich bald gern ging von wegen der Fränz. + +"Wie ist's denn der alten Schachtel gegangen?" fragt der Duckmäuser +begierig. + +"Besser als sie's verdiente!["] ... Nachdem ich sie verlassen, zog sie +einige Tage im Breisgau herum, wurde mit dem längst abgelaufenen +Heimathsschein erwischt, heimtransportirt und zunächst zur Abkühlung 8 Tage +in Schatten gesetzt. Dann wurde der Jacob in die Neustadt citirt, befragt, +ob er sein entlaufenes Weib wieder wolle, er sagte Ja und sie ging mit ihm +heim. Da sie alle Schuld auf mich geschoben hatte, bekam ich bei der +Heimkunft auch meinen Theil und mußte 14 Tage sitzen. Zum Jacob wollte und +durfte ich nicht mehr, wollte auch nichts mehr von der Fränz wissen. Geld +hatte ich keines, Schaffen wollte ich nicht so schwer, essen und trinken +hält Leib und Seele zusammen und um Etwas zu bekommen, langte ich zu, wo +war, anfangs mit erschrockenem Herzen, bald kecker. Die Mutter war todt, +der Stiefvater warf mich aus dem Hause, ein Handwerk konnte ich nicht, +Taglöhnern kostet Armschmalz, ich zog in der Gegend herum, wurde auf dem +Michaelimarkt in der Neustadt arretirt und auf 2 Jahre zu den Blaukitteln +nach Bruchsal geschickt. Dies war schlimm, doch schlimmer war's, als ich +nach 16 Monaten begnadiget wurde und mit Laufpaß heim mußte. Ein paar +Zwilchhosen, ein Wamms von Sommerzeug, ein grobes Hemd, welches mir die +Strafanstalt gab nebst einem paar Schuhen und einer Kappe, die ich einmal +einem Besoffenen vom Schädel gerissen, war nebst 42 Kreuzern Alles, was ich +auf Erden besaß, wie ich heimkam. + +Wie konnte ich in solchem Aufzuge Arbeit suchen, mich vor den Leuten sehen +lassen oder auch nur in die Kirche gehen? Die Fränz, kein Mensch wollte +Etwas von mir wissen und doch war mir die Lust am Stehlen vergangen. Es +gehört Spitzbubenglück dazu, ich hatte keine Fiduz und keine Courage mehr, +um gleich wieder zuzugreifen. Ich ging hinüber in die Neustadt, trank mit +den letzten 12 Kreuzern Muth und begab mich gerade zu auf das Amt, um zu +melden: "ich _wolle_ nicht mehr stehlen, aber ich _müsse_ es, +wenn ich keinen Heimathschein und keine Kleider sammt einigen Batzen +bekäme, um _anderswo_ Arbeit zu suchen; im Grunde wär's mir lieber +hier, aber niemand wolle mich beschäftigen." Ein Herr vom Amte zog +mitleidig den Geldbeutel, der Amtmann gab mir einen Rock, denn ich heulte +wie ein Schloßhund und um Martini darf man auf dem Swarzwalde +[Schwarzwalde] kein Zwilchwamms und sonst nichts tragen, wenn man nicht +erfrieren will. Ein Schreiben an den Bürgermeister verschaffte mir Alles, +was ich brauchte, sogar mehr, nämlich Grobheiten, weil ich nicht zuerst zum +Bürgermeister, sondern gleich vor die rechte Schmiede gegangen war. Ich +kannte den Vogt schon, er war ein unmenschlicher "Packer," der ja wußte, +woran ich war und doch kein Zeichen that, als ob er mir helfen wolle. + +Mit dem Heimathschein und einigen Batzen Geld zog ich ab, verkaufte in +Freiburg den Rock des Amtmanns, weil ich ihn doch nicht ohne gehörige Hosen +tragen und auch nicht zurecht machen lassen konnte und zog jämmerlich bis +hinab nach Ettlingen, denn dort war Arbeit genug zu finden, weil eben die +große Spinnerei gebaut wurde. Weil meine Papiere richtig waren, kümmerte +sich die Polizei nicht um meinen Anzug und leeren Geldbeutel, denn Arbeit +hatte ich auf der Stelle. Eine Wohnung zu finden, war keine Kleinigkeit, +ich wurde an vielen Orten abgewiesen und wie eben die Armen am liebsten den +Armen helfen, fand ich zuletzt bei blutarmen Leuten auch eine Wohnung. Kost +konnten sie mir nicht geben, wollte auch keine, denn Kleider waren vor +Allem nöthig; Kleider kosten Geld und mein Taglohn war nicht gar groß. Ja, +der Donat _kann_ arbeiten und hungern, _wenn er muß_; drei +geschlagene Monate sah ich kein Stücklein Fleisch und keinen Tropfen Wein, +sondern erhielt mich fast nur bei Brod und Milch, schlief dabei recht gut +und konnte das schönste Weibsbild ansehen, als ob ich ein Klotz geworden +wäre! ... Nach drei Monaten hatte ich aber nicht nur Kleider, sondern auch +das ganze Wohlwollen der Werkmeister und insbesondere das der Tochter +meiner Hausleute, ohne daß ich letzteres wußte, weil sie nie ein Bröselein +davon verlauten ließ, wenn sie aus ihrem Dienst von Karlsruhe auf Besuch +herüberkam. Als die Fabrik so weit fertig und Maschinen eingerichtet waren, +saß ich einmal recht bekümmert nach 12 Uhr bei einem der letzten Sandhaufen +in der Sonne und dachte an die Zukunft, da kommt auf einmal der Director +der Spinnerei auf mich los, ein braver Herr, der mich oft im Auge gehabt, +jetzt aber just fast das erstemal mit mir redete und sagte: "Donat, weil Er +als Fremd so lang und fleißig hier gearbeit hat, will ick Ihn in die +Spinnerei nehmen als Lehrlink. In 3 Mond kann Er die Sack, kriegt täglich +36 Kreuzer. Wenn Er keine dumme Deutsch ist, bekommt Er dann ein Maschin +und verdient schön Geld! Was sagt er zu der Sack?" + +Kannst Dir einbilden, Duckmäuser, daß ich da stand wie aus dem Himmel +gefallen und zehnmal in Einem Brumm "Ja" sagte; ich muß roth und recht +einfältig dreingesehen haben, denn der Herr lachte und meinte: + +"Nehm' er nix für ungut, ich bin ein Franzos und sprecke etwas heroisch, +bin hitzig, aber ick fresse keine Deutsch und meine es nit so böse!" + +Der Herr Director wurde mein zweiter Schutzengel, wie der Pfarrer mein +erster gewesen; sein Auge blieb stets auf mich gerichtet, er gab mir viele +Ermahnungen und hielt mich von Vielem ab, denn der Teufel juckte wieder +hollops in mir. Die Spinnerei wollte mir nicht gefallen, die Lehrmeister +waren lauter Franzosen und neidisch, einen Deutschen zu lehren. Der Herr +Director machte, daß ich als Zuschläger in die Schmiede kam, wo ich einen +andern Director und täglich einen Gulden erhielt. Konnte es nicht lange +aushalten, bekam Blutspeien und wurde fremd. Eben stand ich in meiner +Kammer, um das Bündele zu schnüren, da ließ mich der alte Director kommen +und machte mich herunter, weil ich so mir nichts dir nichts davonlaufen +wollte, ohne ihm ein Brösele zu sagen und fuhr mich dann an: + +"Gestern hab' ick die Mann, der an das laufende Maschin war, entlassen. Er +liebt die Sauf und soll nit unglücklick werden. Will Er sick besser halten, +als der Vorgänger, so thu' ick Ihn an seine Stell. Er bekam taglik einen +Gulden zwölf Kreuzer, Ihm geb' ick acht und vierzig Kreuzer täglik, aber +nock eine Gehilf, will Er?" + +Kannst denken, wie froh ich war und es kam noch besser, denn die Käth, also +hieß die Tochter der Hausleute, kam nach Hause, weil sie krank gewesen war +und den Dienst bei der Herrschaft verloren hatte, bei der sie 6 Jahre in +Einem Zug gedient hatte. Sie hatte die "Durchschlechten" gehabt, war noch +sehr schwach, doch ein braveres Mädle wächst im ganzen Unterland nicht; ich +wurde in sie ganz anders verliebt als in die Fränz, betrachtete die Käth +wie eine Heilige, sie und der Herr Director haben mich vor Vielem bewahrt! +--Vier Monate später führt der Satan den rothen Mathäubesle auch nach +Ettlingen und dieser leichtsinnige Passagir wurde mein Freund, weil er mein +Landsmann war, zog mich zum Saufen und Spielen, so oft er konnte und war +mit den Weibsleuten nicht heikel! ... Untreu wurde ich der Käth nicht oft, +aber nach 6 Monaten verfehlten wir uns und ich wäre ein schlechter Kerl, +wenn ich sagte, _sie_ sei schuld daran gewesen. Sie hat mich oft genug +davor gewarnt und mir die Leviten gelesen, aber die Beste hat schwache +Stunden und ich war in diesem Punkte kein Held wie Du, wenn's wahr ist! + +Als die Eltern die Sache merkten, sollte ich auf einmal aus dem Hause und +ging auch, weil ich das Heulen und Schimpfiren nicht mehr sehen konnte. +Alle Sonntage traf ich mit der Käth in Busenbach zusammen, doch die Eltern +waren ihr auf den Socken und wollten auch dies nicht mehr leiden. + +Eines schönen Morgens muß ich vor Amt, der Asessor schnauzt und bellt mich +an, ich müsse binnen 3 Tagen die Fabrik und den ganzen Amtsbezirk +verlassen, wo nicht, so müßte mich der Gensd'arme holen. Ganz vertattert +frage ich warum und da sagt er mir, ich hätte ein Mädchen mit einem Kind +und sei auch schon in Bruchsal gesessen. + +"Ja, das ist wahr, sage ich, aber darf ein Mensch, der seine Strafe +erstanden und sich ehrlich und redlich ernähren will, nirgends mehr +arbeiten?"--"Er kann arbeiten, wo Er will, aber in diesem Amtsbezirk ist's +mit Ihm Mathäi am Letzten!"--Jetzt sage ich, der Asessor soll mir in den +Heimathschein schreiben, weßhalb ich nicht mehr hier arbeiten dürfte, er +aber sagt, ich habe es gehört, was zu thun sei und soll mich packen! + +Ich besann mich auf dem Heimwege und blieb in der Fabrik. + +Acht Tage später werde ich richtig auf die Wachtstube gerufen, sind da 2 +Gensd'arme, führen mich vor Amt und der Asessor sagt, ich müsse jetzt 24 +Stunden ins Loch und wenn ich in 8 Tagen nicht fort sei, lasse er mich +heimtransportiren. + +Bei der Rückkehr in die Fabrik nahm mich der Herr Director ins Verhör, wo +ich gewesen sei und weil ich für ihn durchs Feuer gegangen wäre, entdecke +ich ihm Alles haarklein und erfuhr wieder, was das für ein braver Mann war. +Er spricht mir Muth ein, meint, wenn es Jedem der 1400 Menschen, die in der +Fabrik arbeiteten, an der Stirne geschrieben stünde, was er schon gethan +habe, müßte er Manchen fortschicken. Ich soll ihm und der Käth folgen und +brav für mein Kind sorgen. Die acht Tage verstrichen und kein Mensch dachte +daran, mich auf den Wald zu jagen. + +Gehe ich an einem Sonntage Mittag von Busenbach nach Ettlingen, die Käth +ist bei mir und hat unser Kind auf dem Arm, kommt uns just der Asessor mit +2 Herren entgegen, stellt mich auf dem Wege, thut aber ganz leutselig, +erzählt Alles den andern Herren und sagt zu mir: "Er wisse, daß ich immer +Kostgeld für mein Kind zahle, habe auch ein gutes Lob von den Herrn in der +Fabrik, solle nur brav bleiben und für mein Kind sorgen und so fortmachen!" + +Solche Rede gefiel mir sehr wohl und wenn ich alles überlege, muß ich +sagen, daß ich mein Glück selbst mit Füßen getreten habe und ein Narr +gewesen bin, mehr auf den rothen Mathäubesle, als auf den Herrn Director +und andere Leute gehört zu haben, die es gut mit mir meinten. Ich hatte +eine neue Heimath gefunden und wenn ich gescheidter gewesen wäre, würde ich +darnach gestrebt haben, die Käth zu heirathen, die längst wieder in einer +Küche zu Karlsruhe stand. Für mein Kind zahlte ich immer redlich das +Kostgeld, aber statt bei meinem schönen Verdienst zu sparen, zog ich mit +dem rothen Kaiben und Fabrikmenschern herum und habe mehr als Eine Nacht +ganz durchgesoffen und gespielt und allgemach Schulden bekommen. + +Wenn das Fabrikglöckle zur Arbeit rief, war ich oft voller Schlaf und +halbbesoffen dazu und hätte einmal leicht bei meiner Maschine das Leben +verloren, wenn nicht der Herr Director mich im letzten Augenblicke gepackt +und irgendwo hingelegt hätte, um den Rausch auszuschlafen. Die Käth kam an +Sonntagen, so oft sie konnte, hielt mich vom Saufen ab, wir Beide sollten +nur Einen Schoppen trinken, gab mir die besten Vermahnungen, ich plärrte +oft vor Rührung und fluchte oft wie ein Türke, denn ein Hitzkopf bin ich, +Duckmäuser! ... He, schläfst Du?" + +"Warum nicht gar, doch mach's kurz, in der Stadt draußen brummelt die +Lumpenglocke und bis halb Fünfe ist's dann nimmer so lang!" + +"Auch gut, wills kurz verlesen!["] ... Mein Mädchen predigte umsonst, der +Herr Director stellte mir Himmel und Hölle vor, aber der rothe Mathäubesle +und Andere bekamen immer mehr Gewalt über mich, ich triebs immer ärger und +ärger und wurde endlich entlassen. Die Käth weinte sich schier die Augen +aus dem Kopf, die Eltern schimpften kannibalisch, aber jetzt war Hopfen und +Malz verloren, der Asessor schnitt ein böses Gesicht, that fuchsteufelswild +und ich zottelte eben wieder in den Schwarzwald hinauf. + +Daheim bekam ich Arbeit beim Fürsten als Holzschläger und hielt's ein +Vierteljahr mit dem Waldleben recht gut aus, obwohl die Arbeit ganz anders +war als in der Fabrik, wo eigentlich der Arbeiter nur Befehlerles spielt +bei der Maschine. In meinem Ort lobten mich die Leute sehr, weil ich so +lange fort war, gut gethan und rechtes G'häs mitgebracht habe und als ich +das Saufen wieder anfing, hätte mich ein Vorfall belehren können, daß ein +armer Tropf schon deßhalb nicht versaufen sollte, was er auf und anbringt, +weil man gleich glaubt, er habe das Geld dazu gestohlen. + +Kommt eines Abends--es war just beim Nachtessen und ich spedirte die +Kartoffel Nro. Dreißig ins Unterquatier!--kommt so ein Gensd'arm, schaut +mich an, fragt wer und was, sieht meine Uhr an der Wand und nimmt sie weg, +muß ihm mein Trüchle öffnen; er nimmt einen Rock, zwei paar Hosen, ein paar +nagelneue Stiefel, drei Hemder, einen Hut, Schirm, endlich einen Stutzen +und zuletzt mein Geld, es waren 18 Gulden 12 Kreuzer--und die Hausleute +hattens in Verwahrung, weil ich das Trüchle nicht gut schließen konnte. +Auch der Donat selbst gefiel ihm so, daß ich im Amtsgefängnisse +übernachtete und zwar 6 mal. Man hatte dem Accisor unseres Ortes 50 Gulden +gestohlen und 100 dabei liegen lassen und ich stand im Verdachte, wieder +"gekratzt" zu haben. Aber ich konnte nachweisen, woher all' meine +arretirten Sachen waren, es stellte sich heraus, daß der eigene Schwager +des Accisors die 50 Gulden weggekratzt habe--es war auch ein Lediger, der +gern ein Mäßlein lupfte, wie ich und ein Spezel von mir, ein völlig +g'scheidter Kerl und nicht so schlecht, wie der rothe Mathäubesle, der doch +nie im Zuchthaus war!--kurz, ich wurde nach sechs Tagen wieder frei, der +Amtmann sagte gleich, ich hätte beim Accisor nicht gestohlen, denn ich +würde die 100 Gulden auch eingesackt haben und ich glaube, er hätte Recht +gehabt, wenn mir nicht die rechte Spitzbubencourage überhaupt mangelte. + +Auf dem Heimwege--am Tage Mariä Geburt wars!--traf ich ein Weibsbild, das +ich schon früher gekannt hatte und nicht viele Flausen machte. Diese +Apollon war viel jünger und netter als die Fränz, dafür aber schlimmer, +wollte überall sein, wo es lustig zuging, vertrieb mir die Lust zur Arbeit, +machte mich leichtsinnig und allgemach ging alles Geld fort, ich verkaufte +alle meine Sachen, vergaß die Käth sammt meinem Kinde ganz und gar! + +Höre Duckmäuser, Du hast Recht, es ist nicht das Aergste, daß Du den Alten +umbrachtest, ich begreife, daß die Hannette oder Hindania oder wie das +wälsche Mensch hieß, Dir weit mehr Gedanken macht! + +Die Käth kam aus dem Unterland herauf, um mich zu besuchen, es wurde mir +gesagt und ich ging so lange fort, bis ich glaubte, daß sie die +Höllensteige wieder hinab sei. + +Sie hinterließ mir bei der Adlerwirthin Wünsche für mein Glück und was ich +suche, das werde ich schon finden, soll nur das Kostgeld für das arme Kind +nicht ganz vergessen, sie bringe es nicht auf und ich kennte ja die Armuth +ihrer Eltern!--Will's mir doch das Herz zersprengen, wenn ich jetzt in +meinen Ketten an die Käth denke! ... Wie verlassen war _ich_ an Vater +und Mutter, wie oft und viel habe _ich_ deßhalb schon geplärrt und +jetzt mache ich's gerade wie der schlechte Unteroffizier!--Gottlob, daß der +Vater der Käthe keiner ist, wie mein versoffener Stiefvater, der jetzt von +seinen Buben in den alten Tagen gehauen wird trotz einem Tanzbären!-- +Käthe's Kind hat einen guten Großvater, er trug es immer auf den Armen +herum, ohne daß er mich je leiden konnte und habe ihm doch mein Lebenlang +nicht ein Augvoll Böses gethan! ... Ich fand bald, was ich suchte, nämlich +das Zuchthaus, wohin mich eine That brachte, zu welcher ich von der +erzliederlichen Apollon in der Besoffenheit beredet wurde. Wurde wegen Raub +verurtheilt, Gott weiß, daß ich nie an Raub dachte, obwohl ich vielleicht +bald wieder zum Stehlen gebracht worden wäre. Man hat mir nicht geglaubt, +doch Du wirst mir glauben, Duckmäuser, denn wozu sollte ich hier lügen, wo +Stehlen und Rauben fast Ehrensache sind? Verurtheilt bin ich, kann nichts +daran ändern und denke eben, ich hab' die schwere Strafe an der Käth +verdient und an meinem Kind, an denen ich schlecht genug handelte... Wegen +Raub bin ich verurtheilt, doch höre, wie Alles zuging, pure Thatsachen! + +Am 13. Juni heuer, es war an einem Sonntagmorgen und wunderschönes Wetter, +beredet mich die Apollon sie zu begleiten, sie wolle nach Aha 'nauf, um +eine alte Kamerädin zu besuchen. Wir gehen; der Himmel wölbte sich wie ein +seidenes Sonnendach über die Berge, alle Matten prangten mit Millionen +Blumen, der Titisee glänzte wie ein Metallspiegel, die alten braunen Hütten +mit ihren Strohdächern sahen aus, wie großmächtige Aschenhaufen, wo die +Buben und Mädle, der neumodischen steinernen kalten Paläste Johannisfeuer +angezündet hatten, die Luft wehte mild und frisch aus den noch dampfenden +Thälern am Feldberge, man hörte nichts als den Klang der Glocken, der durch +die Tannenwälder zitterte, zuweilen einen Vogel oder einen Schuß oder einen +Peitschenknall und hätte die Gegend für ausgestorben halten können, wenn +nicht die stämmigen Mädle mit den gelben Strohhüten und altfränkischen +Juppen mit ihren Burschen und das Herrenvolk aus Lenzkirch auf der Straße +hin- und hergewandelt und aus allen Kirchen die Anhöhen hinauf und ins Thal +hinab heimgegangen wären. Ich rauche gemüthlich das Pfeifle, betrachte +Alles und sage endlich zu der Apel, die in Einem Zug fortschwätzt, ohne daß +ich auf sie hörte: "Apel, ich glaubte, es ginge in eine Kirche; mir ist's, +als ob meine Mutter auferstanden wäre, dort zwischen den Weißtannen immer +herüberschaute und sagte: "Donatle, denk an Gott und bete, hast Niemanden +auf der Welt!"["] + +Die Apel lacht laut auf und sagt: Hab's schon gemerkt, daß ein halber Narr +neben mir wandelt. Du weißt, daß ich geschworen habe, erst wieder in +d'Kilch zu gehen, wenn ich die Granatenhalsschnur habe, nach der du mir das +Maul schon hundertmal wässerig gemacht hast. Gehe meinethalben in die Kilch +oder zu der bucklichen Hanne, du Tropf und laß mich mit Frieden, hast mich +doch nicht gerne! + +"Apel sage ich--du kriegst die Halsschnur, sobald ich Geld habe. Aber wir +hätten nach der Kirche auch noch den Weg nach Aha gefunden!" + +Jetzt wird sie ernstlich böse, geht auf die andere Straßenseite, sagt: +"Geh' in die Schweiz und werde Kapuziner, du Lalle! Ist da draußen nicht +auch die Kilch? Bin ich schlechter als die Andern, die den ganzen Tag den +Rosenkranz drillen? Na, na, die wüste "Unterländersau" steckt dir im Kopf, +hast die Apel satt und willst anderes Futter, du schlechter, ehrloser +Kerl!" + +Sie sagt kein Wort mehr, ich habe nicht übel Lust, ihr von wegen der +"Unterländersau" den Hals zuzuschnüren, daß ihr die Lälle zum bösen Rachen +heraushängt, aber sie springt voraus, nachher reuts mich wieder und mache +gutes Wetter. Ich sah wohl, daß die Apel mein Unglück sei, doch ich habe +Niemanden auf der Welt und ein Weibsbild _muß_ ich haben!--Wir laufen +und laufen wieder selbander und kommen bald zum Rößle, wo es die Steig +hinabgeht und links über die sumpfigen Matten durch Hinterzarten den Wald +hinein, bergauf bergab nach Aha 'nauf. Sie wollte haben, daß ich mit ihr in +den Sternen hinabginge und dort Forellen bezahlte, denn die Forellen der +Posthalterin sind im ganzen Land berühmt und das Herrenvolk, das mit dem +Eilwagen fährt, frißt im Sternen Forellen und sauft Markgräfler dazu, daß +ihm der Ranzen zerspringen möchte. Die Apel that gar gern wie +Herrenmenschen thun, war auch in der Hoffnung, wo man den Weibern nichts +abschlagen soll, aber _ich_ ging dennoch nicht in den Sternen, der +Teufle führte mich in das Rößle ob der Steig und die Apel blieb nicht +draußen und lief nicht allein weiter, wie sie gedroht hatte. + +Wir fressen einen Kalbsbraten, 's war ein Stück so groß wie ein Roßkopf, +dazu ein Scheffel Salat; der Wein ist ganz gut, die Apel und ich bürsten, +daß es eine Art hat, obwohl wir nicht mehr einen Brabanter im Vermögen +besitzen. + +Auf einmal geht die Apel hinaus, steht vor dem Rößle, hält die Hand über +die Augen, stiert immer auf den Weg, der von Hinterzarten durch die Matten +führt, kommt herein und thut wie ein Narr, daß ich bezahle und mit ihr +fortgehe. + +"Komm, Donat, geschwind, wir gehen nicht nach Aha, es thut's ein andermal +auch, wollen zurück gegen Lenzkirch!" drängt sie. Ganz verwundert zieht sie +mich an der Lafette vorbei, wo der Wirth gerade aus dem Fenster schaut und +wahrscheinlich ob unsern rothen Gesichtern lacht. Hinter dem Bären schlagen +wir die Straße nach Lenzkirch ein, im nächsten Wäldchen steht sie still und +sagt gar freundlich: + +"Donat, _jetzt_ will ich den größten Beweis von Liebe, den du mir +geben kannst und wenn du's _nicht_ thust, adje Parthie!" + +Ich hätte damals dem Teufel den Schwanz ausgerissen, wenn die liebe Apel +gewunken hätte und schwöre ihr Alles zu thun, außer Stehlen und Umbringen. + +"Komm ein bischen hinter die Tannen, wir wollen passen. Es ist hoher +Mittag, weit und breit kein Mensch, doch kommt in einigen Minuten ein +Maidle von Hinterzarten, das mich schwer erzürnt hat am Georgentag, wo ich +auch nach Aha ging und in Hinterzarten einkehrte. Sie hat mir vor einer +Stube voll Leut alle erdenklichen Schandnamen gesagt und gemacht, daß ich +fort mußte. _Die_ packst du an, schleppst sie in den Wald, im +Nothfalle bin ich auch da, sie kennt dich nicht, aber mich, deßhalb komme +ich nur im Nothfalle. Ist gar stolz auf ihre Larve; du sollst sie recht +demüthigen, das übermüthige Ding; es kommt nichts heraus und zu nehmen +brauchst du ihr weiter nichts! ... Hat sie ihren Theil, so lassen wir sie +wieder springen, willst du, Herzensdonätle?["] + +Ich war stark benebelt, die Sache kam mir recht spaßhaft vor, richtig da +kommt das Mädle und sieht aus, wie der Tag im Vergleich zu der Apel. Ich +schlich hinter ihm her, die Apel blieb abseits im Walde, das Herz klopfte +mir, daß ich fast keinen Athem mehr bekam, die Apel winkt immer wie +besessen, endlich fasse ich ein Herz, packe das Maidle und zerre es den +Straßengraben hinab in den Wald. Es schrie wie ein Dachmarder, wehrte sich +aus allen Kräften, ich riß ihm unversehens eine Granatenschnur mit einem +goldnen Kreuze weg, was später im Grase gefunden wurde und warf es zu +Boden!--Ihr vermaledeites Geschrei führte zwei Bauernbursche her, die von +Lenzkirch die Höhe rasch heraufgestiegen waren. Diese halfen dem Maidle, +prügelten mich kreuzlahm, banden mir dann die Hände mit meinen eigenen +Hosenträgern und schleppten mich nach Lenzkirch!"--Das ist meine Geschichte +und jetzt urtheile du, ob ich einen Raub begangen habe und gerecht oder +ungerecht leiden muß! Ich erzählte Alles haarklein, wie es gegangen war, +doch mußte halt ein Räuber sein, da half Alles nichts mehr. Mich reut's bis +auf's Blut, daß ich nur ein Brösele gestanden habe." + +"Nein, bist kein Räuber, armer Tschole, bist halt auch ein Unglückskind!-- +Was hätte es dem Maidle geschadet, wenn du zum Ziele gekommen wärest? ... +Aber mit der Apel, wie gings da?" fragt der Benedict verächtlich und +spöttisch zugleich. + +"Ja, die Apel, die Apel! Diese wurde nicht entdeckt und war _vor mir_ +in der Neustadt, um mich bei Amt anzugeben. Sie beschwur, daß ich +_sie_ bereden wollte, an der Sache Theil zu nehmen; sie habe solches +nicht über s'Gewissen gebracht, mich nicht abhalten können, zumal in ihren +Umständen und mich deßhalb angezeigt. Ich sei ein schändlicher Kerl und +wenn _sie_ nicht gewesen wäre, würde ich schon mehr als hundert +Weibsbilder unglücklich gemacht haben. Ist solche Falschheit nicht +himmelschreiend? ... Ich weiß woher das kommt!" + +"Ei, die Apel trug eben keine Lust, nach Bruchsal zu kommen" meinte der +Duckmäuser. + +"Wohl, doch der Hauptgrund ist, weil das liederliche Weibsbild wieder mit +einem alten Schatz liebäugelte, der fast der zweite Spaniol war." + +"War der Donatle, so lange ich Geld und Sachen zu verkaufen hatte, im Rößle +blieben mir noch 10 Batzen übrig, 5 davon gab ich ihr und sie wußte, daß +meine Herrlichkeit ein Ende hatte und ich das Hemd vom Leibe verkaufen +mußte! Der Kilian von Prechthalen, ein Wittmann, mit dem sie einmal einige +Jahre im Lande herumgezogen, hatte einen Brief geschickt und ihr angeboten, +mit ihm zu hausen. Die Apollon sagte mir selbst, sie sei entschlossen, ins +Prechthal zu wandern, sobald sie ihr Kind der Gemeinde abgeliefert habe. +Geben konnte ich nichts mehr, drum verließ sie mich. O die Menschen sind +falsch, grundfalsch, Duckmäuser, es gibt keine Ehrlichkeit mehr auf der +Welt und der Ehrlichste wird am meisten angeschmiert! Falsch wie Galgenholz +hat die Apel, der ich Alles anhing, an mir gehandelt! ... Es möge ihr in +der Hölle zehntausend Jahr auf der Seele brennen!" + +"Wie lang bist du denn mit der Apel umgegangen?" fragte der Benedict. "Hoh, +sieben Monate mindestens zottelte ich aus einem Wirthshaus und einem Orte +in den andern." + +"Und arbeitetest nicht?" + +"Der Fürst wollte keinen Holzschläger meiner Art lautete der Bericht des +Försters. Dieser konnte mich anfangs leiden, doch wurde ich bei ihm +angeschwärzt, daß ihm die Augen überliefen. Unsereins soll eben kein +Freudele haben und wird gleich Alles krumm genommen!" seufzt der Donatle. + +"Hast mir auch schon erzählt, wie du den Bauern Schinken aus dem Kamin und +Schmalzhäfen aus dem Trog geholt hast, mich wunderts nur, daß du soviel auf +deine Ehrlichkeit gibst!" ... lächelte der Vatermörder. "Oh du Daps, +entgegnet der Donatle, vertragen sich solche "G'späß" nicht mit der +Ehrlichkeit? Dann wären alle Leute Spitzbuben! Was schadet so ein Beinle +oder Häsele einem Packer oder Holzhändler oder Wirth? Zudem hat die Apel +das Meiste geholt, sie konnte es mit den Weibern und noch mehr mit den +Knechten und theilte Alles redlich mit mir!" + +"Sauberes Leben das, du ehrlicher Donatle!" meint der Benedict. + +"Spotte du nur über mein Unglück, hast's auch nicht besser gemacht! ... Bin +eben schief in die Welt gerutscht, die Fränz, der rothe, verdammte +Mathäubesle und die Apel, lauter Leute zehnmal nichtsnutziger als ich sind +eben an meinem ganzen Unglück Schuld! ... Hab erst am vorigen Sonntage +daran gedacht. Ich las in der Kirche, wie sich Ludwig der kleine +Auswanderer von einem Schmetterling und Kukuk verführen ließ und im Walde +verirrte und dachte gleich, Fränz und Apel und die Fabrikthierer im +Unterland seien _meine_ Schmetterlinge, der rothe Mathäubesle mit +seinen wüsten Reden und Liedlein _mein_ Kukuk gewesen, die Amtsleute +aber _meine_ Sperber und Weihe und so ist's! ... Hätte ich _dein_ +Vermögen und _deine_ Mädlen, deine Mutter und den Meister März dazu +gehabt, dann wär' der Donatle nicht neben dir, weißt du's? Ich bin kein +Spitzbube, aber _du_ bist Einer und ein Mörder dazu!" ... flüsterte +der zornig werdende schuldlose Donat. Mit einer sehr unzierlichen Redensart +kehrt sich der Duckmäuser um und beginnt zu schnarchen. + +Der Schwarzwälder brummt noch einige Redensarten, sieht, daß der Patrik mit +hellen, offenen Augen zu ihm hinüberstarrt und den Kautabak lustig von +einem Backen in den andern wirft, von Zeit zu Zeit in eine Düte spuckend, +die er im Schreinermagazin gefunden haben mag. "Iech ha der's gs'ait, ma +cha nüt mitem Duckmüser ha, s'isch e Chalb wia der Amtma vu Instetten!" +sagt der Patrik, dessen scharfe Ohren Alles gehört hatten. + +Der Patrik ist nach Geburt und Art ein "Hotzenwälder" neuern Schlages, bei +dem außerordentlich viel Ungeschlachtheit und ungezähmte Leidenschaft sich +mit Mutterwitz vermählen, während von biederer Frömmigkeit und +Rechtschaffenheit der ehrwürdigen Altvordern bei ihm blutwenig verspürt +wird. Pauperismus und Sittenverwilderung fanden sammt der Aufklärung den +Weg auch in die Thäler der ehemaligen Grafschaft Hauenstein, welche in +neuester Zeit das Calabrien des badischen Oberlandes zu werden droht; +mindestens steht eine Diebsbande dieser Gegend nach der andern vor den +Geschwornen in Freiburg, an Brand, Mord und Todtschlag hat es schon früher +nicht gemangelt und mit der uralten, schönen malerischen Tracht scheint +auch die uralte Einfachheit des Lebens, der Sitte und die fromme Gesinnung +täglich mehr zu verschwinden. + +Der Patrik stolperte aus seinen Bergen in das wohlhabende fruchtbare +Hügelland des Kleckgaues, diente an verschiedenen Orten, am längsten beim +Posthalter in Instetten, wo er als Hausknecht sich unmäßig in den guten +Rothen verliebte und zuletzt fortgejagt werden mußte, weil er soff, daß er +manchmal einen Güterwagen für eine Baßgeige hielt und mit dem theuern Hafer +umging, als ob er vom Himmel herabregne. Er lungerte dann einige Zeit im +"Züribieth" herum, trieb Alles, was der Brief vermochte und kam zuletzt mit +den Landjägern in eine so schiefe Stellung, daß er gerathen fand, sein +Glück wiederum "im Dütschland" zu probiren. Leider jedoch ereilte diesen +Sohn Teuts, dem die Treue zum Rothen nicht nur aus den Augen blitzte, +sondern auch aus der Kupfernase schimmerte und die Liebe zur Trägheit +unsäglich tief im Herzen saß, nicht das Glück, sondern das Unglück und +jetzt erzählt er dem Donatle, was er im Zuchthause schon hundertmal erzählt +hat, nämlich die "wahrhaftige und kurze" Geschichte seiner "unsäglichen +Schuldlosigkeit." + +Rauh und eckig wie die tosenden Waldbäche und Felsen seiner Heimath ist +Patriks Sprache; man glaubt eine Sägemühle krächzen zu hören und ein Pommer +oder Mecklenburger würde keine Silbe davon verstehen, wenn er nicht etwa +Hebels allemannische Gedichte an springenden und singenden Theeabenden mit +wüthenden Beifall radebrechte; dabei flucht der Patrik trotz dem derbsten +Hochbootsmann und braucht Bilder, vor denen selbst der Idyllendichter Voß +von Heidelberg bis Eutin fortgaloppirt wäre. + +In wie vielen schattenreichen Gebäuden der gute Hotze schon herumwanderte, +ehe er in den grauen Kittel schlüpfte, verschweigt er dem Donatle klüglich; +es ist spät, er macht die Sache kurz und sein vom Brummbaß des +Murmelthieres beschütztes Geflüster ließe sich etwa übersetzen wie folgt: + +"Man hätte mich auf den Grund schlagen sollen neun Monate vor meinem +Geburtstage, nämlich in der Gestalt meines Vaters, der die Dummheit beging, +einen Kerl auf die Welt zu setzen, welchem das Unglück wie der eigene +Schatten folgt. Die Mutter hat's mir oft prophezeit, ich sei für das Kreuz +geboren und habe ein grausiges Kreuz auf dem Hirnschädel gehabt und im +Meerfräulein zu Laufenburg hat einmal ein Käshändler mit dem Vater +gewettet, daß ich noch lange vor ihm am Galgen oder im Zuchthause stürbe ob +schuldig oder unschuldig, denn die Constellation der Gestirne--davon +versteht ein Kalb deiner Art freilich nichts!--sei bei meiner Geburt die +schlimmste von allen erdenkbaren Constellationen gewesen. Bin jetzt 27 +Jahre und 13 Herbstmonate auf der Welt und weiß, daß der Teufel morgen +allen Leuten die Füße abschlüge, wenn ich heute Schuster würde, drum ist +mir auch alles Eins und der Vater hat mich nichts lernen lassen ... Hör' +nur Einen Spuk, Donatle, dann hast genug und wirst dich nicht mehr +verwundern, weßhalb ich auch hier alle Schick ins "schwarze Loch" komme. +Sitze also im Engel zu Lottstetten und versaufe den letzten Rappen, damit +er mir nicht aus dem Sack fällt und schlendere dann wohlgemuth auf der +Straße nach Instetten ... der Fußweg über die Wiesen war so schmierig wie +das fünfte Element im Polakenland!--weiter und denke an meinen alten +Schatz, mit der ich in der Weihnachtsnacht hinter der Klosterkirche von +Rheinau zum erstenmal zusammentraf. Ganz in Gedanken versunken laufe ich +den Berg hinan, merke gar nicht, daß ich einem leeren Güterwagen begegnete, +bis ich hinter mir rufen hörte. Hört ein gescheidter Mensch in einer +Gegend, wo auf der einen Seite Wald und weit und breit kein Mensch zu sehen +ist, hinter sich Halt brüllen, so schaut er sich nicht um und springt, daß +ihm die Schrittstecken wackeln. Wiewohl ich nun der dümmste Gedanke meines +Vaters bin, war ich doch gescheidt genug, diesmal zu springen und erreiche +das Höchste ganz athemlos, weil mein Verfolger immer fort brüllt und auch +springt. Doch was geschieht? Mir entgegen kommt gerade ein Gensd'arme, der +mich im Verdachte hatte, daß ich ihm einmal in Instetten im Finstern Eins +aufs Dach gab ... es war Einer, der mich früher ins Bürgerstüble brachte +und von dort in den Thurm von wegen einer Trudel, der ich Nachts in die +Kammer gestiegen bin! Unser Gensd'arme sieht mich kaum, nimmt er's Gewehr +von der Achsel, macht am Hangriemen herum und schreit ebenfalls Halt!-- +Außer den beiden Haltschreiern sah ich weit und breit nur mich, denke an +die Prophezeiung meiner Mutter selig, springe über die Straße links in die +Felder und sehe im Umschauen, daß der verdammte Grünrock mir nichts dir +nichts auf mich anlegt, als ob ich ein Hase wäre. Ganz verwundert bleibe +ich stehen, denke: Patrik, aha, die Constellation ist wieder da! Der +Gensd'arme kommt und brüllt: Halt Spitzbube, Ihr seid arretirt. Gleich +darauf keucht ein schwäbischer Fuhrmann, den ich auch nicht leiden mochte, +weil er nie in der Post zu Instetten, sondern im Engel zu Lottstetten +einstellte, auf mich los und schreit ebenfalls: Hab' ich dich Spitzbube, +liederlicher! + +"Hört, Ihr Hagelsketzer, ich bin kein Spitzbube!" sage ich mit der größten +Mäßigung und war mir schon nicht wohl dabei, weil ich meinen Heimathschein +in Bülach drüben liegen gelassen hatte. + +"Erzspitzbube, Halunke!" antworten die Beiden ganz besessen, sind keine +drei Schritte mehr vom Leibe und während ich vor Erstaunen die Hände über +dem Kopfe zusammenschlage, klirrt eine Kette, ich reiße die Augen auf und +was meinst, Donat, was mir Unglücksmenschen passirt war? Im Vorbeistreifen +am Güterwagen blieb eine Wagenkette an mir hängen und vor lauter Gedanken +an die Rheinauerei und später vor Angst und Schrecken hatte ich den Butzen +gar nicht bemerkt. Es war eine schöne schwere Kette und habe nachher alle +Sterne vom Himmel herabgeflucht, weil der Kaib von Fuhrmann nicht schlief, +während sonst Güterfuhrleute oft von einem Wirthshaus zum andern fahren, +ohne ein Auge aufzumachen. Dieser heillose Streich war noch das Geringste; +der heimtückische Schwabe hatte auch noch seine Brieftasche und die +silberbeschlagene Tabakspfeife in die Tasche meines Manchesterkittels +gesteckt, während ich sinnend an ihm vorüberstreifte. Der Gensd'arme und +der Schwabe konnten mich nicht leiden, 's war offenbar ein abgekartetes +Spiel, um mich ins Elend zu bringen, ich zeigte mich bereit, dies +hundertfach zu beschwören, doch der Amtmann half den Beiden und ich, armer, +armer Tropf, der ich gehofft hatte, im Adler zu Instetten"-- + +"Jetzt ist's genug, ihr Waschweiber, ich will meine Ruhe, ich bin nicht im +Zuchthaus, um euer Sumsen zu hören!" ... schrie das Murmelthier mit +zornrothem Antlitz, stand im Hemde im Hintergrund des Saales gleich dem +Rachegeist der Hausordnung und trommelte wüthend auf dem +zusammengeschrumpften Schmeerbauche herum. + +"Ob _Ihr_ auf der Stelle in Euer Nest geht? Ob ich kommen soll? Wartet +nur, das wird Euch eingetränkt! Die Ruhe auf solche Weise stören, Nachts um +Zwölfe krakehlen, als ob Ihr der Gockler in diesem Saale wäret?!["] + +Ob dieser Philippika streckte Mancher den Kopf in die Höhe, der Aufseher, +der alte Moritz stand mit rothem Kopfe unter dem Guckfenster, sein grauer +Schnurrbart richtete sich in die Höhe, wie die Stacheln eines +Stachelschweines, das seinen Feind erschießen will. Das erschrockene +Murmelthier, ein wahres Bierfaß auf zwei wandelnden ungeschälten Stecken +rannte mit einem Harrassprunge in das Bett, die Bretter brachen zusammen +und jammervoll saß der Edle auf den Trümmern seines Glückes, nachdem er +dreimal von oben nach unten gekugelt! + +"Herr Moritz entschuldigen, _nicht_ mein College da war der +Ruhestörer, sondern _die_ dort hinten, vor Allem der Duckmäuser, der +nicht eine Minute schweigt und all meine Warnungen verachtet, weil er mich +nicht als legitimirten Aufseher des Schlafsaales anerkennt. Er hat den +Donat zum Plaudern verführt und dann den Patrik! ... Offenheit ist meine +Sache, der Wahrheit die Ehre, an Zeugen wird's nicht fehlen! ... Es wird +ruhig sein, ich garantire Ihnen, mein Herr!" Diese Rede des Spaniolen +besänftigt den alten Moritz, der sich mit der ernsten Mahnung ans Strafbuch +in den Gang zurückzieht. + +"Oh, wäre ich in einer Zelle, der Kerl wird sonst noch kalt durch mich!" +murmelt der Duckmäuser und knirscht mit den Zähnen. + +"Der Spaniol ist ärger als die Apel, der Teufel soll ihm heute Nacht noch +das Genick brechen!" sagt der Donat leise vor sich hin. + +"Siehst du, Donat, die Constellation? Morgen gehts wieder ins schwarze Loch +mit Hungerkost und Gänsewein, Alles von wegen der +Strohlshagelsconstellation!" ... "O Vater, du Hornvieh, ich möchte dich +noch unterm Boden auf den Grund schlagen, du bist schuld an Allem!"... +seufzt der Patrik und kehrt sich auf die andere Seite. + +"Wann, o wann hört der Lärm und Gestank dieser Marterhöhle für mich auf!" +flüstert Martin der Wirthssohn leise vor sich hin und läßt einen tiefen +Seufzer fahren, während die Augen trostlos durch die vergitterten Scheiben +in die sternenleere, schwarze, traurige Regennacht hinausstarren. + +Von jetzt an vernimmt man nur noch das Schnarchen des Murmelthieres aus dem +Abgrunde der zerbrochenen Bettlade sammt dem Geschnarche eines halben +Dutzends Anderer, die schwer gearbeitet oder den Schnupfen haben. Einige +reden im Schlafe, weinen, fluchen, schlagen um sich und der schwere, +schwüle Dunst dieses Saales tragt wohl dazu bei, auch die Traumwelt der +Gefangenen mit wilden, düstern Gestalten und Bildern zu bevölkern. Aus +jenem Verschlag im Hintergrunde, dem von Zeit zu Zeit Einer zuschleicht, +wehen Moderdüfte über die Schläfer. + + + + +#BRUCHSAL.# + + +Wer auf der Eisenbahn zwischen der altberühmten Musenstadt Heidelberg und +dem schönen Karlsruhe fährt, wird selten ermangeln, bei der Station +Bruchsal nach einem großen Bau hinüberzuschauen, welcher gleichzeitig an +die Pracht und an das Elend unseres Jahrhunderts mahnt. + +Er sieht einige freundliche Häuser durch einen baumlosen Garten geschieden, +in gleichen Abständen hinter einander stehend, an eine hohe graue Ringmauer +sich anlehnend, die mit Thürmen besetzt ist, zwischen denen Schildwachen +auf und abgehen. Vom Thore führt ein mit Schieferplatten gedecktes Gebäude +einem Thurme zu, von dessen hohen Zinnen der Blick weithin durch die +Rheinebene bis Mainz schweifen mag und von diesem Thurme mit seinen im +Sonnenglanz blitzenden großen Fensterscheiben strahlen vier lange, aus +röthlichen Sandstein errichtete Gebäude aus, alle gleich hoch, alle mit +derselben Anzahl länglicher, vergitterter Fenster und Stockwerke versehen. +Das Ganze erinnert an eine mittelalterliche Burg oder noch eher an die aus +dem Revolutionskrater des Jahres 1789 verjüngt erstandene Bastille, welche +aus dem Völkerbienenstock und Wespennest Paris in das stille, +idillischschöne Rheinthal wanderte. Es lehnt sich an einen niedern +Höhenzug, von welchem Weinberge, Obstbäume, Felder und Matten starr +hinabschauen in das fremdartige, geheimnißvolle Leben, welches sich in den +Höfen still und einförmig hin und her bewegt. + +Diese mit großen Kosten, aber auch für Jahrhunderte errichtete Masse von +Gebäuden, gleichsam den Anfang einer neuen und großartigen Vorstadt +Bruchsals abgebend, bildet ein Ganzes, dessen Beschreibung uns um so mehr +überzeugte, daß wir ein zu Stein gewordenes Abbild der Idee der +Zweckmäßigkeit vor uns haben, je mehr jene ins Einzelnste einginge. + +Hier ist wohl der _einzige_ Platz in Deutschland. _wo die +Einzelnhaft mit jener Folgerichtigkeit durchgeführt wird, welche die Härten +des amerikanischen Systems vermeidet, ohne den Grundgedanken der +vollkommenen Trennung der Gefangenen zu beeinträchtigen._ + +Es ist ein Wunderbau und ein großer, fruchtbarer Gedanke in ihm lebendig +geworden, der Gedanke, _die Gesellschaft nicht nur vor ihren Feinden zu +bewahren, sondern diese oft weit mehr unglücklichen als verbrecherischen +Feinde zu beständigen Freunden der Menschheit und Gottheit zu machen._ + +Die ersten unvollkommenen Anfänge eines derartigen Baues entstanden in der +Quäkerstadt jenseits des Meeres; die Ersten, welche das einzigrichtige +Mittel ergriffen, um die für die Gesellschaft und die Verbrecher gleich +großen Gefahren des gemeinschaftlichen Zusammenlebens der Sträflinge +abzuwenden, waren Männer, welche noch heute zu den Edelsten unseres +Geschlechts gezählt werden und deren Ruhm in einem bessern Jahrhundert den +zweideutigen Ruhm der meisten Kriegshelden so hoch überfliegen wird, als +der völkerbeglückende Geist christlicher Liebe über der finstern +Gewaltthätigkeit thierischer Rohheit und Selbstsucht steht. + +Noch niemals gab es eine große Erfindung, niemals blitzte ein ins +Völkerleben eingreifender neuer Gedanke auf, wogegen sich nicht zahllose +Widersacher erhoben hätten. Jede neue Erfindung und Einrichtung ist eine +Kriegserklärung gegen diejenigen, welchen dadurch ins Handwerk gegriffen +wird, deren Nutzen, Eitelkeit, Denkfaulheit, bequeme Gewohnheiten bedroht +erscheinen. Ungefährlich werden die Liebhaber des alten Schlendrians, je +mehr die Zeit eine neue Erfindung oder Einrichtung bewährt. Je weniger +Bürgschaften für solche Bewährung vorliegen, desto schwankender, +zweifelhafter, unentschiedener werden dann auch diejenigen sich verhalten, +deren Besonnenheit und weitschauender Blick sich nicht damit verträgt, das +schadhafte Alte mit ungeprüftem Neuen zu vertauschen, insbesondere wenn das +Alte noch verbesserlich erscheint und das Neue nur mit großen Opfern und +Gefahren eingeführt zu werden vermag. + +In Amerika ist die Verwerfung gemeinsamer Haft längst entschieden und der +Streit dreht sich dort nur noch um die Frage, ob die _scheinbare_ und +_halbe_ Trennung der Gefangenen durch das sogenannte Schweigsystem +oder die _wirkliche_ und _vollständige_ durch das System +absoluter Vereinzelung räthlicher und fruchtbringender sei, eine Frage, +welche auffallend erscheinen würde, wenn man nicht wüßte, daß die Erfahrung +viele Bedenken, Vorurtheile und Gefahren der einsamen Haft wirklich oder +scheinbar bestätigte. + +Einerseits wurden die Forderungen und Erwartungen zu hoch gespannt, +anderseits die Leistungen zu gering befunden, weil eben die Lösung der +Frage der einsamen Haft nur durch Versuche allmählig geschehen und dabei +nicht leicht vermieden werden kann, daß verkehrte Maßregeln und untaugliche +Leute den Vielen Waffen in die Hand geben, die das Kind gerne mit dem Bade +ausschütten. + +England und Frankreich mit andern Ländern, in Deutschland Preußen voran +scheinen von der Unverbesserlichkeit der gemeinsamen Haft längst überzeugt; +jenes sendet seine Verbrecher mit altgewohntem Krämergeiste baldmöglichst +nach Australien, um jene einst so glücklichen Eilande mit dem Gifte +europäischer Verdorbenheit zu beglücken und sich selbst das zweibeinige +Ungeziefer weit vom Leibe zu schaffen; die Franzosen ergriffen den Gedanken +der einsamen Haft mit gewohnter Lebendigkeit und führten ihn an manchen +Orten ins Leben, doch einerseits würde die allgemeine Einführung der +Zellenhaft viele Millionen verschlingen und anderseits tobte die +federnmordende Feldschlacht zwischen Liebhabern des Schweigsystems und der +Zelle, wobei sich die Anhänger des Alten und Bestehenden vergnüglich die +Hände rieben und sich hinter das Flicken machten. + +In Preußen zunächst, wo die Regierung auch im Gefängnißwesen Großes leistet +und wacker für Vereine für entlassene Gefangene kämpfte, hat der edle +Julius insbesondere eifrig gewirkt für einsame Haft. Es wurden +Zellengefängnisse nach englischem Muster gebaut, die folgerichtige +Durchführung der einsamen Haft leider auch nach englischem Muster +aufgegeben. Einzelne in andern Ländern redeten und schrieben Vieles von +bisher unentdeckten Verbesserungen der gemeinsamen und noch weit mehr von +der abscheulichen Kostspieligkeit und der menschenmörderischen +Abscheulichkeit der Einzelhaft. + +In allen Ländern Europas erhoben sich die edelsten und gelehrtesten Männer +_für_ seltener auch _gegen_ die Einrichtung, gegen deren +Einführung der Kostenpunkt die einleuchtendste und beliebteste Einwendung +blieb. + +Daß in einer so wichtigen Frage nicht nur die Vernunft, sondern manchmal +auch die Leidenschaft im Humanitätsmantel das Wort ergriff, viel Sinnloses, +Unwahres und Lächerliches zu Tage gefördert, Mücken zu Elephanten gemacht +und die altberühmten Hochschulen des Lasters, nämlich die alten Zuchthäuser +als wahre Tugendschulen angerühmt wurden, versteht sich von selbst und mehr +als Einer brütete ein sogenanntes "System" aus, das auf den Gedanken +hinauslief: "wenn _alle_ Gefängnißbeamte _meine_ Erfahrung und +_meinen_ Geist hätten, um _meine_ Klassen unfehlbar +durchzuführen, dann wäre aller Noth ein Ende gemacht!" Hätten doch diese +"Systematiker" ins eigene oder ins nächste beste Eheleben hineingeschaut, +wo die _Gewohnheit des Umganges_ gegen Schattenseiten der Gatten und +Kinder _abstumpft_, dann bedacht, daß ihre Pfleglinge Leute voll +Irrthümer, Fehler, Leidenschaften und Laster, das vom Gesetz erzwungene +Beisammenleben ein vielköpfiges, leidenvolles und verdrießliches, jedes +gute Beispiel von vornherein ein zweideutiges sei, sie würden endlich doch +den eigentlichen Grundfehler aller gemeinsamen Haft, die _unabwendbare +mehr oder minder völlige Abstumpfung gegen Recht, Sitte und Religion_ +gemerkt und endlich eingesehen haben, daß die Besserung nicht aus Tabellen +der Rückfälligen bewiesen werde, für schlechte Gesellschaft kein Kräutlein +gewachsen sei und ein schlechter Kerl der Gesellschaft schweren Schaden +bringen könne, ohne deßhalb wiederum den Männern des Rechts in die Haare zu +gerathen. + +Nicht zweideutige Listen von Rückfälligen, sondern getreue und +gewissenhafte Berichte über das Leben und Treiben aller Entlassenen möchten +entscheiden, ob die Besserung in gemeinsamer Haft kein Unding und in +einsamer kein schöner Traum gutmüthiger Menschenfreunde sei! ... + +In Preußen wie in Baden sind die Strafanstalten, in welchen gemeinsame Haft +besteht, wohl so gut eingerichtet und verwaltet, als in Baiern oder +anderswo, in manchen Dingen vielleicht noch weit besser, obgleich kein +großes Geschrei damit gemacht wird--doch die uralten Erbschäden jener +Haftart lassen sich nie und nimmermehr beseitigen. Was unser Baden +insbesondere betrifft, so lese man den vortrefflichen Commissionsbericht +Welkers, die Verhandlungen in den Kammern der Landstände, die Schriften der +Herren Mittermaier, v. Jagemann, Diez und Anderer, um sich zu überzeugen, +daß die badische Regierung sich ein Verdienst um die deutschen Lande, um +die Menschheit und bei Gott erwarb, als sie das Zellengefängniß in Bruchsal +erbaute und einrichtete, welches jetzt über 5 Jahre Gefangene beherbergt +und die einsame Haft, wie dieselbe in Deutschland sich durchführen läßt, +unter den mißlichsten Umständen zu Ehren bringt. + +Bestände die Besserung darin, daß die Gefangenen sich nicht beim +Uebertreten der Hausordnung erwischen lassen und fleißig arbeiten, dann +wäre es unnöthig gewesen, ein kostbares Zellengefängniß nach dem Muster von +Pentonville aufzubauen, weil Folgsamkeit und Fleiß bei der überwiegenden +Mehrzahl der Gefangenen jeder nicht ganz unmenschlich und hirnlos +geleiteten andern Anstalt angetroffen werden. + +Der großartige Bau zu Bruchsal hat großartige Summen gekostet, die +Unterhaltung der Anstalt bleibt kostspieliger als diejenige eines andern +Zuchthauses, wiewohl der Gewerbebetrieb in einer Weise blüht, wie nirgends, +deßhalb wird die Frage entstehen, ob die Früchte solcher Opfer werth seien? + +Die Thatsache, daß es Rückfällige gibt, möchte verleiten, die Frage mit +Nein zu beantworten und vom Versuchen mit der einsamen Haft abschrecken, +allein nicht die Thatsache an sich, sondern die Ursachen derselben werden +entscheiden und je weniger einerseits diese Ursachen in einem notwendigen +Zusammenhange mit dem Grundsatze des Einzelsystems stehen, je unläugbarer +anderseits die erfreulichen Folgen des Systems vorwiegen, desto mehr wird +man obige Frage mit Ja beantworten müssen. + +Weßhalb? + +Kehren wir zu unsern Geschichten zurück. + +Ein kalter, nebliger Herbstmorgen schaut über das Rheinthal, die Thurmuhren +von Bruchsal schlagen halb fünf Uhr und lange Reihen erleuchteter +Fensterchen leuchten in die nächtliche Gegend hinaus und erregen wehmüthige +Gefühle dem Menschenfreunde, der die dunkeln Umrisse des Zellengefängnisses +bei der Wanderung aus Bruchsal gen Ubstadt erkennt oder den langgedehnten +Ruf der Schildwachen vernimmt, der klagend von der hohen Ringmauer +herabtönt. Hinter jedem dieser vergitterten Fenster lebt ein menschliches +Wesen, ein Lebendigbegrabener und büßt viele Monde, viele Jahre, vielleicht +sein ganzes Leben lang eine That, der Du Dich vielleicht unter gleichen +oder auch nur ähnlichen Lebensverhältnissen ebenfalls schuldig gemacht +hättest. Er lebt einsam und wie viel liegt in dem Worte einsam! + +Auch Du liebst zuweilen die Einsamkeit, hast wohl Zimmermanns schönes Buch +über dieselbe gelesen, doch vor gezwungener beständiger Einsamkeit +schauderst Du zurück, denn Du weißt ohne den Hugo Grotius jemals gelesen zu +haben, der Mensch sei keineswegs für ertödtende Einsamkeit, sondern für die +Gesellschaft geboren, er werde nicht durch Vereinzelung sondern durch +Mithülfe seiner Nebenmenschen Mensch. + +Kurzsichtiges Wohlwollen macht Dich geneigt, den Gegnern der einsamen Haft +beizustimmen, wenn dieselben predigen, solche Haftart sei "unseres +Jahrhunderts und der Menschheit unwürdig!" + +Für Jeden, der niemals selbst gefangen war, bleibt es schwer, sich in die +Lage eines Gefangenen und vor Allem eines Zellengefangenen vollständig +hineinzudenken; in dieser Schwierigkeit finden wir den vornehmsten Grund, +weßhalb es zahlreiche Gegner der Einzelhaft gibt und weßhalb manche +Wortführer derselben mit den aberwitzigsten Behauptungen und krassesten +Vorurtheilen Anklang bei hochgebildeten, religiösgesinnten und +einflußreichen Leuten, geschweige beim gewöhnlichen Volke finden. + +Die Durchführung der einsamen Haft ist eine Aufgabe, deren Lösung nur +_allmählig_ geschehen und je nach den Eigenthümlichkeiten eines Landes +und Volkes sich mehr oder minder eigenthümlich gestalten wird. + +_Sklavische Nachahmung ausländischer Gefängnisse_ mögen in Verbindung +mit der _sorglosen Wahl der Beamten und Aufseher_ der guten Sache der +Einzelhaft bisher wohl den meisten Eintrag gethan und in Preußen vielleicht +den hauptsächlichsten Anlaß zur Verpfuschung des Systems abgegeben haben. + +Das Zellengefängniß zu Bruchsal wurde bekanntlich nach dem Muster von +Pentonville erbaut und eingerichtet, doch sahen wir mit eigenen Augen, wie +sehr alle gemachten und reifenden Erfahrungen benutzt und allmählige +Verbesserungen eingeführt wurden, welche namhafte Verschiedenheiten +zwischen dem englischen Muster und dem deutschen Abbilde begründen. + +Der Duckmäuser lebt seit 4 Monden in einer Zelle, sein Haß gegen den +Spaniolen führte den Anlaß zur Versetzung dieses langjährigen Gefangenen +herbei; mit düstern Ahnungen sah er die eiserne Thür der Bruchsaler +"Bastille" hinter sich schließen, doch seine Ahnungen haben sich diesmal +nicht erfüllt, vielmehr hat die einsame Haft einen Schimmer von Glück über +das Stillleben dieses Unglücklichen verbreitet. ... + +Schlag halb 5 Uhr erwachte er aus einem erquickenden Schlafe, sprang aus +dem Bette, dessen Seegrasmatratze ihm trotz der Härte ganz anders mundet, +als das ebenfalls harte und bald zerriebene Stroh seiner altgewohnten +Lagerstätte. + +Während er sich bemüht, Kopfpolster, Leintücher und Teppich in die +vorgeschriebene Ordnung zu legen, vernimmt er den Wiederhall der +Wasserkrüge, welche der Hausschänzer draußen auf dem Gange auf die +steinernen Platten stellt, das sich stets wiederholende Rauschen des +Brunnens, die Schritte des Aufsehers, der eine Zelle nach der andern +aufschließt. + +Jetzt öffnet sich die Thüre von Nro. 110, der Aufseher tritt mit der Lampe +herein, zündet das Licht an, welches auf dem eichenen Tische steht, +ergreift die vordere Stange des in starken Riemen hängenden Bettes, +schließt dasselbe an die Wand, wodurch der Raum der Zelle um ein Namhaftes +vergrößert wird und entfernt sich mit dem Wasserkruge des Gefangenen. + +Dieser schließt zunächst den aus 2 Tafeln bestehenden Tisch--die vordere +dieser Tafeln ist mit schwarzem Firniß überzogen und man sieht darauf die +Figuren des pythagoräischen Lehrsatzes sammt den halbverwischten Zahlen +einer Rechnung--ebenfalls an die Wand, thut Gleiches mit dem Bänkchen, +welches ziemlich unzweckmäßig unsern Benedict zwingt, dem durch das Fenster +herabdringenden Lichte den Rücken zu kehren und während er einige +Augenblicke in den sternenlosen Nebelmorgen hinausblickt, benützen wir die +Zeit, um uns ein bischen in diesem Raume umzuschauen. + +Die Zelle ist hoch und bildet ein längliches Viereck, dessen gewölbte Decke +gut geweißelt, dessen Wände mit hellem Grün angestrichen sind und dem +Bewohner gestatten, 8-9 Schritte in die Länge und 4 in die Breite zu thun, +wenn es denselben beliebt, in gerader Richtung zu gehen anstatt durch die +schräge den Weg zu verlängern. Rechts von der Thüre ist das Bett an die +Wand angeklappt, weiter hinten befindet sich ein Kleiderrechen, dort hängt +am Nagel ein langer Stock, vermittelst dessen der Gefangene in den Stand +gesetzt wird, den obern Flügel seines Fensters beliebig zu öffnen. Die +Fensterscheiben sind gut verbleit, die obern hell und rein, die untern hie +und da von geripptem oder geblendetem Glase. + +Ein Schrank steht auf der entgegengesetzten Seite links von der starken, +rothbraun angestrichenen Thüre, an der sich ein Glockenzug, oben die +eingeklammerte Nummer der Zelle, unten eine Vorrichtung befindet, welche +Jedem gestattet, die ganze Zelle von Außen zu überschauen, während der +Gefangene nichts davon bemerkt, sich folglich in jedem Augenblicke +beobachtet glauben darf. Der Schalter in der Thüre bleibt geschlossen, wenn +der Aufseher nicht etwa Essen und Trinken oder Werkzeuge hereingibt und die +Thüre selbst kann nur von Außen geöffnet werden. Oben auf dem genannten +Schranke stehen Schreibmaterialien und Bücher, im obersten Gesimse +desselben der Wasserkrug, an welchem gleichfalls die Zellennummer hängt, +unten ein kleiner Verschlag, in welchem die Eßgeräthe sammt dem Brode +verschlossen werden, unten dran steht eine blecherne Waschschüssel; Seife +und Kamm liegen neben Aufputzlumpen und zur Seite hängt ein Kehrwisch sammt +Schäufelchen. Hinter dem aufgeklappten Tische und Bänkchen steht eine +Hobelbank und der übrige Theil der Zelle wird durch Bretter, Klötze, +Werkzeuge und angefangene Arbeiten aller Art ausgefüllt. Erwähnen wir noch, +daß die Hausordnung an der Wand durch einen grünen Lichtschirm theilweise +bedeckt wird und unter derselben ein biblischer Kalender sammt einem +Stundenplan für Schule und Kirche hängt, so haben wir so ziemlich alle +Gegenstände beschrieben, die sich im Bereiche des Duckmäusers befinden, +wenn wir die mit Draht eng übersponnenen Oeffnungen für frische und +erwärmte Luft nicht vergessen, welch' letztere Oeffnung durch einen +Schieber von Eisenblech beliebig geöffnet und geschlossen werden kann. + +Numero Hundertzehn, wie der Vatermörder fortan heißen soll, hat sich +gewaschen, vielleicht ein leises Gebet dazu gemurmelt und hängt das +Handtuch an den Rechen, als der Aufseher den Schalter öffnet und den +gefüllten Wasserkrug hereingibt. Jetzt wird die bekannte Stimme eines +Obermeisters im Gange hörbar, der Gefangene spitzt die Ohren und ergreift +einen Hobel oder eine Säge oder den Polierlumpen, um an seine Arbeit zu +gehen. + +Um 6 Uhr rufen die Schildwachen auf der Ringmauer abermals ihr eintöniges +Wer da; draußen wird es heller und heller, die Spatzen jagen sich bereits +aus ihren Nestern, zwitschern vor dem Fenster ihren Morgengruß herein; das +Oeffnen schwerer Thüren, das Fahren eines Wagens, die Frühmeßglocken +gewähren dem Ohre des Gefangenen hinreichende Beschäftigung, abgesehen vom +Geräusche der Arbeit, den Schritten des über dem Kopfe weggehenden +Mitgefangenen, dem Lärm im Gange, dem zeitweiligen Geschelle, welches die +Gefangenen eines andern Flügels oder Stockwerkes in den Spazierhof +einladet. + +Abermals öffnet sich der Schalter, der Aufseher reicht ein halbes Laiblein +gutgebackenen, schmackhaften Brodes herein, Nro. 110 langt aus dem +Verschlage ein stumpfes Messer sammt Salzbüchse, beginnt zu essen und +während er kaut, löscht er die Lampe aus, in welcher eine Mischung von +entwässertem Spiritus und Terpentin den Brennstoff bildet, betrachtet den +Kalender und streicht ruhig den gestrigen Tag durch--der lebenslänglich +Verurtheilte träumt von dereinstiger Befreiung und hat seine Gefängnißtage +zählen gelernt, er glaubt, daß ihn jeder Strich im Kalender der schon 10 +Jahre entbehrten Freiheit näher bringe: + + Die Welt wird alt und wieder jung! + Der Mensch hofft immer Verbesserung! + +Jetzt läutet's auch hier in den Hof. Nro. 110 schließt den Schieber der +Luftheizung, öffnet das Fenster, zieht den Zwilchkittel an über das wollene +Unterwammes, ergreift die blecherne Nummer ob der Thüre, hängt dieselbe in +ein Knopfloch und setzt eine blauwollene Mütze auf, deren mit 2 +Augenlöchern verzierter Schild herabgelassen werden muß und den größten +Theil des Gesichtes bedeckt, so daß kein Gefangener das Angesicht des +Andern zu sehen im Stande ist. Diese Mütze macht unstreitig einen +peinlichen Eindruck auf fremde Besucher und in der ersten Zeit auch auf den +Gefangenen, doch ist letzterer bald daran gewöhnt und während der Schaden +nicht zu finden ist, welchen diese Mütze bringt, läßt sich ihr Nutzen desto +besser absehen und wozu ohne Noth Etwas beseitigen, was für den Grundsatz +der _vollkommenen Trennung der Gefangenen_ wesentlich ist? Man hat +zwar noch niemals erlebt, daß die Leute einander durch ihr bloßes +flüchtiges Anschauen mit ihren Fehlern anstecken und läßt sich nicht +läugnen, daß ein Zellenbewohner den vor ihm Hergehenden möglicherweise +trotz der Maske am Gange und den Umrissen der Gestalt erkennt, allein +Dreierlei läßt sich ebenfalls nicht läugnen, nämlich daß erstens die Maske +jedenfalls dazu beiträgt, Anknüpfung von Bekanntschaften zu erschweren, +ferner den Gefangenen vor den Blicken neugieriger Besucher der Anstalt +beschützt und endlich den großen Vortheil bietet, daß er nach der +Entlassung nicht leicht Zuchthausbrüder trifft, welche ihn erkennen und in +unangenehme oder gefährliche Lagen versetzen. + +Zudem trägt der Gefangene die vielbeschrieene Maske, die von Dickens +überschwänglicher Einbildungskraft seltsam genug ein "Grabhemd" genannt +wird, nur auf dem Wege in Hof, Badzellen, Schule oder Kirche, somit selten +länger als einige Minuten. + +Jetzt öffnet sich die Thüre von Nro. 110, Nro. 109 ist bereits 10-15 +Schritte voraus und 110 folgt ihm in der Art, daß der Abstand vom +Hintermann 111 ebensoviele Schritte beträgt. + +Lauernd steht der Aufseher des dritten Stockwerkes an einem Platze, von wo +aus ihm nicht die leiseste Bewegung der in den Spazierhof gehenden Bewohner +des ersten Stockwerkes zu entgehen vermag und wenn Einer seine Schritte +nicht gehörig beschleunigt oder gar Lust zum Umherschauen zeigt, verweist +ihn die Stimme des Aufpassers augenblicklich in die Schranken der +Hausordnung. + +Nro. 110 eilt durch den Gang die Treppe hinab in den Hof. Eine frische +Morgenluft weht von den Hügeln herüber, dessen Bäume mit ihren vielfarbigen +Blättern, dessen Weinberge und blumenlose Wiesen ihn an die Herbstmorgen +auf dem Lande mahnen. Krächzend eilen einige Raben dem Walde zu, er hört +das Krähen einiger Hähne in der Nachbarschaft, das unaufhörliche Gezänke +zahlreicher Vögel im Hofe und auf dem Dache. Die Bäume, Sträucher und +Blumen, die Holzstöße und Faßdaubenpyramiden im Hofe dieses Flügels-- +dieser ganze Anblick gewährt einen Schimmer von Freiheit. + +Schon ist Nro. 110 in das runde Häuschen eingetreten, von welchem die +zahlreichen, etwa 10´ hohen Mauern der Spazierhöfe ausstrahlen, welche +vielleicht mit einer versteinerten Sonnenblume verglichen werden können, +deren meiste Blätter in regelmäßigen Zwischenräumen herausgerissen wurden. + +Nro. 110 eilt in den bereits offenstehenden, für ihn bestimmten Spazierhof, +dessen eine Mauer mit einem ziemlich langen Regendache von Eisen, dessen +beide Mauern an ihrer Mündung durch ein hohes eisernes Gitter verbunden +sind und dessen Boden mit gelblichem Sande aufgefüllt ist. + +Eifrig eilt er zwischen dem Gitter und dem geschlossenen Thürchen hin und +her, schaut zuweilen nach den Wolken, die grau und schwerfällig gegen +Westen ziehen, nach der Schildwache, die in ihren Mantel gehüllt still und +stumm von der Ringmauer herabschaut, um den visitirenden Korporal oder die +Ablösung zu erwarten oder nach dem Zellenflügel, dessen Fenster im matten +Scheine des über die Berge schauenden Morgenrothes schimmern oder er +verfolgt den trägen Gang der Spinne, eines andern Insectes, welches an der +Mauer herumkriecht. + +Oben in seinem Häuschen hört er den Aufseher hin- und hergehen, der alle +Spazierhöfe und Spaziergänger mit Einem Blicke oder Einer Wendung +überschaut, hört die eiligen Schritte der Nebenmänner und diese Art von +Mittheilung ist wohl die einzige, welche in den Spazierhöfen stattfindet. + +Die Wände zu verschreiben, Zettel in den nächsten Hof zu werfen, ein Duett +im Husten anzustimmen sind Dinge, welche so wenig ungeahndet bleiben, als +wenn Einer von seinem Zellenfenster in den Hof herabschaut. + +Jetzt wird geschellt, die halbe Stunde des Spazierganges ist vorüber, in +derselben Ordnung, wie die Gefangenen gekommen, gehen sie auch wieder in +ihre Zellen zurück. + +Nro. 110 hat Fenster und Thüre offengelassen, die Zelle ist vollständig +gelüftet, er schlägt die Thüre zu und geht daran, den Boden zu reinigen, +der aus Ziegelplatten besteht. Durch das viele Gehen löst sich von diesen +Ziegelplatten ein feiner Staub ab, der jedoch nur dann sehr ungesund werden +mag, wenn der Zellenbewohner ein unreinlicher Bursche ist, was bei den +Falkenblicken des Obermeisters und Aufsehers nicht wohl angeht. + +Unser Gefangener reinigt die Zelle, schließt das Fenster, öffnet den +Schieber der Luftheitzungsöffnung aus welcher eine wohlthuende Wärme +herausströmt und geht dann wieder an seine Arbeit. + +Abermaliges Schellen, das Zuschlagen der Schalter der Zellenthüren +verkündiget die Austheilung der Morgensuppe; Nro. 110 rüstet sein +Schüsselchen, der Aufseher öffnet den Schalter, füllt dasselbe und schlägt +rasch wieder zu, um weiter zu gehen. + +Der Zellenbewohner ißt und arbeitet dann mehrere Stunden; von Zeit zu Zeit +tritt ein Werkmeister oder Aufseher herein und bleibt einige Augenblicke, +um Etwas anzuordnen oder nachzuschauen. + +Um 10 Uhr öffnet sich die Thüre, der Director mit seinem freundlichen, +wohlwollenden Gesichte tritt herein. + +Jene Art von Besuchen, wie sie in England gang und gäbe sind, wo der +Aufseher die Thüre aufreißt, der Beamte sein stereotypes: %"is all +right?"% herabschnurrt und sofort weiter geht, wenn der Gefangene nicht +ein besonderes Anliegen vorzubringen hat--solche Besuche, welche lediglich +einer polizeilichen Controlle entsprechen, sind für den Gefangenen fast +werthlos, für den Beamten sehr bequem, in Bruchsal glücklicher Weise +unbekannt. + +Besuche der Beamten tragen hier den Charakter einer Wohlthat an sich, sind +ein mächtiges Mittel der Erholung, geistigen Anregung, Bildung, Versöhnung +mit der Strenge des Schicksals und der Gesetze, der Besserung. Täglich in +viele Zellen eilen, welche die verschiedenartigsten Menschen beherbergen, +die verschiedenartigsten Gemüthsstimmungen antreffen, sich Lunge und Leber +herausreden, aus verschiedenartig erwärmten Zellen in die eisige Zugluft +der Gänge hinaustreten, Gerüche aller Art und Staub ebenfalls einathmen--es +ist ein Geschäft, das im Laufe weniger Jahre die Gesundheit des kräftigsten +Mannes erschüttert, ein Geschäft, welchem sich schwerlich Einer unterzöge, +der nicht eine bedeutende Portion ursprünglicher Menschenliebe im Herzen +hat. + +Was bei andern Gefangenen selten oder nie der Fall sein wird, ist bei +Zellenbewohnern der Fall: die ins Einzelnste gehende Controlle jedes +Einzelnen, das Lesen seiner Untersuchungsakten, Briefe und Besuche unter +vier Augen gewähren dem einsichtsvollen Beamten eine mehr oder minder +vollständige Kenntniß jedes einzelnen Gefangenen. + +Dieser müßte ein Heuchler erster Größe sein, wenn er mondenlang, jahrelang +eine falsche Rolle spielen, sich nicht _unwillkürlich_ in seinen +Reden, Geberden, Handlungen als derjenige zeigen sollte, welcher er +wirklich ist. Er wird offen, vertraulich, manchmal bis zur Unverschämtheit +offen und vertraulich gegen die Beamten aus dem ganz einfachen und +einleuchtenden Grunde, _weil er keine andere Gesellschaft hat._ Wo +Sträflinge beisammen leben, kann der Beamte sich nicht leicht mit Einzelnen +besonders abgeben, muß Einen wie den Andern behandeln und der Gefangene +findet gar keinen Grund, weßhalb er einem Beamten Blicke in sein Innerstes +gestatten, sich dadurch in den Augen desselben herabsetzen sollte, zumal +das natürliche Interesse ihn auffordert, nur seine Lichtseiten leuchten zu +lassen, um sich Wohlwollen zu erwerben. So gewöhnlich Verstellung und +Heuchelei in gemeinsamer Haft sind, so leicht eine mehr oder minder falsche +Rolle hier mit Glück gespielt werden mag, weil der in der Heuchelei +liegende Zwang nur ein sehr vorübergehender ist--so selten mag in +Zellengefängnissen in die Länge und mit Glück geheuchelt werden. Es wird +für den Zellenbewohner zur psychologischen und moralischen Nothwendigkeit, +sich so zu geben, wie er ist und dieses setzt die Beamten in Stand, +_Jeden nach seiner eigenthümlichen Art und Weise zu behandeln._ Je +mehr aber Einer nach seiner Art und Weise behandelt wird, desto mehr wird +er uns seine Zuneigung und sein Vertrauen zeigen. + +Durch nachläßige, taktlose oder unmenschliche Behandlung der Zellenbewohner +von Seite der Beamten und Angestellten mag wohl die gute Wirkung des +Einzelsystems sich häufig genug in das Gegentheil verkehrt haben und man +bürdete dem System die Schuld untauglicher Angestellten und Beamten auf, +nicht zu vergessen des Wahnes, man bedürfe keiner besondern Bildung, um als +Beamter unter Sträflingen zu wirken, könne jeden Schreiber und Tabellenheld +dazu brauchen ... Ein geistreicher und berühmter Rechtsgelehrter sagte uns +vor einiger Zeit, die einsame Haft sei eine "Pferdekur;" wir stellen +Solches keineswegs in Abrede, meinen jedoch, bei Menschen, welche mehr oder +weniger Thierisches und Unterthierisches an sich tragen, schade eine +Pferdekur wenig und der Schmerz derselben werde um so erträglicher und +fruchtbringender, heilsamer, je geschickter der Arzt sei! + +Der Duckmäuser ist heute verstimmt, der Morgen ist so trüb und +unfreundlich, Wind und Wetter, die verschiedenen Zeiten des Tages und der +Nacht, des Jahres, manchmal auch der Wechsel des Mondes üben einen so +großen Einfluß auf das Gemüth Einsamlebender aus! + +Er thut heute, was er als alter Gefangener selten oder niemals zu thun +pflegt, fängt nämlich an, nachdem er eine kleine Abhandlung über eingelegte +Schreinerarbeit zum Besten gegeben, über die lange Dauer seiner +Gefangenschaft zu reden und von der Wahrscheinlichkeit, daß er wohl hier +sterben müsse. + +Die Hausordnung gibt jedem andern Gefangenen Hoffnung auf Berücksichtigung +von Gnadengesuchen, wenn die Hälfte der zuerkannten Strafe überstanden ist +--doch was geht dies einen Gefangenen an, dessen Todesstrafe in +_lebenswieriges_ Gefängniß umgewandelt wurde? Für ihn ist die Zelle in +der That ein Sarg, er ist ein Lebendigbegrabener und dennoch bleibt er ein +Mitglied der menschlichen Gesellschaft, denkt lieber an die Erde als an den +Himmel und findet in den Besprechungen dieses einen Ersatz für die +Entbehrung der Genüsse, welche jedem Bettler zu Gebote stehen. + +Die Einsamkeit vermehrt den Alpdruck des vernichtenden Wortes: +"lebenswierige Gefangenschaft", er hat die Bedeutung dieses schauerlichen +Wortes erst in neuerer Zeit recht fühlen gelernt! + +Was soll der Director thun? Dem Unglücklichen den Schein jeder Hoffnung +nehmen und die düstere Stimmung desselben vermehren? Nein, er redet von der +_Möglichkeit_ dereinstiger Befreiung, von Auswanderung nach Amerika +und scheidet aus der Zelle, einen Glücklichen hinter sich zurückzulassen. + +Numero Hundertzehn schaut ihm gerührt nach; ist dieser auch nicht im +Stande, ihn dereinst zu befreien, so wünscht er doch, dieses thun zu +können; Theilnahme und Wohlwollen eines Freien und Glücklichen sind aber +für den Gefangenen unschätzbare Güter und die Hoffnung stirbt erst mit ihm. + +Er steht vor dem Kalender, trägt nicht übel Lust, den heutigen Tag roth +anzustreichen, doch läßt er es bleiben und greift frischer und muthiger als +je nach seinem Hobel und je näher die Einbildungskraft das Jahr der +Befreiung herbeizaubert, desto ärger hobelt er darauf los! + +Abermaliges Schellen, Aufschließen der Zellenthüren, Herausmarschiren +vieler Gefangenen. Es ist eilf Uhr, heute wird Religionsunterricht für +Katholiken ertheilt, die Religionsstunde der Evangelischen ist bereits +vorüber. Bald kommt die Reihe des Marsches an Numero 110; noch einige +eilige Hobelstöße, dann rüstet er sich wieder aus, wie zum Gange in den +Hof, jetzt öffnet sich die Thüre abermals und 110 eilt 109 nach durch den +Gang, viele scharfbewachte Stiegen hinauf in die Kirche. + +Die amphitheatralisch gebaute Kirche des Zellengefängnisses zu Bruchsal zu +beschreiben, wäre zu weitläufig; es genügt zu wissen, daß jeder Gefangene +seinen besondern Verschlag hat, eine Art Miniaturzelle, welche ihm das +Sitzen, Knieen und Stehen gestattet und so eingerichtet ist, daß Keiner den +Andern, Jeder den Altar, die Kanzel, den Priester, einzelne Aufseher zu +sehen vermag, denen keine seiner Bewegungen entgeht. + +Numero 110 hängt die Zellennummer an ihrem bestimmten Platze auf und bald +erscheint der Geistliche auf der Kanzel, um den Religionsunterricht zu +beginnen. + +Derselbe pflegt gewöhnlich in einer Reihe zusammenhängender Vorträge dieses +oder jenes Buch des neuen Testamentes zu erklären, doch seit einiger Zeit +belehrt er über die heiligen Sakramente der Buße und des Abendmahles und +macht den klaren, schönen Vortrag durch das Einmischen von Stellen aus den +Werken namhafter Gottesgelehrten noch anziehender, nicht ohne die +Einwendungen und Angriffe der hauptsächlichsten Gegner der katholischen +Lehre zu berühren und mit jener eindringlichen Ruhe abzuweisen, welche die +Frucht eigener tiefer Ueberzeugung ist. + +Heute behandelt er insbesondere die wahrhafte, wirkliche und wesentliche +Gegenwart Christi im Abendmahle, eine Lehre, welche Allen, die die Liebe +nicht vollkommen verstehen oder die Wirkungen dieses hochheiligen +Sakramentes nicht an sich selbst empfunden haben, unbegreiflich, sinnlos, +ja als eine Herabsetzung und Entwürdigung Gottes erscheint, während die +Andern den Triumpf der Religion in ihr vollendet sehen. + +"Will gar nicht verlangen, daß Gott mit mir Eins und ich selbst dadurch +gottähnlich werde, dürfte ich nur menschenähnlich sein und beim +Straßenbasche als der ärmste Taglöhner leben! ... Um mich hat sich Gott +niemals bekümmert, Seine Liebe und der Fluch meines Lebens reimen sich +nicht zusammen! ... Wenn der Pfarrer wieder kommt, soll er eine harte Nuß +zum Aufbeißen haben!" ... denkt der Benedict, während der Geistliche +verschwindet, die Verschläge nach einander wiederum geöffnet werden und er +die Schneckenstiegen hinab in den Gang und in seine Zelle marschirt. + +Der Geistliche eines Zellengefängnisses hat besondere Vortheile vor andern +Gefängnißgeistlichen. Erstens kann er die ganze Religionsstunde seinem +Vortrage widmen und den Stoff desselben verdoppeln und verdreifachen; +zweitens kommt er zu jedem einzelnen Gefangenen, spricht mit diesem unter +vier Augen und kann sich vom Eindrucke überzeugen, welchen sein Vortrag +machte, denselben wiederholen, ergänzen, vertheidigen, bei Neueingetretenen +mit Früherm vermitteln; drittens endlich ist er keinen Verdächtigungen und +Verleumdungen ausgesetzt, während der Sträfling so wenig von Hohn und Spott +als von falscher Schaam weiß, dazu Zeit und Gelegenheit besitzt, Etwas für +seine religiöse Ausbildung zu thun und zudem die Gedanken, welche sich ihm +während der Religionsstunde aufdrängten, in der Einsamkeit nicht anhaltend +zu verscheuchen vermag. + +Bei Leuten, welche nur für kurze Zeit verurtheilt sind, mögen +Gleichgültigkeit oder Leichtsinn die Oberhand behalten, bei Solchen, +welchen die Liederlichkeit und Gottverlassenheit zur zweiten Natur +geworden, mag die Religion der Liebe manchmal als Religion des Schreckens +wirken und mancher alte Sträfling mag bleiben, was er längst geworden oder +stets gewesen ist. + +Von der Stadt herüber läuten die Mittagsglocken, die ablösende +Wachmannschaft eilt gemessenen Schrittes über die Ringmauer. Schon beim +Gang aus der Kirche stieg ein vielversprechender Duft aus der Küche des +Mittelgebäudes, jetzt ertönt ein mehrstimmiges Schellen, dann das Klirren +der Eßkessel und Schöpflöffel und der eilige Schritt der Aufseher, welche +sich in der Küche sammeln, um die Portionen für ihre Pflegbefohlenen +abzuholen. Heute ist kein Fleischtag. + +Jeden andern Tag prangt ein winziges Stücklein Fleisch in der zinnernen +Schüssel, ein Spatz vermöchte es bequem im Schnabel fortzutragen und doch +bleibt Etwas immer besser als Nichts. + +"Suppe!" Der Benedict hebt sein Schüsselchen unter den Schalter, der +Aufseher schöpft ihm seine Portion aus dem Kessel, schlägt den Schalter zu +und geht weiter. + +Die Suppe, eine gute schmackhafte Reissuppe, ist noch sehr heiß, aber sie +muß schnell gegessen werden, denn der Aufseher wird gleich mit der +Hauptspeise da sein. + +Heißes Essen schadet den Zähnen, Zuwarten kann dem Magen schaden, unter +zwei Uebeln wählt ein gescheidter Mensch das kleinere, deßhalb ißt der +Benedict die heiße Suppe. + +"Hersch!--Hersch!" rufts im Gange. + +"O jerum!" jammert unser Esser und weiß weßhalb. Der "Hersch" ist nichts +anderes als Hirsebrei, eine im badischen Unterlande gewöhnliche Speise der +Armen, im Zuchthause zu Freiburg wie überhaupt im Oberlande unbekannt und +der Benedict mag nun einmal den fatalen "Hersch" nicht. + +"Hersch!" ruft der Aufseher vor dem Schalter und bald ist das Schüsselchen +gefüllt. Auch diese Speise ist noch heiß, allein sie hat keinen Nachfolger +mehr und was der Benedict morgen nicht thun wird, weil er morgen Knödel +bekommt, vor denen übrigens ein guter Baier das Kreuz machte, das thut er +heute, stellt nämlich das Schüsselchen auf den Schrank, um den Brei kalt +werden zu lassen und später zu essen. + +Bevor die Anstalt Bruchsal die Kost für Gefangene, Kranke und Aufseher +selbst bereitete, war sie für die erstere manchmal herzlich schlecht und +zudem bekam der Zellengefangene Ursache, besonders nach den schönen +Brodlaiben Freiburgs zu seufzen. + +Dort wird jetzt die Kost und hier noch immer das Brod von der Anstalt +unmittelbar bereitet, in beiden Fällen profitirt der Staat sammt den +Gefangenen. + +Wie mancher Kostgeber ist schon durch augenlose Gefängnißsuppen reich +geworden, wie unzuverlässig ist die strengste Controlle, wenn Beamte und +Angestellte nicht zuverlässig und gewissenhaft sind!-- + +Numero 110 klappt den Tisch an die Wand, das Vorderblatt desselben ist eine +schwarz lakirte Schultafel, er greift zur Kreide, vertieft sich in den +pythagoräischen Lehrsatz und berechnet alsdann, wieviel Kubikzoll die +Commode enthalten werde, welche unter seiner kunstfertigen Hand entstehen +soll. + +Todtenstille herrscht minutenlang ringsum, die meisten Aufseher sind den +Beamten zum Essen nachgeeilt, aber wenn Jemand im Mittelbau eine Schüssel +fallen läßt oder sich nur herzhaft schnäuzt, können es sämmtliche Bewohner +der vier großen Flügel und die Nächsten so deutlich als die Fernsten +vernehmen. Wenn der Spruch: Wände haben Ohren--irgendwo gültig und die +Allwissenheit der Beamten irgendwo mehr als Redensart ist, so wird dies +sicher in einem Zellengefängnisse der Fall sein. Auf ihren Bureaus +vernehmen die Beamten jedes laute Wort und jedes auffallende Geräusch, +selbst wenn es von den äußersten Enden der Zellenflügel ausgeht. + +Jetzt scheinen selbst die sonst so geschwätzigen, zänkischen Spatzen Siesta +zu halten, selten flattert einer vor dem Gitterfenster von Numero 110 +vorüber und noch seltener sitzt einer vor dem Fenster, um sein graues +Röcklein zu putzen oder dem Gefangenen einen bessern Appetit +zuzuzwitschern. + +Letzteres ist auch nicht nöthig, denn obwohl der Duckmäuser den Hirsebrei +nicht liebt, so haßt er doch den Hunger noch weit mehr, folglich hat der +Brei bereits das Ziel seiner Bestimmung erreicht. + +Die Zellenbewohner haben ihre Ruhestunde, dieselbe wird ihnen nicht zur +Stunde des Verderbnisses, sondern sie lesen, schreiben, rechnen, zeichnen, +machen freiwillig an ihrer Arbeit fort, wenn dieselbe kein Geräusch +verursacht, oder gehen acht Schritte vorwärts und acht rückwärts und wer in +einem der Höfe steht, mag auch manches langgedehnte Gähnen, zuweilen ein +schweres Aufseufzen, ein lautes Selbstgespräch, vielleicht einen Versuch, +zu singen oder zu pfeifen, gleich darauf das Aufgehen einer Thüre, das +anklagende Gebrumme eines zweibeinigen Stückes der fleischgewordenen +Hausordnung und dazwischen das Hohngelächter des vorüberrauschenden +Eisenbahnzuges zu Ohren bekommen. + +Der Benedict hat den Magen mit "Hersch", den Verstand mit Zahlen und +geometrischen Figuren angefüllt, doch sein Gemüth blieb unbefriediget und +was der Director mit seinem Besuche gut machte, hat der Pfarrer mit seinem +Vortrage verdorben und besonders Eine Aeußerung desselben ist tief in +Benedicts Seele gedrungen und fällt ihm stets von Neuem bei, er mag +anfangen was er will: + +"Wer _unwürdig_ meinen Leib ißt und mein Blut trinkt, der ißt und +trinkt sich selbst das Gericht!" + +Wie oft nahte er sich aus Gewohnheit, um seines Rufes willen oder um die +Worte der Mutter zu erfüllen, dem Tische des Herrn! + +In der Kaserne hatte er sich allgemach von diesem Gebrauche emancipirt, er +wurde ihm lästig, das Aufgeben desselben brachte ihm eher Ansehen als +Schaden, bei Meister März faßte er vollends einen Ekel gegen die demüthige +Aufgeblasenheit und den weinerlichen Ingrimm der "Diener am Worte" und +deren Lämmlein, aber im Zuchthause hatte er sich regelmäßig zum Beichten +und Communiciren verstanden, um nicht in den obern Regionen in Mißcredit zu +kommen. + +Den Spruch, welchen der Geistliche heute vorbrachte, hörte er schon früher +hundertmal, doch niemals schlug er ihm so in die Seele, er greift nach +seiner Bibel und wundert sich selbst, weßhalb ein einziger Vers ihn so +unheimlich auf einmal berühren und zu beschäftigen vermöge. + +Er blättert und sinnt, bis die Schritte der Aufseher wiederum im Gange +wiederhallen und die Gangschelle verkündiget, daß er den zweiten Theil des +Tages mit dem zweiten Spaziergange beginnen müsse. + +Rasch und mißmuthig läuft er längs den Mauern seines Spazierhofes hin und +wieder. Er hatte sich schon manchen Tag mit gleichgültiger Ruhe in der +Zelle befunden, weil es ihm gelang, sich in die Ueberzeugung +hineinzubannen, er sei ein Todter, besitze keinen Anspruch mehr auf das +Leben und bleibe ein wandelnder Schatten mit vermodertem Herzen, so lange +es einer Macht gefalle, die er nicht kannte und von der er nichts forderte. + +Alte Gefangene huldigen gewöhnlich bewußt oder unbewußt solchem Fatalismus, +ihr Herz und ihr Benehmen strafen denselben oft Lügen, doch im Ganzen +scheint er ihnen ihr trauriges Loos erträglicher zu machen, wofür die +Hauptursache freilich darin zu suchen sein möchte, daß das Mitansehen des +Unglückes Anderer, die Zerstreuungen der Gesellschaft, die Verbindung, in +welcher sie durch dieselbe bei dem täglichen Wechsel der +Gefängnißbevölkerung mit der Außenwelt bleiben, ihre eigene Verinnerlichung +hindert. + +Der Benedict hat dem Himmel den Scheidebrief des Glückes geschrieben, als +er die Thüre der Strafanstalt zum erstenmal hinter sich schließen hörte; er +war ein lebenslänglich Verurtheilter, alles Fühlen, Denken, Wollen und +Streben seiner Person sollte fortan für die Welt verloren sein, blos sein +Leichnam dereinst noch einmal dieselbe Straße wandern, durch welche er +gerade gekommen. + +Er hegte nur Einen Wunsch: Ruhe und forderte diese Ruhe vom Tode, glaubte +auch, derselbe werde sie ihm gewähren. + +Die Jahre hatten ihn gegen die Leiden der Gefangenschaft und gegen das +Leben überhaupt abgestumpft, er glaubte dem Tode um einen starken Schritt +näher zu kommen, wenn er in die Zelle versetzt würde und--hatte sich +getäuscht. + +Im Gegentheil lebte der Mensch von ehemals in ihm wieder auf, das +versteinert geglaubte Herz begann von Neuem zu hämmern und zu pochen, das +Kind und der Jüngling, der verirrte Halbmann und der elende Sträfling +hielten aufregende Gespräche in ihm, durch die Freuden- und Sturmglocken +der Erinnerung tönten leise zuweilen andere, fremdgewordene Glockentöne und +die Möglichkeiten, welche hätten eintreffen können, wenn er diese oder jene +Handlung vollbracht oder unterlassen hätte, bot allgemach dem Duckmäuser +Stoff zu langen, schwermüthigen Betrachtungen. + +Er hatte geglaubt, von Gott gänzlich verlassen und verstoßen zu sein und +vom Tode doch jedenfalls Ruhe fordern zu dürfen, eher als viele minder +schwer Verurtheilte. + +Weßhalb? + +Ei, er war freilich als Vatermörder verurtheilt und menschliche Richter +waren nicht im Stande, ihn milder zu verurtheilen, als sie dies gethan +hatten. Er vermochte die Richter nicht anzuklagen, doch klagte er Gott +desto herber an und zwar deßhalb, weil Gott seine Gesinnungen kennen mußte +und Miturheber seines Unglückes zu sein schien. Trug denn Benedict jemals +den leisesten Vorsatz im Herzen, das gräßliche, todeswürdige Verbrechen des +Vatermordes zu begehen? Nein, niemals einen Augenblick, nach der That +schauderte er vor sich selbst zurück und begriff nicht, wie er dazu +gekommen!--Tödtete er seinen Vater im Affect? Auch dies war wiederum nicht +zur Hälfte wahr und Gott mußte wissen, daß er zwar im Schrecken mit einem +mächtigen Prügel in den dunkeln Hausgang hineinschlug, jedoch nicht, um den +Vater zu treffen, sondern lediglich, um ihm die Flinte wegzuschlagen und +ihn vom Kindermord abzuhalten. Wußte er nicht, daß eine Doppelflinte ob dem +Bette des Vaters hing und mußte er nicht glauben, daß dem ersten Schusse +ein zweiter folgen werde? Selbst die Richter erfuhren genug von Jacobs +harter, leidenschaftlicher Gemütsart, von seinem Hasse gegen den Hobisten +und vergaßen nicht, die Flinte sammt dem Schuß ernstlich in Erwägung zu +ziehen, sonst wäre Benedict unfehlbar um den Kopf kürzer gemacht worden. + +Viele andere Umstände ließen sich nur dadurch erklären, daß man dieselben +dem blinden Zufalle oder--dem allwissenden Gott in die Schuhe schob und +dieser Gott sollte ein allliebender und allbarmherziger sein? Gegen tausend +Andere wohl, gegen mich war er ein Tyrann! sagte der Benedict hundertmal, +wenn der Schmerz ob dem verlornen Lebensglücke zuweilen gewaltig in ihm +aufzuckte und die Trauergeschichte vom weißen Federbusch bestärkte ihn in +der Meinung, ein von Gott Verstoßener oder zum Unglücke Erkorner zu sein. + +In der Zelle erwachten mit den Jugenderinnerungen auch die Erinnerungen an +das vielfache Kreuz und Elend, welches er den Eltern bereitete und er +gelangte zur Einsicht, ein Kind, welches seinen Eltern großen Kummer +verursache, dadurch ihre Freude am Leben zerstöre und sie vor der Zeit ins +Grab stürze, sei eigentlich auch ein Elternmörder und der Tod der Eltern +eigentlich auch ein gewaltsamer. + +Von diesem Standpunkte aus fühlte er sich des Mordes beider Eltern +schuldig. + +Allein gibt es nicht Kinder seiner Art genug und keine Seele denkt daran, +sie deßhalb ins Zuchthaus zu stecken? + +Er begriff sein Schicksal so wenig als die heimlichen Qualen seines +Herzens, hoffte vom Tode Ruhe, gegen diese Hoffnung erhob sich fortwährend +die Religion und heute wurden Hoffnung und Ruhe durch die Worte: + +"Wer meinen Leib _unwürdig_ ißt und mein Blut _unwürdig_ trinkt, +der ißt und trinkt sich selbst das Gericht!" abermals heftig erschüttert. + +Wenn diese Worte keine leere Drohung enthielten, wäre ich nicht schon +hienieden ein gerecht Gerichteter? Wenn der Tod das, was in mir lebt, nicht +zerstörte, wie würde es mit mir im Jenseits aussehen? Hienieden +vieljähriges Kerkerleiden bis zum Tode, dort endlose, ewige Qual, +schauderhafter Gedanke! + +Diese Fragen beschäftigen den Spaziergänger, in die Zelle zurückgekehrt, +schneidet er ellenlange Hobelspäne, arbeitet darauf los, daß große Tropfen +von seiner Stirne rinnen, wird wirklich seiner wunderlichen Grillen Herr +und ist im Stande, beinahe zu lächeln, wie er die Gangschelle zur Schule +rufen hört. Eilig schlüpft er in den grauen Kittel, greift nach Mütze und +Nummer, Schiefertafel und Schreibzeug und kaum öffnet der Aufseher die +Thüre, so ist er bereits dem Mittelbau nahe und klimmt die Wendeltreppen +hinan. + +Er darf eilen, denn der Gang ist ziemlich leer, die meisten seiner Nachbarn +mögen einer andern der 6 Klassen angehören, mit welchen sich zwei Lehrer +beschäftigen oder auch das 36ste Lebensjahr zurückgelegt haben, in welchem +Falle sie zur Altersklasse gezählt werden, die einigemal wöchentlich in der +Kirche versammelt und durch Vorlesen aus einem gewählten Buche für den +Schulunterricht einigermaßen entschädiget wird. + +Das "Grabhemd" auf dem Kopfe tritt Numero 110 in die Schulstube und in +seinen besondern Verschlag, hängt die Nummer auf, läßt sich einschließen, +setzt sich und harrt mit stiller Sehnsucht, bis der Aufseher commandirt: + +"Kappen herunter!" + +In demselben Augenblicke wird der Oberlehrer den hohen Catheder besteigen, +die Schüler seiner obersten Klasse werden ihn freundlich begrüßen, er wird +den Gruß freundlich erwiedern, die Nummern herablesen und den Unterricht +beginnen. + +Wie in der Kirche sieht auch in der Schule kein Gefangener den Andern, +dagegen Jeder den Lehrer, die Aufseher, Rechentafel, Landkarten u.s.w. +Freilich hört hier Jeder die Stimme der aufgerufenen Nummern und mag aus +der Mundart den Seehasen vom Pfälzer, den Schwarzwälder vom Odenwälder, das +Stadtkind vom Dorflümmel leicht unterscheiden, ja der Benedict hat sogar in +der vorigen Stunde die Stimme des Exfouriers und des Spaniolen vernommen, +erkannt und im Gedächtnisse behalten, jener sei Nro. 349 und dieser Nro. +27, aber was kann solche Entdeckung nützen oder schaden? Nro. 110 weiß +nicht genau, wo Nro. 349 in der Schulstube oder in welcher Zelle er sitzt, +was er treibt und wenn er es auch wüßte, ja wenn beide Nachbarn wären und +es ihnen gelänge sich Zeichen gegenseitigen Erkennens zu geben--Gefühle und +Gedanken tauschen sie innerhalb dieser Anstalt nicht aus, der erste Versuch +dazu würde auch zum letzten und müßte von großem Glücke begleitet sein, um +erst nach dem Gelingen entdeckt zu werden, in jenem Austausche aber liegt +die Hauptgefahr der Sträflingsgesellschaft. + +Mag Einer sich dem Nachbarn auch durch Trommeln an die dicke Wand bemerkbar +machen, lange dauert solches Trommeln gewiß nicht, auch ist noch niemals +gehört worden, daß dadurch die Abschreckung oder Besserung eines Gefangenen +beeinträchtiget wurde und die Versuche, mit einander zu reden, haben völlig +ein Ende, seitdem die Oeffnungen der Luftkanäle vergittert wurden. + +Der Wachtstubenwitze reißende und halbgelehrte Spöttereien über alles Hohe +und Heilige zu Markt tragende Exfourier, der sozialdemocratische, +selbstsüchtige Spaniol vermöchten dem Benedict nur noch zu schaden, weil er +mit Beiden einst zusammenlebte und ein treues Gedächtniß besitzt-- +jedenfalls ist die Schule des Zellengefängisses der letzte Ort, wo die +Hausordnung oder gar Religion und Sittlichkeit irgendwie Gefahr zu laufen +vermöchten. + +Der achteckige, thurmartige Mittelbau, von welchem die vier Flügel +ausstrahlen, erscheint uns überhaupt als ein Sinnbild der Ordnung, welche +nicht nur im Zellengefängnisse zu Bruchsal, sondern im großen Zuchthause +der Welt herrschend sein sollte. + +Im untersten Raume findet sich die Küche, ob derselben Stuben der +Werkmeister, Oberaufseher, noch höher die Zimmer der Beamten, welche +allgemach zu den Schullokalen emporsteigen, zu oberst aber steht die +Kirche, während die bewaffnete Macht draußen an den Ringmauern, den +äußersten Gränzen des Reiches verweilt und die Gehüteten nicht beständig an +das Mißtrauen der Regierenden mahnt.-- + +Bereits steht der Oberlehrer auf dem Catheder, kritisirt die eingelieferten +Aufsätze und läßt zwei derselben laut vorlesen. + +Beide sind ziemlich lang gerathen, man erkennt bald, daß die Verfasser +ihren Kopf beisammen hatten und beide zeigen einen Reichthum der Gedanken, +einen dichterischen Schwung der Sprache, die wir bei Zellengefangenen +ebenso häufig als auffallend finden. + +Der erste Aufsatz ist von Nro. 62 und behandelt die Frage, weßhalb der +Reichthum nicht nothwendig zum Glücke gehöre, den zweiten hat Nro. 205 +geliefert, dieser sucht den Begriff vom Glück und Unglück festzustellen und +findet, daß es für einen Menschen, der Religion nicht nur _besitze_, +sondern _religiös sei_, kein eigentliches Unglück gebe, somit in der +religiösen Durchdrungenheit das Geheimniß des wahren Glückes zu suchen sei. +Nro. 62 ist ein blutarmer und, wie sich dies bei seinem Gewerbe fast von +selbst verstehen soll, fast immer betrunkener Postillon gewesen, der so +wenig daran dachte, durch seinen Jähzorn jemals in ein Zuchthaus zu +gerathen, als daran, in diesem bitterbösen Hause ein meisterhafter Schuster +und ein Mensch zu werden, der Geschriebenes und Gedrucktes geläufig lesen +und noch viel Schönes und Nützliches dazu lerne. Nro. 205 ist ein +ehemaliger Soldat, der mit seinen Schulmeistern ein besonderes Schicksal +hatte. Der erste derselben war ein alter, braver Mann, der die +weitschichtige Gelehrsamkeit der neuen Schulmeister nicht mehr faßte und +alle Neuerungen, gute und schlimme, haßte. Dafür wurde auch er gehaßt, +verfolgt und verspottet. Wie die Alten sangen, so zwitscherten die Jungen +und als der Mann starb, kam ein junger Lehrer, der sich ganz nach dem +Willen der Mehrheit seiner Schüler richtete und deßhalb die halbe Zeit +keinen Unterricht gab oder die Stunden mit Geschichtlein tödtete. Nro. 205 +war als einer der stärksten und größten Buben im Anfeinden des alten mit im +Verherrlichen des neuen Lehrers ein Anführer gewesen und wurde aus der +Schule entlassen, ohne daß ihn ein schwerer Schulsack drückte. Erst im +Zuchthause hat er den Schaden erkannt und verbessert. + +Nro. 62 wie 205 saß früher in gemeinsamer Haft, beide preisen sich +glücklich, von ihrer alten Kameradschaft erlöst zu sein und wenn ihnen +irgend ein Gelehrter vom Glücke der Sträflingsgesellschaft vorpredigte, +würden sie es in ihrer Einfalt für Scherz oder Spott halten; beide gehören +zu den fleißigsten und besten Schülern, während sie gleichzeitig zu den +fleißigsten und besten Arbeitern gehören, von den Werkmeistern noch niemals +wegen Saumseligkeit oder gar wegen Nichtfertigung des ganzen Tagwerkes +verklagt wurden. Nachdem das Vorlesen der Aufsätze beendiget, kommen die +Rechnungsaufgaben an die Reihe. + +Der Duckmäuser hat den Cubikinhalt eines cylindrischen Gefäßes berechnet, +welches doppelt so hoch als weit ist und ganz gefüllt 2 Pfund Wasser +aufnimmt. + +Nro. 70 löste die Frage richtig, wie groß eine Seite eines Würfels von Gold +sei, welcher 24 Loth wiege. + +Dagegen brachte 401 die folgende Rechnung nicht ganz ins Reine, nämlich: +"Ein Brunnentrog aus Sandstein hat die Form einer Halbkugel, deren ganzer +Durchmesser 4'3" beträgt, wahrend die Steinmasse selbst 4" dick ist. +Wieviel (badische) Maaß Wasser faßt dieser Trog und welchen Cubikinhalt hat +die Steinmasse?" + +Nro. 401 beging bei der Lösung der zweiten Frage einen Fehler, die meisten +Mitschüler stimmen in ihrer Lösung überein und diese ist auch die richtige. +Jener entdeckt und entschuldigt seinen Irrthum, seine Stimme und Rede +zeigt, er sei dem Weinen nahe, um diesen alten Weiner zu trösten, darf er +die Lösung der letzten der heutigen Aufgaben nennen und liest mit ruhigere +Stimme: + +"Nach der Angabe v. Humboldt's soll eine der ägyptischen Pyramiden 800' +Höhe und an der Grundfläche, welche ein Quadrat ist, ebensoviel Breite +haben. Wieviel Cubikfuß beträgt der Inhalt und wieviel Zentner etwa das +Gewicht dieser Pyramide, wenn man obiges Maaß als badisches betrachtet und +das spezifische Gewicht des Marmors, aus welchem sie bestehen soll, zu +2,736 annimmt?" + +Die Lösung, welche Nro. 401 gibt, ist richtig, fünf Hauptrechner bezeugen +es, der Oberlehrer thut dasselbe und beginnt dann eine kleine Prüfung über +die Lehre der drei Arten von Hebeln, gewöhnlichen und festen Rollen und +Flaschenzügen. + +Nro. 349 hat diesen Mittag für sich in der Zelle berechnet, ein Rammklotz +von 60 Zentnern, der etwa bei Wasserbauten angewendet würde, und 15' hoch +herabfalle, wirke mit der Kraft von 18,000 Zentnern, welche nur Einen Schuh +fallen. Der etwas hartköpfige Nro. 334 erbittet und erhält eine Erklärung +des "Rades an der Welle" und der Benedict erläutert schließlich den +Potenzflaschenzug. + +Dann geht der vortreffliche Oberlehrer, welcher mit Pestalozzi Bibel und +Kalender für die wichtigsten Urkunden des Menschengeschlechtes hält, daran, +den Sonntagsbuchstaben zu erklären, durch den sich der Wochentag eines +geschichtlichen Ereignisses sicher bestimmen läßt und ist noch nicht +fertig, wie die Glocke ertönt und anzeigt die Lieblingsstunde vieler +Zellenbewohner sei wiederum vorüber. Der Lehrer verschwindet, die Schüler +setzen das "Grabhemd" wiederum auf, die Aufseher öffnen einen Verschlag +nach dem Andern in der Ordnung, daß kein Gefangener dem Andern auf dem Fuße +folgt oder gar entgegenläuft, Einer nach dem Andern steuert der Thüre zu, +welche in seinen Flügel führt und nach wenigen Minuten steht Nro. 110 +wiederum vor der Hobelbank. + +Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Schule. + +Die Sträflingsschule des Zellengefängnisses zu Bruchsal erregt besonders +die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Besucher, weil die Sträflinge einen +Grad von intellectueller Bildung und Bildungsfähigkeit entwickeln, den man +in den besteingerichteten Gefängnissen anderer Art vergeblich suchen würde. + +Die Regierung verdient sich den Dank der Menschheit, indem dieselbe Vieles +für die Anstalt überhaupt und deren Schule insbesondere thut, tüchtige +Lehrer, indem dieselben unermüdlich und im engen Vereine mit den +Geistlichen beider Confessionen dahin arbeiten, aus unwissenden und rohen +oder halbgebildeten und eingebildeten Gefangenen Menschen und Christen zu +machen und vor geistiger Verdumpfung zu bewahren. + +Die Schüler dagegen empfinden auch das ganze Gewicht der Wohlthaten, welche +ihnen durch Unterricht gespendet werden und beweisen es durch ihre +Anhänglichkeit für die Geistlichen und Lehrer, durch ihren Eifer für die +Schule und vor Allem durch die Fortschritte. + +Wer nur immer anerkennt, daß in der Bildung an und für sich eine Macht +liege, welche die schwer zerstörbare Selbstsucht des Menschen mindestens +verfeinern, ihm soviel Klugheit, Ehrgefühl und Selbstbeherrschung gewähre, +um nicht leicht ein Verbrechen zu begehen, der wird sich entschieden für +eine Sträflingsschule der Art aussprechen, wie dieselbe hier besteht und +blüht. + +Wir kennen auch keinen Fall, daß ein Gefangener, welcher diese Schule +längere Zeit besuchte, wiederum rückfällig geworden wäre und wenn in dieser +Anstalt vorherrschend jugendliche Verbrecher untergebracht und ihres +Unterrichtes theilhaftig gemacht würden, so würde die Erfahrung lehren, daß +die Zahl der Rückfälle sich ansehnlich verminderte. + +_Aber leidet der Gewerbsbetrieb nicht durch die Schule Noth?_ + +Die beste Antwort liegt in der Thatsache, daß der Gewerbsbetrieb des +Zellengefängnisses trotz mißlicher Zeitverhältnisse und eigenthümlicher +Hindereisse [Hindernisse] mehr blüht, als der jeder andern Strafanstalt des +Landes und daß die Blüthe des Gewerbsbetriebes zunächst vom Fleiße und der +Geschicklichkeit der Sträflinge abhänge, wird wohl kein Gegner der einsamen +Haft läugnen. + +Der Zellenbewohner besucht nicht mehr Unterrichtsstunden als andere +Sträflinge, dagegen ist es richtig, daß er Besuche vom Lehrer in der Zelle +und bei dieser Gelegenheit besondern Unterricht erhält. Doch Besuche muß er +überhaupt eine bestimmte Anzahl empfangen, wenn er nicht zu Grunde gehen +soll und daß kein Besuchender, folglich auch kein Lehrer zu lange bei Einem +verweile, dafür ist schon durch die Vorschrift gesorgt, daß jeder Beamte +täglich eine verhältnißmäßig große Anzahl von Besuchen abzustatten hat. + +Das Geheimniß der überraschenden Fortschritte, welche viele Zellenbewohner +in Schulkenntnissen machen, liegt hauptsächlich in ihrer eigenthümlichen +Lage. Die Einsamkeit verinnerlicht den Menschen, der Mangel an Gesellschaft +treibt ihn, sich in arbeitsfreien Stunden selbst zu unterhalten und weil +ihm Gelegenheit für schlechte Unterhaltung abgeschnitten, dagegen +Gelegenheit zur guten reichlich geboten ist, so greift er eben nach +letzterer. + +Die Ruhestunden, die arbeitsfreien Tage, manche schlaflose Stunde der +Nacht, in welcher das Denken eine Zerstreuung und Wohlthat zugleich wird, +werden zumeist der Schule gewidmet und gerade der verhältnißmäßige Mangel +an Eindrücken, welche er von der Außenwelt empfängt, stärkt sein Gedächtniß +wunderbar für Alles, was in der Schule vorkommt, welche er besucht oder in +den Büchern, welche er gelesen. + +Sind wir überzeugt, der Gewerbsbetrieb würde wenig oder nichts gewinnen, +wenn man die Schulen gesellschaftlich lebender Gefangenen wiederum aufhöbe, +so sind wir noch weit mehr davon überzeugt, daß er in Zellengefängnissen +bedeutend Noth litte. Gar viele Handwerker bedürfen einiger Kenntnisse im +Zeichnen, in Mathematik und Geometrie, Chemie und andern Wissenschaften und +je mehr sie davon erringen, desto besser ist es für ihr Gewerbe. Ferner +ließe sich möglicherweise das vollständige Fertigen eines Tagwerkes durch +Hungerkuren erzwingen, lange jedoch ginge dies nicht an und zum Fertigen +guter und vortrefflicher Arbeit gehört eben auch im Zuchthause ein +Arbeiter, der gut oder vortrefflich arbeiten kann und--will. Die Schule +wird von Sträflingen als eine Wohlthat und Belohnung allgemein anerkannt, +ihre Beeinträchtigung oder gar ihre Beseitigung würde gerade bei den +Talentvollen den guten Willen zur Arbeit beeinträchtigen oder beseitigen +oder derselbe müßte auf eine Weise angeregt werden, welche mehr kostete als +die Schule. + +_Aber werden die Spitzbuben durch die Bildung, welche sie empfangen, +nicht gerade raffinirter und führt die Schule nicht zur Halbwisserei?_ + +Den ersten Theil dieses Einwurfes würden wir gar nicht beantworten, wenn er +nicht schon von mehr als einer Seite gemacht worden wäre. + +Wir haben einen Tag in einem gemeinsamen Zuchthause zugebracht und +vermieden, pikante Spitzbubenhistörchen aufzuzeichnen, wenn man nicht etwa +die maaßlose und keineswegs seltene Unverschämtheit des Patrik vom +Hotzenwalde pikant finden will. + +In gemeinsamer Haft geben die Meister der Greiferkunde Privatcollegien aus +ungewaschenen Mäulern, die Blüthe des Gaunerthums erfreut sich dort einigen +Ansehens und fruchtbarer Wirksamkeit, allein keine Sträflingsschule irgend +einer Art befaßt sich mittelbar oder gar unmittelbar mit Ausbildung der +Spitzbüberei. Freilich lehrt die Physik und noch mehr die Chemie Manches, +was sich ein Langfingeriger für die Zukunft hinter die Ohren schreiben +könnte, aber jedem Lehrer wird man soviel Verstand und Besonnenheit +zutrauen, daß er seinen Stoff zu wählen versteht. + +Erheblicher ist die Halbwisserei. + +Unter Halbwisserei verstehen wir das _religionslose_ Wissen, somit +ziemlich dasselbe, was schon Plato darunter verstanden und worüber er als +einer unheilbringenden Erbärmlichkeit geklagt hat. Vom Vorwurfe der +Halbwisserei sind bei uns jedenfalls die Sträflingsschulen freizusprechen, +denn Geistliche und Lehrer gehen einträchtig zusammen, Einer arbeitet dem +Andern in die Hände, die Schule ist nicht nur ein Mittel allgemeiner +Bildung, sondern auch allgemeiner religiöser Erhebung. + +Eine bereits auf einige tausend Bände angewachsene Bibliothek, deren Bücher +vor Allem mit Rücksicht auf löbliche Tendenzen gewählt und mit Rücksicht +auf die verschiedenen Confessionen unter die Gefangenen vertheilt werden, +unterstützt mächtig die Bemühungen der geistlichen und weltlichen Beamten. + +Die sichtbaren Wunder der Natur, die weltbeherrschenden Gesetze der Physik, +die einfachen, erhabenen und allbeherrschenden Gesetze der Bewegung der +Weltkörper, lauter Dinge, welche jedem Schulknaben, geschweige einem +Erwachsenen klar und deutlich gemacht werden können, wie sehr sind diese +geeignet, den Menschen zum Herrn und Vater dieser Gesetze zu erheben? Und +Abrisse aus der Geschichte, in welcher Gott den lohnenden Vater oder +rächenden Amtmann spielt, eine Unthat unter dem Gewichte ihrer Folgen den +Schuldigen und die Mitschuldigen begräbt, ohne vorher nach Stammbaum oder +Taufschein zu fragen, wie sehr sind diese geeignet, den Verbrecher zum +Nachdenken über das eigene Schicksal zu bringen? Jedenfalls mehr als die +eigens für Gefangene und Verbrecher geschriebenen Bücher, unter denen wir +und viele Andere außer dem von Suringar wenig Erträgliches und +Ersprießliches entdeckten. Sträflinge sind schwer vom Glauben abzubringen, +daß man die kleinen Spitzbuben fange, die großen dagegen laufen lasse, +wissen recht gut, wie es mit dem Werthe Vieler steht, welche frank und frei +herumlaufen und ebenso, daß sie keine unartigen Kindlein sind, denen man +Religion und Jesusliebe als Brei einreichen könnte, deßhalb geben sie auch +nichts auf Bücher, die aus gutmeinenden, aber unklugen oder unerfahrenen +Federn zur angeblichen Erbauung von Gefangenen geflossen sind. Im +Gegentheil werden Schriften dieser Art Religionslosigkeit und +Verstockung eher vermehren als vermindern und besonders in gemeinsamer Haft +nicht lange ungerupft bleiben. + +Sie [Die] Schule vor Allem erweitert den geistigen Gesichtshorizont und je +mehr sich dieser erweitert, desto kleiner fühlt sich der Mensch überhaupt, +der Verbrecher insbesondere und wiederum desto größer, weil der Herr und +Meister der Welt sich mit ihm abgibt. + +_Weßhalb eine ungewöhnliche Ausdehnung des Unterrichtes bei +Zellenbewohnern?_ + +Vom Buchstabenmalen und Zahlen zusammenzählen steigert sich Alles bis zum +Auflösen von Gleichungen, Berechnungen des Kreises und Lösungen von +Aufgaben, welche einige physikalische, chemische und sogar astronomische +Einsichten voraussetzen. Weil Zellenbewohner aus innerm Antriebe gerne +lernen und im Lernen so ziemlich ihre einzige Erholung finden, deshalb +schreiten Viele auch rasch und sicher fort und sollen sie dafür mit +Stillstand bestraft werden, für den sich nirgends ein Grund auftreiben +ließe? + +Weßhalb sollen Schwerverurtheilte, deren jugendliches Alter vielmaligen +Schulbesuch gesetzlich sanctionirt, ohne ihre Schuld und noch mehr wider +ihren Willen in den Mitteln des Fortschreitens zur Bildung und Besserung +verkürzt werden? Die in der That ganz vortreffliche Hausordnung von +Bruchsal ermuntert und belohnt sogar den Schulfleiß, erkennt in der Schule +überhaupt ein mächtiges Mittel gegen geistige Verknüpfung und Versumpfung +und daß es in ihr nicht gar zu hochgelehrt hergehe, dafür ist schon +gesorgt, weil die meisten Sträflinge einen ziemlich armseligen und manche +gar keinen Schulsack in die Zelle bringen. + +Die Lehrer haben mit dem ABCschützen und Dummen überflüssig genug zu thun +und sollen sie nun auch mit den weiter Fortgeschrittenen und Talentvollen +dazu verurtheilt werden, Papageienrollen zu spielen und in diesem Jahre +durchaus dasselbe zu schreien, was sie im vorigen Jahre geschrieen? + +Wenn ein entlassener Zellenbewohner ungefähr weiß, was jeder ordentliche +Realschüler zu wissen vermag, so weiß er noch lange nicht zuviel und wird +durch das Gewicht seines Wissens schwerlich in den Pfuhl des Lasters und +der Verbrechen hinabgedrückt!-- + +Während wir diesen etwas langgerathenen Gedankenspaziergang machten, +arbeitete Nro. 110 in seiner Zelle rüstig fort und zuweilen tritt ein +Werkmeister oder Aufseher herein, nicht sowohl um die Arbeit zu +besichtigen, denn der Benedict arbeitet zu vortrefflich, als daß viele +Besichtigung nöthig wäre, sondern um Etwas zu fragen oder die Leimpfanne zu +bringen. + +Der Fleiß der Gefangenen wird in der Zelle leichter und besser controllirt, +als in jedem Sträflingssaale und zwar auf eine Weise, daß der +Zellenbewohner nichts davon weiß. Der Controllirende tritt zur Thüre, hebt +einen kleinen Schieber in die Höhe und überschaut mit Einem Blicke die +ganze Zelle, wahrend Nro. 110 vergeblich sich abmühen würde, durch dasselbe +Fensterchen auf den Gang hinauszusehen. Nicht Eine Minute des Tages oder +der Nacht ist er sicher, unbeobachtet zu sein und das Peinliche dieser Lage +wird gerade dadurch gemildert für den Bessern und geschärft für den +Schlechtern, weil er niemals Gewißheit davon hat. + +Ein gefangener Taglöhner hat sein Zellenleben in ergötzlichen Reimen +beschrieben, von denen einige charactristische hier ein Plätzlein finden +mögen: + + --Einmal ist der Obermeister kommen: + "Du willst nicht sputen hab' ich vernommen? + Hättest große machen sollen + Dich soll gleich der Kukuk holen!"-- + "Ich will lieber machen kleine + Das ist die Rede, die ich meine!"-- + "Du hast hier kein Recht, + Seist du Meister oder Knecht, + Mußt jetzt thun, was ich Dir sag' + Oder hast gehabt zu Mittag, + Und zu Nacht wirst auch nichts kriegen, + Kannst noch in den Turm hinabfliegen! + Dort kannst Du sitzen oder stehen + Und wie es Dir noch sonst wird gehen. + Dann thut man Dich in den Zwangstuhl schnallen + Das wird Dir auch nicht gut gefallen!" + Ich sah auf mein Spulrad hin + Und dachte: "wenn nur dieser Mann wieder ging!" + Aber er ließ sich nicht vertreiben + Und ließ auch das Dräuen nicht bleiben. + "Wenn ich noch eine einzige Klage hör', + Dann komme ich wieder zu Dir hieher!" + Das ist sein letztes Wort, + Dann ist er fort. + Ich dacht: Nun ist er doch einmal gangen, + Das war ja mein einzig Verlangen! + Hab mich wieder zum Rad gesetzt + Und gespult, daß ich hab' geschwitzt. + Hörte ich nur laufen im Gang, + So glaubte ich: jetzt kommt der saure Mann!-- + Einmal hab' ich gesungen, + Da kam er gleich gesprungen: + "Hör' ich dies noch einmal hier, + Dann gibt man nicht zu essen Dir!" + Darauf sah ich ihn im Hof in seinem grauen Rock + Und eilte was ich konnte in den zweiten Stock, + Mache die Thüre eilends zu, + Daß ich hab' vor diesem Manne Ruh. + Er hat mir schon zu schwer gedräut, + Ihn zu sehen, ist mir keine Freud'! + Allein ich hab' vor ihm recht Respekt, + Doch bin ich gern von ihm weit weg; + Doch hat er mir noch nichts zu leid gethan + Er kann doch sein ein guter Mann! + +In diesem Augenblicke öffnet sich die Thüre von Nro. 110 und einer der +beiden Obermeister steht vor Benedict. Er ist nicht mehr der alte Dräuer, +über welchen der Taglöhner klagte, sondern ein ganz freundlicher +ordentlicher Mann, der mit Blicken mehr ausrichtet als Andere mit vielem +Lärm. Die Arme über die Brust gekreuzt, den rechten Fuß vorgestellt steht +er ganz ruhig da und redet mit unserm Schreiner vom Wetter und den +Rheinschnaken, diesen Moskitos der Rheinebene, deren Stich eben keine +angenehme Empfindungen, wohl aber kleine Beulen erzeugt und die den Weg +durch alle Kleider und die dicksten Teppiche hindurch zu finden wissen, +während ihr Gesumme in Schlaf lullt. + +Tabaksqualm verscheucht diese kleinen, blutgierigen Ungeheuer, aber der +Gefangene darf nicht rauchen und muß sich begnügen, die Schnaken +todzuschlagen [todtzuschlagen], wenn sie angefüllt von Blut träge an den +Wänden sitzen und nicht weit zu fliegen vermögen. Wahrend der Obermeister +den Ankläger der Schnaken anhört, überschaut er mit einigen Seitenblicken +Alles und wenn Etwas am unrechten Nagel hängt, nicht vorschriftsmäßig +aufgestellt oder hingelegt ist, darf der Zellenbewohner einer Ermahnung +gewiß sein, wenn aber gar irgend ein _Verstoß gegen die Reinlichkeit_ +aufzutreiben ist, dann bleibt eine Zurechtweisung nicht aus. + +Wieviel Schweiß und Aerger haben die kleinen Ziegelplatten des Zellenbodens +den Benedict schon gekostet, den feinen, ungesunden Staub abgerechnet, der +sich von denselben ablößt! + +Jetzt versteht er sein Geschäft besser, der Obermeister vermag nichts zu +entdecken, was der Reinlichkeit widerspräche, denn es fehlt zwar nicht an +Sägspänen, Hobelspänen, Gerüchen des Holzes und der Politur, zumal das +obere Fenster geschlossen ist, aber in welcher Schreinerwerkstätte der Welt +fehlt es an diesen Dingen? Oder wo gibt es irgend eine Schusterboutique, +aus welcher der Geruch von Leder und Pech verbannt ist oder einen Webstuhl, +in dessen Nähe es nicht von Zeit zu Zeit nach Schlichte riecht? + +Arme und reiche Handwerker sind an solche Dinge gewöhnt, die sich nicht +vermeiden lassen, Gewohnheit stumpft gegen den schlimmen Einfluß derselben +ab, weßhalb soll und wie soll der Zellenbewohner dagegen geschützt werden? + +Tadeln ist in allen Dingen leicht, Verbessern häufig schwer. + +Frische Luft und Reinlichkeit sind für die Gesundheit des Gefangenen +wichtige Artikel, in Bruchsal ist in dieser Hinsicht das Möglichste +geleistet, die Ziegelplatten der Zellenböden möchten freilich nicht viel +taugen, aber sie sind nun einmal da, lassen sich nicht über Nacht +wegbringen und leicht ohne große Kosten durch etwas Besseres ersetzen, +dagegen läßt sich die Reinlichkeit jedes Einzelnen leicht controlliren. + +Der Oberaufseher wünscht freundlich guten Abend und eilt zu Nro. 109 +hinüber. Ein Herbsttag geht rasch vorüber, ehe man sichs versieht, ist die +Dämmerung da. Die verschiedenen Zeiten des Jahres und Tages, die Wechsel +der Witterung üben auf den Menschen Einfluß aus und wenn dieser Einfluß bei +vielen Zellenbewohnern noch bemerkbarer wird als bei andern Gefangenen, so +rührt dies wohl daher, weil ihr äußeres Leben ein ziemlich armes und +einförmiges ist. Ein kurzer, trüber Herbsttag stimmte den Benedikt trübe +und melancholisch, der Abend brachte ihm gar schwermüthige Gedanken. Er +dachte an das Abendläuten, Lichteranzünden und an die Heimgärten im fernen +Dörflein und war froh, als der Aufseher den Schalter öffnete, um den +Wasserkrug zum letztenmal für heute in Empfang zu nehmen und das Licht +anzuzünden. + +Er griff wiederum zum Hobel, um die Grillen durch Arbeit zu verscheuchen, +doch wollte es ihm nicht recht gelingen und zuweilen tief aufseufzend +blickte er durch die Gitter zum dunkeln, sternenleeren Nachthimmel empor. + +Abermals öffnet sich die Thüre und der Arzt tritt herein. + +Dieser muß nicht nur seine Kranken, sondern auch alle Gesunden fleißig +besuchen und fast noch mehr Seelenarzt als Leibesarzt sein. + +Weil die Einzelhaft eine neue und aus fernen Landen zu uns gekommenne +[gekommene] Einrichtung ist, welche je nach Clima, Lebensweise und +Charakter eines Volkes Verschiedenheiten der Durchführung erheischt, über +deren Art und Zweckmäßigkeit lediglich die Erfahrung allmählige Belehrung +zu geben vermag, muß besonders auch der Gefängnißvorstand ein denkender und +mit vielseitiger Bildung ausgerüsteter Mann und nicht etwa ein alter +ausgedienter Soldat sein, wie dies manchmal in England stattfindet. +Gediente Soldaten geben gute Oberaufseher und Aufseher; wo die Ordre +anfängt, hört gemeiniglich ihr Denken auf, je nach der Ordre hauen sie den +Gefangenen ebenso bereitwillig in Krautstücke als sie denselben noch als +menschenähnliches Wesen passiren lassen und so vortrefflich solche +Eigenschaft untergeordneten Werkzeugen ansteht, so mißliche Folgen würde +sie nach sich ziehen, wenn der Vorstand einer _Besserungsanstalt_ ein +abdecretirter Schnurrbart wäre, der Menschen jeder Art als Maschinen +betrachtete und bald im Vollgefühle seiner Unwissenheit und Ohnmacht Fünfe +gerad sein ließe oder blind und brutal in Alles hineinblitzte und +hineindonnerte, was nicht ganz nach seinem Kopfe ginge. + +Weil Menschen und die allseitigen Wirkungen von Einrichtungen bis ins +Kleinste studirt, Alles auf bestimmte Zwecke gerichtet und alle Zwecke +Einem großen Zwecke untergeordnet werden müssen, deßhalb muß der Vorstand +ein organisirender Kopf und weil ein Arzt jedenfalls am meisten Gelegenheit +besitzt, sich theoretische und praktische Kenntnisse über den Menschen und +das Volk, Krankheiten des Leibes und der Seele und unserer +gesellschaftlichen Zustände zu erwerben, endlich weil Zellenbewohner in +mancher Beziehung Ausnahmsmenschen werden und Einem Arzte sehr viel zu +schaffen machen, wenn auch der Krankenstand ganz unbedeutend bleibt, +deßhalb möchte es gut und zweckmäßig sein, wenn auch der Gefängnißvorstand +ein Arzt ist. + +Die Verhältnisse eines Zellengefängnisses drängen von selbst darauf hin, +daß entweder der Doctor vielfach zum thatsächlichen Vorstande und der +Vorstand zu seinem Figuranten würde oder daß Beide sich in die Haare +gerieten, wobei der Staat und die Gefangenen am Schlechtesten bestünden, +wenn der Vorstand ein alter Soldat oder ein einseitiger Fachmensch +überhaupt wäre. + +Ein ehemaliger Offizier, der ein bischen vom Rechnungsfache verstünde, +möchte sich zum Vorstande einer Anstalt mit gemeinsamer Haft vortrefflich +eignen, schwerlich dagegen zum Leiter eines Zellengefängnisses. + +Nro. 110 gehört zu jenen vielen Zellenbewohnern, welche ihren leiblichen +Zuständen große, oft arg übertriebene Aufmerksamkeit zuwenden und denen ein +bischen Mattigkeit in den Gliedern oder Reißen im Kopfe leicht Gedanken an +schwere Krankheiten und das gefürchtete Brett der Anatomie erregte. Sie +plagen und quälen den armen Doctor mit ihren Einfällen und Fragen und wenn +er nicht darauf einzugehen Grund findet oder gar darob lächelt, dann halten +sie ihn für einen halben Unmenschen, geht er darauf ein, für einen ganzen +Dummkopf und macht er die Sache mit einem Thee oder einer Arznei statt mit +Krankenkost ab, für einen vollendeten Tyrannen. + +Heute weiß der gute Benedict sehr viel von Magenknurren zu erzählen und +weil der Doctor ihn mit den violetten Knödeln tröstet, welche morgen +aufgetischt werden, wird er melancholisch und redet von Todesahnungen, +welche ihm jener wiederum auszureden sucht. + +Kaum ist der Arzt fort, so tritt der Aufseher herein und lößt das Bett von +der Wand ab. Unser Gefangener arbeitet noch einige Zeit und bringt es über +das Tagwerk hinaus, dann läutet es wiederum in allen Flügeln auf einmal, +wiederum klirren die Eßkessel, wiederum eilen die Aufseher der Küche zu, +Benedict hört, wie sein Aufseher von Zelle zu Zelle geht, die Schalter +zuschlägt und gute Nacht wünscht, bald fliegt auch sein Schalter auf, sein +Schüsselchen wird gefüllt, der Schalter fährt zu und Benedict betrachtet +wehmüthigen Blickes die Königin der Zuchthaussuppen, eine braune, ihm gar +fad vorkommende "Wasserschnalle." + +Doch--in der Kaserne bekam er Abends gewöhnlich Nichts, jetzt ist er +hungrig, dort drinnen im braunen Schränklein findet er Salz, er salzt und +ißt die Suppe. Nicht lange darnach tritt der Werkmeister zum letztenmal für +heute herein, er nimmt die schneidenden Instrumente aus der Zelle weg, der +Korb mit Hobelspänen wird in den Gang hinausgestellt, man sagt sich gute +Nacht. Bald verhallen die Schritte der forteilenden Werkmeister und +Aufseher draußen im Gange, alsdann herrscht Todtenstille, höchstens die +fallenden Tropfen einer Brunnenröhre, die Schritte eines Nachbars, das +starke Husten oder Aufseufzen desselben unterbricht diese Stille. + +Leise und unhörbar schleichen die Aufseher in Filzschuhen oder in Socken +durch die Gänge, kein Mensch sondern die Einsamkeit will mit dem Benedict +eine ernste, schwermüthige Unterhaltung beginnen, eilig greift er nach dem +reichhaltigen Lesebuch von Döll, dann nach der belehrenden "Menagerie" von +Drugulin und ließt, dort über die Gasarten, was übermorgen in der Schule +verhandelt werden soll, hier über die Wildschweinjagd mit Wurfspießen im +fernen Indien. + +Plötzlich lärmt die Hausschelle durch die Todtenstille und befiehlt, daß +alle Lichter gelöscht werden, alle Gefangenen sich zu Bette legen müssen. +Eilig legt Benedict sein Buch weg, klappt Tisch und Bank wiederum an die +Wand und löscht die Lampe aus. + +Sinnend steht er noch einige Augenblicke in der Zelle und blickt zum +vergitterten Fensterlein empor, die sechs dicken Eisenstäbe gränzen sich +scharf gegen den Nachthimmel mit seinen dunkeln, fliegenden Wolken ab, +durch welche zuweilen das weiße oder röthliche Licht eines Sternes scheint +oder flimmert und dieses traurige Haus wie die dunkeln Höhen des +Schwarzwaldes, das Heimathdörflein, die Städte und Kasernen des Rheinthales +überschaut und vielleicht in die Scheiben einer Hinterstube leuchtet, in +welcher Meister März mit seinen Gottseligen conventikelt. Benedikt soll +halblaut beten, die Hausordnung will es, doch er will nicht und murmelt +sehnsüchtige Wünsche vor sich hin. + +Dann legt er den Strohteppich zum Schutze gegen den kalten Boden vor das +Bett und legt sich nieder, um zu schlafen. + +Er hat den Tag über streng gearbeitet und befindet sich bald auf der Brücke +zwischen Wachen und Schlafen, doch das langgedehnte Gebrülle einer +gedankenlosen oder auch boshaften Schildwache laßt ihn einstweilen die +Gedanken ans Einschlafen vergessen. + +Man mag ein Zurufen der nicht weit von einander stehenden Schildwachen für +zweckmäßig erklären, doch welchen Zweck soll ein mehr als viehisches +Brüllen und absichtliches Wiehern haben, welches manche Soldaten +allnächtlich auf den Ringmauern zum Besten geben? + +Weit entfernt vom Militär kleiner Länder den Geist und die Haltung der +Soldaten einer großen Armee und damit viel zu viel zu verlangen, möchte +doch nicht zuviel verlangt sein mit der Forderung, daß die Wachkommandanten +des Zellengefängnisses häufiger zur Einsicht kämen, gewaltsame Störung des +Schlafes vieler Kranken und Gefangenen sei nicht nur etwas Unnöthiges, +sondern auch etwas Unzweckmäßiges und Unwürdiges.-- + +Seufzend wickelt sich der Duckmäuser fester in seinen Teppich, kehrt sich +gegen die Wand und der Bibelvers, welcher ihn heute so sehr beschäftigte, +kommt abermals und immer wieder ihm in den Sinn. Er schließt die Augen +gewaltsam und zählt so lange von Eins bis Hundert rückwärts, bis endlich +der Schlaf dem Zählen ein Ende macht, ein Schlaf ohne Erquickung und Ruhe, +denn was sich in seinem Gemüthe regt, lebt auch im Schlafe fort und die +Gedanken, welche er heute gehabt, spinnen sich in die Traumwelt weiter. +Wovon soll ein Zellenbewohner träumen? Von den kleinen Ereignissen der +Gegenwart? Sie biethen ihm zu wenig Interesse dar, als daß sie sich häufig +in seine Träume verweben sollten. Höchstens die Schule beschäftigt den +Träumenden, er setzt manchmal Rechnungen fort oder sieht in lebendigen +wunderlichen Gestalten vor seinen Augen vorgehen, was er dort gehört. +Meistens träumt er von der Vergangenheit, von den Hauptereignissen seines +Lebens, vom Prozesse, der ihn vernichtet oder auch von der Zukunft, einer +bessern, freudevollern Zukunft, von einer Welt voll süßer Täuschungen, +welche der Klang der Hausschelle am frühen Morgen wegzaubert. + +Selten im Sträflingssaale, häufig bereits in der Zelle hat der Benedict +geträumt vom Heimathdörflein, von den beiden Schwitten, von den Herzkäfern, +dem Saumathis und Straßenbasche und vom Kasernenleben und manchmal ist er +entsetzt aufgefahren, wenn die todte Mutter oder der Vater mit dem +zerschmetterten Haupte oder dem ledernen Beutel, aus welchem er 50 Gulden +herauszählte, vor ihm stand. + +Sechs Jahre muß ein Zellenbewohner in der Zelle bleiben, wenn die Strafzeit +9 oder mehr Jahre beträgt. Sechs Jahre sind über 2190 Tage und ebensoviel +Nächte eines eintönigen Lebens und eine solche Zahl sollte nicht +ausreichen, um den alten Adam abzulegen?-- + + + * * * * * + + +Mehrere Jahre sind verflossen, seitdem der Benedict das Inwendige eines +Sträflingssaales zum letztenmale gesehen. Er sitzt noch immer in der Zelle, +ist noch immer hineingebannt in den unerbittlichen Gang des Lebens, welches +Jahr für Jahr und Tag für Tag so ziemlich in derselben Weise eintönig +vorüberschleicht, wie wir es beschrieben. Aber der leichtsinnige Hobist ist +indessen ein stiller, nachdenklicher, ein besserer und im Ganzen +glücklicher Mensch geworden, der nicht mehr seine Freilassung für das +Höchste hält, weil er aufhörte, die Erde als das Höchste zu betrachten. + +Rasch und leicht ging solche Umwandlung keineswegs von Statten. Sie kostete +bittere Thränen, schwere Kämpfe, verzweiflungsvolle Nächte, schonungslose +Selbstanklagen, tausend vergebliche Vorsätze und mußte Schritt für Schritt +mit dem stärksten, unermüdlichsten und grimmigsten Feinde, welchen der +Mensch hat, nämlich mit der Selbstsucht im Kampfe liegen. + +Als nakte Selbstsucht besiegt, kleidete sie sich in das Gewand der Tugend +und Religion, mit Hülfe des Geistlichen entlarvt, mußte der Kampf von Neuem +aufgenommen werden. Jetzt ist sie gebunden, gedemüthiget, aber noch nicht +getödtet, erst der Tod wird sie vollkommen tödten. + +Geht nicht eine alte Sage unter dem Volke, die zertretene Schlange vermöge +nicht zu sterben, bevor die Sonne untergegangen?-- + +Der Duckmäuser ist noch jung und stark, er gehört zu den Gebesserten, +insofern man Mienen, Gebärden, Reden, Benehmen, Eifer in Schule und Kirche, +das gleichmüthige und heitere Ertragen aller Entbehrungen und Leiden eines +einsamen Zellenbewohners, das unbedingte Anheimstellen des eigenen +Schicksals in den Willen Gottes, die lebendigen Aeußerungen eines tiefen +Bewußtseins der ehemaligen Unwürdigkeit, der gegenwärtigen Schwäche und +einer dankbaren Anerkennung der erbarmenden Liebe des Erlösers gegen ihn +als Zeichen von Besserung ansehen darf. + +Er lebt so, als ob er nicht mehr allein in der Zelle sei, sondern als ob +die friedlichen, beseligenden Gestalten des Himmels bei ihm ein und +answandelten und als ob der Allmächtige den Fluch der bösen Thaten, die der +Benedict verübt, von dessen Haupte hinweggenommen habe. + +Aber so wenig wir auf eine Besserung halten, welche erst auf dem Todbette +erfolgt oder deren Verdienst dem zunehmenden Alter, der wachsenden Einsicht +in das Eitle und Nichtige alles Irdischen, der erkaltenden Begierde, +günstiger gewordenen Lebensverhältnissen und andern Umständen hauptsächlich +zugeschrieben werden können, so zweifelhaft und jedenfalls für die +menschliche Gesellschaft fast unfruchtbar bleibt auch die geistige +Wiedergeburt eines Zellenbewohners, so lange derselbe in der Zelle lebt. + +Weßhalb? + +Er kann in der That gebessert sein, mag in der sittlichen Erstarkung auch +große Fortschritte gemacht haben und aufrichtig beschwören, ja auch den +Schwur nach der Entlassung treulich erfüllen, daß er niemals wieder in eine +Strafanstalt zurückkehre--aber seine Besserung kann immerhin vorherrschend +als eine Besserung für das Zuchthaus und nicht als eine für die Welt +betrachtet werden. + +Zeit und Gewohnheit sind für jeden Leidenden ein Balsam, der Zellenbewohner +entbehrt desselben nicht, aber er entbehrt vieler Gelegenheiten und +Versuchungen zu Sünden, Lastern und Verbrechen, welche die Welt darbietet. + +Man hat die Zellenbewohner schon mit Klosterbewohnern verglichen und +dadurch einen hinkenden Vergleich mehr zu Papier gebracht. + +Ein Zellenbewohner kann zwar so weit gelangen, daß er seine Strafe +gleichsam aus freiem Entschlusse auf sich nimmt, doch kein freier +Entschluß, den Versuchungen der Welt zu entfliehen, sondern ein Verbrechen +hat ihn in die Einsamkeit getrieben, der Spielraum seiner Freiheit ist +geringer, als der jedes Bruders eines jeglichen Ordens, seine Lage ist +vielfach schwieriger als die des Trappisten und der Austritt aus der Zelle +steht in keiner Weise in seiner Macht. + + +So wenig wir denen beistimmen, welche wähnen, ein Zellengefangener besitze +keine Gelegenheit Beweise seiner Besserung abzulegen, so geben wir doch zu, +daß die _vollständige Besserung_ eines Zellenbewohners sich _erst +nach der Entlassung_ zu bewähren vermöge. + +Ein gebesserter Sträfling soll aber nicht blos kein neues, von wandelbaren +Gesetzen verpöntes Vergehen sich mehr zu Schulden kommen lassen, sondern +überhaupt ein guter Mensch, treuer Familienvater und rechtschaffener Bürger +sein. + +Saufen, Spielen, Verschwenden, Betrügen, Ehebrechen, Faulenzen, Weib und +Kinder und Mitmenschen mißhandeln soll er als trauriges Privilegium jenen +Vielen überlassen, welche mit und ohne Glacéhandschuhe erhobenen Hauptes an +Strafanstalten vorüberwandeln und gleich jenem Pharisäer jubeln: "Herrgott, +was bin ich für ein prächtiger, vortrefflicher Kerl!--Noch niemals habe ich +ein gemeines Verbrechen begangen, welches mich in eine Strafanstalt +führte!" + +Will eine Regierung sich vollkommen überzeugen, ob Zellenbewohner auf eine +Weise gebessert werden, daß die menschliche Gesellschaft wirklichen Nutzen +davon hat, so muß sie nach unseren Ansichten genaue Nachrichten über das +Leben und Treiben aller Entlassenen von Zeit zu Zeit einziehen. Freilich, +wo Leute erst dann in die Zelle gelangen, wenn sie im Laster bereits alt +wurden, auch in diesem Falle oft nur kurze Zeit zu bleiben haben oder durch +Hungerkost und Dunkelarrest für die nächste Zeit von Verbrechen +abgeschreckt, dagegen der Besserung weit schwerer zugänglich gemacht +werden, da läßt sich nicht allzuviel hoffen, doch jedenfalls würde sich +herausstellen, daß jugendliche Verbrecher, welche 2 bis 3 Jahre in einer +Zelle zubrachten, nicht wieder in eine Strafanstalt zurückkehrten und durch +ihr Leben keinen Grund zur Befürchtung baldiger Rückkehr darbieten. + +Damit wäre aber die Einzelhaft als eine für den Staat und die Gefangenen +gleich wohlthätige Einrichtung gerettet, insofern von Besserung im +strengsten Sinne des Wortes die Rede ist. + +Ruhig und friedlich lebt der Benedict nunmehr in seiner Zelle und schaut +wohlgemuth auf Alles zurück, was er in ihr durchgemacht hat. + +In der ersten Zeit überraschte ihn die Neuheit seiner Lage, er hatte sich +Alles viel fürchterlicher vorgestellt, als er es fand und dem leiblichen +Tode würde er gleichmüthig ins Auge geschaut haben. + +Es ist ein gewaltiger Irrthum, zu glauben, der Tod komme Verbrecher schwer +an. Viele sterben ganz ruhig, weil auch der nahende Tod ihnen die tiefe +Ueberzeugung nicht nimmt, daß sie weit eher Märtyrer als Verbrecher seien +und zehnmal eher den Himmel als die Hölle oder auch Keines von Beiden zu +erwarten hatten. Eine Hauptkrankheit aller Gefangenen ist die Schwindsucht, +Schwindsüchtige sind bekanntlich die Letzten, welche an die Nähe ihres +Todes glauben und haben auch keinen schmerzhaften Tod. + +Ganz schön und leicht und ohne alle Gewissensscrupeln war der Zuckerhannes +gestorben, einen ähnlichen Tod wünschte sich auch der Benedict. + +Doch nicht der Tod, sondern ein neues Leben sollte ihm in der Zelle werden. +In den ersten Monden der Zellenhaft gerieth er, gleich einem frisch +eingefangenen, erwachsenen Thiere, das in einen engen Käfig gesperrt wird, +in einen Zustand großer Empfindlichkeit und Reizbarkeit, den er mit +unsäglicher Mühe beherrschte, um sich nicht bei den Vorgesetzten von +vornherein das Spiel zu verderben. Er suchte sich beliebt zu machen und es +gelang ihm, wie es ihm noch überall gelungen. Sein chronisches Seelenübel, +Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, fand jedoch nicht Pflege und Nahrung +genug, dem Spiele einer lebhaften Phantasie überlassen, gerieth der +vielbelesene Kopf zuweilen mit der rauhen Wirklichkeit in Fehde und weil er +stets den Kürzern zog, machte sich die wachsende Reizbarkeit zuweilen Luft. + +Das kurze Wort, der scharfe Blick eines Aufsehers konnte ihn in solcher +Gemüthsstimmung beben machen und was Beamte und Geistliche der Anstalt, in +der er früher gewesen, niemals gehört hatten, hörten die des +Zellengefängnisses: schwere Anklagen gegen Gott und Welt, Gesetze, Richter, +Zeugen, alle Menschen, welche ihm jemals etwas Böses zugefügt haben +sollten. + +Ein so entschuldbarer und schon so lange mißhandelter Mensch seiner Art +gehörte freigelassen, das verstand sich von selbst--er machte +Bittschriften und die Beamten mußten dieselben wohl entgegennehmen, wenn +sie Schlimmes nicht schlimmer machen wollten. Natürlich lautete die Antwort +kurz und gut, man fühle sich in keiner Weise veranlaßt, seine Begnadigung +derzeit zu befürworten. + +"In keiner Weise!"--["]also haben die Beamten und der Geistliche nicht für +mich geredet! ... Verderben ihnen!" dachte der enttäuschte Benedict und +schwor ingrimmig, keines Menschen Wort und Mienen mehr zu vertrauen. Er +suchte sich in die ehemalige Gleichgültigkeit hineinzulügen, den Besuchern +mit kalter Höflichkeit und schlauer Berechnung entgegen zu kommen, doch +seine Jugend- und Lebenserinnerungen leisteten ihm beständig Gesellschaft, +alle Gestalten derselben lebten und wandelten draußen herum, diesen +gegenüber mochte er nicht gleichgültig bleiben und wenn er die Eisenbahn +pfeifen hörte, welche glückliche Menschen seiner Heimath zutrug oder an +stillen Sonntagen die Parademusik hörte, weinte er oft Thränen stiller +Verzweiflung. + +Ein unbedachtsamer Hitzkopf war er sonst nie besonders gewesen, aber jetzt +wurde er es, weil er das Feuer, das in ihm zehrte, nicht zu bemeistern +vermochte. Er redete, was er fühlte, ohne sich lange zu besinnen und gar +Manches, was er in ruhigeren Stunden verdammte. + +Endlich versank er in einen Zustand stiller Trauer und hoffnungsloser +Schwermuth. Er würde sich vielleicht aufgehängt haben, wenn das Hängen +nicht ein gar zu gemeiner Tod und der Selbstmord überhaupt kein Akt +tapferer Feigheit wäre. Er hatte angefangen, ernster und gründlicher als je +in sich selbst hineinzuschauen und der Ich, welcher aus ihm heraus ihm +selbst entgegengrinste, zeigte eine so schreckliche Gestalt, daß der +Benedict nahe daran war, an Gott und an sich selbst zu verzweifeln. + +Aus dem Trübsinn riß ihn der würdige Geistliche. + +Er ließ sich das ganze Leben des Gefangenen erzählen, zeigte ihm, was er +gewollt und gethan, anderseits was Gott gewollt und gethan habe und verwies +auf die Tröstungen der Religion. + +Ein erklärter Feind der Religion, Geistlichen und rechtschaffener Menschen +war Nro. 110 niemals gewesen, kannte die Lehren der katholischen Kirche und +wußte, wie tief die Wurzeln liegen, welche dieselbe mindestens noch beim +Volke getrieben. Die äußern Gebräuche hatte er als Gefangener niemals +vernachläßiget, aber religiös gesinnt konnte er nicht werden unter +Menschen, die Mangel an Religion für die höchste Tugend erklärten. Ohne daß +er es merkte und wollte, übten die Religionsspötter doch Einfluß auf ihn, +als Betbruder zu gelten, däuchte ihm eine Unklugheit und halbe Schande. + +Nachdem er in der Zelle genug geflucht, gewüthet und sich den Tod +gewünscht, begann er zu beten. + +Schule, Kirche, gute religiöse und andere Schriften machten einen +wohlthätigen Eindruck auf ihn, eine herzhafte Generalbeichte wurde der +Anfang zur Besserung. + +Langsam und allmählig, wie der Benedict hochmüthig, leichtsinnig, diebisch +und liederlich geworden, lernte er Demuth kennen und üben, die Sünden +zuerst als eine unpraktische Dummheit und dann erst recht als eine +Beleidigung der Majestät Gottes kennen, die Sehnsucht nach irdischen +Gütern, Genüssen und Ehren minderte sich, je mehr sich ihm die Gestalten +des Himmels offenbarten und auf dem Pfade zur Versöhnung mit sich selbst, +der Welt und Gott ward ihm mannigfache Hülfe. + +Hat er nicht einen Briefwechsel mit seinen Geschwistern angefangen, an +welche er lange Jahre nicht geschrieben? Wurden die Antworten nicht eine +reiche Quelle des Trostes und der Ermunterung für ihn? Erfuhr er nicht +unter andern, der Vater habe noch einige Stunden gelebt und Zeichen der +Verzeihung gegen das Bild an der Wand gemacht, welches den Benedict als +Hobisten darstellte? Schöpfte der Unglückliche nicht daraus den Trost, der +Vater habe ihn noch bei Lebzeiten nicht für seinen absichtlichen Mörder +gehalten? + +Am ersten Montage des Septembers 185... wurde Nro. 110 unvermuthet ins +Besuchzimmer abgeholt. Er schrak ganz zusammen und die Kniee zitterten ihm, +als er durch die kühlen Gange geführt wurde und erinnerte sich, auf diesem +Wege sei er in die Anstalt hereingekommen. + +Richtig liegt auch das Besuchzimmer im Vorderbau beim Eingange und der +Gefangene, welcher Besuch empfängt, sieht die Thüre, die ins große +Zuchthaus hinausführt. + +Das Besuchzimmer des Zellengefängnisses ist so eingerichtet, daß der +Gefangene nicht das Mindeste von den Besuchern in Empfang zu nehmen +vermöchte, wenn auch gar keine Aussicht vorhanden wäre. Die Leute sehen +einander mit Mühe, geschweige daß sie sich die Hand zu geben vermöchten und +die Stimme ist wohl das Hauptsächlichste, woran sie sich gegenseitig +erkennen. Hausordnungswidrig darf sich auch keine Stimme vernehmen lassen, +denn zwischen den bis zur Decke eng verpallisadirten Käfigen der +Besuchenden und des Besuchten steht ein Aufseher, so lange sie zusammen +reden und diese Aufseher sind ausgewählte, pflichttreue Diener, wie man sie +wohl selten in einer Strafanstalt beisammen trifft. + +Für die übertrieben scheinende und in der That harte Einrichtung des +Besuchzimmers finden wir nur Einen haltbaren Grund: man will die +Angehörigen, Freunde und Bekannten der Zellenbewohner von Besuchen +_abschrecken_. + +Dieser Grund ist allerdings haltbar, weil ein Zellenbewohner wahrend seiner +ganzen Haft mehr oder minder in einem empfindsamen, leicht erregbaren +Zustande sich befindet und durch nichts leichter als durch Besuche in eine +gewaltige und manchmal unheilbringende Aufregung versetzt wird. + +Wer weiß, welchen Eindruck der jetzige Besuch auf den Benedict gemacht +hätte, wenn er nicht bereits zum religiösen Halt in sich gelangt gewesen +wäre!---- + +Er hat am Besuchzimmer später nichts ausgesetzt, denn er fühlte sich +unwürdig, den beiden Lieben, welche ihn besuchten, näher zu treten und die +Hand zu reichen und mußte sich im ersten Augenblicke an einer Pallisade +halten, um nicht zusammenzubrechen. Standen doch ihm gegenüber der älteste +Bruder, der Johannesle, welcher Zeuge der allerersten Arretirung in der +Apotheke gewesen und neben ihm----das Rosele! + +Stumm, von seltsamen Gefühlen bewegt, schauten sich diese drei Menschen an, +so gut es möglich war, dann brachen sie in ein lautes Weinen und Schluchzen +aus und endlich begannen sie zu reden, anfangs ohne recht zu wissen was und +wovon. Der Benedict faßte noch zuerst Muth und Besinnung und erzählte ihnen +sehr Tröstliches von seinem Zellenleben, was die Beiden ruhig machte. + +Wie groß und mannhaft ist der Johannesle geworden und jetzt verheirathet, +wie sehr hat das Rosele gealtert und wie manche Thräne mag über diese +braunen, gefurchten Wangen geflossen sein! Das Weib des Straßenbasche ist +todt, doch der alte Mann lebt noch, sie pflegt ihn und ist ledig geblieben +bis zur Stunde. Der Mensch liebt nur einmal recht in seinem Leben, alles +Späterkommende ist mit Lumperei vermischt!-- + +Daheim im Dörflein hat das Jahr 1848 die rothe Schwitt vollständig ans +Ruder gebracht und der Willibald ist Obmann des Sicherheitsausschusses +gewesen. Es gab nur Demokraten, welche soffen und schrieen und Einige, +welche in Winkeln herumkrochen, das Maul hielten und erst nach der Ankunft +der Preußen auf die frühern "Maulhelden," um deretwillen doch eine Armee +ins Land rückte und das Pulver nicht sparte, tapfer schimpften. Dafür +wurden diese Bürgermeister und Gemeinderäthe; nur Einer ging leer aus und +meinte, er hätte es eher als Alle verdient. Dieser Eine war der Sohn des +alten, längst vermoderten Fidele, der Max vom Rindhofe, der Taufpathe der +rothen Schwitt. + +Dieser Taugenichts, an welchem übrigens ein Heli von Vater, eine dem +positiven Christenthum bereits entfremdete Schule und vor Allem schlechtes +Beispiel Vieles versündiget, hatte die Zukunft der rothen Schwitt als +Anführer derselben anticipirt, bevor die Februarrevolution ausbrach und +alle Rothschwittler und Rothschwittlerinnen des Landes zu Ehren brachte. + +Den gewöhnlichen Weg vom leichtsinnigen Müßigänger zum genußwüthigen +Lumpen, von diesem zum kleinen und allgemach zum großen Verbrecher und +entschiedenen Feinde Gottes und der Menschen durchmachend, lernte Max das +Innere vieler Wirthshäuser, Spitäler und Gefängnisse kennen und benahm sich +im Heimathdörflein so, daß selbst die ärgsten Rothschwittler nicht gerne +mehr mit ihm sich abgaben. + +Seit den Märztagen führte der Willibald das große Wort im Dörflein, das +sich wie an den meisten Orten in drei Parteien theilte, nämlich in eine +lärmende und herrschende, in eine feigherzig schweigende und unentschlossen +abwartende und endlich in die Windfahnenpartei, welche sich heute zu dieser +morgen zu jener neigte, heute das einige Deutschland und den Großherzog, +morgen die Republik hochleben ließ. + +Mit Max hielten es nur einige Schnapslumpen und Solche, welche auch bereits +aus Erfahrung wußten, wie Gefängnißsuppen und Zuchthausbrod schmecken. Das +Dörflein hat während der langen Abwesenheit des Benedict traurige +Fortschritte in Liederlichkeit und Verarmung gemacht, trotz den +Anstrengungen derer vom alten Schrot und Korn und der Jungen der schwarzen +Schwitt seinen guten Ruf jährlich mehr eingebüßt und ist das Haus des +Brandpeterle nebst einigen andern aus einer Schule der Laster zur +Verbrecherschule geworden. + +Was man wenig überlegt und selten gelten lassen will, nämlich die Mitschuld +der Gesellschaft an den Verbrechen der Einzelnen ließe sich gelegentlich +dieses Dörfleins bis ins Einzelnste nachweisen, mit Namen, Thatsachen und +sogar mit Zahlen belegen und spielte der Name eines Pfarrverwesers der +Nachbarschaft dabei leider eine ebenso erhebliche als unläugbare Rolle. Wir +können uns hier nicht näher darauf einlassen und melden zunächst nur, daß +die Lumpen und Schlechten begreiflicherweise der Gesellschaft und dem +Staate nicht einige Mitschuld, sondern übertreibend die Hauptschuld an +ihren Lumpereien, schlechten Streichen und Verbrechen aufbürdeten und beim +Ausbruche des Lärmes freudenroth und blutigroth schillerten und redeten, +weil sie vermeinten, nunmehr sei das goldene Zeitalter der "Bürger" Schurk +und Compagnie vor der Thüre und bereit waren, Alles zu thun, was ihren +alten Gegnern zuwider und arg und ihren Wünschen entsprechend war. + +Doch der Willibald trat sogleich an die Spitze der Liberalen, die in einer +Woche zu vollblütigen "Demokratern" wurden und statt mit dem Max und dessen +engern Freundeskreis zu fraternisiren, warf man ihm die bittere Wahrheit +haufenweise ins Gesicht und durfte in Gegenwart der alten Freunde kaum ein +Gläslein im Hirzen trinken, ohne in Gefahr und wegen seines bösen Maules +manchmal in den Fall zu gerathen, eine unfreiwillige Reise durch die Luft +zu machen. Der Max, darob erbost, liebäugelte einige Zeit mit den alten +Freunden seines Vaters, welche aus ruhigen Bürgern zu heillosen +"Aristokraten" geworden. Diese machten es ihm gerade wie die Windfahnen; +sie scheuten sich, ihm und seiner Sippschaft offen entgegenzutreten und +ließen sich nur durch die Unverschämtheit, mit welcher er Jeden mit "Du" +und "Bürger" anredete, in die Häuser eindrang und schmarotzte, zuweilen +bewegen, ihm nicht mit schweigender Verachtung zu begegnen, sondern gleich +den Demokratern mit Dreschflegeln zu winken. + +Kurz und gut, der redegewandte Max mit den Seinigen gelangte zu keinem +Einfluß, fand Alle gegen sich und schimpfte heidenmäßig auf Alle. Als im +Spätjahr 1848 die Nachricht kam, wie Struve im Interesse der Freiheit, +Bildung und des Wohlstandes _Aller_ im Oberland die _Einzelnen_ +traktire, Beamte in Ketten schlage, ganzen Dörfern mit Brand und Mord +drohe, Einzelne fange, Gelder des Staates einsäkle und zahmgewordenen +Kammerlöwen mit dem Sarras winke, um sie zu patriotischen Liebesgaben an +die soziale Republik aufzumuntern, da schwoll dem Max das Herz in +freudigbanger Erwartung, seine Sippe steckte die Köpfe zusammen, die +Demokrater kratzten hinter den Ohren, die Aristokrater ließen schwere +Seufzer fahren und gruben Nachts Löcher im Keller, die Windfahnen +vertilgten mehr Wein, Bier und Schnaps als je, um beim etwaigen Einzuge des +"Statthalters und der Statthalterin" dauerhafte Gurgeln zum +Vivathochschreien zu haben. + +Leider machte ein regnischer Sonntag im September den frühlingshaften +Ahnungen der Rothen, Röthern und Röthesten des Ländleins durch die +"Schlacht" bei Staufen ein Ende und als der Max gar erfuhr, daß Struve in +der Nacht mit der Eisenbahn als Gefangener durch die erste Provinz seines +Reiches gesaust, da rief er in tiefem Schmerz: + +"Mit Deutschlands Einheit ist's Mathäi am Letzten. Das Parlament läßt nicht +hängen und köpfen, der deutsche Michel läßt seine besten Männer besiegen, +die Elsässer halten uns mit ihren Pralereien zum Narren, rächen wir uns an +der schwarzen Schwitt, denn diese trägt an allem Schuld!"---- + +Gesagt, gethan. Er stand mit einigen Kameraden dem Willibald als einem +Abtrünnigen und "Aristokrater" auf den Weg, sie schlugen denselben halbtodt +und nahmen sich das Trinkgeld dafür aus seiner Tasche. Schon einige Stunden +später saßen Alle im Amtsthurme, doch der Rädelsführer fröhlich und guter +Dinge, denn erstens war die Kerkerkost besser als in friedlichen Zeiten, +zweitens hegte er keinen Zweifel als politischer Verbrecher behandelt, +beurtheilt und, amnestirt zu werden und drittens dann als politischer +Märtyrer etwas einträglichere Geschäfte als bisher machen zu können. + +Die Untersuchung währte sehr lange; die Richter empfanden damals große +Scheu, irgend einem Sohne des souveränen Volkes Unrecht anzuthun und +beliebäugelten das Individuum im Spiegel der Allgemeinheit. Doch nach der +Mairevolution erwachte der alte Heldenmuth und eine niegesehene Rührigkeit +im Verurtheilen und der Max spazirte als Räuber dahin, wohin er gehörte. + +"Er hat's noch nicht abgesessen und lebt unter Einem Dache mit Dir!" schloß +der Johannesle; siedendheiß fuhr es dem Benedict durch die Glieder, denn +der alte Schwarzschwittler regte sich in ihm und konnte es nicht lassen, +mit dem Haupte der rothen Schwitt am gleichen Ziel angekommen zu sein und +unter Einem Dache zu leben.-- + +Nach vielen Herzkäfern und Schulkameraden, deren Stolz und Freude er +dereinst gewesen, wagte er gar nicht zu fragen, denn der Johannesle besaß +keinen Funken jenes Taktes, mit welchem Besucher mit Zellengefangenen reden +müssen, wenn sie denselben keine schweren Stunden und schlaflose Nächte +bereiten wollen und das Rosele war etwas schweigsam und kurz. + +"Hab' oft für Dich gebetet, Benedict und will für Dich jetzt täglich in die +Frühmesse gehen. Was ich nicht über Dich vermochte, vermag am Ende dieses +wunderliche Haus noch am besten!--Sei getrost, der alte Herrgott lebt noch +und weiß, was für Dich gut ist und die großen Herren sind besser als die +kleinen. Betrübe Dich nicht zu sehr, weil Du da sitzest, denn daheim und im +Lande sieht es so aus und geht es so zu, daß auch ordentliche Leute +manchmal fast froh wären, hier oder doch tausend Stunden vom Rhein weg zu +sein und Maxes alte Kameraden erzählen genug, wie man im Zuchthaus +ungeschorener und besser lebe als in der Freiheit!"-- + +"Viele, die selbst mitmachten, sind jetzt die ärgsten Anzeiger und +Leuteschinder; wenn man's sieht, wie das Land ausgefressen und ausgesogen, +dem Armen das letzte Leintuch unter dem Leibe weggerissen wird, weil der +"Vollstrecker" oder der Staat Geld braucht und wie nirgends Zutrauen und +Verdienst zurückkehren wollen, da wunderts Einen nicht, weßhalb Tausende +jetzt auswandern nach Amerika. Am Ende kommst Du auch noch hinein, +Benedict, denn seitdem die Gemeinden und der Staat Solche, die im Zuchthaus +gewesen wegen Stehlen und Rauben, mit den Politischen nach Amerika +spediren, geht das Gerede, alle Zuchthäuser würden allgemach geleert und +der Befehlshaber von Amerika habe herausgeschrieben, man solle ihm doch +alle Arrestanten schicken, weil es an Händen fehle zum--Arbeiten!" + +Benedict schüttelte etwas ungläubig den Kopf und meinte: + +"Für mich gibts keine irdische Hoffnung mehr!--Ich habe schon an Dir, +Rosele, mein Loos verdient, weil ich Deine einst so treue Liebe so +mißachtete und mißhandelte!--Ich möchte nicht einmal wieder unter die +Menschen, denn was habe ich zu erwarten? Gutes wenig, sei es im Badischen +oder in Amerika. Lebewohl, Liebe, bete für mich und denke, daß ich endlich +doch hier ein anderer Mensch werde!" + +Rosele fuhr mit der Schürze über die Augen, winkte dem Unglücklichen noch +einmal mit der Hand und wandte sich nach der Thüre, während Johannes einen +Besuch im nächsten Jahr nach der Erndte versprach, falls diese gut ausfalle +und ziemlich kühl Behütegott sagte. + +Der Benedict hat sich eine Minute an den Pallisaden gehalten, als die +Beiden gingen, hat gezittert und sich schier die Lippen wund gebissen, um +nicht laut aufzuschreien. Doch ist er seiner selbst Meister geworden und +still in seine Zelle zurückgekehrt, wo er auf die Kniee fiel und Gott ein +heiliges Gelübde machte. + +Seitdem ist er allgemach zu einem rechten Christenmenschen geworden, hat +tief in sich hineingeschaut wie selten Einer und ernsthaft an seiner innern +Läuterung gearbeitet, so daß er nunmehr alle Leiden um Christi willen +freudig trägt. + +Und wenn heute der herzensgute Fidele vom Grabe auferstünde und seinen +Einzigen im grauen Kittel in der Zelle sähe, so würde sein Schmerz durch +die Freude überwogen, in diesem zwar einen Verbrecher, aber einen +_gebesserten_ Verbrecher zu finden. + +Der Max vom Rindhofe hat in der Zelle auch Gelegenheit erhalten, über sich +selbst lange und ernstlich nachzudenken und sich selbst gründlich kennen zu +lernen. Selbsterkenntniß aber ist und bleibt der Anfang aller Weisheit. +Könnte man alle Menschen gleich den Zellenbewohnern zum Nachdenken +_zwingen_--die Erde hörte auf, ein großes Zuchthaus zu sein und der +Streit, ob man Mitmenschen pennsylvanisch, auburnisch oder nach der alten +Methode drangsaliren müsse, damit die Gesellschaft sicher sei, würde als +Kennzeichen einer rohen und barbarischen Zeit betrauert werden. + + + * * * * * + + + + +#AUS DEN BRIEFEN DES SPANIOLEN.# + + + * * * * * + + + + +#VORBERICHT.# + + +Der Spaniol ist ein alter Bekannter aus dem ersten Theil und hat vielleicht +mancher Leser schon zu erfahren gewünscht, wer und woher er wohl und wie es +ihm bisher ergangen sein möge. Einerseits Revolutionär als Grundsatz, +gehört er anderseits schon vermöge seiner höhern Ausbildung und gewaltig +hohen Verbildung den höhern Volksklassen an. + +So unrichtig es wäre, denselben als eine erdichtete Person zu betrachten, +so sehr bitten wir auch, in ihm den Ausdruck einer großen Klasse von +Menschen zu sehen, welche mehr oder minder bewußt und weitgehend dem +Spaniolenthum huldigen. Seine Geschichte ist eine lange, lehrreiche und +traurige. Statt ihrer geben wir nur Auszüge und dazu noch +_umgearbeitete_ Auszüge aus Briefen des Helden. + +Warum? + +_Erstens_ erfordert eine _lange_ Geschichte viel Druckpapier, +noch mehr Schreibseligkeit und am meisten Geduld beim Leser. Der Herr +Verleger besitzt zweifelsohne Papier genug, aber die Zuchthausgeschichten +sind schon ihrem Inhalte nach etwas dick und sollen mindestens der Form +nach nicht allzudick werden, damit sie sich leichter Platz machen in der +elenden Zeit. Ferner hat möglicherweise schon Mancher gedacht, der +Verfasser müsse ein recht schreibseliger Mensch sein, zumal er sich +zuweilen wiederholt, allein Ein Beweis vom Gegentheil wird durch großartige +Beschneidung der Geschichte des Spaniolen geliefert und manche Wiederholung +mit der Furcht entschuldigt, daß der Leser diese Schrift als eine +vorzugsweise für Unterhaltung berechnete ansehe, mit der Erfahrung, daß +Kopfzerbrechen und Nachdenken keine Lieblingsleidenschaft des Publikums +sei, mit der Gewißheit, daß man gewisse Dinge nicht oft genug sagen könne +und vor Allem mit Vertrauen auf die berühmte deutsche Tugend der Geduld. + +_Zweitens_wäre die Darstellung der innern Entwicklung und äußern +Schicksale des Spaniolen sehr lehrreich und wohl auch unterhaltend, allein +der genauem Veröffentlichung stehen größere Bedenken entgegen als bei allen +übrigen in dieser Schrift vorkommenden Geschichten. Daß wir es dadurch mit +Rezensenten, Schön-, Schwarm- und Rottengeistern der Gelehrtenrepublik, ja +mindestens mit drei Viertheilen der Welt verdürben, wäre noch leicht zu +verdauen. Wir fragen so wenig nach allen Interessen unserer Person als nur +immer möglich und weil es auf dem unvermeidlichen Totenbette doch Eins ist, +ob man sein Lebenlang Champagner oder Batzenvierer getrunken, +Havannahcigarren oder Pfälzerkneller geraucht und auf Eiderdunen oder auf +einem Spreuersack Nachts schnarchte, so würden wir uns nicht einmal +sonderlich grämen, wenn man uns eines schönen Tages zum zweitenmal, aber +dießmal um einer _guten heiligen_ Sache willen an der Cravatte packte; +wenn diese dadurch gefördert würde, könnte die winzige Person darob ganz +fröhlich zu Grunde gehen. + +Allein nicht unsere Person, sondern die des Spaniolen müssen wir +verschleiern und diese auch weniger um ihretwillen, sondern wegen anderer +Leute. Wir müßten nolens volens Vieles dichten, dürften Namen von Orten und +Personen, Zahlen und manche Thatsachen nicht laut werden lassen, ohne +Anstoß und Schaden zu verursachen und müßten dieselben doch laut werden +lassen, um gehörige Lichtfunken in die dunkle Geburtsstätte des +Spaniolenthums zu werfen. Solcher Widerspruch ist schwer zu lösen. + +Dagegen bietet die Geschichte unseres Helden Anknüpfungspunkte und +Thatsachen in Menge, um mindestens nachzuweisen, wie weit die +Entchristlichung aller öffentlichen und gesellschaftlichen Zustände, die +Protestantisirung des katholischen Volkes gedieh und wie namentlich das +katholische Erziehungswesen kaum Spuren von christlichem geschweige +kirchlichem Geiste an sich trug in einer Zeit--welche in manchen Gegenden +noch nicht zur Vergangenheit geworden. Gegenwärtig, wo es Tausenden +einleuchtet, wohin die Entchristlichung der Völker und die +Protestantisirung katholischer Christen führe und wo aus den Denkschriften +der Oberhirten der oberrheinischen Kirchenprovinz ein Wächterruf des +Himmels an sämmtliche Dusler unter dem Monde erklingt, da wird es Pflicht, +alle Kraft aufzubieten, um einer bessern Zukunft eine Gasse machen zu +helfen. + +Die Geschichte des Spaniolen enthält Thatsachen genug dafür, wie es lange +Jahre namenlich mit dem _Erziehungswesen_ in einem Lande aussah, von +dessen Bewohnern zwei Drittheile katholisch getauft worden. Wir wählen +diejenigen heraus, für welche wir im Nothfalle einstehen können, sei es, +daß wir mit Andern Aehnliches oder ganz Gleiches erlebten oder Beweise +beizubringen vermögen. Erkenntniß der Fehler ist der Anfang zum +Besserwerden. Nebenbei soll Anderes, wenn auch nur flüchtig berührt werden, +was darauf hinzielt, dem Staate und der Kirche mindestens mit gutem Willen +beizuspringen und wenn dieser oder jener Punkt katholisch getaufte +Museumslazzaroni, Gänsekielimperatoren, Säbelbedienstete, Volksbildner und +Kleinbubenprofessoren, Kammerzeuse und andere Giganten der Aufklärung und +Bildung ärgert oder in gelinde Wuth versetzt, so wissen wir keinen bessern +Rath, als daß diese Herren das Buch mit fachgemäßer Entrüstung an die Wand +werfen, den Spaniolen für einen pechschwarzen Demokraten und seinen +Briefsteller für alles Mögliche halten, was ihnen just einfällt und +beliebt. + +Heilsamen Verdruß unter Namenchristen zu erregen, halten wir für großes +Verdienst. + +_Drittens_ endlich ist die Geschichte des Spaniolen eine sehr +_traurige_. Nun kann man zwar dem Schmerz eine Schellenkappe aufsetzen +und in Trauermusik recht freundliche und lustige Stellen einflechten, zudem +hat der Held über seine eigene Geschichte genug gelacht und es dauerte +gewaltig lange, bis er zur Einsicht kam, seine Geschichte sei Eine zum +Weinen--doch es gibt Schmerzen und Musiken, die sich mit Schellenkappen +nicht vertragen und wo aus dem lustigen Aufjauchzen das tiefe innere Wehe +nur noch herber heraustönt und der Spaniol ist ein ernster Christenmensch +geworden, der nur mit einer ernsten Lebensbeschreibung zufrieden sein +könnte. Damit nun vorliegende Briefe und der Schluß der +Zuchthausgeschichten nicht gar zu traurig ausfallen, sind dieselben aus der +Zeit genommen, wo der Held derselben nicht mehr in der Zelle zu B. und +nicht mehr in dem engen, schwülen Kerker ungläubigen Aberglaubens seufzte, +sondern wiederum den Wanderstab ergriffen hatte und wenn nicht im Himmel +des Kinderglaubens, doch im Vorparadiese eines durch Nachdenken und Gebet +neuerrungenen Glaubens an Christum den Gottessohn und die +menschheiterlösende Mission der Weltkirche Jesu Christi weilte. Was den +Inhalt der Briefe betrifft, so verhalten wir uns zu denselben wie ein guter +Rathsherr zu den Ansichten seines Bürgermeisters. Wir nicken abwechselnd Ja +und rufen: Einverstanden! + + * * * * * + +#I.# + + * * * * * + +--Es ist ein sonderbares Gefühl, wenn man eine lange Reihe von Monden +keinen Schritt ohne Ordre und Wächter thun darf, eingezwängt in den +eintönigen Gang einer unerbittlichen Hausordnung und in den kleinen Raum +von 8 Schritten Länge und 4 Schritten Breite, welchen eine Zelle einnimmt. +Freilich gewöhnt sich der Mensch daran, eine Art Maschine zu werden und das +eigene Wollen mehr oder minder aufzugeben; die anfangs beengende Zelle +erweitert sich allmählig und wird aus einem öden Behälter zum freundlichen +Stübchen, in welchem man sehr glückliche Stunden zu leben vermag--doch wie +viele düstere und wildbewegte Tage, wie viele bange und verzweiflungsvolle +Nächte muß man durchleben, bis es so weit kommt, einen Schimmer äußern +Glückes zu genießen! Wie Alpdruck lastet die Einsamkeit auf dem Gemüthe und +erdrückt jede frohe Regung in den ersten Monden der Haft. Später kommt das +Nachsinnen und Nachbrüten, die Zelle bevölkert sich mit alten Gestalten der +Vergangenheit, sie weisen die Schuld unserer Leiden von sich ab und auf uns +selbst, der Teufel und der Engel in uns beginnen ihre geheimnißvolle +Zwiesprache und diese Zwiesprache steigert sich zum folternden, +herzzerreißenden Streit und verzweiflungsvollen Kampfe. Unentschieden wogte +in mir der Kampf und Streit, erst am Ende des zweiten Jahres wurden die +Stunden seltener, in denen der Böse mir gräßliche Gedanken, finstere +Entschlüsse, blutige Hoffnungen in die Ohren flüsterte und ich tagelang der +Gesellschaft Jenes mich erfreute, der Allen Alles werden kann und soll und +im Grunde der einzige wahre Freund bleibt, welchen der Mensch auf dieser +Welt zu erwerben vermag. + +Wo Er weilt, herrscht Friede und Seligkeit, wo Er fehlt, Unruhe und Qual. +Dies ist in allen Menschenwohnungen der Fall, doch der Zellengefangene +empfindet es lebhafter als jeder Andere, weil ihm die zahllosen +Zerstreuungen fehlen, durch welche die Freien das bange Herz in süße +Gedankenlosigkeit einwiegen. + +Die Freien, welche Ironie!--Die äußere Freiheit bleibt für den Herrn des +größten Thrones und für den Bürger der freiesten Republik leerer Schein, +hohle Redensart, wo die innere fehlt. Es gab und gibt wohl noch Könige, +abhängiger und elender als der verlassenste Bettler ihres Reiches, und +Gefangene, freier und glücklicher als die Gesetzgeber des freiesten +Staates. Innere Freiheit ist die Quelle der äußern. Ein Volk, unter welchem +viele innerlich Freie sich befinden, kann keine schlechte Regierung haben +und von vornherein niemals in die scheinbare oder wirkliche Notwendigkeit +versetzt werden, sich gegen dieselbe aufzulehnen und zu empören. +Revolutionen sind Zeugnisse für tiefgehende Krankheiten der Völker und +Folgen unbehaglicher Zustände, welche durch die Krankheiten ins Leben +gerufen wurden. + +Und krank, sterbenskrank ist unsere Zeit; sie liegt darnieder am Mangel an +innerer Freiheit, näher am Mangel an positiver Religion und am Ueberflusse +an einem Heidenthum, das weit ärger ist als das alte, weil man es kein +unbewußtes und argloses nennen darf. Es strebt den ganzen Organismus des +Staatslebens und der Gesellschaft zu vergiften und hätte denselben seit 300 +Jahren schon mehr als dreimal vergiftet und ertödtet, wenn nicht die Kirche +gegen alle Angriffe und Verfolgungen kirchlicher und politischer +Revolutionen Stand gehalten hätte. + +Doch--ich gerathe wieder auf Dinge, von welchen ich mindestens diesmal +nicht reden wollte. Es ergeht mir wie alten Soldaten und den meisten +Fachmenschen, welche jahraus jahrein von ihren Feldzügen und Geschäften +reden und unwillkürlich immer wieder darauf gerathen, ob sie wollen oder +nicht. Sollte ich mich entschuldigen, so wüßte ich nichts anzuführen, als +daß ich eben leider ein entschiedener und im Kampfe nicht unerfahrener +Soldat des Heidenthums gewesen und dadurch zum Verbrecher geworden bin. + +Mein Herz zittert, sobald ich länger bei diesen Erinnerungen verweile. Sie +liegen hinter mir als ein langer, banger Fiebertraum voll von gräßlichen +Gestalten, drohenden Gefahren und niederschmetternden Erinnerungen. Ich +weiß, daß du mir verzeihest und Dank weißt, wenn ich später über die +Nachtseiten meines Lebens rasch hinwegeile. Es geschieht nicht, weil ich +mich des Bekenntnisses, sondern weil ich mich meiner Verirrungen und Sünden +schäme--mich selbst verachten und Gottes Barmherzigkeit anstaunen muß, der +einen Unhold meiner Art zu sich rufen und aus einer Art moralischem +Ungeheuer, dessen größte Tugend im Stolze auf seine Ungeheuerlichkeit +bestand, wiederum zu einem Menschen, zu einem Christen werden ließ. Er +würde es wohl nicht gethan und als gerechter Gott mich den Folgen meiner +Unthaten überlassen haben, wenn nicht Er am besten gewußt hätte, daß +weniger Selbstsucht als verwundete und verkehrte Liebe für meine +Mitmenschen und nicht Bosheit, sondern frühgenährte Eitelkeit des Herzens +mich auf einem Wege forttrieben, auf welchen ich mich nicht selbst brachte, +sondern als Kind darauf gebracht wurde. + +--Ja, einen großen Theil meiner Schuld schiebe ich keineswegs mit dem +höflichen Dichter den Gestirnen zu, sondern muß und darf meine Eltern, +Lehrer und die Gesellschaft überhaupt dafür verantwortlich machen. Dabei +vergesse ich nicht, daß Eltern unter allen Umständen Eltern bleiben und daß +die meinigen hinsichtlich ihrer natürlichen Gaben und thätigen Liebe für +uns Kinder vortreffliche Menschen waren. Ich muß dieselben mit mir beklagen +und nicht minder meine Lehrer, welche als Söhne und Träger der Bildung +einer dem positiven Christenthum abholden und feindseligen Zeit eben auch +zu dem gemacht worden waren, was sie aus mir und meinen Mitschülern +machten: _Namenkatholiken, Unchristen, Heiden._ + +Man sollte vermeinen, Eltern und Lehrer in christlichen Staaten erachteten +es für die erste Pflicht, junge Seelen Christum kennen und lieben zu +lehren, die Glaubenssätze und Gebräuche der Kirche so gründlich als möglich +zu erklären und denselben handelnde Christen in ihrer Person zu zeigen. +Solch heilige Pflicht wäre nicht allzuschwer zu erfüllen. Das Kind faßt +Christum, weil sein Gemüth reine Liebe begreift und die natürliche Liebe, +welche es für seine Ernährer und Lehrer empfindet, bildet die +Uebergangsbrücke der übernatürlichen Liebe zum Himmlischen und Göttlichen. +Ferner wären dogmatische Auseinandersetzungen für Kinder zwar unnütz, denn +das Kind zweifelt nicht, sondern glaubt und vertraut und der erstarkende +Verstand entwickelt mit der Zeit aus dem lebendigen Glauben an den +Gottessohn alle Glaubenssätze als bloße Folgerungen aus jenem Glauben von +selbst, doch eine oft wiederholte Erklärung aller Gebräuche der Kirche, in +deren kleinsten eine unendlich tiefe Bedeutung liegt, sollte eben so sehr +zur Obliegenheit der Eltern als der Lehrer werden. Endlich sind die meisten +Erzählungen vom Leben der einzigächten Helden der Menschheit, der Helden +des sittlichen Willens, nämlich der Heiligen für jedes Kinderherz so +verständlich, anziehend und rührend, daß in keinem Hause eine +Legendensammlung fehlen und nirgends dieselbe bestäubt in einem Winkel +liegen sollte. Zuletzt liegt in der Befolgung der Vorschriften unserer +Religion der ächte Stein der Weisen, das Geheimniß des zeitlichen und +ewigen Glückes und wenn Eltern und Lehrer nicht einmal an ihre Kinder und +Schüler, sondern nur an sich selbst und ihren handgreiflichen Nutzen, nicht +an das Jenseits, sondern nur an den Augenblick und das Irdische dächten, +würden sie darnach _streben_, ihren Kindern handelnde Christenmenschen +zu zeigen, durch eigenes Beispiel zur Nachahmung reizen und an das Gute +gewöhnen. + +Zu all diesem gehört keine besondere Gelehrsamkeit, es kostet nicht viele +Zeit und würde eher zu Ersparnissen als zu Ausgaben verhelfen. + +Allein wie sieht es in protestantischen und katholischen Familien und +Schulen mit der Pflege des Christenthums aus? + +Gibst du nur den einzigen Satz zu, daß ein Christenthum ohne einen +Gottessohn ein leeres Gerede sei, hinter welchem sich ein mit christlich +klingenden Redensarten verbrämtes Heidenthum breit macht, so wird den Satz +Niemand umstoßen können, daß bei weitem in den meisten Häusern und +Schulstuben das heranwachsende Geschlecht zu Heiden statt zu Christen und +weit eher für Wirthshäuser, Spitäler, Irrenanstalten und Gefängnisse denn +für ein glückliches Familienleben, weil für die Kirche und den Himmel +herangezogen werde. + +Ich bin ein trauriges Beispiel dafür geworden. So wenig meine Erziehung in +Haus und Schule einigen Antheil am Verdienste meiner Rückkehr zum Glauben +besitzt, ebensowenig verhindert sie bei vielen Tausenden, daß diese werden, +was aus mir, dem Liebling der Eltern und Lehrer, geworden. + +Pietät verbietet mir, meine leiblichen Eltern von einer ungünstigen Seite +zu schildern. Kinder ihrer Zeit und Opfer der Weisheit der Zeit, trug +Alles, was angeborne Herzensgüte des Vaters und Sanftmuth der Mutter, +günstige Lebensverhältnisse und erfahrne Weltklugheit bei ihnen vermochten, +nicht genug zu einem dauerhaften häuslichen Glücke, wenig zum Gedeihen der +menschlichen Gesellschaft und noch weniger dazu bei, denselben in der +Todesstunde Trost und in den Augen Gottes besonderes Ansehen zu +verschaffen. Und meine Eltern gehörten nicht nur zu den angesehensten und +gebildetsten, sondern in der That zu den edelsten Persönlichkeiten meiner +Vaterstadt, wie meine Lehrer zu den kenntnißvollsten und besten des Landes. + +Der Vater war Arzt; ein religiös gesinnter Arzt ist wohl heute noch so +selten denn ein gläubiger Jurist, ein frommer Lieutenant oder ein +gottbegeisterter Handlungsreisender. Er besuchte die Kirche nur am +Geburtsfeste des Landesherrn und galt als feiner, aufgeklärter Kopf, der +wenig redete und mindestens vor uns Kindern niemals gegen die Religion und +selten genen [gegen] diesen oder jenen Geistlichen zu Felde zog. Er +überließ das Beten, Kirchengehen und die religiöse Erziehung seiner Kinder +der Mutter und den Lehrern. Diese glaubte aufrichtig an einen _Gott_, +aber weder an den Jehova des alten noch an den dreieinigen des neuen +Bundes, sondern an den Gott innerhalb der Grenzen der Vernunft, an den des +Zeitgeistes, der seine Bibel in den "Stunden der Andacht" gefunden. Er +spielt in der Geschichte unseres Geschlechtes und im Leben des einzelnen +Menschen genau dieselbe Rolle, wie ein gutherziger Onkel oder schwacher +Vater irgend eines Theaterstückes, worin ein leichtsinniger Sohn oder Neffe +einen dummen und schlechten Streich nach dem andern macht, den guten Alten +auf jede beliebige Weise ärgert und quält und am Ende von allerlei Noth +getrieben liebend und vertrauend in die stets ausgebreiteten Arme des +Gerührten sinkt. + +Man könnte diesen Gott den absoluten Heli nennen, der so oft vom Stuhle +fällt und stirbt als es dem Menschen beliebt gegen den Willen desselben zu +handeln. + +Meine Mutter glaubte auch an _Christum_ und würde Straußens mythische +Nebelgestalt oder gar Daumers Menschenfresser mit Abscheu zurückgewiesen +haben--aber _ihr_ Christus war nur ein liebenswürdiger, großer +Wohlthäter des Menschengeschlechts, den die gottlosen Juden peinigten und +kreuzigten, weil eben Juden nichts von Weisheit, sondern nur das Geldzählen +und Dukatenbeschneiden verstanden und schon damals Jeden der Ihrigen +verfolgten, der für die benachbarten Gojims ein zu lautes Wort einlegte. +Daß das Menschengeschlecht wegen des unschuldigen Apfelbisses in Ungnade +gefallen, blieb ihr so unbegreiflich als die Nothwendigkeit, daß sich ein +Schuldloser für das Menschengeschlecht mit Erfolg opferte. + +Der Gedanke, daß Gottes eigener Sohn auf dieses armselige, winzige +Erdenpünktlein herabgestiegen sei, um sich zum Schlusse eines armseligen +und verfolgten Lebens als ohnmächtiger Mensch kreuzigen zu lassen, erschien +ihr bald lächerlich bald empörend, je nachdem sie gerade gestimmt war. Es +läßt sich begreifen, daß von einem _heiligen Geist_, der einst als +einfältige Taube am Jordan herumgeflogen, bei meiner Mutter so wenig die +Rede sein konnte als von der wahrhaften, wirklichen und wesentlichen +Gegenwart Christi im heiligen Abendmahl. Sie fand wohl Geist in den +Gedichten Schillers und Anderer, am wenigsten aber in geistlosen +Catechismen und das heilige Abendmahl galt ihr als eine Art von Zweckessen, +als Erinnerungsfeier an einen tüchtigen Volksmann. Natürlich vermochte sie +in der katholischen Kirche, der sie mit Leib und Seele anzugehören +vermeinte, weder eine vom heiligen Geist geleitete göttliche Einrichtung +noch den fortgesetzten Christus zu erblicken. Die Kirche galt ihr einfach +als menschliche, politisch nützliche und kluge Einrichtung und an die +Stellvertretung Gottes im Priesterstand glaubte sie um so weniger, je mehr +Bücher über die Gräuel des Mittelalters sie verschlang und je mehr +Erzählungen vom starkmenschlichen Wandel vieler Geistlichen im Schwange +gingen. + +Sie betete und ging zur Kirche sowohl aus Bedürfniß als aus Gewohnheit. Das +Bedürfniß war genau dasselbe, welches jeden geistig Gesunden ohne +Unterschied des Glaubens zum Beten und zur Verehrung eines höchsten Wesens +antreibt und über die Gründe ihrer Gewohnheit reiflich nachzudenken, dazu +mangelte Anlaß, Lust und Zeit oder Alles zugleich. Aber--hörte sie am +Sonntage nicht _positives_ Christenthum von der Kanzel herab +verkündigen? Wurden nicht katholische Handlungen vor ihren Augen fast +täglich vorgenommen? Mit dem Predigen des positiven Christenthums war es in +einer Zeit, wo noch kein Hirscher und Andere den tiefen und innigen +Zusammenhang zwischen Dogmatik und Moral auseinandergesetzt hatten, bei der +Bevölkerung mancher Pfarrei übel bestellt. Auch in unserer Stadt gab es +Geistliche, welche Alles, nur kein _positives_ Christenthum von der +Kanzel herab verkündigten. Einzelne predigten im Laufe vieler Jahre +immerhin zuweilen auch Glaubenslehren und meine Mutter wußte den +Catechismus besser auswendig als ich, denn sie hörte den Kindern manchen +Morgen nach dem Frühstück noch geschwind die Lektion des +Religionsunterrichtes ab. Allein es stand vollkommmen [vollkommen] im +Einklange mit ihren Grundanschauungen, daß sie die Glaubenslehren der +katholischen Kirche nur als todte Gedächtnißsache inne hatte und den +Unterschied zwischen Katholiken, Protestanten und wohl auch den Juden als +Etwas betrachtete, was honetten und _gebildeten Leuten_ unwesentlich, +zufällig und gleichgültig erscheinen müsse. + +Als ob es eine doppelte Wahrheit geben könne, unterschied sie nämlich eine +Religion für Gebildete, welche über allen mittelalterlichen Aberglauben +hinaus sein sollten und eine Religion für das gemeine Volk, dessen +Leidenschaften durch die zwei größten Beweger des menschlichen Herzens: +Furcht und Hoffnung, näher durch die Angst vor Hölle und Fegfeuer und die +Aussicht auf die Freuden des Himmels in Schach gehalten werden müßten. Nach +ihrer Meinung machten alle Geistlichen insgeheim und in Gegenwart von +Honoratioren denselben Unterschied, schwiegen jedoch aus Klugheit auf der +Kanzel davon, weil ja gemeines Volk und Gebildete in Einer Kirche saßen. +Ersteres mußte gläubig erhalten werden, die Honoratioren wußten schon, +woran sie mit dem Geistlichen waren und wählten aus dem Vortrage heraus, +was ihren Ansichten entsprach und ihrer Person gerade mundete. + +Meine Mutter war eine gute, gescheide Frau, hielt sich ganz ehrlich für +eine vortreffliche Katholikin und wurde in der ganzen Stadt dafür gehalten, +weil eben in der ganzen Stadt das ewige Evangelium durch das Evangelium der +Zeit, der Katholizismus durch den Protestantismus thatsächlich verdrängt +worden war. + +Ob es heutzutage schon um Vieles hierin besser geworden, weiß ich nicht. +Ich weiß nur, daß die Missionen keine fruchtlose Sache, die Jesuiten +vortreffliche Prediger sind und daß der Zug der angsterfüllten Zeit bei den +Bessern ein lebendiges Wechselverhältniß zwischen Gott und Mensch verlangt, +welches nur durch die positive Religion vermittelt wird. + +Aus dem Vorhergehenden ist dir nun sicher klar, daß meine und meiner +Geschwister früheste religiöse Erziehung uns mit einer für das Leben +unfruchtbaren Ehrfurcht vor dem Schöpfer Himmels und der Erde, mit einer +nur sinnlichen Liebe für das hübsche Jesuskindlein, mit dem Geiste der Zeit +und mit Gleichgültigkeit und frühzeitig genug mit Mißtrauen gegen unsere +Kirche erfüllte. + +Es wäre gut, versuchte Einer einmal die Schilderung des Lebens in einer +honetten und gebildeten Familie, deren Mitglieder gleich uns dem +Zeitevangelium huldigten und einer nicht minder honetten und gebildeten +Familie, welche Jesum Christum kennt und liebt und in der katholischen +Kirche ihn sinnlich schaut. Meine überreiche Erfahrung böte ihm Stoff +genug, um alle Dichtung entbehren zu können und das Schriftlein würde +vielleicht Einiges beitragen, die große und gefährliche Lüge der Zeit, als +ob positive Religion keinen positiven Einfluß auf das Handeln ausübe und +deßhalb für das Leben gleichgültig sei, todtschlagen zu helfen. Der +Katholizismus hat auf den Trümmern der Römerwelt eine neue und bessere Welt +erbaut, aus Barbaren Menschen und aus Bürgern Christen gemacht und wie oder +warum oder wann sollte diese weltumgestaltende Religion allen Einfluß auf +das Leben eingebüßt haben? Freilich sind durch zahllose Bücher und +zeitgemäße Staatsschulden Millionen Katholiken zu inwendigen Protestanten +geworden und der Glaube der meisten Protestanten ist von dem der gebildeten +Griechen und Römer oder auch der naturwüchsigen Germanen nicht sonderlich +verschieden--aber ist _dieser_ Glaube Christenthum? Klingt es nicht +wie baarer Unsinn, wenn Heiden uns belehren wollen, das Christenthum übe +keinen Einfluß auf _ihr_ Handeln und Leben aus?-- + +Doch ich schweife bereits wieder ab. + +Was das Haus übel macht, soll zunächst von der _Volksschule_ +verbessert werden. Wir Kinder wurden daheim zu Helden gemacht; wenn es +nicht der Fall gewesen wäre, so würde die von mir besuchte Volksschule ganz +dasselbe bewirkt haben. + +Ein gescheidter Mann hat einmal geschrieben. "Katholische Jugend in die +Hände eines Lehrers geben, der nicht aufrichtig katholisch ist, ist fast +ebenso thöricht als den Katholiken in ihrer Kirche durch einen reformirten +Geistlichen oder den Juden durch einen Bischof predigen lassen." Keine +Behauptung ist einleuchtender als diese. Aber wie stand es mit den +Volksschulen überhaupt? Man sollte vermeinen, daß in christlichen +Volksschulen alle Lehrgegenstände soviel als nur immer möglich mit dem +fleischgewordenen Gottessohn und der Kirche in Beziehung gebracht würden. +Nur dann hatte die Vielwisserei, womit man seit einigen Jahrzehnten die +Kinder in Stadt und Land vollzustopfen trachtet, auch einigen Sinn und +Nutzen. Die Schule wäre eine Ergänzung und Vervollständigung der Kirche und +ein Hülfsmittel mehr, dem Volke eine klare, allseitige christliche Welt- +und Lebensanschauung beizubringen. Freilich ist das Einmaleins und die +Rechenkunst weder christlich noch katholisch, eine vortreffliche +Handschrift bleibt etwas Gutes, wenn der Schreiber auch noch so wenig taugt +und die Kinderquälerei mit Sprachlehren bliebe eine solche, wenn auch +gelegentlich der Satzbildungen, Sprachübung und des Aussatzmachens der +Lehrer alle Beispiele aus dem Gebiete des kirchlichen und religiösen Lebens +wählte und wählen ließe. Aber wenn einst die Jesuiten es verstanden, jungen +Chinesen durch die Geometrie christliche Glaubenssätze wie den der +Dreieinigkeit beizubringen, so ließe sich am Ende auch nachweisen, es sei +für einen christlichgesinnten Volksschullehrer nichts Schweres, selbst dem +Unterrichte im Rechnen und in der Meßkunst eine gewisse religiöse Weihe zu +geben. Auch ist unläugbar, daß die Schreibbücher der Schüler keineswegs +verunstaltet würden, wenn man neben den Sittensprüchen, Beschreibungen von +Thieren und Pflanzen und ähnlichen Dingen etwas positiv Christliches und in +katholischen Schulen spezifisch Katholisches fände. Was die Sprachlehren, +Naturlehren, Abrisse aus der Geschichte und andere Zweige des Unterrichts +betrifft, welche in den Lesebüchern der Volksschulen vorkommen, so verweise +ich einfach auf sämmtliche Lehr- und Lesebücher, welche seit der Entstehung +unseres Landes in Volksschulen und höhern Bürgerschulen eingeführt waren +und frage: wie viele dieser Bücher sind durchweht vom Geiste Christi oder +gar von dem der katholischen Kirche? + +Du wirst vielleicht nicht ein Einziges finden, dessen Inhalt nicht ganz und +gar durchsäuert wäre vom Geiste jener zeitgemäßen Religion, der meine +Mutter huldigte und vielleicht mehr als Eines, welches darauf hinarbeitete, +Gleichgültigkeit, Mißtrauen und Haß gegen die katholische Kirche, +namentlich durch entstellte Geschichte in die Herzen der Jugend zu säen. + +Lebte die Gesinnung ächter Katholiken in den Herzen der Volksschullehrer +und wären Bücher wie das Lesebuch von Bumüller und Schuster schon zu meiner +Zeit in den Händen der Kinder des Volkes gewesen--Fürsten und Regierungen +würden sich wohl einen großen Theil jener grausamen Demütigungen, die +Völker aber viele Leiden erspart haben, womit sie von Gott besonders seit +1848 heimgesucht wurden. + +Leider dauerte die Entchristlichung der Protestanten und die +Protestantisirung der Katholiken mehrere Menschenalter bereits in den +Volksschulen. Wer aber am allerwenigsten dafür verantwortlich gemacht +werden sollte, das ist der Stand der Volksschullehrer, welchem ich selbst +längere Zeit angehörte. + +Es ist eine wohlfeile Sache, über die Verkommenheit und Haltlosigkeit der +"Volksbildner" mancher Gegend zu schimpfen und den "Schulmeisterhochmuth" +zu geißeln. Alles hat seine hinreichende Ursache und wer der Quelle +nachforscht, aus welchen die Verkommenheit mancher, die Haltlosigkeit +vieler und der Hochmuth der meisten Volksschullehrer meiner naheliegenden +Zeit entsprang, wird geneigt sein, dieselben weit mehr zu bedauern als +anzuklagen. Die Quelle aber ist dieselbe, aus welcher das Unheil der +Gegenwart überhaupt geflossen. Mangel an positiver Religion oder, was +zuletzt auf Eins herauskommt, an gründlichem Wissen. + +Ich muß bei dir den Schulmeisterton anstimmen und in jenen Pedantismus des +Schulmeisterthums gerathen, womit Viele gründlich nachzuweisen suchen, daß +das Wasser naß und das Feuer heiß sei. + +Du weißt so gut als ich, daß große Schulmeister auch einmal kleine Buben +gewesen und getaufte Heiden zunächst in Schulbänken für den Zeitgeist +herandressirt werden. Schon der Umstand, daß Katholiken, Protestanten und +Juden gar oft in Einer Schulbank sitzen, muß den Lehrer nothwendig +abhalten, seinem Unterrichte die Färbung eines Glaubensbekenntnisses zu +geben. "_Ueber den confessionellen Gegensätzen zu stehen_," ist sein +Verdienst und ein Ziel seiner Ausbildung. Hand aufs Herz gelegt, gestehst +du mit mir, das "Stehen über den confessionellen Gegensätzen" sei nichts +als eine sinnlose Redensart, insofern man dabei noch von Christenthum und +sogar von kirchlicher Gesinnung redet und nicht minder erlogen wohl das +Leibsprüchlein der Zeit, daß "die Liebe" keine Unterschiede des Glaubens +mache und der Mensch über dem Christen stehe. + +Wo ist der Geschichtschreiber oder Staatsmann, von welchem sich sagen +ließe, daß er wahrhaftig über allen kirchlichen und religiösen Partheien +gestanden, alle gleichmäßig behandelt und sich nicht mehr oder minder +entschieden _für_ Eine derselben und _gegen_ alle übrigen +jedenfalls thatsächlich erklärt habe? Und wieviel Aufgeklärte hat es von +jeher gegeben und gibt es heute, denen die "christliche Liebe" möglich +macht, gegen politische und kirchliche Gegner gerecht zu sein und in +denselben den gleichberechtigten Menschen zu achten, geschweige zu lieben? + +Nein, so wenig es ein Christenthum ohne lebendigen Glauben an Christum den +Gottessohn und ohne die von Ihm gestiftete Kirche gibt, so wenig hat auch +die "christliche Liebe" diejenigen, welche _über_ allen religiösen und +kirchlichen Partheien zu stehen vermeinten, davor bewahrt, gläubige +Protestanten und absonderlich die katholische Kirche heidnisch zu hassen +und zu verfolgen. + +Ist's aber hochgelehrten Professoren und erleuchteten Staatsmännern +unmöglich, _über_ der katholischen Kirche zu stehen, ohne zugleich +_außerhalb_ und ihr mehr oder minder feindlich _gegenüber_ zu +stehen, so sollte man es bei uns dem Lehrerstande nicht allzusehr verübeln, +wenn die meisten Mitglieder desselben das positive Christenthum als etwas +Geringfügiges betrachten und alles "Pfaffenthum" verabscheuen. Erstens +nämlich wurden sie von ihren Eltern oder Lehrern oder von Beiden zugleich +von Kindesbeinen an mehr oder minder für das "reine Menschenthum" erzogen; +zweitens muß solche Erziehung mit der Zeit oft sehr reichliche Früchte +eines unreinen Heidenthums tragen, weil ein Lehrer auch Fleisch hat und bei +uns nur zwei Jahre studirt, später wenig Zeit und Gelegenheit und selten +Anleitung bekommt, ein Christenmensch zu werden und sich eine gründliche +Bildung anzueignen. Er bleibt jedenfalls in der Hauptsache bei dem stehen, +was ihm im Seminar beigebracht wurde und wenn es nun die Religion des +Zeitgeistes war, womit ihn die Lehrer beglückten, zu deren Füßen er +treugläubig und bewunderungsvoll saß, wer kann es ihm verargen, wenn er den +Mangel an positiven Glauben für das sicherste Kennzeichen eines gebildeten +Mannes hält? Drittens endlich führt ein Volksschullehrer ein an +Entbehrungen, Mühsalen und Leiden immer reiches Leben und wenn man das +Treiben manches Pfarramtslazzaroni genauer in Augenschein nimmt und mit dem +Loose des unter ihm stehenden Lehrers vergleicht, wird man sehr geneigt, +die Behauptung, daß die Lehrer zu wenig und die Geistlichen zuviel +Einkommen hätten, nicht sowohl demokratisch und revolutionär als richtig +und vernünftig zu finden. + +Bedenkt man nun, daß der Lehrer im Seminar und durch Schriften mit einer +höchst übertriebenen Ansicht von der menschheiterlösenden Bedeutung und der +weltbeglückenden Würde seines Berufes, mit Gleichgültigkeit gegen das +positive Christenthum und Mißtrauen gegen alles "Pfaffenthum" erfüllt wird, +vergißt man nicht, daß manche Pfarrämter und Dekanate sich ihre Langweile +damit versüßen, den unchristlich und unkirchlich erzogenen und +vielgeplagten Schulmeister kleinlich und boshaft zu schulmeistern und zu +quälen, so mag man sich über die Leichtigkeit nicht mehr wundern, womit der +Staat im Interesse des "religiösen Friedens" d. h. der Knechtung der Kirche +die Schule seit Langem beherrschte und die Jugend für die Staatsreligion, +d. h. zunächst für Gleichgültigkeit gegen das positive Christenthum erzog-- +ohne in ihr die Säugame [Säugamme] des Heidenthums zu ahnen. Ich weiß ein +einsames Grab, das an Allerseelen von keiner liebenden Hand geschmückt +wird. Darunter liegt ein Schulmeister, der sich eine Kugel durch den Kopf +gejagt und einen Zettel zurückgelassen hat, worin er erklärte, er schieße +sich todt, weil die "Pfaffen" ihm das Leben unerträglich machten und +schieße sich im Himmel abermals todt, sobald er dort seine Quälgeister +wiederum treffe. Solche Erklärung charakterisirt den tiefeingewurzelten +Haß, welchen Volksschullehrer häufig gegen Geistliche empfinden und ich +meine, Schüler dieses Lehrers, welche ihn liebten, seien schwerlich große +Freunde der Geistlichkeit geworden.-- + +--Das Kind denkt mehr mit dem Herzen, als mit dem Kopfe, der Grundton +seines Wesens ist Liebe und deßhalb bleibt es auch ein Leichtes, Kindern +die Religion der Liebe beizubringen. Doch so wenig ich daheim zum Christen +erzogen wurde, so wenig thaten meine Lehrer dafür und am wenigsten der +_Religionslehrer_. + +Damals gab es nicht viele Jünglinge, welche innerer Beruf zum geistlichen +Stande trieb. Unter den Studirenden widmeten zumeist Solche sich dem +Dienste der Kirche, welche zu arm, zu talentlos oder auch zu faul und +liederlich waren, um etwas Anderes zu werden. Die geistlichen Professoren +der Hochschulen gingen häufig damit um, eine zeitgemäße Theologie zu +erfinden, Gottes Wort und Werk nicht sowohl gegen den Witz und Aberwitz der +Zeit zu vertheidigen als demselben zu unterwerfen. Die Stellung, in welche +die Kirche zum Staate gerathen, zahlreiche Schriften aus den ersten +Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, das langdauernde Geschrei um Aufhebung der +Ehelosigkeit katholischer Geistlicher, skandalöse Vorfälle verschiedener +Art, vor Allem die gräuliche Unwissenheit in kirchlichen, die weitgediehene +Verkommenheit in sittlichen Angelegenheiten, über deren Vorhandensein bei +den untern und mittlern Ständen kein Zweifel mehr herrscht--dies Alles legt +Zeugniß ab, welche Eroberungen der glaubensfeindliche Geist der Zeit auch +unter dem Klerus gemacht. + +Ich mit den meisten meiner Mitschüler darf mich ein Opfer solcher Zustände +nennen, insofern wir kaum Einen Religionslehrer kannten, der mit +Begeisterung, Liebe und Eifer unsere jungen Seelen für Christum zu gewinnen +und uns einiges Verständniß der Lehren, Gebräuche und Einrichtungen der +katholischen Kirche beizubringen trachtete. Die einzige Errungenschaft, +welche ich aus dem Religionsunterrichte der Volksschule gerettet, +beschränkt sich auf die Erinnerung, wie sauer es mir wurde, die +unverstandenen Lehren des Catechismus auswendig zu lernen, welch +schreckliche Langeweile wir oft in der Kirche und während der +Religionsstunde empfanden und mit welcher Angst und Unwissenheit ich zum +erstenmal in den Beichtstuhl trat. Mit Angst--weil die Mutter mich +überredet hatte, der Beichtvater sehe es Jedem an, der eine Sünde +verschweige oder gar lüge und trage ein scharfes Federmesser bei sich, mit +welchem er Einem die Zunge stutze. Ich schämte mich meiner Sünden nicht, +doch fürchtete ich Eine zu vergessen und ein Stück meiner Zunge im +Beichtstuhle zurückzulassen. Mit Unwissenheit--insofern ich der Gnade des +Glaubens eigentlich niemals theilhaftig geworden und durch viele Reden der +Erwachsenen sowie durch die Wahrnehmung, daß bei meinen ältern Kameraden +die Besserung darauf beschränkt blieb, sich einige Tage nach der Beicht vor +den Lieblingssünden zu hüten, bereits zum Mißtrauen und Unglauben an diesem +heiligen Sakramente gekommen war, bevor ich über das Leben und Treiben der +Erwachsenen reiflicher nachdachte. Frühzeitig wurde ich an religiösen und +kirchlichen Dingen irre und einer meiner Lehrer hat Namhaftes dazu +beigetragen. Mein älterer Bruder nämlich wollte geistlich werden, ein +stiller, gemüthlicher Mensch, den die Eltern und wir nur "das Pfäfflein" +nannten. Er ging längere Zeit zu einem Vikar, um Latein zu lernen und ich +bald mit ihm, denn der Vater hielt große Stücke auf mich, behauptete, ich +werde meinem Alter vorauseilen, den Bruder und Alle überflügeln und müsse +frühzeitig mit Allem anfangen, was zum Brodkorb führe. Das Versprechen, +mich aus der Volksschule wegzunehmen, wenn ich meine lateinischen Regeln +und Unregelmäßigkeiten fleißig erlerne, bewirkte Wunder bei mir und bald +war ich der ausgemachte Liebling des Vikars. Manchmal unterbrachen +Gespräche den Unterricht und einige derselben sind mir unvergeßlich +geblieben. Die Behauptungen: es sei besser ein Schuster als ein +katholischer Geistlicher zu werden, Rom wolle keine Menschen, sondern +Sklaven, Christus sei ein großer Weiser gewesen, aber die Finsterlinge +hätten Seine Lehren verunstaltet--tönen mir noch jetzt in den Ohren. Sie +fielen mir auf, weil ein Geistlicher sie aussprach. Ich liebte diesen +Seelenmörder, der heute noch lebt und zur Rongezeit ein Weib genommen +hat.-- + +Ziemlich einförmig und glücklich verlebte ich meine Kinderjahre, während +deren eine im mildesten Ausdrucke höchst mangelhafte religiöse Erziehung +den Grund zu Dem legte, was später aus mir geworden ist und wogegen mich +ein stürmisches Temperament, ein brennender Ehrgeiz, herbe Erfahrungen und +alle Bitterkeiten des Lebens nicht zu bewahren vermochten. + +Es ist wahr, meine Geschwister sind so wenig Verbrecher geworden als die +meisten meiner Schulkameraden. Doch an meiner Stelle würden sehr Viele ein +ganz anderes Schicksal gehabt haben, als dessen sie sich erfreuen. Und ist +Einer schon ein brauchbares und nützliches Mitglied der menschlichen +Gesellschaft, wenn er kein von den Gesetzen verpöntes Verbrechen begeht? +Und erfüllt Einer dann schon seine _ewige_ Bestimmung, wenn er seine +irdische erfüllt? + +Ich will von meinen Geschwistern nichts sagen. Die Art und Weise, wie +dieselben gegen mich handelten, hat mir schon lange vor der Freilassung +jeden Zweifel benommen, wie es mit ihrer Ehrenhaftigkeit und ihrer +christlichen Liebe aussieht. Freilich habe ich wenig gethan, um mir ihre +Achtung und Liebe zu erhalten, doch Verfolgung läßt sich kein Christ gegen +einen ohnehin gebeugten, armen und wehrlosen Mitmenschen zu Schulden +kommen. Schweigen wir darüber, mir wirds, als ob tausend glühende Dolche +mein Herz durchbohrten und ohne Halt in Gott müßte ich aufs Neue an den +Menschen verzweifeln. Doch Eines noch. Ich stelle an keinen Menschen das +Ansinnen, als _vollendeter_ Christ zu handeln, ein _Heiliger_ zu +sein, weil ich weiß, wie weit ich noch im Befolgen aller Lehren unseres +Herrn und Meisters zurück und wie sehr ich noch im Kampfe mit dem alten, +sündhaften Menschen in mir befangen bin. Allein ich glaube in christlichen +Landen vom Staate wie von den Einzelnen _aufrichtiges Streben_, die +Grundsätze des Christenthums ins Leben einzuführen, verlangen zu dürfen. +Wie es mit diesem Streben im Staate bestellt sei, darüber belehrt schon +seine Stellung zur Kirche. Was aber die Christen betrifft, welche ihrem +Glauben gemäß zu leben und zu handeln streben, so habe ich in kurzer Zeit +genug erfahren, um befürchten zu müssen, ihre Anzahl sei trotz des +religiösen Aufschwunges der jüngsten Jahre noch viel zu gering, um +großartigen Einfluß auf Umgestaltung öffentlicher Zustände auszuüben und +damit jene Gefahr einer furchtbaren sozialen Revolution zu beseitigen, +welche wie ein Damoklesschwerdt über unserm Welttheil hängt. + + + + +#II.# + + +--Du meinst, weil ich selbst ein Schulmeister gewesen, so sei es +verzeihlich und begreiflich, daß ich diesen Stand in Schutz nehme, +zweifelst jedoch daran, daß in katholischen Lehrerseminaren das +_Heidenthum_ gepflegt und gehegt worden sei. Freilich bin ich mit dem +Ausdrucke: Heidenthum freigebig, allein wo ich kein _positives_ +Christenthum zu entdecken vermag, da kann ich nur Heidenthum erblicken, +zumal jener Mischmasch von Religion, als dessen Repräsentantin ich meine +Mutter nannte, bei genauer Untersuchung eben doch nur verlarvtes und gerade +deßbalb [deßhalb] sehr verführerisches und gefährliches Heidenthum bleibt. +Willst du einen schönern Namen dafür, so magst du derartigen Mischmasch +etwas sinnlos, doch höflich "Zeitchristenthum" taufen. + +Zunächst will ich aber meine Behauptung rechtfertigen, denn einerseits mag +ich keine Entschuldigungen für meine Verirrungen beibringen, welche nicht +vollkommen gegründet sind und anderseits öffentlichen Anstalten und +Männern, denen das Land des Guten viel verdankt, keine Beschuldigung +zuschleudern, welche ich nicht verantworten könnte: + +Du weißt, daß ich mein Schulmeisterhandwerk unter der Leitung eines +katholischen Geistlichen erlernte, gegen dessen wissenschaftliche +Tüchtigkeit und ehrenhaften Charakter niemals der leiseste Zweifel +obwaltete. Er ist todt und schon die Vorschrift, über Todte nur Gutes zu +reden, würde mich bewahren, seine _Person_ unter dem Boden anklagen +und verunehren zu wollen, wenn ich ihm auch nicht sehr viel Gutes zu danken +hätte. + +Sein Andenken ist noch heute Jedem seiner zahlreichen Schüler theuer und +ich bin der Letzte, der seine Person verunglimpft. Aber gefährlich und +folgenschwer waren die Ansichten und Grundsätze des gefeierten Mannes und +nicht mit seiner Person, sondern mit Ansichten und Grundsätzen, von denen +er sich beherrschen ließ, habe ich es zu thun. + +Wir liebten und verehrten ihn Alle; weil dies der Fall war, so galt uns +auch jedes seiner Worte als Evangelium, wir sogen seine Lehren begierig +ein, trugen sie nach zwei Jahren in alle Gegenden des Landes und strebten +mit Feuereifer darnach, die Herzen des Volkes damit zu erfüllen. + +Viele hingeworfene Reden und Winke haften noch jetzt in meinem +Gedächtnisse, doch nur einen einzigen Wink will ich hier erwähnen, weil er +meines Bedünkens die Ansichten und Grundsätze meines Meisters vortrefflich +characterisirt. + +Einer von uns stellte einmal die verfängliche Frage, ob denn Christus im +heiligen Abendmahl wahrhaft, wesentlich und wirklich gegenwärtig sei und +nach einigem Räuspern erfolgte die Antwort: + +"Hm, hm! ... _Wers glaubt, für den ist Er gegenwärtig, wers nicht glaubt, +für den wird Er wohl auch #NICHT# gegenwärtig sein!_--" + +Was sagst du zu dieser Einen Aeußerung unseres dem _katholischen_ +Klerus angehörigen Seminardirectors?-- + +Er war unser Religionslehrer und die meisten seiner ehemaligen Zuhörer +werden noch im Besitze des Heftes sein, welches er als _"Einleitung in +die Religionslehre"_ zu dictiren pflegte. Du hast Gelegenheit, ein +solches Heft dir jeden Tag zu verschaffen und es ist mir sehr lieb, wenn du +dir ein solches bald verschaffst, um dich zu überzeugen, daß Einiges, was +ich hierhersetze, keineswegs entstellt, verfälscht oder dem Zusammenhange +entrissen wurde, sondern daß die mit sonnenklaren, dürren Worten +ausgesprochenen Ansichten meines Meisters darin enthalten seien. + +Er läugnet einen persönlichen Gott; Gott ist ihm ein "allen Geschöpfen +innewohnendes, gestaltloses, raumfreies, zeitloses, somit unendliches, +allgegenwärtiges ewiges Wesen, dessen Wirksamkeit keine Grenzen kennt." Der +Sündenfall wird auf eine Weise erklärt, welche sich nicht mit dem +christlichen, geschweige mit dem katholischen Bewußtsein vereinbaren läßt +und vom Teufel wissen und lehren die Menschen Nichts, bis sie der Gegensatz +nützlicher und schädlicher Geschöpfe auf den Gedanken einer bösen, _durch +Opfer zu versöhnenden_ Gottheit bringt, Erlösung ist Rückkehr zu Gott +und "vollkommen zurückgekehrt zu Gott war _Christus_, in welchem Gott +dem Geiste nach wiedergeboren und welcher der Urheber des neuen Lebens der +Menschen in Gott wurde." Christi Reich ist das der Liebe und "das volle +Gegentheil dessen, was Menschenrecht und Menschensatzungen gegründet +haben." In ihm ist gar _keine äußere Macht_, kein Zwang, keine Furcht +und Knechtschaft. + +Die Bibel hat den hohen Werth, "daß wir unser Leben mit dem der ersten +Christen vergleichen können; zudem erfüllen uns die Schriften der Bibel wie +andere gute Bücher mit ihrem Leben." + +Hinsichtlich der _Dreieinigkeit_ Gottes wird ausdrücklich +hervorgehoben, "daß wir die Offenbarungen Gottes in den Geschöpfen auf +dreifache Weise wahrnehmen und dadurch angeleitet werden, Gott bald den +Vater, bald den Sohn, bald den Geist zu nennen. Das gemeinsame Wesen aller +Geschöpfe ist das Wesen Gottes. Insofern wir Gott als Wesen in uns und in +allen anderen Geschöpfen betrachten, so nennen wir ihn Gott den +_Sohn_. Insofern Er uns durch die Stimme des Gewissens und durch +andere Geschöpfe die rechte Erkenntniß wiederum einflößt, so nennen wir ihn +Gott _den Geist_.["]--Je mehr der Mensch auf die angenehmen Gefühle +verzichtet, welche der Genuß des Irdischen gewährt, desto mehr bestimmt +Gott die Dinge durch ihn und desto vollkommener und herrlicher entfaltet +sich sein innerstes Wesen; der Tod führt die Lebendigen zur +Selbstständigkeit, indem Kinder nach dem Tode der Eltern und Lehrer sich +selbst überlassen sind und schon vorher wissen, daß Eltern und Lehrer +sterben müssen, somit auf ihre künftige Lage sich vorbereiten können; das +Wesen der Eltern und Lehrer aber lebt und wirkt in den Ueberlebenden fort, +der Tod bringt in den Menschen die Erkenntniß hervor, daß der Mensch aus +einem irdischen und vergänglichen und aus einem geistigen und fortwirkenden +Wesen bestehe und endlich, daß der Geist viel stärker auf Andere einwirke, +wenn die Einwirkung nicht mehr durch den Leib, sondern unmittelbar +geschieht. Dies Alles gibt Hoffnung auf Unsterblichkeit.--Von Jesu Gottheit +wurden die Jünger überzeugt, weil er erstens durch den Ausdruck seines +Willens aus Nichts Etwas, aus dem Tode Leben erschuf, zweitens durch sein +Thun und Lassen den sündigen Menschen ein ganz neues Leben offenbarte, vor +Allem durch sittliches, reinmenschliches Leben das Reich Gottes begründete +und die ewigen Gesetze dieses Reiches öffentlich lehrte, drittens endlich, +weil er Geist und Leben in die Erstorbenheit der äußern, besonders der +religiösen Gebräuche zu bringen suchte und unverbesserliche Gebräuche +unterließ, um anzuzeigen, das Reich Gottes gehe nicht von Werken des +Gesetzes, sondern vom Geist der Wahrheit und Liebe aus.-- +Todtenerscheinungen sind das Ergebniß lebhafter Erinnerungen an +Verstorbene, besonders an Solche, denen wir Unrecht gethan haben. +Erinnerung und Besinnung können so lebhaft werden, daß wir die Bilder in +uns in die wirklichen Gegenstände hineindenken. Weil Erinnerung und +Besinnung nur theilweise von unserm Willen abhängen, sind +Todtenerscheinungen "auch dann ein Werk Gottes, wenn sie von einer +krankhaften Phantasie herkommen, denn Krankheiten sind ja auch Gottes Werk. +Allein welche Einwirkungen Todtenerscheinungen auch in unserm Geiste +hervorbringen, so haben sie doch keine zwingende Macht über unsern +Willen!"-- + +Nachdem statt über Christi Auferstehung über Todtenerscheinungen belehrt +worden, wird gezweifelt, ob die Erde zu einer bestimmten Zeit erschaffen +wurde und gezeigt, daß die Welt kein Ende haben könne, weil Gott in ihr +lebt. "Wie das Bild der Sonne in Millionen Tropfen glänzt und wir das +Gemeinsame einer Gattung in allen Arten und Individuen wahrnehmen, so +schauen wir Gott in allen Dingen."--Gottes Wesen offenbart sich in allen +Wesen, alle haben Antheil daran und deßhalb ist auch jedes Einzelwesen +unvergänglich, d. h. ["]Gottes Wesen offenbart sich in jedem einzelnen +Geschöpfe durch unendliche Entwicklung desselben, wenngleich auf +eigenthümliche Weise, doch ganz und ungetrübt."--Wir haben eine Entfaltung +ins Unendliche, wobei unser Wesen fortbesteht, während die Gestalt sich +fortwährend verwandelt. Der Mensch scheint vor der Geburt ein ganz anderer +zu sein als nach derselben, auffallend ist der Unterschied in der +Entwicklung des Menschen, ehe und wann er sprechen kann und "ähnlich wird +der Mensch durch den Tod zu einem dem irdischen Dasein vollkommen +entgegengesetzten Leben geboren."--Alle Geschöpfe nehmen an der Ewigkeit +Gottes Antheil, insofern sie unsterblich sind d. h. ins Unendliche sich +fortentwickeln. + +--Das Christenthum will alles nicht von Gott Stammende zerstören und ist +nicht gekommen den Frieden, sondern Entzweiung und Kampf mit der +Selbstsucht zu bringen. "Es baut keine Altäre und Tempel aus Stein, kennt +nur Einen Altar. Des Menschen Herz und sein Tempel ist dort, wo Menschen +sind und einander Liebe erweisen."--Ich will es abermals Dir überlassen zu +beurtheilen, ob durch eine solche Einleitung in die Religionslehre die +künftigen Lehrer des katholischen Volkes für ihren Glauben und ihre Kirche +begeistert wurden oder ob mein Vorwurf ein gerechter gewesen. + +Daß der mündliche Unterricht minder abgemessen und vorsichtig mit +Redensarten und Winken gewesen, versteht sich wohl selbst. Die +Religionsstunde überzeugte uns davon, daß wir recht eigentlich kleine +Götter, Bruchtheile des göttlichen Wesens seien und welchen Eindruck solche +Erleuchtung auf Jünglinge machte, bei denen Ehrgeiz und Weltschmerz schon +in Folge äußerer Lebensverhältnisse zum Grundton des Gemüthes werden +mußten, ist keineswegs schwer abzusehen. + +Wir bekamen Ideale, es ist wahr, doch wir bekamen sie auf Kosten unserer +Zufriedenheit mit Gott, Welt und Menschen, weil keine christliche +Weltanschauung uns mit der tiefen Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit +versöhnte, kein lebendiger Glaube uns mit jener Ruhe und Geduld ausrüstete, +mit welcher die unideellen Verhältnisse des Lebens der Völker und die des +Lehrerstandes insbesondere hingenommen werden müssen. + +Man machte uns zu Königen und Bettlern, Titanen und Zwergen zugleich und +wenn beschränkte Köpfe und manche altkluge Jungen unter uns zu nüchternen +Ehrenmännern, d.h. zu Philistern wurden, welche außer ihrem persönlichen +Vortheil nichts Höheres kannten, so blieben gerade die fähigern Köpfe und +feurigen Charaktere vielerlei Verirrungen am meisten ausgesetzt. + +Soll ich Namen und Thatsachen bringen? + +Du hast seit vielen Jahren Gelegenheit, viele Städte und Dörfer zu besuchen +und der Einwohner Sinn zu erkunden, hast ferner zur Rongezeit und während +der Revolution eine ziemlich unpartheiische Brille aufgehabt und kennst +sehr viele Volksschullehrer persönlich, deßhalb brauche ich keine Namen und +Thatsachen, zumal Namen wenig zur Sache thun und sprechende Thatsachen +genug bekannt sind. + +In der Regel wird der Jüngling das, was man aus ihm macht und lange Zeit +hat man Alles gethan, um statt bescheidenen und glücklichen Lehrern der +Kinderwelt innerlich zerrissene und unglückliche Hochmuthsnarren in die +Schulstuben des Landes zu entsenden. + +Beweise!-- + +Dieselben liegen schon in der Einleitung zur Religionslehre, Du sollst +jedoch noch bessere haben, nämlich die Ansichten unseres Seminardirectors +über die unnahbare Würde und welterleuchtende Bestimmung des +Schulmeisterthums. Damit Du abermals siehst, daß ich gewissenhaft handele, +sende ich Dir beiliegenden Aufsatz meines Meisters, welcher "der Schule +Wesen und Gliederung" erklärt und seiner Zeit durch Guttenbergs Kunst der +Vergessenheit entrissen wurde. + +[Der] "Der Zweck der Erziehung ist Entfaltung derjenigen Kräfte, welche den +Menschen in Stand setzen, in allen Richtungen des Lebens sich selbst zu +beherrschen und zum Handeln zu bestimmen. Sie soll den Menschen zum +Ebenbild Gottes machen. Die Ebenbildlichkeit mit Gott besteht aber darin, +1) daß er ein einfaches, untheilbares, unveränderliches, aus und für sich +begehendes Wesen ist, "_das sich aus sich selbst hervorbringt wie Gott +die Welt aus Nichts, d.h. aus sich selbst erschaffen hat._" 2) Daß +insbesondere das aus ihm Hervorgebrachte in demselben Verhältnisse zu ihm +stehe, in dem er sich zu Gott befindet. 3) Endlich daß der Mensch Alles, +was er Wahres, Schönes und Gutes hat, nur als eine göttliche Geschichte und +als etwas Geschichtliches habe.--Von Pestalozzi wird gesagt. "Das Erlösende +und Heiligende seiner Methode stammt nicht von seinem Fleische, es ist eine +Offenbarung Gottes, die ihm geworden und sein Verdienst, daß er uns +dieselbe nicht als sein sondern als Gottes Werk gab. Die Schulmeister vor +Pestalozzi sündigten zumeist dadurch, daß sie in ihren Systemen und +Lehrmeinungen nur sich seldst [selbst] gaben und uns nicht zu Gott, sondern +zu sich selbst zu erheben trachteten, Pestalozzi dagegen zeigte uns nicht +seine Person, sondern die Wahrheit.--Wie die Göttlichkeit der Lehre Jesu +nur von deren Befolgern laut Joh. 7,17 erkannt wird, so Pestalozzis Methode +nur von dem, dessen Geist durch sie gebildet wurde.--Wie die Pharisäer auf +dem Stuhle Mosis streng nach dem Gesetze lehrten und das Gesetz nicht +selbst erfüllten sondern übertünchten, so lehrt der +_Sinnlichgesinnte_, daß wir aus Liebe zum Vater unsern Brüdern auch +nicht im Innern zürnen und schon den unreinen Begierden widerstehen sollen, +während er im eigenen Busen voll Zorn die Verkünder der Offenbarung des +Geistes, der Alles durchschaut (I. Kor. 2,10) zum Ingrimm und zur +Verfolgung gegen die aufreizt, welche Gott als lebendige Werkzeuge erkiesen +hat, Zeugniß von seinem eigenen Sohne zu geben."--Den Sinnlichgesinnten, +welche sich vermessen, Feindesliebe und Widerstand gegen böse Begierden zu +predigen, werden noch mehrere Bibelstellen entgegengeschleudert, dann die +Entstehung der Sprache u.s.w. erklärt und das fünffache Leben des Einzelnen +und der Gesammtheit zusammengestellt. Um der Kürze willen soll diese +Zusammenstellung hier stehen: + + _Einzelleben = Gesammtleben_ + Individuum = Familie + Leib--Person--Seele = Gewerbstand--Staat--Kirche + Geist = Schule + +Erläuternd heißt es: "Wir bezeichnen mit den Worten Seele und Geist zwei +durchaus verschiedene Wesen, Geist bedeutet uns nicht bloß ein höheres +Seelenleben, sondern Seele und Geist sind zwei einander entgegengesetzte +Offenbarungen des einen Lebens. Unter Seele verstehen wir diejenigen +Lebensfunctionen, durch welche das Individuum nach seiner Schöpfung mit +Gott verbunden ist und ewig verbunden d. h. von ihm abhängig bleibt. Ueber +die Art und Weise der Verbindung gibt der Begriff von Idee Aufschluß, +welche vor unsern Augen Factum wird und der von Gattung, der den Millionen +Individuen ungetrübt innewohnt und zwischen ihnen Wechselwirkung und +Verbindung möglich macht. Die Seele ist Gott im Menschen, jedoch so, daß +Gott vollkommen und ohne Veränderung seines Wesens außer dem Menschen und +für sich besteht." Folgt nun eine Abweisung jener kalten und finstern +Religionslehre, welche Gottes selbstständiges Dasein nicht erkennt und, da +ihr Alles Eins ist, jeden höhern Aufschwung unmöglich macht und als +wissenschaftliches System die Jugend zu der Vermessenheit verleitet, Alles, +was Andere auf andern Wegen wissen und glauben nur als Irrthum, Täuschung, +Verstandesschwäche, sowie alles Leben und alle Veränderung als leeren +Schein und diesen selbst als eiserne Nothwendigkeit zu erklären. + +Welche kalte und finstere Religion unter diesem "Pantheismus" gemeint sei, +darüber blieb uns jungen Leuten, die wir Nichts von Philosophie verstanden +und manches dicke Buch über die Gräuel des Mittelalters gelesen, um so +weniger ein Zweifel, weil unser Direktor die vorgeblichen Verderber der +Religion der Liebe nicht--liebte. + +Weil die Kirche die Seele, die Schule aber den Geist repräsentirt, mag +Folgendes Dir im Gedächtnisse bleiben: "Auch das Wesen von Geist und Person +ist nicht scharf bestimmt und gesondert. Wir halten die Person nicht für +etwas Vergängliches, sondern für den Höhepunkt des Lebens der Einzelnen. +Person ist der sich selbst erkennende und bestimmende Geist, der in sich +gekehrte Geist, wodurch der Mensch erst Mittelpunkt und Bestand aus und +durch sich selbst erlangt. Der Person ist unmittelbar der Geist und +_durch diesen_ Leib, _Seele_ und Individuum untergeordnet. In der +Person vollendet sich die Offenbarung Gottes im Menschen. Daher lernt der +Mensch Gott nur von Innen kennen und nur durch diese Kenntniß entsteht das +Bestreben, durch ins Unendliche fortlaufende Vervollkommnung Gott immer +ähnlicher zu werden." + +Die Schule soll dem Vermögen des Menschen, das Vervollkommnende in sich +aufzunehmen, die Erkenntniß geben und den fünferlei Gegenständen der +Erkenntniß--individuelles Leben, Leib, Seele, Geist, persönliches Leben +entsprechen fünferlei Schulen, nämlich Volksschule, Industrieschule, +Gelehrtenschule, Akademie mit gelehrten Gesellschaften, endlich der +Erziehungs- oder Schulrath oder das _Kulturministerium_, welches, das +persönliche Leben des Einzelnen und der Gesammtheit erkennend, das +_Dominium_ über die andern Schulen ausübt. Die _Volksschule_ soll +die Individualität des Geistes entfalten und hat 3 Stufen, nämlich die +Kleinkinderschule, Elementar- und Realschule. + +Die Elementarschule "soll wie alle Schulen vorzüglich den Geist in Anspruch +nehmen und die übrigen Richtungen des Lebens ihren Zwecken unterordnen." +Ihre Lehrgegenstände sind Sprachlehre und Gesang, Formen-, Größen-, +Zeichnungs-, Schreib- und Leselehre und Kenntniß der Zahlenlehre. + +Die Realschule bringt dem Geiste sein Selbst zum Bewußtsein und die +Industrieschule sammt den 3 Stufen der Gelehrtenschule (Gymnasium, Lyzeum, +Hoch- oder Berufsschule) soll vor Allem das _Nützliche_ ins Auge +fassen, wozu die Religion nicht gezählt wird, die erst in der theologischen +Fakultät ein eben nicht behagliches Plätzlein findet. + +Die Hoch- oder Berufsschule nämlich zählt fünf Fakultäten, deren jede ihre +eigene Literatur und Geschichte derselben hat. + +Die erste Fakultät ist die allen Gelehrtenständen gemeinsame, etwa der +philosophischen unserer Universitäten entsprechend und die zweite die +medizinische, welcher nachgerühmt wird, daß "sie sich am meisten ihrer Idee +gemäß gestaltet habe." + +Die _theologische Fakultät_ hat das _Seelenleben_ zu ihrem +Gegenstande und folgende Disciplinen: a) Lehre vom Wesen und der +natürlichen Entwicklung der Seele, b) von der Pflege und Bildung der Seele, +c) Lehre von der Entstehung und den Arten der Seelenkrankheiten nebst d) +der Heilung derselben, theoretisch und praktisch. e) Lehre vom Einfluß der +4 andern Lebenserscheinungen auf das Seelenleben und vom Verhältniß der +theologischen zu den übrigen Wissenschaften, endlich f) Lehre von der +Bestimmung des Theologen und vom Verhältniß des geistlichen Standes zu den +übrigen Ständen. Findet man dieses von einem katholischen Geistlichen +gehegte und den künftigen Lehrern des Volkes eingeimpfte Idol einer +theologischen Fakultät merkwürdig, sobald man nicht etwa auf dem +Standpunkte Feuerbachs steht, so fanden wir herzstärkend und begeisternd +Alles, was über die vierte und wohl auch über die fünfte Fakultät gesagt +wurde. Die _vierte_ nämlich ist keine andere als die Kulturfakultät +und hat nichts Anderes denn das _Leben des Geistes_ zum Vorwurfe. + +Wesen, Entwicklung, Pflege, Bildung, Erforschung und Heilung der +Krankheiten des Geistes, die Einwirkung des Geistes auf die 4 andern +Offenbarungen des Lebens und der Einfluß dieser auf den Geist, die +Culturwissenschaft und ihr Verhältniß zu den übrigen Wissenschaften, +endlich die Lehre vom Berufe des Lehrers und von seinem Verhältnisse zu den +übrigen Ständen--dies sind die der Culturfakultät eigenthümlichen +Disciplinen. + +Dann wird bemerkt: "Auch die Seminarien der Volksschullehrer sind ein +Bestandtheil der Kulturfakultät und inwiefern die Trennung dieser Anstalten +von der Fakultät vortheilhaft oder nachtheilig sei, können wir hier nicht +auseinandersetzen. Jedenfalls muß der Direktor eines solchen Seminars ein +wissenschaftlich gebildeter Mann sein, der die Gelehrtenschulen +zurücklegte, zumal es ja Ein und derselbe Geist ist, welcher von der +Kleinkinderschule an bis zur Hochschule inbegriffen entfaltet werden soll." + +Daß die Einwohner der Stadt die Zöglinge des Seminars, welche nur für zwei +Jahre kamen und häufig gar magere Geldbeutelein mitbrachten, nicht als +Mitglieder der Kulturfakultät genugsam beräucherten, daß die Schüler der +Gelehrtenschule den Umgang mit uns hochmüthig vermieden und uns als +"Elephanten" bei jeder Gelegenheit höhnten und verfolgen, während wir doch +der Idee nach Hochschüler waren, solches schmerzte uns fast tiefer als die +Aussicht in eine jedenfalls entbehrungsreiche und vielgeplagte Zukunft und +gab Anlaß zu mancherlei Partheiungen, Zwistigkeiten und Händeln. Daß aber +gar geistliche Herren, deren "Handwerk" schon der Idee nach tief unter dem +unserigen stand, deren Fakultät laut allen Berichten ganz ideenwidrig +eingerichtet, deren Treiben laut den hinreißenden Erzählungen berühmter +Geschichten- und Romanenschreiber der Menschheit, dem armen Volke, von +jeher zum Fluche gereicht, daß diese "schwarzen Vögel" wie wir sie hießen, +uns, Träger der Kultur des Volkes und selbstbewußte Funken der Gottheit +dereinst zu Dienern herabwürdigen und ungestraft kuranzen sollten--dieser +Gedanke machte die Heißblütigen unter uns manchmal rasend und nur die +Hoffnung auf eine bessere Zukunft, der mannhafte Entschluß, für diese aus +allen Kräften zu arbeiten, gewährte uns einige Erleichterung und Trost. Die +Edeln des Menschengeschlechts träumten von jeher von bessern Tagen, unser +Direktor that dasselbe, wovon schon seine Idee von der fünften Fakultät der +Hochschule, der _staatswissenschaftlichen_ männiglich überzeugen muß. + +Diese hat das _Leben des Volkes_ zum Gegenstande und beschäftigt sich +näher mit der Lehre vom Wesen des Volkes und seiner Entwicklung zum Staate, +mit der Bildung und Pflege des Volkslebens, ferner mit der Lehre von der +krankhaften Entwicklung desselben, so wie mit dem Verderbnisse der Staaten, +den Arten dieses Verderbnisses und mit der Heilung dieser Mißstände, +zuletzt auch mit der Lehre vom Berufe des Staatsmannes und dessen +Verhältniß zu den übrigen Ständen.-- + +Sehr naiv wird bemerkt: "Sind die Disciplinen nicht mit den gewöhnlichen +Namen benannt, so ist dies nicht Folge der Unkenntniß oder Mißachtung, +sondern des Strebens, die Idee zum Bewußtsein zu bringen, aus der die +Schulen überhaupt und insbesondere die Fakultäten der Gelehrtenschule +hervorgegangen sind.["] + +Das Kulturministerium muß auf den Zinnen moderner Bildung stehen und +täglich Ströme von Geist, Licht und Geld in die untern Regionen entsenden. +Es soll "für das Leben des Geistes sein, was die Person für den einzelnen +Menschen oder der Staat für das Gesammtleben, soll das Leben der +Wissenschaft und Kunst von der Volksschule an bis zur Akademie beleben, +fördern und regeln. Insbesondere hat es für den Zusammenhang der Schule, +Bildung der Lehrer, für Lehrmittel und Aufsichtsbehörden Sorge zu tragen +und darf deßhalb nur solche Männer enthalten, welche außer +wissenschaftlicher Bildung Beweise von Regierungstüchtigkeit gegeben +haben." + +Doch genug! + +Suche Dir die Einleitung in die Religionslehre und andere Hefte zu +verschaffen, lies den gedruckten Aufsatz über "der Schule Wesen und +Gliederung" und dann habe die Güte, mir auf folgende Fragen zu antworten: + +Habe ich Falschmünzerei mit den Aufsätzen und Schriften eines Mannes +getrieben, den ich als Mensch, Lehrer und Wohlthäter verehre? Sind die +Ansichten, Grundsätze und Ideen meines Seminardirektors positiv christliche +und katholische gewesen? Ist Dir der "Schulmeisterhochmuth" noch ein +Räthsel sammt der Abneigung gegen den geistlichen Stand und den meist so +ideenwidrigen Bestand des Bestehenden? War ich im Unrecht als ich meinen +Lehrern Mitschuld meiner Verirrungen und Verbrechen aufbürdete?--Ich glaube +deine Antwort zu hören!-- + + + + +#III.# + + +Je mehr ich mich durch das Wohlwollen und die Theilnahme beglückt fühle, +welche meine Briefe an Herrn N. mir erwarben, desto mehr will ich eilen +Ihren Wunsch zu erfüllen und Ihnen die hauptsächlichsten Gründe des +Unglaubens und der Unzufriedenheit des Lehrerstandes meiner nahe liegenden +Zeit sowie meine Ansicht über _Gelehrtenschulen_ mittheilen. + +Die Auszüge aus den ungedruckten und gedruckten Heften meines alten +Seminardirektors haben Ihnen überraschend gezeigt, wie Vieles geschah, um +die Lehrer des Volkes zu eigentlichen Trägern und Aposteln der +Hauptkrankheit unserer Zeit, nämlich des Mangels an lebendigem +Christusglauben und des Ueberflusses an Unkenntniß und Verkennung der +katholischen Kirche zu machen. + +Der oft gehörten Behauptung, unser Lehrerstand sei im Ganzen noch weit +besser und erträglicher als die Erziehung erwarten ließe, stimme ich gerne +bei. Es gibt tüchtige, brave Männer unter unsern Lehrern mit einem Herzen +voll Liebe für die Menschheit und ihren Beruf. Edle Anlagen und günstige +äußere Verhältnisse Einzelner, ganz besonders die abkühlende Wirkung, +welche mehr oder minder das Berufsleben auf jeden ausübt, mögen jedoch das +Meiste dafür thun, wenn nicht die Mehrzahl unserer Lehrer aus ganz und gar +blinden Fanatikern des Unglaubens und offenen oder heimlichen +Revolutionären besteht. + +Abgesehen von meiner einst so unseligen Person waren nicht die Schlechtern +oder Unfähigeren meiner Kameraden der Gefahr am meisten ausgesetzt, +Fanatiker des Unglaubens und arge Revolutionärs zu werden, sondern gerade +begabte, strebsame Köpfe und feurige thatkräftige Charaktere. + +Diese sendeten Ideale, welche sie aus den Schulbänken getragen, keineswegs +leicht in die Himmel oder in das Druck- und Löschpapier zurück, von wannen +sie gekommen, sondern suchten dieselben mit mehr oder minder Beharrlichkeit +im Leben zu verwirklichen. Damit waren Gefahren verknüpft, von denen ich +Ihnen zwei nennen will, welche ich für die größten halte, vielleicht weil +ich denselben erlag. Zum Ersten mußte Ausbildung ein Loosungswort für Alle +sein, welche würdige Mitglieder der welterobernden _Culturfakultät_ +werden wollten und die argen Lücken ihres Wissens fühlten. Das Bemühen, +diese Lücken durch Selbstbildung auszufüllen, bleibt aber stets gefährlich, +wenn die Erziehung uns zu wenig Vorkenntnisse, unserm Denken keinen Halt in +der christlichen Weltanschauung und damit kein festes Urtheil über die +Bücher gegeben, aus denen wir Weisheit zu schöpfen vermeinen. + +Viele von uns kamen bereits unfähig, katholische Schriften zu lesen, +geschweige zu lieben und am weitesten verirrten sich nach den Seminarjahren +diejenigen, welche Schöngeister, Historiker oder gar Philosophen und +Vielwisser werden wollten. + +Wir griffen fleißig nach Conversationslexika, Realencyclopädieen und +ähnlichen _Bibeln des Zeitgeistes_, verloren und vertieften uns immer +mehr in die moderne Bücherwelt, worin bekanntlich wenig Christliches und +noch weniger Katholisches, dagegen desto mehr Vernunftbetäubendes, +Heidnisches und Diabolisches zu finden ist. + +Die Meisten lasen wohl weit mehr mit dem Herzen als mit dem Kopfe und je +mehr Einer las, desto mehr wuchsen Einbildung und Unfähigkeit, Christliches +für etwas Zeitgemäßes, Vernünftiges und Heilbringendes zu halten. Zum +Andern traten wir mit den Riesenansprüchen begeisterter Jünglinge in das +Leben hinaus und dieses kam den Meisten nicht nur mit Zwergleistungen, +sondern mit ungeahnten Schwierigkeiten und Leiden aller Art entgegen, +welche uns entmuthigten, gegen Gott, Welt, Volk und Schicksal erbitterten. +Ich könnte Ihnen Vieles von arg gequälten Schullehrern und vielerlei Arten +von Quälgeistern derselben, namentlich auch von partheiischen und +ungerechten Behörden, unchristlichen Geistlichen und der Dummheit des +Volkes erzählen, aber ich will kurz sein und mit der Bitte, nicht zu +vergessen, daß der Beste unter uns seine schlimmen Neigungen und +Gewohnheitssünden hat, nur auf Eines aufmerksam machen. Das Erdenloos eines +Schulmeisters heißt: Leiste und trage Vieles, nimm wenig Dank und noch +weniger Geld dafür ein!--In Staaten, wo _der bewaffnete Friede_ +Tausende von Arbeitskräften und den größern Theil des Staatseinkommens +verschlingt, weil wir vom Christenthum ab und in das Heidenthum, aus dem +Reiche der Liebe in das der Gewalt hinein gerathen, da mußte wohl das +Kirchengut so weit als nur immer thunlich in den Dienst des Heidenthums +gezogen und dann das Schulmeisterthum so karg als nur immer thunlich für +die saure Mühe abgefunden werden, womit es im Interesse der Staatsallmacht +das Volk "aufklärt." + +Ich möchte beinahe sagen, unsere Schulmänner seien für ihr Wirken, wie +dasselbe seit dem Beginne des Jahrhunderts sich gestaltet, noch weniger +Lohnes werth als sie bekommen--allein ich schweige, weil ich an gewisse +Klassen privilegirter Faullenzer und geschäftiger Müssiggänger denke und +bleibe dabei, die Bezahlung der Schullehrer sei in den meisten christlichen +Staaten heidnisch klein, so daß sie sich kaum mit den Bedürfnissen des +genügsamsten, geschweige mit den Ansprüchen des selbstbewußten Mitgliedes +der Kulturfakultät vertrage. + +Freilich sind die Armen im Geiste glücklich; Christus lehrt Entbehrungen +und Leiden der Armuth geduldig, muthig und freudig ertragen; Er ist +zugleich der größte aller Finanzmänner und Nationalökonomen und in der +Befolgung seiner Lehre liegt das Geheimniß verborgen, nach welchem das +Jahrhundert immer ängstlicher seufzt und immer durstiger lechzt: die +_Kunst wohlfeil zu leben und wohlhabend zu sterben_. Leider hat die +Erziehung seit Jahrzehnten Vieles gethan, um beizuhelfen, daß das Volk arm +an Geld und Gut und arm _am_ Geiste, nicht aber, daß es arm _im_ +Geiste werde. Wenn in den untersten Ständen der Bettelsack der +eindringlichste und gefährlichste Prophet des Kommunismus bleibt, so darf +man sich nicht wundern, wenn aus dem bellenden Magen oder der durstigen +Gurgel manches Schulmeisterleins ein unzufriedener Mensch und arger Demagog +herauswächst! + +Der Bauch ist ja im Laufe einiger Jahrhunderte zu einem Weltregenten und +heutzutage zum unerbittlichen Gesetzgeber und dämonischen Tirannen der +"christlichen Staaten" geworden. + +Ein Urtheil über _Gelehrtenschulen_ ist meines Erachtens schier +überflüssig, seitdem die Revolution mit ihren Blättern, Kammern und +Parlamenten das Babel aller religiösen, sittlichen, politischen und +sozialen Begriffe offenbarte, welches in den Köpfen und Herzen der +gelehrtesten und gefeiertesten Männer spukt, vom besitzenden Bürger, +verarmenden Handwerker, dem geistigen Proletarier, Sklaven der Fabrikanten +und Auswurf der Gesellschaft zu schweigen. "An den Früchten sollt ihr sie +erkennen!"--sagt die Schrift und die Revolution gab Gelegenheit, die +geistigen Errungenschaften sammt der sittlichen Tüchtigkeit von Tausenden +und aber Tausenden zu beweinen, welche in gelehrten Anstalten großgezogen +worden. + +Bei Vertretern _aller_ politischen Partheien und _aller_ Stände +hat es sich gezeigt, daß Wissen ohne Glauben leeres Scheinwissen, alles +Gerede von Charakter ohne positive Religion eine Lüge des Hochmuthes sei. +Wissen ohne Glauben und Sittlichkeit ohne Christenthum waren aber seit +langer Zeit die Idole, welchen unsere Erziehungskünstler nachjagten!-- + +Doch ich will nicht in den Schulmeisterton verfallen, sondern Ihnen nur +sagen, daß ich mehrere Jahre, bis mein Vater starb und äußere Verhältnisse +mich in das Lehrerseminar trieben, an Gelehrtenschulen lebte. + +Dieselben waren geeignet, gelehrte Handwerker, genußwüthige +Nützlichkeitsmenschen oder Leute meiner Art heranzudressiren, nimmermehr +jedoch ächte Leuchten und rechte Führer des Volkes zu erziehen. Keine +ächten Leuchten, weil die wissenschaftliche und keine rechten Führer, weil +die religiöse Erziehung mangelte. + +Zunächst ein kurzes Wort vom gelehrten Handwerkerthum, alsdann ein längeres +vom getauften Heidenthum der Pädagogien, Gymnasien und Lyzeen meiner +naheliegenden Zeit. + +Es haben Viele laut und längst sich verwundert, weßhalb aus unsern Schulen +selten ein tüchtiger Mann hervorgeht, während es in einem Nachbarstaate von +Dichtern, Philosophen, Historikern, Staatsmännern, Theologen und Andern +wimmelte, welche hochberühmte Namen erwarben und doch lediglich die +gelehrten Anstalten ihrer Heimath besuchten. Man hat den Grund darin +gefunden, daß die ganze Erziehung bei uns darauf hinausläuft, Einen im +Laufe von 12 bis 15 und mehr Jahren soweit zu bringen, daß er im Siebe des +Staatsexamens hängen bleibt und gleichzeitig mit so unnöthigen und +vielerlei Forderungen zu überladen, daß er alle Kraft nothwendig +zersplittert und fast ebenso nothwendig im Examen durchfällt, wenn ihm +nicht das Glück besonders lächelt. + +Wer das Programm einer Gelehrtenschule zur Hand nimmt, staunt ob der Fülle +von Kenntnissen, womit die Zöglinge vollgestopft und zur Hochschule +entlassen werden und wer öffentlichen Prüfungen beiwohnt, ohne die +Prüfungsdressur zu kennen, muß Länder selig preisen vor allen Ländern, für +welche Diener des Staates und der Kirche von so umfassender Gelehrsamkeit +und edler Begeisterung für alles Große und Schöne herangezogen werden, wie +dies in manchen Gegenden der Fall zu sein scheint. In Wirklichkeit verhielt +sich die Sache zu meiner Zeit ganz anders. Man hätte ruhig seinen Kopf +darauf verwetten dürfen, daß von 100 angehenden Hochschülern keine 10 im +Stande seien, nach 8-9jährigem Studiren ohne Beihülfe aller Art einen +leichten lateinischen oder griechischen Schriftsteller ordentlich zu +übersetzen, geschweige zu verstehen oder gar aus dem Zusammenhange mit +seiner Zeit und seinem Volke zu erklären. + +Sicher waren von 100 keine 5 aufzutreiben gewesen, welche Geschmack und +Freude an ihren Quälgeistern, den Alten, gefunden und doch galten alte +Sprachen von der ersten bis zur letzten Klasse als Hauptgegenstände des +Unterrichts, auf welche am meisten Zeit und Mühe verwendet wurden. + +Von mathematischen, geographischen, geschichtlichen oder +naturwissenschaftlichen Kenntnissen war bei Einzelnen Manches hängen +geblieben, doch die Mehrzahl hatte Grund genug, den Sokrates als Heiligen +zu ehren, weil dieser die Weisheit in das _Nichtswissen_, somit in die +starke Seite unserer geplagten Gelehrtenschüler, setzte. + +Von philosophischer Vorbildung will ich schweigen. Ich meine nur, daß davon +bei Leuten keine Rede sein konnte, welche von der Weltanschauung des +Alterthums keine genügende Kenntniß und von der des Christenthums im besten +Falle nicht mehr als eine ganz dunkle Ahnung besaßen. + +Von der Unwissenheit vieler "Gebildeten" über Alles, was sich über und +unter dem Monde befindet und nicht genau mit ihrem Handwerke zusammenhängt, +sind Sie überzeugt oder haben doch Gelegenheit, sich jeden Abend das Licht +hierüber in Museen, Kaffeehäusern, Weinschenken, Bierkneipen und andern +Orten zu verschaffen.-- + +Die weitgehende Unwissenheit hängt enge mit dem hochmüthigen Heidenthum der +Schulen meiner Zeit zusammen. + +Wissen Sie, auf welche Weise ich zum erstenmal zum Tische des Herrn kam? +Nicht an Ostern, sondern im hohen Sommer, nicht im feierlichen +Gottesdienste, sondern in einer stillen, wenig besuchten Frühmesse und +beinahe ohne allen Vorunterricht, so daß wir kaum eine Ahnung von der +Bedeutung der uns abentheuerlich dünkenden Feier besaßen. Wir beichteten, +aber unser liebster Beichtvater war ein Professor, der allgemeine Beichten +nicht nur annahm sondern forderte. Drängten sich zu Viele um den +Beichtstuhl dieses Kirchenlichtes, so pflegte ich einen Zettel zu +entlehnen, worauf ein Anderer passende Sünden aufgezeichnet, las denselben +ab und übergab ihn nach der Lossprechung meinem Nachbar.--Einer der besten +unserer Religionslehrer schlief jahraus jahrein und überließ es uns, +Lectionen aus dem Katechismus gemächlich herauszulesen. Wieviele von uns +nicht einmal das Vaterunser, geschweige das katholische Glaubensbekenntniß +oder gar die Gebote der Kirche ordentlich herzusagen wußten, dafür ließen +sich Namen nennen, worunter der meinige nicht fehlte [Fußnote: Der meinige +leider auch nicht. D.V.] + +Wer wollte sich wundern, daß gerade der Religionsunterricht als der +langweiligste und widerlichste Lehrgegenstand, das Kirchengehen besonders +zur Winterszeit als das leidigste und unnützeste Geschäft erschien? + +Die Klage, daß von Oben herab die Pflege des positiven Christenthums im +mildesten Sinne nicht gefördert wurde, soll weniger durch die Unfähigkeit +aller meiner Religionslehrer als durch den Umstand unterstützt werden, daß +es an hochbelobten Lehrern wie an Schulbüchern nicht mangelte, welche uns +die eigene Kirche verächtlich und lächerlich machten und unser Gemüth mit +aufrichtigem Hasse gegen alles "Pfaffenthum" erfüllten. + +Von Gewissen will ich aus gewissen Gründen schweigen, aber durchgehen Sie +die gedruckten Programme unserer gelehrten Anstalten, um sich zu +überzeugen, aus wievielen _Schulbüchern_ wir alle Irrthümer und den +Kirchenhaß des Protestantismus in uns aufnahmen. Daß nebenbei Bibliotheken +der Anstalten und Professoren uns reichlich mit Hilfsmitteln der Aufklärung +versorgten, versteht sich von selbst und daß Viele von uns Alles, nur +nichts Gutes aus dem Kram der Leihbibliotheken schöpften, ist eben so +begreiflich als verzeihlich. + +Geistliche und weltliche Lehrer hatten genug zu schaffen gehabt, uns gegen +den Einfluß einer durchaus unkatholischen Literatur und gegen die Gefahren +der Jugend durch das Einpflanzen christlicher Gesinnungen zu schützen. Doch +geschah von Allem das Gegentheil. Obwohl von Gott, Christus und Kirche +manchmal die Rede war, so lernte man doch nur das zeit- und staatsmäßig +zugeschnittene Christenthum meiner Mutter kennen und wurde mit einem nicht +minder zeit- und staatsmäßigen Hasse und Mißtrauen gegen das positive und +kirchliche Christenthum erfüllt. + +Nicht Christenthum, sondern "_Humanität_" hieß bei uns die Loosung, +reden wir also auch von ihr!-- + +Die Zeit, in welcher dem Jüngling sein natürlicher Zusammenhang mit dem +Geschlechte offenbar wird, fällt mit derjenigen zusammen, in welcher er +seinen geistigen und sittlichen Zusammenhang mit demselben mindestens ahnt, +wenn auch seine Schulmeister sich als noch so elende Hebammen seines Wesens +bewähren. + +Der Mensch wird zum Herkules am Scheidewege. Ideale von Freundschaft, +Vaterlandsliebe, Seelengröße und Tugend gehen ihm auf, und enger, inniger +als bisher schließt er sich an Seinesgleichen an, um höhere Lebenszwecke +als die bisherigen zu verfolgen. Jetzt bedarf er vor Allem der Führung der +Religion oder doch der Leitung erfahrener Männer, die er achtet und liebt, +denn diese Zeit ist nicht nur die schönste, sondern auch die gefährlichste +des Lebens. Wie waren wir daran? + +Die alltäglichen Redensarten eines gefeierten Humanisten klingen mir noch +in den Ohren und ich gebe einige als Proben, mit welchem Takte dieser Mann +16 bis 20-jährige Vaterlandshoffnungen behandelte. + +"Er steht da, als ob er die chinesische Mauer vor der Nase hätte, er +verzwickter Schafskopf, %non plus ultra% der Rindviehdummheit, elender +Böotier!--Er kann sich als Preisträger des landwirthschaftlichen Vereines +melden--Fahr Er Mist, dazu ist Er dumm genug, so rindviehmäßig dumm, daß Er +nicht einmal zum Schustersjungen taugt--Er Urkalb, Generalassekuranzesel, +halte Er sein Maul zum H--!--Geborenes und erzogenes Rindvieh, Er steht +unter dem Niveau eines Hundes!--Ein gescheidter Pudel ist intelligenter als +ihr Bestien!--Erlöst mich bald in Gottes oder des Teufels Namen!--Hat er +Pech am H--? Was will Er denn werden? Theologe! Daß sich Gott erbarme!--Da +möchte ich doch lieber in der tollsten Kneipe unter Proletariern sitzen und +ihren physischen Dunst einathmen, als euern geistigen Gestank riechen--Setz +dich, dein Name ist Rindvieh, man könnte dich zum Präsidenten einer +Eselsrepublik machen--Werd' Er Schuster, Barbier oder Leinweber, Er +hyperbestialisches Rindvieh--Der Ochse wird nur einmal vors Hirn gehauen, +er hats demnach besser als Ihr, denen man täglich vor den Kopf schlägt, +ohne daß Ihr Etwas spürt--Ist noch keine Artillerie- oder Bierbrauerstelle +für Ihn frei geworden? Er ist verballhornter als ein Esel in der zweiten +Potenz--Setz' Er sich auf seine Klauen, Mondkalb! Nicht einmal ein Hund +hebt sein Bein auf vor so verthierten Geschöpfen wie Ihr seid!--" + +Ich will Sie mit noch derbern und ekelhaftern Redensarten dieses +gepriesenen Directors verschonen. Wir haben Sammlungen davon veranstaltet +und viele Freude daran gehabt, wenn er uns Gelegenheit gab, dieselbe durch +neue zu bereichern. + +Die Schulgesetze zu verhöhnen und zu übertreten, galt als Heldenthat. + +Vieles ließe sich hier über frappante Aehnlichkeiten zwischen Zuchthäusern +und Schulhäusern anknüpfen. + +Von pedantischen Schulgesetzen und heimlichen Gesellschaften, von +erfolglosen Ermahnungsphilippiken und schlechten Streichen, von +öffentlichen Beräucherungen und heimlichen oder auch offen getriebenen +Lastern ließe sich Langes und Breites erzählen und hieraus mancher Beleg +für die alte und doch niemals genug beherzigte Wahrheit schmieden: _daß +Sünden, Laster und Verbrechen von kleinen Anfängen ausgehen und gleich +schleichenden Krankheiten erst recht offenbar und auffallend werden, wenn +sie schwer oder gar nicht mehr heilbar sind._ + +Blicke ich zurück auf meine Jugendgefährten, was ist aus so Vielen +derselben geworden? Ach, mehr als Einer ist gleich mir gemeiner, geschweige +"politischer" Verbrecher, gar Mancher hat sich durch Ausschweifungen in ein +frühes Grab gestürzt, Viele beweinen ein verfehltes Leben und die Meisten +haben es nicht ihrer Erziehung, sondern glücklichen Naturanlagen und einem +freundlichen Geschicke zu verdanken, daß ihre Geschichte keine +Zuchthausgeschichte geworden--denn Religion haben die Meisten noch heute +keine!--Man sage dagegen was man will: alle Wissenschaft und Bildung gibt +keine Sittlichkeit, verfeinert höchstens die selbstsüchtigen Triebe des +Menschen oder lehrt ihn die innere Roheit und Gemeinheit mit einem +äußerlich glänzenden Firniß übertünchen, durch den der wahre wüste Mensch +doch täglich hervorbricht. Sittlich sein heißt in Gott leben und in Gott +vermag nur der zu leben, welchem in Christo die Kraft geworden, den +geistigen Menschen über den natürlichen zur Herrschaft zu bringen. + +Was soll man nun von einem Schulwesen halten, welches katholische Kinder +von der Volksschule an bis hinauf zur Hochschule mit Geringschätzung gegen +positive Religion und noch mehr mit Haß und Mißtrauen gegen die eigene +Kirche erfüllt?-- + +Freilich, wo Katholiken, Protestanten und Juden in Einer Schulbank sitzen, +darf außer der Religionsstunde von positiver Religion keine Rede sein und +wenn die Religionslehrer meiner Zeit wahre Apostel gewesen wären, so würde +der _Geschichtsunterricht_ nicht ermangelt haben, uns für die +Reformation und deren Helden ebenso blind zu begeistern als gegen die +katholische Kirche einzunehmen und in unheilbarer Unwissenheit über +Geschichte, Einrichtungen und Gebräuche derselben zu erhalten.-- + +Ein Beweis für die Geringschätzung und Verachtung gegen unsere Kirche liegt +vielleicht darin, daß ich mich auch nicht Eines Beispiels entsinne, wo +Einer von uns auf den Gedanken gerathen wäre, irgend einen Heiligen zu +seinem Vorbilde zu wählen und diesen Entschluß auszusprechen. + +Und sind die Heiligen als Helden des sittlichen Willens kleiner denn jene +Helden, welchen eine befangene Geschichtschreibung Weihrauch streut, weil +es großartige Räuberhauptleute, siegreiche Menschenschlächter, glückliche +Erfinder oder ohne ihr Zuthun mit hohen Geistesgaben ausgerüstete Männer +gewesen?--Wenn einmal jene Zeit da sein wird, wo Christus als lebendiger +Mittelpunkt der Geschichte der Christenheit und Menschheit erfaßt wird, +dann wird auch der geringste Heilige mehr gelten denn ein lasterhafter +Alexander, selbstsüchtiger Napoleon, liederlicher Maler, Geiger oder +Komödiant.-- + +Ein weiterer Beweis, wie weit die Protestantisirung der Katholiken in +paritätischen Ländern gediehen, liegt in der Thatsache, daß zu meiner Zeit +nicht sowohl die Kenntnißvollsten oder Besten, sondern weit eher +mittelmäßige Köpfe, Feiglinge, welche nicht den Muth besaßen, Entbehrungen +und Leiden der Armuth zu ertragen, niedrig denkende Bursche, welche von +vornherein an die Nichterfüllung gewisser beschworener Pflichten ihres +künftigen Standes dachten, sich dem Dienste der Weltkirche Jesu Christi +widmeten. + +Begreiflich!--erinnere ich mich doch mehr als eines aufgeklärten +Professors, der sehr verächtlich in Gegenwart der Schüler vom Stande +katholischer Geistlichen redete und offen aussprach, der Dümmste sei +immerhin noch gescheidt genug, um für die Kirche gesalbt zu werden!-- + +Soll ich länger noch bei dem heimtückischen, verkappten Kriege mich +aufhalten, der mit schlauer Berechnung gegen Katholizismus und Kirche +geführt wurde, während man von Oben herab und Unten herauf von Erhaltung +religiösen Friedens, Gleichberechtigung der Confessionen und andern schönen +Sächelchen laut genug log und durch Lügen das Gewissen der Hirten der +Kirche in süßen Halbschlummer und verderbenbringende Betäubung lullte?-- + +So lange katholische Lehrer inwendige Protestanten sind, die Schulen nicht +zu Confessionsschulen und alle mit der christkatholischen Weltanschauung in +näherer Berührung stehenden Unterrichtszweige nicht aus katholischen +Büchern erlernt werden, so lange wird auch ein neuer und besserer Geist das +Volk nicht erneuern und beleben, sondern das schleichende Gift des +Heidenthums wird weiter fressen und zuletzt den Organismus der alten, +kranken Gesellschaft zerstören!-- + +Einige Jahre verlor ich an Gelehrtenschulen, an denen keine gründliche +Bildung zu holen und das bischen Christenthum, welches manche Kameraden aus +der Heimath mitgebracht, bald verloren war. Der schnell erfolgte Tod meines +Vaters fiel als Hagelschlag in meine reichlich blühenden Hoffnungen auf +eine ehrenvolle, glänzende Zukunft. Es stellte sich heraus, das Vermögen +sei bei weitem nicht so groß als man sich allgemein vorgestellt und eine +ziemlich sorglose Haushaltung hatte Vieles beigetragen, dasselbe zu +zerrütten. Außer dem ältern Bruder Anton und mir waren noch mehrere +Schwestern vorhanden. Anton war älter als ich, noch immer derselbe ruhige, +stille Mensch, welcher er von jeher gewesen und noch immer entschlossen, +ein Geistlicher zu werden. Er wollte dies nicht, weil er etwa mehr Glauben +oder Kenntnisse in religiösen und kirchlichen Dingen besaß als ich, sondern +weil ihm die Aussicht auf das friedliche Leben eines Landpfarrers behagte. +Es war der Seelenwunsch der Mutter, daß er seinem Plane getreu bleibe, doch +stellte der Tod des Vaters der Ausführung desselben Hindernisse entgegen. +Die Unterstützung irgend einer Art anzunehmen, das armselige Leben eines +Bettelstudentleins zu führen, dies waren Gedanken, welche die etwas stolze +Mutter so wenig als Anton zu ertragen vermochten. Der Stand des Vermögens +war jedoch so, daß Einer von uns Brüdern dem Studiren entsagen mußte, wenn +soviel übrig bleiben sollte, um den vier Schwestern eine angemessene +Erziehung und einige Aussicht auf zeitliche Versorgung zu geben. Anton war +um zwei Jahre vor mir, ich liebte die Mutter und wußte bereits, daß Geld +die Welt regiere, folglich meine Schwestern ohne einiges Geld schwerlich +jemals zur Regierung eines Hauswesens gelangten. Nicht ohne Kampf, doch +voll Freude über den Sieg verzichtete ich auf das Leben eines Studirten. +Meine Neigung Soldat zu werden, ward von der Mutter aus allen Kräften +bekämpft. Ich begann Musik zu treiben und trat kaum ein Jahr nach dem Tode +des Vaters ins Lehrerseminar. + +Sie begreifen, daß ich ohne religiösen Glauben, folglich auch ohne +sittlichen Halt in dasselbe trat und beim Eifer meines Studirens sowie bei +der Lebhaftigkeit meines Temperaments als vollendeter Feind des +Pfaffenthums und voll Begeisterung für ein aufgeklärtes, freies, +glückliches Volk aus demselben herauskam, während mich gewisse Vorfälle und +Erfahrungen, die ich seit dem Tode des Vaters gemacht, gegen "honette und +gebildete" Leute stark eingenommen hatten. + +Ich war einige Jahre Schulmeister und habe während dieser Zeit Vieles +durchgemacht, zumal die häuslichen Verhältnisse der Meinigen sich +verschlimmerten. Mein Ehrgeiz drohte unter der Wucht drückender +Lebensverhältnisse zu erliegen und leider mit ihm löblichere Eigenschaften. +--Jetzt begreife ich, weßhalb die Behörden mich zurücksetzten und meine +Vorgesetzten mir keine Ruhe ließen, doch damals sah ich nur +Ungerechtigkeit, Partheilichkeit, Pfaffenhaß, Weiberintriguen und machte +mich selbst zum Unseligsten aller Menschen.--Nicht die Religion, sondern +die Liebe für eine Sonntagsschülerin war es, welche meinem schwankenden, +ruhelosen, unseligen Wesen wiederum Halt, Friede, jenen Schimmer der +Seligkeit gewährt, welcher Jedem die Erinnerung an die erste Liebe +unvergeßlich macht. + +Ich erfuhr nicht, daß Liebe der Lange Irrthum Eines Betrogenen Esels sei, +wie Saphir herb genug witzelt, aber ich war ein Schwärmer, ein Romanenheld, +die Geliebte dagegen ein verständiges, treuherziges, einfaches Landmädchen. +... Es verstand mich nicht, Eltern und Verwandte erklärten sich gegen mich +--Doch, ich will Sie mit meiner Liebesgeschichte nicht langweilen. + +Sie modert längst im Grabe und in demselben Grabe mein besserer Mensch. Ich +verlor sie keineswegs durch den Tod, denn sie starb erst, während ich in +Frankreich lebte. Sie ließ sich halb und halb zu einer Heirath zwingen und +war zu edel, um ein Verhältniß fortzusetzen, welches ihren Pflichten hätte +gefährlich werden müssen. Ihr Verlust war für mich der Anfang einer +Sittenverwilderung, deren Schilderung Sie mir gewiß gerne erlassen. Ich +sank von Stufe zu Stufe und stürzte mich in Schulden, aus denen mich die +Meinigen weder herauszureißen vermochten, noch den Willen dazu hatten. Die +Meinigen verfluchten, die Behörden bedrohten, die Gläubiger verfolgten, +alle Bessern verachteten mich und ich, ich glaubte--ein noch immer +vortrefflicher Mensch und verdienter Lehrer zu sein und ein Recht zu +besitzen, der ganzen Welt zu trotzen. + +Nur mit Schauder denke ich an jenen Sonntag zurück, an welchem ich im +Hochamte während der Wandlung auf der Orgel das Bänkelsängerlied: + + _Schnapps, Schnapps, Schnapps, du edeles Getränke_ + +anstimmte. Ich mußte fast augenblicklich fliehen und floh ohne Geld, ohne +Schriften, ohne Gepäck, ohne Ziel und Plan und ließ hinter mir die Heimath, +die Ehre, den Frieden meiner Seele. + +Ich floh nach Frankreich und zwar nicht als fortgejagter Schulmeister, +sondern auch als Deserteur, da ich ein Jahr Kasernenleben mitgemacht und +auf meinen Abschied noch lange zu warten hatte. In Straßburg ließ ich mich +anwerben. Wenn ich meine Erlebnisse in Algier, Spanien, in Frankreich, +besonders in Paris und Lyon erzählen und mich näher mit dem politischen und +sozialistischen Theile meiner Geschichte befassen wollte, so würde dieser +ohnehin wohl zu lang gerathene Brief vor einem bis zwei Jahren schwerlich +ein Ende finden. + + + + +#IV.# + + +----Du, theuerster Anton, hast Deinem Bruder das Reisegeld gegeben und in +zwei Wochen segle ich Amerika zu, um dort nach Kräften gut zu machen, was +ich an der alten Welt, an dem Vaterlande, an meiner Familie und mir selbst +gesündiget. Hätte ich nicht das Kleid eines gemeinen Verbrechers getragen, +so würde ich in ein Kloster gehen, nicht sowohl um meine Schande zu +verbergen, sondern um die Gnaden zu offenbaren, welche Gott auch dem +Unwürdigsten noch zukommen läßt, wenn derselbe sich an Ihn wendet. + +Es scheint mir nützlich und nothwendig zu sein, daß in den Tagen wachsender +Armuth, unersättlicher Genußsucht und maßlosen Hochmuthes Menschen durch +Thaten den Mitmenschen beweisen, wie wenig Einer braucht, um zu leben, wie +wenig sinnliche Genüsse zum Glücke gehören und wie wenig Demuth und +Selbstverläugnung uns erniedrigen. Klöster sind eine Forderung der Zeit. + +Ach, ich möchte die Zahl Derer so gerne um Einen vermehren, welche laut und +offen verkündigen, daß der moderne Staat wiederum ein christlicher werden +müsse und daß Kaiser, Könige, Fürsten und Grafen bis herab zum Bettler +hinter dem Zaune Eine Pflicht und Eine Bestimmung haben, weil Christus für +Alle gestorben, Tod und Gericht Allen gemeinsam sind. + +Leider sind jene Tage vorüber, wo auch große Verbrecher in stillen +Klostermauern Aufnahme fanden, um Buße zu thun und durch Wort und Beispiel +die Vergangenheit zu sühnen. + +In zwei Welttheilen lebte ich als Seelenverderber, im dritten will ich als +Seelenretter ausharren bis zum Ende und als ein in Christo Freigewordener, +noch weit weniger als früher ein Gewicht auf die Warnung legen, welche +Faust dem Wagner gibt: + + Wer darf das Kind beim wahren Namen nennen? + Die wenigen, die was davon erkannt, + Die thöricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten, + Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, + hat man von je gekreuzigt und verbrannt! + +Ich suche in Amerika kein Eldorado und weiß, welche Entbehrungen und +Schwierigkeiten meiner harren, nachdem ich mich entschlossen, die Wilden +der Urwälder aufzusuchen, unter denselben als Vorarbeiter und Gehülfe der +Missionäre zu wirken und an ihnen gut zu machen, was ich an Andern +gesündiget. + +Doch ich will Deinen Wunsch erfüllen, theuerster Bruder und Dir Näheres von +meinem Zuchthausleben erzählen, namentlich insofern dasselbe zu meiner +sittlich-religiösen Wiedergeburt beitrug. + +Es war im Spätjahr 1847. Ich wußte genauer als mancher Andere, daß +Frankreich am Vorabend einer Revolution stehe. Daß dieselbe jedoch schon im +Februar 1848 losbrechen und nicht nur die Julimonarchie stürzen, sondern +die Monarchie überhaupt zertrümmern und Sozialisten zu Führern Frankreichs +machen würde, das ahnte ich nicht, weil es meine kühnsten Hoffnungen +überflügelte. + +Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, so würde ich die geheime Mission nach +Deutschland nicht übernommen, eine verhängnißvolle Brieftasche mit +Banknoten nicht--gefunden und das Inwendige des Zuchthauses wohl nimmermehr +gesehen haben. + +Ich lag im Gefängniß, als die Februartage kamen. Sie machten mich rasend; +ich konnte Tag und Nacht keine Ruhe finden und wundere mich nur, daß ich +nicht geisteskrank wurde. An Fluchtversuche dachte ich nicht, weil ich +stündlich Befreiung auf andere Weise hoffte und erwartete und als diese +ausblieb, hatte ich es durch meine Reden und mein Benehmen dahin gebracht, +daß man ein scharfes Auge auf mich bekam und mich in ein besser verwahrtes +Gemach brachte, wo ich einsame Stunden fieberhafter Spannung verlebte. + +Es war zu erwarten, daß Berlin ein bischen Prosit rufe, wenn Paris nieße, +aber daß Berlin Prosit schreie und die gute alte Stadt Wien zum "Paris in +Knabenschuhen" würde, hattte [hatte] ich auch nicht geahnt und als es +dennoch so kam, verwünschte ich bereits im Sträflingskittel das +Mißgeschick, welches langjährige Hoffnungen verhöhnte, indem es mich, den +Sohn der Freiheit und Soldaten der Revolution zu einem Staatssklaven und +Opfer tödlich verachteter und gehaßter Gesetze machte. Das Ärgste war, daß +ich keineswegs umstrahlt von der Glorie eines politischen Märtyrers, +sondern in der Eigenschaft eines gemeinen Spitzbuben in die Strafanstalt +trat und hier zum Ueberfluß noch Leute fand, welche mich früher und leider +nicht auf vorteilhafte Weise kennen gelernt. + +Beamte und Aufseher behandelten mich gleich jedem Andern; ich fühlte, daß +gleiche Behandlung Aller große Ungleichheiten zur Folge habe, sogar das +Beisammensein mit Dieben empörte meinen Stolz und ich that Alles, um mich +bei den Bessern der Sträflingsbevölkerung in Ansehen zu setzen. Doch ein +alter, einäugiger durchtriebener Gauner, mit welchem ich früher einmal im +Amtsgefängnisse zu N. gesessen, redete zu meinen Gunsten in einer Weise, +welche mir die Achtung der Bessern verscherzen mußte und eine Mißgestalt +von Bauernknecht, welchen ich in demselben Amtsgefängniß gewissenlos um +seine Ersparnisse gebracht und der nunmehr wieder unter Einem Dache mit mir +lebte, erzählte Alles, was er Schlimmes von mir wußte. + +Draußen Revolution, der Kanonendonner und Freudenjubel der großen Zukunft, +in der Strafanstalt elende Handarbeit, schmale Kost und schlechter Trunk, +dabei noch Verachtung von Seite vieler Mitgefangenen, welche mich gerade +deßhalb um so herber drückte, weil sie von Sträflingen kam--wie zermalmte +mich solche Verschärfung meiner Strafe! + +Der Gedanke, daß ich von meinen Freunden außerhalb der Gefängnißmauern +verlassen und vergessen sei, beunruhigte mich so sehr als die Ungewißheit +über die Lage der Dinge und ich glaube ich hätte damals einen Finger für +eine Nummer der Augsburger Allgemeinen Zeitung gegeben. + +Die verworrenen und sich widersprechenden Gerüchte, welche durch +Plaudereien der Zuchtmeister, Schildwachen, Besuche und neu eintretenden +Sträflinge verbreitet wurden, dienten im Ganzen nur dazu, meine Neugierde +zu erhöhen, die Qual der Ungewißheit bis zur Verzweiflung zu steigern und +meine Ansichten über die Ereignisse vollständig zu verwirren. + +Du erfassest das Elend solcher Qualen, im Vergleich zu welchen die Qual der +Gefangenschaft an sich geringfügig erscheint, nicht. Wer einen Gott hat und +einen Himmel kennt, der trägt unzerstörbaren Frieden in sich und betrachtet +das wechselnde irdische Leben ruhig. + +Der Mai hatte einige Soldaten zu uns gebracht, die für eine zahme Republik +gekämpft haben sollten und doch nicht wußten, was eine Republik sei. Es +waren gutmüthige, brave Bursche und ich suchte mich denselben zu nähern, +allein sie blieben gegen mich wie gegen die "Spitzbuben" zurückhaltend und +spröde. + +Sie sahen ein, daß es für Soldaten eine unverzeihliche Dummheit sei, zur +Zeit einer Emeute eine Ausnahme vom Verhalten der Mehrzahl der Kameraden zu +machen und nicht ihre harte Strafe, sondern ihr Zusammengeworfenwerden mit +gemeinen Verbrechern war's, was sie nicht zu verschmerzen vermochten und +ihren Rachedurst entflammte. Ich gewann sie leicht für meine Ansichten, +nachdem sie einmal an ihre neue Gesellschaft besser gewöhnt waren und +einiges Vertrauen zu mir gefaßt hatten. Unvergeßlich bleibt mir die +Demüthigung, welche mir einer derselben bereitete. Ich erzählte nämlich von +Robespierre und lobte vor Allem die Uneigennützigkeit dieses Helden der +Revolution, den ich als eines meiner Vorbilder erklärte. Da meinte Jener +trocken, wenn Uneigennützigkeit für einen rechten Volksführer unentbehrlich +sei, so werde ich niemals einen solchen abgeben!--Aus dieser Rede wie aus +den Blicken und dem Gelächter der Umsitzenden erkannte ich, daß alle genau +wußten, weßhalb ich verurtheilt worden. Glaubst du, daß ich Nächte hindurch +mich ruhelos auf meinem Strohsacke herumwälzte voll Aufregung über solche +Gewißheit?-- + +Mit der Zeit bekam ich Gewißheit, daß man in der Welt auch ohne mich fertig +werde und mich "den Spitzbuben" völlig vergessen habe--eine schmerzliche +Gewißheit für einen mit der Großmannssucht behafteten Menschen meiner Art! +Der Juniaufstand wurde durch einen Zufall bereits am folgenden Morgen nach +dem Ausbruche unter uns Gefangenen bekannt. + +Wiederum war für längere Zeit meine Gemüthsverfassung die einer +Tigermutter, welche von Todfeinden ihre Jungen quälen und zerfleischen +sieht, ohne mehr zu vermögen als den grimmigen Zorn und Schmerz durch +Gebrülle zu mildern. Kaum fing ich an, mich an meine Lage zu gewöhnen und +in ihren Zerstreuungen einen Schein von Ruhe zu gewinnen, als ich in eine +Zelle versetzt wurde. Es war im Spätherbst 1848. + +Nach einigen Tagen stiller Ergebung berauschte mich allgemach die +Einsamkeit. Zuweilen verlebte ich ruhige, sogar heitere Stunden, doch in +andern, besonders in der Todesstille der Nacht und bei schlechtem Wetter +empfand ich alle die unbeschreiblichen Qualen meiner Lage. + +Ich möchte dieselben mit denen des angeschmiedeten Prometheus vergleichen, +doch hinkt solcher Vergleich vielfach, namentlich hatte ich dem Himmel mein +Feuer nicht gestohlen, sondern von der Hölle entlehnt. + +Arbeiten und Bücher gewährten mir einige Unterhaltung und Trost. Ich +arbeitete, um mich selbst zu vergessen und einige Stunden des Schlafes, +dieses köstlichsten aller Güter eines Gefangenen, zu genießen. Meine Liebe +zum Lesen wäre leicht in Lesesucht ausgeartet, wenn ich mich der +Hausordnung hätte entziehen können. Doch welcher Sterbliche vermag sich in +einem Zellenbau der strengsten Beobachtung bei Tag und Nacht zu entziehen? +Geistliche, Beamte und Aufseher besuchten mich nach ihrer Vorschrift, doch +gewährten mir ihre Besuche wenig Unterhaltung und ihnen kein Vergnügen. + +Mein Bestreben war darauf gerichtet, dieselben auf eine Weise zu kränken +und zu beleidigen, für welche sie mich nicht zu bestrafen vermochten. + +Uebrigens ist ihre Strafgewalt so beschränkt, daß man wenig mehr nach +Strafen fragt, wenn man die üblichen einmal gekostet und nachdem mir eine +Uebertretung der Hausordnung einigemal kleine Strafen zugezogen, ertrug ich +Strafen gerne, wenn ich mir nur einbilden durfte, die Beamten recht +geärgert zu haben. Nur Einer kam mit mir aus. Es war ein Hauslehrer, der +von Zeit zu Zeit mit Heckerhut, Hahnenfeder und Schleppsäbel in meine Zelle +trat, um sich nach dem Befinden des "Bürger Gefangenen" zu erkundigen. +Nachdem er wußte, wie lange und wo ich in Frankreich und andern Ländern +gelebt und welcher Parthei ich lange Zeit angehörte, führten wir viele +wunderliche Gespräche mit einander. Bei ihm konnte ich meinem Grimme gegen +Gott, Welt und Menschen freien Lauf lassen, denn auch er gehörte zu Jenen, +welche von ergriffenen Prinzipien zu den äußersten Folgerungen derselben +muthig fortschreiten. + +Von ihm erfuhr ich, was draußen in der Welt gespielt wurde und meine +Hoffnung auf Befreiung ward so lebhaft, daß ich mich am Morgen jedes Tages +fragte: Wirst du die Hausschelle heute Abend noch hören?--Noch vor Mai 1849 +verlor ich den Edlen, im Mai erfuhr ich die Befreiung der politischen +Gefangenen und erwartete die meinige--vergeblich. Jetzt brütete ich +wiederum düstere Plane unersättlicher Rache, schwelgte in entmenschten +Träumen blutigen Hasses und fand darin die einzige Unterhaltung, weil ich +in der Kirche nicht zum Hören zwischen den kahlen Zellenwänden nicht zum +Lesen und Nachts nicht zum Schlafen gelangte. + +Ich hatte Schreibzeug, noch einiges Papier und begann zu dichten. Eine +Sammlung. _"Rothe Lieder"_ sollte mir meine Lage erträglicher und nach +meiner Befreiung meinen Namen der Welt bekannt machen. + +Während der Arbeit schmiedete ich Verse und schrieb einen nach dem andern +geschwind auf eine neben mir liegende Schiefertafel. Kam Jemand, so löschte +ich das Geschriebene schleunig aus, andernfalls schrieb ich es am frühen +Morgen oder während der Mittagsstunde auf Papierstreifen, die ich in den +Schuhen bei mir trug. + +Eines mag als Probe meiner damaligen Seelenstimmung hier stehen und Dir +zeigen, wie weit ich noch nach etwa 10monatlicher Einzelhaft von Besserung +entfernt war: + + Ein Sklavenvolk mag vor Molochen kriechen, + Vor schlauen Bonzen wahnerfüllt sich beugen, + Sein Glück mit Füßen treten im Unsinnsreigen + Und Seligkeit aus Triererröcken riechen! + + Doch ewig soll das Volk an Dummheit siechen?-- + O nein! die Wahrheit wird und muß sich zeigen, + Muß glühendroth aus Tempelasche steigen + Sobald der Wahn des Christenthums gewichen! + + Drum frisch, ihr Freien, laßt nie träg euch finden, + Wetzt gegen Bonzentrug die schärfsten Klingen, + Es gilt, der freien Menschheit Reich zu gründen! + + Der Weltgeist leiht euch riesenstarke Schwingen, + Kein Adler kann im Sonnenlicht erblinden, + Der Menschheitsgott lohnt euer kühnes Ringen!-- + +Im Juni setzten mich Kanonendonner und Kriegslärm aller Art in fieberhafte +Bewegung. Jeden Schritt, der auf den Steinplatten des Ganges dröhnte, hielt +ich für den meines Befreiers. + +Ich hoffte, daß alle Gefängnisse ihre bleichen Bewohner ausspeien würden +und war gesonnen, aus denselben ein in die graue Tracht des Sträflings +gekleidetes Corps zu bilden, um dasselbe als Vorkämpfer beim Kampfe gegen +die alte Gesellschaft zum Siege zu führen. + +Freiheit und Kampf, Sieg und blutige Rache, Tod und Ruhe war meine Loosung +und ich vergaß dieselbe sogar in meinen nächtlichen Träumen nicht. + +Eines Abends marschirten preußische Füseliere über die Ringmauern der +Anstalt, bald nachher stand auf der Mauer meines Spatzierhöfchens +geschrieben; "Die Freischaaren sind aus dem Schwarzwalde in die Schweiz, +Alles ist aus.--Die Franzosen wollen wieder Einen haben und der Sträfling +von Ham soll auf der Liste zu oberst stehen. Lauter Lumperei!--" + +Dies war zuviel. + +Seit vielen Jahren eines ins Aeußerliche versenkten Lebens hatte mich Gott +das Rächeramt an mir selbst verwalten lassen. Eine beständige qualvolle +Unruhe, eine tiefe geheime Unzufriedenheit mit mir selbst jagte mich aus +einer Stunde in die andere wie den ewigen Juden und ließ mir nicht Einen +vollkommen sorgenlosen Genuß. Aus jedem Freudenbecher stiegen Dämonen und +setzten sich als unerträglich schwere Alpe auf mich, während Springfedern +in mir zu sein schienen, die beim leisesten Drucke von Außen mich fernen, +unbekannten Zielen zutrieben. + +Während meiner Gefangenschaft war ich bereits so weit gekommen, die Ochsen +und Kühe zu beneiden, welche den Brodwagen in den Hof der Anstalt +schleppten. Ich würde gerne geglaubt haben, das elendeste Thier sei ein +glücklicheres Wesen als der Mensch, wenn nicht ruhige, freundliche, +glückliche Menschen, hinter denen mein scharfgewordenes Auge keinen Schein +entdeckte, täglich in meine Zelle getreten wären. + +Ich mußte mir in ruhigeren Stunden gestehen, eine Regierung, welche Diener +von der Art meiner Besucher habe und ihre schlechtesten Unterthanen noch +menschenfreundlich behandle, müsse nicht ganz fluchwürdig sein. Nicht +minder fiel es mir bei, eine Religion, welche ihre treuen Anhänger so +ruhig, freundlich und glücklich mache wie die christliche, bleibe eine +preiswürdige Religion, selbst wenn ihre höchsten Vorstellungen keiner +Wirklichkeit entsprächen. Ich begann die Gläubigen um ihres Glaubens oder +vielmehr um des Glückes willen zu beneiden, welches der Glaube denselben +gewährt. + +Beim Durchmustern meines vielbewegten Lebens kam ich allmälig immer mehr +auf meine Jugenderinnerungen zurück, weil sie die süßesten für mich waren. +Unsere Kinderzeit, theuerster Bruder, wurde für mich zunächst der Born, aus +welchem ich mich erfrischte, um zum Quell des wahren Lebens zu gelangen. + +Die Macht dieser Erinnerungen trug Vieles bei, mein Felsenherz zu erweichen +und die wehmüthigen Betrachtungen und Vergleiche zwischen dem seligen Kinde +und dem unseligen Zuchthäusler versenkten mich in ernstes Nachdenken. + +Mehr als einmal, wenn die Glocken von fern und nahe in meine Zelle +hineinläuteten und das Abendroth zwischen den Kerkerfensterlein +hindurchzuckte und golden über die kahlen Wände zog, da sah ich längst +entschwundenes Abendroth und unter ihm die Thürme, von welchen die Religion +ihren Abendgruß über unser Städtlein mit seinen dunkeln Dächermassen +hinrief und sah ein Haus, worin ein aufblitzendes Licht die liebsten, +freundlichsten Gestalten beleuchtete, die mir in meinen Erdenwallen +vorgekommen. O Anton, Anton, ich wünschte dann wiederum ein Kind zu sein +und mein Leben in ganz anderer Weise von vorn anfangen zu können!---- + +Ich begann allmählig auch religiöse Schriften zu lesen und über den Inhalt +reiflich nachzudenken. Schon die Vorträge und Predigten hatten mich +überzeugt, daß ich in vielen Punkten der christlichen Religion in Irrthum +und Unwissenheit geschwebt und alle Punkte nur von der Seite aus zu +betrachten gewöhnt war, von welcher sie mir verwerflich erschienen. + +Je besser ich erkannte, daß ich trotz allen Erinnerungen aus dem +Katechismus und an Predigten von meiner Religion bereits so wenig als ein +Heide verstünde, desto mehr stiegen Interesse und Eifer mich zu +unterrichten. Bald machte ich Auszüge aus guten Schriften und zuletzt +eigene Aufsätze, um mich im Denken zu üben. + +Gleichzeitig las ich geschichtliche Werke und begann an dem Ikarien, in +welches ich mich ganz und gar festgerannt hatte, irre zu werden. + +Je mehr ich las und dachte, desto mehr wich der Fanatismus des Unglaubens. +Ich lernte die Ruhe des Denkers kennen und wenn dieselbe auch noch lange +nicht die Ruhe des Christen ist, so bleibt sie doch ein Durchgangspunkt, um +zu derselben zu gelangen.-- + +Jetzt ist es mir klar, daß Gott mich ins Zuchthaus führte und daß die +Zuchthausstrafe der Rettungsversuch war, welchen Er mit mir anstellte, +damit meine Seele nicht ewig verloren gehe. + +Er handelte an mir wie ein geschickter Arzt, welcher kein Sengen, Brennen +und Schneiden scheut, wenn es dem Kranken nützt, ich dagegen lange genug +wie ein in Fieberwahn Daliegender, der von keinem rettenden Arzte wissen +will und um so heftiger nach demselben schlägt, je näher er ihm tritt. + +Er züchtigte mich mit der einen und hielt mich mit der andern Hand. + +Du weißt bereits auf welche Weise Er meine Zuchthausstrafe verschärfte. +Unter Sträflingen wäre ich niemals so weit gekommen, Geschmack an +religiösen Schriften zu finden. Seitdem ich einsam lebte und gar nichts +mehr vom Leben und Treiben der Welt erfuhr, war ich allmälig im Stande +Schriften zu lesen, deren Inhalt meinen Ansichten schnurstracks widersprach +und der Mangel an Zerstreuung zwang mich, die Gründe der Verfasser zu +prüfen. + +Gleichzeitig gewann die Einsicht, daß ich durch unverständiges Benehmen +meine Lage nur verschlimmere, Uebermacht über die Leidenschaftlichkeit +meines Herzens und meinem anständigern, würdigerem Benehmen gegen Besucher +entsprach eine freundlichere, gütigere Behandlung von ihrer Seite. + +In B. dauert das Jahr nur 8 Monate. Die Hälfte meiner Strafe war +überstanden, laut der Hausordnung konnte ich um Begnadigung bitten. Lange +schwankte und zauderte ich. Der Gedanke auszuharren, um mich nicht der +Gefahr einer demüthigenden Zurückweisung auszusetzen, wich nur, wenn ich an +die bisher ausgestandenen Leiden dachte. Ein Traum war's, der mich bewog, +ein Gnadengesuch einzugeben und an einen günstigen Erfolg desselben zu +glauben. + +Einen tiefern Schmerz habe ich selten in meinem quallenreichen +[qualenreichen] Leben empfunden als den, welchen ich empfand, nachdem mir +ein Schreiber die Nachricht brachte, meine Bitte sei eine vergebliche +gewesen. Weniger die Vernichtung süßer Hoffnungen und die Fortdauer der +Gefangenschaft, als die Täuschung des Vertrauens, das ich der regierenden +"Bourgeoisie" geschenkt und der Gedanke, daß Beamte und Aufseher, die meine +frühern Prahlereien angehört und deren Glauben an meine Standhaftigkeit ich +durch die Bittschrift vernichtet hatte, wars, was mich schmerzte. + +Ich that furchtbare Schwüre, daß meine Hand verdorren und mein Auge +erblinden möge, wenn ich jemals wiederum eine Feder anrühre, um ein +Gnadengeheul zu componiren. Der Schwur ward gehalten, nicht weil mein +Hochmuth stark, sondern weil der Schwur Schwur blieb. + +Alle Ruhe und Mannhaftigkeit, alle Versöhnlichkeit und Unpartheilichkeit +waren aufs neue verloren. Selbst gegen meine Besucher konnte ich mehr als +mürrisch und grob sein, denn ich hatte die Vornehmsten in Verdacht, daß sie +meine Befreiung nicht bevorwortet, sondern hintertrieben hätten, während +sie mir ins Gesicht Güte und Menschenfreundlichkeit logen und es gab +Stunden, wo die innere Aufgeregtheit mich alle Klugheit und Mäßigung +vergessen ließen. + +Meine religiösen und geschichtlichen Betrachtungen, die Vergleiche der +verschiedenen Systeme sozialistischer Träumer hörten auf, ich war zu +unruhig, um lesen zu können und nur die "Rothen Lieder" gediehen. + +Sie lullten mich in die Ruhe stiller Verzweiflung und stumpfer +Gleichgültigkeit, indem ich durch sie meinen Schmerz und Ingrimm gegen +Gott, Welt und mein Geschick aus mir herausarbeitete; aber wenn ich +bedachte, weßhalb ich bestraft worden und wer mich in Gewalt hatte oder auf +die lange trostlose Reihe der Kerkernächte zurück oder vorwärts blickte, +dann hatte die trügerische Ruhe des Fatalisten, in welche ich mich +hineinzuzwingen versuchte, ein Ende. + +Nur ein gemeiner Verbrecher in der Zelle erfährt, was es heißt, die Hölle +im Busen tragen und die Sehnsucht nach Glück sterben lassen. Es gab +Augenblicke, wo ich auf die Knie stürzte und die unbekannten Mächte, welche +ihr grausames Spiel mit mir trieben, um Erbarmen anflehte. Im nächsten +Augenblicke stand ich auf, lachte voll ingrimmigen Hohns und rief den +Teufel an, mir die Freiheit, Ruhe, Untergang im Genuß oder auch die Hölle +zu verschaffen. In der Hölle ein ganzer Teufel zu sein, ewig Gott zu +lästern und zu höhnen, in diesem entsetzlichen Gedanken lag für mich in +meinen ärgsten Stunden eine Art Wollust. Ich wünschte, daß es einen Gott, +einen persönlichen Gott geben möge, damit ich ein rechter Teufel sein +könne. Wer gab ihm das Recht, mich auf diese Welt zu setzen? Aus einem +glücklichen Nichts ein unglückliches Etwas zu machen? Weßhalb verfolgte Er +mich seit vielen Jahren? Warum ließ er mich leben, da ich doch sterben +wollte?-- + +Ja, wollte, theuerster Bruder! Schaudere nicht vor mir zurück, ich kannte +und besaß mich selbst damals nicht mehr, ein Dämon lebte und regierte in +mir, denn lange hatte ich der Hölle willenlos gedient und war in der Zelle +bereits in Gefahr gerathen, ihr ungetreu zu werden!-- + +Ich wollte mich erstechen und schliff mein stumpfes Messer mit unsäglicher +Mühe scharf und spitz. Aber ich besaß den Muth nicht dazu. Sage Keiner ein +Selbstmörder sei ein Feigling, es ist nicht wahr, zum Selbstmorde gehört +ein Muth, welcher den Selbsterhaltungstrieb und die Ewigkeit verhöhnt. Ein +Aufseher entdeckte das Messer, nahm es weg und mehr als je fand ich mich +beargwohnt und beobachtet. Ich betrachtete stundenlang meinen Kleiderrechen +und dachte daran, mich zu hängen. + +Allein das Hängen hat namentlich für einen alten Soldaten etwas Widerliches +an sich, vielleicht weil es die leichteste oder doch angenehmste Todesart +sein soll. Zudem konnte ich zu früh entdeckt, abgeschnitten und gerettet +werden. Noch meine Todesgedanken waren von der Eitelkeit beherrscht; ich +glaubte die herabsetzenden Redensarten derer, die meinen Leichnam auszogen, +zu hören und der Gedanke, von gleichgültig lachenden Studenten zerschnitten +zu werden, erregte mir ein widerliches, grauenhaftes Gefühl. + +Die Hölle ließ mich auf eine Todesart verfallen, deren Namen ich nicht +nennen mag; sie beseitigt den Schein des Selbstmordes und führt +Annehmlichkeiten mit sich, welche die des Hängens durch Dauer weit +überbieten. Um die Scheu vor der Anatomie zu beseitigen, wollte ich zuerst +von meinem Gutmachgeld das Doppelte des Werthes meines Leichnams--ein +menschlicher Leichnam gilt in B. 10 Gulden--an Jemanden außerhalb des +Gefängnisses senden und es dahin bringen, daß dieser Jemand nach meinem +Tode das Geld in die Anstalt brachte und die Beamten dadurch veranlaßte, +meinen Leichnam nicht den Studenten zu schicken, sondern in B. begraben zu +lassen. + +Diesen Jemand hatte ich noch nicht gefunden, als ich in eine schwere +Krankheit verfiel. + +Ich kam in eine Krankenzelle, welche sich von den gewöhnlichen Zellen fast +nur durch die größere Bequemlichkeit und vor Allem durch eine wahrhaft +christliche Behandlung unterscheidet, deren man darin genießt. Nur dunkel +entsinne ich mich, wie ich später in den Krankenstock hinabgetragen wurde, +wo sich die Schwerkranken befinden. + +Bienen, Rosenkäfer und buntfarbige Schmetterlinge gaukelten lustig um +duftende Rosenhecken und prächtige Blumenketten des Citysus im heimelig +stillen Zuchthausgarten und die Schwalben äzten ihre Brut, als meine +Krankheit sich mit unerträglichem Kopfschmerz und galoppirendem Pulsschlage +einstellte. Der Wind trieb aber die letzten falben Blätter von den Bäumen, +der Sängerlärm im nahen Schloßgarten war verstummt und die unvermeidlichen +Spatzen zankten sich um verlassene warme Rester [Nester] unter den Dächern +des vierten Flügels, als ich zu neuem Dasein erwachte und mich täglich +etwas länger in der Kunst des Stehens und Gehens einüben durfte. + +Ich vermeinte kein Gefangener mehr zu sein, denn ich wohnte in einem hohen, +anständig eingerichteten Gemache mit großem Fenster ohne Eisengitter und +nur der verbleichte Uniformsrock der Krankenwärter und noch mehr das +unmenschliche und unnöthige Gebrülle der meisten Wachen auf der Ringmauer +mahnte mich daran, daß ich noch Gefangener sei. + +Der Krankenwärter besaß mehr Einsicht und Bildung als Leute seiner Art +gemeiniglich zu haben pflegen. Er nährte meinen aufwachenden Verstand, +während sein Gehülfe, ein etwas kurz und uneben gerathener Bursche mit +koketten Löcklein und zahmen Blauaugen den Magen versorgte. + +Ein dicker, stattlicher, herzensguter Mann, der dröhnenden Schrittes durch +die Gänge und täglich lieber in mein Gemach stieg, zeigte sich bereit, mir +Alles zu enthüllen, was von Adams Zeit bis zu meiner Genesung über und +unter dem Monde vorgefallen war, insofern es sich nur mit der Hausordnung +vertrug. Der Arzt selbst besuchte mich täglich zwei bis dreimal, der +Widerwille, den ich früher gegen ihn als den "Knecht einer verrotteten +Regierung" so gut als gegen andere Besucher empfunden, war wie weggeblasen. +Er hatte mein Leben retten helfen und ich fühlte, daß ich das Leben +wiederum liebte, denn als der Mann mit dem dröhnenden Schritte mir +scherzend einen amerikanischen Strick in Aussicht stellte, schauderte ich +unwillkürlich zusammen. + +Täglich kam der vortreffliche Hausgeistliche zu mir und jeder Besuch machte +mir denselben theurer. Durch maßlosen Hochmuth, ungeschickte Heuchelei und +arge Verstocktheit hatte ich ihn oft betrübt. Seine Freude, mich gelassen +und ruhig zu finden, war jetzt um so größer, denn er hatte alle Hoffnung +aufgegeben, mich gründlich zu bekehren und gehörte zu jenen Wenigen, denen +die Aufrichtung Eines Gefallenen in der That mehr gilt, als die Erhaltung +von zehn Nichtgefallenen, bei denen die Gefahr des Fallens vorüber ist. + +Der alte wüste Ichmensch schien wirklich absterben, ich neugeboren werden +zu wollen. Die Krankheit hatte meine leibliche Kraft gebrochen, sie +erstarkte allmählig, doch den alten Menschen konnte und Sollte ich nicht +wieder erstarken lassen. Schon vor der Krankheit hatte ich so oft +gewünscht, wiederum ein Kind zu sein und mein Leben von vorn anfangen zu +können. Nunmehr war ich ein Kind und beschloß ein anderes Leben anzufangen, +obwohl meine Seelenstimmung jetzt noch mehr Folge der allgemeinen Schwäche +und mein Glaube an Christum, den Sohn Gottes und dessen Weltkirche noch +kein felsenfester war. + +Mit der Kraftlosigkeit eines Kindes verband sich bei mir auch die Weisheit +und Leichtbestimmbarkeit eines Kindes. Liebe zieht den Menschen groß; die +Liebe von Solchen, denen ich niemals Gutes erwiesen und oft genug Arges +gesagt und gewünscht hatte, verhalf mir zu meiner leiblichen und geistigen +Genesung. + +Lange, einsame Spätjahrnächte gaben mir Muße zum reifen Nachdenken. Wenn +der Sturm um das Haus heult und der Regen an die Fensterscheiben schlägt, +dann fühlt sich der Mensch, dem nicht das Glück geworden, Gatte und Vater +zu sein, einsam und keine trauliche Umgebung hält ihn von Betrachtungen ab, +welche mit den Stürmen oder der Eintönigkeit der Außenwelt harmoniren. Und +ich, ein gemeiner, kranker Verbrecher, ein Gefangener, der nach einem an +verfehlten Bestrebungen und Thaten reichen Leben anfängt, ernsthaft in sich +zu blicken, dem der Tod nahe gestanden und Gott neues Leben geschenkt, er +sollte sich keinen ernsten und schwermüthigen Betrachtungen hingeben?-- + +Lange, einsame Spätjahrnächte hindurch überlegte ich namentlich auch, was +ich denn wisse und verstehe und der Menschheit bisher nützte. Arm, krank, +ohne Zweck und ohne Mittel lag ich als unwissender Mensch und Feind der +Menschheit im Krankenzimmer eines Zuchthauses, ein Mann reif an Jahren, +leer an ersprießlichen Thaten und--doch Bruder, theuerster Bruder, erlasse +mir meine damaligen Stunden zu schildern. Nach langer, langer Zeit zum +erstenmal weinte ich keine Thränen der Wuth, sondern lindernde +schmerzstillende Thränen, weinte nicht über Andere, sondern über mich, +versuchte zu beten, stammelte zuweilen ein Vaterunser, dasselbe Vaterunser, +welches mich und Dich unsere theure, von mir so tiefgekränkte Mutter +gelehrt hatte. + +Ich dachte nach über mich und mein Schicksal. Es däuchte mir, als ob ich +mich selbst bisher arg gehaßt und Alles gethan habe, um mir mein erlebtes +Schicksal zu bereiten. Je mehr ich an mich selbst und meine Fehler dachte, +desto mehr wurde ich geneigt, die Fehler Anderer in milderm Lichte zu +sehen.-- + +Eine Unvorsichtigkeit rief einen Rückfall meiner Krankheit hervor und der +Tod trat mir wiederum nahe. Ich zitterte nicht vor ihm, doch wünschte ich +meine Erhaltung, weil ich so Vieles noch auf Erden gut zu machen und eine +Ahnung künftigen Glückes mein ganzes Wesen durchklungen hatte. Zum +zweitenmal wurde ich gerettet, doch wohl nur deßhalb, weil ich vor dem +Rückfall in meiner Genesung ziemlich weit vorgeschritten war. + +Wiederum dachte ich über mich und mein Schicksal nach, wiederum war mir das +Zeitliche gleichgültig und ich beschäftigte mich gerne mit den Zuständen +des Jenseits, dem ich näher als Andere gestanden, wiederum wirkten Besuche +und das Vorlesen meines Wärters vorteilhaft auf mich ein. + +Ich wünschte lebhaft ein anderer Mensch zu werden und zum lebendigen +Glauben an Christum den Gottessohn, diesen süßen, beseligenden Glauben, zu +gelangen. Es dauerte lange, bis ich mich dazu entschloß, Gott nicht nur um +den Glauben zu bitten, sondern mich Ihm in in [in] einer Generalbeichte +einmal ganz und unbedingt zu Füßen zu werfen. + +Ein Sonntagnachmittag besiegte meine letzten Bedenklichkeiten; ich werde +diesen und die darauf folgende Nacht nicht vergessen haben, wenn unsere +Gebeine längst vermodert sind und wir zusammen dort leben, wo der Mensch +den ganzen Plan und Gang seines Geschickes von der ersten Minute seines +Daseins bis zur letzten erschaut. + +Der Himmel schaute trüb zum Fenster herein, die nahen Hügel im Schmucke des +Winters mahnten an Tod und kalte Nächte. Alle, die mich besucht hatten, +waren ernst und einsilbig geblieben, ein Gedanke von Verlassenheit, wie ihn +ein Sterbender in meiner Lage haben kann, durchklang meine Seele. Die +Gefangenen sangen die Vesper. Die halb verlornen Töne der Orgel, die +Stimmen der Singenden hatten etwas Tiefergreifendes, Wehmüthiges, +Trauriges. Ich vermeinte meinen Leichengesang bei lebendigem Leibe zu +vernehmen, ein herzzerreißendes wehmüthiges Klagelied über mein verfehltes +Leben. Ich betete und glaubte zu fühlen, wie der Tod näher zu meinem Herzen +heransteige, faltete unwillkürlich die Hände und betete. + +Jetzt wurde ein anderer Psalm angestimmt, deutlich vernahm ich aus allen +Stimmen heraus einen durchdringenden Tenor, der die Worte sang: + + Die Dunkelheit der Leidensnächte + Verwandelt Er in Wonnetage!-- + +Dieser Vers bohrte sich mit unwiderstehlicher Macht in mein Gedächtniß; ich +mußte ihn stets wiederholen und so oft ich beschloß, denselben zu +vergessen, hatte ich ihn wieder gedacht oder sogar gemurmelt. Es lag etwas +Wunderbares in den einfachen, von mir schon so oft gehörten und niemals +besonders beachteten Worten. + +Finsterniß--Leidensnächte--Er--Wonnetage!--an diese vier Worte knüpfte sich +eine lange Kette von Gedanken, es schien mir, als ob Gott selbst zum Troste +sie mir zugerufen. + +Ich wollte beten, aber ich betete nur diese vier Worte, schlief endlich ein +und als ich spät in der Nacht aufwachte, mahnte mich die Dunkelheit im +Gemache an die Dunkelheit meines Lebens und meiner Lage. + +Drüben in der Stube des Krankenwärters schlug die Wanduhr langsam und +schwermüthig die zehnte Stunde. Dies war die Zeit, in welcher unsere Eltern +auch von mir allabendlich den Gutenachtkuß erhielten und gaben. + +Ich gedachte der Wonnetage unserer Kindheit, der Leidensnächte, welche ich +mir und Euch bereitet, der zahllosen Beleidigungen und Frevel, welche ich +gegen Ihn verübt, der mich verlassen und der Finsterniß, welche in mir +viele Jahre geherrscht. + +Das tiefe Schweigen der Nacht redete furchtbarer als je zu meinem Herzen, +der Nachbar im Nebenzimmer war heute verschieden, ich glaubte ihn jeden +Augenblick zur Thüre hereintreten, mich mit glanzlosen Augen und dem +haarsträubenden Gesichtsausdrucke dessen, der die Ewigkeit mit ihren +Schrecken erblickt, betrachten zu sehen und zu hören, wie er vom Jenseits +redete. Diese Vorstellungen wurden immer lebhafter, kalter Schweiß +überrieselte mich; ich wollte rufen, aber die Stimme versagte, vergeblich +schloß ich die Augen und steckte den Kopf unter die Decke--immer sah ich +den gräßlichen Boten der Ewigkeit vor mir, sah trotz der Decke und +Dunkelheit, wie das Gemach sich mit Verstorbenen anfüllte, ich glaubte zu +ersticken und war nicht im Stande ein Glied zu rühren. Ich sah den Vater, +die Mutter, sie betrachteten mich mit Augen, in denen mein +Verdammungsurtheil stand, verstorbene Freunde, die mich anstierten, +Kameraden, welche den arabischen Sand mit ihrem Blute getränkt und mit +denen ich so Vieles gesündiget und hinter ihnen eine gräßliche Gestalt, die +mir zuwinkte und verschwand. An ihrer Stelle stand eine Lichtgestalt, der +Glanz, der von ihr ausströmte, verklärte Alles ringsum. Leise, dann lauter, +bald feierlich und majestätisch, bald weich und milde ertönten die Worte +vielstimmig in Einem fort: + + Die Dunkelheit der Leidensnächte + Verwandelt Er in Wonnetage! + +Das Geschrei der Schildwachen weckte mich aus einem Zustande, der mir den +Zustand der Verdammten und der Seligen geoffenbart. Hatte ich geträumt? War +Alles Alpdrücken? Spiel der erhitzten Einbildungskraft? Ich weiß es nicht, +doch das weiß ich, daß ich ganz anders als früher betete und +augenblickliche Buße, den Beginn eines neuen Lebens gelobte und meine Seele +ihrem lange genug verkannten Erlöser empfahl. Gebet und Gelübde verliehen +mir wunderbaren Trost und eine Freudigkeit des Geistes, wie ich dieselbe +noch niemals empfunden. + +Der Krankenwärter trat herein, um nach mir zu schauen. Er versicherte, daß +ich lange und laut geredet. Auf meine Bitte zündete er ein Licht an und +holte ein Gebetbuch, um Etwas vorzulesen. War es Fügung oder Zufall, daß er +gerade das Gedicht des heiligen Bernhard: + + Jesu, dein süß Gedächtnis macht, + Daß mir das Herz vor Freuden lacht! + +ein Gedicht, dessen unbeschreibliche Innigkeit und göttliche Liebe nur ein +gläubiger Christ vollkommen erfaßt, aufschlug? Er mußte es mehrmals +wiederholen und ich schämte mich der heißen, ebenso schmerzlichen als süßen +Thränen nicht, welche es mir auspreßte. + +Der Krankenwärter ging. Doch blieb ich nicht allein--mein Schutzgeist, mein +Erlöser befanden sich bei mir und vernahmen von meiner Reue und Liebe +Alles, was die Verwandlung der Leidensnächte in Wonnetage mir gegeben. Nach +einem erquickenden Schlummer wachte ich auf, als die milden Sonnenstrahlen +eines schönen Herbsttages bereits in mein Gemach spielten. Den ganzen Tag +verwendete ich zur ernsten Gewissenserforschung, gegen Abend legte ich +meine Generalbeichte ab und empfing wohl zum erstenmale würdig den Leib +Jesu Christi. Wer gegen die Ohrenbeichte der Kirche auftritt, zeigt damit +nur, daß er noch nie recht beichtete und wer im heiligen Abendmahl etwas +Anderes als den verwandelten Christus findet, beweist, daß das innerste +Wesen des Christenthums, das Liebesverhältniß der Menschenseele zu Gott, +ihm noch nicht recht aufgegangen ist. + +Gott war fortan mit mir und ich bei Ihm und wenn auch Schwachheit und +Sündhaftigkeit mich Ihm zuweilen zu entfremden drohten, kehrte ich +inbrünstiger zu Seinen Füßen zurück. + +Ich betete viel und meist ohne Gebetbuch. Außer der Nachfolge Christi und +der Philothea genügte mir kein Gebetbuch.-- + +Verbrechen, welche vom Gesetze geahndet werden und an sich entehrend sind, +habe ich außer dem, welches mich in den Kerker führte, glücklicherweise +keine begangen, aber will dies Vieles bedeuten? + +Wie mangelhaft, wandelbar, verschieden sind Gesetzgebungen! + +Unter Vielem, was mir schwer auf der Seele liegt, ist es besonders das +Geld, welches ich im Amtsgefängnisse einem Bauernknechte herauslockte. Noth +trieb mich dazu, meine Ansichten vom Eigenthum ließen mir den Schritt um so +erlaubter erscheinen, weil ich ernstlich an Zurückgabe dachte. + +Du weißt, daß Ersatz unmöglich geworden, weil der Betrogene im Gefängnisse +an der Schwindsucht starb und keine Seele besaß, die er sein eigen nannte +außer der eines unserer Mitgefangenen, des Duckmäusers. Doch werde ich +Alles thun, um den Schaden auf andere Weise gut zu machen.----Ich weiß, daß +meine frühern Freunde mich als einen schwachköpfigen oder schlauen +Renegaten verachten und verfolgen werden und beklage mich nicht darüber. +Der Stolz, ein consequenter und entschiedener Communist gewesen zu sein, +hat sich in das Gegentheil verkehrt und ich bin wohl am besten dabei +gefahren. Es ist nicht die Aufgabe des Menschen, auf einem Standpunkte zu +beharren, namentlich wenn er denselben als einen einseitigen und falschen +erkennt, sondern sich immer mehr zu vervollkommnen.--Gegen die furchtbaren +Gefahren, welche aus der täglich zunehmenden Verarmung, Verdienstlosigkeit +und Verzweiflung der Massen erwachsen, hat nur die Weltkirche Jesu Christi +Beschwörungsformeln, denn sie lehrt Leiden ertragen und in Freuden +verwandeln und zeigt nicht nur den Weg zur ewigen, sondern auch zur +zeitlichen Wohlfahrt. Im Christenthum als der absolut wahren Religion liegt +auch die einzig ächte Nützlichkeitsphilosophie, die Lösung der sozialen +Fragen verborgen. Von der Stellung, welche die verschiedenen Staaten und +Stäätlein zur Kirche einnehmen, wird der Fortbestand oder Sturz dieser +Staaten und Stäätlein abhängen. Staaten müssen sich aufrichtig bessern +gerade wie einzelne Menschen und wenn große Staaten wie Oesterreich und +Preußen mit gutem Beispiele vorangehen, wenn man das Aufleben kirchlicher +Gesinnung beim Volke beachtet, darf man ruhiger in die Zukunft blicken. +Stürme werden nicht ausbleiben, aber die Pforten der Hölle werden Christi +Kirche nicht besiegen und das revolutionäre Heidenthum wird den Bestand +_christlicher_ Staaten und das Fortleben _christlicher_ Völker +nur stören, doch nicht zerstören. + +Aber Religion, positive Religion muß in Palästen und Kabineten, in +Deputirtenkammern und Amtsstuben so gut als in Hütten wohnen; bei den +Reichen und Besitzenden muß die Charitas des Mittelalters neu aufleben; das +positive Christenthum muß Obermacht über das herrschend gewordene +Heidenthum erlangen, wenn die moderne Gesellschaft nicht ein ähnliches +Geschick erleben will wie einst die versinkende Römerwelt!-- + + + + +#V.# + + +--Sie haben vollkommen recht: die nationalen Eigenthümlichkeiten müssen bei +Zellengefangenen berücksichtiget werden, ja ich glaube, daß +Zellengefängnisse für südliche Völker nichts taugen. Der schweigsame, +kaltblütige Engländer mag sich begnügen mit flüchtigen Besuchen, welche den +Charakter polizeilicher Controlle tragen, pietistische Tractätlein und die +Offenbarung Johannis mögen sein Herz nicht mit dem Kopfe davon rennen +lassen und er mag nichts vermissen, wenn sein Verhältniß zu Beamten und +Aufsehern nichts Herzliches und Freundschaftliches an sich trägt, nicht +aber so der Deutsche. Der Hang zum Grübeln und Schwärmen, die Innerlichkeit +und Gemüthlichkeit des Deutschen ist auch beim Verbrecher zu +berücksichtigen und darin liegen Anknöpfungspunkte für seine Besserung wie +für Geistesstörung und Selbstmord. Senden sie schweigsame, spröde +Korporalstockpedanten in deutsche Zellengefängnisse, geben Sie dem +Gefangenen nur religiöse Bücher, bestellen Sie für ihn Geistliche, welche +in religiösen Angelegenheiten das Gefühl zum Dictator machen, und +verdoppeln Sie die, besonders in den ersten zwei Jahren namhaften, Leiden +der Einzelhaft durch Strafverschärfungen--so werden je nach der Dauer der +Strafzeit unbrauchbare Menschen oder Krüppel aus den Zellen heraustreten, +manche Zelle der schauerliche Schauplatz eines Selbstmordes und die +Irrenanstalten mit Rekruten versehen werden. + +Was die _Strafverschärfungen_ angeht, so hat bei uns wie anderswo die +Liebhaberei dafür so sehr Platz gegriffen, daß man Bruchsal mit mehr Recht +bald eine _neu aufgelegte und vermehrte Abschreckungsanstalt_ denn +eine _Besserungsanstalt_ nennen dürfte. Selten wird Einer von den +Schwurgerichten verurtheilt, ohne eine Anzahl von Hungerkost- und +Dunkelarresttagen auf den Weg zu bekommen. + +Unstreitig sind Strafverschärfungen und unter diesen vor Allem Hungerkuren +das wirksamste Mittel, den Stammgästen der Zuchthäuser das Zuchthaus zu +verleiden oder sie bequem ins Jenseits zu spediren. Gewohnheitsdiebe sind +ebenso Kinder des Unglücks als der Unverbesserlichkeit, das Zuchthaus ist +ihre Versorgungsanstalt--sie gehören zu Jenen, welche leben wollen, ohne +Geld zu besitzen, und dies ist in unsern "christlichen" Staaten ein so +unverschämtes Verbrechen, daß Einer von Rechtswegen gleich nach der Geburt +einen Laufpaß in die Ewigkeit erhalten sollte und zwar aus purer +"Humanität", denn das Leben der Armen wird mehr oder minder zum langsamen, +qualvollen Sterben. + +Weil das Heidenthum in den Köpfen unserer Gesetzgeber und Besitzenden +spukt, deßhalb will ich nichts gegen Strafverfolgungen sagen, die bei +Gewohnheitsdieben angewendet werden. + +Allein nicht nur alte Zuchthausbrüder, sondern Solche, die zum erstenmal in +eine Strafanstalt kommen; ferner nicht nur die Sträflinge, welche +gemeinschaftlich zusammenleben, sondern auch Zellenbewohner werden mit +Strafverschärfungen bedacht und zudem müssen die Tage der Hungerkost und +des Dunkelarrestes gemeiniglich in der ersten Zeit der Haft durchgemacht +werden, weil die Dauer der Strafe häufig eine ziemlich kurze ist. + +Dies erscheint meinem beschränkten Unterthanenverstande nicht klug, nicht +recht, nicht zweckmäßig. Nicht klug--denn der Staat muß die Hungerkuren der +Sträflinge theuer genug bezahlen. Abgesehen von der großen Mühe der +Beamten, deren Geschäfte vermehrt werden, leidet der Gewerbsbetrieb dadurch +Noth und wird die Gesellschaft mit arbeitsunfähigen Menschen bereichert. +Nicht gerecht--denn anerkannt gilt Einzelhaft schon an sich als eine +Strafverschärfung und weßhalb sollen Zellenbewohner ärger bestraft werden +als andere? Zufall, Laune, die Erklärung des Verurtheilten entscheiden +darüber, ob derselbe in die Zelle komme oder nicht, folglich auch über den +höhern oder niedern Grad der Strafverschärfung Nicht zweckmäßig--denn der +Hunger entkräftet, foltert und tödtet wohl den Leib, doch bessert er den +Betroffenen schwerlich. Raubvögel werden durch Hunger zahm; diesen muthet +man keine Arbeit, keinen Besuch der Schule und Kirche, kein gesetzmäßiges +Verhalten und keine lieb reichen Gesinnungen gegen Mitraubvögel zu, alles +dieses dagegen hungerigen Menschen; und solche Behandlung soll fühlende, +bewußte Menschen mit Liebe gegen Mitmenschen entflammen? Den Glauben an +einen gerechten Gott erwecken? Klingt es nicht wie herber Hohn, Gefangenen +die Religion der Liebe verkündigen, während man den ganzen Haß der +Gesellschaft gegen sie fühlbar macht? + +Was den Dunkelarrest betrifft, so ist dieser auch nicht geeignet, das +Innere des darin Sitzenden zu erleuchten. Einige Tage Dunkelarrest mögen in +Kasernen und Amtsgefängnissen gut wirken, doch Sträflinge, welche ohnehin +gefangen sind und bleiben, werden im Allgemeinen dadurch zur Onanie und zum +Faullenzen angeleitet. Für Sträflinge in gemeinsamer Haft bleibt der +Dunkelarrest eine oft gar nicht unangenehme kleine Abwechslung, bei +Zellenbewohnern kann er leicht Anlaß zu Seelenstörungen und Selbstmord +geben, da ihre ohnehin aufgeregte und reizbare Gemüthsverfassung dadurch +gesteigert wird. + +Will man doch einmal Sünder gegen das Eigenthum oder gegen Leib und Leben +Anderer den Thieren gleich stellen, so stelle man sie eher in die Reihe der +Hausthiere anstatt in die der Raubthiere und führe die _Prügelstrafe_ +wiederum ein. + +Die Prügelstrafe ist unstreitig die wohlfeilste, wirksamste und für gewisse +Klassen von Menschen wohl auch die angemessenste und gerechteste aller +Strafen. Von dem Grundsatze ausgehend, daß nicht sowohl der Mensch im +Menschen als das Thier in demselben gezüchtiget werde, sollte man für drei +Fälle von Vergehen Stockprügel auch außerhalb der Gefängnisse bereit haben. +Erstens für händelsüchtige, rohe Bursche, weiche besonders in weinreichen +Gegenden, bei Tanzgelegenheiten und anderswo Händel und Schlägereien +stiften. Zweitens verdienen sittenlose Mannsleute und freche Weibspersonen, +die am lichten Tage oder im Zwielicht hündische Schaamlosigkeit beweisen, +den Hunden gleich gezüchtiget zu werden ohne Rücksichtnahme auf Stand oder +Rang. Drittens endlich verdient Schläge, wer ein Weib schlägt. Uebrigens +möge uns Gott vor jener guten alten Zeit bewahren, in welcher der Stock das +A und das O der Beamtenweisheit ausmachte. Einzig und allein in obigen drei +Fällen möchte ich Prügel für Nichtgefangene empfehlen. Begreiflicherweise +gibt es in Strafanstalten Leute, für welche Prügel eine große Wohlthat sein +möchten und ich bleibe überzeugt, daß ein aus lauter Sträflingen +bestehendes Gericht gar oft auf Prügelstrafe für einen ihrer Kameraden +erkennen würde. + +Allein nicht einmal im Zuchthause möchte ich die Anwendung von Prügelstrafe +dem Ermessen des einzelnen Beamten anheimstellen, geschweige Aufsehern und +Werkmeistern den Stock in die Hand geben. Vorstand, Verwalter, Buchhalter +und Oberaufseher sollten in geeigneten Fällen durch Stimmenmehrheit für +oder gegen Anwendung des Stockes und Zwangstuhles entscheiden, jedoch +niemals, ohne ein Mitglied des s.g. Aufsichtsrathes beizuziehen. Die letzte +Bestimmung der durchdachten und vortrefflichen Bruchsaler Hausordnung +heißt: "Gegen solche Straferkenntnisse, wofür theils der Vorstand, theils +der Aufsichtsrath zuständig ist, steht dem Sträfling der Rekurs, in der +Regel jedoch ohne aufschiebende Wirkung, an den Aufsichtsrath, +beziehungsweise an das Justizministerium zu."--Diese Bestimmung sollte +überall Aufnahme finden, namentlich wo Prügel einheimisch geworden, denn +nichts ist so sehr geeignet, das Rechtsgefühl des Verbrechers vollends +abzustumpfen und zu tödten als ungerechte, willkürliche Behandlung und +nichts so tauglich, alles Ehrgefühl gründlich zu vernichten, denn +ungeeignete Prügelstrafe. + +Das Ehrgefühl sollte man im Verbrecher fast mehr schonen und pflegen als +bei andern Leuten, denn wie ein Mensch ohne Ehrgefühl ein ordentlicher +Bürger oder erträglicher Christ werden mag, sehe mindestens ich nicht ein. +Selbst falsches Ehrgefühl ist zehnmal besser als gar keines und großartige +Selbsterhebung zehnmal besser als gemeine Selbstwegwerfung. + +Bei uns entehrt Zuchthausstrafe an sich und ich halte derartige Ausdehnung +der Entehrung für die Mutter vieles Schlimmen. Sie stellt Jeden, der eine +von der dermaligen Gesetzgebung als ehrlos verpönte Handlung begangen, mit +Sträflingen in Eine Reihe, welche längst jeden Begriff von Ehre verloren +haben und setzt dadurch seiner Besserung in der Strafanstalt wie seinem +ehrlichen Fortkommen nach erstandener Strafe mächtige Hindernisse entgegen. + +Entehrung durch Zuchthausstrafe bleibt aber auch ungerecht, so lange die +Gesetzgebungen nicht alle an sich entehrenden Handlungen mit +Zuchthausstrafen bedenken. Diese Gesetzgebungen sind sehr mangelhaft schon +dadurch, daß sie Ein Gebot Gottes mit aller Macht in Schutz nehmen, andere +dagegen fast ganz außer Acht lassen. + +Namentlich ist unsere Eigenthumsgesetzgebung eines der auffallendsten +Zeugnisse für die Siege, welche das Heidenthum in unsern christlichen +Staaten davon getragen. In meinen Augen ist ein Straßenräuber bei weitem +kein so verächtlicher und ehrloser Mensch denn ein Jungfrauenschänder und +ein ehrloser, feiger Spitzbube mehr werth als ein Ehebrecher. + +Straßenraub wird furchtbar bestraft, selbst wenn verzweifelte Noth dazu +trieb--Jungfrauenschänder mit und ohne Von vor ihrem Namen, mit und ohne +Epauletten stolziren vornehm an Strafanstalten vorüber und es fällt ihnen +nicht im Traume bei, daß sie von Gott und Rechtswegen härter als +Straßenräuber und Spitzbuben bestraft gehören. + +Schändliche Wucherer, gewandte Betrüger ruiniren ihre Mitmenschen innerhalb +der gesetzlichen Schranken und freuen sich, sobald sie in Zeitungen oder +anderswo die Entdeckung einer neuen Tortur gegen arme Teufel, die eine +Kleinigkeit stahlen, zu lesen bekommen. + +Will man gar vom ersten der 10 Gebote anfangen--doch ich will nicht, denn +mein Blut fängt an zu sieden und die Hand zittert vor gerechtem Zorn! Man +geräth in Gefahr, in der That zu glauben, die _Armuth_ sei die einzige +Todsünde, welche bei der Welt keine Vergebung finde und das +_Erwischtwerden_ das einzige Verbrechen, insofern man aus dem kleinen +Zuchthaus in das große hineinschaut und Betrachtungen über Leben, Treiben +und das Loos der Armen und Reichen sammt Vergleichen zwischen Räubern, +Dieben, Mördern, Nothzüchtern einerseits und anständigen, honetten, +besitzenden und oft sogar fromm thuenden--Schurken anderseits anstellt. + +Ihrem Wunsche gemäß nur noch _Ein Wort über Besserung der +Zellengefangenen._ + +Ein solcher kann in der Zelle allerdings Beweise von Besserung geben und +zwar bessere als ein Freier. Sein hartes Loos um Jesu Christi willen still +und geduldig ertragen, sich der Erfüllung aller Pflichten fröhlich und +freudig unterziehen, dies vermag er und Sie dürfen fest annehmen, daß ein +gebesserter Zellenbewohner durch Mienen, Gebärden, Reden und Handlungen +sich vom ungebesserten unterscheidet. + +Weil alte Verbrecher bei uns in die Zelle kommen, alte und junge häufig nur +kurze Strafzeit haben und mit Strafverschärfungen bedacht werden, daher mag +es rühren, daß die Früchte der Einzelhaft bei uns nicht recht sichtbar +werden wollen. + +Aber noch Etwas, worauf gewöhnlich wenig Gewicht gelegt wird. + +Ein Gefangener mag gebessert sein, d.h. er mag mit lebendigem religiösen +Glauben das aufrichtige Streben verbinden, nicht nur gesetzmäßig, sondern +allen göttlichen Geboten gemäß zu leben und nach der Freilassung dennoch +wieder in alte Ansichten, Fehler, Laster und Verbrechen zurückfallen. +Warum? Die Gesellschaft trug mehr oder minder Mitschuld an seinem ersten +Verbrechen, sie gab ihm in der Zelle Gelegenheit und Mittel zur Bildung und +Besserung, er ergriff dieselben und tritt versöhnt mit Gott und Welt in die +Freiheit hinaus. Doch was findet er da? Hat die Strafe mit der Entlassung +ein Ende? + +Gott bewahre, _die Strafe wird in anderer Weise fortgesetzt und oft in +einem Grade, daß ein Heiliger dazu gehörte, um sich nicht in den +verlassenen Kerker zurückzusehnen._ + +Zunächst weist ein unpassendes Gesetz den Entlassenen nach Hause und was +findet er dort? Lieblose Verachtung, ungerechte Vorwürfe, keine Arbeit und +keine Unterstützung, dagegen böses Beispiel, schlechte Kameraden, Anlaß und +Gelegenheit zu Lastern und Verbrechen. Der alte Mensch in ihm stirbt nicht +so leicht und rasch, wie dies zu wünschen wäre, er geräth in Versuchung, +abermals an Gottes Güte und Gerechtigkeit zu verzweifeln, weil die Menschen +ihm täglich Ursache geben, an ihnen zu verzweifeln. Er bereut seine +Besserung, weil dieselbe doch keine Anerkennung und weil er findet, daß +Andere sich nicht besserten und begeht aus Rachsucht oder Verzweiflung +manchmal eine That in der Absicht, wiederum ins Zuchthaus zu kommen, wo er +Nahrung, Kleidung, Wohnung und wenn ein auch noch so kümmerliches doch +ungeschornes Leben findet. + +Nicht weil nothwendig ein Rückfälliger ehrlos ist, sondern weil die +Mitmenschen ihn als Ehrlosen behandeln, _wird_ er es wirklich. + +Schließlich noch eine Ansicht über Todesstrafe. + +Ich bin derselben im Ganzen nicht gewogen und sehe in ihr eine Frucht der +Fortdauer heidnischer und barbarischer Zustände. Doch gibt es Leute, deren +Gemüth mehr oder minder durchteufelt ist und Verbrechen, welche unter so +schauderhaften Umständen verübt werden, daß man für den Tod des Thäters +fast unwillkürlich stimmt, indem man die Opfer der That bedenkt. + +Aber man sollte erstens nach der Verurtheilung Keinen wochen- und +mondenlang zwischen Tod und Leben hängen lassen, indem man ihm die +Möglichkeit der Begnadigung übrig läßt; ferner sollte man zweitens dem +Verurtheilten volle Gewißheit seines Todes geben, ihm den Tag und die +Stunde desselben verkündigen und mindestens einige Wochen Zeit lassen, sich +auf seinen Tod vorzubereiten; drittens endlich sollte man Keinen vom +Schafot zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigen, dessen Verbrechen +voraussichtlich keine späteren Milderungen der Strafe erwarten läßt. +Lebenslänglich im Zuchthause sein, heißt langsam und qualvoll hingerichtet +werden; gebessert aber wird selbst kein zum Tode Verurtheilter, wenn er +unter Sträflingen lebt. + + * * * * * + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Zuchthausgeschichten von einem +ehemaligen Züchtling, by Joseph M. Hägele + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZUCHTHAUSGESCHICHTEN *** + +***** This file should be named 16279-8.txt or 16279-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/1/6/2/7/16279/ + +Produced by Robert Kropf and the Online Distributed +Proofreading Team at https://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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Hägele</title> +</head> +<body> + + +<pre> + +The Project Gutenberg EBook of Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen +Züchtling, by Joseph M. Hägele + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Zuchthausgeschichten von einem ehemaligen Züchtling + Zweiter Theil + +Author: Joseph M. Hägele + +Commentator: Alban Stolz + +Release Date: July 13, 2005 [EBook #16279] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZUCHTHAUSGESCHICHTEN *** + + + + +Produced by Robert Kropf and the Online Distributed +Proofreading Team at https://www.pgdp.net + + + + + + +</pre> + + + + +<center><h2>Zuchthausgeschichten<br> +von<br> +einem ehemaligen Züchtling</h2></center> +<center><h3>von Joseph M. Hägele</h3></center> +<center> +<p> </p> +<p><b>Mit einem Vorwort</b><br> +von<br> +<b>Dr. Alban Stolz</b><br> +Professor an der Universität zu Freiburg.</p></center> +<p> </p> +<center><h2>Zweiter Theil</h2></center> +<p> </p> +<h3>Inhalt:</h3> +<p> +<big><b><a href="#Duckmauser">I. Der Duckmäuser</a></b></big><br> + <b><a href="#1">1. Der Duckmäuser als Schulbube</a></b><br> + <b><a href="#2">2. Dorfgeschichten</a></b><br> + <b><a href="#3">3. Duckmäusers Glücksstern erbleicht</a></b><br> + <b><a href="#4">4. Junges Glück und alter Hochmuth</a></b><br> + <b><a href="#5">5. Der Duckmäuser wird Soldat, sucht und findet in der Kaserne Vorbilder</a></b><br> + <b><a href="#6">6. Die Kirchweihe</a></b><br> + <b><a href="#7">7. Wie Einer fast ohne Schuld des Teufels werden kann</a></b><br> + <b><a href="#8">8. Itania, das Kasernenhäschen, der Deserteur</a></b><br> + <b><a href="#9">9. Der Duckmäuser läßt sich Etwas erzählen</a></b><br> + <b><a href="#10">10. Bruchsal</a></b><br> +<big><b><a href="#Briefe">II. Aus den Briefen des Spaniolen</a></b></big><br> + <b><a href="#B0">1. Vorbericht</a></b><br> + <b><a href="#B1">2. I.</a></b><br> + <b><a href="#B2">3. II.</a></b><br> + <b><a href="#B3">4. III.</a></b><br> + <b><a href="#B4">5. IV.</a></b><br> + <b><a href="#B5">6. V.</a></b> +</p> +<p> +Münster, 1853.</p> + +<p><small>[ ] Korrektur von Satzfehlern / correction of typos</small> +</p> +<h2><a name="Duckmauser"></a>Der Duckmäuser</h2> +<p> +Wir befinden uns im Krankensaale des Zuchthauses zu Freiburg. Es ist ein +helles, freundliches, trauliches Gemach; die reinlichen Betten mit ihren +Täfelchen oben an der Wand, die einfachen, doch stets blank gescheuerten +Nachttische, der lange Tisch mitten in der Stube, dort an der Säule die +Schwarzwälderuhr mit ihrem bunten Zifferblatte und schwerfälligem, +regelmäßigen Picken, der große Kachelofen dort neben der Thüre, dessen gelb +glasirte Kacheln mit dem mattgrünen Wandanstriche harmoniren, der +Ordinationskasten mit seinen Flaschen, Gläsern, Schüsseln und Düten +obendrauf, all dieses zusammen macht einen gemüthlichen, wohlthuenden +Eindruck und das geschäftige Hin- und Hereilen des Krankenwärters, das +freundlich stille Benehmen des Aufsehers, das menschenfreundliche des +Arztes und der Beamten bei ihren Besuchen lassen Einen schier vergessen, +daß man ein Zuchthäusler, ein Gefangener sei und dies um so mehr, weil die +Tracht der Sträflinge durch die langen weißen Röcke der Genesenden in +Vergessenheit gebracht und der Lärm der Arbeitssäle nur von weitem zu hören +ist.</p> +<p>Dort an einem Fenster sitzt ein bleicher, hohläugiger Bursche, hüstelt +zuweilen und schaut mit seinen großen Augen, aus welchen bereits der +Lichtschimmer einer andern Welt leuchtet, schwermüthig und sehnsüchtig in +die herrliche Landschaft hinaus. Das nahe Gebirge mit seinen bunten +Wäldern, langen Kämmen und Felsenwänden, die Hügel mit ihren Kapellen, +Schlössern, Höfen, Obstgärten, Weinbergen und wogenden Saatfeldern, das +weite sonnige Rheinthal mit seinen blitzenden Quellen und Bächen, +unübersehbaren Matten und Feldern, Alleen und kleinen Wäldchen, aus denen +die Kirchthürme vieler Dörfer herüberwinken, im Hintergrunde eine lange im +Duft verschwindende Waldlinie, weiter hinten eine Hügelkette voll Dörfern, +gleichsam mitten in einem ungeheuern Garten stehend, vom dunkeln, den +Gebirgszug abschließenden Walde umzäumt; zuletzt hinter diesem mächtigen +Zaune das mächtige, wie eine dunkle Wolkenmasse in das gartenähnliche +Rheinthal herüberstarrende Vogesen-Gebirge, auf welches sich das tiefe Blau +des Himmelsdomes zu stützen scheint—all dieses gewährt einen Anblick, +dessen entzückende Schönheit der roheste Sträfling tief empfindet, wenn er +auch seine Empfindung niemals auszusprechen und noch weniger mit dem Messer +des Verstandes anatomisch zu zergliedern versteht.</p> +<p>Und wenn erst die leuchtende Königin des Tages hinabtaucht in einem +Gluthmeere voll unaussprechlicher Farbe, ihre halbe Scheibe hinter den +dunkeln Vogesen vollends versinkt, ihre letzten Strahlen aus hundert +Fenstern und Quellen blitzen und zucken, das weite Rheinthal, die Höhen des +Schwarzwaldes mit einem rosigen Verklärungsschimmer übergießen, der mehr +und mehr, die Ebene dem Sohne der Nacht, dem Schatten überlassend die Höhen +emporfließt, von den höchsten Gipfeln noch einen Scheideblick in das +dämmernde Thal hinabwirft und dann zum Himmel zurückkehrt—ach, man glaubt +Gott über das Land schreiten zu sehen, in ein versinkendes Paradies +hineinzuschauen! ...</p> +<p>Im kranken Gefangenen wird der Verbrecher vergessen, wenn er nicht selbst +daran erinnert, das Damoklesschwert der Hausordnung hängt minder drohend +über seinem Haupte, an die Stelle unerbittlicher Beamten tritt der heilende +Arzt.</p> +<p>Der Gefangene nähert sich einigermaßen dem Zustande der Freiheit, die +Krankenstube verbindet ihn durch die Aussicht in den Marktlärm des +Stadtlebens mit der Gesellschaft, durch die Aussicht in die wunderliebliche +Landschaft mit der Natur, durch beides mit Gott etwa? Selten! ...</p> +<p>Alle Vortheile, aber auch alle Nachtheile der Krankenstuben ordentlicher +Spitäler finden sich in diesem Saale des Zuchthauses vereiniget.</p> +<p>Gegenwärtig liegen nur wenige Kranke in den Betten, mehrere sitzen auf dem +Rande derselben oder auf einfachen Stühlen, andere am langen Tische, um +Kaffeebohnen auszulesen oder Düten zu fabriziren.</p> +<p>Mild und freundlich schaut die Sonne herein, der ergraute Aufseher macht +ein Schläfchen, wer wollte es ihm verübeln? Tausende von Nächten hat er in +einer langen Reihe von Jahren treulich durchwacht, schon seit zwölf Uhr +Nachts ist er wieder auf den alten Beinen, die Natur überwältiget ihn, er +mag immerhin duseln und träumen von einer bessern Besoldung! ...</p> +<p>Mehrere Gestalten sind uns bekannt.</p> +<p>Auf jenem Bette liegt halbaufgerichtet der Mordbrenner aus der Baar, stützt +das Bulldoggengesicht in die schwielenharte Faust und starrt finster und +trotzig durch die hellen Scheiben in das freundliche Himmelsblau.</p> +<p>In jenem Winkel lehnt der Exfourier, blättert in einem alten, +halbzerrissenen Gebetbuche und das höhnische Zucken der Mundwinkel zeigt +schon, daß er nicht betet, sondern critisirt, wenn er auch nicht von Zeit +zu Zeit über "den Thurm Davids, das elfenbeinerne Gefäß und goldene Haus" +seine Kasernenwitze losließe.</p> +<p>Neben ihm liegt Martin der Wirthssohn, das Gespenst des früheren +Schlosserlehrlings mit verzweiflungvoller Resignation lächelnd, wenn er zu +fühlen vermeint, wie der Tod langsam zu seinem Herzen steige.</p> +<p>Das Murmelthier fehlt auch nicht, sondern schnarcht den Faden des Lebens +weiter, während im weißen Nachtrocke und Pantoffeln leise eine Gestalt mit +gebräunter, von tiefen Leidenschaften durchwühltem Gesichte auf und ab +wandelt—der Spaniol, der vor kurzer Zeit mit dem betrogenen und als Räuber +zum zweitenmal verurtheilten Zuckerhannes hier zusammentraf. Von Zeit zu +Zeit steht der Spaniol düster sinnend an einem Fenster, welches in das +Straßenleben der Stadt hinabsehen läßt und ein wilder Schmerz arbeitet in +seinen Zügen. Draußen Revolution, der erste Kanonendonner der "großen +Zukunft" und er—mit seinen himmelstürmenden Ansichten, seiner verzehrenden +Thatkraft und seinem brennenden Ehrgeize ein Sträfling, ein ohnmächtiger +Gefangener, ein gemeiner Verbrecher! ...</p> +<p>Kein Wunder, daß er heute nicht predigt; sein Stolz läßt ihm keine laute +Klage zu, aber er herrscht auch hier und würde nicht nur der Liebling der +meisten Beamten und Aufseher, sondern wohl auch der meisten Mitgefangenen +sein, wenn nur der kropfige Zuckerhannes nicht da wäre und geplaudert +hätte.</p> +<p>Doch diesen blutarmen Menschen um die sauerersparten Pfenninge betrügen, +das ist eine That, welche auch im Zuchthause nicht immer Vergebung findet +und weil der Betrogene den Spaniolen als Vater seines ganzen Unglücks +betrachtet, nichts von der Rechtfertigung desselben hören mochte und bei +der Mehrzahl der Sträflinge in der ersten Zeit vollen Glauben fand, deßhalb +neigte sich der Spaniol bisher mehr den Hütern als den Gehüteten zu und +soll neulich den ärgsten Aufseher im Eifer für die Hausordnung überboten +haben.</p> +<p>Wenn er naht, verstummen die Meisten, aus ihren Blicken kann er Vieles +lesen, heute mag er nicht predigen! ...</p> +<p>Der Zuckerhannes selbst liegt im Bette, athmet zuweilen schwer auf und +hustet krampfhaft, horcht auf die Reden einer kleinen Gruppe seiner nähern +Freunde, welche ganz in seiner Nähe sich niedergelassen hat.</p> +<p>Da finden wir den einst so fröhlichen und lebendigen, jetzt immer düstern +und schwermüthigen Bläsi, aus der Pfalz, diesen unglücklichen Dragoner, den +das Schicksal so hart vom Gaule geworfen.</p> +<p>Neben ihm sitzt der Patrik von Hotzenwald, dieser rohe, ungehobelte, doch +gutmüthige und witzige Spitzbube, der immerhin noch mehr werth ist, denn +sein Nachbar, der Donat, dessen Geschichte deutlich zeigt, was aus einem +Menschen ohne Erziehung, Geld und Religion werden kann, wenn der Stachel +der Genußsucht tief im Fleische mit seinen lüsternen Schwingungen steckt.</p> +<p>Diese Leute hören dem Duckmäuser zu, welcher keine Gelegenheit fand, dem +Zuckerhannes Gutmachgeld zu senden und sich jetzt nach Bruchsal gemeldet +hat, weil er voraussieht, sein einziger Freund werde nicht mehr mit dem +Leben davonkommen. Den langwierigen Todeskampf des Unglücklichen darf und +mag er nicht ansehen, mag nicht erleben, daß eines Tages ihm das Glöcklein +verkündiget, der Hegäuer habe ausgelitten und die letzte Freude des +lebenslänglich Verurteilten habe ein Ende. Lieber will er allein, ganz +allein in einer Zelle leben, denn er hat zwar als Bube betrogen und +gestohlen, bei den Soldaten böse Streiche gemacht und zuletzt seinen Vater +ermordet, doch ein grundverdorbener Mensch ist er bei alledem <i>nicht</i> +und wer seine tragische Geschichte kennt, wie der Zuckerhannes dieselbe aus +seinem eigenen Munde hörte oder dazu noch schwarz auf weiß von seiner +eigenen Hand besaß, der kann diesen Unglücklichen nicht mehr verachten, er +muß ihn bemitleiden und begreift, daß ein solcher Mensch mitten unter +Sträflingen jahrelang vereinsamt lebte und Sehnsucht nach der Zelle +empfindet.</p> +<p>Was er jetzt dem verunglückten Dragoner, dem ungeschlachten Patrik und dem +leichtsinnigen Donatle erzählt, sind nur Bruchstücke und der Zuckerhannes +könnte Manches dagegen einwenden, weil er den am Hochmuth laborirenden +Duckmäuser auswendig und inwendig sammt der ganzen Geschichte desselben zu +kennen vermeint und findet, derselbe wasche sich viel weißer als er sei ... +Man mag sagen, was man will, <i>der Mensch</i> ist <i>ein geborner +Aristokrat</i>, denn Jeder will schöner, reicher, gescheider [gescheidter], +vornehmer und besser sein, wie der Andere, jeder sucht bei Andern soviel +als möglich zu gelten und vertuscht, heuchelt, lügt, mag er Bettler oder +Graf oder noch mehr sein; die Sträflinge bleiben auch hierin Menschen und +die Wenigen, die es dahin gebracht haben, mit Sünden, Lastern und +Verbrechen groß zu thun, sind eigentlich verkehrte Menschen, +<i>Unmenschen</i>! ... Der Vatermörder ist kein Unmensch; schon die +Erzählung, welche er seinen Kameraden zum Besten gibt, verräth dem +Eingeweihten die Sucht, nicht schlecht sondern so gut als möglich zu +erscheinen, und wir glauben, die wahre Geschichte desselben beweise, der +arme Tropf sei wirklich unserer Achtung und noch mehr unserer Theilnahme +würdig, seine Geschichte eine sehr lehrreiche Alltagsgeschichte aus den +niederen Volksklassen.</p> +<h3><a name="1"></a>Der Duckmäuser als Schulbube.</h3> +<p> +Wer sich einen Bauersmann vorstellt, der unter seinem Nebelspalter etwas +finster hervorschaut und dessen eckiges Gesicht die Sorgen des Lebens +tüchtig durchfurcht haben, obwohl sie nicht im Stande waren, einen Zug +ernsten Trotzes in unterthänigst kriechende Demuth vor jedem bessern Rocke +zu verwandeln, der hat das Gesicht des Vaters unseres Helden gesehen und +wird den abgetragenen Kittel, die Lederhosen, deren ursprünglich gelbe, die +Weste, deren ehemals rothe in eine von den Malern bisher unentdeckte Farbe +übergegangen ist, nicht vergessen und noch weniger die knorrigen +Eichenfäuste und die breitgetretenen Füße des Mannes. Wer sich näher nach +ihm erkundigte, würde überall erfahren haben, der Jakob sei ein nicht ganz +armer Mann mit sechs lebendigen Kindern, habe niemals recht lesen lernen, +folglich auch den "höflichen Schüler" niemals studirt und sei eine +grundehrliche Haut, welche Gott und den Amtmann fürchte, mit seinem Weibe +glücklich lebe und von jedem Nachbarn geliebt werde, obwohl er ein bischen +hart, unbeugsam und auffahrend dazu sein könne.</p> +<p>Sein Weib, die Theres, mag in ihrer Jugend nicht häßlich gewesen sein, aber +auf dem Lande wird die Schönheit gar rasch verschwitzt und wenn eine Frau +ihre zwölf Kindbetten durchgemacht hat, wirds schlimm aussehen, wenn hinter +der Leibesruine nicht ein treues, frommes Herz schlägt. Doch unter dem +Mieder der Theres sah es gut aus und deßhalb lebte sie auch mit ihrem Alten +recht glücklich, insofern festes Vertrauen auf Gott alle Sorgen und +Drangsale des Tages ohne viel nutzloses Klagen und Weinen überstehen läßt.</p> +<p>Jakob hatte auf dem Felde, in Wald, Stall und Scheune, die Theres an all +diesen Orten, in der Küche, am Waschzuber, in allen Winkeln des Hauses und +im Garten dazu vom Anbruch des Tages bis zur sinkenden Nacht alle Hände +voll zu thun, so daß die Beiden außer an Sonn- und Feiertagen wenig mit +einander plaudern, geschweige zanken konnten. Wenn es so kalt wurde, daß +der Jakob seine 5- bis 8pfündigen Schuhe anziehen mußte, dann wurde er +etwas brummig, denn das war Zeitverlust und wenn der Mond schien, war er im +Stande, noch in der Sommer-Nacht zartes Laub und dergleichen für seine +Kühe, Geisen und Schweine zu holen und es war gut, daß seine Hände nichts +davon wußten, die Brombeeren und Schlehen hätten auch Dornen, und daß er +mit bloßen Füßen im Verhau herumstolperte, ohne von spitzen Dornen, Steinen +und dergleichen mehr als eine Ahnung zu besitzen. In der Nacht bekam er +seine Ruhe, wenn nicht gerade eine Kuh kalbern wollte, das Geschrei der +Kinder beirrte ihn wenig; wenn er die ganze Woche tüchtig gearbeitet hatte +und am Sonntagmorgen vor der Kirche so glatt und freundlich wie ein +Schuljunge hinter dem Ofen hervortrat, wo er sich ohne Spiegel und Seife +musterhaft rasirte, dann pflegte er zu sagen: "Theres, die Arbeit ist +gethan, heute wird zum Herrgott gebetet und Mittags im Hirzen drüben ein +Hälbsle getrunken, wenn auch der Bettelvogt noch zehnmal schellt von wegen +der Herrensteuer!" ...</p> +<p>Die Theres freute sich auch auf den Sonntag, denn wenn es für sie auch +keinen Hirzen gab, so gab es doch eine Kirche und eine rechte Predigt und +ordentlicher Gottesdienst erquickt ein frommes Weibergemüth mehr, denn ein +Fäßlein Burgunder oder gar Capwein. Die Woche über kam die Theres kaum zum +Athemholen und in der Nacht, wenn der Jakob schnarchte trotz der größten +Baßgeige, fing die Plage erst recht an, denn die eisgraue Großmutter konnte +die Kinder in der Nacht nicht alle pflegen und schweigen und trocken legen, +und wenn eines zahnte oder sonst krankte, schlossen die beiden armen Weiber +oft kein Auge.</p> +<p>Am Sonntag aber wars so traulich in dem aufgeputzten Häuslein, als ob die +Leute die Kirche aus dem Gottesdienste mit sich genommen hätten und Mittags +stand auch Fleisch auf dem Tische, an hohen Festtagen Wein aus dem hintern +Fäßlein, wo der Alte und Gute älter und besser wurde, während der +Gewöhnliche vom Essig wenig sich unterschied.</p> +<p>Nachmittags nach der Vesper zog dann Jakob seinen blauen Rock ohne Kragen +mit tellergroßen Metallknöpfen an, stopfte sein Pfeiflein, drückte den +Nebelspalter ein bischen aufs linke Ohr und machte mit dem Liebhardt, +Fidele, Michel oder Bassi einen Gang durch die Fluren und dann in den +Hirzen, um bis zum Abend an seinem Hälbsle zu trinken, während das junge +Volk kegelte, auf der Straße spielte, in Rädlein beisammen stand oder Arm +in Arm kettenweise singend durch das Dörflein auf und ab zog. Es mochte +zweifelhaft sein, ob der Jakob an seinen Aeckern und Kühen größere Freude +hatte, denn an seinen Kindern, mindestens pflegte er jene zärtlich, während +er diese nach Herzenslust herumkrabbeln, fallen und heulen ließ, ohne sich +groß umzusehen, dagegen bleibt es sicher, daß die alte Hanne ganz vernarrt +in ihre Enkel und die Theres in den Benedikt am vernarrtesten war.</p> +<p>Der Benedikt, ihr erstes Kind hieß ihr "Augäpfelchen" und man darf ihr +solche Vorliebe verzeihen, obwohl sich dieselbe nicht nur in Blicken und +Reden kund gab. Der Benedikt mit seinen schwarzen Haaren, den runden +Apfelbäcklein, kohlschwarzen Augen und dem freundlichen Munde war wirklich +ein herzallerliebstes Büblein und dabei so munter und gescheid, wie keins +im Dorfe gefunden wurde.</p> +<p>Die Leute hatten keine eigene Kirche, nicht einmal eine Kapelle, mußten im +Leben und Tod ihrem Herrgott die Besuche im nächsten Orte abstatten und als +der Benedikt die ersten Höslein an hatte und vom Vater am rechten von der +Mutter am linken Händlein zum ersten Mal in die Kirche geführt wurde, +blieben alle Leute stehen und gab es eine ganze Prozession von schweigenden +und redenden Bewunderern, das Herz der Eltern bebte vor Freude und daheim +konnte Theres der alten Hanne nicht genug erzählen, welche Ehre sie mit dem +"Augäpfelchen" eingeerndtet, wie brav er in der Kirche gewesen, die +Händlein gefaltet und bei der Wandlung mit Kreuzmachen und Brustklopfen gar +nicht mehr aufgehört habe. Das Büblein holte bereits Alles beim Krämer, +besorgte alle Aufträge pünktlich, griff alles geschickt an, es mochte sein, +was es wollte und lachte vor Vergnügen laut auf, wenn man es nur lobte. Mit +Lob ließ sich der Benedikt durchs Feuer treiben.</p> +<p>Besaß das Dörflein keine eigene Kirche und keinen Pfarrer, so besaß es doch +eine eigene Schule und einen Schulmeister. Zwar hatte dieser nirgends +besonders studirt, war eine gefallene Größe, nämlich ein großer Maurer, der +von einem Dachsparren herabgefallen und ein Bein gebrochen hatte, dabei ein +guter, braver Mann und wußte Alles den Kindern beizubringen, was diese in +der Welt brauchen, vor allem den Katechismus.</p> +<p>Der Benedikt saß keine sechs Wochen in der Schulstube, so wurde auch der +alte Lehrer gänzlich in ihn vernarrt und es dauerte keine zwei Jahre, so +kannten die Kinder Einen Ihresgleichen als Unterlehrer, nämlich des Jakoben +Benedikt.</p> +<p>Was Andere in einem Jahre lernen, lernte unser Held ohne große Mühe in vier +Wochen und was der Mathes, der acht volle Jahre stets im Eselsbänklein saß +und später dennoch ein tüchtiger Bauer und braver Mann geworden ist, in +seinem Leben niemals begreifen wird, begriff der Benedikt rascher und +leichter als die gescheideste [gescheidteste] Schulkamerädin, nämlich die +Susanna.</p> +<p>Eine andere Uhr denn eine Sonnenuhr besaß weder die Schule noch der +Schulmeister und vom achten Jahre an war der kleine Schulmeister auch +"Zeitverwalter" mit einer kleinen Unterbrechung gegen das Ende der +Schuljahre, wo der Muthwille, der in ihm steckte, den alten Lehrer einige +Wochen in Verzweiflung setzte.</p> +<p>Das Augäpfelchen der Theres wurde das Augäpfelchen des Lehrers, aller Buben +und Mägdlein und vieler Erwachsenen und vielleicht haben die +Weihrauchwolken dazu beigetragen, auch seine Gestalt in die Länge und +Breite zu treiben.</p> +<p>Mit den Buben stand er gut, weil er der Stärkste, bei allen Spielen und +lustigen Streichen, die sich mit seiner Unterlehrersehre vertrugen, voran, +dabei unpartheisch und freundlich gegen alle war und bei den Mädlen stand +er besser als jeder Andere angeschrieben, weil er eine merkwürdige Vorliebe +für sie hegte, sie zart und schonend behandelte, gegen Schimpf und Schläge +schützte, ihnen in der Schule einsagte, beim Singen eines Liedes den +rechten Ton anstimmte und die leidigen Schulaufgaben gegen ein bischen Lob +oder auch gegen ein Schmätzlein machen half.</p> +<p>Um nicht weitläufig zu werden und dennoch einen rechten Begriff von dem +kleinen Benedikt zu bekommen, der ein ganz anderer Kerl war, denn der +verachtete, blutarme und arg vernachläßigte Zuckerhannes, wollen wir nur +drei Thatsachen aufmerken.</p> +<p>An einem Frühlingstage wird in der Schule biblische Geschichte gelesen und +die Kinder schauen sehnsüchtig durch die Scheiben in die grünende und +blühende Welt und rücken unruhig hin und her, denn das stundenlange Sitzen +und Schwitzen ohne Unterbrechung ist die Folter der Kinderjahre. Auf einmal +zupft ein Mädle das Andere und ein Bube den Andern und wer den Grund +entdeckt, hält die Hand vor den Mund oder kichert laut. Weßhalb? Der +"Unterlehrer" hat aus einem Stücklein Holz und vier beinernen Knöpfen ein +Wägelein gezimmert, einen kleinen Kiesel als Fracht darauf gelegt und vier +stattliche Maienkäfer, an eine Deichsel gebunden, ziehen das Ganze über die +Sitzbänke. Der Lehrer merkt's, zieht die Stirne kraus und ruft den Benedikt +auf, im Lesen fortzufahren. Wer beim letzten Wort weiter fährt, ohne eine +Miene zu verziehen, ist der Benedict. Der Lehrer weiß, welchen Kopf und +welche Kenntnisse der muthwillige Unterlehrer besitze, meint, derselbe sage +einige Satze auswendig her und werde bald stecken bleiben, doch der +Benedict liest und liest, ohne nur einmal zu stottern, ohne eine Silbe zu +verfehlen.</p> +<p>Dessen verwundert sich der Lehrer, steht auf, greift nach Benedicts Buch +und siehe—dieser hat Alles auswendig hergesagt, denn lesen konnte er schon +deßhalb nichts, weil er das Buch, wie der Lehrer auch seither geglaubt, +verkehrt in der Hand hielt.</p> +<p>Dieser Streich und hundert ähnliche dazu verschafften dem Benedict den +Beinamen "Leichtsinn" und mit den Jahren wuchs sein Leichtsinn wirklich, +wie er denn einmal, als ein Schuldschein geschrieben werden sollte, dem +Lehrer keinen andern machte als folgenden:</p> +<p>"Ich heiße Leichtsinn, bin der Leichtsinnigste und habe in diesem Zustande +geschrieben!"</p> +<p>Wenn er wollte, brachte er stets die besten Aufsätze, doch schien er immer +weniger zu wollen, der Lehrer sagte wenig dazu, verschonte ihn fernerhin +auch mit Schlägen und wußte warum.</p> +<p>War eine Schulaufgabe zu machen oder gar die Sonntagspredigt +nachzuschreiben, so gings wie eine Prozession zu Jacobens Haus, denn hier +saß der Benedict, trug die Predigt Wort für Wort im Kopfe und dictirte +Jedem der zu ihm kam und Jedem verschieden, je nachdem er den Hansjörg mit +seinem harten Hirnkasten, den Mathes, diesen privilegirten und getreuen +Eselsbankdrücker oder einen Gescheidtern vor sich bekam. Die besten +Aufsätze jedoch dictirte er den Mädlen, lief stundenlang von Haus zu Haus +und bevor die Sabin insbesondere das Fließblatt ins Heft gelegt hatte, +dachte er nicht ans Ballspielen oder an etwas Anderes.</p> +<p>An einem Winterabend zogen alle Buben ihre Schlitten lange vor der Betzeit +heim und mit vielen Erwachsenen dem Rindhofe zu und Niemand fragte, was es +gebe, weil Jeder wußte, es werde alldort Comödie gespielt. Die Mädchen +saßen schon in der Scheune, Sabinens Gesicht glänzte vor Freude; sie saß +mit der Mutter Theres und Hanne auf der vordersten Bank, der Jacob fehlte +auch nicht und sah heute nicht sorgenschwer und finster drein, sondern +koste mit zweien seiner jüngern Kinder; die Bänke füllten sich rasch und +Alles schaute gespannt und ungeduldig nach einem Vorhange, der aus vier +zusammengenähten Leintüchern gebildet war. Endlich kommt auch der alte +Lehrer, eine Schelle lärmt, der Vorhang geht auf und mit einem Ah! der +Bewunderung betrachten Alle—das Marionettentheater und wissen, daß heute +der Benedict den "verlornen Sohn" spielen wird.</p> +<p>Hat der Benedict dem Landstreicher Kranich nicht längst alle Possen +abgespickt? Macht er ihm nicht alle Zauberstücke nach und hat er nicht die +Herzen der Dorfbewohner schon durch den "Todessprung des Ritters, den +Doktor Faust, die Genofeva von Brabant, die drei Müllerstöchter, die +Hirlanda, schöne Magelona" und Anderes erfreut? Sind nicht Einzelne aus den +nahen Dörfern und einmal sogar der Herr Pfarrer gekommen? Hat der Benedict +nicht seine Herzkäfer, die Sabin, Euphrosin, Susann, Margreth, Thekla, +Line, Affer, Lisbeth und Andere geplagt, bis alle Puppen da waren? Hat er +nicht den Hanswurst selbst gemacht und dazu ein Stück Hosenleder +verschnitten, welches dem Mütterchen auf Ostern Schuhe hätte geben sollen?</p> +<p>Heute bat er sichs sauer werden lassen, um den "verlornen Sohn" prächtig +auszustatten. Jetzt sieht man den Alten in seinem Ruhesessel, der älteste +Sohn steht trotzig vor ihm und fordert sein Erbtheil. Dann geht er fort ins +fremde Land, ein Reisender kommt zu der Mutter und sagt derselben, aus +ihrem Sohne sei etwas Großes geworden, er kommandire eine ganze Armee. +Richtig kommt der Sohn mit seiner großen Armee, diese jauchzt, johlt und +jodelt wie nach dem größten Siege selten eine und so geht das Ding fort bis +ans Ende, wo der Benedict ein bischen heiser wird.</p> +<p>Wer aber beschreibt das Entzücken des Publikums? Wann hat der vielgeübte +Kranich jemals den weichherzigsten Mädlen Thränen entlockt? Der Benedict +tritt hervor, ist umringt von nassen Augen, der Lehrer wird zum Wortführer +des Lobes der Zuschauer, der Benedict verlebt eine der seligsten Stunden +seines Daseins, die Mutter desselben schwimmt mit der Sabin' und andern +Mädchen in Freudenthränen, von ihrem Augapfel, ihrem Liebling entlockt.</p> +<p>Jetzt drängt sich das mehr als 80jährige Bäbele mit seinen schneeweißen +Haaren aus dem Hintergrunde hervor; war doch der Benedict auch ihr Liebling +und sie muß ihm auch ihre Huldigung darbringen. Sie thut es, doch thut sie +noch mehr, denn das Morgenroth einer höhern Welt leuchtet durch ihre +Wangen, die Augen schauen prophetisch in die Zukunft und zu dem Volke sich +wendend, spricht sie das inhaltsschwere Wort. "<i>Glaubt nur, ihr Leut', +aus dem Benedict wird entweder ein großer Herr oder ein großer +Spitzbube,</i> in unserm Geleise bleibt er nicht!" Wie oft hat der +"Duckmäuser" in bangen Kerkernächten, in der erschütternden Einsamkeit der +Zelle an diese Worte gedacht! Bäbeles Gebeine sind längst vermodert, ihr +Name ist verschollen, doch ihr prophetisches Wort hat sich erfüllt und +zittert durch das Herz eines Lebendigbegrabenen!</p> +<p>Längst haben sich die einzelnen Kameradschaften der Buben und Mädchen alle +bemüht, den Benedict an sich zu fesseln, längst war er der Mittelpunkt, um +den sich die Dorfjugend sammelte; in die "Kunkelstube", wo er gerade zu +finden war, dahin kamen auch Männer und Frauen, denn er erzählte Legenden +der Heiligen, Rittergeschichten und Anderes so schön und lebendig, daß man +Alles zu sehen und zu hören glaubte und in seinem Dörflein war noch alte +Sitte und Zucht vorherrschend und man hätte einen Menschen, der über die +Heiligen spottete oder die Unschuld erröthen machte, aus den meisten +Kunkelstuben einfach hinausgeworfen.</p> +<p>Seit dem Abend, an welchem der verlorne Sohn gespielt worden, schaute der +Jacob seinen Benedict respectvoller an, derselbe war ihm und Andern längst +über den Kopf hinausgewachsen, der Held der Dorfjugend und sein Name in +allen umliegenden Dörfern mit Ehren genannt.</p> +<p>Wurde ihm noch nicht die Welt zu enge, so war dies allmählig doch mit der +Schulstube der Fall. Lernen konnte er hier nichts mehr und wußte er sich +die Langeweile auch zu vertreiben, so wünschte er doch sehnlichst, Mutter +Theres möchte die Zügel ein bischen länger machen und dies war nicht der +Fall, so lange der Benedict zur Schule ging.</p> +<p>Die ganze Weisheit des Vaters bestand in dem Sätzlein: Bete und arbeite! Er +ging mit Beispiel voran, hielt mit eiserner Strenge darauf, daß die +Seinigen es auch thaten und wenn die Mutter nicht Alles über ihn vermocht', +wie der Benedict Alles über die Mutter, so würde es wohl mit dem Heldenthum +kläglich ausgesehen haben! ... Auf dem Lande ist das Geld von je als die +theuerste Sache betrachtet worden, wo wenig Geld und 6 unerzogene Kinder zu +finden sind, gibts zu arbeiten; gar oft mußte der gute Benedict die +Kunkelstube meiden und bis um Mitternacht selbst spinnen; freilich spann +das Mütterchen auch mit, denn der Winter vergeht rasch und die Leinwand muß +zeitig auf die Bleiche, doch Mütterchen fing an, dem geistvollen und +gelehrten Benedict mit ihren endlosen Rosenkränzen allgemach langweilig zu +werden. Er wünschte oft, die Großmutter möge vom Kirchhofe kommen und sich +wieder statt seiner mindestens an die Kunkel setzen; die Hanne kam jedoch +nie wieder, sie hatte auf Erden genug gesponnen und der Faden ihrer +Pilgerfahrt war im letzten Spätjahr leise und sanft abgerissen worden.</p> +<p>Der Communionunterricht beginnt, Benedict faßt freudige Hoffnungen, wiewohl +er erst im Sommer 14 Jahre alt wird, der Mittwoch vor dem Palmensonntag +macht dieselben zu Schanden, denn an diesem Tage werden die Namen derer +verlesen, welche zum erstenmale zum Tische des Herrn gehen und aus der +Schule entlassen werden. Zitternd vor Erwartung sitzt er da, jeder Name +zuckt wie ein Schwert durch seine Seele, zuletzt wird noch dem Mathes die +Erlösung vom Eselsbänklein angekündiget, dann kommen die Namen der Mädchen, +er kanns kaum glauben, dennoch ist's richtig—sein eigener Name fehlt, der +Lehrer mag den Unterlehrer nicht vor der Zeit verlieren. Noch mehr, die +Seraphin, einer seiner Herzkäfer, der auch erst im Heumonat 14 Jahre alt +wird, darf als "die feinste, fleißigste und sittsamste" communiciren und +die ganze Schule hört an, wie der Lehrer erklärt, der Benedict müsse als +der "Leichtsinnigste von Allen" noch ein Jahr da bleiben.</p> +<p>Jetzt war Feuer unter dem Dache und brannte ein volles Jahr! ... Besaß die +Seraphin das gehörige Alter? Nein; wem hatte sie ihren Ehrenplatz zu +verdanken? Zum guten Theil dem Benedict, der ihr einsagte und alle +Schulaufgaben machte. Saß derselbe nicht an einem <i>verdienten</i> +Ehrenplatz? Und jetzt sollte jene "die Feinste, Fleißigste und Sittsamste" +und er dagegen "der Leichtsinnigste von Allen" sein?</p> +<p>Zunächst ward der Seraphin der Krieg erklärt und bald hieß das arme Mädchen +allenthalben nur "die Feinste, Fleißigste und Sittsamste" und getraute sich +nicht mehr, irgendwo hinzugehen aus Furcht vor Spott und Hohn. Hat das +Mädchen dem Lehrer <i>nur</i> Milch und nichts Anderes schmeichelnd ins +Haus getragen? Waren die Susanna und Margreth nicht zweimal in der Nähe, +als Seraphins Mutter den weißen Korb mit einem noch weißern Tüchlein deckte +und der Tochter empfahl, den Herrn Pfarrer drüben doch recht inständig zu +bitten, daß sie aus der Schule komme und vorzustellen, was die alternde +Mutter alles zu thun habe? Würde der Benedict, wenn er Solches vorher +gewußt hätte, nicht dem Vater eine Kuh aus dem Stalle gezogen und dem +Schulmeister gebracht haben statt vergänglicher Milch und dies nur, um aus +der Schule zu kommen? ... Dem Pfarrer legte Benedict nichts in den Weg, er +besaß den Muth nicht dazu; desto schlimmer kochte er es dem Schulmeister;— +statt des gehofften Unterlehrers besaß dieser jetzt einen unbeugsam +trotzigen, saumseligen und muthwilligen Schüler mehr, bei welchem Milde und +Güte, Bitten und Betteln so wenig fruchtete als Drohungen und Schläge.</p> +<p>Schulaufgaben machte er für seine Herzkäfer, für sich selbst niemals oder +in der Art, wie jenen früher erwähnten Schuldschein. Fragte ihn der Lehrer +Etwas, so antwortete er trocken, er wisse es nicht oder machte die +Mitschüler zu lachen, bat ihn der Lehrer, ihn ein bischen abzulösen, so +ermahnte er denselben, sich an die "Feinste, Fleißigste und Sittsamste" und +nicht an den "Leichtsinnigsten von Allen" zu wenden. Einmal mußte er +hinaus, um die Sonnenuhr zu richten, was Keiner besser verstand; er that's, +verschwieg jedoch eine ganze Stunde und der Lehrer machte fort, bis Weiber +und Bursche kamen, um die Kinder zum Mittagsessen aus der Schule +fortzuholen; ein andermal richtete er die Sonnenuhr so, daß der Lehrer die +Schule fast um eine Stunde zu früh schloß. Von jetzt ab mußte jedoch der +Max aus dem Rindhof die Sonnenuhr richten lernen, und weil der Lehrer sah, +Hopfen und Malz seien am Benedict verloren, kümmerte er sich auch allmälig +wenig darum, ob derselbe schwänze oder nicht und wenn er erschien, mußte er +neben Mathesens Ersatzmann, dem dummen Hansjörg sitzen, der genug +schmunzelte, auf seinem Katzenbänklein einen so trefflichen Einbläser neben +sich zu haben! ... Endlich naht die letzte Schulprüfung, diesmal wird der +Benedict kein Lob und keinen Preis davontragen!</p> +<p>Einige Buben müssen die "verhexte Kuh und rothe Milch", einige Mädchen den +"feurigen Drachen" zusammen declamiren lernen und wenn der Philipp, der +jetzt neben dem Rindhofmax auf dem Ehrenplatze sitzt, Einen hätte, der die +Rolle des belehrenden Herrn Pfarrers in den "Feuermännern" ausfüllte, würde +der Lehrer hoffen, auch dieses Jahr beim Dekan Ehre zu erndten. Demüthig +bittet der arme Mann den Benedict, ihm den einzigen und letzten Gefallen zu +erweisen und bei der Prüfung die Rolle des Belehrers in den "Feuermännern" +zu übernehmen, doch der Benedict lacht ihm schadenfroh ins Gesicht und +meint: "Ich und der Hansjörg führen auf dem Katzenbänklein die Declamation +der Stummen mit einander auf, gelt Hansjörg?"—Der Hansjörg grinzt und +nickt bejahend, die Schüler lachen, der tief gekränkte Lehrer sagt dem +Benedict, er möge ganz von der Prüfung wegbleiben und schließt die Schule +sogleich vor Wehmuth.</p> +<p>Am vorletzten Tag vor der Prüfung geht der Lehrer in die Schulstube und wer +exerzirt die Prüfungshelden nach Mienen, Stellungen und Reden in die +"verhexte Kuh und rothe Milch" ein? Wer denn anders als der Benedict!</p> +<p>Der Erstaunte bleibt an der Thüre stehen, bis das Ding fertig ist, dann +eilt der arme Mann, der statt Geister stets vor der Prüfung lauter +Schwarzröcke sieht, begeistert auf den Benedict zu, drückt krampfhaft +dessen Hand vor lauter Freude und bittet denselben öffentlich vor allen +Schülern um Verzeihung ob der bisherigen Zurücksetzung. Unser Held weint +auch beinahe vor Freude über solche Befriedigung des Ehrgeizes, doch trotz +den Ermahnungen des Lehrers und der Schüler setzt er sich keineswegs auf +den Ehrenplatz, sondern auf das Eselsbänklein neben dem einfältigen +Hansjörg.</p> +<p>Die Prüfung naht, kommt, ist bei den kleinen Schülern vorüber, sie drängen +hinaus, die andern hinein, doch—der Benedict fehlt, mit Todesangst +schielt der arme Lehrer nach der Thüre und sucht ein Taschentuch, um einige +aufsteigende Angsttropfen abzuwischen.</p> +<p>Endlich geht die Thüre auf, der Ersehnte tritt herein, schreitet stolz am +Eselsbänklein vorüber und setzt sich auf den Ehrenplatz; der verlassene +Hansjörg hat ein gar wehmüthiges Gesicht dazu gemacht! Noch niemals +zeichnete sich der Benedict bei einer Prüfung so aus, wie diesmal; auch die +Rolle des belehrenden Pfarrers in den "Feuermännern" spielt er meisterhaft +und wie Alles vorüber ist, tritt er vor die 15 oder 18 gegenwärtigen +Herren, verbeugt sich ehrerbietigst und beginnt das schöne, lehrreiche +Gedicht: "Der Holzhacker"—auf eigene Faust zu declamiren und biß bei den +Worten:</p> +<p> "Und biß, o Graus, am goldnen Bröcklein die Zähne sich aus!"</p> +<p>so ernsthaft und natürlich zu, daß sämmtliche Herren nachbeißen zu wollen +schienen.</p> +<p>Der Declamation folgte ein langes Beifallsgeklatsche und öffentliche +Belobung des über den Benedict ganz entzückten Dekans als Abschied aus den +Kinderjahren.</p> +<p>Ob unser Held den Leib Jesu Christi beim erstenmal auch würdig empfangen +und gewußt habe, was er eigentlich thue, ist ihm heute zweifelhaft, doch +meint er, der Unterricht sei ein bischen arg mangelhaft und schlecht +gewesen und ein Bube könne nicht Alles aus dem kleinen Finger saugen, wenn +er auch ein Benedict sei.</p> +<h3><a name="2"></a>Dorfgeschichten.</h3> +<p> +Wenn mans genau und eine Landkarte dazu in die Hand nimmt, lassen sich die +Einwohner des Badnerlandes in lauter Schwarzwälder und Odenwälder +eintheilen. Die schwäbische Hochebene und rauhe Alp sind wohl geognostische +Kinder des Schwarzwaldes und das Rheinthal von Basel bis Mannheim +eigentlich nur ein Bergkessel zwischen dem Schwarzwalde und den Vogesen.</p> +<p>Freilich gedeihen auf den Höhen des Schwarzwaldes nur Nadelhölzer; selbst +diese verkrüppeln und verschwinden am Feldberge und wenn auf den Vorhügeln +des Rheinthales drunten Mandeln verblüht sind, Kastanien blühen und die +Rebe ihre Schößlinge treibt, sind die rechten Schwarzwälder froh, wenn ihr +Hafer angesäet und ihre Kartoffeln gestupft werden können und thun, als ob +sie heuer gerathen wollten. Doch die rechten Schwarzwälder bewohnen nur ein +kleines Gebiet; jedes Thal hat wieder sein Besonderes in Sprache, Tracht +und Sitte und wer das Murgthal bis Freudenstadt und Rothweil, das +Kinzigthal von Offenburg bis Schenkenzell und Alpirsbach, das +Simonswälderthal, Höllenthal und viele andere Thäler von der +würtembergischen Grenze bis zum Rheine besucht hat, weiß am Ende nicht mehr +recht, wo er den Schwarzwald eigentlich suchen soll, nicht weil Land und +Leute einen cosmopolitischen Brei bilden, sondern weil man kaum recht Athem +holen kann, um Verschiedenheiten in der Natur und unter den Menschen zu +finden.</p> +<p>Steigt er vom Schluchsen [Schluchsee] oder Titisen [Titisee], wo Schlehen, +Preiselbeeren und andere Kinder des Nordens allein noch zu finden sind, in +die Seitenthäler herab, wo Obstbäume die Strohhütten beschatten und wogende +Saatfelder die saftiggrünen Wiesen mit ihren sprudelnden Quellen allgemach +ersetzen, die gelben Strohhüte und kurzen, faltenreichen Röcke allmälig +verschwinden und tritt er aus den Vorhügeln mit ihren Weinbergen in das +Rheinthal hinaus und wandert vom Wiesenthale abwärts bis zur Murg und zum +Neckar, so befindet er sich allerdings nicht mehr in der Gebirgswelt, +sondern in einer gartenähnlichen Ebene, doch das Gebirge kommt ihm weder +aus den Augen noch aus dem Sinn, die Ebene liefert ihm auch alle +Augenblicke etwas Anderes und wenn er aus den zahllosen Mannigfaltigkeiten +die Einheiten heraussucht, theilt er die Menschen am Ende in zwei große +Partheien, nämlich in Dorfmenschen und Stadtmenschen; im Gebirge herrschen +die Dorfmenschen, in der Ebene die Stadtmenschen vor und der Unterschied +der Dorfmenschen unter sich ist bei weitem nicht so groß, wie ihr +Unterschied von den Stadtmenschen.</p> +<p>Wer das Leben und Treiben der Schwarzwälder im engern Sinne genau kennen +lernen will, muß den "Kalender für Zeit und Ewigkeit" oder "Spindlers +herzige Erzählungen aus neuerer Zeit" zur Hand nehmen, denn Berthold +Auerbachs Dorfgeschichten, so anmuthig, hinreißend und herrlich sie auch +uns und vielen tausend Andern vorkommen, sind eben doch keine eigentlichen +"Schwarzwälder" Dorfgeschichten, sondern laufen fast ohne Schwarzwälder +Lokalfarben auf die Gegensätze zwischen Stadt und Land hinaus.</p> +<p>Im Gebirge verschlingt das Dorfleben das Stadtleben, in der Ebene geht´s +umgekehrt zu und wie das Stadtleben allmälig auch in den Seitenthälern und +auf den Höhen des Gebirgs zur Herrschaft kommen will, zeigt unter Andern +die Geschichte des Duckmäusers.</p> +<p>Das Heimathdörflein desselben liegt an der Mündung eines Thales, das einen +allmäligen Uebergang vom Schwarzwalde zur Rheinebene bildet und zwar nicht +blos der Natur, sondern auch des Charakters der Bewohner. Land und Leute +wachsen immer und überall wundersam zusammen und für ein geübtes Auge ist +jede Gegend ein Buch, aus dem es die Geschichte, das Leben und Treiben +ihrer Bewohner so im Allgemeinen herausliest!</p> +<p>Kehren wir nach diesem kurzen Ausfluge zu unserm Benedict zurück, der aus +der Schule entlassen, bereis ein bischen größer und vom Mütterlein ein +bischen weniger gezügelt wurde.</p> +<p>Sein Vater, der finstere, doch grundehrliche Jacob arbeitet noch immer den +ganzen Tag, rasirt sich am Sonntag hinter dem Ofen und trägt Nachmittags +nach der Vesper seinen Nebelspalter in den Hirzen. So lange der Benedict in +der Schule war, durfte er nicht ins Wirthshaus und nicht einmal den größern +Burschen den Kegelbuben machen, doch jetzt hilft er dem Vater tüchtig +arbeiten, stolzirt am Sonntage mit Etwas herum, was bei uns fast so viel +bedeutet, als die <u>toga virilis</u> bei den alten Römern, nämlich mit +einer Tabakspfeife und wenn es ihm beifällt, auch ein Schöpplein im Hirzen +zu trinken, so sieht's der Jacob nicht gerne, doch der Sohn will thun wie +andere auch und noch mehr, weil er der Held in 5 Dörfern ist. Der Vater +hört denselben doch lieber herausstreichen als schimpfen und muß eben +nachgeben, wie andere redliche Väter auch nachgeben.</p> +<p>Abends mag der Benedict nicht mehr beim Mütterlein spinnen, die kleine +Hanne kanns thun, wird dieselbe doch mit jedem Tage größer und der Bruder +geht in die Kunkelstube, um seinen Erzählerruhm aufrecht zu erhalten. Alle +einzelnen Kameradschaften der Bursche und Mägdlein buhlen um seine Gunst, +wo die Margareth ist, welche er am liebsten zu haben scheint, sitzt die +Ofenbank voll und wenn er kommt, kommt Freude und Leben und jedem der +Feierabend zu frühe.</p> +<p>Alle Häuser besucht er, jeden Abend ein anderes, in jedem ist er beliebt +und bekannt und Niemand weiß, welchem er den Vorrang gebe! Uebrigens darf +man nicht glauben, daß die Buben und Mägdlein unziemliche Kurzweil trieben +an den langen Abenden, mindestens geschah dies nirgends, wo der Benedict +hinkam und dieser wußte einen wüsten Gast derb abzutrumpfen und +heimzuschicken.</p> +<p>Der Liebling der Jungen wollte auch der Liebling der Alten sein, zudem dem +Mütterchen eher Ehre denn Schande machen und so wurde in den Kunkelstuben +nur Ehrbares und oft Heiliges erzählt und nichts Unziemliches geschwatzt +oder gar getrieben. Der Benedict hielt viel auf Ehre und hätte es sich +nicht nachsagen lassen, daß ein unehrbares Wort aus seinem Munde gekommen +und deßhalb liebten ihn auch alle Mädchen und ihre Eltern hatten nichts +dagegen, wenn dieselben mit ihrer Kunkel und dem Rosenkranz nach dem +Nachtessen in das Haus wanderten, in welchem der Benedict gerade zu finden +war.</p> +<p>Eines Abends sitzt so eine trauliche Gesellschaft im Vaterhause des +Hansjörgen und der Benedict erzählt bis gegen 10 Uhr, daß den Zuhörern bald +die Thränen in die Augen schießen, bald die Gänsehaut aufsteigt. Jetzt +stellt die Margareth ihre Kunkel weg, streicht die braunen Haare aus der +Stirn, steht auf und sagt gar holdselig: "Benedict, 's ist bald Zeit, wir +wollen noch Eins tanzen, damit wirs lernen bis Fastnacht!"—Alle Buben und +Mägdlein sind dabei; der Benedict hat seine Klarinette bei sich, denn auch +ein Musikus ist er geworden, der blinde Hans hat ihm die Griffe und Pfiffe +gezeigt, er spielte bereits die schönsten Hopser, Ländler, Walzer und +dergleichen aus dem ff heraus und jetzt sucht er den Ton, während Tisch und +Bänke in eine Ecke gestellt werden und der Hansjörg vor Freuden mit der +Zunge schnalzt und Sprünge macht wie ein Tiroler.</p> +<p>In diesem Augenblick tritt jedoch die Ursula, Hansjörgens Mutter in die +Stube und sagt zum Benedict: "He, Benedict, wollt Ihr tanzen? Weißt wohl, +daß ich nichts dagegen habe, wenn´s Zeit ist, doch ist heute nicht Freitag +Abend? Was fällt dir auch ein, an einem solchen Abend blasen zu wollen? +Kommt am Sonntag oder an einem Tage in der nächsten Woche!"</p> +<p>Der Benedict wird feuerroth, steckt die Klarinette ein, geht mit dem jungen +Volke fort und sagt auf dem Heimwege zu den Mädlen, er wisse gar nicht, was +er darum gäbe, wenn er heute nur nicht in Ursulas Haus gewesen wäre! ... +Die Ursula war eine Gevatterin seiner Mutter und Gotte dreier seiner +jüngern Geschwister, hatte ihn von Kindesbeinen an geliebt und geehrt, doch +wer ihr Haus mit keinem Schritte mehr betrat und ihr auf der Straße fortan +auswich, das war er, und zwar deßhalb, weil er meinte, sie hielte ihn in +ihrem Herzen für einen religionsfeindlichen Menschen, der sich nichts +daraus mache, am Freitag zu tanzen und aufzuspielen!</p> +<p>Hatte es früher schon schlechte und verrufene Leute im Dorfe gegeben, so +gab es allmälig auch Aufgeklärte, denn mancher, der als frommer, züchtiger +Rekrut fortgegangen war und auf Urlaub heimkam, hatte die Welt in der Stadt +und in der Kaserne mit neuen Augen betrachten gelernt und der reiche Max +aus dem Rindhofe wanderte jetzt fleißig in die nahe Stadt, wo er in jeder +Bierkneipe gescheidte Leute und genug kirchenfeindliche Zeitungen fand. Der +arme Benedict regierte die Jungen im Dorfe, der reiche Max sah dies nicht +gern, suchte und bekam auch Anhang und daß der vielgepriesene "Zeitgeist" +auch in diesem Dörflein zu rumoren anfange, zeigte sich vor dem +Frohnleichnamsfeste. Seit urdenklichen Zeiten saßen jedes Jahr am Tage vor +dem Frohnleichnamsfeste die Mädchen in der Schulstube und arbeiteten oft +bis Mitternacht, um das Kreuz und den Altar, zu welchem die Prozession +morgen aus dem Pfarrdorfe herüberzog, mit den stattlichsten Kränzen und +Blumen zu schmücken. Sie hätten es sich um keinen Preis nachsagen lassen, +der Herrgott am Kreuz und das ganze Kreuz sammt dem Altare seien nicht mit +Kränzen, Blumen und Bändern aufs reichlichste ausstaffirt gewesen. Die +Bänder wurden von den Mädchen und deren Müttern geliefert und heuer +kommandirt der Benedict den ganzen Tag im Schulhause, macht den +stattlichsten Kranz, der die Dornenkrone bedecken sollte und verspricht +Abends beim Fortgehen, er werde der erste sein, welcher morgen früh den +ersten Kranz ans Kreuz hefte.</p> +<p>Dem schwülen Tage folgte eine Regennacht, welche zu stürmisch war, als daß +man hätte fürchten mögen, die Prozession werde darunter leiden und noch um +11 Uhr saßen einige Mädchen in der Schulstube, um beim Licht die letzten +Zurüstungen zu treffen. Der Benedict liegt im Bett und will sich eben vom +Rauschen des Sturmes in den Baumwipfeln und vom Plätschern des Regens in +Schlaf lullen lassen, als es leise an seinem Fensterlein klopft und ruft. +Er springt auf, denn er kennt diese freundliche Stimme und verwundert sich +über den seltsamen Ton derselben.</p> +<p>"Hör', Benedict, <i>jetzt</i> sind wir Mädchen zu Schanden gemacht," +berichtet die Margareth, welche den hübschen Kopf in das Kammerfensterlein +hineinstreckt, damit das Wasser vom Dache sie nicht ersäufe.</p> +<p>"Verlassen und verrathen sind wir, alle Mühe war umsonst, denn die Buben +haben keine Maien geholt!" bestätigt die Susanne. "Was? keine Maien?" sagt +der Benedict erschrocken und Margareth sammt der Jutta und dem Vefele, die +auch herbeieilen, erzählen, der Max habe die Buben aufgehetzt, heuer keine +Maien im Walde zu holen und gesagt, es sei eine Schande für so große Esel, +sich noch mit solchen "Kindereien" abzugeben. Daß der Max nicht umsonst +redete, während der Benedict im Schulhause saß, stellte sich um Mitternacht +sonnenklar heraus. Die Maien sind jedoch gleichsam die Rahmen, welche das +Kreuz und den Altar liebend umfassen und wie armselig sieht ein Bild ohne +Rahmen drein? Je größer, schöner und frischer die Maien, desto größer die +Ehre für die Mädchen, an den Maien erkannten die Leute aller benachbarten +Dörfer, wie Buben und Mädchen in diesem Jahre zusammen standen, seit +Menschengedenken hatten die Maien nie gefehlt, drum that es den Mädchen +heuer desto weher, sie sahen nicht nur den Herrgott vernachlässigt, sondern +sich selbst beschimpft.</p> +<p>Rathlos steht der Benedict, ängstlich stehen seine Herzkäfer vor dem +Fensterlein, der Regen stürzt wie aus Kübeln vom dunkeln Nachthimmel und ob +den Vogesen, dem Rheinthale und Schwarzwalde zugleich flammen Blitze und +kanonirt hundertstimmiger Donner.</p> +<p>"Geht heim, ihr Lieben, Maien müssen her, ich verlasse Euch nicht!" sagt +endlich der Benedict, reicht den Mädchen die Hand, schließt das Fensterlein +und schleicht zu den Eltern. Die Mutter hat all ihre Seiden- und +Taffetbänder ins Schulhaus geschickt, sie weiß, daß sich die Mädchen heuer +ganz besonders abmühten, jetzt erzählt er, wie schimpflich die Buben +gehandelt und die Mutter stößt ihren Alten aus dem Schlafe. "Wär´ der +Werktag nicht schon vorbei und der Fronleichnamstag angebrochen, so ginge +ich wahrlich trotz Sturm und Wetter in den Wald!" meint der Benedict +zögernd, um den Eltern an den Puls zu fühlen.</p> +<p>"Was an Sonn- und Feiertagen zu Gottes Ehre gearbeitet wird, ist keine +Sünd´! antwortet die Mutter."</p> +<p>"Aber woher Maien? Die Weidenstöcke am Bach sind abgehauen, ... das +Unwetter ist grausig, ich müßte eben junge Birklein holen, ´s ist fast eine +Stunde in den Wald und wenn mich der Cyriak, der Waldhüter erwischte, gäbe +es theure Maien!" meint der Benedict. "Ah bah! Cyriak hin oder her, wenn´s +dir Ernst wäre, würdest du nicht darnach fragen, ob es theure oder +wohlfeile Maien gäbe! Warum haben denn die Buben keine geholt, he?" sagt +der Vater.</p> +<p>"Weil´s der Max, der Willibald und noch ein paar so schöne es für eine +Schande erklärten und Alle, welche holen wollten, so verspotteten, daß sie +es bleiben ließen!"</p> +<p>"Eine ewige Schande ist´s für euch, Buben, euch von dem ungerathenen Max, +der unserm Herrgott und dem eigenen Vater, dem herzensguten Fidele nur +Schande macht, in <i>der</i> Art verhetzen zu lassen! Gehst du nicht, so +stehe ich wahrhaftig auf, wecke den Fidele und wir alte Kracher bringen +gewiß Maien!" fährt der Jacob auf, wirft die Schlafkappe weg und richtet +sich aufgebracht im Bette empor.</p> +<p>Fünf Minuten später eilt der Benedict mit einem Beil und Stricken durch die +Sturmnacht, kein Faden an ihm bleibt trocken, bis er in den Wald kommt; +hier ist's stockfinster, doch seine Hände wissen glatte Birkenrinde von der +der jungen Erlen gut zu unterscheiden und bald hat er vier stattliche junge +Birklein vor den Wald auf die nassen Wiesen herausgeschleppt. Das Aergste +ist, daß er kaum zwei auf einmal zu tragen vermag; muß er den Weg doppelt +machen, so kommt der Tag, ehe alles an Ort und Stelle und die Freude der +Mädchen fertig ist. Was thut der Benedict? Er springt mit zwei Birklein +eine Strecke weit, springt zurück, um die beiden andern nachzuholen, macht +auf diese Weise fort und die ersten Strahlen des Tages sehen die letzten +zwei Birklein am Altare. Der Regen hat aufgehört, die Schwalben zwitschern +und die Rothkelchen singen auf den Dachfirsten, der Benedict tropfnaß und +heidenmäßig schwitzend, springt ins Schulhaus, dann zum Altare zurück, +heftet richtig, wie ers versprochen, auch den ersten Kranz ans Kreuz und +dann geht er heim, um noch ein Stündlein zu ruhen.</p> +<p>Sehr früh kommen einige Bauern zum Altare, um bei der Verzierung des +Kreuzes zu helfen, alle bewundern die herrlichen Birklein, der Cyriak kommt +aber auch dazu und sagt:</p> +<p>"Diesen Vier hab' ichs gestern Abend spät noch vermacht, daß sie heute da +gesehen werden! ... Am Werktag sind sie nicht geholt worden und diesen +Morgen auch nicht! ... wer die geholt hat, muß gesalzen werden! ich bring +ihn heraus, gebt Acht, 's wird theure Maien geben!" brummt er zum Xaver, +betrachtet ärgerlich die schönen Bäumlein und macht eine Faust.</p> +<p>"Sie stehen besser hier, als in deinem Revier!" lacht der Xaver.</p> +<p>"Heut' sind die Birklein noch schöner als gestern, gelt Cyriak?" scherzt +der alte Liebhardt.</p> +<p>"Sollen auch schön Geld kosten, ich bringe den Buben heraus!" versichert +der Cyriak und geht mit starken Schritten das Dorf hinauf.</p> +<p>Die Ehre der Mädchen war in den Augen aller Einheimischen und Fremden durch +die Verzierungen und durch die vier prächtigen Birklein herrlich gerettet, +dafür wurde auch der Benedict von den Mädchen schier in den Himmel erhoben +und erklärt, er allein sei treu gegen Gott und Menschen, er verdiene, daß +sie ihn zeitlebens auf den Händen trügen.</p> +<p>Das Wunderbarste bei der Sache blieb, daß kein Mädchen den Waldfrevler +verrieth. Um Mittag wurde das Vefele, das heute Nacht bei demselben +gefensterlet, von ihrem Vater, dem Cyriak, ins strengste Verhör genommen, +doch sie weiß nichts und ihr Bruder, der Mathes, versichert, er wisse auch +nicht, wer die Birklein geholt, wenn ihn der Vater auch mit dem Waldbeil +vor das Hirn schlüge. Wie ein Feuerreiter eilt der Cyriak von Haus zu Haus, +von Mädchen zu Mädchen, doch die Birklein blieben abgehauen und—was keine +Erdichtung, sondern blanke Thatsache ist und ein Licht auf die angebliche +Schwatzhaftigkeit der Mädchen wirft—der Benedict unverrathen, mindestens +für das laufende Jahr.</p> +<p>Vom Max und dessen Anhange mußte er dagegen Spottreden genug hören, doch +kümmerte er sich wenig um diese "neumodische Schwitt", wie der Max mit +seinen Kameraden hießen, welche auch allgemach an Werktagen und am Sonntag +unter dem Gottesdienst im Wirthshause zu sehen waren. Liberalseinsollende +Zeitungen und böse Bücher übten wohl nur Einfluß auf diese Bursche, weil +Aufklärer in jedem Wirthshause saßen; sie selbst waren keine großen Freunde +vom Kopfzerbrechen und Lesen und ihre Weisheit floß in einem unter dem +Landvolke allmälig weit verbreiteten Sprichwörtlein zusammen, welches +heißt: <i>Predigen und Büchermachen ist das Handwerk der Pfaffen und +G'studirten!</i> Woher solches Sprichwort stamme und welche Leute es am +liebsten im Munde führten, darauf sah die "neumodische Schwitt" nicht, +sondern schloß mit ihrem gesunden Bauernverstande ruhig weiter: "Ist der +Pfaff ein Handwerker, so ist die Kirche seine Werkstätte, Gottesdienst und +Predigt aber sind Stücke seiner Arbeit. Bei jedem Handwerker hat man die +Auswahl unter seinen Arbeiten, daher wählt man aus der Predigt gerade das, +was Einem am besten gefällt und gefällt Einem nichts (was bei steigender +Aufklärung bald der Fall sein muß), nun, dann läßt man dem Pfaffen seine +ganze Arbeit und geht am Ende gar nicht mehr in die Werkstätte desselben!"</p> +<p>Die Eltern der "neumodischen Schwitt" sammt den meisten bejahrtern +Einwohnern betrachteten die Kirche als das Haus Gottes, den Geistlichen als +Diener Gottes, thaten, wie ihre Urahnen, hielten Sonn- und Feiertage +heilig, beteten zu Hause, in der Kirche, im Felde bei Prozessionen und +Bittgängen, zierten das Kreuz vor dem Dorfe und schliefen nicht ein, wenn +der Benedict Legenden erzählte. Sie waren der Religion treu geblieben; +Protestanten, welche über die Jungfrau Maria, die Heiligen, die +Ohrenbeichte, das Abendmahl, die Ehelosigkeit des Pfarrers witzelten, gab +es keine und dies aus dem einfachen Grunde, weil es überhaupt im Dörflein +des Benedict und in der Umgegend weder Protestanten noch Hebräer gab.</p> +<p>Es lebte da ein gutes, glückliches Völklein und wenn auch die Protestanten +von ihm als eine Art Heiden betrachtet wurden und die kleinen Kinder davon +liefen, wenn ein Hebräer auf der Straße zu sehen war, so geschah doch +Niemanden etwas zu Leide um des fremdartigen Glaubens willen. Was zum alten +Eisen gehörte, blieb der Aufklärung unzugänglich; der Jacob pflegte zu +sagen, die "neuen Lehren" seien von "alten Lumpen" längst gepredigt worden +und dafür wußte er Namen zu nennen. Doch die Aufklärung in religiösen und +politischen Dingen kam auch in dieses Dorf und ihre erste Frucht war +Zwiespalt unter dem jungen Volke beiderlei Geschlechtes.</p> +<p>Der Max saß mit dem Willibald und Andern fleißig im Wirthshause, der Fidele +und die Eltern der Uebrigen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, +ermahnten, baten, weinten, zankten, fluchten und wetterten, doch gab dies +keinen Zwiespalt unter der Dorfjugend, denn hier zwitscherten die Jungen +nicht, wie die alten sangen, sondern die Alten mochten sagen, klagen und +thun, was sie wollten, die "neumodische Schwitt" ließ sich dadurch wenig +Galle aufrühren und noch weniger graue Haare wachsen.</p> +<p>Zuerst begnügte sie sich, im Wirthshaus zu sitzen statt in der Werkstätte +des Pfarrers; bald spotteten sie über Jene, welche beim Alten bleiben +wollten und in demselben Jahr, in welchem der Max aus der Sonntagsschule +entlassen wurde, hatte er auch die Magdalene zum Extraschatz, ein armes, +doch hübsches Mägdlein voll Leben und Feuer.</p> +<p>Weil sie einige Sommersprossen im Gesichte und rothe Haare hatte, deßhalb +hieß sie auch "die Rothe" oder das "Fegfeuer" und wegen ihres lebhaften +ungestümen Wesens zuweilen "der Feuerteufel."</p> +<p>Unter den Burschen war der Max der Reichste, doch der Benedict der +Gescheidteste und Angesehenste und letzteres zeigte sich, als jener seine +Macht erprobte und einen Vorschlag machte, welcher so recht zu der +"neumodischen Schwitt" paßte.</p> +<p>Uralte Sitte und patriarchalisches Leben herrschten in diesem Dörflein noch +und so bestand auch der Gebrauch, daß die Buben den Mädchen insgesammt am +Neujahr und bei andern Gelegenheiten Geschenke machten, ohne dabei Gedanken +an nähere Liebschaften zu haben.</p> +<p>Nun meinte der Max, welcher vielleicht etwas von der Zehntablösungsfrage +aufgeschnappt hatte, man möge künftig den Mädchen nur noch am Neujahr Etwas +geben und zwar keine Ringe oder ein Konstanzer Gesangbuch und ähnliches +Zeug, sondern baares Geld. Er stand gerade unter der alten Linde, welche +die Jugend so vieler Geschlechter beschattete und die Sache wurde noch an +demselben Abend in allen Kunkelstuben verhandelt. Die "Rothe" und einige +andere Mädlen wären mit dem Geldgeschenk zufrieden gewesen, doch wurde viel +gestritten, der Max und der Bendict [Benedict] redeten sich für und gegen +die neue Mode schier Lunge und Leber heraus.</p> +<p>Am Ostermontag kam die Angelegenheit bei den Buben und Mädchen zur +Berathung und Entscheidung, der Max hatte gotteslästerlich viele Worte, +Flaschen und Versprechungen aufgeboten, Benedict in den letzten Tagen so +geschwiegen, daß der Max ihn auf seine Seite zu bringen hoffte, doch jetzt +trat derselbe für die alte Sitte und seine jungen Herzkäfer auf und siehe +da, die meisten Buben fielen ihm zu.</p> +<p>Wüthend zog Max mit den Seinigen von der Linde in den Hirzen; von diesem +Tage an brachte er dem Benedict den diesmal sehr unverdienten Namen, "der +Duckmäuser" auf; der Zwiespalt des jungen Volkes offenbarte sich noch an +demselben Tage darin, daß die Neumodischen sich im Wirthshause abgesondert +von den Altmodischen setzten, doch geschah keine feierliche +Kriegserklärung, es wurden einstweilen nur neue Namen aufs Tapet gebracht.</p> +<p>Benedict hieß fortan "der Duckmäuser" und sein Anhang "die schwarze +Schwitt", Maxens Roche gab den Anlaß, dessen Schwitt die "roche" zu taufen +und von "lewatisch gewordenen Schaufelstudenten" und "Knierutschern" war +beiderseitig viel Munkelns und ingrimmigen Höhnens.</p> +<p>Viele Buben und Mädchen wußten noch nicht recht, zu welcher Schwitt sie +halten sollten und am andern Sonntage stehen und sitzen sie nach der Vesper +um die Linde herum, plaudern und scherzen, singen und lachen, doch will die +Freude nicht recht in Gang kommen, denn der Benedict fehlt und vergeblich +läuft bald die Susanne, bald die Margaret mit ihren Kameradinnen ins +Oberdorf, um den Herzkäfer herbeizuholen. Im Hirzen sitzt der Jacob vor +seinem Hälbsle, daheim steht die Theres im Garten und ihr Waldburgele hält +sie immer an der Schürze, das Besele und das Kätherle folgen der Mutter wie +die Küchlein der Henne, doch weder der Jacob noch die Theres wissen, wo der +Benedict steckt und die kleinen Schwestern wissen auch nichts, als daß er +ihnen ein Rad am Wägelein flickte, worauf sie ihre "Doggenbaben" spaziren +führen, dann die Kappe genommen, den Kittel über das rothe Wamms angezogen +habe und fortgegangen sei, nachdem er in der Küche beim Anzünden der +Tabakspfeife sich noch ein bisle verbrannt habe! ... Auf einmal geht der +Ersehnte mit dem Gregor, seinem liebsten Kameraden vom Unterdorf herauf und +langsam auf die Linden zu, die Susann' und die Margareth, das Vefele und +die Apel, die Affer, Sabin' und Andere laufen ihm entgegen.</p> +<p>"Sag uns doch, warum bist du bös auf uns?"—"He, ich bin mit Euch durchaus +nicht bös!"—"Ja, warum kommst heute nicht?"—"Ei, bin ich jetzt nicht +bei Euch?"—"Du bist bös mit uns, wenn du's auch verhehlst!"—"Ich bin +nicht bös, gelt Gregor nit?" "Aber", sagt der Duckmäuser jetzt laut und +vernehmlich und steht mitten unter dem Haufen, "ich und der Gregor und der +Mathes bleiben jetzt für uns Herr, und Alle, welche am Frohnleichnamstag +Maien geholt haben, dürfen nicht mehr zu mir kommen!"—"Und die, welche +keine Maien geholt, sollen <i>uns</i> vom Leibe bleiben!" rufen die +Mädchen.—"Ich gehe über Feld, wer will mit?"—"Ich, ich, ich auch, +wohin?" rufen und lärmen die Buben.—"Ja, es dürfen keine Andern mit mir +als solche, die den Mädlen keine Maien geholt haben!" ruft der Duckmäuser.</p> +<p>Der Stich wurde verstanden, die Buben sonderten sich in zwei Heere, das +größere sagt: "Benedict, wir sind bei dir!"—["]Wollt Ihr altmodisch +bleiben?" fragt der Benedict und Alle antworten. "Ja!" Einer rennt in den +Hirzen, mit feuerrothem Kopfe kommen der Max, der Willibald und Andere; der +Max scheidet zuerst seine Rothe von den andern Mädlen ab, die Buben alle +thun dasselbe, die Scheidung der Lämmer und Böcke, der schwarzen und rothen +Schwitt ist in wenigen Minuten entschieden, die rothe Schwitt verläßt mit +ihren Mädchen die Linde, am nächsten Sonntage soll sichs zeigen, ob die +rothe oder schwarze Schwitt ihren Mädlen größere Freuden zu bereiten +verstehe!" [verstehe!]</p> +<p>"Lauter Markgräfler muß auf den Tisch", schwört der Max, "kein Mädle darf +an den Wänden herumstehen, wenn's auch keinen besondern Schatz hat, bei uns +gilt die Eine was die Andere, wir bringen Anderes auf's Tapet, als +Blumenzutragen, Maienholen, den Eckpfosten am Schulhaus verzieren und das +verwitterte Kreuz, wo der Herrgott bald einen Schnurres von Moos bekommt!" +Was ist das für ein Munkeln und Gerede die ganze Woche, wie gespannt sind +die Alten und Jungen, doch ruhig bleiben die Mädlen der schwarzen Schwitt, +denn ihr Herzkäfer hat gesagt: "Der Max und ich stehen einander gleich dick +gegenüber am Sonntag, obgleich er der einzige Sohn des reichen Fidele ist +und ich der des fast armen Jacob; ihr Mädlen sollt nicht zu Schanden +werden!" Am Sonntag nach der Vesper sitzen die beiden Schwitten mit ihren +Mädchen im großen Saal beim Hirzenwirth einander gegenüber; dem Duckmäuser +thut nichts weher, als daß der Hansjörg und dessen Schwester, zwei stille, +harmlose, einfältige Seelen auch bei der rothen Schwitt sitzen. Die Beiden +halten den Duckmäuser für ihren Todfeind seit dem Freitag, an welchem ihre +Mutter demselben das Tanzen und Klarinettblasen verbot, obwohl er ihnen +kein böses Wort gegeben. Der Max bekommt gar keine Zeit zum Sitzen vor +lauter Einschenken und Zubringen des Markgräflers an seine "Gemeinmädlen", +und feurige Wangen und blitzende Augen gibts unter der rothen Schwitt, bis +endlich der Max seinen Wamms auszieht, das Halstuch locker knüpft, das +Schnupftuch in einem Knopfloche seiner rothen Weste festbindet, seine Rothe +am Kopfe nimmt und sagt: "Auf Alte, wir tanzen jetzt Eins!"</p> +<p>Jetzt wird getanzt, gesoffen und gefressen, daß es erst eine rechte Art +bekommt. Unter dem Tisch der rothen Schwitt liegen die Scherben aller +geleerten Flaschen, vom Tische herab regnet der Zwölfer, kein Glas darf vom +Munde, ehe es ganz geleert ist, nur der Hansjörg und dessen Schwester sind +von diesem Gesetze ausgenommen; die Pyramiden von Wecken und Bretzeln, +welche vor den Mädchen gestanden, waren zum guten Theil wieder Teig +geworden, die rothe Schwitt tanzt, stampft und jauchzt, daß der Boden +zittert und die Scheiben klirren.</p> +<p>"Franz", schreit der Max dem Aufwärter zu, der mit seiner weißen Schürze +schwitzend umherfliegt, "Franz, einen Kübel voll vom Allerbesten, vom alten +Rothen!"</p> +<p>"Jo, s'ischt anfangs nöthig, daß Ihr's in Kübeln fordert, d'Butelle sind bi +Gott alle z'sammeng'schlage!" brummt der Franz.</p> +<p>"Franz, hol ihnen den Brunnentrog im Hof, sie können die Köpf hineinhängen, +daß sie bälder voll werden!" ruft der Duckmäuser vom Tisch seiner Schwitt +herüber und der Willibald schaut ihn giftig an.</p> +<p>Schon um 5 Uhr trinkt der Max nicht mehr, hört auch nichts von der schönen +Musik, denn er liegt schwerbetrunken hinter dem Holzschoppen des +Hirzenwirths und seine Rothe mag auch irgendwo so ein Plätzlein gefunden +haben; um 6 Uhr ist von der rothen Schwitt nichts mehr zu sehen als eine im +Markgräfler gebadete und von Flaschen zerhämmerte Tischplatte voll Scherben +und Teig; die Gäste wurden theilweise fortgetragen, theilweise taumelten +sie hinaus, um im Freien sich zu lagern, nur der Hansjörg und dessen +Schwester sitzen noch da und diese führt der Duckmäuser jetzt an die lange +und dicht besetzte Tafel der schwarzen Schwitt.</p> +<p>Die Mädlen der rothen Schwitt haben sich theilweise fortgeschlichen, +theilweise buhlen sie um Aufnahme bei der schwarzen, heute wird aber nichts +daraus.</p> +<p>Der Duckmäuser hat auch Pyramiden von Wecken und Bretzeln aufstellen +lassen, doch nichts durfte verdorben werden; er hat stets denselben Wein +kommen lassen wie der Max, doch blieb die Tischplatte sauber und Niemand +wurde zum Saufen gezwungen; Alle sind nüchtern und in Ehren fröhlich, der +Duckmäuser sitzt stolz zwischen seiner Margareth und der Marzell.</p> +<p>Den Mädlen der schwarzen Schwitt gefiel's gar wohl, keinen "Batzenvierer", +sondern denselben Wein wie die der rothen trinken zu dürfen; nunmehr ist +die rothe Schwitt fort, die Mädlen meinen, man könne jetzt mit dem Zwölfer +aufhören, weil das Prahlen und Wettzechen vorüber sei, doch jetzt läßt der +Duckmäuser erst vom Dickrothen ausstellen, bringts der heißgeliebten +Margareth zu und lacht:</p> +<p>"He, Ihr glaubt, der Benedict habe einen schwindsüchtigen Geldbeutel, weil +sein Alter das Knieschlottern bekommt, wenn er ihm einen Batzen geben muß? +Seid getrost, der Dorfhanswurst hat noch Späne!" Alles Zureden und Lobreden +der Mädchen half nichts, gab nur zu zärtlichen Wortgefechten Anlaß und alle +Mädlen gelobten, der altmodischen Schwitt treu zu sein, alle Buben +schwuren, wie ehrliche Brüder zusammenzuhalten und die Mädlen in Ehren hoch +zu halten. Erst Abends zehn Uhr schied die schwarze Schwitt vom Hirzen und +vom Dickrothen, doch kein Betrunkener war zu hören oder zu sehen und den +ganzen Sommer redeten Alt und Jung vom Ehrentage, welchen der Benedict +seinen Herzkäfern bereitete.</p> +<p>Am nächsten Sonntage legt der Duckmäuser der Susanne, die mit ihren +Kameradinnen aus der Kirche kommt, die Hand auf die Achsel, schaut sie gar +ernsthaft an und fragt. "Habt ihr recht andächtig gebetet, Mädlen?"—"Ja!" +—"Auch für mich?"—"Wir beten Alle für dich!" rufen die Mädlen treuherzig +und dem Duckmäuser wirds wohler ums Herz.</p> +<p>Er hat sich nichts merken lassen, doch bang und schwüle ist's ihm seit dem +letzten Sonntag und finstere Ahnungen, als ob ihm etwas Großes, Ungeheures +bevorstehe, schnüren seine Brust zusammen; jetzt thut ihm das Geständniß +der lieben Kameradinnen gar wohl und gießt Muth in seine Seele!" [Seele!] +... Daheim hat der jüngere Bruder schon das Papier gerichtet und die Feder +gespitzt, damit ihm der Benedict die Predigt dictire; der Benedict kommt +und dictirt, doch guckt er wieder in Einem fort in eine Ecke und der Bruder +muß heute gar zu oft fragen: "was kommt jetzt, was soll ich jetzt +schreiben" und meint, er habe heute nicht recht aufgepaßt, sonst müßte er +nicht so lange studiren.</p> +<p>Plötzlich fragt der Vater draußen mit einer Stimme nach dem Benedict, +welche diesen zittern macht; rasch öffnet er die Kammerthüre und ruft: "Was +ist's, was gibts?" Die Frage ist noch nicht recht heraus, fühlt sich der +Benedict am Titus gefaßt, hageldichte Schläge versetzt ihm der Jacob mit +einem vierfachen, reichlich mit Knöpfen versehenen Seilstumpen und brüllt. +"Wo hast du Geld geliehen?" "Hab' keines geliehen!" heult der Benedict, +krümmt sich unter den Eichenfäusten des Vaters und immer wüthender haut +dieser zu und haut zu, wie der Sohn schon auf dem Boden liegt, denn Weste +und Wamms hatte dieser ausgezogen und trug nur ein Hemd und dünne +Sommerhöslein, so daß kein Hieb verloren ging. "Ach, Vater, sechs Kreuzer +habe ich geliehen!"—"Bei wem, Schlingel!"—"Beim Aloys!"—"Wo hast noch +geliehen?"—"Beim Bernhard!"—"Wieviel?"—"Nur zwölf Kreuzer!"—"Wo hast +noch geliehen?"—"Beim Stoffel!"—"Wieviel?"—"Achtzehn Kreuzer!"—"Und wo +noch?"—"O Jesus, Maria und Joseph, laßt mich gehen, beim Bernhardt!"— +"Wieviel?"—"Einen Sechsbätzner!"</p> +<p>Auf solche Weise ging das Examen fort, der Jacob bebte vor Zorn und Wuth, +doch seine Kräfte gaben nach von lauter Zuschlägen, der Benedict aber war +Eine Beule von oben bis unten und sein Blut rann ihm über das Gesicht und +den zerfleischten Leib. Athemlos und keuchend steht der Jacob, vermag kaum +den Seilstumpen mehr in der Hand zu halten, mit heiserer Stimme gibt der +Benedict die letzte Antwort: "Ach, beim Liebhardt hab' ich zwei Gulden +geliehen!"—und aufs neue schlägt der Vater zu, daß sich der Sohn wie ein +Wurm auf dem Boden krümmt, schreckensbleich steht der Bruder, die +Schwestern weinen vor Mitleid, die Theres bringt vor Angst und Schrecken +kein Wort hervor und hat den Muth zum Abwehren verloren, denn sie kennt +ihren Alten und weiß, wozu ihn die Wuth bringen kann.</p> +<p>Das Blut Benedicts, der keine Stimme und keine Thränen mehr zum Weinen hat, +gibt ihr endlich den Muth, in den Augenblicke, wo alle Kinder um Hülfe für +den Bruder schreien, aus der Küche zu springen, dem Vater, der mit beiden +Händen seinen Strick hält und zuhaut, unter den Streich zu fahren, +denselben am Arme zu packen und zur Menschlichkeit zu ermahnen. "Spring +fort, spring fort, Benedict!" rufen angstvoll die Geschwister und der +Benedict springt nicht fort, doch wankt er zur Thüre und zur Hinterthüre +hinaus in den Obstgarten und von da über den Zaun ins Feld.</p> +<p>Ohne Kappe, ohne Halstuch, ohne Wamms und Weste, ohne Schuhe und Strümpfe +und dazu ohne Geld wankt der Mißhandelte von Wenigen gesehen und von Keinem +erkannt, dem Weidengebüsche am Mühlenbache zu.</p> +<p>Dies waren Folgen des Ehrentages der schwarzen Schwitt.</p> +<p>Der Vater hatte nicht gewußt, daß sein Sohn die Zeche bezahlte; diesen +Morgen wandelt der Liebhard mit ihm und andern Nachbarn aus der Kirche, das +Gespräch kommt auf den Benedict, Alle loben denselben und der Liebhardt +sagt: "Darfst glauben, Jacob, daß ich deinem Buben die zwei Gulden nicht +geliehen hätte, wenn er ein liederlicher Mensch wäre!"—"Was? zwei Gulden +hat er bei dir geliehen?" fährt der Jacob auf und macht Augen wie +Pflugräder.—"Hätte ich das Maul gehalten!" denkt der Liebhardt, der jetzt +erst merkt, der Jacob wisse nichts um die Sache, doch kann er nicht als +Lügner dastehen, erzählt die Sache ausführlich und der <i>grundehrliche</i> +Jacob schämt sich in den Boden hinein, der <i>finstere</i> Jacob aber eilt +heim, flicht Knoten am Seilstumpen und ist gerade fertig geworden, als sein +Opfer den Kopf zur Kammerthüre herausstreckte.</p> +<p>Der Duckmäuser hatte nicht nur beim Liebhardt, sondern noch bei vielen +Andern, welche keine Buben oder Mädlen bei den Schwitten hatten, Geld +geliehen, wußte nicht, daß der Vater nur vom Liebhardt etwas wisse, gestand +zuerst den kleinsten, dann größere, allmälig alle Posten ein und mit den +Zahlen wuchs so der Grimm des Vaters. Als dieser der Theres Alles erzählt, +steht die gute, grundehrliche Frau gleich einer Bildsäule da und würde +ihren Mann zum erstenmal einen Lügner gescholten haben, wenn sie die +Geständnisse ihres "Augapfels" theilweise in der Küche draußen nicht selbst +gehört hätte. Beim Mittagessen erschien kein Benedict, in der Vesper fehlte +er auch und den ganzen Tag bis in die tiefe Nacht hinein war ein Geläufe +der Buben und Mädlen der schwarzen Schwitt zum Elternhause ihres +"Herzkäfers", doch vom Benedict wußte Niemand ein Sterbenswörtlein, seine +Eltern und Geschwister verriethen aber auch nicht, wie er geschlagen worden +sei und warum.</p> +<p>Noch um zehn Uhr Abends geht die Margareth mit der Susanne, Marzell und +Anderen durch das Oberdorf, sie reden lauter Liebes und Gutes vom +Duckmäuser, eine dunkle Gestalt schleicht hinter ihnen eine Weile her und +dann verschwindet sie zwischen den Gartenzäunen.</p> +<p>Es ist der Benedict, der seiner Wohnung zutrollt, die beiden kleinern +Schwestern stehen noch im Hofe, eilen freudig auf ihn zu und berichten auf +seine leise Frage, der Vater liege im Bett, die Mutter jedoch sei noch auf, +sie habe immer geweint und gefürchtet, er werde sich den Tod anthun, doch +wisse kein Mensch, was der Vater gethan habe.</p> +<p>Die letzte Versicherung tröstet den Duckmäuser, wenns nur Niemand weiß, +dann steht alles gut! wie lieb ihn die Mädlen haben und wie hoch ihn die +Buben der schwarzen Schwitt in Ehren halten, das hat er auf dem Heimwege +erfahren!</p> +<p>Am Bache hat er seine schwarzblauen Beulen und blutigen Striemen wehmüthig +betrachtet, sich dann ins Wasser gelegt und an den Wunden gerieben, +hoffend, dieselben würden eher unsichtbar werden, dann legte er sich +zwischen den Weiden nieder und schlief mit hungrigen Magen bis zum Abend, +wo er noch sitzen blieb, bis es recht finster wurde und dann fortschlich, +um zu sehen, wie es im Dorfe und daheim aussehe.</p> +<p>"Gang, Hannesle, lang mer jetzt die Kleider zum Kammerfenster heraus und +bring mein Geld; es liegt hinter dem Getüchtrog in einem dunkeln Lumpen +eingewickelt!" sagt der Duckmäuser; der Hannesle geht, berichtet der +Mutter, der Bruder sei Gottlob wieder gekommen, das Mütterchen bringt das +Geld selbst und fragt, wozu er so viel geliehen.</p> +<p>Ihr gesteht er Alles und sie sieht ein, daß der Augapfel Geld lieh, um die +Altmodischen der schwarzen Schwitt im Dorfe gegen die liederlichen und +allgemach verrufenen Rothschwittler in Oberhand zu halten, vergißt ihre +Schaam und würde die Beulen ihres Augapfels gerne nicht nur aus dessen +Gesicht, sondern von seinem ganzen Leibe mit ihren Zähren abgewaschen +haben. Sie will ihm Essen holen, er will nichts und sagt, er verdinge sich +noch heute Nacht in der Stadt oder sonst wo und nur das feierliche +Versprechen der Mutter, beim Vater ganz gutes Wetter zu machen, bringt ihn +davon ab, doch bleibt er nicht daheim, sondern geht wieder fort.</p> +<p>Eine halbe Stunde später kommt der Duckmäuser zum Dorfe, torgelt und +taumelt und redet mit sich selber wie ein Schwerbetrunkener und findet aber +doch den Weg zu den Linden, wo noch Buben und Mädchen der schwarzen Schwitt +stehen, denn das Verschwinden ihres Herzkäfers hat Alle in schwere Unruhe +und Besorgniß versetzt und Mehrere suchen in den umliegenden Ortschaften +ihr Haupt.</p> +<p>Der Mond steigt über den dunkeln Bergen des Schwarzwaldes auf und leuchtet +ins Thal, die Susanne erkennt den Duckmäuser, Alle springen ihm fragend +entgegen und sehen seine Beulen und Striemen; er spiele die Rolle des +Betrunkenen, wiewohl er im Pfarrdorfe drüben nur zwei Schöpplein schnell +hinabstürzte; sie glauben, daß er heute fortgewesen, im Rausche unbesonnen +gewesen sei, Händel angefangen und "Pumpes" bekommen habe.</p> +<p>Dies war's, was er wollte, denn daß ihn seine Eltern so wenig verriethen, +als die, von welchen er Geld geliehen, wenn er nämlich dieses Geld rasch +zurückgebe, dessen war er gewiß.</p> +<p>Der theuern Margareth, der holdseligen Marzell und dem herzensguten Vefele +erzählte er die Sache vom Liebhardt selbst, doch wollte er auf dem Markte, +wohin er jeden Donnerstag mit einem Korb voll Eier, Butter und dergleichen +geschickt wurde, ein großes Unglück gehabt und die zwei Gulden gebraucht +haben, um den Schaden vor dem strengen Vater zu verbergen!</p> +<p>Er konnte als armer Bursche mit den paar rothen Batzen, welche die Mutter +dem Vater für ihn abschwatzte, seine Anführersrollen nicht spielen, der Max +würde ihn mit seinen Kronenthalern arg zu Schanden gemacht haben. Heimliche +Schulden drückten den Benedict und seitdem er so gründlich erfahren, was +der Vater von Schulden halte, wars ihm desto unlieber, weil die Mutter gar +zu scharfe Augen machte, wenn sie den Marktkorb zurüsten half.</p> +<p>Ohne dem Augapfel ein Freudlein in Ehren zu mißgönnen, blieb sie sehr +sparsam und häuslich; seit der Geldgeschichte schien ihr auch ein Licht +darüber aufgegangen, weßhalb der Benedict seit einiger Zeit manchmal in +"Brandpeterle's" Haus schlich, welches im Punkte der Ehrlichkeit und in +einigen andern dazu nicht im besten Geruche stand. Sie paßte gewaltig auf, +wenn derselbe seinen Marktkorb auf den Kopf nahm und in die nahe Stadt +marschirte, suchte zuweilen hinter dem Getüchtrog und in andern Winkeln und +schüttelte den ergrauenden Kopf, obwohl sie niemals etwas Verdächtiges +fand.</p> +<p>Man munkelte im Dorfe hie und da von Schulden des Benedict, die rothe +Schwitt meinte, "er habe es dick hinter den Ohren und sei halt der +Duckmäuser", doch die Leute wurden nach und nach bezahlt und der rothen +Schwitt das böse Maul gestopft.</p> +<p>An einem Dienstag Abend sitzt der Benedict bei den Mädlen unter den Linden, +da sagt die Marzell: "Gelt, du hast heute ein Pfund Butter bei der krummen +Lisbeth für s' Baschi's Wittfrau gekauft?"—"Ja, warum sagst du's?"—"He, +die Lisbeth hat dich bei einer ganzen Heerd Weiber ausgerichtet, habest ihr +kein Geld für die Butter gegeben und nachher doch behauptet, du hättest sie +bezahlt!"—"Wart'! der Lisbeth will ichs morgen sagen! Hab' ich je in +meinem Leben um einen halben Kreuzer <i>betrogen?</i>" fährt der Benedict +auf und geht bald ein bischen verstimmt heim.</p> +<p>Am nächsten Markttage steht die krumme Lisbeth mit andern Weibern und +Mädlen des Dörfleins auf dem Wochenmarkte und just neben einer +Obsthändlerin. Auf einmal kommt der Benedict, kauft für zwölf Kreuzer Obst, +gibt der Frau das Geld und geht.</p> +<p>Eine Viertelstunde später kehrt er eilfertig zurück und fragt die Obstfrau +schon von weitem: "Nicht wahr, bei Euch habe ich für zwölf Kreuzer Obst +gekauft?"—"Ja, das habt Ihr!"—"Ich habe Euch ja 's Geld nicht gegeben?"— +"Doch, doch, Ihr habts mir in die Hand gelegt!"—"Oh, das kann gar nicht +sein, ich weiß es von meinem Gelde, die zwölf Kreuzer fehlen mir nicht!"</p> +<p>Wer keine doppelte Bezahlung will, ist die blutarme Obstfrau, wer darob ein +tüchtiges Geschrei anfängt, der Benedict und während alle Weiber recht +aufpassen, sagt er und schaut auf die krumme Lisbeth hinüber. "So ist's! +Die Eine will ihre Waare gar nicht, die Andere dagegen doppelt bezahlt +haben! ... Für die halbe Stadt muß ich einkaufen; gehe ich nun auch einmal +fort und vergesse in Gedanken das Bezahlen, so finde ich bald, wo es fehlt, +wenn ich die Rechnung über mein Geld stelle! ... Doch zweimal, wie es +vorgestern Eine mit ihrem Pfund Butter haben wollte, zahle ich nicht gern!"</p> +<p>"Da sieht man wieder, wie man den Leuten Unrecht thut!" ließen sich die +Weiber vernehmen und schauten auf die Lisbeth.</p> +<p>"Ich hab's vorgestern gleich nicht geglaubt, der Benedict geht jetzt schon +lange auf den Markt und hat sich noch nie etwas zu Schulden kommen +lassen!["] meint die Apel.</p> +<p>Abends hört der Duckmäuser von seinen Herzkäfern lauter Liebes und Gutes +und einer ganzen Heerde Weiber hat die Lisbeth eingestanden, es sei leicht +möglich, daß sie Benedicts Geld für die Butter verloren habe; ein Loch sei +nicht in ihrem Rocke, doch habe sie das Geld in der Eile nicht in den +Beutel gethan und vielleicht mit dem Schnupftuche weggeworfen.</p> +<p>Sauer, blutsauer ließ sich's unser Held werden, bis die ärgsten Gläubiger +zufrieden gestellt waren, Angst und Noth stand er genug dabei aus und fand, +der Erwerb auf krummen Wegen gewähre dem Menschen sehr wenig Freude; er +würde sich gern mit den paar Batzen begnügt haben, welche die Mutter ihm +zusteckte, doch sollte er <i>jetzt</i> vor dem Max zurücktreten, aufhören, +an der Spitze der schwarzen Schwitt zu stehen und so die "Neumodischen" +Herren im Dörflein werden lassen?</p> +<p>Der Max besaß Geld wie Heu; nicht blos an hohen Feiertagen und besondern +Gelegenheiten, sondern jeden Abend, den Gott gab, lebte die rothe Schwitt +herrlich und in Freuden, sei es im Hirzen oder in Kunkelstuben, und wenn +die schwarze Schwitt auch nicht groß thun, prahlen und unmäßig sein wollte, +so gab es doch von Zeit zu Zeit Gelegenheiten zum Geldausgeben und der +Benedict hätte es nicht sehen können, wie Maxens Rothe, Willibalds Luzie +und Andere mit Geschenken überhäuft wurden, während die braven, treuen und +lieben Mädlen der schwarzen Schwitt leer ausgingen.</p> +<p>Wenn er jetzt zuweilen mit einem kleinen Marktkorbe auf dem Kopfe zum Ort +hinausging, so wuchs der Korb merkwürdig in die Höhe, ehe er durch das +Stadtthor keuchte und einige Weiber wollten wissen, das Wunder gehe ganz +natürlich zu; gewiß war, daß der Benedict unterwegs seinen kleinen Korb +abstellte, seitwärts vom Wege in das Weidengebüsch des Mühlenbaches trug +und weit schwerer bepackt wieder hervorkam, sich vorher nach allen Seiten +umsah, ob kein Unrechter in der Nähe sei und dann rascher als vorher der +Stadt zulief. Die krumme Lisbeth mit ihren scharfen Augen bemerkte es wohl, +andere Weiber wußtens bald; sie zogen den Benedict auf wegen seines +Abstellens bei den Weiden und dieser merkte, daß Mutter Theres sammt andern +ihres Geschlechtes und manchen Männern dazu seine Ehrlichkeit und +Redlichkeit stark bezweifelten.</p> +<p>Der Liebhardt war nicht allein beim Jacob gewesen, als die Geldanleihe zur +Sprache kam, Andere mochten die Sache herum gesagt haben, Benedicts Eltern +zahlten alle ihnen bekannten Gläubiger aus, diese merkten auch etwas, das +Pfund Butter war auch noch nicht vergessen und das Dörflein lag nicht in +einer Gegend, wo man gestohlen haben mußte, um für unehrlich zu gelten; +eine wackere Lüge reichte dazu hin und der Marktkorb machte die Mutter so +mißtrauisch, daß sich der Held der schwarzen Schwitt nicht mehr zu helfen +wußte. Zuweilen kam jetzt wohl die Schwindsucht an sein Geldbeutelein, doch +von Zeit zu Zeit besaß er Geld und so vorsichtig er mit dem Ausgeben +desselben war, schüttelten doch manche den Kopf und meinten, der Max habe +mit dem Namen "Duckmäuser" keinen üblen Einfall gehabt.</p> +<h3><a name="3"></a>Duckmäusers Glücksstern erbleicht.</h3> +<p>An einem Sonntagmorgen tritt der Benedict aus der Kammer in die Stube, der +Vater rasirt sich gerade hinter dem Ofen und tritt diesmal nicht so glatt +und sauber wie sonst hervor, denn er hat sich im Eifer geschnitten oder vor +innerer Bewegung gezittert, seine Stirn ist gefaltet und der Blick so +finster, daß der Sohn bereut, durch das Löffelgeklirre der Mutter in die +Stube gelockt worden zu sein.</p> +<p>"Bist du gestern Nacht nicht wieder in Brandpeterles Haus gewesen?" fragt +der Jacob und der Mund zuckt bei dieser Frage gar seltsam.—"Ja, ich war +ein Viertelstündle dort und hab' geschwind die Geschichte vom Fortunatus +mit dem Säckel und Wünschhütlein erzählen! müssen!" meint der Benedict +kleinlaut.—"Woher hast du denn diese schöne silberne Uhr, die heute Nacht +aus deinem Sacke rutschte?" fragt der Alte mit blitzenden Augen und +zitternden Lippen und zieht die Uhr aus dem Kasten—"Ho, ich habe sie +gefunden!"—"So was findet man nicht so am Wege! Kerl, was fängst Du für +ein Leben an? Gib Acht, gib Acht, daß ich nicht hinter dich komme, 's geht +dann anders als wegen dem Liebhardt!" donnert der Vater und schlägt die +Eichenfaust auf den Tisch, daß die blechernen Löffel und zinnernen Teller +in die Höhe springen und die jüngern Kinder ängstlich zusammenfahren.— +"Alter, denk' an unsere Verabredung!" ermahnt die Theres, welche eine +Schüssel voll gebratener Erdäpfel neben die dampfende Suppe stellt.—"Wo +hast du die Uhr gefunden?" forscht der Jacob weit sanfter.—"Da und da."— +"Bah, bah, weßhalb hast du sie denn verborgen? Weßhalb mußte ihr Picken +erst dein Glück verkünden? Soll man das Maul halten, wenn man Etwas +gefunden hat? Meinst du, es werde Niemand nach der Uhr fragen? Kerl, Kerl, +nimm dich in Acht, heute gehst du mir nicht zum Hause hinaus, hast's +gehört?["]—"Ja, ja!" versichert der zitternde Benedict und die Mutter +wirft ihm einen Blick unaussprechlicher Angst und Bekümmerniß zu, denn sie +ahnt, wie ihr Augapfel zu der schönen Uhr gekommen sein möge. Aus der +Kirche bringt der Vater die Hiobspost, gestern Abend sei dem Melchior die +Silberuhr, welche er an der Wand hängen hatte—weggefunden worden, der +Benedict glaubt sein Todesurtheil zu vernehmen, doch flicht der Vater +diesmal keinen Seilstumpen und versetzt dem Bueb nur gelegentlich einen +Stoß, daß derselbe der Länge nach zu Boden stürzt und will einen Fußtritt +oben drauf setzen, den die herbeieilende Mutter jedoch verhindert.</p> +<p>Bei Nacht und Nebel trägt der Jacob die Uhr wieder dahin, woher sie +genommen wurde, kommt unbeschrieen wieder heim, kann kein Wort reden vor +Schmerz und Schaam, die Theres aber nimmt den Benedict in die Kammer, fällt +vor ihm auf die Kniee und bittet ihn unter strömenden Thränen und mit +aufgehobenen Händen, sich zu bessern und von dem Wege abzulassen, den er +eingeschlagen.</p> +<p>Bei allem, was dem Christenmenschen und Kindesherzen heilig ist, beschwört +sie ihn, vor Gott und den Menschen ehrlich und rechtschaffen zu wandeln und +bringt ihn zum Schwure, wieder ordentlich zu werden.</p> +<p>Sie verspürt an Eiern, Butter und dergleichen, daß es dem Duckmäuser +diesmal Ernst sei; sie kennt ihn inwendig wie auswendig und will Alles +thun, um ihn auf dem rechten Wege festzuhalten. Sie weiß, es gäbe Eine im +Dörflein, welche mehr über den Benedict vermöge, denn alle Geistlichen, +Vater und Muster zusammengenommen, diese Eine hieß Margareth und zu dieser +geht die tiefbekümmerte Theres, erzählt ihr, wie alle Ermahnungen, +Warnungen, Schläge und andere Mittel den Buben nicht von Brandpeterles +wegbringen könnten und wie es mit Melchiors Uhr zugegangen sei.</p> +<p>Ob der unerwarteten und nie geahnten Nachricht erschrak die Margareth so +sehr, daß sie den Benedict, für welchen sie freudig ihr Leben gelassen +hätte, von dieser Stunde an nicht mehr liebte, sondern eher fürchtete, und +später fürchtete wie selten ein Mensch gefürchtet wird. Sie verrieth +Theresens Vertrauen mit keiner Silbe, blieb gegen dieselbe eine zärtliche +Freundin und liebende Tochter, doch die Liebe für den Benedict war aus +ihrem reinen, blutenden Herzen verschwunden, jeder Blick und jedes Wort und +die Scheu vor dem verdächtigen Geliebten verrieth es jetzt schon.</p> +<p>Am dritten Abend darauf rüstet der Benedict seinen Marktkorb, die Mutter +sieht ihm mit nassen Augen zu, denn er sieht gar bleich und zerstört aus, +thut wie Einer, der nicht mehr bei sich selbst ist und hört stumm die +Aufträge herzählen, welche er morgen befolgen soll; schon um 3 Uhr will er +wie gewöhnlich fortgehen und um diese Zeit pflegt die Mutter noch ein +bischen zu schlafen.</p> +<p>Der Marktkorb ist gepackt, der Benedict setzt die Kappe auf und nimmt die +Pfeife von der Wand. "Wohin willst du noch?" fragt die Mutter.—"Zu den +Andern!" brummt der Sohn kurz und grob.—"Nein, du gehst jetzt nicht zu den +Andern, sondern bleibst da! ... Wenn gute Worte nichts nützen, dann will +ich auch anders mit dir anfangen!" ruft die schwergekränkte, erzürnte +Mutter.</p> +<p>Der Vater sitzt am Tische, sucht in einem alten Kalender den Tag, an +welchem die kleine Ammerey zur Welt kam, doch jetzt steht er auf und langt +nach den Stricken, die neben dem großen Legendenbuch am Kasten herabhängen, +der Duckmäuser jedoch schießt wie eine Kugel aus dem Rohr zur Thüre hinaus +in die stockfinstere Nacht hinein.</p> +<p>Einige Minuten später geht er in das Haus des Brandpeterle, in welchem die +rothe Schwitt jetzt ihr Hauptquartier aufgeschlagen hat. Der Brandpeterle +sitzt nicht in der Stube, denn er liegt schon längst drüben auf dem +Kirchhofe, doch dessen verrufene Wittwe setzt eben zwei Krüge Wein auf den +Tisch, ihre hübsche, doch leichtsinnige Tochter, die Hanne, sitzt auf dem +Schooße des Willibald, der mit fünf andern Buben und fünf Mädlen der rothen +Schwitt just vom Duckmäuser redet, denn dieser wird erwartet. An diesem +Abend wird das bisherige Haupt der schwarzen Schwitt vollends zum Haupte +der rothen ernannt, die Hanne zur "ehelichen Geliebten" desselben gemacht +und der erste Beschluß des Neubekehrten heißt: Brandpeterles Haus bleibt +Hauptquartier der rothen Schwitt, die ganze Jungfrauschaft der schwarzen +ist im Bann!</p> +<p>Etwa um die Zeit, wo Benedict sonst den Marktkorb auf den Kopf zu nehmen +pflegte, tritt er aus Brandpeterles Haus und geht nicht heim, um den Korb +zu holen, sondern zum Dörflein hinaus und am Kreuze vorüber, wohin er vor +drei Jahren in der Frohnleichnamsnacht die Maien gebracht.</p> +<p>Er zieht die Kappe nicht herab, sondern schaut nach der andern Seite.</p> +<p>Es wird Abend, wird wieder Tag, wird Sonntag, Dienstag und noch einmal +Dienstag, vom Benedict ist nichts zu sehen und zu hören, die Hanne mit der +rothen Schwitt wartet so vergeblich wie die schwarze. Am folgenden Sonntag, +während Alles in der Kirche ist, was nicht ganz notwendig in der Küche oder +bei der Wiege oder im Krankenbette bleiben muß, tritt der Duckmäuser wieder +über die Schwelle seines Vaterhauses, die Mutter steht am Heerde und kehrt +sich um, doch sie fährt erschrocken zusammen und findet keinen Gruß.</p> +<p>Ohne ein Wort zu sprechen, geht er in die Kammer, zieht ein frisches Hemd +und die Sonntagskleider wieder an, nimmt einen schweren Geldbeutel aus dem +Sacke der alten Hosen, steckt denselben ein und geht mit einem barschen +"Adje" wieder zum Hause hinaus.</p> +<p>Kein Kundschafter erfuhr, wohin der Benedict gegangen, doch wie es dunkel +wird, kommt er mit Zweien von der rothen Schwitt das Dorf herauf zur Linde, +die Mädchen der schwarzen Schwitt drängen sich nicht um ihn herum, wie dies +sonst immer der Fall war. "Wo ist d´ Margareth?" fragt er—"Wir wissens +nicht! ... sie wird daheim sein!" antworten Einige—"Und Ihr, was thut Ihr +da? Ihr könntet auch daheim sein!" sagt er und geht dann das Dorf weiter +hinauf.</p> +<p>Im Hofe des Brandpeterle sitzen die Dorothea, Klara, die Sabine, welche aus +der "Feinsten, Fleißigsten und Sittsamsten" auch eine Helden der rothen +Schwitt geworden ist, vielleicht aus Scheu vor dem Oberhaupte der +Schwarzen.</p> +<p>Der Duckmäuser will mit den Mädchen scherzen, die Gefährten dagegen halten +ihn eifersüchtig ab. "<i>Diese</i> gehen <i>dir</i> nichts an, dir gehört +die Hanne, laß diese sitzen, wo sie sitzen!"—"Was? Ihr habt mir nichts zu +befehlen, ich kann hingehen, wohin ich will und Ihr, wohin Ihr wollt!"</p> +<p>Mit diesen Worten kehrt der Benedict den Rücken und zu der Linde zurück, wo +Mädlen der schwarzen Schwitt einsilbig beisammensitzen und kein Lied +anstimmen.</p> +<p>"Guten, guten Abend, ihr Lieben! Was macht ihr Lieben?"—"Ach, was machen +wir! ... was denkst du aber auch! ... laß jetzt den Karren rennen, wohin er +rennt!"—"Was sagt denn die Margareth?"—"Ach, was sagt sie! ... was wir +halt auch sagen, daß Solches kein Mensch von dir geglaubt hätte! ... wo +bist denn gewesen die ganze Zeit?"—"Weiß es selber nicht!" "Bleibst jetzt +wieder da?"—"Dableiben? bei wem?"—"He, bei wem? bei deinen Leuten!"— +"Heute und morgen noch nicht!"—"Ach, thue es doch der Margareth und uns zu +lieb und folge deinen Leuten!"—"Der Margareth? Wißt Ihr nicht, daß sie mir +den Abschied gegeben hat? daß ich jetzt ein Rothschwitter bin und die Hanne +meine Herzige ist?"—Die Mädchen bleiben stumm, einige fahren mit der +Schürze über die Augen, andere weinen laut.</p> +<p>"Wenn Ihr zu der Margareth kommt, so sagt ihr, <i>sie</i> habe mich zum +Herrn in´s Brandpeterles Haus gemacht, gute Nacht!" sagt der Benedict mit +bebender Stimme, ein ingrimmiger Schmerz wühlt in seinem Herzen und droht +ihn zu erwürgen, er vermag kaum das "gute Nacht" noch herauszubringen, +kehrt sich ab und geht. "Benedict höre, ich muß dir noch Etwas sagen!" ruft +ihm die Susanne nach.—"Was weißt noch?" fragt er mit unsicherer Stimme.— +"Ich wills dir allein sagen!"—"Gut, Susanne, ich komme noch einmal zu dir +heute Abend!"</p> +<p>Um 11 Uhr klopft Einer am Kammerfensterlein der Susanne, diese öffnet und +der Benedict fragt, was sie ihm denn zu sagen habe.</p> +<p>Dieses schwache, einfältige Mädchen sagt in einer stundenlangen Rede Alles, +was Verstand, Ehre, Rechtschaffenheit und Gottesfurcht dem Zuhörer zu sagen +vermochten; jedes ihrer Worte dringt tief, schmerzlich tief in seine Seele, +sie fühlt, wie seine Hand in der ihrigen bebt und nimmermehr würde die +Predigt des begeistertsten Kanzelredners, nimmermehr die Thränen der Mutter +solch erschütternden Eindruck auf ihn gemacht haben, wie die Rede des +einfachen Bauernmädchens, in dessen unansehnlichem Körper eine edle, +herrliche Seele wohnte.</p> +<p>Stumm hört er die Susanne an, zuletzt schließt diese mit den Worten. "Wir +Mädlen sind <i>alle</i> bei deiner Mutter gewesen und sie hat uns +versprochen, dir solle nicht das geringste Leid widerfahren, wenn du nur +ihr und dem Vater wieder folgen wollest! ... Jetzt sage mir was du thun +willst!"</p> +<p>"Liebe Susann, ich kann nicht mehr hier bleiben, ich bin vom ganzen Dorfe +verachtet!" meint der Benedict düster.</p> +<p>"Nein, du bist nicht verachtet, Alle haben Mitleid mit dir und von dem, was +deine Mutter der Margareth, gesagt hat, wissen nur wir vier: ich, das +Besele, die Marzell' und die Margareth! Wir haben nirgends ein Wörtlein +gesagt und werden keines sagen, du weißt, daß wir dir treu sind!"</p> +<p>"Aber die Margareth?"</p> +<p>"Auch sie vergißt dir Alles und ist nicht mehr böse, wenn du jetzt folgen +willst! ... Sie ist die ganze Zeit nicht aus dem Hause gekommen, hat nur +geweint und wenn du noch jetzt zu ihr gehst, wird sie dir das Nämliche +sagen, wie ich!"</p> +<p>Verzweiflungsvoll starrt der Benedict zu Boden und schweigt, die Susanne +bittet noch einmal, Besserung zu versprechen und ermahnt ihn jetzt +heimzugehen und wieder redlich zu werden, sie wolle immer für ihn beten.</p> +<p>"Susanne, ich will dir folgen, will heute Nacht noch heimgehen und meine +Leute um Verzeihung bitten, aber—es nützt nichts, <i>es ist zu spät!</i> +... Gott behüte dich liebe Freundin!"</p> +<p>Verzweiflungsvoll schaut der Benedict zum sternenreichen Nachthimmel empor, +wischt zwei große Thränen ab und geht, geht jedoch nicht heim, sondern +zuerst vor das Kammerfensterlein des Besele, dann vor das der Marzell, hört +bei Beiden dasselbe, was die Susanne gesagt und pöpperlet mit bangem +klopfenden Herzen endlich noch bei der Margareth an.</p> +<p>Diese benimmt sich ganz so, wie ihre besten Freundinnen es vorausgesagt +haben, versöhnt sich mit ihm und schließt ihre Predigt also:</p> +<p>"Wie oft, wie oft, Benedict, hat das schneeweiße Bäbele selig von dir +gesagt, es sei nicht alles Gold, was glänze! ... Sei aber fortan jetzt brav +und redlich, ich bitte dich um Gotteswillen, Allerliebster! ... Denk´ jetzt +an unsern Herrgott, bete und arbeite, wie dein Vater, der brave Jacob sagt +und thut! ... Laß solche Sachen bleiben, dadurch wird kein Mensch +glücklich, wie du ja selbst schon oft gesagt hast!"</p> +<p>Schon bricht der Tag an, die Schwalben zwitschern, es ist Zeit, den +Marktkorb endlich zu holen, er geht heim, Vater und Mutter sprechen mit +ihm, als ob gar nichts vorgefallen wäre, Benedicts Entschluß zur Besserung +steht fest, ist aufrichtig, aber—zu spät!</p> +<p>Drei Tage früher und der Duckmäuser hätte wohl den armen, stets +verachteten, ungeliebten und durch die Lieblosigkeit der Menschen zumeist +verderbten Zuckerhannes niemals kennen lernen!</p> +<p>Wunderbar ist die Macht, welche von einer unschuldigen, tugendhaften, +christlich gesinnten Jungfrau nicht nur auf das Gemüth eines unverderbten, +sondern auch eines verderbten, ja lasterhaften Jünglings ausgeübt wird. Die +hohe Verehrung, welche ächte Katholiken der Jungfrau Maria zollen, wurzelt +im tiefsten Geheimniß des menschlichen Herzens und wer die Liebe der +jungfräulichen Mutter nicht versteht, lernt nur schwer die Liebe des +Gottessohnes zum Menschengeschlechte verstehen. Ein Verächter Marias ist +gewöhnlich ein schlechter oder mindestens sehr befangener Christ und wer +die Jungfrauen nicht achtet, ein roher und noch häufiger ein schlechter +Mensch. Schade, daß heutzutage christlich gesinnte Jungfrauen nicht +häufiger sind! Hat Satan nicht zuerst die Eva und dann erst, als diese +gesündigt hatte, durch sie den Adam verführt? Hat die Susanne, welche noch +lebt und über den universellen Sieg der rothen Schwitt im Dörflein trauert, +nicht den grenzenlosen Leichtsinn und tief eingewurzelten Hochmuth des +Benedict in Einer Stunde gebrochen? Wie wäre er sonst unter das Fensterlein +der Margareth und nach Hause gekommen? ... Mit dem Marktkorbe auf dem Kopfe +wandert Benedict wiederum der Stadt zu, zuerst holt ihn das Besele, dann +die Marzell und zuletzt auch die Susanne auf dem Wege ein, alle drei +sprechen leise und angelegentlich mit ihm und stumm hört er ihre Reden an, +antwortet zuweilen nur mit einem schmerzlichen: Ach, ich!—</p> +<p>Die "Alltagsmarktweiber" des Wochenmarktes stecken ihre Köpfe zusammen und +verwundern sich ebenso sehr über die fremdgewordene Erscheinung des +Benedict als über das nachdenkliche Gesicht und zerstreute Wesen desselben, +denn heute bringt er auch nicht einen seiner sonstigen Marktwitze und +fröhlichen Späße vor.</p> +<p>Auf dem Wege waren ihm noch früher als das Besele drei Gensdarmen begegnet; +diese gingen seinem Dörflein zu, ein schwüles, banges, unheimlichem Ahnen +erfüllte seine Seele, er sah immer nur die drei Gensdarmen, welche dem +Hause seiner Eltern zugingen und hörte nur immer, wie dieselben nach ihm +fragten!</p> +<p>Er verkaufte den Marktkram und ging dann in die Apotheke, um Arznei für +sein krankes Brüderlein zu holen. Ihm folgt jedoch einer der drei fatalen +Gensdarmen und als Beweis, daß derselbe bereits wieder aus dem Dörflein +komme, folgt auch der kleinere Bruder, der Hannesle deutet bleich und +zitternd auf den Aeltesten und sagt: das ist unser Benedict! ... Der +Hannesle wartet auf die Arznei, der Verhaftete übergibt demselben den Korb +sammt dem Marktgelde und wird vom Gensdarmen in das Amtsgefängniß geführt. +Man fand nicht mehr bei ihm, was man suchte, doch er dachte an die +verflossene Nacht, gestand seine ganze Schuld dem Assessor, welchem er +vorgeführt wurde und kehrte noch am Abend desselben Tages in sein Dörflein +zurück.</p> +<p>Der Jacob schmierte gerade ein Pflugrad, als er seinen Ungerathenen kommen +sah, eilte zum Hause, stellte sich neben die Theres und beide erklärten +einstimmig, <i>er</i> habe kein Elternhaus mehr, sei für immer von ihnen +verstoßen und sie wollten vergessen, jemals einen Sohn gehabt zu haben, der +Benedict heiße.</p> +<p>Diese furchtbare Erklärung brachte den Duckmäuser nicht außer sich, er +behauptete, derjenige gar nicht zu sein, welchen die 3 Gensdarmen gesucht +hätten; seine Unschuld sei gleich erkannt und deßhalb sei er auch gleich +wieder freigelassen worden nach dem ersten Verhöre. Auf solche Weise +<i>erschlich</i> er den Eintritt ins Elternhaus.</p> +<p>Viele Bewohner des Dörfleins jedoch glaubten nicht an seine Unschuld, +bürdeten ihm zehnmal mehr auf, als er jemals gethan hatte und so wenig sich +die Mehrzahl scheute, Ehre zu geben wem Ehre gebührt, so wenig scheute sich +dieselbe, ihren Argwohn und ihre Verachtung dem Benedict ins Gesicht hinein +zu werfen.</p> +<p>Als ihm die Mutter ebenfalls den Markt und die häuslichen Arbeiten abnahm +und dem Gregor übergab, zugleich nirgends einen Schlüssel mehr stecken +ließ, wo etwas zu holen war, da entleidete dem Benedict das Leben im +Elternhause und er wäre fortgegangen, wenn die Mädchen ihm nicht in dieser +Zeit Proben wahrer Freundschaft und Liebe gegeben hätten. Diese scheuten +weder Muthmaßungen noch Sticheleien und böse Nachreden, theilten ruhig und +freudig seine Verachtung, gingen offen mit ihm um, kamen zur Mutter Theres, +um diese zu trösten, zu beruhigen und derselben eine freudenvollere Zukunft +zu versprechen, insofern solche von ihrem Aeltesten abhänge. Der Duckmäuser +hatte die arglosen, unschuldigen Mädchen leicht von seiner Schuldlosigkeit +überzeugt und sie glaubten an seinen guten Willen zur Besserung. Er hielt +sich möglichst fern von den Leuten, seufzte im Stillen, denn Ruhe blieb +seinem Herzen fremd. Böses erwiederte er nicht mit Bösem, nahm Alles in +Demuth hin, betete viel und nach einiger Zeit gab es auch Stunden, wo er +selbst an eine bessere Zukunft glaubte. Was thut, hofft, fürchtet ein +junger Mensch nicht in arger Bedrängniß?</p> +<p>Die treuen Mädchen, welche zur altmodischen Schwitt gehörten, standen mit +ihrer Treue vereinzelt, denn die meisten Buben und Mädlen ihrer Parthei +hielten das stille, ruhige, demüthige Benehmen des außer Kredit gekommenen +Oberhauptes meist nur für einen Akt neuer Verstellung. Dagegen begegnete +die rothe Schwitt dem Duckmäuser so freundlich, zuvorkommend und +wohlwollend wie noch nie, denn sie glaubte, jetzt oder nie sei der rechte +Augenblick da, um ihn ganz an sie zu fesseln.</p> +<p>"Wie lange werden die treuen Mädchen der alten Schwitt noch zu dir halten? +Wie lange wird es dauern, bis der letzte und ärgste Schlag im Hause +geschieht? Bis du von den Besten unter den Guten verachtet, verlassen, aus +dem Elternhause verstoßen sein wirst? Sind dann alle Deine Anstrengungen +nicht vergeblich gewesen? Sei pfiffig, Benedict, bei der rothen Schwitt +winkt Freude und Genuß, <i>gerade jetzt</i> ist es die rechte Zeit zum +festen Anschluß an dieselbe! Leben die Buben und Mägdlein der rothen +Schwitt nicht auch im heimathlichen Dörflein? Haben sie nicht ihre Eltern +hier, Verwandte und Gesinnungsgenossen genug in den umliegenden Dörfern? +Stelle dich an die Spitze der rothen Schwitt, mache das Leben derselben zur +Mode, dann wird die allgemeine Verachtung aufhören, sie muß aufhören!" Also +flüstert in bangen, schlaflosen Nächten der Versucher dem Benedict ins +Herz, mächtig kämpft die Erinnerung an die Nacht des Fensterleins, mit +letzter Kraft die Liebe zur Margareth und deren Freundinnen gegen jene +Stimme an—er erlebte grausam qualvolle Stunden, der unglückliche +Duckmäuser! ... "Fort, fort von hier, das ist meine einzige Rettung!" sagt +er an einem Sonntagmorgen zu sich selbst und geht.</p> +<p>Nach der Vesper steht er jedoch mit dem Willibald, der ihn eine Stunde vom +Dörflein traf und zur Umkehr bewog, unter der Linde und sein letztes Wort +heißt: Ihr dürft auf mich zählen, Willibald, ich komme bestimmt!</p> +<p>Nach dem Abendessen schleicht er ohne Wamms und Kappe zur Thüre hinaus in +den Garten; hier hängt Wamms und Kappe an einem Rosenstocke, er zieht sich +an, setzt die Kappe recht aufs linke Ohr und nach einigen Minuten steht er +in der Mitte der rothen Schwitt, welche insgesammt im Hauptquartier beim +Brandpeterle sitzt und ihn jubelnd bewillkommt.</p> +<p>Die Hanne mit glühenden Bäcklein holt sogleich einen Hafen voll vom Alten, +ihre Mutter überreicht ihm die Schlüssel zum Keller und zum Speicher, zur +Fleischkammer und zum Geldkasten, erklärt ihn zu ihrem Eidam und spricht:</p> +<p>"Hab's schon oft der Hanne gesagt, sag's täglich, Dich und sonst keinen +Andern will ich im Haus haben, denn Keiner ist im ganzen Revier, der dir +gleicht! ... Hast ganz Recht gehabt, ganz Recht gehabt, wenn du nur einen +ganzen Maltersack voll, Maltersack voll bei so einem reichen Geizhals +erwischt hättest! ... Man muß nicht so dumm sein, nicht so dumm sein, wenn +man dazu kommen kann! ... Ich hab' eben lauter Esel, der Sepp, der Sepp, er +muß bei dir lernen!"</p> +<p>Toll und bunt geht es zu beim Brandpeterle, die rothe Schwitt rast vor +Freuden über das neue Oberhaupt, selbst der Max hat allen Groll vergessen, +doch schon um halb neun steht der Benedict auf, um fortzugehen.</p> +<p>Alle erklären sich dagegen, er bleibt fest und die Alte meint: "Was, du +willst fort? fort von deiner Schwiegermutter? Willst halt noch zu deiner +Schläferin, gelt? ... Möcht' nur auch wissen, was du denkst! ... Du der +lustigste Bueb im Dorf, im Dorf, magst mit einem so todten Mädle gehen, wie +die Margreth eines ist, während die vornehmsten Mädlen, wie meine Hanne, +die Hanne dort, die Finger nach dir lecken!"</p> +<p>Vergeblich jedoch beschwört die Schwiegermutter den Eidam zum Dableiben, +vergeblich ruft sie:</p> +<p>"Hanne, schenke ihm ein, er darf nicht fort! ... Du behälst ihn bei dir +heute Nacht und wenn seine fromme Mutter auch allen Heiligen die Füße +abrutscht!"</p> +<p>Doch der Duckmäuser geht, findet die fromme Mutter mit seinen treuen +Freundinnen auf der Staffel des Hauses sitzend; sie fragen ihn, wo er +gewesen sei, er gibt eine ausweichende Antwort, doch die Dasitzenden +errathen die Wahrheit, ohne ihren Gedanken zu offenbaren, er redet wenig +und legt sich bald zu Bette.</p> +<p>Von nun an schwankt er haltlos hin und her, nirgends hat er sein Bleiben, +auch bei der rothen Schwitt bleibt er nie lange und kommt nur, wenn er die +bösen Geister, welche ihn plagen, im Wein und bei der Hanne ersäufen will, +sucht dann in der Hölle Ruhe und Frieden und findet stets das Gegentheil +davon.</p> +<p>Der Mutter und den treuen Mädlen entgeht seine Haltlosigkeit nicht, sie +bieten alle Macht ihrer Zärtlichkeit und Liebe auf und bringen ihn wirklich +dazu, das Haus des Brandpeterle zu meiden, der Hanne und der ganzen rothen +Schwitt mit Verachtung entgegen zu kommen. Aus dem leichtsinnigen Benedict +scheint ein ernster, rechtschaffener Mann werden zu wollen, die Mutter und +die Margareth glauben ihren Herzkäfer Gott und der Tugend gerettet zu +haben, doch an einem Freitag Morgen tritt ein Zweifarbiger, nämlich der +Amtsdiener in die Stube und meldet, der Benedict habe morgen früh um 9 Uhr +vor Amt zu erscheinen.</p> +<p>Derselbe stand gerade beim Hirzenwirth im Taglohn, erfuhr von der Einladung +nichts, bis er Abends spät nach Hause kam.</p> +<p>Da geht das Donnerwetter los, die Eltern meinten, er habe wieder irgendwo +einen schlechten Streich gemacht und es fehlte nicht viel, so würden sie +ihn noch in dieser Nacht fortgejagt haben.</p> +<p>Mit bangem Herzen geht der Duckmäuser am folgenden Morgen vor Amt in die +Stadt und macht den Rückweg erst wieder nach vier Wochen, weil der +Gefängnißwärter nichts vom Heimgehen wissen will, bevor die Strafe +erstanden sei.</p> +<p>Während dieser Zeit saß die Mutter oft gar traurig und niedergeschlagen am +Abend mit der Margareth, dem Vefele, der Marzell und der Susanne auf den +Staffeln und gegen alle Tröstungen unzugänglich, sagte sie hundertmal:</p> +<p>"Er hört nicht auf zu lügen, hierin liegt der sicherste Beweis, daß er sich +nicht ändern will! Er hat über unser Haus jetzt eine Schmach gebracht, +welche nie wieder hinwegkommt, so lange er darin ist, darum soll er auch +nie wieder in dieses Haus treten, wenigstens so lange ich am Leben bin!"</p> +<p>Die Mädchen meinten, Benedicts Strafe sei ja nur eine Folge des gewiß +abgelegten Leichtsinnes, die Mutter habe ihm nach der Rückkehr von der +mehrtägigen Wanderung Alles verziehen und dürfe also nicht so hart sein, +wenn sie gerecht handeln wolle, doch Alles half nichts und wenn Theres +nichts mehr zu erwidern wußte, begann sie zu seufzen oder zu schimpfen.</p> +<p>An einem Mittwoch Morgen kommt der Benedict durch den Garten auf das Haus +zu und steht auf der Schwelle der Hinterthüre; die Mutter stand am Heerde, +jetzt wendet sie sich um, ihre Augen sprühen Feuer, sie eilt ihm entgegen +und ehe er sich's versieht, spritzt das Blut aus einer Wunde an der Stirn +und dann schlägt sie die Thüre vor ihm zu mit den vernichtenden Worten:</p> +<p>"Du, Galgenstrick, kommst nimmer über die Schwelle dieses Hauses, so lange +ich noch schnaufe! Wirst genug haben an diesem Willkomm, kannst damit +hingehen, wohin du willst, mich <i>aber nenne nie mehr deine Mutter!"</i></p> +<p>Sie hat ihrem Sohne den Abschied mit einem scharfkantigen Holzscheite +gegeben und er wird die Spuren der Wunde inwendig und auswendig ins Grab +nehmen.—</p> +<h3><a name="4"></a>Junges Glück und alter Hochmuth.</h3> +<p> +Es gibt nichts Lieblicheres und Wohltuenderes als die sonnenreichen, milden +Tage, welche von Maria Geburt bis Allerheiligen und manchmal bis in den +Dezember hinein der Herbst in das badische Land bringt. Oft schaut der +Schnee von den höchsten Bergen des Schwarzwaldes dem paradiesischen +Frühling und Sommer des Rheinthales tief ins Auge und der Blick in die +Schweizeralpen gibt ihm Muth zum Dableiben und muß er sich endlich in die +schattenreichsten Klüfte flüchten, zuletzt auch diese Schlupfwinkel meiden +und als neutrales Gebiet zurücklassen, wo weder der Winter noch der Sommer +herrscht und nur der Frühling sein neckisches Knabenspiel ein bischen +treibt, so kehrt der Winter von seinem Besuche bei den Schweizerbergen doch +frühzeitig wieder zurück und versucht es, seinen Schneemantel wieder über +die Höhen des Schwarzwaldes zu werfen. Entdeckt der September einige Zipfel +des Schneemantels, so lacht er darob und jagt den Winter mindestens in +seine Klüfte mit einer etwas stark verbrauchten Sonnenstrahlenruthe zurück; +der Oktober lacht auch noch, doch heult, lärmt und weint er immer mehr +dazwischen, denn der Winter redet von seinen Burgen herab schon ein +ernsthafteres Wörtlein und sendet wohl zuweilen seinen Spion, den Frost in +das Land des Herbstes; dieser gibt den Gedanken an Eroberung der Burgen +immer mehr auf, begnügt sich, in den stillen, heimlichen Thälern des +Schwarzwaldes am Tage herumzuwandern und bekommt endlich genug zu thun, um +sich den vom Gebirge herabstürzenden Vortrab des Winters vom Leibe zu +halten; wenn der November endlich auf den Kampfplatz tritt, mit seinem +wahren Diplomatengewissen und ebenso geneigt, mit dem Sommer und dem Winter +zu unterhandeln und beide an der Nase herumzuführen, so schaut dieser +manchmal griesgrämig und finster drein, wenn ihm der Oktober keinen guten +Neuen credenzt und tüchtig einschenkt. Ist der Wein gut und ein bischen +viel, dann bringts der November wohl noch dem Dezember zu und mehr als ein +sonnenhelles Lächeln zuckt über das kahle, verwitterte Gesicht des sonst so +kalten und menschenfeindlichen Alten, er lüftet wohl seinen Schneemantel +oder schlendert denselben lustig auf die Schwarzwälderberge zurück und +stirbt als treuloser Knecht des Winters in der süßen Trunkenheit, welche +der Oktober, ein rüstiger lebensfroher Fünfziger und der grauwerdende +November mit seinem abgelebten Intriguantengesichte über ihn gebracht +haben.</p> +<p>Am Tage, an welchem der Duckmäuser mit blutiger Stirn und blutendem Herzen +dem Elternhaufe den Rücken kehren mußte, hatte der Oktober just scharfe +Händel mit dem Winter bekommen, denn jener hatte den Schneemantel des +letztern bereits auf den mittlern Bergen entdeckt und fürchtete für seine +Vorhügel, wo der Wein noch vollends anszukochen war; beide lärmten und +tobten, daß alle Bäume Reißaus nehmen wollten und weinten vor Zorn und +Wuth, daß die Mutter Erde ob dem Verderben ihres zersetzten Unterrockes +auch plätschernd schimpfte und kein trockener Faden an unserm Wanderer +blieb.</p> +<p>Seine Werktagskleider hatte der Benedict im Thurme ein bischen stark +abgerutscht, war neben andern auch mit Flickergedanken heimgegangen, jetzt +besaß er nichts auf der weiten Welt, denn zerrissene Kleider, ein +zerrissenes Herz und einen magern Geldbeutel, und weil er doch nicht wußte, +wohin er sollte, ließ er sich vom Sturm auf's Gerathewohl vorwärts treiben +und trunken von Schmerz, gleichgültig gegen das Leben, fühlt er wenig vom +wilden Kampfe der Jahreszeiten und noch weniger von Hunger und Durst.</p> +<p>Würde ihm ein Gensdarme begegnen, so würde er nichts sagen über Wer, Woher +und Wohin und ließe sich geduldig in irgend ein Gefängniß führen.</p> +<p>Gegen Abend kommt er in ein fremdes Dorf und der Leuenwirth nimmt ihn auf, +weil er demselben einiges Geld zeigen kann. Er ißt und trinkt wenig, weint +jedoch viele bittere Thränen in sein Kopfkissen, weils ihm wird, als ob die +Margareth, das Vefele, die Susanne sammt der Marzell in der Kammer wären +und gar wehmüthig und traurig in das Bett des Verstoßenen hineinschauten, +der nicht einmal Abschied von diesen lieben Seelen genommen hatte. Er weint +und betet, redet im unsäglichen Wehe mit sich selber, da fährt ein Gedanke +durch seine Seele, wie ein falber Blitz durch die stürmische Wetternacht.</p> +<p>Lebt nicht einige Stunden von hier, in einem Dorfe in der Nähe des Rheines +ein alter, guter Freund? Ist dieser Freund nicht wohlbestallter +Schweinehirt seines Dorfes? Braucht ein solcher nicht einen Knecht, wenn +die Zahl der unartigen, grunzenden Pflegebefohlenen ein bischen groß ist? +Heißt der Freund nicht auch Mathes, wie neben dem Gregor der beste Freund, +welchen der Benedict bei der schwarzen Schwitt besaß? Ist jener Mathes kein +"göttlicher Sauhirte", so ist er doch ein gutmüthiger, lustiger Kamerad und +ein Musikant dazu. Wie oft ließ er den Brummbaß schnurren an Kirchweihen +und an der Fastnacht, bei Hochzeiten und sogar bei einigen Festen der +schwarzen Schwitt und saß er nicht auf der Musikantenbank in der Nähe des +Benedict, wenn dieser mit seiner Klarinette die schönsten Walzer und Hopser +in den Tumult und in die Staubwolke des Tanzsaales hineinblies? Hatte er +nicht manches Glas mit dem Benedict getrunken, diesen seinen +"Herzgepoppelten" genannt, ihm von den Freuden des einsamen, stillen Waldes +und des Lebens unter den Schweinen erzählt? Kannte der Mathes nicht die +Margareth und die Marzelle und Alle, welche dem Duckmäuser jemals lieb und +werth gewesen? Wo sollte in dieser Zeit sonst ein Plätzlein gefunden +werden, wo der verstoßene Bueb überwintern konnte?</p> +<p>Ganz beruhigt schläft Benedict ein, erwacht sehr frühe und lauscht, bis ein +Getrabe im Wirthshause entsteht, darf nicht lange darauf warten, läßt sich +den Weg ein bischen sagen und dieser ist nicht schwer aufzufinden. Die +Sterne stehen noch über den finstern Höhen des Gebirges, als er sich auf +den Weg macht und es wird nicht Mittag, so findet der Benedict den +schweinetreibenden Mathes mitten unter seiner Heerde im Eichwald.</p> +<p>Der Hirtenhund des Mathes würdigt den Gast keines Blickes, denn er erkennt +in demselben kein rechtes Schwein und was nicht Schwein heißt, existirt für +ihn gar nicht auf dieser Welt; dagegen hört der Trüffelhund des Mathes mit +Scharren auf, bellt lustig und rennt dem Ankömmling entgegen, sein Herr +thut dasselbe und nach 3 Minuten weiß der Benedict, daß er zu keiner +gelegneren Zeit hätte kommen können.</p> +<p>Der Mathes erkennt im Unglücke des Freundes eine Schickung des Himmels, +welcher sich auch eines geplagten Schweinehirten erbarmt; gerade gestern +ist der Knecht entlaufen, "'s war ein Ueberrheiner, ein Spitzbube", sagt +der Hirt und installirt sofort durch Ueberreichung des Hörnleins den +Benedict als neuen Knecht.</p> +<p>Wie der schmucke Benedict, der trotz des armseligen Gewandes ein hübscher +Bursche blieb und durch das Tuch um den Kopf etwas Rührendes und +Malerisches gewann, am andern Morgen mit seinem Horn die Ringelschwänze des +Rheindorfes zusammenbläst, grüßt ihn von manchem Hofthor herüber manch +liebliches und freundliches Gesicht, und es kommt ihm vor, die Leute seien +hier wohl besser als daheim im Dörflein.</p> +<p>An den letzten Häusern bläst er noch einmal recht herzhaft und freudig und +wäre das Hörnlein eine Klapptrompete gewesen, so würde er in langgezogenen +Tönen und raschen Tonläufen der neuen Heimath einen feierlichen und +jubelnden Morgengruß zugeblasen haben. Jetzt treibt ein gar reinlich +gekleidetes und nettes Mädle mit brennend schwarzen Augen, zarten rothen +Wangen und freundlichem Munde ein Mutterschwein sammt drei Ferkeln zur +grunzenden Armee, blickt auf, steht wie versteinert, geht auf den Benedict +zu, nennt ihn beim Namen, faßt dessen Hand, begrüßt ihn als Freund und +ladet ihn dringend ein, doch so bald als möglich in ihr Haus zu kommen.</p> +<p>Gewiß hat noch kein Feldherr sein siegreiches Heer mit seligeren +Empfindungen in die Heimath zurückgeführt, als jetzt der Duckmäuser seine +Ringelschwänzlein zum Walde trieb.</p> +<p>Er hat Brod, hat einen Freund, hat eine liebe Freundin, was will der Mensch +mehr? Bis zum Abend muß er im Walde bleiben, der Mathes ist ein +kurzweiliger Gesell, doch von zarten Gefühlen und schwärmerischen +Empfindungen versteht er nichts, dem Knechte kommt es vor, als ob der +kurze, trübe Oktobertag mit seinen dampfenden Bergwäldern ein endloser +Junitag voll Blüthenduft und Sonnenlicht und herrlicher, doch gar zu +langsam reifender Früchte sei und kaum sind seine Pflegebefohlenen freudig +grunzend und lustig schreiend heimgesprungen, kaum sind die letzten von den +Bäuerinnen unten im Dorfe in die Ställe gelockt worden, so steht der +Benedict vor der Schulkamerädin und Landsmännin, der freundlichen Rosa; ihr +Pflegevater, der alte Straßenbasche, ein ehemaliger Unteroffizier, jetzt +ein zufriedener Bauer und fleißiger Straßenknecht dazu, ladet ihn zum +Nachtessen ein und die Pflegmutter springt fort, um bei der Scheckenbäurin +drüben die versprochenen Trauben und beim Adlerwirth eine Flasche +Ueberrheiner zu holen.—Lange Jahre haben sich Rosa und Benedict nicht mehr +gesehen; sie kam fort, ehe die beiden Schwitten im Werden waren und ihre +Geschichte ist eine in jeder Hinsicht zu wahrhaftige Dorfgeschichte, die +Rosa spielt fortan eine zu erhebliche Rolle, als daß wir nichts Näheres +erzählen sollten.</p> +<p>Rosas Eltern wohnten einst nicht weit vom Schulhause, in welchem der +Benedict als Unterlehrer und als "der Leichtsinnigste von Allen" +Knabenlorbeern pflückte. Sie liebte den Unterlehrer, denn er sagte auch ihr +ein, machte auch ihre Aufsätze, beschützte auch sie beim Schuckballen und +Ziehen auf der Wiese gegen den Unverstand und die Rohheit des Max, +Willibald und anderer gar früh keimender Lümmel der rothen Schwitt, welche +Freude daran fanden, die Mädchen zu necken, zum Weinen zu bringen, ihre +Kleider zu zerreißen und in den Kinderhimmel derselben hineinzubengeln, bis +sie sich schüchtern mit Zusehen begnügten oder schreiend heimsprangen. Die +Freundlichkeit, Güte und Liebe des starken Benedict gegen die schwachen +Mädlen war auch der Rosa unvergeßlich geblieben, deren Geschick sich minder +freundlich gestaltete, als das der Kameradinnen, so daß sie ohne Gottes +besondern Schutz leicht ein weiblicher Zuckerhannes hätte werden mögen, +deren es jährlich mehr im Badischen wie anderwärts gibt. Rosas Eltern waren +weder reiche noch arme, sondern mittelbegüterte, dabei grundehrliche, +gottesfürchtige Leute vom alten Schlage.</p> +<p>War Benedicts Vater ein bischen zu finster und in Geldangelegenheiten oft +karg und hart, so war der Vater Rosas fast zu leutselig, zu gut und +barmherzig, schenkte Jedem gleich sein Zutrauen und litt an der +Schwachheit, niemals eine Bitte abschlagen zu können, wo das Helfen +irgendwie in seiner Macht stand.</p> +<p>Kommt eines Tages ein naher Vetter zum Klaus, wie Rosas Vater hieß, der +überall der "ehrliche Klaus" genannt wurde und dessen Wort mehr galt als +heutzutage doppelte gerichtliche Versicherung; der Vetter aber klagte +erbärmlich, denn er hat Schulden, die Gläubiger wollen entweder bezahlt +sein oder einen guten Bürgen haben. Klaus redet mit seiner Alten, leistet +richtig Bürgschaft und sein bloßes Versprechen, im Nothfalle Selbstzahler +werden zu wollen, beruhigte und befriedigt die Gläubiger des Vetters. +Dieser jedoch gehört zu den vielen gewissenlosen Schuften, die gar stolz +und eingebildet im Bauernrock und Herrenmantel an Zuchthäusern +vorüberwandeln und sich darüber freuen, daß man in der Welt gemeiniglich +nur die kleinen Spitzbuben hängt, die großen dagegen laufen läßt. Er +benützt Klausens gutmüthige Schwachheit noch weiter, nimmt auf dessen +Bürgschaft hin ein ordentliches Kapital auf, macht im Stillen Haus und Hof +zu Geld und eines schönen Morgens verschwindet er aus dem Dorfe und kommt +nicht wieder; nach einigen Monaten wandern die Seinigen ihm nach und zwar +nach Amerika, wo allmälig alle Spitzbuben und Schurken der Welt sich gerne +ein Stelldichein geben und den ehrlichen Leuten das Spiel verderben.</p> +<p>Jetzt kommen einige Gläubiger des saubern Vetters zum Klaus, doch ihre +Hoffnungen sind schwach, denn der Klaus ist kein reicher Mann, hat ein Weib +und vier unschuldige, unerzogene Kindlein, zudem besitzen sie nicht Schwarz +auf Weiß und das Ja, welches ehemals aus Klausens Lippen tönte, verhallt +gewiß unter dem Nein aller Gründe, welche Klugheit, Selbstliebe und +Pflichtgefühl eines Familienvaters einzugeben vermögen.</p> +<p>Einige Gläubiger klopfen gar nicht an, sie wollen den biedern, ehrlichen +Mann nicht einmal durch eine Frage ängstigen.</p> +<p>Zu den Andern dagegen spricht der Mann wörtlich:</p> +<p>"Mit all dem Geld, für welches ich gutstand, könnte ich meine Ehre und die +Reinheit meines Gewissens nicht erkaufen. Ich hab' Euch mein Wort gegeben +und bin jetzt schuldig mein Wort zu halten, werde es thun, so gut ich's +eben vermag!"</p> +<p>Einige Wochen später wird Klausens Häuslein sammt Allem, was darin und +daran ist, versteigert; er hat deßhalb mit seiner Alten keinen Streit +bekommen und mit ihr und den Kindlein beim Rindhofbauern, dem Fidele und +allzuschwachen Vater des schlimmen Max, vorläufig ein Kämmerlein und Brod +bekommen, doch am dritten Tage nach der Steigerung ist dem Klaus das Herz +gebrochen, er legt sich ins Bett und stirbt nach wenigen Stunden, während +er wörtlich also betet. Herr, du hast mich arm gemacht, darum komm' ich +jetzt zu dir und übergebe dir die Sorge für mein Weib und meine Waislein!</p> +<p>Gott hat das Gebet erhört; acht Tage später bricht auch dem Weibe das Herz +und sie folgt ihrem Klaus nach in ein Land, wo es keine Schuldgesetze, +keine Bürgschaften und keine Versteigerungen gibt.</p> +<p>Jetzt werden die vier Kindlein verloost und getrennt, sind noch viel zu +jung zum Arbeiten, das älteste zählt kaum 10 Jahre, das jüngste kaum einige +Wochen. Die siebenjährige Rosa wandert in das Haus eines wegen seines +Unverstandes und seiner Rohheit gefürchteten und berüchtigten reichen +Hofbauern, der nur darauf sinnt, wie das Kind sein elendes Bettlein und die +Dienstbotenkost mit Zinsen vergüten könne.</p> +<p>Rosa sollte noch lange zur Schule, doch täglich muß sie den schweren +Milchkorb auf den Kopf nehmen und stundenweit in die Stadt marschiren, +sobald der Morgen graut.</p> +<p>Bei uns fehlt der Schnee gar oft im Dezember und Januar; am Tage regnet's +und in der Nacht gefrierts, so daß auf allen Wegen und noch mehr auf dem +Straßenpflaster das Glatteis am Morgen die Wanderer zum Fallen bringt.</p> +<p>Ein Fehltritt, dann ist's geschehen und so ging es einmal dem Rosele, +diesem schwachen Kinde; sein Fuß gleitete aus und der Milchkorb lag auf der +Straße. Wie hat das Kind vor Angst und Schrecken gezittert und gebebt, als +die Scherben der Milchtöpfe klapperten! Mit weinenden Augen schaut es zu, +wie die bläuliche Milch in gefrorene Fußtapfen und Wagengeleise rinnt, +fühlt schon den Seilstumpen sammt dem Farrenwedel des Pflegherrn auf dem +Rücken, weiß nicht mehr, was es thut, liest endlich einige Kohlköpfe und +Scherben zusammen, in welchen noch ein wenig Milch zurückblieb und läuft +still weinend und schluchzend der Stadt zu.</p> +<p>Vom Korbe herab tröpfelt die Milch noch immer über das grüne Biberkleidlein +und das Kind sieht bald aus, als ob es einmal Milch geregnet habe, in +seiner Todesangst hat es die Sache erst auf dem Wochenmarkte wahrgenommen.</p> +<p>Hier begegnet es seinem ehemaligen Unterlehrer, dem Benedict, denn der +Hofbauer, bei welchem Rosa lebt, wohnt nicht im Dörflein, sondern gehört +nur noch zur Gemeinde desselben. Beide sehen sich sonst blutwenig, jetzt +aber sieht er seine alte Schülerin wieder und hört die schlimmen +Prophezeiungen der Weiber, welche den unmenschlichen Hofbauern kennen. +Benedicts Geheimkasse hinter dem großen Getüchtrog ist gerade in Floribus, +er schenkt dem Rofele gerade so viel als es heimbringen soll, kauft dazu +neue Milchtöpfe, tauscht dieselben gegen alte aus und weil ein Milchtopf +ziemlich wie der andere aussieht, geht das vor Freuden weinende Mägdlein +mit dem Gelde und der vollen Anzahl seiner Töpfe aus der Stadt getrost +wieder heim.</p> +<p>Der Hofbauer erfuhr niemals etwas von der Milchgeschichte und das Rofele +zählte zwölf Jahre, als es von dem Unmenschen erlöst und in demselben +Rheindorfe beim Sraßenbasche ein Unterkommen fand, in welchem jetzt der +verstoßene Duckmäuser als Knecht des "Saumathes" lebt.</p> +<p>Der Straßenbasche ist, wie gesagt, ein alter pensionirter Unteroffizier, +hat in den napoleonischen Kriegen große und kleine Kugeln tausendweise +summen, singen und pfeifen hören und brachte er es im Felde bei aller +Pflichttreue und Tapferkeit nicht weiter als zum Sergeanten, so brachte er +es im Frieden und in der Ehe nicht einmal zum Vater. Er war von Hause aus +ein armer Teufel, doch sein ehemals fuchsrother Schnurrbart zündete ein +Flämmlein im Herzen eines braven und bemittelten Mädchens an, sein +grundehrliches, biederes Soldatenherz brannte schon vorher ein bischen, der +Pfarrer schloß den altmodischen Dorfroman mit einer Trauung und beiden +Leutchen fehlte bei ihrem christlichen, genügsamen und deßhalb sorgenfreien +Leben nichts zum Glücke außer einem Kinde.</p> +<p>Gott, welcher den Seufzer des sterbenden Klaus gehört, lieferte dem +Straßenbasche und dessen bravem Weibe das arme Rosele in Hände und Haus und +vom zwölften Jahre ihres Alters lebte das Mädchen nicht als Magd, sondern +als erklärte Tochter und künftige Erbin des ganzen Hauswesens beim +Straßenbasche. Gar oft hatten die Pflegeeltern die Milchhafengeschichte +gehört und mit der Erzählerin gewünscht, den edelmüthigen Helfer in der +Noth kennen zu lernen, jetzt sitzt die seit sechs Jahren zur blühenden +Jungfrau herangewachsene älteste Tochter des ehrlichen Klaus mit +freudestrahlendem Gesichte dem Benedict gegenüber und dieser liest aus +ihren Augen einen ganzen Himmel heraus.</p> +<p>Der Straßenbasche küßt wahrhaftig in seiner Begeisterung ob der +Milchgeschichte die Hand des armen Gastes, er und seine Frau betrachten den +Liebesdienst, als ob er ihnen erwiesen worden wäre, die Rosa hat heute +wieder Alles lang und breit erzählt, der Benedict fängt bereits an stolz zu +werden, doch plötzlich fängt die Rosa auch an, in Gegenwart der +Pflegeeltern dem Staunenden alle Streiche, welche er daheim ausgeübt, von A +bis Z herzuzählen; an jeden Streich knüpft sie sammt dem Straßenbasche gar +zärtliche Mahnungen und liebreiche Warnungen und schließt endlich die lange +Strafpredigt mit den Worten:</p> +<p>["]Ueberlege, Benedict, überlege nur, was ein Gottloser stiften kann. Du +hast meine Eltern gekannt und weißt, daß wir Kinder noch glücklich in ihren +Armen leben könnten, wenn nicht ein schlechter Mensch gemacht hätte, daß +beide fast mit einander gesunden Leibes ins Grab sanken. Gott gebe ihnen +ewige Ruhe und ihrem Mörder den Frieden, mir aber Segen, dich für die +Rechtschaffenheit zu gewinnen. Meinst du, ich hätte dich und jenen +Marktmorgen je vergessen? Einen leichtsinnigen Streich nach dem andern +mußte ich von dir hören und das kränkte mich tief in die Seele hinein! ... +Darfst es glauben!"</p> +<p>Sie konnte vor Weinen nicht mehr reden, dem Straßenbasche rannen auch die +hellen Thränen in den halbrothen Bart, sein Weib, die weichherzige Klara +schloß die fromme Pflegetochter in die Arme, küßte dieselbe und konnte nur +die Worte hervorbringen: Oh Rosele, mein Kind, mein liebes Kind!</p> +<p>Regungslos hat der Duckmäuser bisher am Tische gesessen, jetzt steht er +tief erschüttert auf, um die Hand der Schulkameradin zu küssen und +feierlich zu geloben, ihr zu folgen, den Leichtsinn und Hochmuth von heute +an ganz fahren zu lassen und ein Christ in Wahrheit zu werden.</p> +<p>Spät geht er vom Straßenbasche weg und dieser sammt der Klara haben ihm +herrliche Aussichten in ein friedsames, ländliches Stillleben mit der +Pflegetochter, ihrem einzigen Kinde gemacht, wenn er sich nur bessern +wolle.</p> +<p>Der Benedict führte sich brav und klaglos auf. Er besaß keine Kleider außer +den elenden Lumpen, mit welchen er gekommen war, getraute sich nicht, von +seinen neuen Eltern bessere zu fordern, doch schon vor Neujahr war er vom +Kopf bis zu den Füßen neu gekleidet, konnte vier nagelneue weiße Hemden +aufzeigen, dazu einige Sechsbätzner, um der Rosa einen Neujahrskram zu +kaufen und was das Vornehmste dabei war, er durfte sich zum erstenmal in +seinem Leben sagen, nur auf ganz ehrlichem Wege zu all diesen +Herrlichkeiten gekommen zu sein.</p> +<p>Den ganzen Tag war er mit dem Mathes im Walde bei der Armee; die viele +freie Zeit benutzte er, um Birkenreiser zu schneiden und Besen daraus zu +machen, die Besen aber sendete er auf den Markt. Einmal bekam er auch +Gelegenheit, einem schönen Hasen, der mit offenen Augen hinter einem +Pfriemenstocke schlief, das Peitschenholz zwischen die Löffel zu legen und +verkaufe das kleine Vieh an den Adlerwirth. Wenn er Morgens seine +Ringelschwänzlein zusammenblies, kam manchmal auch eine Bäurin und schenkte +dem treuen, braven Hirten einige Kreuzer und zu all diesem kamen zwei +Hochzeiten, wobei der "Saumathes" den Brummbaß wieder schnurren ließ, sein +Knecht neben ihm die Klarinette blies, daß es fast die französischen +Zollwächter drüben hörten.</p> +<p>Bei diesen Hochzeiten trank er auch wieder ein Schöpplein, doch keinen +Rausch nach Musikantenart; vorher und nachher sah er das Innere einer +Wirthsstube nicht bis zum Neujahrstage, wo er zum erstenmal mit seiner Rosa +in den Adler hinüberging, der Straßenbasche mit der Klara kamen später +auch, ein Freudlein in Ehren kann niemand verwehren!</p> +<p>Wie daheim, luden ihn die Leute unaufhörlich in ihre Kunkelstuben ein, doch +er blieb weg, denn entweder hatte er mit seinen Besen zu thun oder er saß +im stillen, frommen Kreise beim Straßenbasche. Noch in den letzten Tagen +des alten Jahres bemerkte der Benedict beim Ausfahren, welche Augen und +Geberden eine Katharin machte und wie sie mit Schauen, Grüßen und Reden +nicht fertig werden will, am Neujahrstag sagt ihm im Adler die Tochter des +Mathes: "Käther will Dir fünf Kronenthaler geben, wenn Du sie ins +Wirthshaus nimmst!"—"Soll sie nur einem Andern geben, ich habe schon +soviel, als ich und das Rösele brauchen!"—"Bist aber doch recht dumm, wenn +mans so haben kann!"—"Laß mich dumm sein, Fränz, und bleibe Du gescheidt!"</p> +<p>Richtig sitzt er am Neujahr neben dem Rösele im Adler und die Wirthin hat +ihn glücklich gepriesen, wiewohl das Pärlein den ganzen Abend nur zwei +Flaschen Batzenvierer trank.</p> +<p>Hatte er doch in kurzer Zeit nicht nur die innige Liebe der alten +Schulkameradin, sondern auch die volle Zuneigung des braven Basche und +dessen Weibes errungen, war wohlgelitten bei Jung und Alt und verlebte hier +die seligsten Tage seines Lebens!</p> +<p>Weil er in keine Kunkelstube ging, kamen allmählig und besonders nach +Neujahr Buben und Mädlen, Weiber und Mannen zu ihm in die Behausung des +"Saumathes," dessen Stube bald zu klein wurde, wenn der Knecht darin zu +finden war.</p> +<p>Am Neujahr hätte dieser den Schweinhirtendienst aufgeben können und wurde +arg von den Leuten im Adler geplagt, sich bei ihnen zu verdingen und der +Basche selbst redet ihm scheinbar ernstlich zu, doch der Benedict meint: +"Bah, bah, 's ist nichts; ein Wirthshaus, das wäre gerade der Platz für +mich, um bald wieder in den alten Werktagshosen zu stecken!"—"Gelt, Du +traust gewiß der Magd des Adlerwirths nicht?" lacht der Basche—"Nein, +nein, ich traue mir nicht!" erwiederte der Benedict und gar wohlgefällig +streicht der Alte den halbrothen Schnurrbart.</p> +<p>Schon seit jenem Tage, an welchem der Duckmäuser bei der ersten der beiden +Hochzeiten, welche seit Oktober im Adler gehalten wurden, lief sich der +blinde Michel fast die Füße aus dem Leib, weil er Klarinettblasen lernen +wollte, der Vater desselben kam auch oft, bat inständig und machte große +Versprechungen, doch Alles nützt nichts, denn der leiblich blinde Michel +hat einen geistig blinden Vater und das Haus desselben ist gerade +dasjenige, in welchem sich die Rothschwittler des Rheindorfes häufig sehen +lassen. Zwar geht der Basche selbst zuweilen zum Nachbar hinüber, andere +ehrbare Leute thun es auch, doch der Duckmäuser glaubt, Gelegenheit zu +meiden sei mindestens für ihn das Ersprießlichste, die Leute, welche ihm in +die Stube des "Saumathes" nachrennen, bringen ohnehin Anfechtungen und +Versuchungen genug. Endlich bittet ihn das Rösele, sich des blinden Michels +zu erbarmen und demselben in der Stube der Pflegeeltern das Klarinettblasen +zu lehren und jetzt thut er es wirklich.</p> +<p>Als freundlicher, gefalliger, hübscher Bursche und Geschichtenerzähler +steht der Duckmäuser längst in hohem Rufe, jetzt wird der Straßenbasche ob +dem "musikalischen Scheine" desselben schier ein Narr und räth ihm eines +Abends, zum Militär zu gehen und "Hobist" zu werden und meint, bis zum +Kapellmeister könne er's leicht bringen. Dieses Wort zündete, denn Hobist +zu werden, war einer seiner alten Jugendträume und der Gedanke an Erfüllung +dieses Traumes ließ ihm Tag und Nacht keine Ruhe mehr.</p> +<p>Wem dies am wenigsten gefiel, war das Rösele und am dritten Abend, wo der +Basche wieder vom Hobistwerden spricht und der Benedict sich streckt, als +ob er just unters Maaß stehen wolle, meint sie. "Die Kasern' ist für den +Benedict noch gefährlicher als der Adler, lieber will ich ihn zeitlebens +beim Mathes sehen denn beim Regiment!"—Das heißt den alten Unteroffizier +ein bischen an der Ehre angreifen und er sagt: "Wer liederlich sein und +bleiben will, kanns bei der Sauheerd' so gut und wohl noch besser als beim +Regiment; 's gibt schlechte, gottvergessene Sauhirten und brave +gottesfürchtige Soldaten!"—"Wohl, doch kommt Alles auf die Anlage an, die +Einer hat!"—"O närrisches Kind, gerade der Anlagen wegen sollte der +Benedict Hobist werden; 's hat schon Mancher sein Glück beim Militär +gemacht und er machts auch, das weiß ich zum Voraus!"—"Ja, wenn er nur +lauter gute Anlagen hätt', doch hat er auch Anlagen, die bei den Soldaten +reichlich ... ich will gar nichts weiter sagen!"—"Bist viel zu ängstlich, +Rösele; bei den Soldaten ist eine Zucht, wo diese Anlagen, welche dir bange +machen, zurückweichen müssen; haut er über die Schnur, mein! wie wird er da +gezüchtiget! ... Übrigens ist er kein Spieler, kein Wirthshaushocker und +Vieles Andere nicht, es läßt sich nur Gutes hoffen! ... Ich machte mir ein +Gewissen daraus, gegen sein Glück zu sein!"—"O Vetter," sagt die Rosa sehr +ernst und wehmüthig, "wenn der Benedict beim Regiment einmal gezüchtigt +wird, dann ist's zu spät! ... er ist freilich kein Spieler und kein +Wirthshaushocker, das ist wahr, doch ist er stolz, leichtsinnig und dabei +der gute Jockel selbst, das habe ich als Kind auf dem Wochenmarkte schon +erfahren!"—"Bah, baperlapap, unser Herrgott lebt auch noch!" meint der +alte Unteroffizier und langt nach seinem Nasenwärmer, welcher unter der +Tafel hängt, die seinen Abschied und das Dienstzeichen einrahmt.—"Ich will +jetzt nichts mehr sagen, meint die Rosa, doch so lange ich ihn beim +"Saumathes" sehe, habe ich für ihn gute Hoffnung, es ist der geeignetste +Platz, um seine ... Anlagen niederzuhalten; dagegen gebe ich alle Hoffnung +auf und spreche ihm alle Hoffnung ab, wenn er zu den Soldaten geht! ... Ihr +werdet einmal an mich denken, Vetter!"</p> +<p>Schweigend hat der Duckmäuser Alles angehört; Rosas letzte Worte wirkten +auf sein Herz, wie Hagelschlag in Blüthenwäldern, das Blut drang ihm zu +Kopfe und er mußte sich Gewalt anthun, um seinen Unmuth nicht zu äußern. +Beim Fortgehen begleitet ihn die Rosa hinaus und unter der Hausthüre fängt +sie noch einmal von der Sache an.</p> +<p>Rösele wiederholt Alles, was sie drinnen gesagt hat, der Benedict entgegnet +"Denk' doch auch an den Vetter, den Straßenbasche! Ist dieser nicht von +früher Jugend bis ins gesetzte Alter Soldat gewesen und hat er Etwas zu +bereuen?["]—"Wohl wahr, doch bevor er zu den Soldaten kam, hatte er auch +nicht zu bereuen, was du bereuen mußt. Frag' ihn, ob er auch je so +grenzenlos leichtsinnig gewesen sei, wie Du? Und ob er sich auch soviel +eingebildet hat, wie Du? Wirst ganz andere Dinge hören, als man von Dir +hören kann!"—"Hoh, Rösele, sei doch nicht so hart, was kannst Du mir denn +seit Oktober vorwerfen und ist's nicht bald ein halbes Jahr?["]—"Liebster, +ich sehe und höre wohl, daß Du der alte "Leichtsinn" noch bist und mit +Gewalt deinen Leib und deine Seele verderben willst. <i>Jetzt</i> stehst Du +auf deinem Eigenthum, in deinem eigenen Hause und dies so lange, als Du +hier bleibst, wenn Du aber in eine Stadt gehst, dann" ...—"Dann nimmst +einmal einen Andern statt meiner ins Haus, he?" fragt der Benedict etwas +verhofft.—"Nein, ich nehme keinen Andern, aber ebenso wenig Dich, wenn Du +nicht vom Regiment wegbleibst."—"Rösele, lieb Rösele, sei doch nicht so +ängstlich, wirst sehen, daß ich halte, was ich Gott und Dir und deinen +Leuten versprochen habe. Der Vater hat schon gesagt, ich komme hinüber nach +Freiburg, dann kann ich gar oft zu Dir kommen und siehst doch lieber Einen +mit dem Säbel an der Seite und dem Kriegshute auf dem Kopfe, als wenn ich +immer und ewig mit der Geisel und dem Hörnle im Dorf und Wald bei den Sauen +herumtrummle!"—"Ja gerade das ist's, was mir so bange macht; ich sehe +wohl, daß Du dich des Dienstes beim Saumathis schämst und könntest Dich +nicht schämen, wenn Du deine Umstände nur ein wenig zu Herzen nähmest!"— +"Gute Nacht, lieb' Rösele, bleib mir nur treu und gut, dann wird Alles +recht werden!"</p> +<p>In den letzten Tagen des Märzmonats wandert der Straßenbasche mit dem +Benedict nach Freiburg; der Benedict kann die schöne große, vierstöckige +Kaserne und die Offiziere, Unteroffiziere, Hobisten und Soldaten, welche +blank und stolz aus dem Thore strömen, nicht genug anschauen; sein Herz +bebt vor Freude und Bangigkeit, wie er mit seinem Begleiter die steinernen +Stufen des der Kaserne gegenüber liegenden Kommandantenhauses hinaufsteigt.</p> +<p>Der Oberst verzieht das ernste Gesicht mit dem grauen Schnurrbarte zu einem +freundlichen Lächeln, denn der Straßenbasche hat als Unteroffizier unter +ihm gedient, die Beiden haben Pulver genug mit einander gerochen und kennen +sich noch recht gut; wenn der Basche ein Geschäft in Freiburg hat, muß er +zuweilen seinen ehemaligen Hauptmann heimsuchen, 's kostet dem jetzigen +Obersten nur ein Schöpplein vom Guten und er läßt sich's gar gerne kosten.</p> +<p>Die Beiden werden also gar herablassend und freundlich empfangen, der +Straßenbasche rapportirt, was ihm wegen des Duckmäusers auf dem Herzen +liegt, der Oberst betrachtet den Rekruten und meint, die Sache habe gar +keinen Anstand, wenn der Junge nur von den Aerzten für tauglich erklärt +werde und ein gutes Sittenzeugniß aus seiner Heimath mitbringe.</p> +<p>Wie der arme Benedict vom Sittenzeugniß hört, werden alle Luftschlösser zu +Wasser, das Herz fällt ihm in die Hosen, er bekommt so ziemlich den +Knieschlotterer und weil der Straßenbasche auf dem Heimwege auch einen +bedenklichen Kopf macht und die Neuerungen mit den Sittenzeugnissen +verflucht, verliert der Rekrut fast alle Hoffnung, jemals in seinem Leben +Hobist zu werden.</p> +<p>"Sechs Jährlein Soldatenstand machte den Benedict zu einem Prachtskerl für +das Rösele, wenn er nur angenommen wird! Gottlob, daß der Oberst mein alter +Kriegskamerad war!" sagt der Straßenbasche daheim und der Benedict muß +gleich um ein Sittenzeugniß schreiben.</p> +<p>Wer sich ob der Betrübniß des Benedict am meisten freut, ist außer der +Mutter Klara natürlich das Rösele, welches laut darüber jubelt, weil der +Himmel bereits ihr Flehen erhört habe.</p> +<p>Am vorletzten Tag des Märzmonats sitzt die Rosa mit der Walburg und Lisi am +Tische, sie nähen und spinnen und plaudern, die Mutter hat ihr altes +Gliederreißen und ist gleich nach dem Nachtessen ins Bett gegangen, der +Vater dagegen sitzt beim runden französischen Ofen, stopft den Nasenwärmer +mit Dreimännerknaster, reicht dann das Päckle dem Benedict, dieser stopft +seinen Mohrenkopf auch, zündet dann einen Fidibus an und hält ihn auf die +Pfeife des Vaters. Der Straßenbasche thut jedoch gerade, was er +allabendlich thut, nämlich er erzählt von seinen Feldzügen und diesmal von +einem Gefechte in Spanien; statt tüchtig am Mundspitz zu ziehen, damit der +Knaster anbrenne, erzählt er immer weiter, der Fidibus brennt beinahe ab +und wie der Benedict daran erinnert, lacht der Straßenbasche und meint, ein +Soldat müsse Feuer und Schwert ertragen können, sonst sei er ein Tropf. Auf +dieses Wort hin hebt der Duckmäuser den eben weggeworfen flammenden Fidibus +wieder auf, hält denselben wiederum auf den Nasenwärmer und zwischen den +Fingern fest, bis er gänzlich verbrannt ist.</p> +<p>Die Mädlen am Tische lachen sich schier krank ob solcher "Dummheit" und die +Rosa meint sehr offenherzig: "Wenn Dir nur die Finger abgebrannt wären, +dann würdest Du froh sein, Sauhirt bleiben zu können! ... Vielleicht wär' +es in anderm Betracht auch noch gut gewesen! ... was kann man sagen!"——</p> +<p>Der zweite Fidibus entzündet den Nasenwärmer des Straßenbasche und dieser +beginnt, dem Benedict Verhaltungsregeln für den Militärstand herzuzählen, +denn schon morgen muß der zweite und entscheidende Gang nach Freiburg +gemacht werden, vielleicht liegt das Zeugniß des Rekruten bereits beim +Kommando und—Probiren geht über Studiren.</p> +<p>Der Vater kommt eben recht in Zug, da meint das Rösele unwillig: "Das ist +nichts, Vetter, Ihr braucht ihm nicht noch zu sagen, wie er sich zu +verhalten habe! ... Wißt Ihr, was er braucht? ... er braucht Etwas, das hat +niemand, niemand kann ihm's geben... er bleibt bei mir!"—</p> +<h3><a name="5"></a>Der Duckmäuser wird Soldat, sucht und findet in der Kaserne Vorbilder</h3> +<p> +Am 31. März 183.——es war wiederum an einem Freitag, und Mittwoche mit +Freitagen spielen im Leben unsers Helden eine merkwürdige Rolle—steht der +Benedict im paradiesischen Zustande vor den Regimentsärzten der Freiburger +Garnison und die Herren machen ein bischen seltsame Augen, Einer davon sagt +den Grund: "Füße wie zwei Sicheln, Rücken wie das Grammische +Bierkellergewölbe, vom Kinn bis zu den Knöcheln Eine Dicke, mein Gott, was +soll denn aus dieser Figur gemacht werden?" ... "Wenn wir noch Einen dieser +Art hätten, besäßen wir ein hübsches Gestell für die große Trommel!" sagt +trocken ein grauer Chirurg, der bei Leipzig die Säge drei Tage lang nicht +aus den Händen gebracht hat.—"Was hat denn der Mann bis jetzt gearbeitet?" +fragt der Kritiker wieder.—"Ich bin ein Bauer!" stottert der Benedict und +schnappt nach Luft.—"Ach, da ist der Rückenkorb viel getragen worden, man +sieht's dem Rücken, den Füßen, dem ganzen Mann an!"—"Nein, meine Herrn! +doch auf dem Kopfe habe ich viel und schwer getragen."—"Das sieht man +wohl, 's ist eine Terrasse, worauf ein Ball arrangirt werden könnte!" meint +der trockene Chirurg.—Nun, tröstet der Oberarzt, die Füße werden sich +schon wieder strecken, der Tornister wird sich auch Platz machen, der Mann +sieht gut aus, hat eine starke, ausdauernde Brust, er kann gut werden!— +"Aber der kann doch den großen Bombardon noch nicht erspannen?" fragt der +Graue.—"Weiß nicht, er hat ... lange Finger, er ist tauglich!" lächelt der +Oberarzt, Eine Viertelstunde später mißt der Compagnieschneider im Zimmer +der Staabscompagnie dem Benedict Rock und Hosen an und prophezeit, er werde +die Montur meisterhaft machen, doch koste es ein Maaß Bier.</p> +<p>Am ersten April sitzt er auf dem Gang des Hintergebäudes der Kaserne, wo +die Hobisten hausen, und ein entsetzlich langer Tambour stutzt ihn mit Kamm +und Scheere um ein Schnäpschen zu einem vollkommenen Hobisten um, hält ihm +dann den kleinen Spiegel vor und der Rekrut kann sich in seiner nagelneuen +Montur nicht genug bewundern.</p> +<p>Schade, daß er nicht sofort zur Säbelkuppel greifen und zum Rösele ins +Rheindorf hinüber marschiren darf; der Weg ist doch etwas weit und die +Rekruten müssen zuerst Honneurs machen lernen, bevor sie zum Gitter +hinauskommen.</p> +<p>Am zweiten Sonntag nach dem ersten April sagt der Straßenbasche beim +Mittagessen. "Rösele, am nächsten Samstag gehen wir wieder einmal auf den +Wochenmarkt, nach Freiburg hinüber und wollen sehen, was er macht!"—"Ja, +ich mag gar nichts mehr hören!"—"Sei doch nicht so einfältig, hast +verweinte Augen und ganz umsonst; er ist ja kein Kind mehr und sieht an +Andern, wie weit er mit dem Leichtsinn kommt."—In diesem Augenblicke +springt des Nachbars kleine Johanne athemlos zur Thüre herein und keucht +und sagt: "Rosa, dein junger Vetter ist wieder beim "Sanmathis!"... er ist +kein Sauhirt mehr! ... hat einen Säbel! ... Soldat ist er!" "Was? ... Beim +Hirt ist er? ... wirst nicht recht gesehen haben, Hanne!"—"Ho, er hat mir +ja einen Wecken gegeben, da guckt, den Wecken hat er mir gegeben!"</p> +<p>Der Straßenbasche sieht auf und will zur Thüre hinaus, im gleichen +Augenblick öffnet sich diese und in der Stube steht ein schmucker Hobist, +der militärisch grüßt und wohlgefällig lächelt.</p> +<p>"Aber Röfele, kennst ihn noch? jetzt sag' nur nichts mehr, sonst—..." "O +Vetter, ich bitt' Euch! ... will gern nichts mehr sagen, wenn einmal dort +neben Eurem Abschied ein ähnlicher von ihm an der Wand hängt!"—</p> +<p>Schon eilen Nachbarn und Freunde herein, Alle wollen den Hobisten sehen, +sprechen, ihm gratuliren, sogar der blinde Michel tappt herein und greift +an ihm herum, greift gleich einen Offizier heraus; Alles lobt, bewundert +den Benedict, tadelt die unerbittliche Rosa und diese muß zuletzt, um den +Straßenbasche nicht zu erzürnen, auch ein Wörtlein des Wohlgefallens von +sich geben.</p> +<p>Wie die Leute wieder fort sind, fragt der Alte: "Wie ist's mit dem Zeugniß +vom Amt und Bürgermeister gegangen?"—["]Gar nichts weiß ich davon; +entweder ist's vergessen worden oder die Offiziere haben es gar nicht oder +im Wirthshause gelesen! Gewiß bleibt, daß zwei Andere fortgeschickt wurden, +weil ihre Zeugnisse ein paar Tage ausblieben!"—"Ho, der Oberst hat eben +deine Jugend in Anschlag genommen, er ist ein guter Herr, Alles vergißt +sich leicht, wenn Du brav bleibst!"—"Ja, brav ist der Oberst! Gestern auf +der Parade meldete ich mich und bat für heute um Urlaub, um +Kleinmonturstücke zu holen. Da hat er mich ein wenig finster angeschaut und +gefragt, ob ich denn eine Kaserne von einem Taubenschlage zu unterscheiden +wisse. In der Todesangst nannte ich ihm Euern Namen, da strich er den +großen Schnauz und gab mir Urlaub!"—"Wie lange?"—"Morgen früh bei der +Tagreveille muß ich unterm Kasernenthor sein!"—"Ja, das sieht ihm gleich, +er ist noch der alte Fuchser, bis er weiß, wen er vor sich hat!" lachte der +Unteroffizier.</p> +<p>Am andern Morgen oder vielmehr kurz nach Mitternacht eilt der Benedict mit +einem ordentlichen Päcklein Freiburg zu. Mutter Klara und Rösele haben +feine, blendendweiße Leinwand, woran übrigens im gesegneten Breisgau kein +Mangel ist, hergegeben, damit der bierdürstende Compagnieschneider 2 paar +Sommerhosen daraus mache; die Mutter des blinden Michel sorgte für Leinwand +zu Unterhosen und Kamaschen, die Mutter des Saumathes brachte Hemden und +Schuhe, der Straßenbasche und Andere schwitzten etwas Geld, das Rösele +legte 3 baare Gulden dazu; noch nach Mitternacht geben einige Buben dem +Benedict das Ehrengeleite eine gute Strecke weit und kehren erst auf sein +wiederholtes Geheiß singend und jodelnd ins Dorf zurück.—Das Rösele hat +ihm mit weinenden Augen so dringend empfohlen, Gott vor Augen zu haben und +sich an brave, erfahrene Kameraden zu halten, der Duckmäuser muß Vorbilder +suchen und diese sich zu Freunden machen, hat bereits seine Augen prüfend +umhergeworfen.</p> +<p>Montags nach der Austheilung der Menage mißt ihm der <i>Feucht</i>, der +Compagnieschneider die Sommerhosen an und während der Operation fällt es +dem Benedict bei, dieser Schneider sei das erbaulichste Muster eines +stillen, frommen, gottesfürchtigen Soldaten. Weßhalb? Er hat die Maaß Bier, +welche der Benedict ihm wegen der Montur zahlte, noch nicht getrunken, ist +ein alter Soldat, der schon zum vierten Mal für Andere einstund, ein +ruhiger gesetzter Mann, welcher den ganzen Tag bei seiner Arbeit sitzt, +sehr wenig redet, mit Keinem umgeht, sich in seinem Arbeitseifer ungern +stören läßt; die einzige Gelegenheit, bei welcher er zornig wird und in +seiner Seehasensprache furchtbare, niegehörte Flüche zum Besten gibt, ist +die, wenn Einer ihn necken will oder ihm Wachs, Zwirn, die Scheere, Maaße +und dergleichen verlegt oder wegstipitzt oder nach seinem Ausdrucke "Dreck +schwätzen" will.</p> +<p>So lange der Benedict unter den Zweifarbigen steckt, hat sich Meister +Feucht noch nicht herausgewichst, nicht einmal den ungeheuern rothen +Schnurrbart gekämmt und wozu hätte er es thun sollen? An Werktagen wie an +Sonntagen arbeitet der Schneider und kommt kaum zur Stubenthüre, geschweige +zur Kaserne hinaus.</p> +<p>Solch Muster der Eingezogenheit und Solidität hätte Benedict nicht unter +den Hobisten gesucht; diese sind ein ziemlich lustiges und leichtes +Völklein und der Feucht beinahe der Einzige, an welchen er sich getrost +anschließen möchte.</p> +<p>Doch jedes Wort, was der Straßenbasche vorgepredigt, klingt fort in unserm +Rekruten und so oft er sich dem Compagnieschneider nähern will, glaubt er +aus dem ernsten, strengen Gesichte desselben folgende Worte des +Straßenbasche zu lesen:</p> +<p>"Ein Rekrut soll sich vor allen längerdienenden Leuten stets in +ehrerbiethiger Stellung und Entfernung halten, sich nicht vorwitzig oder +gar frech in deren Reden mischen und Vorgesetzten jedes Ranges nur wenn er +von diesen Etwas gefragt wird, anständig, bescheiden, kurz und wahrhaftig +antworten!"</p> +<p>Unter solchen Umständen mußte sich der Duckmäuser einstweilen begnügen, den +Meister Feucht aus naher Ferne zu bewundern und mit dem Spruche trösten: +Kommt Zeit, kommt Rath, dann folgt die That!—</p> +<p>Am 5. Mai steht der Schneider in aller Frühe auf, bürstet mit der +Silberglätte die rothgewordenen Messingknöpfe seines Monturfrackes, den +Säbel, die Bataillenbänder des Tschako's, klopft dann drunten im +Kasernenhofe Rock und Hosen aus, kleidet sich an und geht zum ersten Mal +seit 5 Wochen im vollen Staate zur Thüre hinaus.</p> +<p>Der Benedict besitzt nicht den Muth, Einen um Erklärung des so räthselhaft +gewordenen Betragens seines Vorgesetzten zu bitten, denn er ist der Jüngste +von Allen und diesmal sicher auch der Gespannteste. Um 8 Uhr geht der +Schneider zum Rapport, wird unsichtbar bis um 9 Uhr, wo derselbe mit +geröthetem Kopfe zur Probe kommt. Letztere ist beendigt, Meister Feucht +nähert sich seinem Bette, doch zieht er den Frack nicht aus, sondern kämmt +nur seinen feuerrothen Schnurrbart recht sorgfältig und eilt dann abermals +raschen Schrittes zur Thüre hinaus.</p> +<p>Der Schneiderstuhl bleibt heute den ganzen Tag unbesetzt, nicht Eine Nadel +fädelt dessen Inhaber ein, weil er sich weder beim Mittagessen, noch beim +Verlesen sehen läßt.</p> +<p>Abends macht der Duckmäuser einen Spaziergang; kurz vor dem Zapfenstreich +kehrt er zurück, die Tambours spannen ihre Trommeln, beim Kasernenthor aber +hält ein Bauer mit einem Mistwagen; er trägt einen Tschako in der einen, +die Geisel in der andern Hand, auf dem Mistwagen aber liegt lang +ausgestreckt ein Soldat, ein Hobist, stöhnend, ächzend und unverständlich +fluchend. Der Benedict erschrickt nicht wenig, wie er in diesem Hobisten +sein nachahmungswürdiges Muster, nämlich den Compagnieschneider Feucht +erkennt. Doch, wem ein Unglück begegnet ist, pflegt nicht Versuche zum +Singen zu machen, der ganzen Welt Brüderschaft anzubieten und vor der +Kaserne in seligem Entzücken zu jauchzen. Der gute Feucht ist schwer +betrunken; der Bauer muß ihn abladen, singend legt er sich sofort auf den +Boden, zwei Soldaten tragen und schleppen ihn zunächst auf die Stockwache, +von da in den Dunkelarrest für Unteroffiziere und hier mag er nach etwa 36 +Stunden aus überirdischen Sphären wieder zum Bewußtsein seines soldaschen +Schneiderthumes gelangen.</p> +<p>Benedict erzählt den Musikanten, was ihrem Schneider begegnet sei, doch +Keiner verwundert sich darob und der Nachbar zählt kurz Meister Feuchtens +Erlebnisse auf. Nach drei Tagen wird dieser wiederum erscheinen, sich ruhig +auf den Schneiderstuhl setzen, genau sechs Wochen lang die Nadel und das +Bügeleisen schwingen, schweigsam, unermüdlich, ruhelos, denn sechs Wochen +hat er Kasernenarrest und nur so lange der Schneider von diesem +festgehalten wird, ist Hoffnung da, daß die Hosen und Röcke der Hobisten +geflickt werden. Heute über 6 Wochen wird Feucht sich wieder putzen, um 8 +Uhr zum Rapport gehen, um sich als freier Mann zu melden, um 9 Uhr mit +rothem Kopfe, doch taktfest die Deckel schlagen, um 10 Uhr verschwinden, +Abends kurz vor dem Zapfenstreich von einem Bauer vom Mistwagen geladen, +von zwei Soldaten der Kasernenwache in den Dunkelarrest für Unteroffiziere +geschleppt werden und so fort bis in ferne Zeiten.</p> +<p>Also hat's der Compagnieschneider Feucht vom Bodensee seit vielen Jahren +gehalten; alle Obersten und Generale Europas würden ihn nicht dazu bringen, +frei und freiwillig eine Nadel zu berühren, im Arrest dagegen ist er +anerkannt der eifrigste und beste Schneider des ganzen Regimentes und +dereinst wird er im Arrest oder im Rausche Abschied von der Welt nehmen und +diese wird um ein Original ärmer geworden sein.</p> +<p>Der Duckmäuser hörte auf, den Compagnieschneider als sein Vorbild zu +betrachten, er dachte an Rosa und seufzte.</p> +<p>Unter 30 bis 40 Mann sollte es keinen braven und frommen geben? Nein, unter +den Musikanten des Regimentes gibt es nachahmungswürdige, wackere und +geschickte Leute, vorzüglich unter den Hobisten erster Klasse, doch diese +sind verheirathete Männer, wohnen gar nicht in der Kaserne, lassen sich +nicht zu einem jungen Menschen herab, kommen nur Morgens mit dem +Kapellmeister zur Probe und der Benedict darf ihnen höchstens die +Säbelkuppel anstreichen, die Knöpfe und Anderes recht glänzend putzen.—</p> +<p>Im Zimmer befindet sich ein junger Mann, auf welchen das Auge des +Enttäuschten fällt. Derselbe spricht fast noch weniger als Meister Feucht, +geht auch mit Niemanden um, er liest beständig. Er liest vor und nach der +Probe, liest während des Mittagsessen, liest den ganzen Nachmittag und wenn +er Abends zuweilen ausgeht, nimmt er jedesmal einen Pack Bücher mit und +bringt einen andern zurück. Schon lange hätte ihn der Duckmäuser gerne um +eines seiner interessanten Bücher gebeten, doch er getraute sich dessen +nicht, Straßenbasche's Ordre kommt ihm nicht aus dem Sinn; bald eilt ein +glückliches Ohngefähr dem Schüchternen zu Hülfe. Eines Morgens steht der +Lesefreund sehr frühe auf, setzt sich ans Fenster, liest und vergißt vor +lauter Lesen das Morgenessen, liest fort, bis der Kapellmeister erscheint.</p> +<p>Jetzt steht er auf, schleppt seine große Trommel an ihren Platz, haut +während der Probe ingrimmig auf das Kalbsfell hinein, schlägt einigemal +fehl und erhält dafür 2 Tage Zimmerarrest, um die Gedanken zu sammeln. +Mittags kommt er zum Benedict, ersucht denselben, ihm einen Pack Bücher in +die Leihbibliothek Waizeneggers zu tragen und alle zu bringen, deren +Nummern auf dem beigelegten Zettel ständen. Freudig geht der von +Kindesbeinen an dienstfertige Duckmäuser mit den Büchern fort, läuft jedoch +nicht die Kaiserstraße, sondern den Löwenrempart hinauf; auf diesem kleinen +Umwege ist er sicherer vor honneurswüthigen Unteroffizieren und Offizieren +und kann ein bischen in die Bücher hineinschauen. Ein leidenschaftlicher +Geschichtenerzähler ist der Duckmäuser von jeher gewesen, die Titel dieser +Bücher eröffnen ihm eine neue Welt, er begreift die Lesewuth des großen +Trommelschlägers, indem er liest: Bruckbräu oder der baierische Hiesel +geschildert als Wildschütz, Räuberhauptmann, und landesverrufener +Erzbösewicht—Simon Tanger der furchtbare Seeräuber—die sechs schlafenden +Jungfrauen, eine Ritter- und Geistergeschichte—Ritterkraft und +Mönchslist.—Die Grafen von Löwenhaupt—Tausend und Eine Ausschweifung.</p> +<p>Zitternd vor Freude, denn jetzt hat unser Rekrut gefunden, an was er sich +halten soll, was ihn vor aller Gefahr wahrte und damit sein zeitliches und +ewiges Glück feststellt, tritt er in die Bibliothek und die langen Reihen +aufgestellter Bände entflammen vollends die längst gehegte Sehnsucht nach +recht vielen Büchern zur Leidenschaft. Bisher hatte er leidenschaftlich +Musik getrieben, denn in der Kaserne hatte er am ersten Tage den gewaltigen +Unterschied zwischen der Dorfkirchweihenmusik und der Musik einer +militarischen Musikbande entdeckt, unter welcher wahre Künstler und +Virtuosen steckten; die Regimentsmusik, versetzte ihn in trunkenes +Entzücken und kein Hobist übte sich fleißiger auf seinem Instrumente, denn +der Duckmäuser. Doch Clarinettblasen konnte er auch nicht den ganzen Tag +und weil er stets dachte, alle Gelegenheit meiden sei das Beste und fast +immer zu Hause blieb, so fühlte er oft herzliche Langweile.</p> +<p>Nunmehr wollte er seine ganze Zeit theilen zwischen der Clarinette und den +Büchern und er thats. Bald unterschied er sich vom großen Trommelschläger +nur noch dadurch, daß er durch seinen Eifer für Musik sich die ganze +Achtung und Liebe seines Kapellmeisters erwarb, bald keiner Belehrung mehr +bedurfte, Alles vom Blatte wegblies und ein ordentlicher Künstler wurde.</p> +<p>Er hätte einen wirklichen Virtuosen abgeben und zugleich mehrere +Instrumente erlernen können, doch dazu reichte die Zeit nicht hin, denn +wenn er gerade mit einem rechten Bücherhelden zu thun hatte, vergaß er oft +Essen, Trinken und Schlafen, bis er Alles wußte, was derselbe gethan und +welches Fräulein er beglückt oder welchen Tod er erlitten habe.</p> +<p>Die Clarinette und der Katolog Waizeneggers verschlangen über ein Jahr +eines stillen, glücklichen, genußreichen Lebens, ließen ihn alle +Bierschenken, Wirthshäuser und Stadtmamsellen vergessen; alle Vorgesetzten +achteten und liebten ihn, die Spöttereien und Neckereien leichtfertiger +Vögel berührten ihn wenig, er gewann durch seine Freundlichkeit und +Dienstfertigkeit die meisten Kameraden für sich, ohne ihre Einladung zum +Ausgehen anzunehmen. An Samstagen fehlte er niemals auf dem Münsterplatze, +wenn er glauben durfte, die Rosa zu treffen, Abends schrieb er zuweilen +Briefe voll Gluth, Inbrunst und Tugendsinn und wenn er Urlaub bekommen +konnte, eilte er ins Rheindorf hinüber.</p> +<p>Von Zeit zu Zeit brachte er seinem Rösele kleine Geschenke, vergaß niemals, +dem Straßenbasche einige Päcklein ächten Portorikos, der kleinen Johanna +und andern Kindern Milchbrödlein mitzubringen. Der alte Unteroffizier +wußte, was ein stets ordentlich gefüllter Geldbeutel bei einem Soldaten und +insbesondere bei einem Hobisten zu bedeuten habe, sah das gesunde Aussehen +und die Nüchternheit des künftigen Schwiegersohnes, hörte, wie begeistert +derselbe von seinem Stillleben in der Kaserne sprach und wie fremd ihm die +Stadt blieb, er jubelte vor Freuden und die vornehmsten Bürger des Ortes +sammt dem alten, ehrwürdigen Geistlichen eilten in das Haus des +Straßenbasche, wenn es hieß, der Zweifarbige sei im Dorfe wieder gesehen +worden.</p> +<p>Als noch im nächsten Frühling die Hobisten der Rosa auf dem Wochenmarkte +dasselbe bestätigten, was sie im vorigen Sommer schon gesagt, daß nämlich +der Benedict sicherlich durch sein ewiges Lesen noch ein "Pfaffe" werde und +in ein Kloster wandere, da verloren sich auch ihre Besorgnisse, sie glaubte +an die vollkommene Besserung ihres Geliebten und fühlte sich glücklich.—</p> +<p>Eines Tages sitzt der Duckmäuser mit dem Leibe auf dem wieder einmal +verwaisten Schneiderstuhle des Meister Feucht, mit den Gedanken jedoch +schwärmt er in überirdischen Regionen und mittelalterlichen Zeiten.</p> +<p>Während der Hobist an einem Stücke Komißbrod kaut, hält der Romanleser just +auf einem glänzend schwarzen Streitrosse, den Leib mit einer silbernen +Rüstung bedeckt, auf dem Haupte einen goldenen Helm mit wehendem +Federbusche und hinaufgezogenem Visir als Sieger beim Turnier auf der +Todesklippe vor dem Balkon der Ritterfräuleins. Die Königin aller +Schönheit, die bezaubernde 17jährige Gräfin Etietta, um welche sich binnen +kurzer Zeit 700 Ritter, 300 Grafen, 90 Herzoge und 11 kaiserliche und +königliche Prinzen bereits todtgeschlagen, reicht ihm eine mit Gold und +Edelsteinen reich geschmückte himmelblaue Schärpe und heftet zum Zeichen, +daß sie ihn unter Allen einzig und allein liebe, eine rothe Schleife an +seine Lanze. Eben will er in die Schranken zu den Rittern zurücksprengen, +als ein dickköpfiger Füselier zur Stube herein und gerade auf ihn losgeht, +um zu melden, Hobist Benedict werde im Münster von 2 Frauen erwartet.</p> +<p>Er plumpt in die schaale, prosaische Wirklichkeit zurück, doch bang und +freudig zugleich schlägt sein Herz fort, denn augenblicklich denkt er an +Etwas, dessen Mangel einzig und allein die Seligkeit seines Kasernenlebens +stört.</p> +<p>"Der Eltern Segen baut den Kindern Häuser, ihr Fluch reißt sie darnieder!" +hat er als Unterlehrer viele hundertmal gehört, gelesen und geschrieben und +das furchtbare Wort "Nenne mich nie mehr Deine Mutter!" tönt wie Todtensang +und Eulenschrei in den sonnenhaften Himmel der Gegenwart hinein.</p> +<p>In aller Eile putzt er sich, eilt zur Kaserne hinaus, doch läuft er weit +langsamer, wie er bei der Post aus der Kaiserstraße auf den Münsterplatz +einlenkt, er muß sich erinnern, daß er vor kurzem Sieger im großen Turnier +bei der Todesklippe gewesen sei und als Hobist mindestens so vielen Muth +besitzen müsse, um im Nothfalle vor einer alten Frau zu erscheinen.</p> +<p>Durch eine Seitenthüre tritt er in den herrlichen Tempel, wandert durch den +Säulengang emsig umherspähend hinauf und entdeckt endlich die Rosa, welche +betend vor einem Nebenaltare kniet. Dieselbe ist allein; doch nein! Die +gigantische Säule hat Rosas Nachbarin verborgen, er kennt dieselbe nicht +recht, doch sieht er soviel, daß es ein altes Mütterchen und sein pochendes +Herz sagt ihm, wer es sei. Er bleibt stehen, hustet ein wenig, Rosa schaut +um, steht auf, nimmt das ebenfalls sich erhebende Mütterchen bei der Hand, +beide kommen auf den Hobisten zu—das Mütterchen ist Mutter Theres.</p> +<p>Welch Zusammentreffen, welch Wiedersehen!</p> +<p>"Das ist Euer Sohn, mein geliebtester Freund!["] sagt die tiefbewegte Rosa; +laut weinend wankt das Mütterlein heran, sieht vor Thränen die Hand nicht, +welche ihr der Sohn entgegenstreckt und erst als er fragt: "Mutter, seid +Ihr mir noch immer böse" spricht sie leise schluchzend: "Nein, Benedict, Du +bist wieder mein Kind!" und reicht ihm die verwelkte Hand.</p> +<p>"Gott sei Lob und Dank!" jubelt der Hobist und tritt in einen Kirchenstuhl, +um für die Erfüllung seines einzigen Wunsches zu danken, die Mutter und +Rosa thun das Gleiche.</p> +<p>Alle Drei gehen in die Kaserne, der Benedict freut sich, den Weibern, die +vom Inwendigen einer Kaserne gar wunderliche Vorstellungen herumtragen, +Alles zeigen und erklären zu dürfen und ermangelt nicht, die Freude +derselben durch Vorzeigung einiger seiner lieben Bücher vollständig zu +machen. Aus der Kaserne geht's in den Löwen hinüber, ein guter Markgräfler +wird aufgestellt, der Hobist weiß schon, daß Mutter und Geliebte nicht alle +Jahre zu einem Gläslein vom Besten kommen.</p> +<p>Das Aussehen und die schöne, ehrende Kleidung sammt den Reden und Benehmen +des Duckmäusers versetzten im Bunde mit dem Gläslein dessen Mütterlein in +den siebenten Himmel, sie reicht ihm alle Augenblicke die Hand, ihr Auge +ruht unbeweglich auf ihm und sie kann ihn nicht oft genug ihrer Liebe +versichern und um Verzeihung bitten.</p> +<p>Mutter und Geliebte begleiten den Helden um 5 Uhr Abends zum Verlesen, der +alten Frau schießen Zähren in die Augen, wie sie ihren verlornen und +wiedergefundenen Sohn so blühend und stattlich im geschlossenen Gliede +stehen sieht und wie dessen Name verlesen wird, meint sie, die ganze +türkische Musik mit den lieben Engelein im hohen Himmel müsse einen +Freudentusch darauf folgen lassen und vergißt alle Schmerzensthränen, +welche er ihr schon ausgepreßt hat.</p> +<p>Abends sagt sie beim Abschied mit weinenden Augen: "Schau' Benedict, schon +lange und viel tausendmal habe ich gewünscht, sterben zu können, mein Jakob +hat's ebenso gehabt, nun aber wünsche ich mir, noch lange zu leben, denn +ich bin wieder eine glückliche Mutter; viel Thränen hab' ich vergossen um +deinetwillen, diese aber, die jetzt über meine alten Backen fließen, sind +süß, es sind Freudenthränen!"</p> +<p>Mutter und Sohn sind glücklich, am glücklichsten ist das Rösele, welches +bald mit ihr vor Freuden weint, bald ihn wie ein Engel anlächelt und sich +von diesem Tage kindlich an Mutter Theres anschmiegt.</p> +<p>Am nächsten Morgen trennen sich alle Drei, sie versprechen bald möglichst +wieder zusammenzukommen, die Mutter hat fahren sollen, doch es durchaus +nicht gethan, der Sohn hat zuerst dem Rösele ein kleines, dann der Mutter +ein großes Geleit gegeben und kehrte glücklicher als je in die Kaserne zur +Klarinette und zu den Büchern zurück, welche der große Trommelschläger +indessen für ihn ausgelesen hat.</p> +<p>Wo und wie kamen Mutter Theres und das Rösele zusammen?</p> +<p>Auf dem Wege von Freiburg nach Sanct Georgen steht bis zur Stunde links an +der Landstraße ein winziges Kapellchen; die Rosa war vom Straßenbasche nach +Freiburg geschickt worden und hörte in diesem Kapellchen weinen und beten. +Sie trat hinein und kniete neben der Mutter Theres, jedoch ohne dieselbe zu +kennen, denn erstens ist das Kapellchen winzig wie die Neuzeit und +dämmerungsreich wie das Mittelalter und zweitens ist's schon eine schöne +Zeit, seitdem der ehrliche Klaus am Herzbruch starb, weil er keinen +Wortbruch begehen wollte, das Rösele sammt den Geschwistern ist aus dem +Dörflein fortgezogen und ein großes, stattliches "Maidle" geworden.</p> +<p>Tief und schwer seufzt, bitterlich weint das Mütterchen und aus ihren Reden +entnimmt Rosa, daß schwerer Kummer um eines Ungerathenen willen ihr Herz +drückt und daß sie eine Landsmännin vor sich habe, welche im Begriffe +stehe, eine Wallfahrt nach Marien Einsiedeln zu machen, was bei einer so +alten, gebrechlichen Frau schon Etwas heißen will. Nach wenigen Fragen weiß +das Mädchen, Benedicts Mutter stehe neben ihr, das liebende Herz wallt auf +und fragt, ob das Mütterlein schon lange nichts mehr vom Sohne gehört habe +der Benedict heiße. Doch die Frage wirkt arg, das Mütterlein schreit auf +und bricht fast zusammen, fleht unter Thränen, diesen Namen nicht mehr zu +nennen, kein Wort mehr von dem Sohne zu reden.</p> +<p>Daheim im Dörflein schämten sich die Eltern des Duckmäusers so sehr, daß +sie um keinen Preis nach demselben gefragt oder auch nur dessen Namen +genannt hätten. Die Dorfbewohner wußten dies, schonten deßhalb die +unglücklichen Leute, doch wußten diese von der Margareth, daß der Benedict +am Rheine drüben die Schweine hüte, denn der "Saumathis" sagte es bei einem +Besuche der Verwandten, welche er im Dörflein besaß. Kein Mensch wußte +jedoch, daß der Schweinhirt zum Hobisten geworden und in der Kaserne zu +Freiburg sei, Mutter Theres hatte sich ihr banges und doch halbfreudiges +Ahnen beim Durchmarsche durch Freiburg auch nicht erklären können. Jetzt +sagte das Rösele, was und wo der Benedict zu finden, gab sich selbst zu +erkennen und suchte die Alte zu bewegen, mit ihr in die Stadt +zurückzugehen. Lange und harnäckig bleibt die Mutter dabei, den Sohn nicht +sehen zu wollen, aber das Rösele hört mit guten Versicherungen, Bitten und +Betteln nicht auf und so kam es zuletzt doch, daß die Beiden zusammen durch +das Breisacherthor in die schöne, freundliche Kaiserstraße und beim Museum +hinüber in das Münster wandelten, in welchem Bernhard von Clairvaux den +Kreuzzug gegen die Ungläubigen im fernen Morgenlande, heuer die Jesuiten +wahrhaft zeitgemäß den Kreuzzug gegen den Unglauben im Herzen der Zuhörer +predigen.</p> +<p>Ein Soldat schlägt einem hübschen Mädchen selten oder niemals eine +freundliche Bitte ab und so geschah es, daß ein dicker Füselier, der auf +dem Münsterplatze stand, die Zähne am Winde trocknete und am wunderbar +schönen, durchbrochenen Münsterthurm schwindelnd und staunend hinaufsah, +auf Rosas Geheiß eiligst zur Kaserne trabte und den Hobisten Benedict +mitten im Siege von der Gräfin Etietta weg ins Münster zum armen Mütterlein +und zur Pflegetochter des Straßenbasche zauberte.</p> +<h3><a name="6"></a>Die Kirchweihe</h3> +<p> +Vater Jakob zählt dem Hannesle just aus dem ledernen, eingeschrumpften +Opferbeutel vier rothe Batzen als Kirchweihgeld auf den Tisch, dieser hält +jeden sorgfältig zum Licht, um etwas höchst Ueberflüssiges zu untersuchen, +nämlich ob es auf dieser Erde auch Falschmünzer gebe, welche auf den +Einfall gerathen sein könnten, falsche Schweizerbatzen zu machen; das +Vefele sitzt mit der kleinern Schwester auf der Ofenbank und redet mit +Benedicts Schwestern, die Susanne nennt alle Buben, mit welchen sie auf der +Kirchweih tanzen und nicht tanzen werde, Mutter Theres sitzt am +Spinnrädlein und netzt den Faden, da—klopft es leise und bescheiden an der +Thüre. Die Mutter denkt an einen muthwilligen Buben, am allerwenigsten an +ihren Sohn, von dessen Wiedersehen sie einzig und allein ihrem Alten gesagt +hat; sie weiß, derselbe sei nicht mehr in Freiburg, sondern mit seinem +Regimente in Carlsruhe drunten und gegenwärtig mache derselbe die große +Revüe mit. Sie sagt deßhalb nicht "Herein," sondern: ["]d'Herren sind +draußen, d'Bettelleut drinnen!" und die Susann' ruft mit ihrer +glockenhellen Stimme: "Wir sind nit gärn klopft!"</p> +<p>Aber die Thüre geht auf, außer der Mutter erschrecken Alle gewaltig, denn +ein großer, glänzend geputzter Soldat mit Tschako und nachläßig +überhängendem grauem Mantel steht mitten in der Stube und lächelt, daß der +keimende kohlschwarze Schnurrbart beträchtlich in die Länge wächst.</p> +<p>Der Hannesle macht Augen wie Pflugräder, die kleinern Kinder schleichen +schüchtern hinter dem Ofen, der Jakob steht befremdet auf, doch die Susanne +schreit mit dem Vefele aus Einem Munde: "Ohje 's isch jo Euer Duckmäuser!"</p> +<p>Er ist's richtig, denn der Oberst hat ihm nach der Revüe Urlaub auf 14 Tage +gegeben, obwohl er diesmal nicht zum Straßenbasche wollte. Nach der Revüe +nehmen ja die meisten Hobisten Urlaub und hätte der Benedict nach +jahrelangem Besinnen sich nicht wieder einmal im Dörflein sehen lassen +sollen? ...</p> +<p>Jetzt fängt das Händedrücken, Küssen, Grüßen und Fragen an, der finstere +Jakob thaut ordentlich auf, die beiden Mädchen wissen nicht, was sie vor +Freuden thun sollen, denn sie möchten ebenso gern bleiben als die +unverhoffte Ankunft des alten Herzkäfers den Kammerädinnen ansagen. Endlich +rennt das Vefele ins Unterdorf, die Susanne ins Oberdorf und ehe eine halbe +Stunde vergeht, hat Benedict all den alten Lieblingen in die klaren +Aeuglein geschaut und herzinnige Freude über seine Ankunft darin +herausgelesen. Allen? Wir irren, denn zwei fehlen, erstens Maxens Rothe und +zweitens die Sabine. Die Rothe ist in Folge ihres unordentlichen Lebens bei +ihrer Schwitt nach langer, schmerzlicher Krankheit schon im 18. Jahre +gestorben, die Sabine, zur rothen Schwitt desertirt, trägt eine Frucht +ihres aufgeklärten Lebens auf den Armen und verbirgt sich gleich einer +Eule, weil sie noch nicht so weit gekommen, gleich 5 Kameradinnen, welche +zur alten Garde der rothen Schwitt gehören und mit ihren Verdiensten um +Vermehrung des Menschengeschlechts stolz thun.</p> +<p>Die Meisten jedoch stehen und sitzen fröhlich und freudig in Jakobs Stube, +erst nach Mitternacht bringen sie es über sich, dieselbe zu verlassen, doch +keine schließt daheim ein Auge, jede hat's am andern Morgen gestanden.</p> +<p>Am andern Tage wandelt an der Hand des alten Lehrers der Benedict der +Kirche zu; der rothe fliegende Haarbusch auf seinem glänzenden Tschako +scheint die Oriflamme zu sein, welcher das ganze Dörflein in Einem Truppe +folgt, mehr als ein bejahrter Mann und mehr als Einer wird lediglich durch +das Gedränge verhindert, dem ehemaligen Dorfhanswurst, welchen sie als +kleines pausbackiges Büblein mit schwarzen Augen voll Leben und +Beweglichkeit gesehen und geliebt, öffentlich einen Kuß zu geben.</p> +<p>Nur die Buben der rothen Schwitt ließen sich nicht herbei und die Mädlen +derselben thaten gleich verscheuchten Hühnern.</p> +<p>Während der langen Abwesenheit des Duckmäusers hatte die rothe Schwitt im +Dörflein große Siege gefeiert, denn es gab keinen Burschen, welcher dem +reichen, wüsten und wilden Max herzhaft und beharrlich mit Glück +entgegentrat, die schwarze Schwitt hatte ihr Haupt verloren und zerfiel. +Mancher Bube und manches Mägdlein trat zur rothen Schwitt über, weil sie +auch ein Vergnügen oder mindestens ihre Ruhe haben wollten. Seit 2 Jahren +gebot der Marx auf allen Tanzböden und in allen Wirthshäusern, über alle +Vergnügungen der Dorfjugend, schloß alle "Altmodischen" davon ab und weil +die rothe Schwitt auch in den umliegenden Ortschaften ihre Anhänger und +Verbündeten zählte, welche ebenfalls emporkamen, so wurden diejenigen, +welche hartnäckig altmodisch bleiben wollten, nicht nur von allen Freuden +und Festen ausgeschlossen, sondern auch noch auf alle möglichen Weisen +verfolgt und gekränkt. Max sah immer noch die verhaßte schwarze Schwitt +fortbestehen, so lange nicht <i>alle</i> Buben und Mädlen ihm anhingen und +wirklich gab es Viele, welche beharrlich von allen Festen wegblieben und +Alles erduldeten, denn Solches thaten.</p> +<p>Die Treuesten unter den Altmodischen waren Söhne und Töchter recht +christlich gesinnter Eltern, denn wie konnten diese ihre Kinder bei einer +Gesellschaft sehen, deren Anführer der Max vom Rindhofe war? Zog sich der +Max durch sein abscheuliches, gottloses Leben nicht einen Leibschaden zu, +so daß er auch leiblich verkrüppelte? Bezeugte nicht der eigene Vater +desselben, sein Einziger werde mit jedem Jahre liederlicher und bringe ihn +frühzeitig in die Grube? Weinte der herzensgute Fidele nicht oft bei seinen +Nachbarn die bittersten Thränen über den ausgearteten Sohn und ließ sich +nur dadurch trösten, weil er demselben weder durch Rede noch That jemals +ein böses Beispiel gegeben habe? Lagen die Gesinnungen der rothen Schwitt +nicht in täglich sich häufenden Werken offen und erschreckend zu Tage?</p> +<p>Alles dies bewirkte, daß trotz dem Zerfallen und Zusammenschmelzen der +schwarzen Schwitt nach Benedicts Abfall stets ein kleines Häuflein braver +Buben und Mädlen altmodisch blieb, man mochte gegen sie unternehmen was man +wollte.</p> +<p>In der letzten Maiennacht zeigten die Rothschwittler so recht ihre Bosheit +und ließen dieselbe an der armen Margareth und deren Schwestern aus, deren +Wohnhaus mit mehr als 500 Maien ganz umstellt wurde. Nahe am Kammerfenster +entdeckte man am Morgen des ersten Mai einen Strohmann von abscheulicher +Gestalt, einen Besen, mit Dünger bestrichen und mit einem Rosenkranze +behängt, eine Ofengabel mit Salbhäfelein; da einen Stab mit einem alten +Kochhafen, dort einen mit einigen Rinderschuhen, viele andere mit +Ochsenohren, Hahnenkämmen, Gansschnäbeln, Schwänzen von Katzen und Hunden, +der Eierschaalen, Nachttöpfe, Schlapphüte, weiblichen Zwilchröcke und +dergleichen gar nicht zu gedenken.</p> +<p>Heuer an der Kirchweih wollte der Max das Oberkommando in zwei Dörfern +führen und, da er als Krüppel doch den Willibald Tanzkönig sein lassen +wollte, vor Allem dafür sorgen, daß die "Altmodischen" zu keinem Freudlein +gelangten—die plötzliche Erscheinung des Duckmäusers am Kirchweihsonntage +machte jedoch einen gewaltigen Strich durch seine Rechnung und er merkte +gleich, die meisten der ehemaligen Schwarzen seien eben doch keine rechten +Rothen geworden.</p> +<p>Begleitet von Alten und Jungen, von Altmodischen, deren Gesichter vor +Freude strahlen und von Neumodischen, die den Stiel rasch umkehren, weil +sie keine aufrichtigen Rothschwittler sind, tritt der Benedict in die +Kirche; die beurlaubten und alten Soldaten aber weisen ihm den ersten Platz +im Soldatenstuhle an und versprechen, aus allen Dörfern des Stabes ihm zu +Gefallen auf die Kirchweihe seines Dörfleins zu kommen. Kaum ist der +Nachmittagsgottesdienst beendet, so beginnen 6 Musikanten im Hirzen +Straußische Walzer zu spielen, das Wirthshaus und der Tanzsaal wimmelt von +Infanteristen, Dragonern und himmelhohen Kanoniren, welche der Benedict aus +der Kirche mitgebracht hat, andere fremde Buben und Mädlen kommen auch und +die Rosa ist verabredetermaßen bereits seit Mittag nach langen Jahren +wieder einmal im Heimathdörflein und hat das Grab der rechtschaffenen +Eltern bereits besucht; das ganze Dörflein ist voll Leben und Freude und +die seit zwei Jahren von jeder Lustbarkeit ausgeschlossenen Getreuen der +ehemaligen schwarzen Schwitt werden die Heldinnen dieser Kirchweihe, mit +Ehrenbezeugungen und Lobreden von den achtbarsten Bürgern, geschweige von +den Jungen, überschüttet.</p> +<p>Kein rechter Rothschwittler durfte sich diesmal im Tanzsaale blicken lassen +und ihre entehrten Mädlen, welche sonst die vornehmste Rolle zu spielen +pflegten, dürfen sich nicht einmal dem Hirzen nähern.</p> +<p>Einige reiche Bauern, wie der Fidele, Maxens Vater und der Liebhardt, +legten einige Kronenthaler zusammen, um den getreuesten Mädlen der +schwarzen Schwitt, welche rasch wieder auflebt, eine Freude zu machen, am +Kirchweihmontag wurden schöne Halstücher gekauft und dieselben am Dienstag +ausgetanzt.</p> +<p>Schon am Montag traten einige rechtschaffene Männer, denen das Treiben beim +Brandpeterle und Andern längst ein Gräuel gewesen, im Hirzen in den Bund +der schwarzen Schwitt und gelobten auf Benedicts Zusprache öffentlich und +feierlich, fortan über die Sitten der christlichen Jugend des Dörfleins zu +wachen, die ehr- und schamlosen Maxianer zu vertilgen.</p> +<p>Dies und noch weit Aergeres muß der Max mit anhören, der mit dem Willibald +und zwei Anderen in einem Winkel der Wirthsstube würfelt.</p> +<p>"Dort hinten, sagt der tiefbewegte Fidele und deutet auf den Max, dort +hinten hockt mein Schöner, den ich wohl noch am Galgen sehen muß!" ... Zum +Vater des Duckmäusers, zum Jacob gewendet, der heut mehr als ein Hälbsle +schluckt, sagt er weinend:</p> +<p>"Euer Sohn hat Euch viel Kummer gemacht und manche Thräne ausgepreßt, denn +er war leichtsinnig, aber doch nie so liederlich und so bis ins Innerste +verdorben, wie mein Einziger dort hinten! ... Dieser macht Euch jetzt +wieder Ehre, Freude und Trost, der meinige wird mir Kummer bereiten bis zum +Grab und mein einziger Trost bleibt, daß Gott und Ihr wisset, wie ich meine +Pflicht als christlicher Vater erfüllte! ... Hab´ Alles gethan, ihn an Leib +und Seele gesund zu erhalten, jetzt ist er doch an Leib und Seele ein +Krüppel!"</p> +<p>Der Max schüttelt in seinem Winkel den Würfelbecher sehr lebhaft und thut, +als ob er den Vater gar nicht höre; solch Benehmen empört alle Anwesenden, +der Benedict stachelt den Hansjörg, mit dem er einst auf dem Katzenbänklein +gesessen und Andere auf, nach zwei Minuten fliegt der Max zum Hirzen hinaus +in den Straßenkoth, der Willibald und die Andern schleichen eiligst davon.</p> +<p>Von dieser Stunde an haßt der Max den Benedict tödtlich und schon am Abend +wird letzterer gewarnt, sich wohl in Acht zu nehmen, weil der Max mit +geladener Pistole auf ihn lauere, doch Jener fragt wenig darnach und +gebraucht blos die Vorsicht, während der Urlaubszeit Abends nie ohne Säbel +auszugehen.</p> +<p>Am glücklichsten fühlten sich während dieser Kirchweihe die alten Herzkäfer +des Duckmäusers, die geehrten und beschenkten Jungfrauen der schwarzen +Schwitt und nur Eine bekennt, daß sie nicht so glücklich sei, wie dies der +Fall sein könnte. Diese Eine ist Margareth, Benedicts alte Geliebte, welche +die Rosa an dessen Hand sieht. Die Rosa merkt dies wohl, spricht mit dem +Benedict und sogar mit der Margareth selbst hierüber und erklärt, sie wäre +bereit, für den Duckmäuser das Leben zu opfern, doch wenn er der älteren +und damit mehr berechtigten Freundschaft gedenken wolle, so wolle sie +entsagen.</p> +<p>Die Margareth jedoch meint, nicht sie, sondern das Rosele habe den Benedict +vor gänzlichem Verderben gerettet, die Entsagung müßte dem Rosele schwer +fallen und könne ihr nicht zugemuthet werden. Beide Mädchen meinten es +aufrichtig und wohlwollend mit einander und ebenso mit dem Benedict, ihr +liebreicher Streit gab den sehr zahlreich anwesenden Gästen Anlaß zu einem +Gespräche, wie es wohl in einer Stadt sehr selten vorkommen mag.</p> +<p>Die Meisten kannten den Duckmäuser von Kindesbeinen an, sie wollten den +Schiedsrichter zwischen der Margareth und dem Rosele machen und bei dieser +Gelegenheit wurden alle Streiche, welche der Gegenstand ihres Streites +jemals begangen, öffentlich besprochen; er erfuhr, daß die Wände Ohren +haben; gar Vieles kam jetzt erst zur allgemeinen Kenntniß und er selbst war +gescheidt und edel genug, bei der Aufdeckung seiner unsaubern Stücklein +selbst mitzuwirken; dafür redeten Viele auch vom Guten, was er an sich trug +und vollbracht hatte.</p> +<p>Endlich erhebt sich der älteste und ehrwürdigste Mann der Gemeinde, der +eisgraue Korbhannes, welcher seit mehr als zwanzig Jahren kein Wirthshaus +inwendig gesehen hat, heute seinem Liebling zu Ehren kam und seinen Sitz +zwischen dem alten Schulmeister und dem Stabhalter nehmen und sich von +diesen zechfrei halten lassen mußte. Er nimmt langsam die Zipfelkappe herab +vom zitternden Haupte, es wird so still in der dichtgedrängten Stube des +Hirzenwirths, daß man hätte können eine Stecknadel fallen hören und dann +spricht der Greis, während er mit glänzenden Augen umherschaut:</p> +<p>"Ich weiß, daß ich von Gott und der Welt geliebt und geehrt werde; von +Gott—dies beweist mein alter grauer Schädel,—von der Welt—dies sehe ich +mit meinen Augen in diesem Augenblicke ... Heute ist noch ein Freudentag +für mich vor meinem Tode, an welchem ich wie ein Jüngling mit Euch und dem +lieben Herrgott Gesundheit trinken werde! Es ist ein glücklicher Tag, denn +ein Verlorner unseres Dörfleins ist ja wieder gefunden—das allein macht +mich heute so jugendlich und ist ja auch die einzige Ursache, daß der Vater +Steffen dort und die Mutter Ursula dort drüben in ihrem hohen Alter noch +einmal zu der ledigen Jugend auf der Kirchweihe sich gestellten! ... Es ist +der größte Schmerz für rechtschaffene Eltern, ein ungerathenes Kind zu +haben, aber auch der seligste Augenblick, wo ein verirrtes Kind wieder in +ihre Elternarme zurückkehrt. Davon haben wir heute einen sprechenden +Beweis, denn wer könnte wohl theilnahmlos bleiben an der Freude der Theres +und des Jacob? ... Möge Gott dem Benedict auch ferner Seine Barmherzigkeit +erzeigen, daß wir einst so wie jetzt hier voll Freuden in der Ewigkeit +beisammensitzen dürfen! ... Gott weiß es, wie ich den Benedict liebte, +seitdem er die ersten Hosen an hatte und diese Liebe ist nicht +verschwunden, als er, mit Schande und Fluch bedeckt, sich aus dem Dörflein +entfernte! ... Heute, da wir ihn als Mann und Christ wieder unter uns +haben, brennt mein Herz recht für ihn und wird ewig brennen! Ich sage: +ewig, denn gar bald wird mich Gott zu sich nehmen und daher glaube ich auch +vor Euch Allen ein Vorrecht zu haben, dem Benedict zu rathen, wie er +glücklich bleiben wird!"</p> +<p>Sich zum Duckmäuser wendend, fahrt der Alte fort:</p> +<p>"Dir rathe ich nun, fürchte Gott und halte Wort, dann kannst du einst mit +derselben Ruhe und Freude in die Ewigkeit schauen, wie du es an mir siehst +und nun, was diese zwei Mädlen betrifft, die dich mit gleicher Liebe +lieben, so entscheide du selbst, denn Eine nur kann´s sein!"</p> +<p>Nach dieser Rede setzte sich der Greis, kein Beifallsgeklatsche ließ sich +hören, doch in mehr als Einem Augenpaar standen Thränen, der Benedict +jedoch betrachtet arg verlegen bald die Margareth, bald die Rosa und dann +wieder seine Mutter, welche neben Margarethens Großmutter, der alten Ursula +sitzt.</p> +<p>Er weiß nicht, was er reden soll, hofft, Mutter Theres werde entscheiden, +doch diese ist zu gewaltig erschüttert von der Rede des Korbhannes und dem +Edelmuth der beiden Mädlen, es entsteht eine lange, peinliche Pause, bis +sich endlich gar die bereits 81jahrige Ursula erhebt und redet:</p> +<p>"Wie der Korbhannes vorhin gesagt hat, so muß ich auch sagen: ich habe den +Benedict da von seiner Kindheit bis jetzt mütterlich geliebt und er allein +ist´s, der mich, eine 80jährige Großmutter, noch einmal aus der stillen +Stube in den Hirzen brachte und mir vor meinem Tode den Vorgeschmack ewiger +Seligkeit kosten läßt;—aber ich bin der Meinung, er sei noch lange nicht +aus allen Gefahren! ... Ich will mit diesen Worten den Ernst seiner +Besserung nicht bezweifeln, allein er ist noch zu jung und unerfahren, um +sich an fremden Orten unter fremden Leuten stets auf dem ebenen Wege +halten zu können. Wir können noch wohl Ursache bekommen und besonders ihr +Jüngern, über ihn so zu trauern und ihn so zu beklagen, wie wir uns heute +über ihn freuen; er ist noch nicht gewonnen, so lange er von Fremden +umgeben ist. Darum aber bin ich der Meinung, es sei am besten, er bleibe +seiner einstweiligen Retterin, wie ich das brave Rosel nennen muß, +anvertraut! ... Dieses Mädchen, von der uns oft unbegreiflichen Vorsehung +gar früh in die fremde Welt hinausgeschleudert und der rohesten Behandlung +preisgegeben, hat sich trotz allen widrigen Umständen gar lieblich, Gott +und Menschen wohlgefällig entfaltet! ... Das Rosele bekam von Gott die +Gnade, zu bewirken, was wir alle sehnlichst zu wirken wünschten und doch +nicht vermochten! ... Alle unsere Ermahnungen, Warnungen und Strafen +blieben fruchtlos bei diesem Verirrten, das Rosele aber hat ihn durch ihren +Blick wieder zu einem Christenmenschen gemacht, dessen wir uns heute alle +freuen! ... Dies scheint mir ein Beweis zu sein, daß er für keine andere +als für das Rosele und das Rosele für keinen andern als für ihn geboren +sei! ... Wohl mag ihr durch den Benedict noch Bitteres genug zustoßen, doch +sie ist wie keine andere von Allen, die hier sitzen, so für Ausdauer in +Leiden und Widerwärtigkeiten gemacht, daß sie ihn wohl zum zweiten und +drittenmal retten könnte, wenn's, was Gott verhüte, die Noth erfordere! ... +Gewiß bleibt, daß dem Rosele eine Kraft und Gnade innewohnt, um seine Seele +zu bewahren, daß dieselbe nicht ganz für Religion erkalte und ersterbe! ... +Die Hoffnung und das Zutrauen auf dieses Mädle kann mir Niemand nehmen und +darum sag' ich: unsere Margreth soll dem Rosele nicht in den Weg treten!"</p> +<p>Alles stimmte bei, die Margareth verzichtet mit einem Kusse, welchen sie +der Rosa gibt und wobei ihr doch Thränen in die Augen schießen, die sie +mannhaft zurückdrängt, die Rosa aber hat während Ursulas Rede oft die +Gesichtsfarbe gewechselt und später dem Benedict, welcher sie deshalb +befragte, gesagt, erstens habe sie bei der Aufzählung seiner alten Fehler +einen großen Schmerz empfunden und sich denken können, wie wehe es ihm +thue, zweitens habe die Großmutter alle bangen Ahnungen vom Soldatenleben, +welche sie gewaltsam unterdrückte, wieder auferweckt, es sei ihr gar +seltsam und unheimlich ums Herz.</p> +<p>Der Duckmäuser sagt, bei der Aufzählung seiner Sünden sei es ihm gewesen, +als ob man Alles nur sage, um Andere zu warnen und vor Schaden zu behüten +und beruhigt die Geliebte ein wenig, so daß sich dieselbe zur Mutter Theres +setzt und mit dieser sich unterhält.</p> +<p>Der Benedict nimmt dann die 80jahrige Ursula in den Tanzsaal und noch heute +redet man davon, wie er zuerst mit der alten Prophetin und nachher mit der +schwächlichen Mutter Theres tanzte und wie gewaltig die Freude diese beiden +Frauen verjüngte und kräftigte, so daß sie es zur Verwunderung aller +Anwesenden aushielten bis zum letzten Ton, wiewohl von keinem bedächtigen +Menuett, sondern von einem Bauernwalzer die Rede gewesen ist.</p> +<p>Freilich war der Hobist auch der beste Tänzer der Gemeinde und trug die +zwei Alten fast immer schwebend im Kreise herum. Nach drei Kirchweihtagen +wußte er wieder einmal, Tanzen sei auch eine Arbeit und das Rosele pries +sich glücklich, weil er mindestens nicht bei ihr seine Müdigkeit und +Abgeschlagenheit aller Glieder geholt hatte; die alten Herzkäfer der +schwarzen Schwitt dagegen meinten, er habe ihnen unsäglich viel Ehre +angethan, doch hätte er mit Jeder noch ein bischen mehr walzen können!</p> +<p>Auf große Freud' folgt großes Leid! heißt ein altes Sprichwort und daß es +gar oft ein wahres werde, erfuhr der Held der herrlichen Kirchweihe bald, +ja das Leid trieb ihn aus dem Dörflein in die Garnison zurück, noch ehe +sein Urlaubspaß abgelaufen war.</p> +<p>Er sitzt eines Abends, wo das Rosele wieder daheim beim Straßenbasche +sitzen und diesem von der seit urdenklichen Zeiten unerhörten Kirchweihe +ihres Geburtsortes erzählen mag, mit Vater, Mutter und einigen Hausfreunden +am Tische; das Gespräch kommt auf die Leichenbegängnisse und das Leidtragen +der Soldaten. Der Duckmäuser erklärt, jeder Soldat, welcher Leid tragen +wolle, trage einen schwarzen Flor am Arme oder auch nur eine schwarze +Schleife auf der Brust, je nachdem ihm an der verstorbenen Person mehr oder +weniger gelegen sei.</p> +<p>Darauf fragt die Mutter:</p> +<p>"Nun, wenn ich einmal sterbe, dann wirst du gewiß einen recht großen Flor +tragen?"</p> +<p>Rasch und lächeld [lächelnd] meint der Benedict:</p> +<p><i>"Wenn Ihr einmal sterbet, dann stecke ich einen weißen Federbusch auf +meinen Kriegshut!"</i></p> +<p>Hat jemals Einer Grund bekommen, einen unbesonnenen Scherz bitterlich zu +bereuen, so ist dieser Eine der arme Hobist.</p> +<p>Kaum ist das Wort aus seinem Munde, so wendet ihm die Mutter den Rücken zu +und unfähig, ein Wort zu reden, beginnt sie so heftig und laut zu weinen, +daß alle Dasitzenden erschrecken. Was half es, daß Alle die Weinende zu +beruhigen suchten und ihr den Scherz erklärten? Daß der Benedict endlich +selbst mitweinte und sich anbot, unter ihren Händen augenblicklich zu +sterben, wenn er damit beweisen könne, wie aufrichtig er sie liebe?</p> +<p>Das von unsäglicher Liebe erfüllte Mutterherz scheint in Einem Augenblicke +gänzlich versteinert zu sein; sie hört später mit Weinen auf, doch bleibt +sie unerbittlich, kein gutes Wort kommt mehr gegen ihn aus dem Munde, sie +mag und will ihn nicht mehr sehen, er muß aus dem Hause, soll es bei ihren +Lebzeiten nicht mehr betreten.—Der Wunsch ging in Erfüllung.</p> +<h3><a name="7"></a>Wie Einer fast ohne Schuld des Teufels werden kann</h3> +<p> +Von Allen, welche ihn liebten und fruchtlos versucht hatten, den Duckmäuser +mit der Mutter auszusöhnen, tief bedauert, kehrte derselbe in die Garnison +zurück.</p> +<p>Das Erste, was er erfährt ist, daß sein Regiment nach Freiburg zurück +verlegt wird. Rasch schreibt er diese frohe Nachricht seiner Rosa und +bittet dieselbe, ihn doch um Gotteswillen mit der Mutter auszusöhnen, auf +ihr ruhe hierin noch seine einzige Hoffnung.</p> +<p>Der Abmarsch nach Freiburg wird so rasch angetreten, daß er Gelegenheit +bekommt, die Antwort auf den Brief selbst zu holen, weil dieselbe doch +etwas lange ausgeblieben ist.</p> +<p>Freudig wird er vom Straßenbasche, Saumathis, vom Rosele und allen +Bekannten empfangen, doch—Roseles Antwort lautet untröstlich genug. Was +er, der Vater, die Geschwister, die Mädlen der schwarzen Schwitt, der +Korbhannes sammt der Ursula und vielen Andern nicht vermocht hatten, setzte +auch das Rosele nicht durch, im Gegentheil erging es ihr am schlechtesten.</p> +<p>In ihrer Unschuld und Liebe bat sie am eindringlichten, versicherte, nicht +weichen zu wollen, bis ihrem Benedict der übel angebrachte, doch arglose +Scherz verziehen sei, dafür fiel auch sie bei Mutter Theres in volle +Ungnade und diese wies sie aus ihrem Hause, um niemals wieder über die +Schwelle desselben zu treten.</p> +<p>Solche Kränkung schmerzte, empörte, allein die Liebe duldet Alles und das +Mädchen bedauerte nur, daß auch seine Bemühungen vergeblich gewesen, der +Straßenbasche mit seinem Weibe schüttelt den Kopf und meint, die Weiber +seien ein wunderliches, unergründliches Volk.</p> +<p>Kaum ist der Benedict wieder in die Garnison zurück, so entdeckt er den +Nebelspalter des Vaters und richtig steht dieser bald vor ihm und erzählt, +die Mutter habe ihn hergeschickt, damit er dem Herrn Kapellmeister +empfehle, den Hobisten Benedict recht strenge zu halten und niemals wieder +zu beurlauben.</p> +<p>"Abschlagen hab ich´s der Mutter nicht können; seit jenem Abend redet und +deutet sie wenig, nimmt grausig ab und ist kränklich, bin halt zum Herrn +Kapellmeister gegangen und hab´ ihn zuerst gefragt, wie du dich +aufführtest. Er hat dich sehr herausgestrichen, deßhalb habe ich meinen +Auftrag auch nicht ausgerichtet, ´s wär eine Ungerechtigkeit. Halte dich +nur brav, die Mutter wird auch wieder anders werden!"</p> +<p>So sprach der Vater, als er vom Sohne Abschied nahm.</p> +<p>Das Mütterlein wurde jedoch nicht anders, sondern sandte an der Stelle +ihres Alten die Salome zum Herrn Kapellmeister. Salome war ein lediges, +jedoch mit fünf lebendigen Kindern gesegnetes Weibsbild, trug Gebetbuch, +Rosenkranz, den Loosungsgroschen und die Karte zum Kartenschlagen stets in +Einer Tasche, übernahm Wallfahrtsgänge für die halbe Welt, deßhalb auch die +Wallfahrt zum Herrn Kapellmeister, zumal Mutter Theres ihr ordentlich +spendirt und noch mehr versprochen hatte, wenn sie etwas ausrichte.</p> +<p>Die Salome wußte gar ehrbare und erbauliche Gesichter zu schneiden, Alles +gut einzufädeln, was sie einfädeln wollte und es war ihr ein Leichtes, den +Kapellmeister, einen wackern, offenen Soldaten, der nicht gerne an +Verstellung glaubte, weil er selbst aller Verstellung fremd war, gegen den +Duckmäuser einzunehmen.</p> +<p>Zuerst beschrieb sie demselben den answendigen, dann den inwendigen +Benedict von der Geburt bis zur letzten Kirchweihe, erzählte alle Streiche +desselben, wußte den unseligen Scherz mit dem Traueranlegen als Verbrechen +darzustellen, beschrieb dann auch die Rosa als ein verdorbenes, +gottvergessenes und heuchlerisches Geschöpf und schloß, indem sie den +Kapellmeister im Namen der tief bekümmerten und gekränkten Mutter des +Benedict bat, diesem keinen Urlaub mehr zu geben und ganz besonders auch +die Ausflüge ins Rheindorf zum Rosele zu untersagen.</p> +<p>Wer schon bei der nächsten Probe dem staunenden und betretenen Duckmäuser +in Gegenwart aller Hobisten sein ganzes früheres Leben, seine "ganze +verfluchte Duckmäuserei" und die schändliche Rede gegen die alte Mutter +vordonnerte und ihm öffentlich aufs strengste verbot, jemals wieder einen +Fuß zu der "liederlichen Fuchtel" ins Rheindorf zu setzen, das war der Herr +Kapellmeister.</p> +<p>Wie verächtlich betrachteten die ältern Hobisten jetzt den Benedict, wie +schadenfroh lachten die jüngern und besonders die leichtsinnigsten über den +"Klosterbruder!"</p> +<p>Einen Brief nach dem andern, einer rührender als der andere, schrieb +derselbe an die Mutter, um ihr Herz zu erweichen; nie erhielt er eine +Antwort und weil er nicht mehr zum Rosele hinüber durfte, kam dieses mit +und ohne den Straßenbasche zuweilen herüber.</p> +<p>Solches wird dem Kapellmeister gesteckt, einem Hagestolz, der als Todfeind +aller Bekanntschaften seiner Untergebenen, besonders der jüngern bekannt +ist und jetzt den Umgeher seines Verbotes recht zu fuchsen sich vornimmt.</p> +<p>Wo fehlen beim Militär jemals Gelegenheiten zum Strafen, wenn ein +Vorgesetzter darauf ausgeht, Einem das Leben zu entleiden?</p> +<p>Selten fand eine Probe statt, bei welcher der Kapellmeister den Hobisten +Benedict nicht andonnerte oder strafte, dieser gewann bald Aehnlichkeit mit +seinem ersten Vorbilde, dem Compagnieschneider, insofern auch er bereits +immer Zimmerarrest hatte.</p> +<p>Von der Kirchweihe bis zur Fastnacht hielt der Duckmäuser aus und machte +seine Sache durch sein heißes Blut nicht schlimmer; das Romanlesen verlieh +ihm Gleichgültigkeit und Erhabenheit gegen die Quälereien prosaischer +Seelen und Genuß, weil er sich selbst für einen von Schicksalstücke arg +Verfolgten halten mußte.</p> +<p>An Fastnacht bekamen alle Hobisten, sogar Meister Feucht für 3 Tage Urlaub, +Benedict sollte beim Adlerwirth im Rheindorfe drüben aufspielen—der +Kapellmeister jedoch gab ihm an der Stelle des Urlaubes drei Tage +Zimmerarrest.</p> +<p>Am Fastnachtsonntag saß er mutterseelenallein im Zimmer, hatte deßhalb auch +die Zimmertour und weil's gerade ein Brodtag war, so faßte er das Brod für +die Hobisten und legte jedem seine zwei Laibe auf das Bett. Gegen Abend +hielt ers nicht mehr aus, sah nur immer das weinende Rosele vor sich, nahm +sich Urlaub aus dem eigenen Tornister, trat Abends zehn Uhr halberfroren in +Straßenbasches Haus, verlebte im Rheindorfe zwei lustige Tage und kehrte am +Aschermittwoch in die Kaserne zurück.</p> +<p>Beim Eintritt in die Stube kommt ein Hobist auf ihn zu und klagt, weil ihm +ein Laib Brod fehle; der Duckmäuser behauptet, jedem beide Laibe auf das +Bett gelegt zu haben und wie er noch redet, wird er arretirt und wegen +eigenmächtigen Urlaubes zum erstenmal ins Dunkle gesetzt.</p> +<p>Kaum tritt er aus dem Arreste, so kommt der Oberlieutenant, fragt nach dem +Laibe Brod, welcher dem Hobisten fehlte; der Benedict schwört hoch und +theuer, das Brod richtig gefaßt und richtig ausgegeben zu haben, eine +Untersuchung wird eingeleitet und der Duckmäuser wegen Unterschlagung eines +Brodlaibes im Werthe von 7 Kreuzern standgerichtlich zu drei Tagen Arrest +verurtheilt; ein standgerichtliches Urtheil hat aber stets die Entziehung +der Einstandserlaubniß zur Folge und dies setzt den Bestraften in arge +Betrübniß.</p> +<p>Kaum ist er frei, so findet sich der Brodlaib; Alles beruhte auf einer +Verwechslung mit dem Brode eines andern Hobisten, der Benedict fordert +beide Hobisten dringend auf, seine Unschuld an den Tag zu legen; sie wollen +ihn insgeheim mit einer kleinen Vergütung zum Schweigen bringen, doch er +will nichts als seine Ehrenrettung, dazu lassen sie sich nicht bewegen, er +verflucht und verwünscht Beide und—merkwürdig! beide starben noch in jenem +Jahre, der eine ertrank, der andere bekam einen Blutsturz nach dem andern +und starb gleichfalls.</p> +<p>Benedict gedachte der bangen Ahnungen des Rosele; eine schöne Gelegenheit +zur Erlernung des Schreinerhandwerkes bietet sich ihm an, er faßt ein Herz, +geht zum Oberst und fordert seinen Abschied. Der grundehrliche, brave, +jedoch barsche und rauhe Soldat nimmt den Degen, schlägt das Hobistlein +nach Noten herum und poltert: "Ich will dir den Abschied auf den Rücken +schreiben, du Hundsfötter, du! ... Wir müssen dich fuchteln, sonst stirbst +du im Zuchthause, du verstellte, heimtückische Bestie!"</p> +<p>Brav durchgewalkt kehrt der Verzweifelnde in sein Compagniezimmer zurück, +welches er drei Frühlingsmonate nicht mehr verlassen darf. Er vergeht fast +vor Schmerz, doch hält er immer ritterlicher aus, denn seine Romane +verleihen ihm Trost, Muth, Heldenkraft. Zum Musiciren spürt er wenig Lust +mehr, liest wie der große Trommelschläger den ganzen, lieben langen Tag, +denkt und lebt sich ganz in seine Bücher hinein und ist fest entschlossen, +nach dem Muster der heldenmäßigsten Ritter allen Flohstichen und +Keulenschlägen eines widrigen Geschicks mannhaften Trotz zu bieten!</p> +<p>Während der Verbannung im Compagniezimmer kam ein schwarz versiegelter +Brief vom jüngern Bruder, vom Hannesle, welcher ihm meldete, die Mutter sei +gestorben und habe ihm in ihrer letzten Stunde Verzeihung angedeihen +lassen.</p> +<p>Seit jenem Abende, an welchem Benedict harmlos scherzte, er werde für sie +mit einem weißen Federbusche auf dem Kriegshute trauern, gab sich Mutter +Theres einer Schwermuth hin, welche nicht mehr wich; sie wurde still und in +sich gekehrt, suchte immer die Einsamkeit, aller Trost und alles Gerede +blieben von ihr ungehört und den Namen ihres Sohnes durfte Niemand nennen, +wer sie nicht in die furchtbarste Aufregung versetzen wollte. Von Tag zu +Tag nahmen ihre Kräfte sichtbar ab, sie wurde bettlägerig, ihr Zustand +verschlimmerte sich und die Aerzte mit ihrer Weisheit standen rathlos am +Krankenbette.</p> +<p>Schon zur Zeit der Fastnacht, an welcher die rothen und schwarzen +Schwittler sich endlich in die Haare geriethen und barbarisch prügelten, +wie dies im weinreichen Baden gar oft der Fall zu sein pflegt, erwartete +man das Ende der Mutter Theres und die herrliche Margareth wich fast nicht +mehr von deren Bette.</p> +<p>Schwankend zwischen Leben und Tod lag die Dulderin viele Wochen; in ihren +letzten Tagen nannte sie häufig den Namen ihres Sohnes, doch so oft man +fragte, ob man denselben herbeiholen sollte, schüttelte sie verneinend den +Kopf. Plötzlich schien sie von Neuem aufzuleben, die Krankheit gewichen zu +sein, sie vermochte wieder deutlich zu sprechen, bat, den Benedict +herbeizuholen, sie wolle und müsse demselben Alles verzeihen, wenn sie +selbst Verzeihung bei Gott erlangen wolle, <i>denn Alles habe sie dereinst +an ihrer eigenen Mutter verschuldet.</i></p> +<p>Halb aufgerichtet im Bette legte sie vor allen Anwesenden das Bekenntniß +ihrer Schuld ab und kaum war solches geschehen, so sank sie tod [todt] in +ihr Kopfkissen zurück!</p> +<p>Es gibt unzählige Dinge zwischen Himmel und Erde, wovon sich die +Philosophen gar nichts oder nicht gerne träumen lassen, weil jeder Luftzug +aus einer überirdischen Welt ihre gar emsig und kunstreich gewobenen +Spinnengewebe zu zerreißen im Stande ist.</p> +<p>Werke sind besser als Worte, <i>Thatsachen</i> lehren eindringlicher denn +alle Spitzfindigkeiten der verständig gewordenen Vernunft, deßhalb mag die +Jugendgeschichte der Mutter Theres das räthselhafte Benehmen während der +letzten Zeit ihres Lebend erklären oder doch einigermaßen aufklären.</p> +<p>Ihr Vater, ein vermöglicher und braver Mann starb sehr frühe, von einem +zweiten Manne bekam ihre Mutter noch einen Sohn und zwei Töchter. Dem +letzten Willen des Vaters gemäß sollte Theres, sein einziges Kind, die +Hälfte seiner Hinterlassenschaft in Empfang nehmen, sobald sie das +achtzehnte Jahr erreicht haben würde, die andere Hälfte jedoch erst nach +dem Tode der Fränz, ihrer Mutter. Theresens Stiefvater war ein roher, +wüster, leidenschaftlicher Mann, mit welchem Mutter Fränz recht unglücklich +lebte und welcher sich immer mehr dem Trunke ergab. Geduldig ertrug Therese +alle Unbilden und Mißhandlungen, welche ihr Stiefvater sammt den +Stiefgeschwistern ihr alltäglich anthaten, wurde 18, 20, 22 und 24 Jahre +alt, blieb bei der Mutter, deren einziger Trost sie war und dachte nicht an +die Herausgabe des halben Vermögens.</p> +<p>Armuth und Elend nahmen jährlich im Hause zu, der Stiefvater verkaufte, was +ihm beliebte; von allen Seiten wurde Therese gewarnt, ihr Eigenthum zu +retten und in ihrem 26. Jahre verließ sie endlich das Haus der Mutter und +heirathete den Jacob.</p> +<p>Bei dieser Gelegenheit kommt die schlechte, gewissenlose Wirthschaft des +Stiefvaters an den Tag, Fränz schaut jammernd in die Zukunft und bittet die +Obrigkeit um Hülfe, der Trunkenbold wird endlich mundtod [mundtodt] +gemacht, mißhandelt die Fränz ärger als je, bis sich der Himmel erbarmt +und die Arme von ihrem Quälgeiste erlöst.</p> +<p>Theres hauste mit dem Jacob, ihre Stiefschwestern heiratheten auch kurz +nach einander, die Fränz lebte jetzt allein mit ihrem Sohne, dem Paul. +Dieser schlug seinem rohen, wüsten, trinklustigen Vater in Allem nach, doch +war er noch jung und wurde vorläufig nur von Neid und Mißgunst verzehrt, +weil er sehen mußte, wie die Therese, seine Stiefschwester, die schönsten +Grundstücke und Hausgeräthe und Anderes dem Jacob in die Ehe brachte. Am +meisten schmerzten ihn die beiden Rappen, seine Lieblinge, welcher der +Schwager aus dem Stalle holte und wenn der Paul gar daran dachte, die +Stiefschwester werde nach dem Tode der Mutter Fränz die andere Hälfte ihres +väterlichen Vermögens beanspruchen, dann wußte er sich fast nicht mehr zu +helfen vor Neid und Haß, zumal der eigene Vater mit all seiner Habe fertig +und auf Unkosten der Fränz beerdiget worden war.</p> +<p>Mutter Fränz mußte dem Paul ihre Vorliebe schenken, ob sie wollte oder +nicht und dieser war kaum volljährig, so suchte er eine reiche Frau zu +bekommen. Im Dorfe und in der Umgegend nicht sonderlich gut angeschrieben, +durfte er nicht an jeder Thüre anklopfen, zuletzt erschlich er sich die +Liebe eines sechszehnjährigen Mädchens, der hübschen, muntern und +vermöglichen Christine und die Mutter derselben gab die Heirath zu, weil +die ältere Tochter sich hatte verführen lassen und weil sie fürchtete, +gleiche Schande an der jüngern erleben zu müssen. Der Vogt, ein +unumschränkter Dorfmonarch und vielgeltender reicher Mann, war Christinens +Vetter, hatte deren Heirath mit dem Paul ungerne gesehen, doch als diese +nicht mehr verhindert werden konnte und geschehen war, nahm er sich des +Paares gewaltig an.</p> +<p>Bald redete Paul mit dem vielvermögenden Vetter, auf welche Weise die +Therese um ihre halbe Erbschaft gebracht werden könnte; der Vogt versprach +Alles zu thun und hielt Wort, bald entspann sich eine Dorfintrigue, worin +Mutter Fränz, ihre Kinder aus zweiter Ehe und ihre Tochtermänner +Hauptrollen spielten. Die Leute munkelten und redeten viel von diesen +Intriguen, Jacob und Therese bekümmerten sich anfangs wenig darum, weil sie +auf ihr geschriebenes und gültiges Recht pochten, doch wie endlich +allgemein und laut gesagt wird, Fränz habe ihre älteste Tochter verstoßen +und von der halben Erbschaft ausgeschlossen, geht Therese zur Mutter, um +dieselbe über das Geschwätz zu befragen. Mutter Fränz erschrickt sichtbar, +kann der Tochter nicht in die Augen schauen, gibt lauter ausweichende +Antworten und dies beunruhigt natürlich diese gewaltig.</p> +<p>Am andern Morgen langt Jacob seinen langen Rock aus dem Kasten, setzt den +Nebelspalter auf und begleitet sein Weib zum Hofe des Dorfmonarchen.</p> +<p>Der Vogt hört Alles ruhig an, dann donnert er los:</p> +<p>"Du, Theres, bist eine eigensinnige, bösartige Tochter gewesen, kannst es +vor Gott nicht verantworten! ... Thut deine Mutter wirklich also, wie du da +klagst und fragst, so hat sie Recht, du hast's tausendfältig an ihr +verdient! ... Als deine Mutter im größten Elende bei ihrem liederlichen +Manne schmachtete, bist du fortgelaufen, hast einen Mann genommen, die arme +Frau wie eine Räuberin ausgeplündert! ... Wäre ich damals Vogt gewesen oder +hätte mich's angegangen, ich würde dir einen Strick um den Hals gelegt +haben, du unbarmherziges Thier!"—Die Ungerechtigkeit der Mutter und +Stiefgeschwister kränkte die schuldlose Therese zehnmal mehr, denn der +Verlust der halben Erbschaft, doch vertraut sie auf ihr gutes Recht und +Gott, und hütet sich, den Anklagen des Dorfmonarchen durch ein böses Wort +gegen die Mutter eine Handhabe zu geben.</p> +<p>Sie hütet sich nicht wochen-, sondern <i>jahrelang</i> und es scheint Gras +über die Angelegenheit gewachsen zu sein, über welche erst der Tod der +Mutter Fränz Aufschluß und volle Gewißheit zu geben vermag.</p> +<p>Eines Morgens kommt der mürrische, versoffene Paul zur Therese und fordert +einen ausgehauenen Schweinstrog, welcher in Jacobs Hof steht, von ihr +zurück, weil der Schweinstrog nicht ihrem, sondern seinem Vater zugehört +habe. Therese lacht dem Paul ins Gesicht und gibt zu verstehen, sie sei im +Stande, ganz andere Forderungen zu machen, wenn das Betragen der +Stiefgeschwister es erheische.</p> +<p>Jetzt fährt der Stiefbruder auf, schreit ingrimmig:</p> +<p>"Was <i>du</i> zu erwarten hast, das hast du schon und darfst dich +glücklich schätzen, wenn du nichts herauszahlen mußt!" und poltert zur +Stube hinaus, deren Thüre er zuschlägt, daß das ganze Haus und Therese vor +Zorn und Entrüstung zittert. Wenige Minuten später kommt Mutter Fränz, weiß +nichts von dem Vorgefallenen, klagt über Unwohlsein und die noch unwillige +und aufgeregte Therese meint:</p> + +<p>"Sterbet in Gottes Namen, Ihr könnt nichts Besseres thun! ... <i>Nur sagt +es mir zuvor, daß ich mir ein weißes Kleid kaufe zum Leidtragen für +Euch!"</i></p> +<p>Diese Aeußerung kränkte Mutter Fränz bitter, sie verließ die Stube, kam nie +wieder zurück, verfiel in eine langwierige Krankheit und ließ der ältesten +Tochter erst wenige Minuten vor dem Tode Vergebung angedeihen. Mehrere +Wochen saß diese Tag und Nacht beim Krankenbette der Mutter, die 3 +Stiefkinder kümmerten sich nicht im mindesten um die Sterbende, denn sie +hatten, was sie wollten, nämlich ein schriftliches Testament, nach dessen +Wortlaut Therese auch nicht Einen Kreuzer erhielt.</p> +<p>Sterbend verlangt Mutter Fränz das Testament, welches gleich nach der +ersten und letzten Beleidigung von Seite Theresens geschrieben worden, +zurück, um es zu vernichten, doch ein Tochtermann hatte es in Verwahrung +und war über Feld gegangen, der Vogt wird herbeigeholt und hört das letzte +Wort der Mutter Fränz: "das Testament ist ungültig, un—" Kaum ist diese +eine Leiche, so kommt der Tochtermann von der Reise zurück, zeigt das +Testament, der Vogt erklärt, der Widerruf gelte nichts, weil die Sterbende +nicht mehr bei Besinnung gewesen, Theresens halbes Erbe bleibt verloren, +denn diese fängt keinen Prozeß an, sondern betrachtet die Enterbung als +eine Strafe des Himmels.</p> +<p>Mutter Theres war eine fromme, gottesfürchtige Frau; eine freudlose und +leidenreiche Jugend hatte sie vorbereitet, mit dem finstern, strengen, doch +dabei fleißigen, grundehrlichen und gerechten Jacob glücklich zu leben. Der +Benedict war es, der ihr zumeist Sorge und Kummer bereitete, sie an alte +Zeiten erinnerte und am Ende glauben machte, er sei von der Vorsehung +bestimmt, an ihr die Verwünschungen zu erfüllen, welche Mutter Fränz nach +dem erwähnten Auftritte gegen sie ausgestoßen hatte.—Der Besuch in der +Kaserne und die Kirchweihe hatten ihre abergläubischen (wenn man's so +nennen will!) Befürchtungen zerstreut; der, welchen sie von je am +zärtlichsten geliebt und welcher sie am tiefsten betrübt hatte, war +wiedergefunden. Sie liebte denselben von jeher mehr als eine gewöhnliche +Mutter, mehr als alle andern ihrer Kinder, <i>warum</i>—wußte sie selbst +nicht; die Kirchweihe weckte die ganze Gluth ihrer zärtlichsten und +sicherlich nicht durch Romanlesen verminderten oder gesteigerten wahrhaftig +leidenschaftlichen Liebe,—Der unglückselige Scherz, welchen der Hobist +machte, in derselben Stube, in welcher vor vielen Jahren Mutter Fränz ihre +Tochter verfluchte und in einer Stunde machte, wo das Licht noch nicht +angezündet war, so daß sie nur die verhängnißvollen Worte vom <i>weißen +Leidtragen</i> hörte, die Miene des Sohnes jedoch nicht sah; dies +überzeugte sie von Neuem, <i>der Fluch des Himmels laste noch auf ihr und +ihr ältester, geliebtester Sohn sei geboren, um diesen Fluch zu +erfüllen.</i></p> +<p>Gewiß war sie selbst überzeugt, derselbe habe es mit den paar Worten nicht +böse gemeint, doch diese paar Worte sprach nicht der Benedict, sondern +sprach nach ihrer Ueberzeugung der zürnende Gott zu ihr.</p> +<p>Sie hat den Sohn verflucht als ein Werkzeug des Fluches, hat ihm verziehen, +weil der Tod sich ihrer nicht erbarmen wollte—wird der Fluch oder die +Verzeihung sich als leitender Gedanke durch die fernere Lebensgeschichte +ihres Sohnes ziehen?—</p> +<p>Der Duckmäuser ward durch den Tod und die Verzeihung der Mutter nicht +sonderlich ergriffen; er erblickte in diesem Vorfalle nur einen neuen +Beweis für die aus seinen Romanen geschöpfte Ueberzeugung, zu einem +abenteuerlichen Leben bestimmt zu sein.</p> +<p>Ein von der Vorsehung zu wunderbaren Dingen ausgerüsteter Mann seiner Art +läßt sich durch alle Anfechtungen der prosaischen Außenwelt wenig berühren, +lebt in andern Zeiten und höhern Regionen und begnügt sich, prosaischen +Vorgesetzten tiefe Verachtung und ritterlichen Trotz entgegenzusetzen und +diesem "Gewürme", welches auf der Keule des Herkules herumkriecht, +thatsächlich zu beweisen, daß man nach seinen kleinlichen und winzigen +Chikanen so wenig frage, als nach den Ansichten und der Ordnung der +gegenwärtigen prosaischen Welt überhaupt.</p> +<p>Der Oberst hatte den Hobisten in den Zimmerarrest und damit in die ohnehin +geliebte Romanenwelt hineingeprügelt, drei Monate lang lebte der Hobist dem +Obersten zum Trutz sehr glücklich in Burgen, bei Turnieren, focht wacker +gegen Sarazenen, befreite mehr als Ein Ritterfräulein mit blauen Augen und +hochwallendem Busen, oder zog sich als weitgefürchteter Räuberhauptmann in +unzugängliche Felsburgen zurück.</p> +<p>Kaum während der Probe wußte der Glückselige Etwas von der prosaischen +Wirklichkeit und mehr als einmal redete er bei seinen Erbsen und Kartoffeln +laut genug von fehdelustigen Rittern, treuen Knappen und Fräuleins, welche +ihm statt Gänseweines Nektar kredenzten. Wie die Hobisten von je den großen +Trommelschläger verlacht und verspottet hatten, so verspotteten und +verlachten sie jetzt auch den Benedict—hatte sich jener wenig daraus +gemacht, so bewirkten sie bei diesem das Gegentheil. Mehr als einmal kamen +gutmeinende Vorgesetzte und Offiziere, um dem Hobisten Benedict +zuzusprechen, damit er nicht in Doctor Rollers Hände falle, allein Güte und +Ernst prallten an ihm ab.</p> +<p>Die drei Monate des Zimmerarrestes waren beinahe zu Ende, da tritt ein sehr +beliebter, gebildeter und braver Adjutant in das Hobistenzimmer und macht +dem Bedict [Benedict], der stets mit Rittern und Fräuleins redet, ganz +ruhige, vernünftige und menschenfreundliche Vorstellungen. Doch dieser hört +ihn kaum und wie der Adjutant ihm das Narrenhaus prophezeit, streckt er die +Hand aus und spricht wörtlich also:</p> +<p>"Du bist nicht als ein Apostel berufen und hast einem so unerschrockenen +Ritter meiner Art durchaus keinen Vorwurf zu machen, deßhalb schweige, wenn +ich dir nicht den Fehdehandschuh vor die Füße werfen und dir meine Kraft +fühlen lassen soll!"—</p> +<p>Die Antwort des Adjutanten lautete auf 3 Tage Dunkelarrest, der +Dunkelarrest machte den Kopf des Duckmäusers nicht heller! ... Endlich sind +die 3 Monate des Zimmerarrestes verflossen, beim Beginne derselben war der +Frühling kaum im Werden, jetzt findet der Befreite Leben, Bewegung, Freude, +Liebe und Schönheit allenthalben; Alles, was er sonst gleichgültig +betrachtete, hat für ihn hohes Interesse, er fühlt sich gleichsam +neugeboren und ein schöneres, höheres Leben ist in ihm wach geworden!—</p> +<p> +Lesefrüchte</p> +<p> +Es steht zu vermuten, daß der Straßenbasche ein oder auch zweimal die +Treppen des Commandantenhauses hinanstieg, um den Herrn Obersten, seinen +alten Kriegsgefährten zu besuchen, die angetastete Ehre seines Rosele zu +retten und für den Benedict ein gutes Wort einzulegen. Eines Tages nämlich +sprach der Oberst zum Kapellmeister:</p> +<p>"Hören Sie, Ihr Hobist, der Benedict, ist kein schlechter Kerl, aber er +wird durch seine verfluchte Leserei ein größerer Narr, denn der große +Trommelschläger! ... Der Kerl hockt noch im Zimmerarrest, dauert mich halb +und halb und wenn zuweilen sein Schatz vom Rheine herüberkommt, um ihn zu +besuchen, so wollen wir nichts dagegen haben. Es soll ein verständiges, +braves Mädchen sein und ganz geeignet, den Kerl vor dem Narrenhaus zu +bewahren!"</p> +<p>Der Kapellmeister schrieb sich diese Ordre hinter die Ohren und wendete +nichts dagegen ein, wenn Straßenbasches Pflegetochter an Sonntagen zuweilen +in die Kaserne kam, um den gefangenen Träumer zu besuchen, wurde jedoch +diesem nicht grüner.</p> +<p>Die Veränderung, welche in diesem vorging, blieb der Rosa nicht verborgen, +denn er sprach jetzt häufig in einem himmelhohen Style, welchen sie nicht +verstand und die einst so demüthigen, bescheidenen und ergebenen Reden +desselben nahmen allmälig ein Ende. Sie ermahnte ihn gar zu +lehrmeisterisch, den Obern zu gehorchen und brav zu werden, langweilte ihn +mit ihren prosaischen Predigten und obwohl er in ihrer Gegenwart die +lichtesten Augenblicke hatte und niemals vergaß, hundertmal "auf Ritterwort +und Handschlag" Gehorsam zu geloben, so hegte sie doch wenig Hoffnungen und +kehrte jedesmal nachdenklicher zum Straßenbasche zurück.</p> +<p>Jetzt stolzirt der Benedict an schönen Sommerabenden als freier Mann in der +Gegend herum, die Gestalten seiner Romane steigen von den Burgruinen herab +in die Ebene, wandeln um ihn herum und er entdeckt gar viel Ritterliches +und Fräuleinhaftes in den schöngeputzten Städtern und Städterinnen.</p> +<p>Außer den Mädlen der beiden Schwitten und der Rosa mit ihren Kamerädinnen +hat er noch keine Weiber kennen gelernt, doch weiß er jetzt, jene seien +prosaische, gefühllose, ungebildete "Bauerndötsche" in Zwilchröcken, mit +sonnenverbrannten Gesichtern, braunen Armen und abgearbeiteten, rauhen +Händen. Wie niedlich und zierlich sind dagegen die Städterinnen gekleidet, +wie zart, von Liebesgram gebleicht oder von beglückter Minne verklärt die +Wangen, wie grazienhaft der Gang, wie fein und tugendsam ihr Benehmen! +Täglich sieht er Hunderte, für die er sofort Lanzen haufenweise brechen +würde und täglich Eine, welche auf milchweißem Rosse mit fliegendem +Schleier auf ihrem Zelter sitzt, neben ihm den steilen Burgweg +hinaufreitet, der Burgwart stößt gewaltig ins Horn, die Knappen schwingen +jubelnd ihre schartigen Flamberge, der alte Kuno macht seine Meldungen, der +Ritter führt die Ritterin in den hohen Rittersaal und getheilt zwischen +Minne und Kampf verlebt er in der neugebauten Burg seiner Väter endlose +Jahre voll Seligkeit—bis in Freiburg der Tambour seine Kameraden zum +Zapfenstreich herausschlägt und der zum Hobisten degradirte Ritter auf des +Schusters bescheidenem Rappen in den prosaischen Kasernennothstall +zurücksprengen muß! ... Der Straßenbasche trägt nichts Ritterliches und +Knappenhaftes an sich, die Rosa bleibt ein ehrliches, gutes, doch plumpes +und grobfühlendes Landmädchen, nur der große Trommelschläger versteht +vollkommen Benedicts Seufzen, Fühlen und Denken, theilt dessen romantischen +Weltschmerz; noch mehr, der Trommelschläger hat viele Bekanntschaften in +der höhern Frauenwelt der Städte gemacht und versichert, neben zahllosen, +prosaischen, abgeschmackten Klötzen gebe es unter den Dienstmägden und +Bürgertöchtern zarte, empfindsame Seelen, der treuesten Minne würdig und +von der anmuthigsten Hingebung!</p> +<p>Geht der Duckmäuser über den Karlsplatz oder in den romantischeren +Alleegarten, wo die Ritterfräuleins mit zarten Früchten der Minne sitzen +und wandeln, dann richtet er sich stolz empor, nimmt das Schwert unter den +Arm, schreitet mit Ritterschritten eines Niebesiegten an denselben vorüber, +nicht ohne ihnen züchtige und minnigliche Blicke zuzuwerfen und ist voll +Liebessehnen und Seligkeit! ... Wie oft steht er auf dem Schloßberge mit +dem großen Trommelschläger und beide verfluchen die schaale Wirklichkeit, +in <u>specie</u> den Klotz im Kommandantenhause und die Klötze in der +Kaserne oder sie träumen von jener Zeit, wo der riesenhafte Münster noch +nicht gebaut war, auf dem Kippfelsen drüben wohl mancher Lindwurm hauste +und in der Ebene mannhafte Ritter prosaischen Pfahlbürgern ihren Kram +abnahmen, dieselben zur Unterhaltung todtschlugen oder in schauerliche +Burgverließe schleppten! Manchmal wandelt der große Trommelschläger mit +einer Nymphe des Schwarzwaldes oder der Stadt durch die Auen, neben ihm der +Duckmäuser mit klopfendem Herzen, unsäglichem Wonnegefühl und tiefer +Wehmuth! Im Spätsommer bekommt Letzterer wieder einmal Urlaub, fliegt mit +Ritterfräuleins liebestrunken in das Rheindorf, dessen schaale Wirklichkeit +ihn ein bischen stark langweilt und bald zieht er durch das Land, um wo +möglich irgend eine Burg und Abenteuer aufzutreiben.</p> +<p>Er wandelt zwar allein herum für prosaische Augen, doch neben sich hat er +stets die lustige, minnigliche "Itania." Alle Augenblicke breitet diese +ihre Schwanenarme nach ihm aus, er drückt sie an den Ritterbusen, erklärt +ihr die Schönheiten der Landschaften und redet von seinen und seiner Gegner +Burgen, deren hohe Thürme sich in den Silberwellen der Flüsse spiegeln.</p> +<p>Jeder verwitterte Steinhaufen und jeder epheuumrankte Thurm ist ein Magnet, +welcher den Hobisten unwiderstehlich die steilsten Berge hinaufzieht und je +höher er steigt, desto prachtvoller und einladender steht die Burg da im +alten Glanze, desto lebhafter wird das Freudengetümmel im Schloßhofe und +jede Distel scheint eine Trompete zu sein, welche dem Längstersehnten, von +einer bösen Fee Verwunschenen, den Morgengruß einer neuen Zeit +entgegenschmettert.</p> +<p>Allenthalben und überall sucht er seinem Ritterthume Ehre zu machen; es +kann nicht fehlen, der stattliche Bursche in der glänzenden Uniform erobert +durch sein galantes, edles Benehmen, durch seine gebildet klingenden +hochtrabenden Reden und durch Schilderungen seiner edeln Abstammung und +Güter im Sturmschritte das Herz eines Fräuleins und dafür, daß er an keine +Dulzinea von Tobosa geräth, ist schon gesorgt, weil er nicht in Andalusien +oder Estremadura, sondern im Großherzogthum Baden und in einem Herbstnebel +des 19. Jahrhunderts herumfährt! ... Die Erkorene ist freilich kein +anerkanntes, sondern ein verwunschenes Fräulein, wie deren sogar an den +Brunnen zu Freiburg und anderswo angetroffen werden, doch wohnt sie nicht +nur auf einem Berge, sondern bei einer Burg, kann mindestens als Tochter +eines Burgwartes gelten, der für anlangende Gäste zu sorgen hat und sucht +sich allseitig über die Wirklichkeit zu erheben. Ist es unmöglich, die +namenlosen Reize Itanias zu beschreiben, so begnügen wir uns mit der +Angabe, das Töchterlein des Burgwartes sei ein recht hübsches und lebhaftes +Kind von 16 Jahren, in Benedicts Augen natürlich die "engelgleiche Itania" +von Kopf bis zu den Füßen geworden.</p> +<p>Ein höflicher Vater, eine für Ritterlichkeit zugängliche Mutter, ein +holdes, schuldloses, zutrauliches und plappersüchtiges Fräulein, +vortrefflicher Wein, eine Burg vor Augen, ein Feenland am Fuße des Berges— +was konnte unserm Ritter zur Glückseligkeit fehlen? Nichts, höchstens ein +etwas längerer Urlaubspaß.</p> +<p>Drei Tage voll Seligkeit verlebte er hier; die Seligkeit ward nur Eine +Stunde gestört, weil ein Hornist seines Regimentes, welcher den Abschied +genommen und im Heimathsorte am Fuße des Berges sich häuslich +niedergelassen hatte, gleich einem Gespenst in das Paradies seiner Träume +hineinstolperte und aus purem Neid über das Minneglück sogar schlechte +Witze über die Arreste und Zimmerarreste des ehemaligen Kameraden riß.</p> +<p>Am letzten Abend sah der Mond ein liebendes Paar innerhalb der zerfallenden +Burgruine, fürchterliche Schwüre ritterlicher Treue hörte die Nachtluft, +perlende Thränen im Augenpaar Itanias küßte der trauernde Benedict hinweg, +denn morgen mußte er in die Welt hinaus, den Kampf mit den Tücken des +Schicksals von Neuem aufzunehmen und nur die Gewißheit, die edelste Perle +des Landes dereinst zu besitzen, gibt ihm Muth zum Scheiden, Trost im +furchtbarsten Schmerze.</p> +<p>Itania lebte auf dem Lande, doch schon ihr Wohnhaus hob sie hoch über die +prosaische Alltagswelt empor; aus einem "Pensionate" kürzlich +zurückgekehrt, trug sie noch Hut und Schleier, war ein zartgebautes, +schlankes und belesenes Mädchen, liebte und verstand Ritterromane, kannte +die Welt nur durch diese, denn zwei langweilige Religionsstunden +wöchentlich geben weder Gottes- noch Weltkenntniß; auf diese Weise wird der +kleine Roman des Hobisten begreiflich und das Unglück lag nur darin, daß er +es weit ernstlicher mit diesem Romane meinte, als die 16jährige Itania +selbst und daß es ihm gelang, sich rasch die Gunst der Eltern zu gewinnen.</p> +<p>Auf dem Rückwege eilt er in sein Heimathdörflein, jedoch nicht, um das Grab +der Mutter oder die Herzkäfer der alten Schwitt zu besuchen, sondern um den +Vater zu drängen, damit ihm dieser augenblicklich 50 Gulden vom +mütterlichen Vermögen herausgebe, welche er binnen einem Jahre +zurückzuzahlen schwört. Jacob macht ein gar bedenkliches Gesicht, will +wissen, wozu das Geld dienen solle und zudem hat er fast keines im Hause, +doch der Duckmäuser weiß den Alten so zu täuschen und zu bereden, daß +dieser noch in der Nacht den schweren Gang zum alten Liebhardt macht, die +Summe holt und dem Sohne gibt.</p> +<p>Kaum graut der Morgen, so eilt Benedict aus dem Dörflein, macht zuweilen +Sätze wie ein Hirsch und kommt richtig wieder in seine Kaserne, wo er kaum +erwarten kann, bis der große Trommelschläger aus dem Arrest erlöst wird, um +diesen in das Geheimniß seines Glückes einzuweihen.</p> +<p>Außer dem Kapellmeister und Benedict haben nämlich gerade alle Musikanten +des Regimentes Strafen auf dem Hals, weil sie bei einem gemeinsamen +Ausfluge Gelegenheit bekamen, ohnentgeldlich gut zu essen und beliebig zu +trinken, des Guten zu viel thaten und deßhalb von der Ironie des Schicksals +dahin gebracht wurden, sich auf dem Heimwege gegenseitig mit Fäusten und +Säbeln zu belehren.</p> +<p>Die innere Seligkeit treibt den Duckmäuser in das Gewühl des Wochenmarktes +und wider Erwarten findet er hier das Rosele, welches ihm einen +freundlichen Morgengruß entgegensendet, der von ihm gar kühl und betreten +erwiedert wird.</p> +<p>"Weßhalb so trotzig heut'? Bist bös mit mir oder was ist mit dir?"</p> +<p>"Muß ich dir Alles sagen? Bin ich unter deiner Oberherrschaft, so daß ich +über mein Verhalten Rechenschaft abzulegen habe?"—"Ei, ei, so gefällst du +mir, wenn du auf diese Weise anfängst? Womit habe ich denn das verdient?"</p> +<p>Benedict kehrt dem armen Mädchen den Rücken, plaudert mit der +Sergeantenfrau, welche ihm die Hemden wäscht, kauft dann in Rosas Nähe +einige Rettige und verschwindet im Gewühle.</p> +<p>Am folgenden Tage Abende bringt ihm eine Frau einen Brief vom Rosele voll +zärtlicher dringender Bitten um Aufschluß über sein befremdendes und +kränkendes Benehmen, voll liebreicher Mahnungen und gutgemeinter Warnungen. +Benedict sagt der Ueberbringerin einen Ort, wohin er am Sonntage kommen und +die Antwort mitbringen werde.</p> +<p>Richtig kommen Beide zusammen, er gibt dem Rosele einen Brief, sagt Adje, +kehrt eilig um und rennt fort, ohne auf das Nachrufen des staunenden +Mädchens zu hören, welches den Brief sofort erbricht, liest und mit +zitternden Knieen beinahe zusammenbricht.</p> +<p>Er lautet also:</p> +<p>"Rosa! Du weißt, wie man mich seit Langem hier gehalten hat und nun habe +ich die sicherste Nachricht erlangt, daß Du und nur Du die einzige und +alleinige Schuld daran bist. Will ich mein Loos ändern, so muß ich Dich für +immer meiden, was ich um so lieber thue, weil ich glauben darf, Du seiest +nicht die bisher vermeinte fromme Rosa, sondern eine Schmeichlerin voll +Falschheit und Trug. Besuche mich nicht, ich werde Dir fortan nur mit +tiefer Verachtung begegnen. Glaubst Du Forderungen an mich zu haben, so +schreibe Alles genau auf und schicke mir die Rechnung, ein anderes +Schreiben werde ich nicht annehmen oder ungelesen zerreißen.</p> +<p> Hobist Benedict."</p> +<p>Die edle Rosa ist des Schreibers Schutzgeist gewesen; noch vor acht Tagen +war sie mit dem Straßenbasche beim Oberst und Kapellmeister und legte ein +gutes Wörtlein für den wahrhaft Geliebten ein, sie hat ihn aus einem +liederlichen Sauhirten zu einem Menschen gemacht, mit Güte und Wohlthaten +überhäuft und—dann den Lohn der Welt empfangen, der sie vernichten würde, +wenn sie nicht um Gottes und der unsterblichen Seele des Benedict willen +gehandelt hätte.</p> +<p>Gott meinte es wohl mit Rosa, als Benedict es böse meinte.</p> +<p>Er opferte seinen Schutzengel einem Trugbilde und that es auf eine Weise, +welche uns vollkommen an ihm irre machen müßte, wenn nicht ein geheimer +besonderer Beweggrund ihn bei Abfassung des Schreibens geleitet hätte.</p> +<p>Dieses war jedoch der Fall.</p> +<p>Von Kindesbeinen an strebte er nach der Gunst der schönern und bessern +Hälfte des menschlichen Geschlechts, das heißt, nach der Gunst der Mädchen +und Frauen, mit welchen ihn sein Leben in Berührung brachte. Als Schulknabe +und Unterlehrer beschützte er die Kamerädinnen gegen Rohheiten, half +denselben in der Schule und bei Schularbeiten, that Alles, um sie angenehm +zu unterhalten und für sich einzunehmen. Was der Knabe erstrebt und +gewonnen, wollte der Jüngling nicht einbüßen, sondern erhalten und +vermehren und hieraus erklären sich großentheils seine Tugenden und +Verirrungen, jedenfalls seine Nüchternheit, Mäßigkeit, Scheu vor +Geldspielen und die Sucht, Geld auf alle Weisen und durch alle Mittel zu +erhalten. Er sparte, betrog, stahl, um seine Rolle als Haupt der +altmodischen Schwitt behaupten und den Anhängerinnen derselben kleine +Geschenke und frohe Stunden machen zu können. Wie viele seiner Herzkäfer +hat er in einer Reihe von Jahren erfreut, welche Opfer hat er oft gebracht, +um der Margareth, dem Vefele, der Marzell oder einer Andern ein kleines +Geschenk machen zu können! ...</p> +<p>Seitdem er in der Montur steckt, ist es die Rosa, welcher er Geschenke +aufdrängt, um ihr seine Liebe, dem Pflegvater seine Sparsamkeit zu +beweisen. Er wandelt auf ehrlichen Wegen, muß sich Alles am eigenen Munde +absparen und wenn die Geschenke auch nur lauter Kreuzer kosteten, so machen +60 Kreuzer bereits einen Gulden und ein Gulden ist für einen Hobisten schon +ein Sümmchen.</p> +<p>Jetzt hat sich der demüthige Hobist zu einem stolzen, mannhaften Ritter +gruduirt [graduirt], welcher jedem Adjutanten den Fehdehandschuh kühn vor +die Füße wirft; der Ritter hat bitterlich gespart, um eine Ritterfahrt +unternehmen zu können, auf dieser Fahrt fand er das Idol, wornach sein +überhirnter Verstand und sein fieberhaft pochendes Herz dürstete. Die +holdselige 16jährige Itania winkt im langen Kleide und mit fliegendem +Schleier von der Burg herab Tag und Nacht dem armen Hobisten in seiner +Kasernenstube zu. Großartig ist ihm die Einzige entgegengetreten, großartig +hat der Ritter sich gezeigt, großartig muß das erste Geschenk sein, welches +er seiner Gebieterin zu Füßen legen will.</p> +<p>Der Hobist log sehr unritterlich beim Vater, um 50 Gulden zu erhalten, er +handelte mehr als unritterlich an Rosa, um sich desto ritterlicher gegen +Itania zeigen zu können. <i>Die Geschenke an Rosa müssen aufhören!</i>— +hierin liegt der Schlüssel zu dem herzlosen, lügnerischen und +niederträchtigen Abschiedsbriefe, welchen er derselben in die Hand drückte +und dann vom bösen Gewissen getrieben fortrannte.</p> +<p>Die bisherige Geliebte muß wissen, <i>weßhalb</i> er ihr keine Geschenke +mehr macht; ein allmäliges Abbrechen und Sparsamwerden würde ihm bei ihr +und dem Straßenbasche nichts nützen und viel schaden, geschweige daß die +himmelanstrebende Itania keinen knickischen und knausigen halbgetreuen +Ritter zu ihren ätherischen Füßen sehen will! ...</p> +<p>Die 50 Gulden reichen noch zu keinem großartigen Geschenke hin, die +Ersparnisse bei Rosa machen wenig aus, das ritterliche Einkommen muß durch +Sparsamkeit und Arbeit vermehrt werden, denn um Unverlornes mit "kühnem +Griffe zu finden," dazu ist der Benedict doch allzu ritterlich gesinnt und +allzu prosaisch gewitziget worden.</p> +<p>Bisher bekam der Tabaksverkäufer monatlich 40 Kreuzer für Tabak, der +Apotheker 12 für Pomade, die Leihbibliothek 48 für Entzückungen und +Verzückungen, die Wirthshäuser nur 36 bis 40 Kreuzer, endlich trug er auch +dem kleinen Liebling der Rosa, nämlich der Johanna und dem Schwesterlein +des blinden Michel Milchbrödlein und dergleichen Geschenke zu.—Itania +winkt vom hohen Söller herab und die bisherige Monatsrechnung des Hobisten +reducirt sich auf Null.</p> +<p>Der große Trommelschläger ist noch immer ein lesender Narr, der Duckmäuser +hat den Rubikon zwischen Idee und Wirklichkeit überschritten und ist zum +<i>handelnden</i> Narren geworden.</p> +<p>Er verkauft seine beiden Tabakspfeifen, thut alles, um ja Niemanden zu +begegnen, mit dem er anstandshalber einen Schoppen Bier trinken müßte, +unterrichtet mit allem Eifer zwei Damen der Stadt, die seidenrauschende und +juwelenstrahlende Tochter eines halbverzweifelten Bierbrauers und die den +hohen Adel durch ihren Aufputz beschämende Primadonna des städtischen +Theaters auf der Guitarre, musizirt im Orchester des Theaters, wodurch ihm +die Leihbibliothek mehr als ersetzt wird, endlich schreibt er in jedem +freien Augenblicke Noten für Damen und Offiziere ab und vermehrt dadurch +sein Einkommen ganz gewaltig.</p> +<p>Doch noch nicht genug—der Benedict verzehrt monatlich nur einen einzigen +Laib prosaischen Komißbrodes, verkauft 14 andere monatlich um 3 Gulden 30 +Kreuzer; für das Fleisch erhält er jeden Mittag einen Groschen, endlich +schnürte der Held seinen widerspenstig knurrenden Magen mit einer vom +Meister Feucht zur guten Stunde erbettelten Binde immer fester zusammen und +träumt allnächtlich von vollen Humpen und Wildschweinköpfen, welche ihm +Itania kredenzt und vortrefflich zubereitet.</p> +<p>Der große Trommelschläger bleibt der Einzige, welcher den Ritter Benedict +lobt, bewundert, tröstet, die andern Musikanten spotten und lachen oder +schimpfen beide "Büchernarren" brav aus.</p> +<p>In der Stadt wurde er von seinen Zöglingen oft eingeladen, Etwas zu +genießen—doch ein Ritter ist kein Schmarotzer, läßt sich nur so weit +herab, zu nippen oder einen einzigen Bissen zu genießen, um den Anstand und +Ruf zu wahren und sprengt dann hungrig weiter.</p> +<p>Meister Feucht vom Bodensee aß wie ein Löwe und soff alle sechs Wochen +trotz einem Urgermanen, blieb dabei spindeldürr und schüttelte jetzt +unaufhörlich den Kopf, weil Ritter Benedict nicht aufhörte, ganz ordentlich +und blühend auszusehen.</p> +<p>Große Affekte und Leidenschaften sättigen auch den Leib, wenn sie Kinder +des Glückes sind, davon wußte Meister Feucht sammt seinen Kameraden wenig +oder dachte nicht daran.</p> +<p>Benedict hielt mondenlang aus, machte sogar eine große Revüe mit und dankte +Gott, der ihm schon als Knabe die Fähigkeit gegeben zu hungern, um den +Mädlen Geschenke machen zu können.</p> +<p>Die Revüe nützte seinem Magen, schadete jedoch seinen Finanzen so gewaltig, +daß er sich selbst in seinem letzten und wohlfeilen Vergnügen +beeinträchtigte. Bisher war die Dämmerungszeit sein gewesen; er hatte neben +dem großen Trommelschläger tiefergreifende, sehnsuchts- und wehmuthsvolle +Septimen- und Mollakkorde den Lüften anvertraut, um sie der angebeteten +Itania melodisch zuzuflüstern—jetzt übernahm er es, zwischen Licht und +Dunkel Monturstücke, Waffen und anderes Zeug für den Regimentsfourier und +Verwaltungsfourier zu putzen und erhielt von jedem derselben monatlich +anderthalb Gulden.</p> +<p>Nebst einem herzbrechenden und hochbegeisterten Briefe hat er für mehr denn +fünfzig Gulden Schmuckwaaren an Itanien gesendet, die Antwort voll +Liebesgluth blieb nicht lange aus, deßhalb nahm er die Gelegenheit wahr, +kaufte für 36 Gulden Zeug zu einem fräuleinhaften Gewande und sandte es mit +einem bogenlangen Briefe ab. Er wartet mit fieberhafter Spannung auf +Antwort, hungert und spart, spart und hungert, denn im Frühling will er die +Burg besuchen und sich im vollen Glanze eines begüterten Ritters zeigen.</p> +<h3><a name="8"></a>Itania, das Kasernenhäschen, der Deserteur.</h3> +<p> +Der Duckmäuser erhielt wirklich manchen Brief, in welchem Itania mit den +schönsten zärtlichsten und wohlgesetztesten Worten ihre innigste Liebe und +unverbrüchlichste Treue gegen ihn ausdrückte. Hundertmal des Tages zog er +diese Briefe aus der Brusttasche, küßte und las sie und las sie noch +einmal, bevor sie eingesteckt wurden. Der große Trommelschläger las +Itaniens Briefe auch und wenn er von Itanien anfing, dann hafteten +Benedicts Augen auf ihm, wie die eines Schwerkranken auf dem Arzte und +beide überlegen, welche Geschenke an Neujahr der Huldgöttin zu Füßen gelegt +werden sollten.</p> +<p>Eines Morgens kommt der Glückliche vom Exerzierplatze heim, da erscheint +der Briefträger, um ihm zu sagen, es sei ein Päcklein für ihn da und er +möge es in seiner Wohnung holen. Eiligst geht er mit, erkennt Itanias Hand +auf der Adresse, unterschreibt den richtigen Empfang, fliegt zurück ins +Compagniezimmer und öffnet das Päcklein mit zitternder Hand, denn er +erwartet das wohlgetroffene Bildniß wohleingewickelt zu finden, um welches +er das Burgfräulein zu bitten wagte, und ein artiges Gegengeschenk.</p> +<p>Doch—schreckensstarr und todtenblaß steht er da, denn all' seine Geschenke +sieht er wohlgeordnet vor seinen Augen, glaubt zu träumen und aus seinem +überirdischen Frühling plötzlich in den trostlosesten badischen +Altweibersommer hineingeworfen zu werden! ...</p> +<p>Meister Feucht streicht seinen Fuchsbart und lacht wie ein Spitzbube, der +erste Fagotist schleicht hinter den schier zusammensinkenden Benedict und +schaut hinter dessen Rücken in folgende Hiobspost hinein:</p> +<p>"Freunt! Vergebe sie mer, wenn ich ihne mit diesem Schreiben und dem +Zurikgeben des Bagets duschieren sollte. Sie seind mir lieb und werth, aber +ich will, kann und darf Nix von Ihne wisse, meine Ehre erlaubt es nicht, +denn wir wissen Alle sehr genau, daß Sie wegen schlechter Aufführung +öffentlich bekannt geworden, mußten aus dieser Ursach das elterlich haus +verlassen und stehen beim Regimend auch nicht in guter Haltung. So seind +unsere genauesten Erfahrnisse. Ich bitte daher, kommen Sie mir zu Liebe ihr +Lebtag nicht mehr auf die Burg, denn ich gebe mich durchaus in keiner +Beziehung mit einem so schlechten Basaschier ab und schäme mich genug, nur +Wohlgefallen an ihne gehabt zu haben.—Das Present aber (Gott was haben wir +für Angst gehabt, bis es wieder aus unserm Haus), so große Freid ich daran +hatte, könnte ich nicht behalten, weil ich befirchten mußte, daß es +gestolenes Gut sei. Nehme Sie es daher wieder und geben Sie es Einer, die +mit ihne gleich gesinnt ist, sonst schlagt mich der Vater tod, was übrigens +nicht nöthig ist.</p> +<p>Mit durchdolchter Liebe und bleibender Achtung bin ich in Eile</p> +<p> ihnige ehemalige treue Itania."</p> +<p>Der Duckmäuser zittert vor Schrecken, Wuth und Schmerz, vermag weder zu +reden, noch zu denken und zu handeln, sitzt wie ein Sterbender auf seinem +Bett, bleibt etwa eine Stunde sitzen, dann zerreißt er den Brief in hundert +Fetzen und zermalmt (der große Trommelschläger hat denselben abgeschrieben, +um der staunenden Nachwelt einen Beweis der Herzlosigkeit unseres +tintenkleksenden Saeculums zu geben!) die Fetzen zu Staub, ballt die Fäuste +und knirscht. <i>"Warte, Karnali, du sollst's büßen!"</i> Mit diesen Worten +dachte er an Rosele, denn er glaubte, diese habe aus Rachsucht nach der +Burg geschrieben und Alles verrathen.</p> +<p>Der Seidenstoff war unter Itanias zarten Händen bereits zu einem +Weiberrocke geworden, der Hobist packt denselben zusammen, um ihn einer +Nätherin zu verkaufen. Hier trifft er mehrere junge Mädchen, schämt sich, +ein Kleid auszukramen, geht unverrichteter Sache wieder fort, tritt in ein +Bierhaus und die Kellnerin, ein etwas verblühtes doch hübsches Mädchen +meint:</p> +<p>"Das ist ein Wunder, daß Sie allein kommen und dazu noch an einem Werktage. +Haben Sie sich heute verirrt?"—"Ich denke, es wird noch Mancher bei +Straßburg über die Brücke gehen, ohne von Ihnen gesehen zu werden!"—"Um +Vergebung, habe ich <i>den Herrn Ritter</i> etwa beleidiget?"—"Nein, +durchaus nicht, gnädiges Fräulein, ich bin nicht so leicht zu beleidigen!"</p> +<p>Das Wort "Herr Ritter" hat die Gemüthsstimmung des Duckmäusers plötzlich +verändert, er fängt ein langes freundliches Gespräch an, trinkt Bier dazu, +überzeugt sich, daß die Kellnerin Agatha eine ganz gewaltige Romanenleserin +gewesen sein muß, sich trotz dem duftendsten Ritterfräulein zu benehmen +weiß und—schon am andern Tage bringt er derselben Itanias Gewand und alle +Kostbarkeiten dazu als Weihnachtsgeschenk, beredet sie, das prosaische +Bierhaus aufzugeben und einen gemächlichen Dienst zu suchen, dabei weniger +auf Lohn, denn "auf gute Behandlung" zu sehen.</p> +<p>Der große Trommelschläger war überzeugt, Itanias Brief sei ein Blendwerk +der Hölle, ein Zwangsbrief und der Ritter könne durch einen neuen Brief +wieder zu Ehren kommen, die Geliebte vielleicht aus unsäglichen Gefahren +befreien, doch Agatha versteht es, den Benedict zu bezaubern und zu +fesseln, in jeder Hinsicht die Seinige zu werden!</p> +<p>Alles Arbeiten und Sparen hörte plötzlich auf, der Held war wenig mehr in +der Kaserne, verlor Zeit, Geld und noch weit mehr bei der Agatha und diese +benutzte die Gelegenheit vortrefflich, ihn in jeder Beziehung auszusaugen. +Itanias Gewand und Schmuck taugte nicht zu ihren bescheideneren Kleidern, +schöne Worte und Liebkosungen bewogen den Ritter, sie als Burgfräulein +vollständig und standesgemäß zu equipiren, sein Geld flog weg wie Spreu, +zum Arbeiten bekam er keine Zeit mehr und verlegte sich in der Raserei +seiner durch die beständig gereitzte Sinnlichkeit aufgestachelten +Leidenschaft auf—kühne Griffe, wobei ihn das Glück außerordentlich +begünstigte, so daß es wieder Spätjahr wurde, ohne daß er +Unannehmlichkeiten bekam.</p> +<p>Uebrigens mußte Vater Jacob nicht nur erleben, daß die 50 Gulden, die er +von Liebhardt geliehen, nicht mehr zurückkamen, sondern auch, daß sein +ritterlicher Sohn häufig in der Nacht ins Dörflein kam und am Morgen mit +einem Theile des mütterlichen Vermögens von dannen zog, dabei den +Säbelgriff selten aus der Hand ließ.</p> +<p>Nach der großen Revüe machte Ritter Benedict eine Luftfahrt mit Fräulein +Agatha, verschwendete in 3 Tagen 20 Kronenthaler theils auf Rechnung seines +Vermögens, theils auf Regimentsunkosten.</p> +<p>Ein sogenannter Zufall ließ ihn während der Luftfahrt entdecken, die +Tieffühlende und Hochpoetische habe schon vor Jahren als zartsinnige +Jungfrau der badischen Regierung ganz unberufen zwei kleine Unterthanen +geschenkt und sei unter dem Namen "Kasernenhäschen" bekannt gewesen. Solche +unromantische Enttäuschung bewirkte, daß in grimmem Zorne der Ritter der +bisher Angebeteten den Fehdehandschuh ins Gesicht schleuderte, ohne die +Hand vorher aus dem Handschuhe herauszuziehen und dieselbe auf dem Wege +verließ.</p> +<p>Sein Urlaub lautete auf 8 Tage und weil nach 3 Tagen sein Geldbeutel leer +geworden, hätte er in die Garnison zurückkehren sollen.</p> +<p>Er that es nicht aus drei triftigen Gründen, nämlich erstens aus +Liebesschmerz, zweitens aus Furcht vor einem Wauwau beim Regimente, der ihm +gar bange Ahnungen machte und drittens aus Furcht vor der Zukunft, weil +eine Hauptquelle seines Einkommens, sein mütterliches Vermögen, vom +hartnäckigen Vater Jacob verstopft worden war.</p> +<p>Nachts kommt er in das Rheindörflein, wo Rosa wohnt und wo er als Knecht +des Saumathis so glücklich gelebt hat; er will in den Adler, da begegnet +ihm sein alter Freund und Gutthäter, der Straßenbasche, packt ihn am Arm +und zwingt ihn, mit ihm zu gehen. "Was hat's Rosele verbrochen, daß Du sie +so verächtlich von Dir stießest?—Warum kannst Du so gegen uns sein, was +haben wir Dir zu Leide gethan?—Bist Du denn nicht mehr unser Freund? Mein, +wenn Du wüßtest, was alle Leute sagen!"—fragt und klagt der alte +Unteroffizier, doch hartnäckig bleibt der Duckmäuser dabei, Rosa sei an +allem Unheil Schuld, was ihm beim Regimente zustieß und wodurch jetzt sein +Glück für immer zerstört sei!</p> +<p>Mutter Clara weiß gar nicht, was sie für ein Gesicht machen, geschweige was +sie reden soll, das Rosele sitzt neben ihr auf der Ofenbank, bringt vor +Schluchzen und Weinen keine Silbe hervor, endlich geht er zur Thüre hinaus, +läßt jedoch seine Kappe auf der Bank liegen. Rosa steht jetzt auf, geht ihm +nach und hält ihn fest:</p> +<p>"Wo willst jetzt hin?" fragt sie seufzend und schluchzend.</p> +<p>"Fort, so weit als die Welt offen steht, um Dir aus den Augen zu kommen!" +schnauzt er und will sich trotzig losreißen; sie hält ihn aus Leibeskräften +fest und weil er alle Fragen unbeantwortet läßt, will sie nur das Einzige +wissen, was er denn Schlechtes von ihr gehört habe, er möge es ihr +unverhehlt ins Gesicht sagen.</p> +<p>Er bleibt stumm, sie erinnert an das Leben im Heimathsdörflein, an +Jugendzeit und Schuljahre, an die Zeit seines ersten Jahres bei den +Soldaten, an die Kirchweihe und will Alles thun, um ihn von Neuem zu +bessern, will ihm all ihr Geld freudig geben und zwar eine Summe, welche +ihn mehr als gerettet hätte, doch er brummt: "Hab Deine paar Groschen nicht +nöthig, behalte Du sie nur, Du wirst sie einmal nöthiger brauchen können!" +reißt sich von seinem weinenden Schutzengel los und verschwindet in der +finstern Nacht.</p> +<p>Weil sein Urlaubspaß noch gültig war, hinderten die Zollwächter seine Fahrt +über den Rhein nicht, zumal im nächsten französischen Dorfe gerade die +Kirchweihe gefeiert wurde, wobei badische Gäste selten fehlen.</p> +<p>Wir finden den Deserteur am andern Abend todesmüde vom Umherirren im +"grünen Baum" zu "Wanzenau," einem etwa zwei Stunden von Straßburg +entfernten Dorfe.</p> +<p>Der Wirth, ein braver, als Elsässerfranzmann gegen "Deutschländer" +pflichtgemäß ein bischen eingenommener Mann, hat nicht nur den Deserteur +gern ins Haus aufgenommen, sondern sich von dem Schlaukopfe auch einen +stattlichen Bären auf die Nase binden lassen.</p> +<p>Der Hobist behauptete, auf den Rath seiner Angehörigen desertirt zu sein, +um dadurch 50 Rohrhieben und dem sichern Tode zu entgehen, was ihm Alles +wegen eines zerbrochenen Säbels drohe. Er habe nämlich bei einer Kirchweihe +in einem badischen Dorfe aufgespielt, sein Säbel hatte an der Wand +gehangen, die Tänzer hätten vorigen Dienstag eine schwere Schlägerei +angefangen, sich seines Säbels bemächtiget, Verwundungen damit angerichtet +und zur guten Letzt die Waffe gar zerbrochen. Am Mittwoch hätten die +verhafteten Bursche von keinem Säbel Etwas wissen wollen, der Wirth habe +geradezu geläugnet, vom Benedict einen solchen zum Aufheben bekommen zu +haben, somit bleibe die "ganze Schmier" an ihm hängen und seine einzige +Rettung, in Frankreichs großmüthigen Armen Schutz zu suchen! ...</p> +<p>Den Wirth zum grünen Baum, zugleich Maire des wohlhabenden Ortes hat das +Klarinettblasen des Duckmäusers dermaßen entzückt, daß dieser sein und gar +rasch der Liebling der ganzen Dorfjugend geworden ist. Am Tage arbeitet er +auf dem Felde, es kommt ihm sauer genug an, nachdem er so lange nur auf +Kasernenbrettern herumrutschte, doch vergibt er dem deutschen Fleiß nichts +gegenüber der französischen Landeskraft, Abends macht er in einem großen +Saale, worin unter Tags die hübschen Elsässerinnen mit ihren hellen +Aeuglein Welschkorn abschleizen, Musik und verdient schweres Geld.</p> +<p>Alles geht vortrefflich, er läßt sich gerne neckend "Schwob" oder +"Gelbfüßler" nennen und denkt nicht ans Heimgehen, sondern an eine große +Hochzeit, welche einer der reichsten Bursche des Departements (die +Stadtherren freilich ausgenommen) hier feiert. Diese Hochzeit lockt sehr +zahlreiche Gäste herbei, währt drei Tage, der klarinettblasende Ritter +hätte sich in Wein und Bier ersäufen können, wenn er gewollt hätte, doch er +will dies nicht und aus guten Gründen. Der "große Maier," ein Schuster des +Dorfes, der kürzlich von seinem Cuirassierobersten beurlaubt wurde, will +dem armen Deserteur zeigen, daß er sich jetzt unter Franzosen befinde und +veranstaltet eine Collecte, welche so bedeutend ausfällt, daß der Benedict +ganz leicht ins Badische hätte zurückgehen und als ehrlicher Mann auftreten +können, wenn er nur gescheidt gewesen wäre.</p> +<p>Doch sein Hochmuth läßt's ihm nicht zu; bereits vor der Hochzeit haben ihn +der große Maier, der Allis, der Stegenklemens, der Rappenschorsch und +Andere liebgewonnen und wenn das Schwitzen auf den Aeckern nicht wäre, +würde er wohl beim Wirth zum grünen Baum sein Lebenlang bleiben können!</p> +<p>Während der Hochzeit wimmelt es im Wirthshause vom Dache bis zum Keller von +Gästen, das ganze Rathhaus ebenso, die 5 Musikanten kommen gar nicht mehr +zum Athmen, der lederne Instrumentenbeutel voll Franken und +Fünffrankenthalern bleibt ihr einziger Trost, der Benedict aber macht der +deutschen Musik unglaubliche Ehre.</p> +<p>Man muß französische Musik mit deutscher verglichen haben, um dies leicht +zu begreifen, denn Musikanten und Sänger sind die Franzosen nicht, lieben +jedoch Musik und Gesang enthusiastisch und—Elsässer wollen in Allem +Franzosen sein.</p> +<p>Ein Friedensrichter wurde durch die "dütschen Walser" des Deserteurs +dermaßen begeistert, daß er sofort mit dem Wirthe ausmacht, er soll den +"Schwob" nach der Hochzeit zu ihm senden, er werde dann denselben nach Metz +bringen und mit Hülfe seines Bruders, des Majors zu einem Hauptmusikanten +des 35. Regimentes machen.</p> +<p>Doch Alles sollte anders kommen, der Duckmäuser in keine französische +Uniform, sondern in einen germanischen Zuchthauskittel schlüpfen!</p> +<p>Am 4. Tage machten die Buben und Mädlen die üblichen Hochzeitspossen und +Umzüge, die Musikanten mußten überall voranschreiten, die Lustigkeit währte +tief in die Nacht und der dienstfertige Benedict suchte dieselbe auch auf +andere Weise denn durch seine Klarinette zu erhöhen.</p> +<p>Er hatte in der Heimath einmal zugesehen, wie der Max in einer Scheune +seiner rothen Schwitt eine katholische Messe las und unternahm jetzt +dasselbe vor einem großen Haufen junger Leute. Still und lautlos sahen ihm +Alle zu bis zur Communion, wo er bei Nachäffung des kelchtrinkenden +Priesters beinahe erstickte. Jetzt erhob sich ein fürchterliches Toben, +Lärmen und hundert Stimmen riefen: "Meinst, wir seien lutherisch, Du +Schwob!—Schlagt den Schwob tod!"[tod!]—Nieder mit dem Ketzer!"</p> +<p>Der lange Maier streckt den Dorfhanswurst mit einer einzigen Ohrfeige der +Länge nach auf den Boden, die Zunächststehenden fallen über ihn her, sie +hindern sich gegenseitig durch ihre Anzahl im Zuschlagen und er würde +sicher nicht lebendig davon gekommen sein, wenn nicht der alte Geistliche +sammt dem hochgeachteten Notar des Ortes zu seiner Hülfe herbeigeeilt +wären. Sie nahmen sich seiner barmherzig und kräftig an, die Fäuste ließen +ihn los, die Bursche und Männer tobten und lärmten nur noch bunt +durcheinander.</p> +<p>Zu dem bleichen, zitternden Deserteur sagt der Adjunkt von Killstett. "Wir +wissen wohl, daß bei Euch drüben die Geistlichen nur Vormittags eine Stunde +geistlich, die übrige Zeit des Tages aber weltlich sind und daß ihr +Gelbfüßler alle lutherisch seid, doch bei uns kommt ihr mit solchen Späßen +nicht an!"</p> +<p>Alle Freundlichkeit und Liebe gegen den Duckmäuser hat ein Ende, das +Brautpaar läßt den Hochzeitgästen und Musikanten sagen, sie möchten den +"gottlosen Schwob" ja nicht mehr ins Hochzeitshaus bringen, Gott könnte +ihnen keinen Segen schenken, wenn sie einen solchen Menschen wissentlich +unterhielten. Der große Maier macht bereits wieder Augen wie Pflugräder, +die Gesichter Anderer verkündigen einen neuen Sturm, der ehrwürdige Pfarrer +muß die Aergsten abermals beschwichtigen, Benedict sucht ängstlich +Gelegenheit zum Fortkommen, findet solche und kommt mit einigen Tritten und +Stößen glücklich ins Freie.</p> +<p>Doch eilt er nicht sofort aus Wanzenau weg; der volle Instrumentenbeutel +hält ihn fest, er getraut sich nicht zurückzukehren und seinen Antheil zu +fordern, weil er im Dunkeln oder beim Wiedererscheinen gar zu leicht den +verdienten Lohn für sein Messelesen ernten könnte; die Theilung des Geldes +unter den Musikanten sollte erst am Ende der Hochzeit vorgenommen werden, +somit befindet er sich in einer recht mißlichen Lage und klettert zunächst +auf einen Baum, wo er sicher vor Entdeckung und im Stande ist, seine +Gedanken zu sammeln. Er wartet bis die meisten Leute wieder zum Rathhause +zurückgekehrt sind, klettert alsdann vom Baume herab, paßt eine gute +Gelegenheit ab, schleicht trotz einiger nachläßig gewordener und theilweise +betrunkener Aufpasser ins Haus zurück, erobert in der Geschwindigkeit nicht +blos seinen Lohn, sondern den ganzen schwergefüllten Instrumentenbeutel und +macht sich dann eiligst aus dem Staube.</p> +<p>Jedoch noch nicht über die letzten Gärten und Häuser des Dorfes +hinausgekommen, vernimmt er bereits Allarm, hört auf allen Seiten schreien +und hinter sich einige Verfolger, darunter den großen Cuirassier, der +ungeheure Sätze macht und seinen Sarras unter schrecklichen französischen +und elsässischen Flüchen schwingt.</p> +<p>Hat ein Romanenheld jemals den Silberschein des Mondes in die unterste +Hölle verflucht, so ist dieser der Benedict gewesen, während der +nächtlichen Galoppfahrt aus Wanzenau. Gleich einem Riesen der fabelhaften +Vorzeit schreitet der große Maier mit blitzendem Pallasch brüllend durch +die Mondnacht, hinter ihm quicken die gewöhnlichen, diesmal außergewöhnlich +erbosten Menschenkinder, jede Sekunde erhöht die Todesangst des +galloppirenden Benedict, denn jede Secunde bringt die Feinde näher und +vermehrt deren Zahl, schon hört er die schweren Athemzüge des keuchenden +Riesen, schon schwingt dieser die furchtbare Waffe und gebietet dem +"Spitzbuben" Halt auf Leben und Tod—im entscheidenden Augenblicke läßt +Benedict den schweren Instrumentenbeutel klirrend fallen, der Riese bleibt +stehen, der Verfolgte jedoch stürzt sich verzweifelnd in die Brisch, welche +breit und tief genug ist, um mit Dampfschiffen befahren zu werden, die +Todesangst verzehnfacht seine Kraft und glücklich erreicht er das +jenseitige Ufer.</p> +<p>Drüben stehen die Verfolger, der große Maier ist im Besitze des +Instrumentenbeutels, man findet es nicht mehr der Mühe werth, den Deserteur +anders denn durch Schimpfnamen und Verwünschungen zu verfolgen, von denen +dieser bald nichts mehr hört, weil er triefend doch wohlgemuther auf's +Gerathewohl vom Flusse ins Land einwärts läuft.</p> +<p>Mit Tagesanbruch kommt er in ein Dörflein, sein Geldbeutel ist auch ohne +den Instrumentenbeutel ordentlich gespickt, im Wirthshause legt er sich +sofort ins Bett, schläft volle 36 Stunden; seine Kleider sind indessen +getrocknet, Nöthiges schafft er an, wandert nach Straßburg "der +wunderschönen Stadt," meldet sich auf der Mairie nach Algier, wird von da +auf die Praefektur, von hier zum Rekrutirungskapitain, von diesem mit einem +Schreiben zu einem Komissaire beim Metzgerthor geschickt. Das Schreiben muß +ein Uriasbrief gewesen sein, denn der Komissaire ließ den verwunderten +Duckmäuser in den Neuthurm führen und hier volle 23 Tage Betrachtungen über +die Artigkeit und Zuneigung französischer Behörden gegen deutsche +Deserteurs anstellen.</p> +<p>Nach dieser Frist ward unserm Helden eröffnet, bis auf weitere Ordre werde +Niemand nach Algier angeworben, somit müßte er die Reise nach Afrika +aufgeben; verstehe er jedoch ein Handwerk, so erhalte er einen für ganz +Frankreich gültigen Paß, widrigenfalls nur einen Paß in die Schweiz oder +über die Kehlerbrücke.</p> +<p>Weil er kein Gewerbe erlernt hatte, begnügte er sich seufzend mit einem +Passe nach der Schweiz, wurde freigelassen, ging in den rothen Löwen und +setzte sich etwas tiefsinnig hinter ein "Kännle" Bier.</p> +<p>Hier zieht er seinen Paß hervor, studirt vergeblich an dem französischen +Geschreibsel herum, möchte es ums Leben gern verdeutschen, flucht im besten +Deutsch leise vor sich hin, bis ein Herr, der in der Nähe sitzt und sich +nicht schämt, ein deutsches Wort zu sprechen, welche Schaam bei manchem +Philister der guten alten Reichsstadt Straßburg gefunden wird, ihm endlich +aus der Noth hilft. Dieser Herr setzt einen Nasenklemmer auf die nach +altdeutscher Sitte riechende Kupfernase, steckt dieselbe tief und gründlich +in den Paß und eröffnet dem erschreckenden Hobisten, daß er mit diesem +Passe nicht weiter als bis Basel komme, von dort aber nach Deutschland +ausgeliefert werde, weil in dem Passe bemerkt wäre, er sei ein Deserteur.</p> +<p>Solch' ächtwälsche Hinterlist empört den aufrichtigen Duckmäuser ganz +gewaltig; er beschließt im Zorn, sich den Weg nach Basel zu ersparen und +gleich über die Kehlerbrücke zu spazieren, wo ein Häuflein alter +Waffengefährten stets zu finden, doch der Herr bemerkt, es sei noch nicht +aller Tage Abend und etwa um 20 Fränkchen ließe sich wohl auch noch ein +anderer Paß auftreiben.</p> +<p>Der Duckmäuser geht den Handel ein, zahlt die 20 Franken in der Freude +seines Herzens, macht aus dem alten Uriasbrief Fidibus und dämpft ein +halbes Dutzend kölnische Pfeifen, während er die Rückkehr des Herrn mit dem +neuen Passe erwartet. Erst als Abends die Lichter im rothen Löwen +angezündet werden, geht unserm Helden auch ein Licht auf, doch ein ziemlich +düsteres; er stolpert durch die Stadt und Wälle bis zum Denkmal des wackern +Generals Defaix und weiß nicht, ob er sich in den "freien, deutschen Rhein" +stürzen und dadurch allen Verfolgungen und Gefahren des Erdenpilgerlebens +entgehen oder über die Brücke wandern und gute Miene zum bösen Spiel machen +soll.</p> +<p>Nachdenklich setzt er sich auf einen Stein, schaut nach dem fernen +Schwarzwalde hinüber und träumt melancholisch von Itanien, bis ihn ein +kleiner Mann anredet und seinem Geschicke eine neue Wendung gibt; leider +schlägt dieselbe abermals zum Unheile und diesmal zum größten alles +erdenkbaren Unheiles aus.—</p> +<p>Bis hieher mag unsere Erzahlung gehen, den weitern Verlauf mag der Held +derselben selbst erzählen, weil wir jetzt doch wissen können, wen wir vor +uns haben und in das Zuchthaus zurückkehren müssen.</p> +<p> + * * * * *</p> +<p> +Die Nacht hat ihren sternbesäeten Schleier über die wunderliebliche +Landschaft ausgebreitet, durch welche das Auge manches kranken Gefangenen, +der sich an einem der Fenster des Krankensaales der warmen Sonnenstrahlen +freute, sehnsüchtig und träumerisch hinschweifte.</p> +<p>Im Krankensaale, worin heute der Duckmäuser einzelne Abschnitte seiner +Geschichte mit vielen Verbesserungen und Verzierungen einigen Mitgefangenen +zum Besten gegeben, brennt nunmehr eine Laterne und vertheilt Licht und +Schatten ohne alle Rücksicht auf Kranke und Hausordnungen ziemlich +unzweckmäßig.</p> +<p>Von der Außenwelt vernimmt das Ohr nur noch den regelmäßigen Schritt der +Hofwachen, zuweilen ein fern vorüberfliehendes Rollen der Kutschen oder die +muntern Lieder der Fidelen, welche in der nächsten Brauerei des Lebens +Unverstand mit und ohne Wehmuth genießen und wacker Bier dazu kneipen.</p> +<p>Im Krankensaale dagegen hat die Nacht manche Unterbrechung der tiefen +Stille zu verdoppeln. Das Murmelthier schnarcht seinen kellertiefen +Grundbaß, der Seeräuber versucht von Zeit zu Zeit mit einem +ohrenzerreißenden Tenor einzufallen, der Exfourier flucht zuweilen leise +zuweilen laut über die Störenfriede, welche ihn nicht einmal an seine +Braune denken, geschweige einschlafen lassen, der Wirthssohn beneidet die +tiefen, schweren Athemzüge einiger genesenden Nachbarn und wälzt sich +ruhelos im Bette hin und her, die Auszehrenden hüsteln und ächzen, ein +Fieberkranker phantasirt von einem Amtmanne mit krummer Nase und scharfen +Klauen, der Patrik vom Hotzenwald droht von Zeit zu Zeit am Husten zu +ersticken, der glückselige Donatle lacht im Traume laut auf, der brave +unermüdliche Krankenwärter spazirt auf Socken aus und ein, denn in der +nächsten Stube liegt Einer, dessen Laufpaß in die ewige Heimath beinahe +unterschrieben ist und zum Ganzen gibt der Pendel der Schwarzwälderuhr den +schwerfälligen, melancholischen Takt.</p> +<p>Der Duckmäuser schläft auch noch nicht, denn er muß dem Zuckerhannes, +welchem er Hoffnung auf Genesung und Befreiung eingeredet hat, seine +Geschichte vollends erzählen.</p> +<p>Dieser glaubt nicht, den Todeskeim aufgeblüht in der leidenden Brust zu +tragen, sondern an Genesung und Befreiung und für letztere mindestens +scheint dem Unerfahrenen kein Strohhalm, sondern eine Schiffsladung von +Hoffnung vorhanden zu sein.</p> +<p>Ist nicht am ersten Montage des laufenden Monats als am üblichen Besuchtage +die Emmerenz vom Hegäu herabgekommen und wie ein rettender Engel vor dem +Drathgitterfenster des Flechtwaarenmagazins gestanden und hat dem +ehemaligen Schatz Trost und Muth eingeredet? Erzählte sie nicht voll +Freuden, der Fesenbauer sei ins Dörflein und zu ihr gekommen und habe +merken lassen, er bereue die Sünden, welche er gegen die Brigitte begangen +und das Unglück, welches er über den Hannesle gebracht? Hat besagter +Fesenbauer nicht geschworen, er gäbe gerne seinen kleinen Finger, wenn er +damit dem Hannesle aus dem Zuchthause verhelfen könnte? Hat ein reicher +Bauer kein Gewicht beim Amt, bei der Regierung, den Landständen und beim +Großherzog und wird das einmal rege Gewissen des Michel wieder verstummen? +Wird dieser nicht Alles thun, um eine neue Untersuchung einzuleiten und +wird für seinen Sohn dieselbe nicht gewaltige Verminderung der Strafzeit, +baldige Begnadigung oder gar sofortige Freilassung zur Folge haben?</p> +<p>Also sprach die Emmerenz am Besuchtage, ebenso heute morgen wieder der +Duckmäuser, welcher aufrichtig an die Möglichkeit der Befreiung, +zweifelhaft jedoch an das Wiederaufkommen seines Freundes glaubt und wie +sehr haben die hoffnungsreichen Reden der Beiden das kranke Herz des +kranken Zuckerhannes erquickt!</p> +<p>Hoffnung und Freude sind für Kranke oft die wirksamsten Arzneien, der +Zuckerhannes hat's erfahren; er kann vor Aufregung nicht schlafen und hört +dem Duckmäuser zu, welcher ihm den Rest seiner Geschichte in die Ohren +flüstert, nämlich seiner auswendigen Geschichte, welche mit dem Eintritte +ins Zuchthaus schließt, während die inwendige noch nicht in den rechten +Gang gekommen ist und erst in der Zelle zu Bruchsal dazu kommen wird.</p> +<p>Jetzt erzählt er vom rothen Löwen zu Straßburg, vom Steine beim Denkmal des +Generals Defaix, wir spitzen die Ohren und hören weiter Folgendes erzählen:</p> +<p>"Wie ich so verlassen ohne Paß dahocke und recht betrübt an die Itania +denke, von der mich sichtbare und unsichtbare Berge trennen, kommt ein +klein, klein Männle auf mich zu und fragt gar sanft, was ich denn da +mache?["]—"Ho Nichts!"—"Nichts? wenn der Mensch nichts macht so sündigt +er!"—"Ja und wenn er Etwas macht, so kommt er in des Teufels Küche, wie +ist da zu helfen?"—"Was haben Sie für eine Religion?"—"Ho, ich bin +katholisch!"—"Katholisch? ... armer Mensch!"—"Ja, ein armer Teufel bin +ich, doch nicht weil ich katholisch, sondern hier fremd bin!"—"Hier fremd +und dort fremd, armer, armer Bruder!"—</p> +<p>Kurz, das Männlein fängt ein Gespräch mit mir an, ich merke, daß es sehr +fromm ist, thue auch fromm, erfahre, er sei kein Straßburger, sondern habe +blos einen kleinen Spazirgang gemacht, weil er vor lauter Liebe zum Lamme +oft nicht mehr recht schnaufen könne, wohne mehrere Stunden oberhalb +Straßburg, heiße Meister März und sei ein vom Herrn mit zeitlichen Gütern +reichgesegneter Mann, der in diesen Zeiten babylonischer Verwirrung seinen +Brüdern, welche die "Diener am Worte" und den Herrn Jesum Christum hoch +hielten, gerne unter die Arme greife, aus zeitlichem Elend und dem ewigen +Höllenpfuhl errette.</p> +<p>Natürlich stellte ich mich immer frömmer, Meister März entdeckte mir bald, +er sei am 5. October 1831 Abends zwischen 5 und 6 Uhr in dem an zeitlichen +Gütern und gottseligen Seelen so reichen Basel bei Mariot in den Stand der +Gnade gekommen. So Etwas sollte mir passiren, ich könnte den Gnadenstand +brauchen! meinte ich und wer mich beredete, nach Straßburg zurückzugehen, +um zu übernachten und morgen mit ihm heimzufahren, der war mein Meister +März.</p> +<p>Derselbe logirte bei einer gottseligen Wittwe in der Nähe des +Kleberplatzes; ich übernachtete in einem Wirthshause... ich glaube, es hieß +zum goldenen Apfel! ... und am andern Morgen holte mich Meister März ab und +freute sich sehr, weil ich just in einer großen Bibel las, die der kleine +Wicht mir schon am Abend nebst vielen abscheulich langweiligen Traktätlein +verehrt hatte.</p> +<p>Er führte ein Wägelchen bei sich und ich sah auf den ersten Blick, daß er +ein gutes Männlein sei gegen Gleichgesinnte und das Gute oder Schlimme an +sich trug, alle Leute gleichgesinnt machen zu wollen. Die gottselige Wittwe +hat ihm viele Bibeln und ganze Päcke erbaulicher Flugschriften mitgegeben, +auf der Landstraße verschenkte er seine Bibeln an Handwerksbursche, +Marktweiber, Bauern und Bettler und als ich beim Ausstreuen und Vertheilen +der Traktätlein half, lächelte er gar lieblich... Stelle dir ein +hellbraunes Männlein vor, mit zarten Löcklein vor jedem Ohre, das Köpfchen +etwas zur Seite geneigt, die Augen den ganzen Tag voll Wasser und +Freundlichkeit, mit bleichen Wangen, einer löschhornartigen Nase, fromm +verzogenen und selig lächelndem Munde, im ganzen Gesichte kein Härlein +außer etwa 10 bis 12, welche einen Backenbart vorstellen sollten, ganz +einfache doch hübsche Kleider und du hast den Meister März, dessen feine +zarte Händlein eher einem Schulmeisterlein, denn einem Schreiner +anzugehören scheinen.</p> +<p>Er redete lauter gottselige Dinge von Zion, Babel, den Freuden des +Lämmleins, von der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechtes, vom Gnadenstand +der Anhänger des "lieben, einfältigen Evangeliums," vom "treuen +Gottesmanne" Martinus Luther, vom Antichrist und von der babylonischen Hure +und ehe ich mit ihm heimkam, wußte ich schon, die Offenbarung Johannis +werde von uns fleischlichgesinnten Papisten seit 18 Jahrhunderten +<i>nicht</i> verstanden, doch <i>er</i>, der Meister März und andere +gottselige Leute, bei denen der heilige Geist täglich sein Absteigequatier +nehme, wüßten, daß das tausendjährige Reich und die Zerstörung des +römischen Babel in ganz naher Aussicht ständen und daß der Teufel jeden am +Schopfe nehmen werde, welcher es zuließ, daß die katholische Abgötterei +"die Geister gedämpft" habe.</p> +<p>Er beredete mich unterwegs einen falschen Namen anzunehmen und mich für +einen von den "römischen Geistlichen schwer verfolgten Freund der Diener am +Worte" auszugeben, welcher wegen Verbreitung von Schriften der Anhänger des +lieben einfältigen Evangeliums um sein Brod gekommen sei. Zunächst +versprach er dagegen, mich in seinem Hause aufzunehmen, das +Schreinergewerbe, zu welchem ich stets Freude hatte, lernen zu lassen und +mit allem auszurüsten, was zu einem behäbigen und wohlanständigen Leben in +Gottseligkeit gehört, wenn ich etwa als einen "Praedestinirten" mich +erwiese!</p> +<p>Kannst Dir leicht denken, daß mich Meister März arg langweilte, doch habe +ich mich stets nach den Leuten gerichtet, diesmal befand ich mich in der +höchsten Noth, er versprach mir Alles, was ich brauche und der Wein sammt +dem Likör, welchen er neben seinen Bibeln in der Truhe des Wagensitzes +hatte und gegen Abend so wacker genoß, daß ich an den Compagnieschneider +Feucht dachte, setzten mich so ins Feuer, daß ich schon auf dem Wege ein +geistliches Lied von ihm erlernte, welches er abwechselnd unter Weinen und +Lachen sang und dessen Melodie ich auf der Klarinette nachspielte. Meine +Geschicklichkeit entzückte ihn dermaßen, daß er laut weinte, mir die Zügel +um den Arm band, auf die Knie sank und mit gefalteten Händen die ersten +Strophen seines Lieblingsliedes sang.</p> +<p>Es war gut, daß es Nacht war und uns Niemand begegnete, ich blies so +rührend als möglich und er sang unter Thränen:</p> +<p> Was ist ein Kreuz-Luft-Hühnelein? + Laßt's auch nur Kreuz-Luft-Putchen sein: + Ein Thierlein, das die Henne reucht, + Mit welcher sich das Lamm vergleicht + Dort bei Jerusalem! ...</p> +<p>... Auf dem Wege sprach Meister März in keinem Wirthshause ein, doch +beinahe in jedem Dorfe saß eine gottselige "Schwester", welche mit ihm in +die Nebenkammer ging, um dem Lamme für die glückliche Ankunft des Bruders +zu danken und uns dann besser bewirthete, als es der Grünbaumwirth in +Wanzenau bei allem Reichthum hätte thun können.</p> +<p>Spät in der Nacht kamen wir im Wohnorte und Hause des Meisters März an; +eine Schaar andächtiger Frauen und gottseliger Männer sammt zwei jungen, +äußerst bleich und fromm aussehenden "Dienern am Worte" waren in einem +Hintergebäude des Hauses noch in Gebet und Betrachtungen versunken, Meister +März stellte mich denselben vor und ich sah, wie große Augen alle machten +und zusammenschauderten, als sie hörten, ich sei ein "Papist aus +Dütschland."</p> +<p>Einige liebliche Mädlen und gottselige Wittwen versprachen, für mich, den +in den Banden des Irrthums, der Ungnade und des Satans gefangenen Mitbruder +inbrünstig zu bitten und ihre Liebe rührte mich dermaßen, daß ich helle +Thränen vergoß!</p> +<p>Du weißt, Zuckerhannes, daß ich wohl der geschickteste Schreiner des +Zuchthauses bin, ich habe als Gefangener dieses schöne Gewerbe in einer +Reihe von Jahren vom Fundamente aus gelernt, doch den ersten Grund dazu +legte ich bei Meister März.</p> +<p>Meister März arbeitete nicht selbst; er führte mit einem Gehülfen und +Obergesellen das Geschäft und betete, machte Besuche und Reisen, hielt in +der großen Werkstätte Versammlungen, gab mir Essen, Trinken, Kleider, ließ +mich nicht als Lehrjungen, sondern als Bruder behandeln, betete stündlich +um meinen Gnadenstand und suchte mich auf jede Weise zu überreden, der +"römischen Abgötterei" zu entsagen.</p> +<p>Er hielt viel auf meinen gescheidten Kopf und meine frommen Gesinnungen und +ich darf wohl behaupten, daß ich jetzt einer der reichsten Schreiner des +Elsasses und leicht der Schwager meines Meisters wäre, wenn ich es nur über +mich gebracht hätte, meinen Glauben abzuschwören!</p> +<p>Nach und nach erzählte ich ihm viele Streiche und Verirrungen meines +Lebens, aber er ließ deßhalb nicht nach mit Zudringlichkeit und meinte, der +Mensch sei unfähig ein gottgefälliges Werk zu vollbringen, die Werke des +Menschen seien ohne Bedeutung und der Glaube allein mache selig, ich aber +müsse noch zum Glauben und Gnadenstand gelangen, das habe ihm eine +wunderbare Erscheinung schon in Straßburg angekündiget und er sei das +Werkzeug, welches mich aus einem heidnischen Gefäße des Zornes zu einem +christlichen Gefäße der Gnade mache.</p> +<p>Mein Meister hatte schon manche Seele für "das Wort" gewonnen, bei mir +machte er sammt seiner arg verliebten Schwester große Versprechungen, kam +doch nicht rasch genug zum Ziele und merkte, daß es mir nur darum zu thun +sei, geschwind ein Schreiner zu werden und dann in die sündige Welt +hinauszuwandern, in Paris statt in Zion Arbeit zu suchen! ... An der +katholischen Religion liegt mir in der That wenig; man vergißt dergleichen +Dinge in der Kaserne, wo Evangelische und Juden darüber spotten und im +Zuchthause ist es ebenso, aber ich brachte es nicht über mich, meinen alten +Glauben abzuschwören, wiewohl ich mit den Lutherischen in ihre Conventikel +und Predigten ging, aus Klugheit und zur Unterhaltung die Schriften von +Jung-Stilling und Anderen las, auch das alte Testament fast auswendig +lernte und Mariotts wässerige Traktätlein fleißig vertheilte.</p> +<p>Daheim im Dörflein hat meine Mutter von den Lutheranern mir früh viel Arges +erzählt; ich verabscheute dieselben beinahe, wie ich die Juden fürchtete, +hielt sie für böse Geister, aus welchen einmal der Antichrist erzeugt werde +und konnte mich von dem Aberglauben nicht losreißen, ein abgefallener +Katholik sei ewig ein Kind der Hölle und des Teufels. Vieles, was ich im +Hause meines Meisters sah und hörte, bestärkte mich im Aberglauben der +Mutter; Hochmuth und Wollust spielen bei den Muckern eine wüste und +unerträgliche Rolle und so oft ich auch versprach, meinen katholischen +Glauben fahren zu lassen, wenn man mir noch ein wenig Frist lasse, ebenso +oft trat ich zurück, wenn die Frist vorüber war.</p> +<p>Eines Abends, wo der Meister mich schon recht kühl und bissig behandelte, +so daß ich gerne fortgelaufen wäre, wenn ich nur einen Paß und Geld gehabt +hätte, spottete ich über die Frömmigkeit einer Betschwester, die ich bei +einem Andern als ihrem Manne ertappte.</p> +<p>Am andern Morgen kommt der Mann der Betschwester, verflucht meine böse +Zunge und babylonische Herzensverwirrung, der Meister März seufzt, verdreht +die Augen und lispelt: ["]Benedict, du bist und bleibst ein abgöttischer +Papist, entweder nimmst du noch heute meinen Glauben an oder gehst aus dem +Hause, denn mein Gewissen duldet es nicht, mich mit einem Unmenschen deiner +Art abzugeben, der eine fromme Schwester verläumdet!" Ich antworte patzig, +das fromme Männlein wird ganz wüthend, verdammt mich in die unterste Hölle, +ich gehe den Bündel zu schnüren und wenn Meister Märzens Schwester mir +nicht gesagt hätte, mich augenblicklich aus dem Staube zu machen und ihrer +angenehmen Nächstenliebe eingedenk zu bleiben, so würde mich der Gensdarm +erwischt haben, denn dieser war keine zehn Schritte mehr vom Hause, als ich +zur Hinterthüre hinausschlich.</p> +<p>Ohne Paß und Kleider, besaß ich nichts außer einem Fünflivre, den Mamsell +März mir in der Eile zugesteckt hatte, lief gleich einem Feuerreiter Tag +und Nacht und kam halbtod [halbtodt] wieder nach beinahe vierteljähriger +Abwesenheit in Straßburg an.</p> +<p>Hier blieb ich über Nacht, spazirte bei Kehl über die Brücke und schlug den +Weg nach meinem Heimathdörflein ein, um den Rest meines mütterlichen +Vermögens oder doch einige Napoleons zu holen und mich damit in die Schweiz +zu machen. Glaubst du es, mein lieber Zuckerhannes?</p> +<p>... Schläfst du? ... Nun, s'ist gleich aus; ich reiste zu meinem Vater auf +ähnliche Weise, wie du, hungerte am Tage, lief bei Nacht und fand auch eine +kühle, böse Aufnahme! Du weißt es! Alles im Dörflein ist todtenstill, wie +ich hinkomme, nur einige Hofhunde bellten in die Nacht hinaus, zu Hause lag +Alles wie der Vater im Schlafe; ich klopfe, er steht auf, schaut zum +Fenster heraus, erkennt mich, rennt fort, um die Flinte zu holen und droht, +mich elenden Spitzbuben über den Haufen zu schießen, wenn ich nicht +augenblicklich fortgehe.</p> +<p>Die Verzweiflung macht mich rasend, der Teufel zeigt mir einen Bengel, der +mitten im Hofe lag, ich packe denselben und schlage so wüthend auf die +Thüre los, daß alle Geschwister und die Nachbarn wach werden und laut +rufen.</p> +<p>Plötzlich öffnet der Vater die Thüre, drückt die Flinte auf mich ab, die +Kugel streift aber blos die Achsel ["]... schau da, Zuckerhannes, dies +Wundmal ist die ewige Erinnerung an jenen fürchterlichen Augenblick! ... +ich haue in blinder, besinnungsloser Wuth mit dem langen, knorrigen Bengel +in den dunkeln Hausgang hinein und ehe ich den dritten Schlag thue, packen +mich des Liebhardts Knecht und der Hansjörg, der mit mir so lange auf dem +Katzenbänklein gesessen, von hinten, der Hannesle stürzt mit dem Lichte und +einem alten Säbel aus der Thüre und ... ich schaudere, wenn ich daran +denke, du magst dir alles Andere selbst denken!" ... Schaudernd kehrt sich +der Duckmäuser ab, schlüpft mit dem Kopfe unter den Teppich und es bleibt +ungewiß, ob er weine oder schlafe.</p> +<p>Der altersgraue, finstere und allzuharte, doch sonst brave Jacob lag +blutend damals in der Hausflur, der Kopf war ihm auf einer Seite ganz +zerschmettert, er stöhnte und röchelte nur noch wenige Augenblicke und +verschied, ehe irgend eine Hülfe kommen konnte.</p> +<p>Sein Sohn, der ehemalige Unterlehrer, Dorfhanswurst, Anführer der +Altmodischen, Schweinehirt, Hobist und Schreiner ist ein <i>Vatermörder</i> +geworden und sitzt als solcher jetzt schon lange Jahre im Zuchthause. Er +ist gelassen, gleichmüthig, folgsam, arbeitsam, doch <i>gebessert</i> ist +er nicht, schiebt die Schuld seines Unglückes nur auf Andere und wenn er +auch zugibt, der Teufel habe ihn schlecht und verbrecherisch gemacht, so +weiß er doch nicht, auf welche Weise er der Herrschaft des Teufels zu +entrinnen vermöchte.</p> +<h3><a name="9"></a>Der Duckmäuser läßt sich Etwas erzählen.</h3> +<p> +Der Duckmäuser liegt im Schlafsaale und flüstert zum Kameraden hinüber:</p> +<p>"Schau, es geht jetzt ins 10. Jahr—bis Peter und Paule wird's just zehn, +daß mich die Gensdarmen geholt haben und darfst glauben, daß ich wenig +Freuden erlebte und nur so mitmachte von einem Tag zum andern und war froh, +wenn ich recht ermüdet im Schlafsaal lag. Der Zuckerhannes blieb der Erste +und Letzte, mit Dem ich mich näher einließ und ihm meine wahre Geschichte +erzählte. Er ist ein guter, armer Kerl, hat's auch im Zuchthaus besser +gefunden als draußen und sie würden ihn schon wieder gekriegt haben, davor +bin ich nicht bange! ... Ist Einer <i>einmal</i> da gewesen, so geht's das +zweite Mal viel leichter bei den Rechtsverdrehern und bei denen, die sie +schon in den Klauen gehabt haben! ... 'S ist gut, daß er tod ist!"</p> +<p>"Ja, weiß Gott, seufzt der Donat, 'n armer Teufel hockt geschwinder im +Zuchthaus, als man eine Hand umkehrt. Bin jetzt das erste Mal da, aber ich +hab' meine Sach in Amtslöchern und Correctionshäusern schon mitgemacht und +es ist mir wunderlich gegangen, könnte ein Buch davon schreiben!"</p> +<p>"Ei, draußen kannst du doch Einem aus dem Wege gehen, der dir nicht gefällt +oder ihm Eins hinter die Ohren schlagen, aber hier? ... Seit der Teufel den +Spaniolen hereingebracht hat, ist's mit meiner Ruhe aus; wenn ich den +dürren Halunken mit seinen falschen Augen, die eine halbe Stunde weit im +Kopf drinnen liegen, nur ansehe, ist mir das Leben verleidet und ich +zittere an allen Gliedern und er regiert Alles, leitet Alles, kann's mit +den Aufsehern, daß es ein Schade ist. Fünf Jahre war ich nie im Arrest, +jetzt komme ich alle Augenblicke hinein und Alles ob dem Spitzbuben!</p> +<p>"Der Spaniol ist ein Teufelskerl und ich meine immer, ich hätte ihn auch +schon gesehen in Donaueschingen oder in der Neustadt ... nein es war in +Lengkirch, wo er 3 oder 4 verschlossene Wagen mit fremden Thieren +commandirte und auf die Freiburgermesse zog... Er mahnt mich an Einen, dem +ich auch gerne mit der Holzaxt winkte!"</p> +<p>"Verdammt, ich kann heut nicht schlafen, 's geht mir jedesmal so, wenn ich +Beize kochen muß, das Geschäft ist zu leicht für mich! brummte der +Duckmäuser;—weißt Du was, Donat, erzähle mir deine Geschichte, ich erfahre +dann wieder, wie's draußen bei ordentlichen Leuten zugeht und lerne Dich +kennen!"</p> +<p>"Kann auch nicht schlafen, Du hast mir Deine Sache auch ausführlich +erzählt, eine Ehre ist der andern werth! ... Wer hat heute Nacht die +Wache?"</p> +<p>"Der alte Moritz, der sieht nichts und hört nichts und wenn er kommt, +rieche ich ihn von weiten."</p> +<p>"Riechen? ich habe noch nichts gerochen! meinte der Donat."</p> +<p>"Hoho, warte nur, bis Du ein, zwei, drei, fünf Jährle hockst, dann wirst Du +Schnaps oder Tabak auf hundert Schritte riechen durch allen Gestank +hindurch! ... Fange nur ruhig an, wir stecken die Köpfe unter den Teppich +und ich halte die Ohren zu Dir, wie der Pfarrer, wenn er Beichte hörte!"</p> +<p>"Ja, Du mußt mir aber <i>mehr</i> glauben als er, er glaubt Keinem mehr, +weil die Meisten ihn anlügen, und die vor Allem, die Begnadigung wollen. +Der Stoffel hat mir erst gestern gesagt, er habe im Beichtstuhle mehr Gutes +als Böses gebeichtet und zwar so, daß bei seinen Gutthaten jedesmal ein +kleines Häkchen war, daß sie halb und halb wie eine Sünde aussehen! ... Er +spielt den heiligen Crispin, der den Reichen Leder stahl, um den Armen +Stiefel zu machen; es war gut, daß dieser nicht im Badischen lebte, wo sie +allgemach das Almosengeben bei drei Gulden Strafe verbieten, wenn man sein +eigen Sach' herschenkt!"</p> +<p>"Nur zu, das gibt Rekruten fürs Zuchthaus! lachte der Duckmäuser. Wenn's +Bettele verboten wird, wird das Stehlen erlaubter! ... Doch, fange an, +kannst schon ein bischen laut reden, das Murmelthier schnarcht wie +besessen, daß man sein eigen Wort kaum hört!"</p> +<p>"Das Beste ist, daß man Gedanken nicht einsperren kann, ich hocke da, doch +meine Gedanken streifen den ganzen Tag herum, und am liebsten nach dem +Unterland oder das Höllenthal hinauf gegen Lenzkirch, denn dort ist meine +Heimath, nämlich in jener Gegend, die für so rauh und wüst verschrieen wird +und mir doch hundert Mal besser gefällt, als der Breisgau mit allem Wein +und Obst und Kesten und der großen, schönen Stadt Freiburg dazu. Ich sehe +wahrhaftig mein niederes Strohdach und die langen braunen, hölzernen Wände, +den Milchbrunnen, den Misthaufen beim Hause und die Halde worauf es still +und heimelig steht und hinabschaut in das Thal mit den zerstreuten Häusern. +Ringsum lauter Tannenwald und dunkle Höhen, statt Trauben Tannenzapfen, +statt Aprikosen und Kesten, Schlehen und Elzbeeren und statt Welschkorn und +Tabak einzelne Hafer- und Kartoffelfelder, die selten gut ausgeben. Aber +wie schön ist's, wenn der haushohe Schnee schmilzt, die würzige +Frühlingsluft aus den Tannenwäldern herüberweht und die blitzenden Bächlein +durch die Matten eilen, mit ihrem würzigen Grün, den gelben, rothen und +weißen Blumen! ... Holz, Vieh, Milch und Schmalz gibt's bei uns auf dem +Walde und kunstfertige Leute dazu und in so mancher Strohhütte steckt mehr +Geld und Gut und vielleicht auch Bravheit, als hier wohl in manchem +Herrenhause."</p> +<p>"Wenn Du so anfängst, dann werden wir vor Morgen nicht fertig; rede nicht +lang von der Heimath, sonst muß ich an meine denken, nein, <i>die</i> ist +schön! ... Der Mensch ist halt auch wie das Vieh, er geräth am besten, wo +er daheim ist und ist ihm dort am wohlsten, wenn's in Sibirien wäre!—O +Gott!"—</p> +<p>"Sibirien? Ja, das badische Sibirien nennt man meine Gegend und noch mehr +die rechts gegen den Schluchsen und Feldberg zu. Meinethalben, ich möchte +doch mein Lebenlang gern als der ärmste Holzschläger oder Kohlenbrenner +dort leben! Jetzt will ich erzählen, wie Du es wünschest, aber wie +wünschest Du es? Ich kann halt nicht viel besser reden, als mir das Maul +gewachsen ist und man kriegt so wunderliche Gedanken!"</p> +<p>"Thatsachen will ich, lauter Thatsachen!" flüsterte der Duckmäuser.</p> +<p>"Aha, Thatsachen! weiß was das ist, wer ins Zuchthaus soll, erfährts! +Herrgott, wie haben sie mich mit den verdammten "Thatsachen" gequält, die +Leuteschinder und am Ende doch wegen Etwas verurtheilt, was gar keine +Thatsache ist! ... will also mit Dir reden, wie es der Asessor haben +wollte, lauter Thatsachen! paß auf!"</p> +<p>Gerade wie der Zuckerhannes hatte ich auch keinen Vater, daß heißt, der +Halunke wollte nichts von mir wissen. Meine Mutter war bei Lenzkirch daheim +und diente in Freiburg in der Salzgasse und später in der Egelgasse. Sie +soll ein hübsches "Mensch" gewesen sein und ich glaube es, denn ihre +schwarzen Augen und Haare und ihr kurzer stämmiger Leib blieb, als die +rothen Backen längst verschwunden und der Mund nicht viel mehr lächelte. +Die Studenten, Offiziere und andere Herren waren ihr sehr auf den Fersen, +sie wußte davon zu erzählen, aber sie wollte lange gar keinen Liebhaber und +am Ende doch lieber Einen, der sich offen mit ihr sehen ließ, als so einen +Vornehmen, der nur ins geheim lockt und schmeichelt und jede Gans weiß, +wohinaus das Ding will. Am Ende bekam sie ein Unteroffizier am Bändel, der +ihr ganze Packe Briefe und Gedichte schrieb, in der Dämmerung niemals im +Hausgange fehlte, lauter Liebes, Gutes und Süßes gelobte und nicht ruhte, +bis ich da war. Er gab um Heirathserlaubniß ein, sagte und schwur es +wenigstens, doch war er noch kein Einständer und als das Regiment nach +Carlsruhe kam, war meine Alte petschirt und heulte sich fast die Augen aus +dem Kopf. Sie that mich zu meiner Großmutter im Haus auf der Halde, das ich +Dir beschrieb und ich verlebte dort meine besten Tage. Die Zeit, wo ich den +ganzen Tag eine Rotznase hatte und im bloßen Hemd herumklunkerte, ist die +schönste gewesen und ich wollte nur, daß ich wieder ein "Hemmetklunker" +wäre! ... Ich ging ins achte Jahr und hatte schon einigemal die Schule +besucht, wenn der Weg nicht verschneit war und auch die Mutter oft gesehen, +die mir jedesmal die Nase alle Augenblicke putzte und mir Gutseln oder +Butterwecken brachte, was ich um mein Leben gern aß, da legte sich die +Großmutter hin und starb. Ich durfte nicht mehr in der Hinterstube bleiben, +wo ich wie im Himmel gelebt, denn die andern Leute auf der Halde hätten +mich zwar behalten, allein die Mutter war unten im Dorfe verheirathet und +nahm mich zu sich.</p> +<p>Der Gang von der Halde war der Gang in mein Unglück.</p> +<p>Meine Mutter hatte einen Wittwer geheirathet, der für einen Uhrenmacher in +Lenzkirch arbeitete, jedoch nicht in Lenzkirch sondern daheim.</p> +<p>Dieser Wittwer besaß eine durstige Gurgel, einen Humor, wie ihn der Teufel +nicht besser haben kann und 3 Kinder von der frühern Frau, die er unter den +Boden gebracht hatte mit Schimpfen und Schlagen.</p> +<p>Er zeigte mir, was es heiße, einen Stiefvater zu besitzen und plagte mich +sammt der Mutter um die Wette, prügelte seine eigenen Kinder dazu und wer +von Allen geschimpft, geschlagen, gestoßen wurde und kaum mehr als ein +Kreuzschnabel zu fressen bekam, der war ich ... Meine Mutter mußte es vom +frühen Morgen bis tief in die Nacht hören, daß sie ein Soldatenmensch und +ich ein Bankert sei und wenn der Stiefvater besoffen von Lenzkirch kam, gab +es oft die ganze Nacht keine Ruhe.</p> +<p>Die Mutter schlug mich nie, aber tausend Mal sagte sie, um meinetwillen +allein müsse sie leben wie ein Hund und es gereue sie, mich nicht in die +Dreisam geworfen oder erwürgt zu haben, bevor ich recht auf der Welt war! +Dafür mag der Teufel dem Unteroffizier danken!</p> +<p>Die Leute im Dorfe waren nicht so arg wie die Landleute des Zuckerhannes, +ich bekam es besser und trieb mich die meiste Zeit in andern Häusern herum, +wo ich zu essen genug bekam, weil man wußte, wie mich der Stiefvater +behandelte und mich sammt der Mutter bedauerte, die sich tagaus tagein +schinden und plagen mußte und das ganze Jahr keine gute Stunde dafür bekam. +Der Pfarrer sah das Elend und sprach sie von dem wüsten Kerl weg, der aber +konnte mit dem Hauswesen und den 3 Kindern nicht allein fertig werden und +weil meine Mutter sich doch nicht ganz scheiden lassen konnte, ließ sie +sich durch seine Bitten und Versprechungen bethören und zog wieder mit mir +zu ihm. Bald fing der alte Tanz wieder an, meine Mutter bekam auch ein Kind +und dann gleich noch eines und seitdem konnte auch sie mich nicht mehr +leiden und ich irrte Tag und Nacht aus einem Hause ins andere, wo man mir +einen Platz am Ofen gönnte und etwas Warmes gab. Solches war auch nicht +überall der Fall, ich mußte auch von fremden Leuten bittere Dinge hören und +Schläge hinnehmen, doch hatte ich meine bestimmten Häuser und suchte mich +wohl daran zu machen durch Viehhüten oder Botengänge nach Lenzkirch oder in +die Neustadt oder was man mich sonst hieß.</p> +<p>Ich besuchte auch die Schule und betete fleißig, denn oft genug sagte die +Mutter "Donatle, bete und denke an Gott, du hast sonst Niemanden auf der +Welt, ich kann Deine Mutter nicht sein, das siehst Du!"</p> +<p>Gottlob, daß sie unter dem Boden ist, meine Kette da brächte sie sonst +hinab; sie ist schon lange todt und habe ihren Leichenzug nicht gesehen, +Gott schenke ihr die ewige Ruhe und Glückseligkeit! Auf der Welt hat sie +wenig Gutes gehabt und war doch keine böse Frau, nur zu gut für den +schlechten Stiefvater!</p> +<p>Ich war bald 14 Jahre alt, da wurde unser Pfarrer versetzt und <i>den</i> +Tag, wo der neue zum ersten Mal in die Schule kam, vergesse ich in meinem +Leben nicht! Das fortwährende Schimpfiren und Verlästern der Geistlichen +ist nicht schön und recht, es gibt gute Herren unter ihnen und der neue war +Einer davon.</p> +<p>Er betrachtete mich genau, weil ich gar elend dreinsah und keinen Fetzen an +mir trug, den ein Lumpenmann hätte nehmen mögen, fragte mich, wer und woher +und dies und das und heißt mich am andern Tage ... es war just ein +Donnerstag und wir hatten "Vacanz"... in den Pfarrhof kommen.</p> +<p>Kannst Dir denken, daß ich den Tag kaum abwarten konnte und hoffte, Etwas +zu kriegen. Als ich zu ihm hineintrat, fragt er mich, ob ich den Weg nach +Bonndorf wisse, ich sage: ja; dann fragt er, ob ich einen Brief an den +Herrn Stadtpfarrer in Bonndorf besorgen wolle und ich sage: gern! Da mußte +ich mich in ein anderes Zimmer setzen, die Köchin brachte mir Etwas zu +essen und ein Glas Wein, daß ich meinte, jetzt auch einmal ein großer Herr +zu sein. Nachher gab mir der Pfarrer noch einen Sechser und meinte, ich +solle in Bonndorf etwas essen, doch ich hatte gegessen, einen Sechser in +meinem Leben noch nicht gehabt und der Wein gab mir Kraft und Muth, daß ich +gar nicht spürte, was für ein Wind von Sankt Blasien herpiff [herpfiff] und +daß ich baarfuß herumzottelte. Ich flog wahrhaftig, denn in Bonndorf +glaubte ich wieder Etwas zu bekommen, bekam auch einen Zwölfer und einen +Brief retour. Als ich den Brief abgab, fragt der Herr, ob ich meinen +Sechser gebraucht habe, ich zeigte ihm den Fetzen Papier, den ich zwischen +Lenzkirch und Bonndorf gefunden, worin ich mein Geld eingewickelt hatte und +streckte es hin, damit er es wieder nehme. Doch ließ er mir nicht nur das +Geld, sondern schenkte mir auch einen Rock, ein paar Hosen und bezahlte den +Schneider, der mir eine prächtige Montur daraus zuwege machte; kurz, der +Pfarrer wurde mein Vater, ihm zu Liebe lernte ich besser in der Schule und +es war ein großes Unglück, daß der gute Herr sehr bald aus der Gegend +fortkam, denn er hat mir oft gesagt, ich müßte eine gute Profession lernen +und wenn dieses geschehen wäre, läge ich nicht in einer Kette hier!</p> +<p>Kann's nicht beschreiben, wie gut der Mann gegen mich elendes Kind gewesen +ist, Gott wirds ihm entgelten und ich will froh sein, wenn er nichts von +mir erfährt!</p> +<p>Ich möchte noch Vieles sagen, lauter Thatsachen, Duckmäuser, könnte die +halbe Nacht allein vom Pfarrer erzählen und thäte es lieber als das Andere, +denn der Weg, den ich jetzt betrat, war kein guter. Aus der Schule +entlassen, trieb ich mich einige Jahre in der Gegend herum, und trieb bald +Dieses, bald Jenes, um leben zu können und den Stiefvater nicht um Etwas +ansprechen zu müssen. Es ging mir gerade, wie den Hasen des Fürsten von +Donn'schingen im Winter, nämlich es war Winter und ich hatte nichts zu +beißen und zu nagen, da kamen ein Mann und eine Frau aus einem Zinken nicht +weit von meinem Orte—ich traf sie in der Sonne zu Neustadt, nein, es war +in der Post, ich sehe noch immer den dicken Posthalter mit der großen +rothen Nase, wie er mit dem Schoppen herwatschelt und jedesmal sagt: +"Gesegne's Gott, 's ist ächtes Breisgauergewächs!"—Also die Beiden +brachten mir's zu und sagten nach längerem Hin- und Hergerede: "Weißt du +was, Donatle? 'S ist Winter, hast Uebel Zeit, dein Stiefvater ist ein Lump, +du hast erfahren genug wie er uns anfeindet, aber du bist ein änstelliger +[anstelliger] Bursche, kein Mensch will sich Deiner erbarmen, komm zu uns, +bis es besser wird. Du arbeitest, was es zu arbeiten gibt, viel ist's +jedenfalls nicht und wenn Du auch Nichts kriegst, hast Du doch zu essen und +ein Obdach!"</p> +<p>Das kannst Du glauben, daß ich mich nicht lange besann, sondern einschlug; +es war besser als Holzmachen oder Schneeschaufeln oder Leiternmachen, was +ich schon thun mußte. Ich ging auf der Stelle mit dem Glasjakob und seiner +alten Fränz, mit der ich ein Stück biblische Geschichte durch machte, bloß +daß die Sache einen unbiblischen Ausgang nahm.</p> +<p>Die Fränz hatte 48 Jahre auf dem Buckel, graue Haare und Runzeln genug, +keine drei ganze Zähne mehr und eine Nase wie ein Ulmerkopf, kurz es war +ein altes, wüstes, ungattiges Thier und hatte außer dem ältesten Sohne, der +2 Jahre älter als ich war und längst mit dem Reff auf dem Buckel als +Glashändler im Unterland hausirte, noch 5 Kinder und die beste Seele von +der Welt zum Manne.</p> +<p>Sie konnte recht gut meine Mutter sein, doch bald machte sie es wie +Putiphars Frau und weil ich nicht der Joseph, sondern der Donat bin, hing +sie mir bald am Halse und ich wurde bis über die Ohren in sie verliebt.</p> +<p>Du magst es glauben oder nicht, so ein armer Tropf wie ich kommt nicht +leicht zu einem Weibsbilde und hat doch auch sein Fleisch wie Andere, die +Fränz war die Erste, mit der ich zu thun bekam. Sie wurde ganz und gar +hirnverrückt und wüthend, und ich ein vollkommener Narr! ... Item sie +schafft Rath, beredet ihren guten blinden Jakob, ihr einen Heimathschein +ausfertigen zu lassen, lügt ihm vor, sie wolle ihre Freundschaft besuchen +und in ihrer Heimath eine kleine Erbschaft holen, die sie gemacht habe, der +Mann ist voller Freuden, sie geht, in Lenzkirch finden wir uns und reisen +nicht gegen Bonndorf sondern durch das Höllenthal nach Freiburg und wutsch +dich! saßen wir über dem Rhein, arbeiteten in einer Fabrik in Mühlhausen +drüben und lebten wie Vögel im Hanfsaamen!</p> +<p>Nach einigen Monaten hatte ich das Elsaß und die Fabrik und die Fränz genug +und wollte sie mir vom Halse schaffen. Aber sie hängte sich an mich wie +eine Klette, als sie den Butzen merkte und ich verließ sie bei Nacht und +Nebel. 'S freut mich noch, wenn ich mir vorstelle, wie sie am Morgen +aufwachte, nach mir griff und nichts fand als das leere Nest, was mag +<i>Die</i> für Augen gemacht, geschimpft und geflucht haben!—Ich hatte +mich mit Kleidern gehörig ausstaffirt, trug ein wälsches Hemd oder eine +Blouse, wie mans dort drüben nennt und ziemlich Geld in der Tasche, denn +haushälterisch war die Fränz stets gewesen, das muß ich ihr nachsagen! Ich +glaube wahrhaftig, daß ihre Verfluchungen mich verfolgten, denn geliebt hat +sie den Donat, sonst würde sie nicht Mann und Kinder verlassen und mir +angehangen haben!</p> +<p>Also ich laufe einige Tage, da begegnet mir be- [bei] Karlsruhe drunten ein +Mann, fragt woher, wohin und was und da er hört, ich suche einen Dienst, +gleichviel was für einen, angagirt er mich als Knecht, das heißt, ich mußte +immer Fische nach Karlsruhe schleppen und Fischhäuser hüten. Mir gefiel +Alles außer dem frühen Aufstehen, aber die Herrlichkeit dauerte nur kurze +Zeit.</p> +<p>Muß ich just an des Großherzogs Geburtstag zu einem Wirth nach Karlsruhe +und ihm sagen, er möge zu meinem Herrn fahren und die Fische holen, die +bestellt worden seien; dieser läßt den Knecht einspannen und der +Mathäubesle, also hieß der Knecht, ein fuchsrother Kerl voll Sommerflecken +im Gesichte, der am Titisee daheim war, meint: Landsmann, fahr mit! ... Wir +sitzen auf dem Wagenbrett, der Mathäubesle will zufahren, da fängt ein ganz +verfluchtes Kanoniren an, der Gaul wird scheu, der Mathäubesle kann's nicht +mehr halten, springt über die Leitern hinab, ich will unten durch, bleibe +hängen und das wüthende Roß schleppt das Wägele sammt mir einige hundert +Schritte weit, wo endlich einige Dragoner stehen und ihm den Weg +versperren.</p> +<p>Kannst Dir denken, wie ich zugerichtet war; halbtodt wurde ich in ein +fürnehmes Spital getragen. Keinen Fleck am ganzen Leib gabs, der mir nicht +wehe that, ich war nur Eine Wunde und Ein Pflaster, lag viele Wochen +elendiglich darnieder und wäre wohl nicht davon gekommen, wenn die +Karlsruher Aerzte mich armen Kerl nicht so fleißig und sorgfältig besucht +und für mich gesorgt hätten, als ob ich nicht der Donatle vom Schwarzwald, +sondern ein Prinz wäre.</p> +<p>Die halbe Kost fing just an, mir recht zu schmecken, da wurde ich aus dem +Spital entlassen und durfte nicht mehr zum Fischhändler, sondern wurde +heimgewiesen mit dem Zeugniß, daß ich arbeitsunfähig sei und mich zuerst +erholen müsse. Eines Theils war es mir nicht recht, denn der Fischhändler +hatte ein Prachtsweib und dieses war zu mir in den ersten Tagen in die +Kammer gekommen und hatte Dinge geredet, die mir klärlich zeigten, ein +junger, starker Schwarzwälder sei ihr weit lieber als so ein alter, +abgelebter Stockfisch, der ihr Mann hieß. Sie hätte mich gut gehalten, die +Arbeit war ohnehin nicht weit her und große Lust zum Arbeiten hat mich mein +Leben nie geplagt, wenn es nicht sein mußte. Anderseits gefiel mir aber +auch das Herumziehen und als ich beim Sternen die Steig hinausging und mich +wieder von meinen Bergen umschlossen sah, freute es mich gewaltig, doch +dachte ich wieder ans Fortgehen nach einigen Wochen und die Sache kam so, +daß ich bald gern ging von wegen der Fränz.</p> +<p>"Wie ist's denn der alten Schachtel gegangen?" fragt der Duckmäuser +begierig.</p> +<p>"Besser als sie's verdiente!["] ... Nachdem ich sie verlassen, zog sie +einige Tage im Breisgau herum, wurde mit dem längst abgelaufenen +Heimathsschein erwischt, heimtransportirt und zunächst zur Abkühlung 8 Tage +in Schatten gesetzt. Dann wurde der Jacob in die Neustadt citirt, befragt, +ob er sein entlaufenes Weib wieder wolle, er sagte Ja und sie ging mit ihm +heim. Da sie alle Schuld auf mich geschoben hatte, bekam ich bei der +Heimkunft auch meinen Theil und mußte 14 Tage sitzen. Zum Jacob wollte und +durfte ich nicht mehr, wollte auch nichts mehr von der Fränz wissen. Geld +hatte ich keines, Schaffen wollte ich nicht so schwer, essen und trinken +hält Leib und Seele zusammen und um Etwas zu bekommen, langte ich zu, wo +war, anfangs mit erschrockenem Herzen, bald kecker. Die Mutter war todt, +der Stiefvater warf mich aus dem Hause, ein Handwerk konnte ich nicht, +Taglöhnern kostet Armschmalz, ich zog in der Gegend herum, wurde auf dem +Michaelimarkt in der Neustadt arretirt und auf 2 Jahre zu den Blaukitteln +nach Bruchsal geschickt. Dies war schlimm, doch schlimmer war's, als ich +nach 16 Monaten begnadiget wurde und mit Laufpaß heim mußte. Ein paar +Zwilchhosen, ein Wamms von Sommerzeug, ein grobes Hemd, welches mir die +Strafanstalt gab nebst einem paar Schuhen und einer Kappe, die ich einmal +einem Besoffenen vom Schädel gerissen, war nebst 42 Kreuzern Alles, was ich +auf Erden besaß, wie ich heimkam.</p> +<p>Wie konnte ich in solchem Aufzuge Arbeit suchen, mich vor den Leuten sehen +lassen oder auch nur in die Kirche gehen? Die Fränz, kein Mensch wollte +Etwas von mir wissen und doch war mir die Lust am Stehlen vergangen. Es +gehört Spitzbubenglück dazu, ich hatte keine Fiduz und keine Courage mehr, +um gleich wieder zuzugreifen. Ich ging hinüber in die Neustadt, trank mit +den letzten 12 Kreuzern Muth und begab mich gerade zu auf das Amt, um zu +melden: "ich <i>wolle</i> nicht mehr stehlen, aber ich <i>müsse</i> es, +wenn ich keinen Heimathschein und keine Kleider sammt einigen Batzen +bekäme, um <i>anderswo</i> Arbeit zu suchen; im Grunde wär's mir lieber +hier, aber niemand wolle mich beschäftigen." Ein Herr vom Amte zog +mitleidig den Geldbeutel, der Amtmann gab mir einen Rock, denn ich heulte +wie ein Schloßhund und um Martini darf man auf dem Swarzwalde +[Schwarzwalde] kein Zwilchwamms und sonst nichts tragen, wenn man nicht +erfrieren will. Ein Schreiben an den Bürgermeister verschaffte mir Alles, +was ich brauchte, sogar mehr, nämlich Grobheiten, weil ich nicht zuerst zum +Bürgermeister, sondern gleich vor die rechte Schmiede gegangen war. Ich +kannte den Vogt schon, er war ein unmenschlicher "Packer," der ja wußte, +woran ich war und doch kein Zeichen that, als ob er mir helfen wolle.</p> +<p>Mit dem Heimathschein und einigen Batzen Geld zog ich ab, verkaufte in +Freiburg den Rock des Amtmanns, weil ich ihn doch nicht ohne gehörige Hosen +tragen und auch nicht zurecht machen lassen konnte und zog jämmerlich bis +hinab nach Ettlingen, denn dort war Arbeit genug zu finden, weil eben die +große Spinnerei gebaut wurde. Weil meine Papiere richtig waren, kümmerte +sich die Polizei nicht um meinen Anzug und leeren Geldbeutel, denn Arbeit +hatte ich auf der Stelle. Eine Wohnung zu finden, war keine Kleinigkeit, +ich wurde an vielen Orten abgewiesen und wie eben die Armen am liebsten den +Armen helfen, fand ich zuletzt bei blutarmen Leuten auch eine Wohnung. Kost +konnten sie mir nicht geben, wollte auch keine, denn Kleider waren vor +Allem nöthig; Kleider kosten Geld und mein Taglohn war nicht gar groß. Ja, +der Donat <i>kann</i> arbeiten und hungern, <i>wenn er muß</i>; drei +geschlagene Monate sah ich kein Stücklein Fleisch und keinen Tropfen Wein, +sondern erhielt mich fast nur bei Brod und Milch, schlief dabei recht gut +und konnte das schönste Weibsbild ansehen, als ob ich ein Klotz geworden +wäre! ... Nach drei Monaten hatte ich aber nicht nur Kleider, sondern auch +das ganze Wohlwollen der Werkmeister und insbesondere das der Tochter +meiner Hausleute, ohne daß ich letzteres wußte, weil sie nie ein Bröselein +davon verlauten ließ, wenn sie aus ihrem Dienst von Karlsruhe auf Besuch +herüberkam. Als die Fabrik so weit fertig und Maschinen eingerichtet waren, +saß ich einmal recht bekümmert nach 12 Uhr bei einem der letzten Sandhaufen +in der Sonne und dachte an die Zukunft, da kommt auf einmal der Director +der Spinnerei auf mich los, ein braver Herr, der mich oft im Auge gehabt, +jetzt aber just fast das erstemal mit mir redete und sagte: "Donat, weil Er +als Fremd so lang und fleißig hier gearbeit hat, will ick Ihn in die +Spinnerei nehmen als Lehrlink. In 3 Mond kann Er die Sack, kriegt täglich +36 Kreuzer. Wenn Er keine dumme Deutsch ist, bekommt Er dann ein Maschin +und verdient schön Geld! Was sagt er zu der Sack?"</p> +<p>Kannst Dir einbilden, Duckmäuser, daß ich da stand wie aus dem Himmel +gefallen und zehnmal in Einem Brumm "Ja" sagte; ich muß roth und recht +einfältig dreingesehen haben, denn der Herr lachte und meinte:</p> +<p>"Nehm' er nix für ungut, ich bin ein Franzos und sprecke etwas heroisch, +bin hitzig, aber ick fresse keine Deutsch und meine es nit so böse!"</p> +<p>Der Herr Director wurde mein zweiter Schutzengel, wie der Pfarrer mein +erster gewesen; sein Auge blieb stets auf mich gerichtet, er gab mir viele +Ermahnungen und hielt mich von Vielem ab, denn der Teufel juckte wieder +hollops in mir. Die Spinnerei wollte mir nicht gefallen, die Lehrmeister +waren lauter Franzosen und neidisch, einen Deutschen zu lehren. Der Herr +Director machte, daß ich als Zuschläger in die Schmiede kam, wo ich einen +andern Director und täglich einen Gulden erhielt. Konnte es nicht lange +aushalten, bekam Blutspeien und wurde fremd. Eben stand ich in meiner +Kammer, um das Bündele zu schnüren, da ließ mich der alte Director kommen +und machte mich herunter, weil ich so mir nichts dir nichts davonlaufen +wollte, ohne ihm ein Brösele zu sagen und fuhr mich dann an:</p> +<p>"Gestern hab' ick die Mann, der an das laufende Maschin war, entlassen. Er +liebt die Sauf und soll nit unglücklick werden. Will Er sick besser halten, +als der Vorgänger, so thu' ick Ihn an seine Stell. Er bekam taglik einen +Gulden zwölf Kreuzer, Ihm geb' ick acht und vierzig Kreuzer täglik, aber +nock eine Gehilf, will Er?"</p> +<p>Kannst denken, wie froh ich war und es kam noch besser, denn die Käth, also +hieß die Tochter der Hausleute, kam nach Hause, weil sie krank gewesen war +und den Dienst bei der Herrschaft verloren hatte, bei der sie 6 Jahre in +Einem Zug gedient hatte. Sie hatte die "Durchschlechten" gehabt, war noch +sehr schwach, doch ein braveres Mädle wächst im ganzen Unterland nicht; ich +wurde in sie ganz anders verliebt als in die Fränz, betrachtete die Käth +wie eine Heilige, sie und der Herr Director haben mich vor Vielem bewahrt! +—Vier Monate später führt der Satan den rothen Mathäubesle auch nach +Ettlingen und dieser leichtsinnige Passagir wurde mein Freund, weil er mein +Landsmann war, zog mich zum Saufen und Spielen, so oft er konnte und war +mit den Weibsleuten nicht heikel! ... Untreu wurde ich der Käth nicht oft, +aber nach 6 Monaten verfehlten wir uns und ich wäre ein schlechter Kerl, +wenn ich sagte, <i>sie</i> sei schuld daran gewesen. Sie hat mich oft genug +davor gewarnt und mir die Leviten gelesen, aber die Beste hat schwache +Stunden und ich war in diesem Punkte kein Held wie Du, wenn's wahr ist!</p> +<p>Als die Eltern die Sache merkten, sollte ich auf einmal aus dem Hause und +ging auch, weil ich das Heulen und Schimpfiren nicht mehr sehen konnte. +Alle Sonntage traf ich mit der Käth in Busenbach zusammen, doch die Eltern +waren ihr auf den Socken und wollten auch dies nicht mehr leiden.</p> +<p>Eines schönen Morgens muß ich vor Amt, der Asessor schnauzt und bellt mich +an, ich müsse binnen 3 Tagen die Fabrik und den ganzen Amtsbezirk +verlassen, wo nicht, so müßte mich der Gensd'arme holen. Ganz vertattert +frage ich warum und da sagt er mir, ich hätte ein Mädchen mit einem Kind +und sei auch schon in Bruchsal gesessen.</p> +<p>"Ja, das ist wahr, sage ich, aber darf ein Mensch, der seine Strafe +erstanden und sich ehrlich und redlich ernähren will, nirgends mehr +arbeiten?"—"Er kann arbeiten, wo Er will, aber in diesem Amtsbezirk ist's +mit Ihm Mathäi am Letzten!"—Jetzt sage ich, der Asessor soll mir in den +Heimathschein schreiben, weßhalb ich nicht mehr hier arbeiten dürfte, er +aber sagt, ich habe es gehört, was zu thun sei und soll mich packen!</p> +<p>Ich besann mich auf dem Heimwege und blieb in der Fabrik.</p> +<p>Acht Tage später werde ich richtig auf die Wachtstube gerufen, sind da 2 +Gensd'arme, führen mich vor Amt und der Asessor sagt, ich müsse jetzt 24 +Stunden ins Loch und wenn ich in 8 Tagen nicht fort sei, lasse er mich +heimtransportiren.</p> +<p>Bei der Rückkehr in die Fabrik nahm mich der Herr Director ins Verhör, wo +ich gewesen sei und weil ich für ihn durchs Feuer gegangen wäre, entdecke +ich ihm Alles haarklein und erfuhr wieder, was das für ein braver Mann war. +Er spricht mir Muth ein, meint, wenn es Jedem der 1400 Menschen, die in der +Fabrik arbeiteten, an der Stirne geschrieben stünde, was er schon gethan +habe, müßte er Manchen fortschicken. Ich soll ihm und der Käth folgen und +brav für mein Kind sorgen. Die acht Tage verstrichen und kein Mensch dachte +daran, mich auf den Wald zu jagen.</p> +<p>Gehe ich an einem Sonntage Mittag von Busenbach nach Ettlingen, die Käth +ist bei mir und hat unser Kind auf dem Arm, kommt uns just der Asessor mit +2 Herren entgegen, stellt mich auf dem Wege, thut aber ganz leutselig, +erzählt Alles den andern Herren und sagt zu mir: "Er wisse, daß ich immer +Kostgeld für mein Kind zahle, habe auch ein gutes Lob von den Herrn in der +Fabrik, solle nur brav bleiben und für mein Kind sorgen und so fortmachen!"</p> +<p>Solche Rede gefiel mir sehr wohl und wenn ich alles überlege, muß ich +sagen, daß ich mein Glück selbst mit Füßen getreten habe und ein Narr +gewesen bin, mehr auf den rothen Mathäubesle, als auf den Herrn Director +und andere Leute gehört zu haben, die es gut mit mir meinten. Ich hatte +eine neue Heimath gefunden und wenn ich gescheidter gewesen wäre, würde ich +darnach gestrebt haben, die Käth zu heirathen, die längst wieder in einer +Küche zu Karlsruhe stand. Für mein Kind zahlte ich immer redlich das +Kostgeld, aber statt bei meinem schönen Verdienst zu sparen, zog ich mit +dem rothen Kaiben und Fabrikmenschern herum und habe mehr als Eine Nacht +ganz durchgesoffen und gespielt und allgemach Schulden bekommen.</p> +<p>Wenn das Fabrikglöckle zur Arbeit rief, war ich oft voller Schlaf und +halbbesoffen dazu und hätte einmal leicht bei meiner Maschine das Leben +verloren, wenn nicht der Herr Director mich im letzten Augenblicke gepackt +und irgendwo hingelegt hätte, um den Rausch auszuschlafen. Die Käth kam an +Sonntagen, so oft sie konnte, hielt mich vom Saufen ab, wir Beide sollten +nur Einen Schoppen trinken, gab mir die besten Vermahnungen, ich plärrte +oft vor Rührung und fluchte oft wie ein Türke, denn ein Hitzkopf bin ich, +Duckmäuser! ... He, schläfst Du?"</p> +<p>"Warum nicht gar, doch mach's kurz, in der Stadt draußen brummelt die +Lumpenglocke und bis halb Fünfe ist's dann nimmer so lang!"</p> +<p>"Auch gut, wills kurz verlesen!["] ... Mein Mädchen predigte umsonst, der +Herr Director stellte mir Himmel und Hölle vor, aber der rothe Mathäubesle +und Andere bekamen immer mehr Gewalt über mich, ich triebs immer ärger und +ärger und wurde endlich entlassen. Die Käth weinte sich schier die Augen +aus dem Kopf, die Eltern schimpften kannibalisch, aber jetzt war Hopfen und +Malz verloren, der Asessor schnitt ein böses Gesicht, that fuchsteufelswild +und ich zottelte eben wieder in den Schwarzwald hinauf.</p> +<p>Daheim bekam ich Arbeit beim Fürsten als Holzschläger und hielt's ein +Vierteljahr mit dem Waldleben recht gut aus, obwohl die Arbeit ganz anders +war als in der Fabrik, wo eigentlich der Arbeiter nur Befehlerles spielt +bei der Maschine. In meinem Ort lobten mich die Leute sehr, weil ich so +lange fort war, gut gethan und rechtes G'häs mitgebracht habe und als ich +das Saufen wieder anfing, hätte mich ein Vorfall belehren können, daß ein +armer Tropf schon deßhalb nicht versaufen sollte, was er auf und anbringt, +weil man gleich glaubt, er habe das Geld dazu gestohlen.</p> +<p>Kommt eines Abends—es war just beim Nachtessen und ich spedirte die +Kartoffel Nro. Dreißig ins Unterquatier!—kommt so ein Gensd'arm, schaut +mich an, fragt wer und was, sieht meine Uhr an der Wand und nimmt sie weg, +muß ihm mein Trüchle öffnen; er nimmt einen Rock, zwei paar Hosen, ein paar +nagelneue Stiefel, drei Hemder, einen Hut, Schirm, endlich einen Stutzen +und zuletzt mein Geld, es waren 18 Gulden 12 Kreuzer—und die Hausleute +hattens in Verwahrung, weil ich das Trüchle nicht gut schließen konnte. +Auch der Donat selbst gefiel ihm so, daß ich im Amtsgefängnisse +übernachtete und zwar 6 mal. Man hatte dem Accisor unseres Ortes 50 Gulden +gestohlen und 100 dabei liegen lassen und ich stand im Verdachte, wieder +"gekratzt" zu haben. Aber ich konnte nachweisen, woher all' meine +arretirten Sachen waren, es stellte sich heraus, daß der eigene Schwager +des Accisors die 50 Gulden weggekratzt habe—es war auch ein Lediger, der +gern ein Mäßlein lupfte, wie ich und ein Spezel von mir, ein völlig +g'scheidter Kerl und nicht so schlecht, wie der rothe Mathäubesle, der doch +nie im Zuchthaus war!—kurz, ich wurde nach sechs Tagen wieder frei, der +Amtmann sagte gleich, ich hätte beim Accisor nicht gestohlen, denn ich +würde die 100 Gulden auch eingesackt haben und ich glaube, er hätte Recht +gehabt, wenn mir nicht die rechte Spitzbubencourage überhaupt mangelte.</p> +<p>Auf dem Heimwege—am Tage Mariä Geburt wars!—traf ich ein Weibsbild, das +ich schon früher gekannt hatte und nicht viele Flausen machte. Diese +Apollon war viel jünger und netter als die Fränz, dafür aber schlimmer, +wollte überall sein, wo es lustig zuging, vertrieb mir die Lust zur Arbeit, +machte mich leichtsinnig und allgemach ging alles Geld fort, ich verkaufte +alle meine Sachen, vergaß die Käth sammt meinem Kinde ganz und gar!</p> +<p>Höre Duckmäuser, Du hast Recht, es ist nicht das Aergste, daß Du den Alten +umbrachtest, ich begreife, daß die Hannette oder Hindania oder wie das +wälsche Mensch hieß, Dir weit mehr Gedanken macht!</p> +<p>Die Käth kam aus dem Unterland herauf, um mich zu besuchen, es wurde mir +gesagt und ich ging so lange fort, bis ich glaubte, daß sie die +Höllensteige wieder hinab sei.</p> +<p>Sie hinterließ mir bei der Adlerwirthin Wünsche für mein Glück und was ich +suche, das werde ich schon finden, soll nur das Kostgeld für das arme Kind +nicht ganz vergessen, sie bringe es nicht auf und ich kennte ja die Armuth +ihrer Eltern!—Will's mir doch das Herz zersprengen, wenn ich jetzt in +meinen Ketten an die Käth denke! ... Wie verlassen war <i>ich</i> an Vater +und Mutter, wie oft und viel habe <i>ich</i> deßhalb schon geplärrt und +jetzt mache ich's gerade wie der schlechte Unteroffizier!—Gottlob, daß der +Vater der Käthe keiner ist, wie mein versoffener Stiefvater, der jetzt von +seinen Buben in den alten Tagen gehauen wird trotz einem Tanzbären!— +Käthe's Kind hat einen guten Großvater, er trug es immer auf den Armen +herum, ohne daß er mich je leiden konnte und habe ihm doch mein Lebenlang +nicht ein Augvoll Böses gethan! ... Ich fand bald, was ich suchte, nämlich +das Zuchthaus, wohin mich eine That brachte, zu welcher ich von der +erzliederlichen Apollon in der Besoffenheit beredet wurde. Wurde wegen Raub +verurtheilt, Gott weiß, daß ich nie an Raub dachte, obwohl ich vielleicht +bald wieder zum Stehlen gebracht worden wäre. Man hat mir nicht geglaubt, +doch Du wirst mir glauben, Duckmäuser, denn wozu sollte ich hier lügen, wo +Stehlen und Rauben fast Ehrensache sind? Verurtheilt bin ich, kann nichts +daran ändern und denke eben, ich hab' die schwere Strafe an der Käth +verdient und an meinem Kind, an denen ich schlecht genug handelte... Wegen +Raub bin ich verurtheilt, doch höre, wie Alles zuging, pure Thatsachen!</p> +<p>Am 13. Juni heuer, es war an einem Sonntagmorgen und wunderschönes Wetter, +beredet mich die Apollon sie zu begleiten, sie wolle nach Aha 'nauf, um +eine alte Kamerädin zu besuchen. Wir gehen; der Himmel wölbte sich wie ein +seidenes Sonnendach über die Berge, alle Matten prangten mit Millionen +Blumen, der Titisee glänzte wie ein Metallspiegel, die alten braunen Hütten +mit ihren Strohdächern sahen aus, wie großmächtige Aschenhaufen, wo die +Buben und Mädle, der neumodischen steinernen kalten Paläste Johannisfeuer +angezündet hatten, die Luft wehte mild und frisch aus den noch dampfenden +Thälern am Feldberge, man hörte nichts als den Klang der Glocken, der durch +die Tannenwälder zitterte, zuweilen einen Vogel oder einen Schuß oder einen +Peitschenknall und hätte die Gegend für ausgestorben halten können, wenn +nicht die stämmigen Mädle mit den gelben Strohhüten und altfränkischen +Juppen mit ihren Burschen und das Herrenvolk aus Lenzkirch auf der Straße +hin- und hergewandelt und aus allen Kirchen die Anhöhen hinauf und ins Thal +hinab heimgegangen wären. Ich rauche gemüthlich das Pfeifle, betrachte +Alles und sage endlich zu der Apel, die in Einem Zug fortschwätzt, ohne daß +ich auf sie hörte: "Apel, ich glaubte, es ginge in eine Kirche; mir ist's, +als ob meine Mutter auferstanden wäre, dort zwischen den Weißtannen immer +herüberschaute und sagte: "Donatle, denk an Gott und bete, hast Niemanden +auf der Welt!"["]</p> +<p>Die Apel lacht laut auf und sagt: Hab's schon gemerkt, daß ein halber Narr +neben mir wandelt. Du weißt, daß ich geschworen habe, erst wieder in +d'Kilch zu gehen, wenn ich die Granatenhalsschnur habe, nach der du mir das +Maul schon hundertmal wässerig gemacht hast. Gehe meinethalben in die Kilch +oder zu der bucklichen Hanne, du Tropf und laß mich mit Frieden, hast mich +doch nicht gerne!</p> +<p>"Apel sage ich—du kriegst die Halsschnur, sobald ich Geld habe. Aber wir +hätten nach der Kirche auch noch den Weg nach Aha gefunden!"</p> +<p>Jetzt wird sie ernstlich böse, geht auf die andere Straßenseite, sagt: +"Geh' in die Schweiz und werde Kapuziner, du Lalle! Ist da draußen nicht +auch die Kilch? Bin ich schlechter als die Andern, die den ganzen Tag den +Rosenkranz drillen? Na, na, die wüste "Unterländersau" steckt dir im Kopf, +hast die Apel satt und willst anderes Futter, du schlechter, ehrloser +Kerl!"</p> +<p>Sie sagt kein Wort mehr, ich habe nicht übel Lust, ihr von wegen der +"Unterländersau" den Hals zuzuschnüren, daß ihr die Lälle zum bösen Rachen +heraushängt, aber sie springt voraus, nachher reuts mich wieder und mache +gutes Wetter. Ich sah wohl, daß die Apel mein Unglück sei, doch ich habe +Niemanden auf der Welt und ein Weibsbild <i>muß</i> ich haben!—Wir laufen +und laufen wieder selbander und kommen bald zum Rößle, wo es die Steig +hinabgeht und links über die sumpfigen Matten durch Hinterzarten den Wald +hinein, bergauf bergab nach Aha 'nauf. Sie wollte haben, daß ich mit ihr in +den Sternen hinabginge und dort Forellen bezahlte, denn die Forellen der +Posthalterin sind im ganzen Land berühmt und das Herrenvolk, das mit dem +Eilwagen fährt, frißt im Sternen Forellen und sauft Markgräfler dazu, daß +ihm der Ranzen zerspringen möchte. Die Apel that gar gern wie +Herrenmenschen thun, war auch in der Hoffnung, wo man den Weibern nichts +abschlagen soll, aber <i>ich</i> ging dennoch nicht in den Sternen, der +Teufle führte mich in das Rößle ob der Steig und die Apel blieb nicht +draußen und lief nicht allein weiter, wie sie gedroht hatte.</p> +<p>Wir fressen einen Kalbsbraten, 's war ein Stück so groß wie ein Roßkopf, +dazu ein Scheffel Salat; der Wein ist ganz gut, die Apel und ich bürsten, +daß es eine Art hat, obwohl wir nicht mehr einen Brabanter im Vermögen +besitzen.</p> +<p>Auf einmal geht die Apel hinaus, steht vor dem Rößle, hält die Hand über +die Augen, stiert immer auf den Weg, der von Hinterzarten durch die Matten +führt, kommt herein und thut wie ein Narr, daß ich bezahle und mit ihr +fortgehe.</p> +<p>"Komm, Donat, geschwind, wir gehen nicht nach Aha, es thut's ein andermal +auch, wollen zurück gegen Lenzkirch!" drängt sie. Ganz verwundert zieht sie +mich an der Lafette vorbei, wo der Wirth gerade aus dem Fenster schaut und +wahrscheinlich ob unsern rothen Gesichtern lacht. Hinter dem Bären schlagen +wir die Straße nach Lenzkirch ein, im nächsten Wäldchen steht sie still und +sagt gar freundlich:</p> +<p>"Donat, <i>jetzt</i> will ich den größten Beweis von Liebe, den du mir +geben kannst und wenn du's <i>nicht</i> thust, adje Parthie!"</p> +<p>Ich hätte damals dem Teufel den Schwanz ausgerissen, wenn die liebe Apel +gewunken hätte und schwöre ihr Alles zu thun, außer Stehlen und Umbringen.</p> +<p>"Komm ein bischen hinter die Tannen, wir wollen passen. Es ist hoher +Mittag, weit und breit kein Mensch, doch kommt in einigen Minuten ein +Maidle von Hinterzarten, das mich schwer erzürnt hat am Georgentag, wo ich +auch nach Aha ging und in Hinterzarten einkehrte. Sie hat mir vor einer +Stube voll Leut alle erdenklichen Schandnamen gesagt und gemacht, daß ich +fort mußte. <i>Die</i> packst du an, schleppst sie in den Wald, im +Nothfalle bin ich auch da, sie kennt dich nicht, aber mich, deßhalb komme +ich nur im Nothfalle. Ist gar stolz auf ihre Larve; du sollst sie recht +demüthigen, das übermüthige Ding; es kommt nichts heraus und zu nehmen +brauchst du ihr weiter nichts! ... Hat sie ihren Theil, so lassen wir sie +wieder springen, willst du, Herzensdonätle?["]</p> +<p>Ich war stark benebelt, die Sache kam mir recht spaßhaft vor, richtig da +kommt das Mädle und sieht aus, wie der Tag im Vergleich zu der Apel. Ich +schlich hinter ihm her, die Apel blieb abseits im Walde, das Herz klopfte +mir, daß ich fast keinen Athem mehr bekam, die Apel winkt immer wie +besessen, endlich fasse ich ein Herz, packe das Maidle und zerre es den +Straßengraben hinab in den Wald. Es schrie wie ein Dachmarder, wehrte sich +aus allen Kräften, ich riß ihm unversehens eine Granatenschnur mit einem +goldnen Kreuze weg, was später im Grase gefunden wurde und warf es zu +Boden!—Ihr vermaledeites Geschrei führte zwei Bauernbursche her, die von +Lenzkirch die Höhe rasch heraufgestiegen waren. Diese halfen dem Maidle, +prügelten mich kreuzlahm, banden mir dann die Hände mit meinen eigenen +Hosenträgern und schleppten mich nach Lenzkirch!"—Das ist meine Geschichte +und jetzt urtheile du, ob ich einen Raub begangen habe und gerecht oder +ungerecht leiden muß! Ich erzählte Alles haarklein, wie es gegangen war, +doch mußte halt ein Räuber sein, da half Alles nichts mehr. Mich reut's bis +auf's Blut, daß ich nur ein Brösele gestanden habe."</p> +<p>"Nein, bist kein Räuber, armer Tschole, bist halt auch ein Unglückskind!— +Was hätte es dem Maidle geschadet, wenn du zum Ziele gekommen wärest? ... +Aber mit der Apel, wie gings da?" fragt der Benedict verächtlich und +spöttisch zugleich.</p> +<p>"Ja, die Apel, die Apel! Diese wurde nicht entdeckt und war <i>vor mir</i> +in der Neustadt, um mich bei Amt anzugeben. Sie beschwur, daß ich +<i>sie</i> bereden wollte, an der Sache Theil zu nehmen; sie habe solches +nicht über s'Gewissen gebracht, mich nicht abhalten können, zumal in ihren +Umständen und mich deßhalb angezeigt. Ich sei ein schändlicher Kerl und +wenn <i>sie</i> nicht gewesen wäre, würde ich schon mehr als hundert +Weibsbilder unglücklich gemacht haben. Ist solche Falschheit nicht +himmelschreiend? ... Ich weiß woher das kommt!"</p> +<p>"Ei, die Apel trug eben keine Lust, nach Bruchsal zu kommen" meinte der +Duckmäuser.</p> +<p>"Wohl, doch der Hauptgrund ist, weil das liederliche Weibsbild wieder mit +einem alten Schatz liebäugelte, der fast der zweite Spaniol war."</p> +<p>"War der Donatle, so lange ich Geld und Sachen zu verkaufen hatte, im Rößle +blieben mir noch 10 Batzen übrig, 5 davon gab ich ihr und sie wußte, daß +meine Herrlichkeit ein Ende hatte und ich das Hemd vom Leibe verkaufen +mußte! Der Kilian von Prechthalen, ein Wittmann, mit dem sie einmal einige +Jahre im Lande herumgezogen, hatte einen Brief geschickt und ihr angeboten, +mit ihm zu hausen. Die Apollon sagte mir selbst, sie sei entschlossen, ins +Prechthal zu wandern, sobald sie ihr Kind der Gemeinde abgeliefert habe. +Geben konnte ich nichts mehr, drum verließ sie mich. O die Menschen sind +falsch, grundfalsch, Duckmäuser, es gibt keine Ehrlichkeit mehr auf der +Welt und der Ehrlichste wird am meisten angeschmiert! Falsch wie Galgenholz +hat die Apel, der ich Alles anhing, an mir gehandelt! ... Es möge ihr in +der Hölle zehntausend Jahr auf der Seele brennen!"</p> +<p>"Wie lang bist du denn mit der Apel umgegangen?" fragte der Benedict. "Hoh, +sieben Monate mindestens zottelte ich aus einem Wirthshaus und einem Orte +in den andern."</p> +<p>"Und arbeitetest nicht?"</p> +<p>"Der Fürst wollte keinen Holzschläger meiner Art lautete der Bericht des +Försters. Dieser konnte mich anfangs leiden, doch wurde ich bei ihm +angeschwärzt, daß ihm die Augen überliefen. Unsereins soll eben kein +Freudele haben und wird gleich Alles krumm genommen!" seufzt der Donatle.</p> +<p>"Hast mir auch schon erzählt, wie du den Bauern Schinken aus dem Kamin und +Schmalzhäfen aus dem Trog geholt hast, mich wunderts nur, daß du soviel auf +deine Ehrlichkeit gibst!" ... lächelte der Vatermörder. "Oh du Daps, +entgegnet der Donatle, vertragen sich solche "G'späß" nicht mit der +Ehrlichkeit? Dann wären alle Leute Spitzbuben! Was schadet so ein Beinle +oder Häsele einem Packer oder Holzhändler oder Wirth? Zudem hat die Apel +das Meiste geholt, sie konnte es mit den Weibern und noch mehr mit den +Knechten und theilte Alles redlich mit mir!"</p> +<p>"Sauberes Leben das, du ehrlicher Donatle!" meint der Benedict.</p> +<p>"Spotte du nur über mein Unglück, hast's auch nicht besser gemacht! ... Bin +eben schief in die Welt gerutscht, die Fränz, der rothe, verdammte +Mathäubesle und die Apel, lauter Leute zehnmal nichtsnutziger als ich sind +eben an meinem ganzen Unglück Schuld! ... Hab erst am vorigen Sonntage +daran gedacht. Ich las in der Kirche, wie sich Ludwig der kleine +Auswanderer von einem Schmetterling und Kukuk verführen ließ und im Walde +verirrte und dachte gleich, Fränz und Apel und die Fabrikthierer im +Unterland seien <i>meine</i> Schmetterlinge, der rothe Mathäubesle mit +seinen wüsten Reden und Liedlein <i>mein</i> Kukuk gewesen, die Amtsleute +aber <i>meine</i> Sperber und Weihe und so ist's! ... Hätte ich <i>dein</i> +Vermögen und <i>deine</i> Mädlen, deine Mutter und den Meister März dazu +gehabt, dann wär' der Donatle nicht neben dir, weißt du's? Ich bin kein +Spitzbube, aber <i>du</i> bist Einer und ein Mörder dazu!" ... flüsterte +der zornig werdende schuldlose Donat. Mit einer sehr unzierlichen Redensart +kehrt sich der Duckmäuser um und beginnt zu schnarchen.</p> +<p>Der Schwarzwälder brummt noch einige Redensarten, sieht, daß der Patrik mit +hellen, offenen Augen zu ihm hinüberstarrt und den Kautabak lustig von +einem Backen in den andern wirft, von Zeit zu Zeit in eine Düte spuckend, +die er im Schreinermagazin gefunden haben mag. "Iech ha der's gs'ait, ma +cha nüt mitem Duckmüser ha, s'isch e Chalb wia der Amtma vu Instetten!" +sagt der Patrik, dessen scharfe Ohren Alles gehört hatten.</p> +<p>Der Patrik ist nach Geburt und Art ein "Hotzenwälder" neuern Schlages, bei +dem außerordentlich viel Ungeschlachtheit und ungezähmte Leidenschaft sich +mit Mutterwitz vermählen, während von biederer Frömmigkeit und +Rechtschaffenheit der ehrwürdigen Altvordern bei ihm blutwenig verspürt +wird. Pauperismus und Sittenverwilderung fanden sammt der Aufklärung den +Weg auch in die Thäler der ehemaligen Grafschaft Hauenstein, welche in +neuester Zeit das Calabrien des badischen Oberlandes zu werden droht; +mindestens steht eine Diebsbande dieser Gegend nach der andern vor den +Geschwornen in Freiburg, an Brand, Mord und Todtschlag hat es schon früher +nicht gemangelt und mit der uralten, schönen malerischen Tracht scheint +auch die uralte Einfachheit des Lebens, der Sitte und die fromme Gesinnung +täglich mehr zu verschwinden.</p> +<p>Der Patrik stolperte aus seinen Bergen in das wohlhabende fruchtbare +Hügelland des Kleckgaues, diente an verschiedenen Orten, am längsten beim +Posthalter in Instetten, wo er als Hausknecht sich unmäßig in den guten +Rothen verliebte und zuletzt fortgejagt werden mußte, weil er soff, daß er +manchmal einen Güterwagen für eine Baßgeige hielt und mit dem theuern Hafer +umging, als ob er vom Himmel herabregne. Er lungerte dann einige Zeit im +"Züribieth" herum, trieb Alles, was der Brief vermochte und kam zuletzt mit +den Landjägern in eine so schiefe Stellung, daß er gerathen fand, sein +Glück wiederum "im Dütschland" zu probiren. Leider jedoch ereilte diesen +Sohn Teuts, dem die Treue zum Rothen nicht nur aus den Augen blitzte, +sondern auch aus der Kupfernase schimmerte und die Liebe zur Trägheit +unsäglich tief im Herzen saß, nicht das Glück, sondern das Unglück und +jetzt erzählt er dem Donatle, was er im Zuchthause schon hundertmal erzählt +hat, nämlich die "wahrhaftige und kurze" Geschichte seiner "unsäglichen +Schuldlosigkeit."</p> +<p>Rauh und eckig wie die tosenden Waldbäche und Felsen seiner Heimath ist +Patriks Sprache; man glaubt eine Sägemühle krächzen zu hören und ein Pommer +oder Mecklenburger würde keine Silbe davon verstehen, wenn er nicht etwa +Hebels allemannische Gedichte an springenden und singenden Theeabenden mit +wüthenden Beifall radebrechte; dabei flucht der Patrik trotz dem derbsten +Hochbootsmann und braucht Bilder, vor denen selbst der Idyllendichter Voß +von Heidelberg bis Eutin fortgaloppirt wäre.</p> +<p>In wie vielen schattenreichen Gebäuden der gute Hotze schon herumwanderte, +ehe er in den grauen Kittel schlüpfte, verschweigt er dem Donatle klüglich; +es ist spät, er macht die Sache kurz und sein vom Brummbaß des +Murmelthieres beschütztes Geflüster ließe sich etwa übersetzen wie folgt:</p> +<p>"Man hätte mich auf den Grund schlagen sollen neun Monate vor meinem +Geburtstage, nämlich in der Gestalt meines Vaters, der die Dummheit beging, +einen Kerl auf die Welt zu setzen, welchem das Unglück wie der eigene +Schatten folgt. Die Mutter hat's mir oft prophezeit, ich sei für das Kreuz +geboren und habe ein grausiges Kreuz auf dem Hirnschädel gehabt und im +Meerfräulein zu Laufenburg hat einmal ein Käshändler mit dem Vater +gewettet, daß ich noch lange vor ihm am Galgen oder im Zuchthause stürbe ob +schuldig oder unschuldig, denn die Constellation der Gestirne—davon +versteht ein Kalb deiner Art freilich nichts!—sei bei meiner Geburt die +schlimmste von allen erdenkbaren Constellationen gewesen. Bin jetzt 27 +Jahre und 13 Herbstmonate auf der Welt und weiß, daß der Teufel morgen +allen Leuten die Füße abschlüge, wenn ich heute Schuster würde, drum ist +mir auch alles Eins und der Vater hat mich nichts lernen lassen ... Hör' +nur Einen Spuk, Donatle, dann hast genug und wirst dich nicht mehr +verwundern, weßhalb ich auch hier alle Schick ins "schwarze Loch" komme. +Sitze also im Engel zu Lottstetten und versaufe den letzten Rappen, damit +er mir nicht aus dem Sack fällt und schlendere dann wohlgemuth auf der +Straße nach Instetten ... der Fußweg über die Wiesen war so schmierig wie +das fünfte Element im Polakenland!—weiter und denke an meinen alten +Schatz, mit der ich in der Weihnachtsnacht hinter der Klosterkirche von +Rheinau zum erstenmal zusammentraf. Ganz in Gedanken versunken laufe ich +den Berg hinan, merke gar nicht, daß ich einem leeren Güterwagen begegnete, +bis ich hinter mir rufen hörte. Hört ein gescheidter Mensch in einer +Gegend, wo auf der einen Seite Wald und weit und breit kein Mensch zu sehen +ist, hinter sich Halt brüllen, so schaut er sich nicht um und springt, daß +ihm die Schrittstecken wackeln. Wiewohl ich nun der dümmste Gedanke meines +Vaters bin, war ich doch gescheidt genug, diesmal zu springen und erreiche +das Höchste ganz athemlos, weil mein Verfolger immer fort brüllt und auch +springt. Doch was geschieht? Mir entgegen kommt gerade ein Gensd'arme, der +mich im Verdachte hatte, daß ich ihm einmal in Instetten im Finstern Eins +aufs Dach gab ... es war Einer, der mich früher ins Bürgerstüble brachte +und von dort in den Thurm von wegen einer Trudel, der ich Nachts in die +Kammer gestiegen bin! Unser Gensd'arme sieht mich kaum, nimmt er's Gewehr +von der Achsel, macht am Hangriemen herum und schreit ebenfalls Halt!— +Außer den beiden Haltschreiern sah ich weit und breit nur mich, denke an +die Prophezeiung meiner Mutter selig, springe über die Straße links in die +Felder und sehe im Umschauen, daß der verdammte Grünrock mir nichts dir +nichts auf mich anlegt, als ob ich ein Hase wäre. Ganz verwundert bleibe +ich stehen, denke: Patrik, aha, die Constellation ist wieder da! Der +Gensd'arme kommt und brüllt: Halt Spitzbube, Ihr seid arretirt. Gleich +darauf keucht ein schwäbischer Fuhrmann, den ich auch nicht leiden mochte, +weil er nie in der Post zu Instetten, sondern im Engel zu Lottstetten +einstellte, auf mich los und schreit ebenfalls: Hab' ich dich Spitzbube, +liederlicher!</p> +<p>"Hört, Ihr Hagelsketzer, ich bin kein Spitzbube!" sage ich mit der größten +Mäßigung und war mir schon nicht wohl dabei, weil ich meinen Heimathschein +in Bülach drüben liegen gelassen hatte.</p> +<p>"Erzspitzbube, Halunke!" antworten die Beiden ganz besessen, sind keine +drei Schritte mehr vom Leibe und während ich vor Erstaunen die Hände über +dem Kopfe zusammenschlage, klirrt eine Kette, ich reiße die Augen auf und +was meinst, Donat, was mir Unglücksmenschen passirt war? Im Vorbeistreifen +am Güterwagen blieb eine Wagenkette an mir hängen und vor lauter Gedanken +an die Rheinauerei und später vor Angst und Schrecken hatte ich den Butzen +gar nicht bemerkt. Es war eine schöne schwere Kette und habe nachher alle +Sterne vom Himmel herabgeflucht, weil der Kaib von Fuhrmann nicht schlief, +während sonst Güterfuhrleute oft von einem Wirthshaus zum andern fahren, +ohne ein Auge aufzumachen. Dieser heillose Streich war noch das Geringste; +der heimtückische Schwabe hatte auch noch seine Brieftasche und die +silberbeschlagene Tabakspfeife in die Tasche meines Manchesterkittels +gesteckt, während ich sinnend an ihm vorüberstreifte. Der Gensd'arme und +der Schwabe konnten mich nicht leiden, 's war offenbar ein abgekartetes +Spiel, um mich ins Elend zu bringen, ich zeigte mich bereit, dies +hundertfach zu beschwören, doch der Amtmann half den Beiden und ich, armer, +armer Tropf, der ich gehofft hatte, im Adler zu Instetten"—</p> +<p>"Jetzt ist's genug, ihr Waschweiber, ich will meine Ruhe, ich bin nicht im +Zuchthaus, um euer Sumsen zu hören!" ... schrie das Murmelthier mit +zornrothem Antlitz, stand im Hemde im Hintergrund des Saales gleich dem +Rachegeist der Hausordnung und trommelte wüthend auf dem +zusammengeschrumpften Schmeerbauche herum.</p> +<p>"Ob <i>Ihr</i> auf der Stelle in Euer Nest geht? Ob ich kommen soll? Wartet +nur, das wird Euch eingetränkt! Die Ruhe auf solche Weise stören, Nachts um +Zwölfe krakehlen, als ob Ihr der Gockler in diesem Saale wäret?!["]</p> +<p>Ob dieser Philippika streckte Mancher den Kopf in die Höhe, der Aufseher, +der alte Moritz stand mit rothem Kopfe unter dem Guckfenster, sein grauer +Schnurrbart richtete sich in die Höhe, wie die Stacheln eines +Stachelschweines, das seinen Feind erschießen will. Das erschrockene +Murmelthier, ein wahres Bierfaß auf zwei wandelnden ungeschälten Stecken +rannte mit einem Harrassprunge in das Bett, die Bretter brachen zusammen +und jammervoll saß der Edle auf den Trümmern seines Glückes, nachdem er +dreimal von oben nach unten gekugelt!</p> +<p>"Herr Moritz entschuldigen, <i>nicht</i> mein College da war der +Ruhestörer, sondern <i>die</i> dort hinten, vor Allem der Duckmäuser, der +nicht eine Minute schweigt und all meine Warnungen verachtet, weil er mich +nicht als legitimirten Aufseher des Schlafsaales anerkennt. Er hat den +Donat zum Plaudern verführt und dann den Patrik! ... Offenheit ist meine +Sache, der Wahrheit die Ehre, an Zeugen wird's nicht fehlen! ... Es wird +ruhig sein, ich garantire Ihnen, mein Herr!" Diese Rede des Spaniolen +besänftigt den alten Moritz, der sich mit der ernsten Mahnung ans Strafbuch +in den Gang zurückzieht.</p> +<p>"Oh, wäre ich in einer Zelle, der Kerl wird sonst noch kalt durch mich!" +murmelt der Duckmäuser und knirscht mit den Zähnen.</p> +<p>"Der Spaniol ist ärger als die Apel, der Teufel soll ihm heute Nacht noch +das Genick brechen!" sagt der Donat leise vor sich hin.</p> +<p>"Siehst du, Donat, die Constellation? Morgen gehts wieder ins schwarze Loch +mit Hungerkost und Gänsewein, Alles von wegen der +Strohlshagelsconstellation!" ... "O Vater, du Hornvieh, ich möchte dich +noch unterm Boden auf den Grund schlagen, du bist schuld an Allem!"... +seufzt der Patrik und kehrt sich auf die andere Seite.</p> +<p>"Wann, o wann hört der Lärm und Gestank dieser Marterhöhle für mich auf!" +flüstert Martin der Wirthssohn leise vor sich hin und läßt einen tiefen +Seufzer fahren, während die Augen trostlos durch die vergitterten Scheiben +in die sternenleere, schwarze, traurige Regennacht hinausstarren.</p> +<p>Von jetzt an vernimmt man nur noch das Schnarchen des Murmelthieres aus dem +Abgrunde der zerbrochenen Bettlade sammt dem Geschnarche eines halben +Dutzends Anderer, die schwer gearbeitet oder den Schnupfen haben. Einige +reden im Schlafe, weinen, fluchen, schlagen um sich und der schwere, +schwüle Dunst dieses Saales tragt wohl dazu bei, auch die Traumwelt der +Gefangenen mit wilden, düstern Gestalten und Bildern zu bevölkern. Aus +jenem Verschlag im Hintergrunde, dem von Zeit zu Zeit Einer zuschleicht, +wehen Moderdüfte über die Schläfer.</p> +<h3><a name="10"></a>Bruchsal.</h3> +<p> +Wer auf der Eisenbahn zwischen der altberühmten Musenstadt Heidelberg und +dem schönen Karlsruhe fährt, wird selten ermangeln, bei der Station +Bruchsal nach einem großen Bau hinüberzuschauen, welcher gleichzeitig an +die Pracht und an das Elend unseres Jahrhunderts mahnt.</p> +<p>Er sieht einige freundliche Häuser durch einen baumlosen Garten geschieden, +in gleichen Abständen hinter einander stehend, an eine hohe graue Ringmauer +sich anlehnend, die mit Thürmen besetzt ist, zwischen denen Schildwachen +auf und abgehen. Vom Thore führt ein mit Schieferplatten gedecktes Gebäude +einem Thurme zu, von dessen hohen Zinnen der Blick weithin durch die +Rheinebene bis Mainz schweifen mag und von diesem Thurme mit seinen im +Sonnenglanz blitzenden großen Fensterscheiben strahlen vier lange, aus +röthlichen Sandstein errichtete Gebäude aus, alle gleich hoch, alle mit +derselben Anzahl länglicher, vergitterter Fenster und Stockwerke versehen. +Das Ganze erinnert an eine mittelalterliche Burg oder noch eher an die aus +dem Revolutionskrater des Jahres 1789 verjüngt erstandene Bastille, welche +aus dem Völkerbienenstock und Wespennest Paris in das stille, +idillischschöne Rheinthal wanderte. Es lehnt sich an einen niedern +Höhenzug, von welchem Weinberge, Obstbäume, Felder und Matten starr +hinabschauen in das fremdartige, geheimnißvolle Leben, welches sich in den +Höfen still und einförmig hin und her bewegt.</p> +<p>Diese mit großen Kosten, aber auch für Jahrhunderte errichtete Masse von +Gebäuden, gleichsam den Anfang einer neuen und großartigen Vorstadt +Bruchsals abgebend, bildet ein Ganzes, dessen Beschreibung uns um so mehr +überzeugte, daß wir ein zu Stein gewordenes Abbild der Idee der +Zweckmäßigkeit vor uns haben, je mehr jene ins Einzelnste einginge.</p> +<p>Hier ist wohl der <i>einzige</i> Platz in Deutschland. <i>wo die +Einzelnhaft mit jener Folgerichtigkeit durchgeführt wird, welche die Härten +des amerikanischen Systems vermeidet, ohne den Grundgedanken der +vollkommenen Trennung der Gefangenen zu beeinträchtigen.</i></p> +<p>Es ist ein Wunderbau und ein großer, fruchtbarer Gedanke in ihm lebendig +geworden, der Gedanke, <i>die Gesellschaft nicht nur vor ihren Feinden zu +bewahren, sondern diese oft weit mehr unglücklichen als verbrecherischen +Feinde zu beständigen Freunden der Menschheit und Gottheit zu machen.</i></p> +<p>Die ersten unvollkommenen Anfänge eines derartigen Baues entstanden in der +Quäkerstadt jenseits des Meeres; die Ersten, welche das einzigrichtige +Mittel ergriffen, um die für die Gesellschaft und die Verbrecher gleich +großen Gefahren des gemeinschaftlichen Zusammenlebens der Sträflinge +abzuwenden, waren Männer, welche noch heute zu den Edelsten unseres +Geschlechts gezählt werden und deren Ruhm in einem bessern Jahrhundert den +zweideutigen Ruhm der meisten Kriegshelden so hoch überfliegen wird, als +der völkerbeglückende Geist christlicher Liebe über der finstern +Gewaltthätigkeit thierischer Rohheit und Selbstsucht steht.</p> +<p>Noch niemals gab es eine große Erfindung, niemals blitzte ein ins +Völkerleben eingreifender neuer Gedanke auf, wogegen sich nicht zahllose +Widersacher erhoben hätten. Jede neue Erfindung und Einrichtung ist eine +Kriegserklärung gegen diejenigen, welchen dadurch ins Handwerk gegriffen +wird, deren Nutzen, Eitelkeit, Denkfaulheit, bequeme Gewohnheiten bedroht +erscheinen. Ungefährlich werden die Liebhaber des alten Schlendrians, je +mehr die Zeit eine neue Erfindung oder Einrichtung bewährt. Je weniger +Bürgschaften für solche Bewährung vorliegen, desto schwankender, +zweifelhafter, unentschiedener werden dann auch diejenigen sich verhalten, +deren Besonnenheit und weitschauender Blick sich nicht damit verträgt, das +schadhafte Alte mit ungeprüftem Neuen zu vertauschen, insbesondere wenn das +Alte noch verbesserlich erscheint und das Neue nur mit großen Opfern und +Gefahren eingeführt zu werden vermag.</p> +<p>In Amerika ist die Verwerfung gemeinsamer Haft längst entschieden und der +Streit dreht sich dort nur noch um die Frage, ob die <i>scheinbare</i> und +<i>halbe</i> Trennung der Gefangenen durch das sogenannte Schweigsystem +oder die <i>wirkliche</i> und <i>vollständige</i> durch das System +absoluter Vereinzelung räthlicher und fruchtbringender sei, eine Frage, +welche auffallend erscheinen würde, wenn man nicht wüßte, daß die Erfahrung +viele Bedenken, Vorurtheile und Gefahren der einsamen Haft wirklich oder +scheinbar bestätigte.</p> +<p>Einerseits wurden die Forderungen und Erwartungen zu hoch gespannt, +anderseits die Leistungen zu gering befunden, weil eben die Lösung der +Frage der einsamen Haft nur durch Versuche allmählig geschehen und dabei +nicht leicht vermieden werden kann, daß verkehrte Maßregeln und untaugliche +Leute den Vielen Waffen in die Hand geben, die das Kind gerne mit dem Bade +ausschütten.</p> +<p>England und Frankreich mit andern Ländern, in Deutschland Preußen voran +scheinen von der Unverbesserlichkeit der gemeinsamen Haft längst überzeugt; +jenes sendet seine Verbrecher mit altgewohntem Krämergeiste baldmöglichst +nach Australien, um jene einst so glücklichen Eilande mit dem Gifte +europäischer Verdorbenheit zu beglücken und sich selbst das zweibeinige +Ungeziefer weit vom Leibe zu schaffen; die Franzosen ergriffen den Gedanken +der einsamen Haft mit gewohnter Lebendigkeit und führten ihn an manchen +Orten ins Leben, doch einerseits würde die allgemeine Einführung der +Zellenhaft viele Millionen verschlingen und anderseits tobte die +federnmordende Feldschlacht zwischen Liebhabern des Schweigsystems und der +Zelle, wobei sich die Anhänger des Alten und Bestehenden vergnüglich die +Hände rieben und sich hinter das Flicken machten.</p> +<p>In Preußen zunächst, wo die Regierung auch im Gefängnißwesen Großes leistet +und wacker für Vereine für entlassene Gefangene kämpfte, hat der edle +Julius insbesondere eifrig gewirkt für einsame Haft. Es wurden +Zellengefängnisse nach englischem Muster gebaut, die folgerichtige +Durchführung der einsamen Haft leider auch nach englischem Muster +aufgegeben. Einzelne in andern Ländern redeten und schrieben Vieles von +bisher unentdeckten Verbesserungen der gemeinsamen und noch weit mehr von +der abscheulichen Kostspieligkeit und der menschenmörderischen +Abscheulichkeit der Einzelhaft.</p> +<p>In allen Ländern Europas erhoben sich die edelsten und gelehrtesten Männer +<i>für</i> seltener auch <i>gegen</i> die Einrichtung, gegen deren +Einführung der Kostenpunkt die einleuchtendste und beliebteste Einwendung +blieb.</p> +<p>Daß in einer so wichtigen Frage nicht nur die Vernunft, sondern manchmal +auch die Leidenschaft im Humanitätsmantel das Wort ergriff, viel Sinnloses, +Unwahres und Lächerliches zu Tage gefördert, Mücken zu Elephanten gemacht +und die altberühmten Hochschulen des Lasters, nämlich die alten Zuchthäuser +als wahre Tugendschulen angerühmt wurden, versteht sich von selbst und mehr +als Einer brütete ein sogenanntes "System" aus, das auf den Gedanken +hinauslief: "wenn <i>alle</i> Gefängnißbeamte <i>meine</i> Erfahrung und +<i>meinen</i> Geist hätten, um <i>meine</i> Klassen unfehlbar +durchzuführen, dann wäre aller Noth ein Ende gemacht!" Hätten doch diese +"Systematiker" ins eigene oder ins nächste beste Eheleben hineingeschaut, +wo die <i>Gewohnheit des Umganges</i> gegen Schattenseiten der Gatten und +Kinder <i>abstumpft</i>, dann bedacht, daß ihre Pfleglinge Leute voll +Irrthümer, Fehler, Leidenschaften und Laster, das vom Gesetz erzwungene +Beisammenleben ein vielköpfiges, leidenvolles und verdrießliches, jedes +gute Beispiel von vornherein ein zweideutiges sei, sie würden endlich doch +den eigentlichen Grundfehler aller gemeinsamen Haft, die <i>unabwendbare +mehr oder minder völlige Abstumpfung gegen Recht, Sitte und Religion</i> +gemerkt und endlich eingesehen haben, daß die Besserung nicht aus Tabellen +der Rückfälligen bewiesen werde, für schlechte Gesellschaft kein Kräutlein +gewachsen sei und ein schlechter Kerl der Gesellschaft schweren Schaden +bringen könne, ohne deßhalb wiederum den Männern des Rechts in die Haare zu +gerathen.</p> +<p>Nicht zweideutige Listen von Rückfälligen, sondern getreue und +gewissenhafte Berichte über das Leben und Treiben aller Entlassenen möchten +entscheiden, ob die Besserung in gemeinsamer Haft kein Unding und in +einsamer kein schöner Traum gutmüthiger Menschenfreunde sei! ...</p> +<p>In Preußen wie in Baden sind die Strafanstalten, in welchen gemeinsame Haft +besteht, wohl so gut eingerichtet und verwaltet, als in Baiern oder +anderswo, in manchen Dingen vielleicht noch weit besser, obgleich kein +großes Geschrei damit gemacht wird—doch die uralten Erbschäden jener +Haftart lassen sich nie und nimmermehr beseitigen. Was unser Baden +insbesondere betrifft, so lese man den vortrefflichen Commissionsbericht +Welkers, die Verhandlungen in den Kammern der Landstände, die Schriften der +Herren Mittermaier, v. Jagemann, Diez und Anderer, um sich zu überzeugen, +daß die badische Regierung sich ein Verdienst um die deutschen Lande, um +die Menschheit und bei Gott erwarb, als sie das Zellengefängniß in Bruchsal +erbaute und einrichtete, welches jetzt über 5 Jahre Gefangene beherbergt +und die einsame Haft, wie dieselbe in Deutschland sich durchführen läßt, +unter den mißlichsten Umständen zu Ehren bringt.</p> +<p>Bestände die Besserung darin, daß die Gefangenen sich nicht beim +Uebertreten der Hausordnung erwischen lassen und fleißig arbeiten, dann +wäre es unnöthig gewesen, ein kostbares Zellengefängniß nach dem Muster von +Pentonville aufzubauen, weil Folgsamkeit und Fleiß bei der überwiegenden +Mehrzahl der Gefangenen jeder nicht ganz unmenschlich und hirnlos +geleiteten andern Anstalt angetroffen werden.</p> +<p>Der großartige Bau zu Bruchsal hat großartige Summen gekostet, die +Unterhaltung der Anstalt bleibt kostspieliger als diejenige eines andern +Zuchthauses, wiewohl der Gewerbebetrieb in einer Weise blüht, wie nirgends, +deßhalb wird die Frage entstehen, ob die Früchte solcher Opfer werth seien?</p> +<p>Die Thatsache, daß es Rückfällige gibt, möchte verleiten, die Frage mit +Nein zu beantworten und vom Versuchen mit der einsamen Haft abschrecken, +allein nicht die Thatsache an sich, sondern die Ursachen derselben werden +entscheiden und je weniger einerseits diese Ursachen in einem notwendigen +Zusammenhange mit dem Grundsatze des Einzelsystems stehen, je unläugbarer +anderseits die erfreulichen Folgen des Systems vorwiegen, desto mehr wird +man obige Frage mit Ja beantworten müssen.</p> +<p>Weßhalb?</p> +<p>Kehren wir zu unsern Geschichten zurück.</p> +<p>Ein kalter, nebliger Herbstmorgen schaut über das Rheinthal, die Thurmuhren +von Bruchsal schlagen halb fünf Uhr und lange Reihen erleuchteter +Fensterchen leuchten in die nächtliche Gegend hinaus und erregen wehmüthige +Gefühle dem Menschenfreunde, der die dunkeln Umrisse des Zellengefängnisses +bei der Wanderung aus Bruchsal gen Ubstadt erkennt oder den langgedehnten +Ruf der Schildwachen vernimmt, der klagend von der hohen Ringmauer +herabtönt. Hinter jedem dieser vergitterten Fenster lebt ein menschliches +Wesen, ein Lebendigbegrabener und büßt viele Monde, viele Jahre, vielleicht +sein ganzes Leben lang eine That, der Du Dich vielleicht unter gleichen +oder auch nur ähnlichen Lebensverhältnissen ebenfalls schuldig gemacht +hättest. Er lebt einsam und wie viel liegt in dem Worte einsam!</p> +<p>Auch Du liebst zuweilen die Einsamkeit, hast wohl Zimmermanns schönes Buch +über dieselbe gelesen, doch vor gezwungener beständiger Einsamkeit +schauderst Du zurück, denn Du weißt ohne den Hugo Grotius jemals gelesen zu +haben, der Mensch sei keineswegs für ertödtende Einsamkeit, sondern für die +Gesellschaft geboren, er werde nicht durch Vereinzelung sondern durch +Mithülfe seiner Nebenmenschen Mensch.</p> +<p>Kurzsichtiges Wohlwollen macht Dich geneigt, den Gegnern der einsamen Haft +beizustimmen, wenn dieselben predigen, solche Haftart sei "unseres +Jahrhunderts und der Menschheit unwürdig!"</p> +<p>Für Jeden, der niemals selbst gefangen war, bleibt es schwer, sich in die +Lage eines Gefangenen und vor Allem eines Zellengefangenen vollständig +hineinzudenken; in dieser Schwierigkeit finden wir den vornehmsten Grund, +weßhalb es zahlreiche Gegner der Einzelhaft gibt und weßhalb manche +Wortführer derselben mit den aberwitzigsten Behauptungen und krassesten +Vorurtheilen Anklang bei hochgebildeten, religiösgesinnten und +einflußreichen Leuten, geschweige beim gewöhnlichen Volke finden.</p> +<p>Die Durchführung der einsamen Haft ist eine Aufgabe, deren Lösung nur +<i>allmählig</i> geschehen und je nach den Eigenthümlichkeiten eines Landes +und Volkes sich mehr oder minder eigenthümlich gestalten wird.</p> +<p><i>Sklavische Nachahmung ausländischer Gefängnisse</i> mögen in Verbindung +mit der <i>sorglosen Wahl der Beamten und Aufseher</i> der guten Sache der +Einzelhaft bisher wohl den meisten Eintrag gethan und in Preußen vielleicht +den hauptsächlichsten Anlaß zur Verpfuschung des Systems abgegeben haben.</p> +<p>Das Zellengefängniß zu Bruchsal wurde bekanntlich nach dem Muster von +Pentonville erbaut und eingerichtet, doch sahen wir mit eigenen Augen, wie +sehr alle gemachten und reifenden Erfahrungen benutzt und allmählige +Verbesserungen eingeführt wurden, welche namhafte Verschiedenheiten +zwischen dem englischen Muster und dem deutschen Abbilde begründen.</p> +<p>Der Duckmäuser lebt seit 4 Monden in einer Zelle, sein Haß gegen den +Spaniolen führte den Anlaß zur Versetzung dieses langjährigen Gefangenen +herbei; mit düstern Ahnungen sah er die eiserne Thür der Bruchsaler +"Bastille" hinter sich schließen, doch seine Ahnungen haben sich diesmal +nicht erfüllt, vielmehr hat die einsame Haft einen Schimmer von Glück über +das Stillleben dieses Unglücklichen verbreitet. ...</p> +<p>Schlag halb 5 Uhr erwachte er aus einem erquickenden Schlafe, sprang aus +dem Bette, dessen Seegrasmatratze ihm trotz der Härte ganz anders mundet, +als das ebenfalls harte und bald zerriebene Stroh seiner altgewohnten +Lagerstätte.</p> +<p>Während er sich bemüht, Kopfpolster, Leintücher und Teppich in die +vorgeschriebene Ordnung zu legen, vernimmt er den Wiederhall der +Wasserkrüge, welche der Hausschänzer draußen auf dem Gange auf die +steinernen Platten stellt, das sich stets wiederholende Rauschen des +Brunnens, die Schritte des Aufsehers, der eine Zelle nach der andern +aufschließt.</p> +<p>Jetzt öffnet sich die Thüre von Nro. 110, der Aufseher tritt mit der Lampe +herein, zündet das Licht an, welches auf dem eichenen Tische steht, +ergreift die vordere Stange des in starken Riemen hängenden Bettes, +schließt dasselbe an die Wand, wodurch der Raum der Zelle um ein Namhaftes +vergrößert wird und entfernt sich mit dem Wasserkruge des Gefangenen.</p> +<p>Dieser schließt zunächst den aus 2 Tafeln bestehenden Tisch—die vordere +dieser Tafeln ist mit schwarzem Firniß überzogen und man sieht darauf die +Figuren des pythagoräischen Lehrsatzes sammt den halbverwischten Zahlen +einer Rechnung—ebenfalls an die Wand, thut Gleiches mit dem Bänkchen, +welches ziemlich unzweckmäßig unsern Benedict zwingt, dem durch das Fenster +herabdringenden Lichte den Rücken zu kehren und während er einige +Augenblicke in den sternenlosen Nebelmorgen hinausblickt, benützen wir die +Zeit, um uns ein bischen in diesem Raume umzuschauen.</p> +<p>Die Zelle ist hoch und bildet ein längliches Viereck, dessen gewölbte Decke +gut geweißelt, dessen Wände mit hellem Grün angestrichen sind und dem +Bewohner gestatten, 8-9 Schritte in die Länge und 4 in die Breite zu thun, +wenn es denselben beliebt, in gerader Richtung zu gehen anstatt durch die +schräge den Weg zu verlängern. Rechts von der Thüre ist das Bett an die +Wand angeklappt, weiter hinten befindet sich ein Kleiderrechen, dort hängt +am Nagel ein langer Stock, vermittelst dessen der Gefangene in den Stand +gesetzt wird, den obern Flügel seines Fensters beliebig zu öffnen. Die +Fensterscheiben sind gut verbleit, die obern hell und rein, die untern hie +und da von geripptem oder geblendetem Glase.</p> +<p>Ein Schrank steht auf der entgegengesetzten Seite links von der starken, +rothbraun angestrichenen Thüre, an der sich ein Glockenzug, oben die +eingeklammerte Nummer der Zelle, unten eine Vorrichtung befindet, welche +Jedem gestattet, die ganze Zelle von Außen zu überschauen, während der +Gefangene nichts davon bemerkt, sich folglich in jedem Augenblicke +beobachtet glauben darf. Der Schalter in der Thüre bleibt geschlossen, wenn + +der Aufseher nicht etwa Essen und Trinken oder Werkzeuge hereingibt und die +Thüre selbst kann nur von Außen geöffnet werden. Oben auf dem genannten +Schranke stehen Schreibmaterialien und Bücher, im obersten Gesimse +desselben der Wasserkrug, an welchem gleichfalls die Zellennummer hängt, +unten ein kleiner Verschlag, in welchem die Eßgeräthe sammt dem Brode +verschlossen werden, unten dran steht eine blecherne Waschschüssel; Seife +und Kamm liegen neben Aufputzlumpen und zur Seite hängt ein Kehrwisch sammt +Schäufelchen. Hinter dem aufgeklappten Tische und Bänkchen steht eine +Hobelbank und der übrige Theil der Zelle wird durch Bretter, Klötze, +Werkzeuge und angefangene Arbeiten aller Art ausgefüllt. Erwähnen wir noch, +daß die Hausordnung an der Wand durch einen grünen Lichtschirm theilweise +bedeckt wird und unter derselben ein biblischer Kalender sammt einem +Stundenplan für Schule und Kirche hängt, so haben wir so ziemlich alle +Gegenstände beschrieben, die sich im Bereiche des Duckmäusers befinden, +wenn wir die mit Draht eng übersponnenen Oeffnungen für frische und +erwärmte Luft nicht vergessen, welch' letztere Oeffnung durch einen +Schieber von Eisenblech beliebig geöffnet und geschlossen werden kann.</p> +<p>Numero Hundertzehn, wie der Vatermörder fortan heißen soll, hat sich +gewaschen, vielleicht ein leises Gebet dazu gemurmelt und hängt das +Handtuch an den Rechen, als der Aufseher den Schalter öffnet und den +gefüllten Wasserkrug hereingibt. Jetzt wird die bekannte Stimme eines +Obermeisters im Gange hörbar, der Gefangene spitzt die Ohren und ergreift +einen Hobel oder eine Säge oder den Polierlumpen, um an seine Arbeit zu +gehen.</p> +<p>Um 6 Uhr rufen die Schildwachen auf der Ringmauer abermals ihr eintöniges +Wer da; draußen wird es heller und heller, die Spatzen jagen sich bereits +aus ihren Nestern, zwitschern vor dem Fenster ihren Morgengruß herein; das +Oeffnen schwerer Thüren, das Fahren eines Wagens, die Frühmeßglocken +gewähren dem Ohre des Gefangenen hinreichende Beschäftigung, abgesehen vom +Geräusche der Arbeit, den Schritten des über dem Kopfe weggehenden +Mitgefangenen, dem Lärm im Gange, dem zeitweiligen Geschelle, welches die +Gefangenen eines andern Flügels oder Stockwerkes in den Spazierhof +einladet.</p> +<p>Abermals öffnet sich der Schalter, der Aufseher reicht ein halbes Laiblein +gutgebackenen, schmackhaften Brodes herein, Nro. 110 langt aus dem +Verschlage ein stumpfes Messer sammt Salzbüchse, beginnt zu essen und +während er kaut, löscht er die Lampe aus, in welcher eine Mischung von +entwässertem Spiritus und Terpentin den Brennstoff bildet, betrachtet den +Kalender und streicht ruhig den gestrigen Tag durch—der lebenslänglich +Verurtheilte träumt von dereinstiger Befreiung und hat seine Gefängnißtage +zählen gelernt, er glaubt, daß ihn jeder Strich im Kalender der schon 10 +Jahre entbehrten Freiheit näher bringe:</p> +<p> Die Welt wird alt und wieder jung! + Der Mensch hofft immer Verbesserung!</p> +<p>Jetzt läutet's auch hier in den Hof. Nro. 110 schließt den Schieber der +Luftheizung, öffnet das Fenster, zieht den Zwilchkittel an über das wollene +Unterwammes, ergreift die blecherne Nummer ob der Thüre, hängt dieselbe in +ein Knopfloch und setzt eine blauwollene Mütze auf, deren mit 2 +Augenlöchern verzierter Schild herabgelassen werden muß und den größten +Theil des Gesichtes bedeckt, so daß kein Gefangener das Angesicht des +Andern zu sehen im Stande ist. Diese Mütze macht unstreitig einen +peinlichen Eindruck auf fremde Besucher und in der ersten Zeit auch auf den +Gefangenen, doch ist letzterer bald daran gewöhnt und während der Schaden +nicht zu finden ist, welchen diese Mütze bringt, läßt sich ihr Nutzen desto +besser absehen und wozu ohne Noth Etwas beseitigen, was für den Grundsatz +der <i>vollkommenen Trennung der Gefangenen</i> wesentlich ist? Man hat +zwar noch niemals erlebt, daß die Leute einander durch ihr bloßes +flüchtiges Anschauen mit ihren Fehlern anstecken und läßt sich nicht +läugnen, daß ein Zellenbewohner den vor ihm Hergehenden möglicherweise +trotz der Maske am Gange und den Umrissen der Gestalt erkennt, allein +Dreierlei läßt sich ebenfalls nicht läugnen, nämlich daß erstens die Maske +jedenfalls dazu beiträgt, Anknüpfung von Bekanntschaften zu erschweren, +ferner den Gefangenen vor den Blicken neugieriger Besucher der Anstalt +beschützt und endlich den großen Vortheil bietet, daß er nach der +Entlassung nicht leicht Zuchthausbrüder trifft, welche ihn erkennen und in +unangenehme oder gefährliche Lagen versetzen.</p> +<p>Zudem trägt der Gefangene die vielbeschrieene Maske, die von Dickens +überschwänglicher Einbildungskraft seltsam genug ein "Grabhemd" genannt +wird, nur auf dem Wege in Hof, Badzellen, Schule oder Kirche, somit selten +länger als einige Minuten.</p> +<p>Jetzt öffnet sich die Thüre von Nro. 110, Nro. 109 ist bereits 10-15 +Schritte voraus und 110 folgt ihm in der Art, daß der Abstand vom +Hintermann 111 ebensoviele Schritte beträgt.</p> +<p>Lauernd steht der Aufseher des dritten Stockwerkes an einem Platze, von wo +aus ihm nicht die leiseste Bewegung der in den Spazierhof gehenden Bewohner +des ersten Stockwerkes zu entgehen vermag und wenn Einer seine Schritte +nicht gehörig beschleunigt oder gar Lust zum Umherschauen zeigt, verweist +ihn die Stimme des Aufpassers augenblicklich in die Schranken der +Hausordnung.</p> +<p>Nro. 110 eilt durch den Gang die Treppe hinab in den Hof. Eine frische +Morgenluft weht von den Hügeln herüber, dessen Bäume mit ihren vielfarbigen +Blättern, dessen Weinberge und blumenlose Wiesen ihn an die Herbstmorgen +auf dem Lande mahnen. Krächzend eilen einige Raben dem Walde zu, er hört +das Krähen einiger Hähne in der Nachbarschaft, das unaufhörliche Gezänke +zahlreicher Vögel im Hofe und auf dem Dache. Die Bäume, Sträucher und +Blumen, die Holzstöße und Faßdaubenpyramiden im Hofe dieses Flügels— +dieser ganze Anblick gewährt einen Schimmer von Freiheit.</p> +<p>Schon ist Nro. 110 in das runde Häuschen eingetreten, von welchem die +zahlreichen, etwa 10´ hohen Mauern der Spazierhöfe ausstrahlen, welche +vielleicht mit einer versteinerten Sonnenblume verglichen werden können, +deren meiste Blätter in regelmäßigen Zwischenräumen herausgerissen wurden.</p> +<p>Nro. 110 eilt in den bereits offenstehenden, für ihn bestimmten Spazierhof, +dessen eine Mauer mit einem ziemlich langen Regendache von Eisen, dessen +beide Mauern an ihrer Mündung durch ein hohes eisernes Gitter verbunden +sind und dessen Boden mit gelblichem Sande aufgefüllt ist.</p> +<p>Eifrig eilt er zwischen dem Gitter und dem geschlossenen Thürchen hin und +her, schaut zuweilen nach den Wolken, die grau und schwerfällig gegen +Westen ziehen, nach der Schildwache, die in ihren Mantel gehüllt still und +stumm von der Ringmauer herabschaut, um den visitirenden Korporal oder die +Ablösung zu erwarten oder nach dem Zellenflügel, dessen Fenster im matten +Scheine des über die Berge schauenden Morgenrothes schimmern oder er +verfolgt den trägen Gang der Spinne, eines andern Insectes, welches an der +Mauer herumkriecht.</p> +<p>Oben in seinem Häuschen hört er den Aufseher hin- und hergehen, der alle +Spazierhöfe und Spaziergänger mit Einem Blicke oder Einer Wendung +überschaut, hört die eiligen Schritte der Nebenmänner und diese Art von +Mittheilung ist wohl die einzige, welche in den Spazierhöfen stattfindet.</p> +<p>Die Wände zu verschreiben, Zettel in den nächsten Hof zu werfen, ein Duett +im Husten anzustimmen sind Dinge, welche so wenig ungeahndet bleiben, als +wenn Einer von seinem Zellenfenster in den Hof herabschaut.</p> +<p>Jetzt wird geschellt, die halbe Stunde des Spazierganges ist vorüber, in +derselben Ordnung, wie die Gefangenen gekommen, gehen sie auch wieder in +ihre Zellen zurück.</p> +<p>Nro. 110 hat Fenster und Thüre offengelassen, die Zelle ist vollständig +gelüftet, er schlägt die Thüre zu und geht daran, den Boden zu reinigen, +der aus Ziegelplatten besteht. Durch das viele Gehen löst sich von diesen +Ziegelplatten ein feiner Staub ab, der jedoch nur dann sehr ungesund werden +mag, wenn der Zellenbewohner ein unreinlicher Bursche ist, was bei den +Falkenblicken des Obermeisters und Aufsehers nicht wohl angeht.</p> +<p>Unser Gefangener reinigt die Zelle, schließt das Fenster, öffnet den +Schieber der Luftheitzungsöffnung aus welcher eine wohlthuende Wärme +herausströmt und geht dann wieder an seine Arbeit.</p> +<p>Abermaliges Schellen, das Zuschlagen der Schalter der Zellenthüren +verkündiget die Austheilung der Morgensuppe; Nro. 110 rüstet sein +Schüsselchen, der Aufseher öffnet den Schalter, füllt dasselbe und schlägt +rasch wieder zu, um weiter zu gehen.</p> +<p>Der Zellenbewohner ißt und arbeitet dann mehrere Stunden; von Zeit zu Zeit +tritt ein Werkmeister oder Aufseher herein und bleibt einige Augenblicke, +um Etwas anzuordnen oder nachzuschauen.</p> +<p>Um 10 Uhr öffnet sich die Thüre, der Director mit seinem freundlichen, +wohlwollenden Gesichte tritt herein.</p> +<p>Jene Art von Besuchen, wie sie in England gang und gäbe sind, wo der +Aufseher die Thüre aufreißt, der Beamte sein stereotypes: <u>"is all +right?"</u> herabschnurrt und sofort weiter geht, wenn der Gefangene nicht +ein besonderes Anliegen vorzubringen hat—solche Besuche, welche lediglich +einer polizeilichen Controlle entsprechen, sind für den Gefangenen fast +werthlos, für den Beamten sehr bequem, in Bruchsal glücklicher Weise +unbekannt.</p> +<p>Besuche der Beamten tragen hier den Charakter einer Wohlthat an sich, sind +ein mächtiges Mittel der Erholung, geistigen Anregung, Bildung, Versöhnung +mit der Strenge des Schicksals und der Gesetze, der Besserung. Täglich in +viele Zellen eilen, welche die verschiedenartigsten Menschen beherbergen, +die verschiedenartigsten Gemüthsstimmungen antreffen, sich Lunge und Leber +herausreden, aus verschiedenartig erwärmten Zellen in die eisige Zugluft +der Gänge hinaustreten, Gerüche aller Art und Staub ebenfalls einathmen—es +ist ein Geschäft, das im Laufe weniger Jahre die Gesundheit des kräftigsten +Mannes erschüttert, ein Geschäft, welchem sich schwerlich Einer unterzöge, +der nicht eine bedeutende Portion ursprünglicher Menschenliebe im Herzen +hat.</p> +<p>Was bei andern Gefangenen selten oder nie der Fall sein wird, ist bei +Zellenbewohnern der Fall: die ins Einzelnste gehende Controlle jedes +Einzelnen, das Lesen seiner Untersuchungsakten, Briefe und Besuche unter +vier Augen gewähren dem einsichtsvollen Beamten eine mehr oder minder +vollständige Kenntniß jedes einzelnen Gefangenen.</p> +<p>Dieser müßte ein Heuchler erster Größe sein, wenn er mondenlang, jahrelang +eine falsche Rolle spielen, sich nicht <i>unwillkürlich</i> in seinen +Reden, Geberden, Handlungen als derjenige zeigen sollte, welcher er +wirklich ist. Er wird offen, vertraulich, manchmal bis zur Unverschämtheit +offen und vertraulich gegen die Beamten aus dem ganz einfachen und +einleuchtenden Grunde, <i>weil er keine andere Gesellschaft hat.</i> Wo +Sträflinge beisammen leben, kann der Beamte sich nicht leicht mit Einzelnen +besonders abgeben, muß Einen wie den Andern behandeln und der Gefangene +findet gar keinen Grund, weßhalb er einem Beamten Blicke in sein Innerstes +gestatten, sich dadurch in den Augen desselben herabsetzen sollte, zumal +das natürliche Interesse ihn auffordert, nur seine Lichtseiten leuchten zu +lassen, um sich Wohlwollen zu erwerben. So gewöhnlich Verstellung und +Heuchelei in gemeinsamer Haft sind, so leicht eine mehr oder minder falsche +Rolle hier mit Glück gespielt werden mag, weil der in der Heuchelei +liegende Zwang nur ein sehr vorübergehender ist—so selten mag in +Zellengefängnissen in die Länge und mit Glück geheuchelt werden. Es wird +für den Zellenbewohner zur psychologischen und moralischen Nothwendigkeit, +sich so zu geben, wie er ist und dieses setzt die Beamten in Stand, +<i>Jeden nach seiner eigenthümlichen Art und Weise zu behandeln.</i> Je +mehr aber Einer nach seiner Art und Weise behandelt wird, desto mehr wird +er uns seine Zuneigung und sein Vertrauen zeigen.</p> +<p>Durch nachläßige, taktlose oder unmenschliche Behandlung der Zellenbewohner +von Seite der Beamten und Angestellten mag wohl die gute Wirkung des +Einzelsystems sich häufig genug in das Gegentheil verkehrt haben und man +bürdete dem System die Schuld untauglicher Angestellten und Beamten auf, +nicht zu vergessen des Wahnes, man bedürfe keiner besondern Bildung, um als +Beamter unter Sträflingen zu wirken, könne jeden Schreiber und Tabellenheld +dazu brauchen ... Ein geistreicher und berühmter Rechtsgelehrter sagte uns +vor einiger Zeit, die einsame Haft sei eine "Pferdekur;" wir stellen +Solches keineswegs in Abrede, meinen jedoch, bei Menschen, welche mehr oder +weniger Thierisches und Unterthierisches an sich tragen, schade eine +Pferdekur wenig und der Schmerz derselben werde um so erträglicher und +fruchtbringender, heilsamer, je geschickter der Arzt sei!</p> +<p>Der Duckmäuser ist heute verstimmt, der Morgen ist so trüb und +unfreundlich, Wind und Wetter, die verschiedenen Zeiten des Tages und der +Nacht, des Jahres, manchmal auch der Wechsel des Mondes üben einen so +großen Einfluß auf das Gemüth Einsamlebender aus!</p> +<p>Er thut heute, was er als alter Gefangener selten oder niemals zu thun +pflegt, fängt nämlich an, nachdem er eine kleine Abhandlung über eingelegte +Schreinerarbeit zum Besten gegeben, über die lange Dauer seiner +Gefangenschaft zu reden und von der Wahrscheinlichkeit, daß er wohl hier +sterben müsse.</p> +<p>Die Hausordnung gibt jedem andern Gefangenen Hoffnung auf Berücksichtigung +von Gnadengesuchen, wenn die Hälfte der zuerkannten Strafe überstanden ist +—doch was geht dies einen Gefangenen an, dessen Todesstrafe in +<i>lebenswieriges</i> Gefängniß umgewandelt wurde? Für ihn ist die Zelle in +der That ein Sarg, er ist ein Lebendigbegrabener und dennoch bleibt er ein +Mitglied der menschlichen Gesellschaft, denkt lieber an die Erde als an den +Himmel und findet in den Besprechungen dieses einen Ersatz für die +Entbehrung der Genüsse, welche jedem Bettler zu Gebote stehen.</p> +<p>Die Einsamkeit vermehrt den Alpdruck des vernichtenden Wortes: +"lebenswierige Gefangenschaft", er hat die Bedeutung dieses schauerlichen +Wortes erst in neuerer Zeit recht fühlen gelernt!</p> +<p>Was soll der Director thun? Dem Unglücklichen den Schein jeder Hoffnung +nehmen und die düstere Stimmung desselben vermehren? Nein, er redet von der +<i>Möglichkeit</i> dereinstiger Befreiung, von Auswanderung nach Amerika +und scheidet aus der Zelle, einen Glücklichen hinter sich zurückzulassen.</p> +<p>Numero Hundertzehn schaut ihm gerührt nach; ist dieser auch nicht im +Stande, ihn dereinst zu befreien, so wünscht er doch, dieses thun zu +können; Theilnahme und Wohlwollen eines Freien und Glücklichen sind aber +für den Gefangenen unschätzbare Güter und die Hoffnung stirbt erst mit ihm.</p> +<p>Er steht vor dem Kalender, trägt nicht übel Lust, den heutigen Tag roth +anzustreichen, doch läßt er es bleiben und greift frischer und muthiger als +je nach seinem Hobel und je näher die Einbildungskraft das Jahr der +Befreiung herbeizaubert, desto ärger hobelt er darauf los!</p> +<p>Abermaliges Schellen, Aufschließen der Zellenthüren, Herausmarschiren +vieler Gefangenen. Es ist eilf Uhr, heute wird Religionsunterricht für +Katholiken ertheilt, die Religionsstunde der Evangelischen ist bereits +vorüber. Bald kommt die Reihe des Marsches an Numero 110; noch einige +eilige Hobelstöße, dann rüstet er sich wieder aus, wie zum Gange in den +Hof, jetzt öffnet sich die Thüre abermals und 110 eilt 109 nach durch den +Gang, viele scharfbewachte Stiegen hinauf in die Kirche.</p> +<p>Die amphitheatralisch gebaute Kirche des Zellengefängnisses zu Bruchsal zu +beschreiben, wäre zu weitläufig; es genügt zu wissen, daß jeder Gefangene +seinen besondern Verschlag hat, eine Art Miniaturzelle, welche ihm das +Sitzen, Knieen und Stehen gestattet und so eingerichtet ist, daß Keiner den +Andern, Jeder den Altar, die Kanzel, den Priester, einzelne Aufseher zu +sehen vermag, denen keine seiner Bewegungen entgeht.</p> +<p>Numero 110 hängt die Zellennummer an ihrem bestimmten Platze auf und bald +erscheint der Geistliche auf der Kanzel, um den Religionsunterricht zu +beginnen.</p> +<p>Derselbe pflegt gewöhnlich in einer Reihe zusammenhängender Vorträge dieses +oder jenes Buch des neuen Testamentes zu erklären, doch seit einiger Zeit +belehrt er über die heiligen Sakramente der Buße und des Abendmahles und +macht den klaren, schönen Vortrag durch das Einmischen von Stellen aus den +Werken namhafter Gottesgelehrten noch anziehender, nicht ohne die +Einwendungen und Angriffe der hauptsächlichsten Gegner der katholischen +Lehre zu berühren und mit jener eindringlichen Ruhe abzuweisen, welche die +Frucht eigener tiefer Ueberzeugung ist.</p> +<p>Heute behandelt er insbesondere die wahrhafte, wirkliche und wesentliche +Gegenwart Christi im Abendmahle, eine Lehre, welche Allen, die die Liebe +nicht vollkommen verstehen oder die Wirkungen dieses hochheiligen +Sakramentes nicht an sich selbst empfunden haben, unbegreiflich, sinnlos, +ja als eine Herabsetzung und Entwürdigung Gottes erscheint, während die +Andern den Triumpf der Religion in ihr vollendet sehen.</p> +<p>"Will gar nicht verlangen, daß Gott mit mir Eins und ich selbst dadurch +gottähnlich werde, dürfte ich nur menschenähnlich sein und beim +Straßenbasche als der ärmste Taglöhner leben! ... Um mich hat sich Gott +niemals bekümmert, Seine Liebe und der Fluch meines Lebens reimen sich +nicht zusammen! ... Wenn der Pfarrer wieder kommt, soll er eine harte Nuß +zum Aufbeißen haben!" ... denkt der Benedict, während der Geistliche +verschwindet, die Verschläge nach einander wiederum geöffnet werden und er +die Schneckenstiegen hinab in den Gang und in seine Zelle marschirt.</p> +<p>Der Geistliche eines Zellengefängnisses hat besondere Vortheile vor andern +Gefängnißgeistlichen. Erstens kann er die ganze Religionsstunde seinem +Vortrage widmen und den Stoff desselben verdoppeln und verdreifachen; +zweitens kommt er zu jedem einzelnen Gefangenen, spricht mit diesem unter +vier Augen und kann sich vom Eindrucke überzeugen, welchen sein Vortrag +machte, denselben wiederholen, ergänzen, vertheidigen, bei Neueingetretenen +mit Früherm vermitteln; drittens endlich ist er keinen Verdächtigungen und +Verleumdungen ausgesetzt, während der Sträfling so wenig von Hohn und Spott +als von falscher Schaam weiß, dazu Zeit und Gelegenheit besitzt, Etwas für +seine religiöse Ausbildung zu thun und zudem die Gedanken, welche sich ihm +während der Religionsstunde aufdrängten, in der Einsamkeit nicht anhaltend +zu verscheuchen vermag.</p> +<p>Bei Leuten, welche nur für kurze Zeit verurtheilt sind, mögen +Gleichgültigkeit oder Leichtsinn die Oberhand behalten, bei Solchen, +welchen die Liederlichkeit und Gottverlassenheit zur zweiten Natur +geworden, mag die Religion der Liebe manchmal als Religion des Schreckens +wirken und mancher alte Sträfling mag bleiben, was er längst geworden oder +stets gewesen ist.</p> +<p>Von der Stadt herüber läuten die Mittagsglocken, die ablösende +Wachmannschaft eilt gemessenen Schrittes über die Ringmauer. Schon beim +Gang aus der Kirche stieg ein vielversprechender Duft aus der Küche des +Mittelgebäudes, jetzt ertönt ein mehrstimmiges Schellen, dann das Klirren +der Eßkessel und Schöpflöffel und der eilige Schritt der Aufseher, welche +sich in der Küche sammeln, um die Portionen für ihre Pflegbefohlenen +abzuholen. Heute ist kein Fleischtag.</p> +<p>Jeden andern Tag prangt ein winziges Stücklein Fleisch in der zinnernen +Schüssel, ein Spatz vermöchte es bequem im Schnabel fortzutragen und doch +bleibt Etwas immer besser als Nichts.</p> +<p>"Suppe!" Der Benedict hebt sein Schüsselchen unter den Schalter, der +Aufseher schöpft ihm seine Portion aus dem Kessel, schlägt den Schalter zu +und geht weiter.</p> +<p>Die Suppe, eine gute schmackhafte Reissuppe, ist noch sehr heiß, aber sie +muß schnell gegessen werden, denn der Aufseher wird gleich mit der +Hauptspeise da sein.</p> +<p>Heißes Essen schadet den Zähnen, Zuwarten kann dem Magen schaden, unter +zwei Uebeln wählt ein gescheidter Mensch das kleinere, deßhalb ißt der +Benedict die heiße Suppe.</p> +<p>"Hersch!—Hersch!" rufts im Gange.</p> +<p>"O jerum!" jammert unser Esser und weiß weßhalb. Der "Hersch" ist nichts +anderes als Hirsebrei, eine im badischen Unterlande gewöhnliche Speise der +Armen, im Zuchthause zu Freiburg wie überhaupt im Oberlande unbekannt und +der Benedict mag nun einmal den fatalen "Hersch" nicht.</p> +<p>"Hersch!" ruft der Aufseher vor dem Schalter und bald ist das Schüsselchen +gefüllt. Auch diese Speise ist noch heiß, allein sie hat keinen Nachfolger +mehr und was der Benedict morgen nicht thun wird, weil er morgen Knödel +bekommt, vor denen übrigens ein guter Baier das Kreuz machte, das thut er +heute, stellt nämlich das Schüsselchen auf den Schrank, um den Brei kalt +werden zu lassen und später zu essen.</p> +<p>Bevor die Anstalt Bruchsal die Kost für Gefangene, Kranke und Aufseher +selbst bereitete, war sie für die erstere manchmal herzlich schlecht und +zudem bekam der Zellengefangene Ursache, besonders nach den schönen +Brodlaiben Freiburgs zu seufzen.</p> +<p>Dort wird jetzt die Kost und hier noch immer das Brod von der Anstalt +unmittelbar bereitet, in beiden Fällen profitirt der Staat sammt den +Gefangenen.</p> +<p>Wie mancher Kostgeber ist schon durch augenlose Gefängnißsuppen reich +geworden, wie unzuverlässig ist die strengste Controlle, wenn Beamte und +Angestellte nicht zuverlässig und gewissenhaft sind!—</p> +<p>Numero 110 klappt den Tisch an die Wand, das Vorderblatt desselben ist eine +schwarz lakirte Schultafel, er greift zur Kreide, vertieft sich in den +pythagoräischen Lehrsatz und berechnet alsdann, wieviel Kubikzoll die +Commode enthalten werde, welche unter seiner kunstfertigen Hand entstehen +soll.</p> +<p>Todtenstille herrscht minutenlang ringsum, die meisten Aufseher sind den +Beamten zum Essen nachgeeilt, aber wenn Jemand im Mittelbau eine Schüssel +fallen läßt oder sich nur herzhaft schnäuzt, können es sämmtliche Bewohner +der vier großen Flügel und die Nächsten so deutlich als die Fernsten +vernehmen. Wenn der Spruch: Wände haben Ohren—irgendwo gültig und die +Allwissenheit der Beamten irgendwo mehr als Redensart ist, so wird dies +sicher in einem Zellengefängnisse der Fall sein. Auf ihren Bureaus +vernehmen die Beamten jedes laute Wort und jedes auffallende Geräusch, +selbst wenn es von den äußersten Enden der Zellenflügel ausgeht.</p> +<p>Jetzt scheinen selbst die sonst so geschwätzigen, zänkischen Spatzen Siesta +zu halten, selten flattert einer vor dem Gitterfenster von Numero 110 +vorüber und noch seltener sitzt einer vor dem Fenster, um sein graues +Röcklein zu putzen oder dem Gefangenen einen bessern Appetit +zuzuzwitschern.</p> +<p>Letzteres ist auch nicht nöthig, denn obwohl der Duckmäuser den Hirsebrei +nicht liebt, so haßt er doch den Hunger noch weit mehr, folglich hat der +Brei bereits das Ziel seiner Bestimmung erreicht.</p> +<p>Die Zellenbewohner haben ihre Ruhestunde, dieselbe wird ihnen nicht zur +Stunde des Verderbnisses, sondern sie lesen, schreiben, rechnen, zeichnen, +machen freiwillig an ihrer Arbeit fort, wenn dieselbe kein Geräusch +verursacht, oder gehen acht Schritte vorwärts und acht rückwärts und wer in +einem der Höfe steht, mag auch manches langgedehnte Gähnen, zuweilen ein +schweres Aufseufzen, ein lautes Selbstgespräch, vielleicht einen Versuch, +zu singen oder zu pfeifen, gleich darauf das Aufgehen einer Thüre, das +anklagende Gebrumme eines zweibeinigen Stückes der fleischgewordenen +Hausordnung und dazwischen das Hohngelächter des vorüberrauschenden +Eisenbahnzuges zu Ohren bekommen.</p> +<p>Der Benedict hat den Magen mit "Hersch", den Verstand mit Zahlen und +geometrischen Figuren angefüllt, doch sein Gemüth blieb unbefriediget und +was der Director mit seinem Besuche gut machte, hat der Pfarrer mit seinem +Vortrage verdorben und besonders Eine Aeußerung desselben ist tief in +Benedicts Seele gedrungen und fällt ihm stets von Neuem bei, er mag +anfangen was er will:</p> +<p>"Wer <i>unwürdig</i> meinen Leib ißt und mein Blut trinkt, der ißt und +trinkt sich selbst das Gericht!"</p> +<p>Wie oft nahte er sich aus Gewohnheit, um seines Rufes willen oder um die +Worte der Mutter zu erfüllen, dem Tische des Herrn!</p> +<p>In der Kaserne hatte er sich allgemach von diesem Gebrauche emancipirt, er +wurde ihm lästig, das Aufgeben desselben brachte ihm eher Ansehen als +Schaden, bei Meister März faßte er vollends einen Ekel gegen die demüthige +Aufgeblasenheit und den weinerlichen Ingrimm der "Diener am Worte" und +deren Lämmlein, aber im Zuchthause hatte er sich regelmäßig zum Beichten +und Communiciren verstanden, um nicht in den obern Regionen in Mißcredit zu +kommen.</p> +<p>Den Spruch, welchen der Geistliche heute vorbrachte, hörte er schon früher +hundertmal, doch niemals schlug er ihm so in die Seele, er greift nach +seiner Bibel und wundert sich selbst, weßhalb ein einziger Vers ihn so +unheimlich auf einmal berühren und zu beschäftigen vermöge.</p> +<p>Er blättert und sinnt, bis die Schritte der Aufseher wiederum im Gange +wiederhallen und die Gangschelle verkündiget, daß er den zweiten Theil des +Tages mit dem zweiten Spaziergange beginnen müsse.</p> +<p>Rasch und mißmuthig läuft er längs den Mauern seines Spazierhofes hin und +wieder. Er hatte sich schon manchen Tag mit gleichgültiger Ruhe in der +Zelle befunden, weil es ihm gelang, sich in die Ueberzeugung +hineinzubannen, er sei ein Todter, besitze keinen Anspruch mehr auf das +Leben und bleibe ein wandelnder Schatten mit vermodertem Herzen, so lange +es einer Macht gefalle, die er nicht kannte und von der er nichts forderte.</p> +<p>Alte Gefangene huldigen gewöhnlich bewußt oder unbewußt solchem Fatalismus, +ihr Herz und ihr Benehmen strafen denselben oft Lügen, doch im Ganzen +scheint er ihnen ihr trauriges Loos erträglicher zu machen, wofür die +Hauptursache freilich darin zu suchen sein möchte, daß das Mitansehen des +Unglückes Anderer, die Zerstreuungen der Gesellschaft, die Verbindung, in +welcher sie durch dieselbe bei dem täglichen Wechsel der +Gefängnißbevölkerung mit der Außenwelt bleiben, ihre eigene Verinnerlichung +hindert.</p> +<p>Der Benedict hat dem Himmel den Scheidebrief des Glückes geschrieben, als +er die Thüre der Strafanstalt zum erstenmal hinter sich schließen hörte; er +war ein lebenslänglich Verurtheilter, alles Fühlen, Denken, Wollen und +Streben seiner Person sollte fortan für die Welt verloren sein, blos sein +Leichnam dereinst noch einmal dieselbe Straße wandern, durch welche er +gerade gekommen.</p> +<p>Er hegte nur Einen Wunsch: Ruhe und forderte diese Ruhe vom Tode, glaubte +auch, derselbe werde sie ihm gewähren.</p> +<p>Die Jahre hatten ihn gegen die Leiden der Gefangenschaft und gegen das +Leben überhaupt abgestumpft, er glaubte dem Tode um einen starken Schritt +näher zu kommen, wenn er in die Zelle versetzt würde und—hatte sich +getäuscht.</p> +<p>Im Gegentheil lebte der Mensch von ehemals in ihm wieder auf, das +versteinert geglaubte Herz begann von Neuem zu hämmern und zu pochen, das +Kind und der Jüngling, der verirrte Halbmann und der elende Sträfling +hielten aufregende Gespräche in ihm, durch die Freuden- und Sturmglocken +der Erinnerung tönten leise zuweilen andere, fremdgewordene Glockentöne und +die Möglichkeiten, welche hätten eintreffen können, wenn er diese oder jene +Handlung vollbracht oder unterlassen hätte, bot allgemach dem Duckmäuser +Stoff zu langen, schwermüthigen Betrachtungen.</p> +<p>Er hatte geglaubt, von Gott gänzlich verlassen und verstoßen zu sein und +vom Tode doch jedenfalls Ruhe fordern zu dürfen, eher als viele minder +schwer Verurtheilte.</p> +<p>Weßhalb?</p> +<p>Ei, er war freilich als Vatermörder verurtheilt und menschliche Richter +waren nicht im Stande, ihn milder zu verurtheilen, als sie dies gethan +hatten. Er vermochte die Richter nicht anzuklagen, doch klagte er Gott +desto herber an und zwar deßhalb, weil Gott seine Gesinnungen kennen mußte +und Miturheber seines Unglückes zu sein schien. Trug denn Benedict jemals +den leisesten Vorsatz im Herzen, das gräßliche, todeswürdige Verbrechen des +Vatermordes zu begehen? Nein, niemals einen Augenblick, nach der That +schauderte er vor sich selbst zurück und begriff nicht, wie er dazu +gekommen!—Tödtete er seinen Vater im Affect? Auch dies war wiederum nicht +zur Hälfte wahr und Gott mußte wissen, daß er zwar im Schrecken mit einem +mächtigen Prügel in den dunkeln Hausgang hineinschlug, jedoch nicht, um den +Vater zu treffen, sondern lediglich, um ihm die Flinte wegzuschlagen und +ihn vom Kindermord abzuhalten. Wußte er nicht, daß eine Doppelflinte ob dem +Bette des Vaters hing und mußte er nicht glauben, daß dem ersten Schusse +ein zweiter folgen werde? Selbst die Richter erfuhren genug von Jacobs +harter, leidenschaftlicher Gemütsart, von seinem Hasse gegen den Hobisten +und vergaßen nicht, die Flinte sammt dem Schuß ernstlich in Erwägung zu +ziehen, sonst wäre Benedict unfehlbar um den Kopf kürzer gemacht worden.</p> +<p>Viele andere Umstände ließen sich nur dadurch erklären, daß man dieselben +dem blinden Zufalle oder—dem allwissenden Gott in die Schuhe schob und +dieser Gott sollte ein allliebender und allbarmherziger sein? Gegen tausend +Andere wohl, gegen mich war er ein Tyrann! sagte der Benedict hundertmal, +wenn der Schmerz ob dem verlornen Lebensglücke zuweilen gewaltig in ihm +aufzuckte und die Trauergeschichte vom weißen Federbusch bestärkte ihn in +der Meinung, ein von Gott Verstoßener oder zum Unglücke Erkorner zu sein.</p> +<p>In der Zelle erwachten mit den Jugenderinnerungen auch die Erinnerungen an +das vielfache Kreuz und Elend, welches er den Eltern bereitete und er +gelangte zur Einsicht, ein Kind, welches seinen Eltern großen Kummer +verursache, dadurch ihre Freude am Leben zerstöre und sie vor der Zeit ins +Grab stürze, sei eigentlich auch ein Elternmörder und der Tod der Eltern +eigentlich auch ein gewaltsamer.</p> +<p>Von diesem Standpunkte aus fühlte er sich des Mordes beider Eltern +schuldig.</p> +<p>Allein gibt es nicht Kinder seiner Art genug und keine Seele denkt daran, +sie deßhalb ins Zuchthaus zu stecken?</p> +<p>Er begriff sein Schicksal so wenig als die heimlichen Qualen seines +Herzens, hoffte vom Tode Ruhe, gegen diese Hoffnung erhob sich fortwährend +die Religion und heute wurden Hoffnung und Ruhe durch die Worte:</p> +<p>"Wer meinen Leib <i>unwürdig</i> ißt und mein Blut <i>unwürdig</i> trinkt, +der ißt und trinkt sich selbst das Gericht!" abermals heftig erschüttert.</p> +<p>Wenn diese Worte keine leere Drohung enthielten, wäre ich nicht schon +hienieden ein gerecht Gerichteter? Wenn der Tod das, was in mir lebt, nicht +zerstörte, wie würde es mit mir im Jenseits aussehen? Hienieden +vieljähriges Kerkerleiden bis zum Tode, dort endlose, ewige Qual, +schauderhafter Gedanke!</p> +<p>Diese Fragen beschäftigen den Spaziergänger, in die Zelle zurückgekehrt, +schneidet er ellenlange Hobelspäne, arbeitet darauf los, daß große Tropfen +von seiner Stirne rinnen, wird wirklich seiner wunderlichen Grillen Herr +und ist im Stande, beinahe zu lächeln, wie er die Gangschelle zur Schule +rufen hört. Eilig schlüpft er in den grauen Kittel, greift nach Mütze und +Nummer, Schiefertafel und Schreibzeug und kaum öffnet der Aufseher die +Thüre, so ist er bereits dem Mittelbau nahe und klimmt die Wendeltreppen +hinan.</p> +<p>Er darf eilen, denn der Gang ist ziemlich leer, die meisten seiner Nachbarn +mögen einer andern der 6 Klassen angehören, mit welchen sich zwei Lehrer +beschäftigen oder auch das 36ste Lebensjahr zurückgelegt haben, in welchem +Falle sie zur Altersklasse gezählt werden, die einigemal wöchentlich in der +Kirche versammelt und durch Vorlesen aus einem gewählten Buche für den +Schulunterricht einigermaßen entschädiget wird.</p> +<p>Das "Grabhemd" auf dem Kopfe tritt Numero 110 in die Schulstube und in +seinen besondern Verschlag, hängt die Nummer auf, läßt sich einschließen, +setzt sich und harrt mit stiller Sehnsucht, bis der Aufseher commandirt:</p> +<p>"Kappen herunter!"</p> +<p>In demselben Augenblicke wird der Oberlehrer den hohen Catheder besteigen, +die Schüler seiner obersten Klasse werden ihn freundlich begrüßen, er wird +den Gruß freundlich erwiedern, die Nummern herablesen und den Unterricht +beginnen.</p> +<p>Wie in der Kirche sieht auch in der Schule kein Gefangener den Andern, +dagegen Jeder den Lehrer, die Aufseher, Rechentafel, Landkarten u.s.w. +Freilich hört hier Jeder die Stimme der aufgerufenen Nummern und mag aus +der Mundart den Seehasen vom Pfälzer, den Schwarzwälder vom Odenwälder, das +Stadtkind vom Dorflümmel leicht unterscheiden, ja der Benedict hat sogar in +der vorigen Stunde die Stimme des Exfouriers und des Spaniolen vernommen, +erkannt und im Gedächtnisse behalten, jener sei Nro. 349 und dieser Nro. +27, aber was kann solche Entdeckung nützen oder schaden? Nro. 110 weiß +nicht genau, wo Nro. 349 in der Schulstube oder in welcher Zelle er sitzt, +was er treibt und wenn er es auch wüßte, ja wenn beide Nachbarn wären und +es ihnen gelänge sich Zeichen gegenseitigen Erkennens zu geben—Gefühle und +Gedanken tauschen sie innerhalb dieser Anstalt nicht aus, der erste Versuch +dazu würde auch zum letzten und müßte von großem Glücke begleitet sein, um +erst nach dem Gelingen entdeckt zu werden, in jenem Austausche aber liegt +die Hauptgefahr der Sträflingsgesellschaft.</p> +<p>Mag Einer sich dem Nachbarn auch durch Trommeln an die dicke Wand bemerkbar +machen, lange dauert solches Trommeln gewiß nicht, auch ist noch niemals +gehört worden, daß dadurch die Abschreckung oder Besserung eines Gefangenen +beeinträchtiget wurde und die Versuche, mit einander zu reden, haben völlig +ein Ende, seitdem die Oeffnungen der Luftkanäle vergittert wurden.</p> +<p>Der Wachtstubenwitze reißende und halbgelehrte Spöttereien über alles Hohe +und Heilige zu Markt tragende Exfourier, der sozialdemocratische, +selbstsüchtige Spaniol vermöchten dem Benedict nur noch zu schaden, weil er +mit Beiden einst zusammenlebte und ein treues Gedächtniß besitzt— +jedenfalls ist die Schule des Zellengefängisses der letzte Ort, wo die +Hausordnung oder gar Religion und Sittlichkeit irgendwie Gefahr zu laufen +vermöchten.</p> +<p>Der achteckige, thurmartige Mittelbau, von welchem die vier Flügel +ausstrahlen, erscheint uns überhaupt als ein Sinnbild der Ordnung, welche +nicht nur im Zellengefängnisse zu Bruchsal, sondern im großen Zuchthause +der Welt herrschend sein sollte.</p> +<p>Im untersten Raume findet sich die Küche, ob derselben Stuben der +Werkmeister, Oberaufseher, noch höher die Zimmer der Beamten, welche +allgemach zu den Schullokalen emporsteigen, zu oberst aber steht die +Kirche, während die bewaffnete Macht draußen an den Ringmauern, den +äußersten Gränzen des Reiches verweilt und die Gehüteten nicht beständig an +das Mißtrauen der Regierenden mahnt.—</p> +<p>Bereits steht der Oberlehrer auf dem Catheder, kritisirt die eingelieferten +Aufsätze und läßt zwei derselben laut vorlesen.</p> +<p>Beide sind ziemlich lang gerathen, man erkennt bald, daß die Verfasser +ihren Kopf beisammen hatten und beide zeigen einen Reichthum der Gedanken, +einen dichterischen Schwung der Sprache, die wir bei Zellengefangenen +ebenso häufig als auffallend finden.</p> +<p>Der erste Aufsatz ist von Nro. 62 und behandelt die Frage, weßhalb der +Reichthum nicht nothwendig zum Glücke gehöre, den zweiten hat Nro. 205 +geliefert, dieser sucht den Begriff vom Glück und Unglück festzustellen und +findet, daß es für einen Menschen, der Religion nicht nur <i>besitze</i>, +sondern <i>religiös sei</i>, kein eigentliches Unglück gebe, somit in der +religiösen Durchdrungenheit das Geheimniß des wahren Glückes zu suchen sei. +Nro. 62 ist ein blutarmer und, wie sich dies bei seinem Gewerbe fast von +selbst verstehen soll, fast immer betrunkener Postillon gewesen, der so +wenig daran dachte, durch seinen Jähzorn jemals in ein Zuchthaus zu +gerathen, als daran, in diesem bitterbösen Hause ein meisterhafter Schuster +und ein Mensch zu werden, der Geschriebenes und Gedrucktes geläufig lesen +und noch viel Schönes und Nützliches dazu lerne. Nro. 205 ist ein +ehemaliger Soldat, der mit seinen Schulmeistern ein besonderes Schicksal +hatte. Der erste derselben war ein alter, braver Mann, der die +weitschichtige Gelehrsamkeit der neuen Schulmeister nicht mehr faßte und +alle Neuerungen, gute und schlimme, haßte. Dafür wurde auch er gehaßt, +verfolgt und verspottet. Wie die Alten sangen, so zwitscherten die Jungen +und als der Mann starb, kam ein junger Lehrer, der sich ganz nach dem +Willen der Mehrheit seiner Schüler richtete und deßhalb die halbe Zeit +keinen Unterricht gab oder die Stunden mit Geschichtlein tödtete. Nro. 205 +war als einer der stärksten und größten Buben im Anfeinden des alten mit im +Verherrlichen des neuen Lehrers ein Anführer gewesen und wurde aus der +Schule entlassen, ohne daß ihn ein schwerer Schulsack drückte. Erst im +Zuchthause hat er den Schaden erkannt und verbessert.</p> +<p>Nro. 62 wie 205 saß früher in gemeinsamer Haft, beide preisen sich +glücklich, von ihrer alten Kameradschaft erlöst zu sein und wenn ihnen +irgend ein Gelehrter vom Glücke der Sträflingsgesellschaft vorpredigte, +würden sie es in ihrer Einfalt für Scherz oder Spott halten; beide gehören +zu den fleißigsten und besten Schülern, während sie gleichzeitig zu den +fleißigsten und besten Arbeitern gehören, von den Werkmeistern noch niemals +wegen Saumseligkeit oder gar wegen Nichtfertigung des ganzen Tagwerkes +verklagt wurden. Nachdem das Vorlesen der Aufsätze beendiget, kommen die +Rechnungsaufgaben an die Reihe.</p> +<p>Der Duckmäuser hat den Cubikinhalt eines cylindrischen Gefäßes berechnet, +welches doppelt so hoch als weit ist und ganz gefüllt 2 Pfund Wasser +aufnimmt.</p> +<p>Nro. 70 löste die Frage richtig, wie groß eine Seite eines Würfels von Gold +sei, welcher 24 Loth wiege.</p> +<p>Dagegen brachte 401 die folgende Rechnung nicht ganz ins Reine, nämlich: +"Ein Brunnentrog aus Sandstein hat die Form einer Halbkugel, deren ganzer +Durchmesser 4'3" beträgt, wahrend die Steinmasse selbst 4" dick ist. +Wieviel (badische) Maaß Wasser faßt dieser Trog und welchen Cubikinhalt hat +die Steinmasse?"</p> +<p>Nro. 401 beging bei der Lösung der zweiten Frage einen Fehler, die meisten +Mitschüler stimmen in ihrer Lösung überein und diese ist auch die richtige. +Jener entdeckt und entschuldigt seinen Irrthum, seine Stimme und Rede +zeigt, er sei dem Weinen nahe, um diesen alten Weiner zu trösten, darf er +die Lösung der letzten der heutigen Aufgaben nennen und liest mit ruhigere +Stimme:</p> +<p>"Nach der Angabe v. Humboldt's soll eine der ägyptischen Pyramiden 800' +Höhe und an der Grundfläche, welche ein Quadrat ist, ebensoviel Breite +haben. Wieviel Cubikfuß beträgt der Inhalt und wieviel Zentner etwa das +Gewicht dieser Pyramide, wenn man obiges Maaß als badisches betrachtet und +das spezifische Gewicht des Marmors, aus welchem sie bestehen soll, zu +2,736 annimmt?"</p> +<p>Die Lösung, welche Nro. 401 gibt, ist richtig, fünf Hauptrechner bezeugen +es, der Oberlehrer thut dasselbe und beginnt dann eine kleine Prüfung über +die Lehre der drei Arten von Hebeln, gewöhnlichen und festen Rollen und +Flaschenzügen.</p> +<p>Nro. 349 hat diesen Mittag für sich in der Zelle berechnet, ein Rammklotz +von 60 Zentnern, der etwa bei Wasserbauten angewendet würde, und 15' hoch +herabfalle, wirke mit der Kraft von 18,000 Zentnern, welche nur Einen Schuh +fallen. Der etwas hartköpfige Nro. 334 erbittet und erhält eine Erklärung +des "Rades an der Welle" und der Benedict erläutert schließlich den +Potenzflaschenzug.</p> +<p>Dann geht der vortreffliche Oberlehrer, welcher mit Pestalozzi Bibel und +Kalender für die wichtigsten Urkunden des Menschengeschlechtes hält, daran, +den Sonntagsbuchstaben zu erklären, durch den sich der Wochentag eines +geschichtlichen Ereignisses sicher bestimmen läßt und ist noch nicht +fertig, wie die Glocke ertönt und anzeigt die Lieblingsstunde vieler +Zellenbewohner sei wiederum vorüber. Der Lehrer verschwindet, die Schüler +setzen das "Grabhemd" wiederum auf, die Aufseher öffnen einen Verschlag +nach dem Andern in der Ordnung, daß kein Gefangener dem Andern auf dem Fuße +folgt oder gar entgegenläuft, Einer nach dem Andern steuert der Thüre zu, +welche in seinen Flügel führt und nach wenigen Minuten steht Nro. 110 +wiederum vor der Hobelbank.</p> +<p>Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Schule.</p> +<p>Die Sträflingsschule des Zellengefängnisses zu Bruchsal erregt besonders +die Aufmerksamkeit und Bewunderung der Besucher, weil die Sträflinge einen +Grad von intellectueller Bildung und Bildungsfähigkeit entwickeln, den man +in den besteingerichteten Gefängnissen anderer Art vergeblich suchen würde.</p> +<p>Die Regierung verdient sich den Dank der Menschheit, indem dieselbe Vieles +für die Anstalt überhaupt und deren Schule insbesondere thut, tüchtige +Lehrer, indem dieselben unermüdlich und im engen Vereine mit den +Geistlichen beider Confessionen dahin arbeiten, aus unwissenden und rohen +oder halbgebildeten und eingebildeten Gefangenen Menschen und Christen zu +machen und vor geistiger Verdumpfung zu bewahren.</p> +<p>Die Schüler dagegen empfinden auch das ganze Gewicht der Wohlthaten, welche +ihnen durch Unterricht gespendet werden und beweisen es durch ihre +Anhänglichkeit für die Geistlichen und Lehrer, durch ihren Eifer für die +Schule und vor Allem durch die Fortschritte.</p> +<p>Wer nur immer anerkennt, daß in der Bildung an und für sich eine Macht +liege, welche die schwer zerstörbare Selbstsucht des Menschen mindestens +verfeinern, ihm soviel Klugheit, Ehrgefühl und Selbstbeherrschung gewähre, +um nicht leicht ein Verbrechen zu begehen, der wird sich entschieden für +eine Sträflingsschule der Art aussprechen, wie dieselbe hier besteht und +blüht.</p> +<p>Wir kennen auch keinen Fall, daß ein Gefangener, welcher diese Schule +längere Zeit besuchte, wiederum rückfällig geworden wäre und wenn in dieser +Anstalt vorherrschend jugendliche Verbrecher untergebracht und ihres +Unterrichtes theilhaftig gemacht würden, so würde die Erfahrung lehren, daß +die Zahl der Rückfälle sich ansehnlich verminderte.</p> +<p><i>Aber leidet der Gewerbsbetrieb nicht durch die Schule Noth?</i></p> +<p>Die beste Antwort liegt in der Thatsache, daß der Gewerbsbetrieb des +Zellengefängnisses trotz mißlicher Zeitverhältnisse und eigenthümlicher +Hindereisse [Hindernisse] mehr blüht, als der jeder andern Strafanstalt des +Landes und daß die Blüthe des Gewerbsbetriebes zunächst vom Fleiße und der +Geschicklichkeit der Sträflinge abhänge, wird wohl kein Gegner der einsamen +Haft läugnen.</p> +<p>Der Zellenbewohner besucht nicht mehr Unterrichtsstunden als andere +Sträflinge, dagegen ist es richtig, daß er Besuche vom Lehrer in der Zelle +und bei dieser Gelegenheit besondern Unterricht erhält. Doch Besuche muß er +überhaupt eine bestimmte Anzahl empfangen, wenn er nicht zu Grunde gehen +soll und daß kein Besuchender, folglich auch kein Lehrer zu lange bei Einem +verweile, dafür ist schon durch die Vorschrift gesorgt, daß jeder Beamte +täglich eine verhältnißmäßig große Anzahl von Besuchen abzustatten hat.</p> +<p>Das Geheimniß der überraschenden Fortschritte, welche viele Zellenbewohner +in Schulkenntnissen machen, liegt hauptsächlich in ihrer eigenthümlichen +Lage. Die Einsamkeit verinnerlicht den Menschen, der Mangel an Gesellschaft +treibt ihn, sich in arbeitsfreien Stunden selbst zu unterhalten und weil +ihm Gelegenheit für schlechte Unterhaltung abgeschnitten, dagegen +Gelegenheit zur guten reichlich geboten ist, so greift er eben nach +letzterer.</p> +<p>Die Ruhestunden, die arbeitsfreien Tage, manche schlaflose Stunde der +Nacht, in welcher das Denken eine Zerstreuung und Wohlthat zugleich wird, +werden zumeist der Schule gewidmet und gerade der verhältnißmäßige Mangel +an Eindrücken, welche er von der Außenwelt empfängt, stärkt sein Gedächtniß +wunderbar für Alles, was in der Schule vorkommt, welche er besucht oder in +den Büchern, welche er gelesen.</p> +<p>Sind wir überzeugt, der Gewerbsbetrieb würde wenig oder nichts gewinnen, +wenn man die Schulen gesellschaftlich lebender Gefangenen wiederum aufhöbe, +so sind wir noch weit mehr davon überzeugt, daß er in Zellengefängnissen +bedeutend Noth litte. Gar viele Handwerker bedürfen einiger Kenntnisse im +Zeichnen, in Mathematik und Geometrie, Chemie und andern Wissenschaften und +je mehr sie davon erringen, desto besser ist es für ihr Gewerbe. Ferner +ließe sich möglicherweise das vollständige Fertigen eines Tagwerkes durch +Hungerkuren erzwingen, lange jedoch ginge dies nicht an und zum Fertigen +guter und vortrefflicher Arbeit gehört eben auch im Zuchthause ein +Arbeiter, der gut oder vortrefflich arbeiten kann und—will. Die Schule +wird von Sträflingen als eine Wohlthat und Belohnung allgemein anerkannt, +ihre Beeinträchtigung oder gar ihre Beseitigung würde gerade bei den +Talentvollen den guten Willen zur Arbeit beeinträchtigen oder beseitigen +oder derselbe müßte auf eine Weise angeregt werden, welche mehr kostete als +die Schule.</p> +<p><i>Aber werden die Spitzbuben durch die Bildung, welche sie empfangen, +nicht gerade raffinirter und führt die Schule nicht zur Halbwisserei?</i></p> +<p>Den ersten Theil dieses Einwurfes würden wir gar nicht beantworten, wenn er +nicht schon von mehr als einer Seite gemacht worden wäre.</p> +<p>Wir haben einen Tag in einem gemeinsamen Zuchthause zugebracht und +vermieden, pikante Spitzbubenhistörchen aufzuzeichnen, wenn man nicht etwa +die maaßlose und keineswegs seltene Unverschämtheit des Patrik vom +Hotzenwalde pikant finden will.</p> +<p>In gemeinsamer Haft geben die Meister der Greiferkunde Privatcollegien aus +ungewaschenen Mäulern, die Blüthe des Gaunerthums erfreut sich dort einigen +Ansehens und fruchtbarer Wirksamkeit, allein keine Sträflingsschule irgend +einer Art befaßt sich mittelbar oder gar unmittelbar mit Ausbildung der +Spitzbüberei. Freilich lehrt die Physik und noch mehr die Chemie Manches, +was sich ein Langfingeriger für die Zukunft hinter die Ohren schreiben +könnte, aber jedem Lehrer wird man soviel Verstand und Besonnenheit +zutrauen, daß er seinen Stoff zu wählen versteht.</p> +<p>Erheblicher ist die Halbwisserei.</p> +<p>Unter Halbwisserei verstehen wir das <i>religionslose</i> Wissen, somit +ziemlich dasselbe, was schon Plato darunter verstanden und worüber er als +einer unheilbringenden Erbärmlichkeit geklagt hat. Vom Vorwurfe der +Halbwisserei sind bei uns jedenfalls die Sträflingsschulen freizusprechen, +denn Geistliche und Lehrer gehen einträchtig zusammen, Einer arbeitet dem +Andern in die Hände, die Schule ist nicht nur ein Mittel allgemeiner +Bildung, sondern auch allgemeiner religiöser Erhebung.</p> +<p>Eine bereits auf einige tausend Bände angewachsene Bibliothek, deren Bücher +vor Allem mit Rücksicht auf löbliche Tendenzen gewählt und mit Rücksicht +auf die verschiedenen Confessionen unter die Gefangenen vertheilt werden, +unterstützt mächtig die Bemühungen der geistlichen und weltlichen Beamten.</p> +<p>Die sichtbaren Wunder der Natur, die weltbeherrschenden Gesetze der Physik, +die einfachen, erhabenen und allbeherrschenden Gesetze der Bewegung der +Weltkörper, lauter Dinge, welche jedem Schulknaben, geschweige einem +Erwachsenen klar und deutlich gemacht werden können, wie sehr sind diese +geeignet, den Menschen zum Herrn und Vater dieser Gesetze zu erheben? Und +Abrisse aus der Geschichte, in welcher Gott den lohnenden Vater oder +rächenden Amtmann spielt, eine Unthat unter dem Gewichte ihrer Folgen den +Schuldigen und die Mitschuldigen begräbt, ohne vorher nach Stammbaum oder +Taufschein zu fragen, wie sehr sind diese geeignet, den Verbrecher zum +Nachdenken über das eigene Schicksal zu bringen? Jedenfalls mehr als die +eigens für Gefangene und Verbrecher geschriebenen Bücher, unter denen wir +und viele Andere außer dem von Suringar wenig Erträgliches und +Ersprießliches entdeckten. Sträflinge sind schwer vom Glauben abzubringen, +daß man die kleinen Spitzbuben fange, die großen dagegen laufen lasse, +wissen recht gut, wie es mit dem Werthe Vieler steht, welche frank und frei +herumlaufen und ebenso, daß sie keine unartigen Kindlein sind, denen man +Religion und Jesusliebe als Brei einreichen könnte, deßhalb geben sie auch +nichts auf Bücher, die aus gutmeinenden, aber unklugen oder unerfahrenen +Federn zur angeblichen Erbauung von Gefangenen geflossen sind. Im +Gegentheil werden Schriften dieser Art Religionslosigkeit und +Verstockung eher vermehren als vermindern und besonders in gemeinsamer Haft +nicht lange ungerupft bleiben.</p> +<p>Sie [Die] Schule vor Allem erweitert den geistigen Gesichtshorizont und je +mehr sich dieser erweitert, desto kleiner fühlt sich der Mensch überhaupt, +der Verbrecher insbesondere und wiederum desto größer, weil der Herr und +Meister der Welt sich mit ihm abgibt.</p> +<p><i>Weßhalb eine ungewöhnliche Ausdehnung des Unterrichtes bei +Zellenbewohnern?</i></p> +<p>Vom Buchstabenmalen und Zahlen zusammenzählen steigert sich Alles bis zum +Auflösen von Gleichungen, Berechnungen des Kreises und Lösungen von +Aufgaben, welche einige physikalische, chemische und sogar astronomische +Einsichten voraussetzen. Weil Zellenbewohner aus innerm Antriebe gerne +lernen und im Lernen so ziemlich ihre einzige Erholung finden, deshalb +schreiten Viele auch rasch und sicher fort und sollen sie dafür mit +Stillstand bestraft werden, für den sich nirgends ein Grund auftreiben +ließe?</p> +<p>Weßhalb sollen Schwerverurtheilte, deren jugendliches Alter vielmaligen +Schulbesuch gesetzlich sanctionirt, ohne ihre Schuld und noch mehr wider +ihren Willen in den Mitteln des Fortschreitens zur Bildung und Besserung +verkürzt werden? Die in der That ganz vortreffliche Hausordnung von +Bruchsal ermuntert und belohnt sogar den Schulfleiß, erkennt in der Schule +überhaupt ein mächtiges Mittel gegen geistige Verknüpfung und Versumpfung +und daß es in ihr nicht gar zu hochgelehrt hergehe, dafür ist schon +gesorgt, weil die meisten Sträflinge einen ziemlich armseligen und manche +gar keinen Schulsack in die Zelle bringen.</p> +<p>Die Lehrer haben mit dem ABCschützen und Dummen überflüssig genug zu thun +und sollen sie nun auch mit den weiter Fortgeschrittenen und Talentvollen +dazu verurtheilt werden, Papageienrollen zu spielen und in diesem Jahre +durchaus dasselbe zu schreien, was sie im vorigen Jahre geschrieen?</p> +<p>Wenn ein entlassener Zellenbewohner ungefähr weiß, was jeder ordentliche +Realschüler zu wissen vermag, so weiß er noch lange nicht zuviel und wird +durch das Gewicht seines Wissens schwerlich in den Pfuhl des Lasters und +der Verbrechen hinabgedrückt!—</p> +<p>Während wir diesen etwas langgerathenen Gedankenspaziergang machten, +arbeitete Nro. 110 in seiner Zelle rüstig fort und zuweilen tritt ein +Werkmeister oder Aufseher herein, nicht sowohl um die Arbeit zu +besichtigen, denn der Benedict arbeitet zu vortrefflich, als daß viele +Besichtigung nöthig wäre, sondern um Etwas zu fragen oder die Leimpfanne zu +bringen.</p> +<p>Der Fleiß der Gefangenen wird in der Zelle leichter und besser controllirt, +als in jedem Sträflingssaale und zwar auf eine Weise, daß der +Zellenbewohner nichts davon weiß. Der Controllirende tritt zur Thüre, hebt +einen kleinen Schieber in die Höhe und überschaut mit Einem Blicke die +ganze Zelle, wahrend Nro. 110 vergeblich sich abmühen würde, durch dasselbe +Fensterchen auf den Gang hinauszusehen. Nicht Eine Minute des Tages oder +der Nacht ist er sicher, unbeobachtet zu sein und das Peinliche dieser Lage +wird gerade dadurch gemildert für den Bessern und geschärft für den +Schlechtern, weil er niemals Gewißheit davon hat.</p> +<p>Ein gefangener Taglöhner hat sein Zellenleben in ergötzlichen Reimen +beschrieben, von denen einige charactristische hier ein Plätzlein finden +mögen:</p> +<p> —Einmal ist der Obermeister kommen: + "Du willst nicht sputen hab' ich vernommen? + Hättest große machen sollen + Dich soll gleich der Kukuk holen!"— + "Ich will lieber machen kleine + Das ist die Rede, die ich meine!"— + "Du hast hier kein Recht, + Seist du Meister oder Knecht, + Mußt jetzt thun, was ich Dir sag' + Oder hast gehabt zu Mittag, + Und zu Nacht wirst auch nichts kriegen, + Kannst noch in den Turm hinabfliegen! + Dort kannst Du sitzen oder stehen + Und wie es Dir noch sonst wird gehen. + Dann thut man Dich in den Zwangstuhl schnallen + Das wird Dir auch nicht gut gefallen!" + Ich sah auf mein Spulrad hin + Und dachte: "wenn nur dieser Mann wieder ging!" + Aber er ließ sich nicht vertreiben + Und ließ auch das Dräuen nicht bleiben. + "Wenn ich noch eine einzige Klage hör', + Dann komme ich wieder zu Dir hieher!" + Das ist sein letztes Wort, + Dann ist er fort. + Ich dacht: Nun ist er doch einmal gangen, + Das war ja mein einzig Verlangen! + Hab mich wieder zum Rad gesetzt + Und gespult, daß ich hab' geschwitzt. + Hörte ich nur laufen im Gang, + So glaubte ich: jetzt kommt der saure Mann!— + Einmal hab' ich gesungen, + Da kam er gleich gesprungen: + "Hör' ich dies noch einmal hier, + Dann gibt man nicht zu essen Dir!" + Darauf sah ich ihn im Hof in seinem grauen Rock + Und eilte was ich konnte in den zweiten Stock, + Mache die Thüre eilends zu, + Daß ich hab' vor diesem Manne Ruh. + Er hat mir schon zu schwer gedräut, + Ihn zu sehen, ist mir keine Freud'! + Allein ich hab' vor ihm recht Respekt, + Doch bin ich gern von ihm weit weg; + Doch hat er mir noch nichts zu leid gethan + Er kann doch sein ein guter Mann!</p> +<p>In diesem Augenblicke öffnet sich die Thüre von Nro. 110 und einer der +beiden Obermeister steht vor Benedict. Er ist nicht mehr der alte Dräuer, +über welchen der Taglöhner klagte, sondern ein ganz freundlicher +ordentlicher Mann, der mit Blicken mehr ausrichtet als Andere mit vielem +Lärm. Die Arme über die Brust gekreuzt, den rechten Fuß vorgestellt steht +er ganz ruhig da und redet mit unserm Schreiner vom Wetter und den +Rheinschnaken, diesen Moskitos der Rheinebene, deren Stich eben keine +angenehme Empfindungen, wohl aber kleine Beulen erzeugt und die den Weg +durch alle Kleider und die dicksten Teppiche hindurch zu finden wissen, +während ihr Gesumme in Schlaf lullt.</p> +<p>Tabaksqualm verscheucht diese kleinen, blutgierigen Ungeheuer, aber der +Gefangene darf nicht rauchen und muß sich begnügen, die Schnaken +todzuschlagen [todtzuschlagen], wenn sie angefüllt von Blut träge an den +Wänden sitzen und nicht weit zu fliegen vermögen. Wahrend der Obermeister +den Ankläger der Schnaken anhört, überschaut er mit einigen Seitenblicken +Alles und wenn Etwas am unrechten Nagel hängt, nicht vorschriftsmäßig +aufgestellt oder hingelegt ist, darf der Zellenbewohner einer Ermahnung +gewiß sein, wenn aber gar irgend ein <i>Verstoß gegen die Reinlichkeit</i> +aufzutreiben ist, dann bleibt eine Zurechtweisung nicht aus.</p> +<p>Wieviel Schweiß und Aerger haben die kleinen Ziegelplatten des Zellenbodens +den Benedict schon gekostet, den feinen, ungesunden Staub abgerechnet, der +sich von denselben ablößt!</p> +<p>Jetzt versteht er sein Geschäft besser, der Obermeister vermag nichts zu +entdecken, was der Reinlichkeit widerspräche, denn es fehlt zwar nicht an +Sägspänen, Hobelspänen, Gerüchen des Holzes und der Politur, zumal das +obere Fenster geschlossen ist, aber in welcher Schreinerwerkstätte der Welt +fehlt es an diesen Dingen? Oder wo gibt es irgend eine Schusterboutique, +aus welcher der Geruch von Leder und Pech verbannt ist oder einen Webstuhl, +in dessen Nähe es nicht von Zeit zu Zeit nach Schlichte riecht?</p> +<p>Arme und reiche Handwerker sind an solche Dinge gewöhnt, die sich nicht +vermeiden lassen, Gewohnheit stumpft gegen den schlimmen Einfluß derselben +ab, weßhalb soll und wie soll der Zellenbewohner dagegen geschützt werden?</p> +<p>Tadeln ist in allen Dingen leicht, Verbessern häufig schwer.</p> +<p>Frische Luft und Reinlichkeit sind für die Gesundheit des Gefangenen +wichtige Artikel, in Bruchsal ist in dieser Hinsicht das Möglichste +geleistet, die Ziegelplatten der Zellenböden möchten freilich nicht viel +taugen, aber sie sind nun einmal da, lassen sich nicht über Nacht +wegbringen und leicht ohne große Kosten durch etwas Besseres ersetzen, +dagegen läßt sich die Reinlichkeit jedes Einzelnen leicht controlliren.</p> +<p>Der Oberaufseher wünscht freundlich guten Abend und eilt zu Nro. 109 +hinüber. Ein Herbsttag geht rasch vorüber, ehe man sichs versieht, ist die +Dämmerung da. Die verschiedenen Zeiten des Jahres und Tages, die Wechsel +der Witterung üben auf den Menschen Einfluß aus und wenn dieser Einfluß bei +vielen Zellenbewohnern noch bemerkbarer wird als bei andern Gefangenen, so +rührt dies wohl daher, weil ihr äußeres Leben ein ziemlich armes und +einförmiges ist. Ein kurzer, trüber Herbsttag stimmte den Benedikt trübe +und melancholisch, der Abend brachte ihm gar schwermüthige Gedanken. Er +dachte an das Abendläuten, Lichteranzünden und an die Heimgärten im fernen +Dörflein und war froh, als der Aufseher den Schalter öffnete, um den +Wasserkrug zum letztenmal für heute in Empfang zu nehmen und das Licht +anzuzünden.</p> +<p>Er griff wiederum zum Hobel, um die Grillen durch Arbeit zu verscheuchen, +doch wollte es ihm nicht recht gelingen und zuweilen tief aufseufzend +blickte er durch die Gitter zum dunkeln, sternenleeren Nachthimmel empor.</p> +<p>Abermals öffnet sich die Thüre und der Arzt tritt herein.</p> +<p>Dieser muß nicht nur seine Kranken, sondern auch alle Gesunden fleißig +besuchen und fast noch mehr Seelenarzt als Leibesarzt sein.</p> +<p>Weil die Einzelhaft eine neue und aus fernen Landen zu uns gekommenne +[gekommene] Einrichtung ist, welche je nach Clima, Lebensweise und +Charakter eines Volkes Verschiedenheiten der Durchführung erheischt, über +deren Art und Zweckmäßigkeit lediglich die Erfahrung allmählige Belehrung +zu geben vermag, muß besonders auch der Gefängnißvorstand ein denkender und +mit vielseitiger Bildung ausgerüsteter Mann und nicht etwa ein alter +ausgedienter Soldat sein, wie dies manchmal in England stattfindet. +Gediente Soldaten geben gute Oberaufseher und Aufseher; wo die Ordre +anfängt, hört gemeiniglich ihr Denken auf, je nach der Ordre hauen sie den +Gefangenen ebenso bereitwillig in Krautstücke als sie denselben noch als +menschenähnliches Wesen passiren lassen und so vortrefflich solche +Eigenschaft untergeordneten Werkzeugen ansteht, so mißliche Folgen würde +sie nach sich ziehen, wenn der Vorstand einer <i>Besserungsanstalt</i> ein +abdecretirter Schnurrbart wäre, der Menschen jeder Art als Maschinen +betrachtete und bald im Vollgefühle seiner Unwissenheit und Ohnmacht Fünfe +gerad sein ließe oder blind und brutal in Alles hineinblitzte und +hineindonnerte, was nicht ganz nach seinem Kopfe ginge.</p> +<p>Weil Menschen und die allseitigen Wirkungen von Einrichtungen bis ins +Kleinste studirt, Alles auf bestimmte Zwecke gerichtet und alle Zwecke +Einem großen Zwecke untergeordnet werden müssen, deßhalb muß der Vorstand +ein organisirender Kopf und weil ein Arzt jedenfalls am meisten Gelegenheit +besitzt, sich theoretische und praktische Kenntnisse über den Menschen und +das Volk, Krankheiten des Leibes und der Seele und unserer +gesellschaftlichen Zustände zu erwerben, endlich weil Zellenbewohner in +mancher Beziehung Ausnahmsmenschen werden und Einem Arzte sehr viel zu +schaffen machen, wenn auch der Krankenstand ganz unbedeutend bleibt, +deßhalb möchte es gut und zweckmäßig sein, wenn auch der Gefängnißvorstand +ein Arzt ist.</p> +<p>Die Verhältnisse eines Zellengefängnisses drängen von selbst darauf hin, +daß entweder der Doctor vielfach zum thatsächlichen Vorstande und der +Vorstand zu seinem Figuranten würde oder daß Beide sich in die Haare +gerieten, wobei der Staat und die Gefangenen am Schlechtesten bestünden, +wenn der Vorstand ein alter Soldat oder ein einseitiger Fachmensch +überhaupt wäre.</p> +<p>Ein ehemaliger Offizier, der ein bischen vom Rechnungsfache verstünde, +möchte sich zum Vorstande einer Anstalt mit gemeinsamer Haft vortrefflich +eignen, schwerlich dagegen zum Leiter eines Zellengefängnisses.</p> +<p>Nro. 110 gehört zu jenen vielen Zellenbewohnern, welche ihren leiblichen +Zuständen große, oft arg übertriebene Aufmerksamkeit zuwenden und denen ein +bischen Mattigkeit in den Gliedern oder Reißen im Kopfe leicht Gedanken an +schwere Krankheiten und das gefürchtete Brett der Anatomie erregte. Sie +plagen und quälen den armen Doctor mit ihren Einfällen und Fragen und wenn +er nicht darauf einzugehen Grund findet oder gar darob lächelt, dann halten +sie ihn für einen halben Unmenschen, geht er darauf ein, für einen ganzen +Dummkopf und macht er die Sache mit einem Thee oder einer Arznei statt mit +Krankenkost ab, für einen vollendeten Tyrannen.</p> +<p>Heute weiß der gute Benedict sehr viel von Magenknurren zu erzählen und +weil der Doctor ihn mit den violetten Knödeln tröstet, welche morgen +aufgetischt werden, wird er melancholisch und redet von Todesahnungen, +welche ihm jener wiederum auszureden sucht.</p> +<p>Kaum ist der Arzt fort, so tritt der Aufseher herein und lößt das Bett von +der Wand ab. Unser Gefangener arbeitet noch einige Zeit und bringt es über +das Tagwerk hinaus, dann läutet es wiederum in allen Flügeln auf einmal, +wiederum klirren die Eßkessel, wiederum eilen die Aufseher der Küche zu, +Benedict hört, wie sein Aufseher von Zelle zu Zelle geht, die Schalter +zuschlägt und gute Nacht wünscht, bald fliegt auch sein Schalter auf, sein +Schüsselchen wird gefüllt, der Schalter fährt zu und Benedict betrachtet +wehmüthigen Blickes die Königin der Zuchthaussuppen, eine braune, ihm gar +fad vorkommende "Wasserschnalle."</p> +<p>Doch—in der Kaserne bekam er Abends gewöhnlich Nichts, jetzt ist er +hungrig, dort drinnen im braunen Schränklein findet er Salz, er salzt und +ißt die Suppe. Nicht lange darnach tritt der Werkmeister zum letztenmal für +heute herein, er nimmt die schneidenden Instrumente aus der Zelle weg, der +Korb mit Hobelspänen wird in den Gang hinausgestellt, man sagt sich gute +Nacht. Bald verhallen die Schritte der forteilenden Werkmeister und +Aufseher draußen im Gange, alsdann herrscht Todtenstille, höchstens die +fallenden Tropfen einer Brunnenröhre, die Schritte eines Nachbars, das +starke Husten oder Aufseufzen desselben unterbricht diese Stille.</p> +<p>Leise und unhörbar schleichen die Aufseher in Filzschuhen oder in Socken +durch die Gänge, kein Mensch sondern die Einsamkeit will mit dem Benedict +eine ernste, schwermüthige Unterhaltung beginnen, eilig greift er nach dem +reichhaltigen Lesebuch von Döll, dann nach der belehrenden "Menagerie" von +Drugulin und ließt, dort über die Gasarten, was übermorgen in der Schule +verhandelt werden soll, hier über die Wildschweinjagd mit Wurfspießen im +fernen Indien.</p> +<p>Plötzlich lärmt die Hausschelle durch die Todtenstille und befiehlt, daß +alle Lichter gelöscht werden, alle Gefangenen sich zu Bette legen müssen. +Eilig legt Benedict sein Buch weg, klappt Tisch und Bank wiederum an die +Wand und löscht die Lampe aus.</p> +<p>Sinnend steht er noch einige Augenblicke in der Zelle und blickt zum +vergitterten Fensterlein empor, die sechs dicken Eisenstäbe gränzen sich +scharf gegen den Nachthimmel mit seinen dunkeln, fliegenden Wolken ab, +durch welche zuweilen das weiße oder röthliche Licht eines Sternes scheint +oder flimmert und dieses traurige Haus wie die dunkeln Höhen des +Schwarzwaldes, das Heimathdörflein, die Städte und Kasernen des Rheinthales +überschaut und vielleicht in die Scheiben einer Hinterstube leuchtet, in +welcher Meister März mit seinen Gottseligen conventikelt. Benedikt soll +halblaut beten, die Hausordnung will es, doch er will nicht und murmelt +sehnsüchtige Wünsche vor sich hin.</p> +<p>Dann legt er den Strohteppich zum Schutze gegen den kalten Boden vor das +Bett und legt sich nieder, um zu schlafen.</p> +<p>Er hat den Tag über streng gearbeitet und befindet sich bald auf der Brücke +zwischen Wachen und Schlafen, doch das langgedehnte Gebrülle einer +gedankenlosen oder auch boshaften Schildwache laßt ihn einstweilen die +Gedanken ans Einschlafen vergessen.</p> +<p>Man mag ein Zurufen der nicht weit von einander stehenden Schildwachen für +zweckmäßig erklären, doch welchen Zweck soll ein mehr als viehisches +Brüllen und absichtliches Wiehern haben, welches manche Soldaten +allnächtlich auf den Ringmauern zum Besten geben?</p> +<p>Weit entfernt vom Militär kleiner Länder den Geist und die Haltung der +Soldaten einer großen Armee und damit viel zu viel zu verlangen, möchte +doch nicht zuviel verlangt sein mit der Forderung, daß die Wachkommandanten +des Zellengefängnisses häufiger zur Einsicht kämen, gewaltsame Störung des +Schlafes vieler Kranken und Gefangenen sei nicht nur etwas Unnöthiges, +sondern auch etwas Unzweckmäßiges und Unwürdiges.—</p> +<p>Seufzend wickelt sich der Duckmäuser fester in seinen Teppich, kehrt sich +gegen die Wand und der Bibelvers, welcher ihn heute so sehr beschäftigte, +kommt abermals und immer wieder ihm in den Sinn. Er schließt die Augen +gewaltsam und zählt so lange von Eins bis Hundert rückwärts, bis endlich +der Schlaf dem Zählen ein Ende macht, ein Schlaf ohne Erquickung und Ruhe, +denn was sich in seinem Gemüthe regt, lebt auch im Schlafe fort und die +Gedanken, welche er heute gehabt, spinnen sich in die Traumwelt weiter. +Wovon soll ein Zellenbewohner träumen? Von den kleinen Ereignissen der +Gegenwart? Sie biethen ihm zu wenig Interesse dar, als daß sie sich häufig +in seine Träume verweben sollten. Höchstens die Schule beschäftigt den +Träumenden, er setzt manchmal Rechnungen fort oder sieht in lebendigen +wunderlichen Gestalten vor seinen Augen vorgehen, was er dort gehört. +Meistens träumt er von der Vergangenheit, von den Hauptereignissen seines +Lebens, vom Prozesse, der ihn vernichtet oder auch von der Zukunft, einer +bessern, freudevollern Zukunft, von einer Welt voll süßer Täuschungen, +welche der Klang der Hausschelle am frühen Morgen wegzaubert.</p> +<p>Selten im Sträflingssaale, häufig bereits in der Zelle hat der Benedict +geträumt vom Heimathdörflein, von den beiden Schwitten, von den Herzkäfern, +dem Saumathis und Straßenbasche und vom Kasernenleben und manchmal ist er +entsetzt aufgefahren, wenn die todte Mutter oder der Vater mit dem +zerschmetterten Haupte oder dem ledernen Beutel, aus welchem er 50 Gulden +herauszählte, vor ihm stand.</p> +<p>Sechs Jahre muß ein Zellenbewohner in der Zelle bleiben, wenn die Strafzeit +9 oder mehr Jahre beträgt. Sechs Jahre sind über 2190 Tage und ebensoviel +Nächte eines eintönigen Lebens und eine solche Zahl sollte nicht +ausreichen, um den alten Adam abzulegen?—</p> +<p> + * * * * *</p> +<p> +Mehrere Jahre sind verflossen, seitdem der Benedict das Inwendige eines +Sträflingssaales zum letztenmale gesehen. Er sitzt noch immer in der Zelle, +ist noch immer hineingebannt in den unerbittlichen Gang des Lebens, welches +Jahr für Jahr und Tag für Tag so ziemlich in derselben Weise eintönig +vorüberschleicht, wie wir es beschrieben. Aber der leichtsinnige Hobist ist +indessen ein stiller, nachdenklicher, ein besserer und im Ganzen +glücklicher Mensch geworden, der nicht mehr seine Freilassung für das +Höchste hält, weil er aufhörte, die Erde als das Höchste zu betrachten.</p> +<p>Rasch und leicht ging solche Umwandlung keineswegs von Statten. Sie kostete +bittere Thränen, schwere Kämpfe, verzweiflungsvolle Nächte, schonungslose +Selbstanklagen, tausend vergebliche Vorsätze und mußte Schritt für Schritt +mit dem stärksten, unermüdlichsten und grimmigsten Feinde, welchen der +Mensch hat, nämlich mit der Selbstsucht im Kampfe liegen.</p> +<p>Als nakte Selbstsucht besiegt, kleidete sie sich in das Gewand der Tugend +und Religion, mit Hülfe des Geistlichen entlarvt, mußte der Kampf von Neuem +aufgenommen werden. Jetzt ist sie gebunden, gedemüthiget, aber noch nicht +getödtet, erst der Tod wird sie vollkommen tödten.</p> +<p>Geht nicht eine alte Sage unter dem Volke, die zertretene Schlange vermöge +nicht zu sterben, bevor die Sonne untergegangen?—</p> +<p>Der Duckmäuser ist noch jung und stark, er gehört zu den Gebesserten, +insofern man Mienen, Gebärden, Reden, Benehmen, Eifer in Schule und Kirche, +das gleichmüthige und heitere Ertragen aller Entbehrungen und Leiden eines +einsamen Zellenbewohners, das unbedingte Anheimstellen des eigenen +Schicksals in den Willen Gottes, die lebendigen Aeußerungen eines tiefen +Bewußtseins der ehemaligen Unwürdigkeit, der gegenwärtigen Schwäche und +einer dankbaren Anerkennung der erbarmenden Liebe des Erlösers gegen ihn +als Zeichen von Besserung ansehen darf.</p> +<p>Er lebt so, als ob er nicht mehr allein in der Zelle sei, sondern als ob +die friedlichen, beseligenden Gestalten des Himmels bei ihm ein und +answandelten und als ob der Allmächtige den Fluch der bösen Thaten, die der +Benedict verübt, von dessen Haupte hinweggenommen habe.</p> +<p>Aber so wenig wir auf eine Besserung halten, welche erst auf dem Todbette +erfolgt oder deren Verdienst dem zunehmenden Alter, der wachsenden Einsicht +in das Eitle und Nichtige alles Irdischen, der erkaltenden Begierde, +günstiger gewordenen Lebensverhältnissen und andern Umständen hauptsächlich +zugeschrieben werden können, so zweifelhaft und jedenfalls für die +menschliche Gesellschaft fast unfruchtbar bleibt auch die geistige +Wiedergeburt eines Zellenbewohners, so lange derselbe in der Zelle lebt.</p> +<p>Weßhalb?</p> +<p>Er kann in der That gebessert sein, mag in der sittlichen Erstarkung auch +große Fortschritte gemacht haben und aufrichtig beschwören, ja auch den +Schwur nach der Entlassung treulich erfüllen, daß er niemals wieder in eine +Strafanstalt zurückkehre—aber seine Besserung kann immerhin vorherrschend +als eine Besserung für das Zuchthaus und nicht als eine für die Welt +betrachtet werden.</p> +<p>Zeit und Gewohnheit sind für jeden Leidenden ein Balsam, der Zellenbewohner +entbehrt desselben nicht, aber er entbehrt vieler Gelegenheiten und +Versuchungen zu Sünden, Lastern und Verbrechen, welche die Welt darbietet.</p> +<p>Man hat die Zellenbewohner schon mit Klosterbewohnern verglichen und +dadurch einen hinkenden Vergleich mehr zu Papier gebracht.</p> +<p>Ein Zellenbewohner kann zwar so weit gelangen, daß er seine Strafe +gleichsam aus freiem Entschlusse auf sich nimmt, doch kein freier +Entschluß, den Versuchungen der Welt zu entfliehen, sondern ein Verbrechen +hat ihn in die Einsamkeit getrieben, der Spielraum seiner Freiheit ist +geringer, als der jedes Bruders eines jeglichen Ordens, seine Lage ist +vielfach schwieriger als die des Trappisten und der Austritt aus der Zelle +steht in keiner Weise in seiner Macht.</p> +<p> +So wenig wir denen beistimmen, welche wähnen, ein Zellengefangener besitze +keine Gelegenheit Beweise seiner Besserung abzulegen, so geben wir doch zu, +daß die <i>vollständige Besserung</i> eines Zellenbewohners sich <i>erst +nach der Entlassung</i> zu bewähren vermöge.</p> +<p>Ein gebesserter Sträfling soll aber nicht blos kein neues, von wandelbaren +Gesetzen verpöntes Vergehen sich mehr zu Schulden kommen lassen, sondern +überhaupt ein guter Mensch, treuer Familienvater und rechtschaffener Bürger +sein.</p> +<p>Saufen, Spielen, Verschwenden, Betrügen, Ehebrechen, Faulenzen, Weib und +Kinder und Mitmenschen mißhandeln soll er als trauriges Privilegium jenen +Vielen überlassen, welche mit und ohne Glacéhandschuhe erhobenen Hauptes an +Strafanstalten vorüberwandeln und gleich jenem Pharisäer jubeln: "Herrgott, +was bin ich für ein prächtiger, vortrefflicher Kerl!—Noch niemals habe ich +ein gemeines Verbrechen begangen, welches mich in eine Strafanstalt +führte!"</p> +<p>Will eine Regierung sich vollkommen überzeugen, ob Zellenbewohner auf eine +Weise gebessert werden, daß die menschliche Gesellschaft wirklichen Nutzen +davon hat, so muß sie nach unseren Ansichten genaue Nachrichten über das +Leben und Treiben aller Entlassenen von Zeit zu Zeit einziehen. Freilich, +wo Leute erst dann in die Zelle gelangen, wenn sie im Laster bereits alt +wurden, auch in diesem Falle oft nur kurze Zeit zu bleiben haben oder durch +Hungerkost und Dunkelarrest für die nächste Zeit von Verbrechen +abgeschreckt, dagegen der Besserung weit schwerer zugänglich gemacht +werden, da läßt sich nicht allzuviel hoffen, doch jedenfalls würde sich +herausstellen, daß jugendliche Verbrecher, welche 2 bis 3 Jahre in einer +Zelle zubrachten, nicht wieder in eine Strafanstalt zurückkehrten und durch +ihr Leben keinen Grund zur Befürchtung baldiger Rückkehr darbieten.</p> +<p>Damit wäre aber die Einzelhaft als eine für den Staat und die Gefangenen +gleich wohlthätige Einrichtung gerettet, insofern von Besserung im +strengsten Sinne des Wortes die Rede ist.</p> +<p>Ruhig und friedlich lebt der Benedict nunmehr in seiner Zelle und schaut +wohlgemuth auf Alles zurück, was er in ihr durchgemacht hat.</p> +<p>In der ersten Zeit überraschte ihn die Neuheit seiner Lage, er hatte sich +Alles viel fürchterlicher vorgestellt, als er es fand und dem leiblichen +Tode würde er gleichmüthig ins Auge geschaut haben.</p> +<p>Es ist ein gewaltiger Irrthum, zu glauben, der Tod komme Verbrecher schwer +an. Viele sterben ganz ruhig, weil auch der nahende Tod ihnen die tiefe +Ueberzeugung nicht nimmt, daß sie weit eher Märtyrer als Verbrecher seien +und zehnmal eher den Himmel als die Hölle oder auch Keines von Beiden zu +erwarten hatten. Eine Hauptkrankheit aller Gefangenen ist die Schwindsucht, +Schwindsüchtige sind bekanntlich die Letzten, welche an die Nähe ihres +Todes glauben und haben auch keinen schmerzhaften Tod.</p> +<p>Ganz schön und leicht und ohne alle Gewissensscrupeln war der Zuckerhannes +gestorben, einen ähnlichen Tod wünschte sich auch der Benedict.</p> +<p>Doch nicht der Tod, sondern ein neues Leben sollte ihm in der Zelle werden. +In den ersten Monden der Zellenhaft gerieth er, gleich einem frisch +eingefangenen, erwachsenen Thiere, das in einen engen Käfig gesperrt wird, +in einen Zustand großer Empfindlichkeit und Reizbarkeit, den er mit +unsäglicher Mühe beherrschte, um sich nicht bei den Vorgesetzten von +vornherein das Spiel zu verderben. Er suchte sich beliebt zu machen und es +gelang ihm, wie es ihm noch überall gelungen. Sein chronisches Seelenübel, +Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, fand jedoch nicht Pflege und Nahrung +genug, dem Spiele einer lebhaften Phantasie überlassen, gerieth der +vielbelesene Kopf zuweilen mit der rauhen Wirklichkeit in Fehde und weil er +stets den Kürzern zog, machte sich die wachsende Reizbarkeit zuweilen Luft.</p> +<p>Das kurze Wort, der scharfe Blick eines Aufsehers konnte ihn in solcher +Gemüthsstimmung beben machen und was Beamte und Geistliche der Anstalt, in +der er früher gewesen, niemals gehört hatten, hörten die des +Zellengefängnisses: schwere Anklagen gegen Gott und Welt, Gesetze, Richter, +Zeugen, alle Menschen, welche ihm jemals etwas Böses zugefügt haben +sollten.</p> +<p>Ein so entschuldbarer und schon so lange mißhandelter Mensch seiner Art +gehörte freigelassen, das verstand sich von selbst—er machte +Bittschriften und die Beamten mußten dieselben wohl entgegennehmen, wenn +sie Schlimmes nicht schlimmer machen wollten. Natürlich lautete die Antwort +kurz und gut, man fühle sich in keiner Weise veranlaßt, seine Begnadigung +derzeit zu befürworten.</p> +<p>"In keiner Weise!"—["]also haben die Beamten und der Geistliche nicht für +mich geredet! ... Verderben ihnen!" dachte der enttäuschte Benedict und +schwor ingrimmig, keines Menschen Wort und Mienen mehr zu vertrauen. Er +suchte sich in die ehemalige Gleichgültigkeit hineinzulügen, den Besuchern +mit kalter Höflichkeit und schlauer Berechnung entgegen zu kommen, doch +seine Jugend- und Lebenserinnerungen leisteten ihm beständig Gesellschaft, +alle Gestalten derselben lebten und wandelten draußen herum, diesen +gegenüber mochte er nicht gleichgültig bleiben und wenn er die Eisenbahn +pfeifen hörte, welche glückliche Menschen seiner Heimath zutrug oder an +stillen Sonntagen die Parademusik hörte, weinte er oft Thränen stiller +Verzweiflung.</p> +<p>Ein unbedachtsamer Hitzkopf war er sonst nie besonders gewesen, aber jetzt +wurde er es, weil er das Feuer, das in ihm zehrte, nicht zu bemeistern +vermochte. Er redete, was er fühlte, ohne sich lange zu besinnen und gar +Manches, was er in ruhigeren Stunden verdammte.</p> +<p>Endlich versank er in einen Zustand stiller Trauer und hoffnungsloser +Schwermuth. Er würde sich vielleicht aufgehängt haben, wenn das Hängen +nicht ein gar zu gemeiner Tod und der Selbstmord überhaupt kein Akt +tapferer Feigheit wäre. Er hatte angefangen, ernster und gründlicher als je +in sich selbst hineinzuschauen und der Ich, welcher aus ihm heraus ihm +selbst entgegengrinste, zeigte eine so schreckliche Gestalt, daß der +Benedict nahe daran war, an Gott und an sich selbst zu verzweifeln.</p> +<p>Aus dem Trübsinn riß ihn der würdige Geistliche.</p> +<p>Er ließ sich das ganze Leben des Gefangenen erzählen, zeigte ihm, was er +gewollt und gethan, anderseits was Gott gewollt und gethan habe und verwies +auf die Tröstungen der Religion.</p> +<p>Ein erklärter Feind der Religion, Geistlichen und rechtschaffener Menschen +war Nro. 110 niemals gewesen, kannte die Lehren der katholischen Kirche und +wußte, wie tief die Wurzeln liegen, welche dieselbe mindestens noch beim +Volke getrieben. Die äußern Gebräuche hatte er als Gefangener niemals +vernachläßiget, aber religiös gesinnt konnte er nicht werden unter +Menschen, die Mangel an Religion für die höchste Tugend erklärten. Ohne daß +er es merkte und wollte, übten die Religionsspötter doch Einfluß auf ihn, +als Betbruder zu gelten, däuchte ihm eine Unklugheit und halbe Schande.</p> +<p>Nachdem er in der Zelle genug geflucht, gewüthet und sich den Tod +gewünscht, begann er zu beten.</p> +<p>Schule, Kirche, gute religiöse und andere Schriften machten einen +wohlthätigen Eindruck auf ihn, eine herzhafte Generalbeichte wurde der +Anfang zur Besserung.</p> +<p>Langsam und allmählig, wie der Benedict hochmüthig, leichtsinnig, diebisch +und liederlich geworden, lernte er Demuth kennen und üben, die Sünden +zuerst als eine unpraktische Dummheit und dann erst recht als eine +Beleidigung der Majestät Gottes kennen, die Sehnsucht nach irdischen +Gütern, Genüssen und Ehren minderte sich, je mehr sich ihm die Gestalten +des Himmels offenbarten und auf dem Pfade zur Versöhnung mit sich selbst, +der Welt und Gott ward ihm mannigfache Hülfe.</p> +<p>Hat er nicht einen Briefwechsel mit seinen Geschwistern angefangen, an +welche er lange Jahre nicht geschrieben? Wurden die Antworten nicht eine +reiche Quelle des Trostes und der Ermunterung für ihn? Erfuhr er nicht +unter andern, der Vater habe noch einige Stunden gelebt und Zeichen der +Verzeihung gegen das Bild an der Wand gemacht, welches den Benedict als +Hobisten darstellte? Schöpfte der Unglückliche nicht daraus den Trost, der +Vater habe ihn noch bei Lebzeiten nicht für seinen absichtlichen Mörder +gehalten?</p> +<p>Am ersten Montage des Septembers 185... wurde Nro. 110 unvermuthet ins +Besuchzimmer abgeholt. Er schrak ganz zusammen und die Kniee zitterten ihm, +als er durch die kühlen Gange geführt wurde und erinnerte sich, auf diesem +Wege sei er in die Anstalt hereingekommen.</p> +<p>Richtig liegt auch das Besuchzimmer im Vorderbau beim Eingange und der +Gefangene, welcher Besuch empfängt, sieht die Thüre, die ins große +Zuchthaus hinausführt.</p> +<p>Das Besuchzimmer des Zellengefängnisses ist so eingerichtet, daß der +Gefangene nicht das Mindeste von den Besuchern in Empfang zu nehmen +vermöchte, wenn auch gar keine Aussicht vorhanden wäre. Die Leute sehen +einander mit Mühe, geschweige daß sie sich die Hand zu geben vermöchten und +die Stimme ist wohl das Hauptsächlichste, woran sie sich gegenseitig +erkennen. Hausordnungswidrig darf sich auch keine Stimme vernehmen lassen, +denn zwischen den bis zur Decke eng verpallisadirten Käfigen der +Besuchenden und des Besuchten steht ein Aufseher, so lange sie zusammen +reden und diese Aufseher sind ausgewählte, pflichttreue Diener, wie man sie +wohl selten in einer Strafanstalt beisammen trifft.</p> +<p>Für die übertrieben scheinende und in der That harte Einrichtung des +Besuchzimmers finden wir nur Einen haltbaren Grund: man will die +Angehörigen, Freunde und Bekannten der Zellenbewohner von Besuchen +<i>abschrecken</i>.</p> +<p>Dieser Grund ist allerdings haltbar, weil ein Zellenbewohner wahrend seiner +ganzen Haft mehr oder minder in einem empfindsamen, leicht erregbaren +Zustande sich befindet und durch nichts leichter als durch Besuche in eine +gewaltige und manchmal unheilbringende Aufregung versetzt wird.</p> +<p>Wer weiß, welchen Eindruck der jetzige Besuch auf den Benedict gemacht +hätte, wenn er nicht bereits zum religiösen Halt in sich gelangt gewesen +wäre!——</p> +<p>Er hat am Besuchzimmer später nichts ausgesetzt, denn er fühlte sich +unwürdig, den beiden Lieben, welche ihn besuchten, näher zu treten und die +Hand zu reichen und mußte sich im ersten Augenblicke an einer Pallisade +halten, um nicht zusammenzubrechen. Standen doch ihm gegenüber der älteste +Bruder, der Johannesle, welcher Zeuge der allerersten Arretirung in der +Apotheke gewesen und neben ihm——das Rosele!</p> +<p>Stumm, von seltsamen Gefühlen bewegt, schauten sich diese drei Menschen an, +so gut es möglich war, dann brachen sie in ein lautes Weinen und Schluchzen +aus und endlich begannen sie zu reden, anfangs ohne recht zu wissen was und +wovon. Der Benedict faßte noch zuerst Muth und Besinnung und erzählte ihnen +sehr Tröstliches von seinem Zellenleben, was die Beiden ruhig machte.</p> +<p>Wie groß und mannhaft ist der Johannesle geworden und jetzt verheirathet, +wie sehr hat das Rosele gealtert und wie manche Thräne mag über diese +braunen, gefurchten Wangen geflossen sein! Das Weib des Straßenbasche ist +todt, doch der alte Mann lebt noch, sie pflegt ihn und ist ledig geblieben +bis zur Stunde. Der Mensch liebt nur einmal recht in seinem Leben, alles +Späterkommende ist mit Lumperei vermischt!—</p> +<p>Daheim im Dörflein hat das Jahr 1848 die rothe Schwitt vollständig ans +Ruder gebracht und der Willibald ist Obmann des Sicherheitsausschusses +gewesen. Es gab nur Demokraten, welche soffen und schrieen und Einige, +welche in Winkeln herumkrochen, das Maul hielten und erst nach der Ankunft +der Preußen auf die frühern "Maulhelden," um deretwillen doch eine Armee +ins Land rückte und das Pulver nicht sparte, tapfer schimpften. Dafür +wurden diese Bürgermeister und Gemeinderäthe; nur Einer ging leer aus und +meinte, er hätte es eher als Alle verdient. Dieser Eine war der Sohn des +alten, längst vermoderten Fidele, der Max vom Rindhofe, der Taufpathe der +rothen Schwitt.</p> +<p>Dieser Taugenichts, an welchem übrigens ein Heli von Vater, eine dem +positiven Christenthum bereits entfremdete Schule und vor Allem schlechtes +Beispiel Vieles versündiget, hatte die Zukunft der rothen Schwitt als +Anführer derselben anticipirt, bevor die Februarrevolution ausbrach und +alle Rothschwittler und Rothschwittlerinnen des Landes zu Ehren brachte.</p> +<p>Den gewöhnlichen Weg vom leichtsinnigen Müßigänger zum genußwüthigen +Lumpen, von diesem zum kleinen und allgemach zum großen Verbrecher und +entschiedenen Feinde Gottes und der Menschen durchmachend, lernte Max das +Innere vieler Wirthshäuser, Spitäler und Gefängnisse kennen und benahm sich +im Heimathdörflein so, daß selbst die ärgsten Rothschwittler nicht gerne +mehr mit ihm sich abgaben.</p> +<p>Seit den Märztagen führte der Willibald das große Wort im Dörflein, das +sich wie an den meisten Orten in drei Parteien theilte, nämlich in eine +lärmende und herrschende, in eine feigherzig schweigende und unentschlossen +abwartende und endlich in die Windfahnenpartei, welche sich heute zu dieser +morgen zu jener neigte, heute das einige Deutschland und den Großherzog, +morgen die Republik hochleben ließ.</p> +<p>Mit Max hielten es nur einige Schnapslumpen und Solche, welche auch bereits +aus Erfahrung wußten, wie Gefängnißsuppen und Zuchthausbrod schmecken. Das +Dörflein hat während der langen Abwesenheit des Benedict traurige +Fortschritte in Liederlichkeit und Verarmung gemacht, trotz den +Anstrengungen derer vom alten Schrot und Korn und der Jungen der schwarzen +Schwitt seinen guten Ruf jährlich mehr eingebüßt und ist das Haus des +Brandpeterle nebst einigen andern aus einer Schule der Laster zur +Verbrecherschule geworden.</p> +<p>Was man wenig überlegt und selten gelten lassen will, nämlich die Mitschuld +der Gesellschaft an den Verbrechen der Einzelnen ließe sich gelegentlich +dieses Dörfleins bis ins Einzelnste nachweisen, mit Namen, Thatsachen und +sogar mit Zahlen belegen und spielte der Name eines Pfarrverwesers der +Nachbarschaft dabei leider eine ebenso erhebliche als unläugbare Rolle. Wir +können uns hier nicht näher darauf einlassen und melden zunächst nur, daß +die Lumpen und Schlechten begreiflicherweise der Gesellschaft und dem +Staate nicht einige Mitschuld, sondern übertreibend die Hauptschuld an +ihren Lumpereien, schlechten Streichen und Verbrechen aufbürdeten und beim +Ausbruche des Lärmes freudenroth und blutigroth schillerten und redeten, +weil sie vermeinten, nunmehr sei das goldene Zeitalter der "Bürger" Schurk +und Compagnie vor der Thüre und bereit waren, Alles zu thun, was ihren +alten Gegnern zuwider und arg und ihren Wünschen entsprechend war.</p> +<p>Doch der Willibald trat sogleich an die Spitze der Liberalen, die in einer +Woche zu vollblütigen "Demokratern" wurden und statt mit dem Max und dessen +engern Freundeskreis zu fraternisiren, warf man ihm die bittere Wahrheit +haufenweise ins Gesicht und durfte in Gegenwart der alten Freunde kaum ein +Gläslein im Hirzen trinken, ohne in Gefahr und wegen seines bösen Maules +manchmal in den Fall zu gerathen, eine unfreiwillige Reise durch die Luft +zu machen. Der Max, darob erbost, liebäugelte einige Zeit mit den alten +Freunden seines Vaters, welche aus ruhigen Bürgern zu heillosen +"Aristokraten" geworden. Diese machten es ihm gerade wie die Windfahnen; +sie scheuten sich, ihm und seiner Sippschaft offen entgegenzutreten und +ließen sich nur durch die Unverschämtheit, mit welcher er Jeden mit "Du" +und "Bürger" anredete, in die Häuser eindrang und schmarotzte, zuweilen +bewegen, ihm nicht mit schweigender Verachtung zu begegnen, sondern gleich +den Demokratern mit Dreschflegeln zu winken.</p> +<p>Kurz und gut, der redegewandte Max mit den Seinigen gelangte zu keinem +Einfluß, fand Alle gegen sich und schimpfte heidenmäßig auf Alle. Als im +Spätjahr 1848 die Nachricht kam, wie Struve im Interesse der Freiheit, +Bildung und des Wohlstandes <i>Aller</i> im Oberland die <i>Einzelnen</i> +traktire, Beamte in Ketten schlage, ganzen Dörfern mit Brand und Mord +drohe, Einzelne fange, Gelder des Staates einsäkle und zahmgewordenen +Kammerlöwen mit dem Sarras winke, um sie zu patriotischen Liebesgaben an +die soziale Republik aufzumuntern, da schwoll dem Max das Herz in +freudigbanger Erwartung, seine Sippe steckte die Köpfe zusammen, die +Demokrater kratzten hinter den Ohren, die Aristokrater ließen schwere +Seufzer fahren und gruben Nachts Löcher im Keller, die Windfahnen +vertilgten mehr Wein, Bier und Schnaps als je, um beim etwaigen Einzuge des +"Statthalters und der Statthalterin" dauerhafte Gurgeln zum +Vivathochschreien zu haben.</p> +<p>Leider machte ein regnischer Sonntag im September den frühlingshaften +Ahnungen der Rothen, Röthern und Röthesten des Ländleins durch die +"Schlacht" bei Staufen ein Ende und als der Max gar erfuhr, daß Struve in +der Nacht mit der Eisenbahn als Gefangener durch die erste Provinz seines +Reiches gesaust, da rief er in tiefem Schmerz:</p> +<p>"Mit Deutschlands Einheit ist's Mathäi am Letzten. Das Parlament läßt nicht +hängen und köpfen, der deutsche Michel läßt seine besten Männer besiegen, +die Elsässer halten uns mit ihren Pralereien zum Narren, rächen wir uns an +der schwarzen Schwitt, denn diese trägt an allem Schuld!"——</p> +<p>Gesagt, gethan. Er stand mit einigen Kameraden dem Willibald als einem +Abtrünnigen und "Aristokrater" auf den Weg, sie schlugen denselben halbtodt +und nahmen sich das Trinkgeld dafür aus seiner Tasche. Schon einige Stunden +später saßen Alle im Amtsthurme, doch der Rädelsführer fröhlich und guter +Dinge, denn erstens war die Kerkerkost besser als in friedlichen Zeiten, +zweitens hegte er keinen Zweifel als politischer Verbrecher behandelt, +beurtheilt und, amnestirt zu werden und drittens dann als politischer +Märtyrer etwas einträglichere Geschäfte als bisher machen zu können.</p> +<p>Die Untersuchung währte sehr lange; die Richter empfanden damals große +Scheu, irgend einem Sohne des souveränen Volkes Unrecht anzuthun und +beliebäugelten das Individuum im Spiegel der Allgemeinheit. Doch nach der +Mairevolution erwachte der alte Heldenmuth und eine niegesehene Rührigkeit +im Verurtheilen und der Max spazirte als Räuber dahin, wohin er gehörte.</p> +<p>"Er hat's noch nicht abgesessen und lebt unter Einem Dache mit Dir!" schloß +der Johannesle; siedendheiß fuhr es dem Benedict durch die Glieder, denn +der alte Schwarzschwittler regte sich in ihm und konnte es nicht lassen, +mit dem Haupte der rothen Schwitt am gleichen Ziel angekommen zu sein und +unter Einem Dache zu leben.—</p> +<p>Nach vielen Herzkäfern und Schulkameraden, deren Stolz und Freude er +dereinst gewesen, wagte er gar nicht zu fragen, denn der Johannesle besaß +keinen Funken jenes Taktes, mit welchem Besucher mit Zellengefangenen reden +müssen, wenn sie denselben keine schweren Stunden und schlaflose Nächte +bereiten wollen und das Rosele war etwas schweigsam und kurz.</p> +<p>"Hab' oft für Dich gebetet, Benedict und will für Dich jetzt täglich in die +Frühmesse gehen. Was ich nicht über Dich vermochte, vermag am Ende dieses +wunderliche Haus noch am besten!—Sei getrost, der alte Herrgott lebt noch +und weiß, was für Dich gut ist und die großen Herren sind besser als die +kleinen. Betrübe Dich nicht zu sehr, weil Du da sitzest, denn daheim und im +Lande sieht es so aus und geht es so zu, daß auch ordentliche Leute +manchmal fast froh wären, hier oder doch tausend Stunden vom Rhein weg zu +sein und Maxes alte Kameraden erzählen genug, wie man im Zuchthaus +ungeschorener und besser lebe als in der Freiheit!"—</p> +<p>"Viele, die selbst mitmachten, sind jetzt die ärgsten Anzeiger und +Leuteschinder; wenn man's sieht, wie das Land ausgefressen und ausgesogen, +dem Armen das letzte Leintuch unter dem Leibe weggerissen wird, weil der +"Vollstrecker" oder der Staat Geld braucht und wie nirgends Zutrauen und +Verdienst zurückkehren wollen, da wunderts Einen nicht, weßhalb Tausende +jetzt auswandern nach Amerika. Am Ende kommst Du auch noch hinein, +Benedict, denn seitdem die Gemeinden und der Staat Solche, die im Zuchthaus +gewesen wegen Stehlen und Rauben, mit den Politischen nach Amerika +spediren, geht das Gerede, alle Zuchthäuser würden allgemach geleert und +der Befehlshaber von Amerika habe herausgeschrieben, man solle ihm doch +alle Arrestanten schicken, weil es an Händen fehle zum—Arbeiten!"</p> +<p>Benedict schüttelte etwas ungläubig den Kopf und meinte:</p> +<p>"Für mich gibts keine irdische Hoffnung mehr!—Ich habe schon an Dir, +Rosele, mein Loos verdient, weil ich Deine einst so treue Liebe so +mißachtete und mißhandelte!—Ich möchte nicht einmal wieder unter die +Menschen, denn was habe ich zu erwarten? Gutes wenig, sei es im Badischen +oder in Amerika. Lebewohl, Liebe, bete für mich und denke, daß ich endlich +doch hier ein anderer Mensch werde!"</p> +<p>Rosele fuhr mit der Schürze über die Augen, winkte dem Unglücklichen noch +einmal mit der Hand und wandte sich nach der Thüre, während Johannes einen +Besuch im nächsten Jahr nach der Erndte versprach, falls diese gut ausfalle +und ziemlich kühl Behütegott sagte.</p> +<p>Der Benedict hat sich eine Minute an den Pallisaden gehalten, als die +Beiden gingen, hat gezittert und sich schier die Lippen wund gebissen, um +nicht laut aufzuschreien. Doch ist er seiner selbst Meister geworden und +still in seine Zelle zurückgekehrt, wo er auf die Kniee fiel und Gott ein +heiliges Gelübde machte.</p> +<p>Seitdem ist er allgemach zu einem rechten Christenmenschen geworden, hat +tief in sich hineingeschaut wie selten Einer und ernsthaft an seiner innern +Läuterung gearbeitet, so daß er nunmehr alle Leiden um Christi willen +freudig trägt.</p> +<p>Und wenn heute der herzensgute Fidele vom Grabe auferstünde und seinen +Einzigen im grauen Kittel in der Zelle sähe, so würde sein Schmerz durch +die Freude überwogen, in diesem zwar einen Verbrecher, aber einen +<i>gebesserten</i> Verbrecher zu finden.</p> +<p>Der Max vom Rindhofe hat in der Zelle auch Gelegenheit erhalten, über sich +selbst lange und ernstlich nachzudenken und sich selbst gründlich kennen zu +lernen. Selbsterkenntniß aber ist und bleibt der Anfang aller Weisheit. +Könnte man alle Menschen gleich den Zellenbewohnern zum Nachdenken +<i>zwingen</i>—die Erde hörte auf, ein großes Zuchthaus zu sein und der +Streit, ob man Mitmenschen pennsylvanisch, auburnisch oder nach der alten +Methode drangsaliren müsse, damit die Gesellschaft sicher sei, würde als +Kennzeichen einer rohen und barbarischen Zeit betrauert werden.</p> +<h2><a name="Briefe"></a>Aus den Briefen des Spaniolen.</h2> +<h3><a name="B0"></a>Vorbericht.</h3> +<p> +Der Spaniol ist ein alter Bekannter aus dem ersten Theil und hat vielleicht +mancher Leser schon zu erfahren gewünscht, wer und woher er wohl und wie es +ihm bisher ergangen sein möge. Einerseits Revolutionär als Grundsatz, +gehört er anderseits schon vermöge seiner höhern Ausbildung und gewaltig +hohen Verbildung den höhern Volksklassen an.</p> +<p>So unrichtig es wäre, denselben als eine erdichtete Person zu betrachten, +so sehr bitten wir auch, in ihm den Ausdruck einer großen Klasse von +Menschen zu sehen, welche mehr oder minder bewußt und weitgehend dem +Spaniolenthum huldigen. Seine Geschichte ist eine lange, lehrreiche und +traurige. Statt ihrer geben wir nur Auszüge und dazu noch +<i>umgearbeitete</i> Auszüge aus Briefen des Helden.</p> +<p>Warum?</p> +<p><i>Erstens</i> erfordert eine <i>lange</i> Geschichte viel Druckpapier, +noch mehr Schreibseligkeit und am meisten Geduld beim Leser. Der Herr +Verleger besitzt zweifelsohne Papier genug, aber die Zuchthausgeschichten +sind schon ihrem Inhalte nach etwas dick und sollen mindestens der Form +nach nicht allzudick werden, damit sie sich leichter Platz machen in der +elenden Zeit. Ferner hat möglicherweise schon Mancher gedacht, der +Verfasser müsse ein recht schreibseliger Mensch sein, zumal er sich +zuweilen wiederholt, allein Ein Beweis vom Gegentheil wird durch großartige +Beschneidung der Geschichte des Spaniolen geliefert und manche Wiederholung +mit der Furcht entschuldigt, daß der Leser diese Schrift als eine +vorzugsweise für Unterhaltung berechnete ansehe, mit der Erfahrung, daß +Kopfzerbrechen und Nachdenken keine Lieblingsleidenschaft des Publikums +sei, mit der Gewißheit, daß man gewisse Dinge nicht oft genug sagen könne +und vor Allem mit Vertrauen auf die berühmte deutsche Tugend der Geduld.</p> +<p><i>Zweitens</i>wäre die Darstellung der innern Entwicklung und äußern +Schicksale des Spaniolen sehr lehrreich und wohl auch unterhaltend, allein +der genauem Veröffentlichung stehen größere Bedenken entgegen als bei allen +übrigen in dieser Schrift vorkommenden Geschichten. Daß wir es dadurch mit +Rezensenten, Schön-, Schwarm- und Rottengeistern der Gelehrtenrepublik, ja +mindestens mit drei Viertheilen der Welt verdürben, wäre noch leicht zu +verdauen. Wir fragen so wenig nach allen Interessen unserer Person als nur +immer möglich und weil es auf dem unvermeidlichen Totenbette doch Eins ist, +ob man sein Lebenlang Champagner oder Batzenvierer getrunken, +Havannahcigarren oder Pfälzerkneller geraucht und auf Eiderdunen oder auf +einem Spreuersack Nachts schnarchte, so würden wir uns nicht einmal +sonderlich grämen, wenn man uns eines schönen Tages zum zweitenmal, aber +dießmal um einer <i>guten heiligen</i> Sache willen an der Cravatte packte; +wenn diese dadurch gefördert würde, könnte die winzige Person darob ganz +fröhlich zu Grunde gehen.</p> +<p>Allein nicht unsere Person, sondern die des Spaniolen müssen wir +verschleiern und diese auch weniger um ihretwillen, sondern wegen anderer +Leute. Wir müßten nolens volens Vieles dichten, dürften Namen von Orten und +Personen, Zahlen und manche Thatsachen nicht laut werden lassen, ohne +Anstoß und Schaden zu verursachen und müßten dieselben doch laut werden +lassen, um gehörige Lichtfunken in die dunkle Geburtsstätte des +Spaniolenthums zu werfen. Solcher Widerspruch ist schwer zu lösen.</p> +<p>Dagegen bietet die Geschichte unseres Helden Anknüpfungspunkte und +Thatsachen in Menge, um mindestens nachzuweisen, wie weit die +Entchristlichung aller öffentlichen und gesellschaftlichen Zustände, die +Protestantisirung des katholischen Volkes gedieh und wie namentlich das +katholische Erziehungswesen kaum Spuren von christlichem geschweige +kirchlichem Geiste an sich trug in einer Zeit—welche in manchen Gegenden +noch nicht zur Vergangenheit geworden. Gegenwärtig, wo es Tausenden +einleuchtet, wohin die Entchristlichung der Völker und die +Protestantisirung katholischer Christen führe und wo aus den Denkschriften +der Oberhirten der oberrheinischen Kirchenprovinz ein Wächterruf des +Himmels an sämmtliche Dusler unter dem Monde erklingt, da wird es Pflicht, +alle Kraft aufzubieten, um einer bessern Zukunft eine Gasse machen zu +helfen.</p> +<p>Die Geschichte des Spaniolen enthält Thatsachen genug dafür, wie es lange +Jahre namenlich mit dem <i>Erziehungswesen</i> in einem Lande aussah, von +dessen Bewohnern zwei Drittheile katholisch getauft worden. Wir wählen +diejenigen heraus, für welche wir im Nothfalle einstehen können, sei es, +daß wir mit Andern Aehnliches oder ganz Gleiches erlebten oder Beweise +beizubringen vermögen. Erkenntniß der Fehler ist der Anfang zum +Besserwerden. Nebenbei soll Anderes, wenn auch nur flüchtig berührt werden, +was darauf hinzielt, dem Staate und der Kirche mindestens mit gutem Willen +beizuspringen und wenn dieser oder jener Punkt katholisch getaufte +Museumslazzaroni, Gänsekielimperatoren, Säbelbedienstete, Volksbildner und +Kleinbubenprofessoren, Kammerzeuse und andere Giganten der Aufklärung und +Bildung ärgert oder in gelinde Wuth versetzt, so wissen wir keinen bessern +Rath, als daß diese Herren das Buch mit fachgemäßer Entrüstung an die Wand +werfen, den Spaniolen für einen pechschwarzen Demokraten und seinen +Briefsteller für alles Mögliche halten, was ihnen just einfällt und +beliebt.</p> +<p>Heilsamen Verdruß unter Namenchristen zu erregen, halten wir für großes +Verdienst.</p> +<p><i>Drittens</i> endlich ist die Geschichte des Spaniolen eine sehr +<i>traurige</i>. Nun kann man zwar dem Schmerz eine Schellenkappe aufsetzen +und in Trauermusik recht freundliche und lustige Stellen einflechten, zudem +hat der Held über seine eigene Geschichte genug gelacht und es dauerte +gewaltig lange, bis er zur Einsicht kam, seine Geschichte sei Eine zum +Weinen—doch es gibt Schmerzen und Musiken, die sich mit Schellenkappen +nicht vertragen und wo aus dem lustigen Aufjauchzen das tiefe innere Wehe +nur noch herber heraustönt und der Spaniol ist ein ernster Christenmensch +geworden, der nur mit einer ernsten Lebensbeschreibung zufrieden sein +könnte. Damit nun vorliegende Briefe und der Schluß der +Zuchthausgeschichten nicht gar zu traurig ausfallen, sind dieselben aus der +Zeit genommen, wo der Held derselben nicht mehr in der Zelle zu B. und +nicht mehr in dem engen, schwülen Kerker ungläubigen Aberglaubens seufzte, +sondern wiederum den Wanderstab ergriffen hatte und wenn nicht im Himmel +des Kinderglaubens, doch im Vorparadiese eines durch Nachdenken und Gebet +neuerrungenen Glaubens an Christum den Gottessohn und die +menschheiterlösende Mission der Weltkirche Jesu Christi weilte. Was den +Inhalt der Briefe betrifft, so verhalten wir uns zu denselben wie ein guter +Rathsherr zu den Ansichten seines Bürgermeisters. Wir nicken abwechselnd Ja +und rufen: Einverstanden!</p> +<h3><a name="B1"></a>I.</h3> +<p>—Es ist ein sonderbares Gefühl, wenn man eine lange Reihe von Monden +keinen Schritt ohne Ordre und Wächter thun darf, eingezwängt in den +eintönigen Gang einer unerbittlichen Hausordnung und in den kleinen Raum +von 8 Schritten Länge und 4 Schritten Breite, welchen eine Zelle einnimmt. +Freilich gewöhnt sich der Mensch daran, eine Art Maschine zu werden und das +eigene Wollen mehr oder minder aufzugeben; die anfangs beengende Zelle +erweitert sich allmählig und wird aus einem öden Behälter zum freundlichen +Stübchen, in welchem man sehr glückliche Stunden zu leben vermag—doch wie +viele düstere und wildbewegte Tage, wie viele bange und verzweiflungsvolle +Nächte muß man durchleben, bis es so weit kommt, einen Schimmer äußern +Glückes zu genießen! Wie Alpdruck lastet die Einsamkeit auf dem Gemüthe und +erdrückt jede frohe Regung in den ersten Monden der Haft. Später kommt das +Nachsinnen und Nachbrüten, die Zelle bevölkert sich mit alten Gestalten der +Vergangenheit, sie weisen die Schuld unserer Leiden von sich ab und auf uns +selbst, der Teufel und der Engel in uns beginnen ihre geheimnißvolle +Zwiesprache und diese Zwiesprache steigert sich zum folternden, +herzzerreißenden Streit und verzweiflungsvollen Kampfe. Unentschieden wogte +in mir der Kampf und Streit, erst am Ende des zweiten Jahres wurden die +Stunden seltener, in denen der Böse mir gräßliche Gedanken, finstere +Entschlüsse, blutige Hoffnungen in die Ohren flüsterte und ich tagelang der +Gesellschaft Jenes mich erfreute, der Allen Alles werden kann und soll und +im Grunde der einzige wahre Freund bleibt, welchen der Mensch auf dieser +Welt zu erwerben vermag.</p> +<p>Wo Er weilt, herrscht Friede und Seligkeit, wo Er fehlt, Unruhe und Qual. +Dies ist in allen Menschenwohnungen der Fall, doch der Zellengefangene +empfindet es lebhafter als jeder Andere, weil ihm die zahllosen +Zerstreuungen fehlen, durch welche die Freien das bange Herz in süße +Gedankenlosigkeit einwiegen.</p> +<p>Die Freien, welche Ironie!—Die äußere Freiheit bleibt für den Herrn des +größten Thrones und für den Bürger der freiesten Republik leerer Schein, +hohle Redensart, wo die innere fehlt. Es gab und gibt wohl noch Könige, +abhängiger und elender als der verlassenste Bettler ihres Reiches, und +Gefangene, freier und glücklicher als die Gesetzgeber des freiesten +Staates. Innere Freiheit ist die Quelle der äußern. Ein Volk, unter welchem +viele innerlich Freie sich befinden, kann keine schlechte Regierung haben +und von vornherein niemals in die scheinbare oder wirkliche Notwendigkeit +versetzt werden, sich gegen dieselbe aufzulehnen und zu empören. +Revolutionen sind Zeugnisse für tiefgehende Krankheiten der Völker und +Folgen unbehaglicher Zustände, welche durch die Krankheiten ins Leben +gerufen wurden.</p> +<p>Und krank, sterbenskrank ist unsere Zeit; sie liegt darnieder am Mangel an +innerer Freiheit, näher am Mangel an positiver Religion und am Ueberflusse +an einem Heidenthum, das weit ärger ist als das alte, weil man es kein +unbewußtes und argloses nennen darf. Es strebt den ganzen Organismus des +Staatslebens und der Gesellschaft zu vergiften und hätte denselben seit 300 +Jahren schon mehr als dreimal vergiftet und ertödtet, wenn nicht die Kirche +gegen alle Angriffe und Verfolgungen kirchlicher und politischer +Revolutionen Stand gehalten hätte.</p> +<p>Doch—ich gerathe wieder auf Dinge, von welchen ich mindestens diesmal +nicht reden wollte. Es ergeht mir wie alten Soldaten und den meisten +Fachmenschen, welche jahraus jahrein von ihren Feldzügen und Geschäften +reden und unwillkürlich immer wieder darauf gerathen, ob sie wollen oder +nicht. Sollte ich mich entschuldigen, so wüßte ich nichts anzuführen, als +daß ich eben leider ein entschiedener und im Kampfe nicht unerfahrener +Soldat des Heidenthums gewesen und dadurch zum Verbrecher geworden bin.</p> +<p>Mein Herz zittert, sobald ich länger bei diesen Erinnerungen verweile. Sie +liegen hinter mir als ein langer, banger Fiebertraum voll von gräßlichen +Gestalten, drohenden Gefahren und niederschmetternden Erinnerungen. Ich +weiß, daß du mir verzeihest und Dank weißt, wenn ich später über die +Nachtseiten meines Lebens rasch hinwegeile. Es geschieht nicht, weil ich +mich des Bekenntnisses, sondern weil ich mich meiner Verirrungen und Sünden +schäme—mich selbst verachten und Gottes Barmherzigkeit anstaunen muß, der +einen Unhold meiner Art zu sich rufen und aus einer Art moralischem +Ungeheuer, dessen größte Tugend im Stolze auf seine Ungeheuerlichkeit +bestand, wiederum zu einem Menschen, zu einem Christen werden ließ. Er +würde es wohl nicht gethan und als gerechter Gott mich den Folgen meiner +Unthaten überlassen haben, wenn nicht Er am besten gewußt hätte, daß +weniger Selbstsucht als verwundete und verkehrte Liebe für meine +Mitmenschen und nicht Bosheit, sondern frühgenährte Eitelkeit des Herzens +mich auf einem Wege forttrieben, auf welchen ich mich nicht selbst brachte, +sondern als Kind darauf gebracht wurde.</p> +<p>—Ja, einen großen Theil meiner Schuld schiebe ich keineswegs mit dem +höflichen Dichter den Gestirnen zu, sondern muß und darf meine Eltern, +Lehrer und die Gesellschaft überhaupt dafür verantwortlich machen. Dabei +vergesse ich nicht, daß Eltern unter allen Umständen Eltern bleiben und daß +die meinigen hinsichtlich ihrer natürlichen Gaben und thätigen Liebe für +uns Kinder vortreffliche Menschen waren. Ich muß dieselben mit mir beklagen +und nicht minder meine Lehrer, welche als Söhne und Träger der Bildung +einer dem positiven Christenthum abholden und feindseligen Zeit eben auch +zu dem gemacht worden waren, was sie aus mir und meinen Mitschülern +machten: <i>Namenkatholiken, Unchristen, Heiden.</i></p> +<p>Man sollte vermeinen, Eltern und Lehrer in christlichen Staaten erachteten +es für die erste Pflicht, junge Seelen Christum kennen und lieben zu +lehren, die Glaubenssätze und Gebräuche der Kirche so gründlich als möglich +zu erklären und denselben handelnde Christen in ihrer Person zu zeigen. +Solch heilige Pflicht wäre nicht allzuschwer zu erfüllen. Das Kind faßt +Christum, weil sein Gemüth reine Liebe begreift und die natürliche Liebe, +welche es für seine Ernährer und Lehrer empfindet, bildet die +Uebergangsbrücke der übernatürlichen Liebe zum Himmlischen und Göttlichen. +Ferner wären dogmatische Auseinandersetzungen für Kinder zwar unnütz, denn +das Kind zweifelt nicht, sondern glaubt und vertraut und der erstarkende +Verstand entwickelt mit der Zeit aus dem lebendigen Glauben an den +Gottessohn alle Glaubenssätze als bloße Folgerungen aus jenem Glauben von +selbst, doch eine oft wiederholte Erklärung aller Gebräuche der Kirche, in +deren kleinsten eine unendlich tiefe Bedeutung liegt, sollte eben so sehr +zur Obliegenheit der Eltern als der Lehrer werden. Endlich sind die meisten +Erzählungen vom Leben der einzigächten Helden der Menschheit, der Helden +des sittlichen Willens, nämlich der Heiligen für jedes Kinderherz so +verständlich, anziehend und rührend, daß in keinem Hause eine +Legendensammlung fehlen und nirgends dieselbe bestäubt in einem Winkel +liegen sollte. Zuletzt liegt in der Befolgung der Vorschriften unserer +Religion der ächte Stein der Weisen, das Geheimniß des zeitlichen und +ewigen Glückes und wenn Eltern und Lehrer nicht einmal an ihre Kinder und +Schüler, sondern nur an sich selbst und ihren handgreiflichen Nutzen, nicht +an das Jenseits, sondern nur an den Augenblick und das Irdische dächten, +würden sie darnach <i>streben</i>, ihren Kindern handelnde Christenmenschen +zu zeigen, durch eigenes Beispiel zur Nachahmung reizen und an das Gute +gewöhnen.</p> +<p>Zu all diesem gehört keine besondere Gelehrsamkeit, es kostet nicht viele +Zeit und würde eher zu Ersparnissen als zu Ausgaben verhelfen.</p> +<p>Allein wie sieht es in protestantischen und katholischen Familien und +Schulen mit der Pflege des Christenthums aus?</p> +<p>Gibst du nur den einzigen Satz zu, daß ein Christenthum ohne einen +Gottessohn ein leeres Gerede sei, hinter welchem sich ein mit christlich +klingenden Redensarten verbrämtes Heidenthum breit macht, so wird den Satz +Niemand umstoßen können, daß bei weitem in den meisten Häusern und +Schulstuben das heranwachsende Geschlecht zu Heiden statt zu Christen und +weit eher für Wirthshäuser, Spitäler, Irrenanstalten und Gefängnisse denn +für ein glückliches Familienleben, weil für die Kirche und den Himmel +herangezogen werde.</p> +<p>Ich bin ein trauriges Beispiel dafür geworden. So wenig meine Erziehung in +Haus und Schule einigen Antheil am Verdienste meiner Rückkehr zum Glauben +besitzt, ebensowenig verhindert sie bei vielen Tausenden, daß diese werden, +was aus mir, dem Liebling der Eltern und Lehrer, geworden.</p> +<p>Pietät verbietet mir, meine leiblichen Eltern von einer ungünstigen Seite +zu schildern. Kinder ihrer Zeit und Opfer der Weisheit der Zeit, trug +Alles, was angeborne Herzensgüte des Vaters und Sanftmuth der Mutter, +günstige Lebensverhältnisse und erfahrne Weltklugheit bei ihnen vermochten, +nicht genug zu einem dauerhaften häuslichen Glücke, wenig zum Gedeihen der +menschlichen Gesellschaft und noch weniger dazu bei, denselben in der +Todesstunde Trost und in den Augen Gottes besonderes Ansehen zu +verschaffen. Und meine Eltern gehörten nicht nur zu den angesehensten und +gebildetsten, sondern in der That zu den edelsten Persönlichkeiten meiner +Vaterstadt, wie meine Lehrer zu den kenntnißvollsten und besten des Landes.</p> +<p>Der Vater war Arzt; ein religiös gesinnter Arzt ist wohl heute noch so +selten denn ein gläubiger Jurist, ein frommer Lieutenant oder ein +gottbegeisterter Handlungsreisender. Er besuchte die Kirche nur am +Geburtsfeste des Landesherrn und galt als feiner, aufgeklärter Kopf, der +wenig redete und mindestens vor uns Kindern niemals gegen die Religion und +selten genen [gegen] diesen oder jenen Geistlichen zu Felde zog. Er +überließ das Beten, Kirchengehen und die religiöse Erziehung seiner Kinder +der Mutter und den Lehrern. Diese glaubte aufrichtig an einen <i>Gott</i>, +aber weder an den Jehova des alten noch an den dreieinigen des neuen +Bundes, sondern an den Gott innerhalb der Grenzen der Vernunft, an den des +Zeitgeistes, der seine Bibel in den "Stunden der Andacht" gefunden. Er +spielt in der Geschichte unseres Geschlechtes und im Leben des einzelnen +Menschen genau dieselbe Rolle, wie ein gutherziger Onkel oder schwacher +Vater irgend eines Theaterstückes, worin ein leichtsinniger Sohn oder Neffe +einen dummen und schlechten Streich nach dem andern macht, den guten Alten +auf jede beliebige Weise ärgert und quält und am Ende von allerlei Noth +getrieben liebend und vertrauend in die stets ausgebreiteten Arme des +Gerührten sinkt.</p> +<p>Man könnte diesen Gott den absoluten Heli nennen, der so oft vom Stuhle +fällt und stirbt als es dem Menschen beliebt gegen den Willen desselben zu +handeln.</p> +<p>Meine Mutter glaubte auch an <i>Christum</i> und würde Straußens mythische +Nebelgestalt oder gar Daumers Menschenfresser mit Abscheu zurückgewiesen +haben—aber <i>ihr</i> Christus war nur ein liebenswürdiger, großer +Wohlthäter des Menschengeschlechts, den die gottlosen Juden peinigten und +kreuzigten, weil eben Juden nichts von Weisheit, sondern nur das Geldzählen +und Dukatenbeschneiden verstanden und schon damals Jeden der Ihrigen +verfolgten, der für die benachbarten Gojims ein zu lautes Wort einlegte. +Daß das Menschengeschlecht wegen des unschuldigen Apfelbisses in Ungnade +gefallen, blieb ihr so unbegreiflich als die Nothwendigkeit, daß sich ein +Schuldloser für das Menschengeschlecht mit Erfolg opferte.</p> +<p>Der Gedanke, daß Gottes eigener Sohn auf dieses armselige, winzige +Erdenpünktlein herabgestiegen sei, um sich zum Schlusse eines armseligen +und verfolgten Lebens als ohnmächtiger Mensch kreuzigen zu lassen, erschien +ihr bald lächerlich bald empörend, je nachdem sie gerade gestimmt war. Es +läßt sich begreifen, daß von einem <i>heiligen Geist</i>, der einst als +einfältige Taube am Jordan herumgeflogen, bei meiner Mutter so wenig die +Rede sein konnte als von der wahrhaften, wirklichen und wesentlichen +Gegenwart Christi im heiligen Abendmahl. Sie fand wohl Geist in den +Gedichten Schillers und Anderer, am wenigsten aber in geistlosen +Catechismen und das heilige Abendmahl galt ihr als eine Art von Zweckessen, +als Erinnerungsfeier an einen tüchtigen Volksmann. Natürlich vermochte sie +in der katholischen Kirche, der sie mit Leib und Seele anzugehören +vermeinte, weder eine vom heiligen Geist geleitete göttliche Einrichtung +noch den fortgesetzten Christus zu erblicken. Die Kirche galt ihr einfach +als menschliche, politisch nützliche und kluge Einrichtung und an die +Stellvertretung Gottes im Priesterstand glaubte sie um so weniger, je mehr +Bücher über die Gräuel des Mittelalters sie verschlang und je mehr +Erzählungen vom starkmenschlichen Wandel vieler Geistlichen im Schwange +gingen.</p> +<p>Sie betete und ging zur Kirche sowohl aus Bedürfniß als aus Gewohnheit. Das +Bedürfniß war genau dasselbe, welches jeden geistig Gesunden ohne +Unterschied des Glaubens zum Beten und zur Verehrung eines höchsten Wesens +antreibt und über die Gründe ihrer Gewohnheit reiflich nachzudenken, dazu +mangelte Anlaß, Lust und Zeit oder Alles zugleich. Aber—hörte sie am +Sonntage nicht <i>positives</i> Christenthum von der Kanzel herab +verkündigen? Wurden nicht katholische Handlungen vor ihren Augen fast +täglich vorgenommen? Mit dem Predigen des positiven Christenthums war es in +einer Zeit, wo noch kein Hirscher und Andere den tiefen und innigen +Zusammenhang zwischen Dogmatik und Moral auseinandergesetzt hatten, bei der +Bevölkerung mancher Pfarrei übel bestellt. Auch in unserer Stadt gab es +Geistliche, welche Alles, nur kein <i>positives</i> Christenthum von der +Kanzel herab verkündigten. Einzelne predigten im Laufe vieler Jahre +immerhin zuweilen auch Glaubenslehren und meine Mutter wußte den +Catechismus besser auswendig als ich, denn sie hörte den Kindern manchen +Morgen nach dem Frühstück noch geschwind die Lektion des +Religionsunterrichtes ab. Allein es stand vollkommmen [vollkommen] im +Einklange mit ihren Grundanschauungen, daß sie die Glaubenslehren der +katholischen Kirche nur als todte Gedächtnißsache inne hatte und den +Unterschied zwischen Katholiken, Protestanten und wohl auch den Juden als +Etwas betrachtete, was honetten und <i>gebildeten Leuten</i> unwesentlich, +zufällig und gleichgültig erscheinen müsse.</p> +<p>Als ob es eine doppelte Wahrheit geben könne, unterschied sie nämlich eine +Religion für Gebildete, welche über allen mittelalterlichen Aberglauben +hinaus sein sollten und eine Religion für das gemeine Volk, dessen +Leidenschaften durch die zwei größten Beweger des menschlichen Herzens: +Furcht und Hoffnung, näher durch die Angst vor Hölle und Fegfeuer und die +Aussicht auf die Freuden des Himmels in Schach gehalten werden müßten. Nach +ihrer Meinung machten alle Geistlichen insgeheim und in Gegenwart von +Honoratioren denselben Unterschied, schwiegen jedoch aus Klugheit auf der +Kanzel davon, weil ja gemeines Volk und Gebildete in Einer Kirche saßen. +Ersteres mußte gläubig erhalten werden, die Honoratioren wußten schon, +woran sie mit dem Geistlichen waren und wählten aus dem Vortrage heraus, +was ihren Ansichten entsprach und ihrer Person gerade mundete.</p> +<p>Meine Mutter war eine gute, gescheide Frau, hielt sich ganz ehrlich für +eine vortreffliche Katholikin und wurde in der ganzen Stadt dafür gehalten, +weil eben in der ganzen Stadt das ewige Evangelium durch das Evangelium der +Zeit, der Katholizismus durch den Protestantismus thatsächlich verdrängt +worden war.</p> +<p>Ob es heutzutage schon um Vieles hierin besser geworden, weiß ich nicht. +Ich weiß nur, daß die Missionen keine fruchtlose Sache, die Jesuiten +vortreffliche Prediger sind und daß der Zug der angsterfüllten Zeit bei den +Bessern ein lebendiges Wechselverhältniß zwischen Gott und Mensch verlangt, +welches nur durch die positive Religion vermittelt wird.</p> +<p>Aus dem Vorhergehenden ist dir nun sicher klar, daß meine und meiner +Geschwister früheste religiöse Erziehung uns mit einer für das Leben +unfruchtbaren Ehrfurcht vor dem Schöpfer Himmels und der Erde, mit einer +nur sinnlichen Liebe für das hübsche Jesuskindlein, mit dem Geiste der Zeit +und mit Gleichgültigkeit und frühzeitig genug mit Mißtrauen gegen unsere +Kirche erfüllte.</p> +<p>Es wäre gut, versuchte Einer einmal die Schilderung des Lebens in einer +honetten und gebildeten Familie, deren Mitglieder gleich uns dem +Zeitevangelium huldigten und einer nicht minder honetten und gebildeten +Familie, welche Jesum Christum kennt und liebt und in der katholischen +Kirche ihn sinnlich schaut. Meine überreiche Erfahrung böte ihm Stoff +genug, um alle Dichtung entbehren zu können und das Schriftlein würde +vielleicht Einiges beitragen, die große und gefährliche Lüge der Zeit, als +ob positive Religion keinen positiven Einfluß auf das Handeln ausübe und +deßhalb für das Leben gleichgültig sei, todtschlagen zu helfen. Der +Katholizismus hat auf den Trümmern der Römerwelt eine neue und bessere Welt +erbaut, aus Barbaren Menschen und aus Bürgern Christen gemacht und wie oder +warum oder wann sollte diese weltumgestaltende Religion allen Einfluß auf +das Leben eingebüßt haben? Freilich sind durch zahllose Bücher und +zeitgemäße Staatsschulden Millionen Katholiken zu inwendigen Protestanten +geworden und der Glaube der meisten Protestanten ist von dem der gebildeten +Griechen und Römer oder auch der naturwüchsigen Germanen nicht sonderlich +verschieden—aber ist <i>dieser</i> Glaube Christenthum? Klingt es nicht +wie baarer Unsinn, wenn Heiden uns belehren wollen, das Christenthum übe +keinen Einfluß auf <i>ihr</i> Handeln und Leben aus?—</p> +<p>Doch ich schweife bereits wieder ab.</p> +<p>Was das Haus übel macht, soll zunächst von der <i>Volksschule</i> +verbessert werden. Wir Kinder wurden daheim zu Helden gemacht; wenn es +nicht der Fall gewesen wäre, so würde die von mir besuchte Volksschule ganz +dasselbe bewirkt haben.</p> +<p>Ein gescheidter Mann hat einmal geschrieben. "Katholische Jugend in die +Hände eines Lehrers geben, der nicht aufrichtig katholisch ist, ist fast +ebenso thöricht als den Katholiken in ihrer Kirche durch einen reformirten +Geistlichen oder den Juden durch einen Bischof predigen lassen." Keine +Behauptung ist einleuchtender als diese. Aber wie stand es mit den +Volksschulen überhaupt? Man sollte vermeinen, daß in christlichen +Volksschulen alle Lehrgegenstände soviel als nur immer möglich mit dem +fleischgewordenen Gottessohn und der Kirche in Beziehung gebracht würden. +Nur dann hatte die Vielwisserei, womit man seit einigen Jahrzehnten die +Kinder in Stadt und Land vollzustopfen trachtet, auch einigen Sinn und +Nutzen. Die Schule wäre eine Ergänzung und Vervollständigung der Kirche und +ein Hülfsmittel mehr, dem Volke eine klare, allseitige christliche Welt- +und Lebensanschauung beizubringen. Freilich ist das Einmaleins und die +Rechenkunst weder christlich noch katholisch, eine vortreffliche +Handschrift bleibt etwas Gutes, wenn der Schreiber auch noch so wenig taugt +und die Kinderquälerei mit Sprachlehren bliebe eine solche, wenn auch +gelegentlich der Satzbildungen, Sprachübung und des Aussatzmachens der +Lehrer alle Beispiele aus dem Gebiete des kirchlichen und religiösen Lebens +wählte und wählen ließe. Aber wenn einst die Jesuiten es verstanden, jungen +Chinesen durch die Geometrie christliche Glaubenssätze wie den der +Dreieinigkeit beizubringen, so ließe sich am Ende auch nachweisen, es sei +für einen christlichgesinnten Volksschullehrer nichts Schweres, selbst dem +Unterrichte im Rechnen und in der Meßkunst eine gewisse religiöse Weihe zu +geben. Auch ist unläugbar, daß die Schreibbücher der Schüler keineswegs +verunstaltet würden, wenn man neben den Sittensprüchen, Beschreibungen von +Thieren und Pflanzen und ähnlichen Dingen etwas positiv Christliches und in +katholischen Schulen spezifisch Katholisches fände. Was die Sprachlehren, +Naturlehren, Abrisse aus der Geschichte und andere Zweige des Unterrichts +betrifft, welche in den Lesebüchern der Volksschulen vorkommen, so verweise +ich einfach auf sämmtliche Lehr- und Lesebücher, welche seit der Entstehung +unseres Landes in Volksschulen und höhern Bürgerschulen eingeführt waren +und frage: wie viele dieser Bücher sind durchweht vom Geiste Christi oder +gar von dem der katholischen Kirche?</p> +<p>Du wirst vielleicht nicht ein Einziges finden, dessen Inhalt nicht ganz und +gar durchsäuert wäre vom Geiste jener zeitgemäßen Religion, der meine +Mutter huldigte und vielleicht mehr als Eines, welches darauf hinarbeitete, +Gleichgültigkeit, Mißtrauen und Haß gegen die katholische Kirche, +namentlich durch entstellte Geschichte in die Herzen der Jugend zu säen.</p> +<p>Lebte die Gesinnung ächter Katholiken in den Herzen der Volksschullehrer +und wären Bücher wie das Lesebuch von Bumüller und Schuster schon zu meiner +Zeit in den Händen der Kinder des Volkes gewesen—Fürsten und Regierungen +würden sich wohl einen großen Theil jener grausamen Demütigungen, die +Völker aber viele Leiden erspart haben, womit sie von Gott besonders seit +1848 heimgesucht wurden.</p> +<p>Leider dauerte die Entchristlichung der Protestanten und die +Protestantisirung der Katholiken mehrere Menschenalter bereits in den +Volksschulen. Wer aber am allerwenigsten dafür verantwortlich gemacht +werden sollte, das ist der Stand der Volksschullehrer, welchem ich selbst +längere Zeit angehörte.</p> +<p>Es ist eine wohlfeile Sache, über die Verkommenheit und Haltlosigkeit der +"Volksbildner" mancher Gegend zu schimpfen und den "Schulmeisterhochmuth" +zu geißeln. Alles hat seine hinreichende Ursache und wer der Quelle + +nachforscht, aus welchen die Verkommenheit mancher, die Haltlosigkeit +vieler und der Hochmuth der meisten Volksschullehrer meiner naheliegenden +Zeit entsprang, wird geneigt sein, dieselben weit mehr zu bedauern als +anzuklagen. Die Quelle aber ist dieselbe, aus welcher das Unheil der +Gegenwart überhaupt geflossen. Mangel an positiver Religion oder, was +zuletzt auf Eins herauskommt, an gründlichem Wissen.</p> +<p>Ich muß bei dir den Schulmeisterton anstimmen und in jenen Pedantismus des +Schulmeisterthums gerathen, womit Viele gründlich nachzuweisen suchen, daß +das Wasser naß und das Feuer heiß sei.</p> +<p>Du weißt so gut als ich, daß große Schulmeister auch einmal kleine Buben +gewesen und getaufte Heiden zunächst in Schulbänken für den Zeitgeist +herandressirt werden. Schon der Umstand, daß Katholiken, Protestanten und +Juden gar oft in Einer Schulbank sitzen, muß den Lehrer nothwendig +abhalten, seinem Unterrichte die Färbung eines Glaubensbekenntnisses zu +geben. "<i>Ueber den confessionellen Gegensätzen zu stehen</i>," ist sein +Verdienst und ein Ziel seiner Ausbildung. Hand aufs Herz gelegt, gestehst +du mit mir, das "Stehen über den confessionellen Gegensätzen" sei nichts +als eine sinnlose Redensart, insofern man dabei noch von Christenthum und +sogar von kirchlicher Gesinnung redet und nicht minder erlogen wohl das +Leibsprüchlein der Zeit, daß "die Liebe" keine Unterschiede des Glaubens +mache und der Mensch über dem Christen stehe.</p> +<p>Wo ist der Geschichtschreiber oder Staatsmann, von welchem sich sagen +ließe, daß er wahrhaftig über allen kirchlichen und religiösen Partheien +gestanden, alle gleichmäßig behandelt und sich nicht mehr oder minder +entschieden <i>für</i> Eine derselben und <i>gegen</i> alle übrigen +jedenfalls thatsächlich erklärt habe? Und wieviel Aufgeklärte hat es von +jeher gegeben und gibt es heute, denen die "christliche Liebe" möglich +macht, gegen politische und kirchliche Gegner gerecht zu sein und in +denselben den gleichberechtigten Menschen zu achten, geschweige zu lieben?</p> +<p>Nein, so wenig es ein Christenthum ohne lebendigen Glauben an Christum den +Gottessohn und ohne die von Ihm gestiftete Kirche gibt, so wenig hat auch +die "christliche Liebe" diejenigen, welche <i>über</i> allen religiösen und +kirchlichen Partheien zu stehen vermeinten, davor bewahrt, gläubige +Protestanten und absonderlich die katholische Kirche heidnisch zu hassen +und zu verfolgen.</p> +<p>Ist's aber hochgelehrten Professoren und erleuchteten Staatsmännern +unmöglich, <i>über</i> der katholischen Kirche zu stehen, ohne zugleich +<i>außerhalb</i> und ihr mehr oder minder feindlich <i>gegenüber</i> zu +stehen, so sollte man es bei uns dem Lehrerstande nicht allzusehr verübeln, +wenn die meisten Mitglieder desselben das positive Christenthum als etwas +Geringfügiges betrachten und alles "Pfaffenthum" verabscheuen. Erstens +nämlich wurden sie von ihren Eltern oder Lehrern oder von Beiden zugleich +von Kindesbeinen an mehr oder minder für das "reine Menschenthum" erzogen; +zweitens muß solche Erziehung mit der Zeit oft sehr reichliche Früchte +eines unreinen Heidenthums tragen, weil ein Lehrer auch Fleisch hat und bei +uns nur zwei Jahre studirt, später wenig Zeit und Gelegenheit und selten +Anleitung bekommt, ein Christenmensch zu werden und sich eine gründliche +Bildung anzueignen. Er bleibt jedenfalls in der Hauptsache bei dem stehen, +was ihm im Seminar beigebracht wurde und wenn es nun die Religion des +Zeitgeistes war, womit ihn die Lehrer beglückten, zu deren Füßen er +treugläubig und bewunderungsvoll saß, wer kann es ihm verargen, wenn er den +Mangel an positiven Glauben für das sicherste Kennzeichen eines gebildeten +Mannes hält? Drittens endlich führt ein Volksschullehrer ein an +Entbehrungen, Mühsalen und Leiden immer reiches Leben und wenn man das +Treiben manches Pfarramtslazzaroni genauer in Augenschein nimmt und mit dem +Loose des unter ihm stehenden Lehrers vergleicht, wird man sehr geneigt, +die Behauptung, daß die Lehrer zu wenig und die Geistlichen zuviel +Einkommen hätten, nicht sowohl demokratisch und revolutionär als richtig +und vernünftig zu finden.</p> +<p>Bedenkt man nun, daß der Lehrer im Seminar und durch Schriften mit einer +höchst übertriebenen Ansicht von der menschheiterlösenden Bedeutung und der +weltbeglückenden Würde seines Berufes, mit Gleichgültigkeit gegen das +positive Christenthum und Mißtrauen gegen alles "Pfaffenthum" erfüllt wird, +vergißt man nicht, daß manche Pfarrämter und Dekanate sich ihre Langweile +damit versüßen, den unchristlich und unkirchlich erzogenen und +vielgeplagten Schulmeister kleinlich und boshaft zu schulmeistern und zu +quälen, so mag man sich über die Leichtigkeit nicht mehr wundern, womit der +Staat im Interesse des "religiösen Friedens" d. h. der Knechtung der Kirche +die Schule seit Langem beherrschte und die Jugend für die Staatsreligion, +d. h. zunächst für Gleichgültigkeit gegen das positive Christenthum erzog— +ohne in ihr die Säugame [Säugamme] des Heidenthums zu ahnen. Ich weiß ein +einsames Grab, das an Allerseelen von keiner liebenden Hand geschmückt +wird. Darunter liegt ein Schulmeister, der sich eine Kugel durch den Kopf +gejagt und einen Zettel zurückgelassen hat, worin er erklärte, er schieße +sich todt, weil die "Pfaffen" ihm das Leben unerträglich machten und +schieße sich im Himmel abermals todt, sobald er dort seine Quälgeister +wiederum treffe. Solche Erklärung charakterisirt den tiefeingewurzelten +Haß, welchen Volksschullehrer häufig gegen Geistliche empfinden und ich +meine, Schüler dieses Lehrers, welche ihn liebten, seien schwerlich große +Freunde der Geistlichkeit geworden.—</p> +<p>—Das Kind denkt mehr mit dem Herzen, als mit dem Kopfe, der Grundton +seines Wesens ist Liebe und deßhalb bleibt es auch ein Leichtes, Kindern +die Religion der Liebe beizubringen. Doch so wenig ich daheim zum Christen +erzogen wurde, so wenig thaten meine Lehrer dafür und am wenigsten der +<i>Religionslehrer</i>.</p> +<p>Damals gab es nicht viele Jünglinge, welche innerer Beruf zum geistlichen +Stande trieb. Unter den Studirenden widmeten zumeist Solche sich dem +Dienste der Kirche, welche zu arm, zu talentlos oder auch zu faul und +liederlich waren, um etwas Anderes zu werden. Die geistlichen Professoren +der Hochschulen gingen häufig damit um, eine zeitgemäße Theologie zu +erfinden, Gottes Wort und Werk nicht sowohl gegen den Witz und Aberwitz der +Zeit zu vertheidigen als demselben zu unterwerfen. Die Stellung, in welche +die Kirche zum Staate gerathen, zahlreiche Schriften aus den ersten +Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, das langdauernde Geschrei um Aufhebung der +Ehelosigkeit katholischer Geistlicher, skandalöse Vorfälle verschiedener +Art, vor Allem die gräuliche Unwissenheit in kirchlichen, die weitgediehene +Verkommenheit in sittlichen Angelegenheiten, über deren Vorhandensein bei +den untern und mittlern Ständen kein Zweifel mehr herrscht—dies Alles legt +Zeugniß ab, welche Eroberungen der glaubensfeindliche Geist der Zeit auch +unter dem Klerus gemacht.</p> +<p>Ich mit den meisten meiner Mitschüler darf mich ein Opfer solcher Zustände +nennen, insofern wir kaum Einen Religionslehrer kannten, der mit +Begeisterung, Liebe und Eifer unsere jungen Seelen für Christum zu gewinnen +und uns einiges Verständniß der Lehren, Gebräuche und Einrichtungen der +katholischen Kirche beizubringen trachtete. Die einzige Errungenschaft, +welche ich aus dem Religionsunterrichte der Volksschule gerettet, +beschränkt sich auf die Erinnerung, wie sauer es mir wurde, die +unverstandenen Lehren des Catechismus auswendig zu lernen, welch +schreckliche Langeweile wir oft in der Kirche und während der +Religionsstunde empfanden und mit welcher Angst und Unwissenheit ich zum +erstenmal in den Beichtstuhl trat. Mit Angst—weil die Mutter mich +überredet hatte, der Beichtvater sehe es Jedem an, der eine Sünde +verschweige oder gar lüge und trage ein scharfes Federmesser bei sich, mit +welchem er Einem die Zunge stutze. Ich schämte mich meiner Sünden nicht, +doch fürchtete ich Eine zu vergessen und ein Stück meiner Zunge im +Beichtstuhle zurückzulassen. Mit Unwissenheit—insofern ich der Gnade des +Glaubens eigentlich niemals theilhaftig geworden und durch viele Reden der +Erwachsenen sowie durch die Wahrnehmung, daß bei meinen ältern Kameraden +die Besserung darauf beschränkt blieb, sich einige Tage nach der Beicht vor +den Lieblingssünden zu hüten, bereits zum Mißtrauen und Unglauben an diesem +heiligen Sakramente gekommen war, bevor ich über das Leben und Treiben der +Erwachsenen reiflicher nachdachte. Frühzeitig wurde ich an religiösen und +kirchlichen Dingen irre und einer meiner Lehrer hat Namhaftes dazu +beigetragen. Mein älterer Bruder nämlich wollte geistlich werden, ein +stiller, gemüthlicher Mensch, den die Eltern und wir nur "das Pfäfflein" +nannten. Er ging längere Zeit zu einem Vikar, um Latein zu lernen und ich +bald mit ihm, denn der Vater hielt große Stücke auf mich, behauptete, ich +werde meinem Alter vorauseilen, den Bruder und Alle überflügeln und müsse +frühzeitig mit Allem anfangen, was zum Brodkorb führe. Das Versprechen, +mich aus der Volksschule wegzunehmen, wenn ich meine lateinischen Regeln +und Unregelmäßigkeiten fleißig erlerne, bewirkte Wunder bei mir und bald +war ich der ausgemachte Liebling des Vikars. Manchmal unterbrachen +Gespräche den Unterricht und einige derselben sind mir unvergeßlich +geblieben. Die Behauptungen: es sei besser ein Schuster als ein +katholischer Geistlicher zu werden, Rom wolle keine Menschen, sondern +Sklaven, Christus sei ein großer Weiser gewesen, aber die Finsterlinge +hätten Seine Lehren verunstaltet—tönen mir noch jetzt in den Ohren. Sie +fielen mir auf, weil ein Geistlicher sie aussprach. Ich liebte diesen +Seelenmörder, der heute noch lebt und zur Rongezeit ein Weib genommen +hat.—</p> +<p>Ziemlich einförmig und glücklich verlebte ich meine Kinderjahre, während +deren eine im mildesten Ausdrucke höchst mangelhafte religiöse Erziehung +den Grund zu Dem legte, was später aus mir geworden ist und wogegen mich +ein stürmisches Temperament, ein brennender Ehrgeiz, herbe Erfahrungen und +alle Bitterkeiten des Lebens nicht zu bewahren vermochten.</p> +<p>Es ist wahr, meine Geschwister sind so wenig Verbrecher geworden als die +meisten meiner Schulkameraden. Doch an meiner Stelle würden sehr Viele ein +ganz anderes Schicksal gehabt haben, als dessen sie sich erfreuen. Und ist +Einer schon ein brauchbares und nützliches Mitglied der menschlichen +Gesellschaft, wenn er kein von den Gesetzen verpöntes Verbrechen begeht? +Und erfüllt Einer dann schon seine <i>ewige</i> Bestimmung, wenn er seine +irdische erfüllt?</p> +<p>Ich will von meinen Geschwistern nichts sagen. Die Art und Weise, wie +dieselben gegen mich handelten, hat mir schon lange vor der Freilassung +jeden Zweifel benommen, wie es mit ihrer Ehrenhaftigkeit und ihrer +christlichen Liebe aussieht. Freilich habe ich wenig gethan, um mir ihre +Achtung und Liebe zu erhalten, doch Verfolgung läßt sich kein Christ gegen +einen ohnehin gebeugten, armen und wehrlosen Mitmenschen zu Schulden +kommen. Schweigen wir darüber, mir wirds, als ob tausend glühende Dolche +mein Herz durchbohrten und ohne Halt in Gott müßte ich aufs Neue an den +Menschen verzweifeln. Doch Eines noch. Ich stelle an keinen Menschen das +Ansinnen, als <i>vollendeter</i> Christ zu handeln, ein <i>Heiliger</i> zu +sein, weil ich weiß, wie weit ich noch im Befolgen aller Lehren unseres +Herrn und Meisters zurück und wie sehr ich noch im Kampfe mit dem alten, +sündhaften Menschen in mir befangen bin. Allein ich glaube in christlichen +Landen vom Staate wie von den Einzelnen <i>aufrichtiges Streben</i>, die +Grundsätze des Christenthums ins Leben einzuführen, verlangen zu dürfen. +Wie es mit diesem Streben im Staate bestellt sei, darüber belehrt schon +seine Stellung zur Kirche. Was aber die Christen betrifft, welche ihrem +Glauben gemäß zu leben und zu handeln streben, so habe ich in kurzer Zeit +genug erfahren, um befürchten zu müssen, ihre Anzahl sei trotz des +religiösen Aufschwunges der jüngsten Jahre noch viel zu gering, um +großartigen Einfluß auf Umgestaltung öffentlicher Zustände auszuüben und +damit jene Gefahr einer furchtbaren sozialen Revolution zu beseitigen, +welche wie ein Damoklesschwerdt über unserm Welttheil hängt.</p> +<h3><a name="B2"></a>II.</h3> +<p> +—Du meinst, weil ich selbst ein Schulmeister gewesen, so sei es +verzeihlich und begreiflich, daß ich diesen Stand in Schutz nehme, +zweifelst jedoch daran, daß in katholischen Lehrerseminaren das +<i>Heidenthum</i> gepflegt und gehegt worden sei. Freilich bin ich mit dem +Ausdrucke: Heidenthum freigebig, allein wo ich kein <i>positives</i> +Christenthum zu entdecken vermag, da kann ich nur Heidenthum erblicken, +zumal jener Mischmasch von Religion, als dessen Repräsentantin ich meine +Mutter nannte, bei genauer Untersuchung eben doch nur verlarvtes und gerade +deßbalb [deßhalb] sehr verführerisches und gefährliches Heidenthum bleibt. +Willst du einen schönern Namen dafür, so magst du derartigen Mischmasch +etwas sinnlos, doch höflich "Zeitchristenthum" taufen.</p> +<p>Zunächst will ich aber meine Behauptung rechtfertigen, denn einerseits mag +ich keine Entschuldigungen für meine Verirrungen beibringen, welche nicht +vollkommen gegründet sind und anderseits öffentlichen Anstalten und +Männern, denen das Land des Guten viel verdankt, keine Beschuldigung +zuschleudern, welche ich nicht verantworten könnte:</p> +<p>Du weißt, daß ich mein Schulmeisterhandwerk unter der Leitung eines +katholischen Geistlichen erlernte, gegen dessen wissenschaftliche +Tüchtigkeit und ehrenhaften Charakter niemals der leiseste Zweifel +obwaltete. Er ist todt und schon die Vorschrift, über Todte nur Gutes zu +reden, würde mich bewahren, seine <i>Person</i> unter dem Boden anklagen +und verunehren zu wollen, wenn ich ihm auch nicht sehr viel Gutes zu danken +hätte.</p> +<p>Sein Andenken ist noch heute Jedem seiner zahlreichen Schüler theuer und +ich bin der Letzte, der seine Person verunglimpft. Aber gefährlich und +folgenschwer waren die Ansichten und Grundsätze des gefeierten Mannes und +nicht mit seiner Person, sondern mit Ansichten und Grundsätzen, von denen +er sich beherrschen ließ, habe ich es zu thun.</p> +<p>Wir liebten und verehrten ihn Alle; weil dies der Fall war, so galt uns +auch jedes seiner Worte als Evangelium, wir sogen seine Lehren begierig +ein, trugen sie nach zwei Jahren in alle Gegenden des Landes und strebten +mit Feuereifer darnach, die Herzen des Volkes damit zu erfüllen.</p> +<p>Viele hingeworfene Reden und Winke haften noch jetzt in meinem +Gedächtnisse, doch nur einen einzigen Wink will ich hier erwähnen, weil er +meines Bedünkens die Ansichten und Grundsätze meines Meisters vortrefflich +characterisirt.</p> +<p>Einer von uns stellte einmal die verfängliche Frage, ob denn Christus im +heiligen Abendmahl wahrhaft, wesentlich und wirklich gegenwärtig sei und +nach einigem Räuspern erfolgte die Antwort:</p> +<p>"Hm, hm! ... <i>Wers glaubt, für den ist Er gegenwärtig, wers nicht glaubt, +für den wird Er wohl auch <b>nicht</b> gegenwärtig sein!</i>—"</p> +<p>Was sagst du zu dieser Einen Aeußerung unseres dem <i>katholischen</i> +Klerus angehörigen Seminardirectors?—</p> +<p>Er war unser Religionslehrer und die meisten seiner ehemaligen Zuhörer +werden noch im Besitze des Heftes sein, welches er als <i>"Einleitung in +die Religionslehre"</i> zu dictiren pflegte. Du hast Gelegenheit, ein +solches Heft dir jeden Tag zu verschaffen und es ist mir sehr lieb, wenn du +dir ein solches bald verschaffst, um dich zu überzeugen, daß Einiges, was +ich hierhersetze, keineswegs entstellt, verfälscht oder dem Zusammenhange +entrissen wurde, sondern daß die mit sonnenklaren, dürren Worten +ausgesprochenen Ansichten meines Meisters darin enthalten seien.</p> +<p>Er läugnet einen persönlichen Gott; Gott ist ihm ein "allen Geschöpfen +innewohnendes, gestaltloses, raumfreies, zeitloses, somit unendliches, +allgegenwärtiges ewiges Wesen, dessen Wirksamkeit keine Grenzen kennt." Der +Sündenfall wird auf eine Weise erklärt, welche sich nicht mit dem +christlichen, geschweige mit dem katholischen Bewußtsein vereinbaren läßt +und vom Teufel wissen und lehren die Menschen Nichts, bis sie der Gegensatz +nützlicher und schädlicher Geschöpfe auf den Gedanken einer bösen, <i>durch +Opfer zu versöhnenden</i> Gottheit bringt, Erlösung ist Rückkehr zu Gott +und "vollkommen zurückgekehrt zu Gott war <i>Christus</i>, in welchem Gott +dem Geiste nach wiedergeboren und welcher der Urheber des neuen Lebens der +Menschen in Gott wurde." Christi Reich ist das der Liebe und "das volle +Gegentheil dessen, was Menschenrecht und Menschensatzungen gegründet +haben." In ihm ist gar <i>keine äußere Macht</i>, kein Zwang, keine Furcht +und Knechtschaft.</p> +<p>Die Bibel hat den hohen Werth, "daß wir unser Leben mit dem der ersten +Christen vergleichen können; zudem erfüllen uns die Schriften der Bibel wie +andere gute Bücher mit ihrem Leben."</p> +<p>Hinsichtlich der <i>Dreieinigkeit</i> Gottes wird ausdrücklich +hervorgehoben, "daß wir die Offenbarungen Gottes in den Geschöpfen auf +dreifache Weise wahrnehmen und dadurch angeleitet werden, Gott bald den +Vater, bald den Sohn, bald den Geist zu nennen. Das gemeinsame Wesen aller +Geschöpfe ist das Wesen Gottes. Insofern wir Gott als Wesen in uns und in +allen anderen Geschöpfen betrachten, so nennen wir ihn Gott den +<i>Sohn</i>. Insofern Er uns durch die Stimme des Gewissens und durch +andere Geschöpfe die rechte Erkenntniß wiederum einflößt, so nennen wir ihn +Gott <i>den Geist</i>.["]—Je mehr der Mensch auf die angenehmen Gefühle +verzichtet, welche der Genuß des Irdischen gewährt, desto mehr bestimmt +Gott die Dinge durch ihn und desto vollkommener und herrlicher entfaltet +sich sein innerstes Wesen; der Tod führt die Lebendigen zur +Selbstständigkeit, indem Kinder nach dem Tode der Eltern und Lehrer sich +selbst überlassen sind und schon vorher wissen, daß Eltern und Lehrer +sterben müssen, somit auf ihre künftige Lage sich vorbereiten können; das +Wesen der Eltern und Lehrer aber lebt und wirkt in den Ueberlebenden fort, +der Tod bringt in den Menschen die Erkenntniß hervor, daß der Mensch aus +einem irdischen und vergänglichen und aus einem geistigen und fortwirkenden +Wesen bestehe und endlich, daß der Geist viel stärker auf Andere einwirke, +wenn die Einwirkung nicht mehr durch den Leib, sondern unmittelbar +geschieht. Dies Alles gibt Hoffnung auf Unsterblichkeit.—Von Jesu Gottheit +wurden die Jünger überzeugt, weil er erstens durch den Ausdruck seines +Willens aus Nichts Etwas, aus dem Tode Leben erschuf, zweitens durch sein +Thun und Lassen den sündigen Menschen ein ganz neues Leben offenbarte, vor +Allem durch sittliches, reinmenschliches Leben das Reich Gottes begründete +und die ewigen Gesetze dieses Reiches öffentlich lehrte, drittens endlich, +weil er Geist und Leben in die Erstorbenheit der äußern, besonders der +religiösen Gebräuche zu bringen suchte und unverbesserliche Gebräuche +unterließ, um anzuzeigen, das Reich Gottes gehe nicht von Werken des +Gesetzes, sondern vom Geist der Wahrheit und Liebe aus.— +Todtenerscheinungen sind das Ergebniß lebhafter Erinnerungen an +Verstorbene, besonders an Solche, denen wir Unrecht gethan haben. +Erinnerung und Besinnung können so lebhaft werden, daß wir die Bilder in +uns in die wirklichen Gegenstände hineindenken. Weil Erinnerung und +Besinnung nur theilweise von unserm Willen abhängen, sind +Todtenerscheinungen "auch dann ein Werk Gottes, wenn sie von einer +krankhaften Phantasie herkommen, denn Krankheiten sind ja auch Gottes Werk. +Allein welche Einwirkungen Todtenerscheinungen auch in unserm Geiste +hervorbringen, so haben sie doch keine zwingende Macht über unsern +Willen!"—</p> +<p>Nachdem statt über Christi Auferstehung über Todtenerscheinungen belehrt +worden, wird gezweifelt, ob die Erde zu einer bestimmten Zeit erschaffen +wurde und gezeigt, daß die Welt kein Ende haben könne, weil Gott in ihr +lebt. "Wie das Bild der Sonne in Millionen Tropfen glänzt und wir das +Gemeinsame einer Gattung in allen Arten und Individuen wahrnehmen, so +schauen wir Gott in allen Dingen."—Gottes Wesen offenbart sich in allen +Wesen, alle haben Antheil daran und deßhalb ist auch jedes Einzelwesen +unvergänglich, d. h. ["]Gottes Wesen offenbart sich in jedem einzelnen +Geschöpfe durch unendliche Entwicklung desselben, wenngleich auf +eigenthümliche Weise, doch ganz und ungetrübt."—Wir haben eine Entfaltung +ins Unendliche, wobei unser Wesen fortbesteht, während die Gestalt sich +fortwährend verwandelt. Der Mensch scheint vor der Geburt ein ganz anderer +zu sein als nach derselben, auffallend ist der Unterschied in der +Entwicklung des Menschen, ehe und wann er sprechen kann und "ähnlich wird +der Mensch durch den Tod zu einem dem irdischen Dasein vollkommen +entgegengesetzten Leben geboren."—Alle Geschöpfe nehmen an der Ewigkeit +Gottes Antheil, insofern sie unsterblich sind d. h. ins Unendliche sich +fortentwickeln.</p> +<p>—Das Christenthum will alles nicht von Gott Stammende zerstören und ist +nicht gekommen den Frieden, sondern Entzweiung und Kampf mit der +Selbstsucht zu bringen. "Es baut keine Altäre und Tempel aus Stein, kennt +nur Einen Altar. Des Menschen Herz und sein Tempel ist dort, wo Menschen +sind und einander Liebe erweisen."—Ich will es abermals Dir überlassen zu +beurtheilen, ob durch eine solche Einleitung in die Religionslehre die +künftigen Lehrer des katholischen Volkes für ihren Glauben und ihre Kirche +begeistert wurden oder ob mein Vorwurf ein gerechter gewesen.</p> +<p>Daß der mündliche Unterricht minder abgemessen und vorsichtig mit +Redensarten und Winken gewesen, versteht sich wohl selbst. Die +Religionsstunde überzeugte uns davon, daß wir recht eigentlich kleine +Götter, Bruchtheile des göttlichen Wesens seien und welchen Eindruck solche +Erleuchtung auf Jünglinge machte, bei denen Ehrgeiz und Weltschmerz schon +in Folge äußerer Lebensverhältnisse zum Grundton des Gemüthes werden +mußten, ist keineswegs schwer abzusehen.</p> +<p>Wir bekamen Ideale, es ist wahr, doch wir bekamen sie auf Kosten unserer +Zufriedenheit mit Gott, Welt und Menschen, weil keine christliche +Weltanschauung uns mit der tiefen Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit +versöhnte, kein lebendiger Glaube uns mit jener Ruhe und Geduld ausrüstete, +mit welcher die unideellen Verhältnisse des Lebens der Völker und die des +Lehrerstandes insbesondere hingenommen werden müssen.</p> +<p>Man machte uns zu Königen und Bettlern, Titanen und Zwergen zugleich und +wenn beschränkte Köpfe und manche altkluge Jungen unter uns zu nüchternen +Ehrenmännern, d.h. zu Philistern wurden, welche außer ihrem persönlichen +Vortheil nichts Höheres kannten, so blieben gerade die fähigern Köpfe und +feurigen Charaktere vielerlei Verirrungen am meisten ausgesetzt.</p> +<p>Soll ich Namen und Thatsachen bringen?</p> +<p>Du hast seit vielen Jahren Gelegenheit, viele Städte und Dörfer zu besuchen +und der Einwohner Sinn zu erkunden, hast ferner zur Rongezeit und während +der Revolution eine ziemlich unpartheiische Brille aufgehabt und kennst +sehr viele Volksschullehrer persönlich, deßhalb brauche ich keine Namen und +Thatsachen, zumal Namen wenig zur Sache thun und sprechende Thatsachen +genug bekannt sind.</p> +<p>In der Regel wird der Jüngling das, was man aus ihm macht und lange Zeit +hat man Alles gethan, um statt bescheidenen und glücklichen Lehrern der +Kinderwelt innerlich zerrissene und unglückliche Hochmuthsnarren in die +Schulstuben des Landes zu entsenden.</p> +<p>Beweise!—</p> +<p>Dieselben liegen schon in der Einleitung zur Religionslehre, Du sollst +jedoch noch bessere haben, nämlich die Ansichten unseres Seminardirectors +über die unnahbare Würde und welterleuchtende Bestimmung des +Schulmeisterthums. Damit Du abermals siehst, daß ich gewissenhaft handele, +sende ich Dir beiliegenden Aufsatz meines Meisters, welcher "der Schule +Wesen und Gliederung" erklärt und seiner Zeit durch Guttenbergs Kunst der +Vergessenheit entrissen wurde.</p> +<p>[Der] "Der Zweck der Erziehung ist Entfaltung derjenigen Kräfte, welche den +Menschen in Stand setzen, in allen Richtungen des Lebens sich selbst zu +beherrschen und zum Handeln zu bestimmen. Sie soll den Menschen zum +Ebenbild Gottes machen. Die Ebenbildlichkeit mit Gott besteht aber darin, +1) daß er ein einfaches, untheilbares, unveränderliches, aus und für sich +begehendes Wesen ist, "<i>das sich aus sich selbst hervorbringt wie Gott +die Welt aus Nichts, d.h. aus sich selbst erschaffen hat.</i>" 2) Daß +insbesondere das aus ihm Hervorgebrachte in demselben Verhältnisse zu ihm +stehe, in dem er sich zu Gott befindet. 3) Endlich daß der Mensch Alles, +was er Wahres, Schönes und Gutes hat, nur als eine göttliche Geschichte und +als etwas Geschichtliches habe.—Von Pestalozzi wird gesagt. "Das Erlösende +und Heiligende seiner Methode stammt nicht von seinem Fleische, es ist eine +Offenbarung Gottes, die ihm geworden und sein Verdienst, daß er uns +dieselbe nicht als sein sondern als Gottes Werk gab. Die Schulmeister vor +Pestalozzi sündigten zumeist dadurch, daß sie in ihren Systemen und +Lehrmeinungen nur sich seldst [selbst] gaben und uns nicht zu Gott, sondern +zu sich selbst zu erheben trachteten, Pestalozzi dagegen zeigte uns nicht +seine Person, sondern die Wahrheit.—Wie die Göttlichkeit der Lehre Jesu +nur von deren Befolgern laut Joh. 7,17 erkannt wird, so Pestalozzis Methode +nur von dem, dessen Geist durch sie gebildet wurde.—Wie die Pharisäer auf +dem Stuhle Mosis streng nach dem Gesetze lehrten und das Gesetz nicht +selbst erfüllten sondern übertünchten, so lehrt der +<i>Sinnlichgesinnte</i>, daß wir aus Liebe zum Vater unsern Brüdern auch +nicht im Innern zürnen und schon den unreinen Begierden widerstehen sollen, +während er im eigenen Busen voll Zorn die Verkünder der Offenbarung des +Geistes, der Alles durchschaut (I. Kor. 2,10) zum Ingrimm und zur +Verfolgung gegen die aufreizt, welche Gott als lebendige Werkzeuge erkiesen +hat, Zeugniß von seinem eigenen Sohne zu geben."—Den Sinnlichgesinnten, +welche sich vermessen, Feindesliebe und Widerstand gegen böse Begierden zu +predigen, werden noch mehrere Bibelstellen entgegengeschleudert, dann die +Entstehung der Sprache u.s.w. erklärt und das fünffache Leben des Einzelnen +und der Gesammtheit zusammengestellt. Um der Kürze willen soll diese +Zusammenstellung hier stehen:</p> +<center><i>Einzelleben = Gesammtleben</i></center> +<center>Individuum = Familie </center> +<center> Leib—Person—Seele = Gewerbstand—Staat—Kirche</center> +<center>Geist = Schule </center> +<p>Erläuternd heißt es: "Wir bezeichnen mit den Worten Seele und Geist zwei +durchaus verschiedene Wesen, Geist bedeutet uns nicht bloß ein höheres +Seelenleben, sondern Seele und Geist sind zwei einander entgegengesetzte +Offenbarungen des einen Lebens. Unter Seele verstehen wir diejenigen +Lebensfunctionen, durch welche das Individuum nach seiner Schöpfung mit +Gott verbunden ist und ewig verbunden d. h. von ihm abhängig bleibt. Ueber +die Art und Weise der Verbindung gibt der Begriff von Idee Aufschluß, +welche vor unsern Augen Factum wird und der von Gattung, der den Millionen +Individuen ungetrübt innewohnt und zwischen ihnen Wechselwirkung und +Verbindung möglich macht. Die Seele ist Gott im Menschen, jedoch so, daß +Gott vollkommen und ohne Veränderung seines Wesens außer dem Menschen und +für sich besteht." Folgt nun eine Abweisung jener kalten und finstern +Religionslehre, welche Gottes selbstständiges Dasein nicht erkennt und, da +ihr Alles Eins ist, jeden höhern Aufschwung unmöglich macht und als +wissenschaftliches System die Jugend zu der Vermessenheit verleitet, Alles, +was Andere auf andern Wegen wissen und glauben nur als Irrthum, Täuschung, +Verstandesschwäche, sowie alles Leben und alle Veränderung als leeren +Schein und diesen selbst als eiserne Nothwendigkeit zu erklären.</p> +<p>Welche kalte und finstere Religion unter diesem "Pantheismus" gemeint sei, +darüber blieb uns jungen Leuten, die wir Nichts von Philosophie verstanden +und manches dicke Buch über die Gräuel des Mittelalters gelesen, um so +weniger ein Zweifel, weil unser Direktor die vorgeblichen Verderber der +Religion der Liebe nicht—liebte.</p> +<p>Weil die Kirche die Seele, die Schule aber den Geist repräsentirt, mag +Folgendes Dir im Gedächtnisse bleiben: "Auch das Wesen von Geist und Person +ist nicht scharf bestimmt und gesondert. Wir halten die Person nicht für +etwas Vergängliches, sondern für den Höhepunkt des Lebens der Einzelnen. +Person ist der sich selbst erkennende und bestimmende Geist, der in sich +gekehrte Geist, wodurch der Mensch erst Mittelpunkt und Bestand aus und +durch sich selbst erlangt. Der Person ist unmittelbar der Geist und +<i>durch diesen</i> Leib, <i>Seele</i> und Individuum untergeordnet. In der +Person vollendet sich die Offenbarung Gottes im Menschen. Daher lernt der +Mensch Gott nur von Innen kennen und nur durch diese Kenntniß entsteht das +Bestreben, durch ins Unendliche fortlaufende Vervollkommnung Gott immer +ähnlicher zu werden."</p> +<p>Die Schule soll dem Vermögen des Menschen, das Vervollkommnende in sich +aufzunehmen, die Erkenntniß geben und den fünferlei Gegenständen der +Erkenntniß—individuelles Leben, Leib, Seele, Geist, persönliches Leben +entsprechen fünferlei Schulen, nämlich Volksschule, Industrieschule, +Gelehrtenschule, Akademie mit gelehrten Gesellschaften, endlich der +Erziehungs- oder Schulrath oder das <i>Kulturministerium</i>, welches, das +persönliche Leben des Einzelnen und der Gesammtheit erkennend, das +<i>Dominium</i> über die andern Schulen ausübt. Die <i>Volksschule</i> soll +die Individualität des Geistes entfalten und hat 3 Stufen, nämlich die +Kleinkinderschule, Elementar- und Realschule.</p> +<p>Die Elementarschule "soll wie alle Schulen vorzüglich den Geist in Anspruch +nehmen und die übrigen Richtungen des Lebens ihren Zwecken unterordnen." +Ihre Lehrgegenstände sind Sprachlehre und Gesang, Formen-, Größen-, +Zeichnungs-, Schreib- und Leselehre und Kenntniß der Zahlenlehre.</p> +<p>Die Realschule bringt dem Geiste sein Selbst zum Bewußtsein und die +Industrieschule sammt den 3 Stufen der Gelehrtenschule (Gymnasium, Lyzeum, +Hoch- oder Berufsschule) soll vor Allem das <i>Nützliche</i> ins Auge +fassen, wozu die Religion nicht gezählt wird, die erst in der theologischen +Fakultät ein eben nicht behagliches Plätzlein findet.</p> +<p>Die Hoch- oder Berufsschule nämlich zählt fünf Fakultäten, deren jede ihre +eigene Literatur und Geschichte derselben hat.</p> +<p>Die erste Fakultät ist die allen Gelehrtenständen gemeinsame, etwa der +philosophischen unserer Universitäten entsprechend und die zweite die +medizinische, welcher nachgerühmt wird, daß "sie sich am meisten ihrer Idee +gemäß gestaltet habe."</p> +<p>Die <i>theologische Fakultät</i> hat das <i>Seelenleben</i> zu ihrem +Gegenstande und folgende Disciplinen: a) Lehre vom Wesen und der +natürlichen Entwicklung der Seele, b) von der Pflege und Bildung der Seele, +c) Lehre von der Entstehung und den Arten der Seelenkrankheiten nebst d) +der Heilung derselben, theoretisch und praktisch. e) Lehre vom Einfluß der +4 andern Lebenserscheinungen auf das Seelenleben und vom Verhältniß der +theologischen zu den übrigen Wissenschaften, endlich f) Lehre von der +Bestimmung des Theologen und vom Verhältniß des geistlichen Standes zu den +übrigen Ständen. Findet man dieses von einem katholischen Geistlichen +gehegte und den künftigen Lehrern des Volkes eingeimpfte Idol einer +theologischen Fakultät merkwürdig, sobald man nicht etwa auf dem +Standpunkte Feuerbachs steht, so fanden wir herzstärkend und begeisternd +Alles, was über die vierte und wohl auch über die fünfte Fakultät gesagt +wurde. Die <i>vierte</i> nämlich ist keine andere als die Kulturfakultät +und hat nichts Anderes denn das <i>Leben des Geistes</i> zum Vorwurfe.</p> +<p>Wesen, Entwicklung, Pflege, Bildung, Erforschung und Heilung der +Krankheiten des Geistes, die Einwirkung des Geistes auf die 4 andern +Offenbarungen des Lebens und der Einfluß dieser auf den Geist, die +Culturwissenschaft und ihr Verhältniß zu den übrigen Wissenschaften, +endlich die Lehre vom Berufe des Lehrers und von seinem Verhältnisse zu den +übrigen Ständen—dies sind die der Culturfakultät eigenthümlichen +Disciplinen.</p> +<p>Dann wird bemerkt: "Auch die Seminarien der Volksschullehrer sind ein +Bestandtheil der Kulturfakultät und inwiefern die Trennung dieser Anstalten +von der Fakultät vortheilhaft oder nachtheilig sei, können wir hier nicht +auseinandersetzen. Jedenfalls muß der Direktor eines solchen Seminars ein +wissenschaftlich gebildeter Mann sein, der die Gelehrtenschulen +zurücklegte, zumal es ja Ein und derselbe Geist ist, welcher von der +Kleinkinderschule an bis zur Hochschule inbegriffen entfaltet werden soll."</p> +<p>Daß die Einwohner der Stadt die Zöglinge des Seminars, welche nur für zwei +Jahre kamen und häufig gar magere Geldbeutelein mitbrachten, nicht als +Mitglieder der Kulturfakultät genugsam beräucherten, daß die Schüler der +Gelehrtenschule den Umgang mit uns hochmüthig vermieden und uns als +"Elephanten" bei jeder Gelegenheit höhnten und verfolgen, während wir doch +der Idee nach Hochschüler waren, solches schmerzte uns fast tiefer als die +Aussicht in eine jedenfalls entbehrungsreiche und vielgeplagte Zukunft und +gab Anlaß zu mancherlei Partheiungen, Zwistigkeiten und Händeln. Daß aber +gar geistliche Herren, deren "Handwerk" schon der Idee nach tief unter dem +unserigen stand, deren Fakultät laut allen Berichten ganz ideenwidrig +eingerichtet, deren Treiben laut den hinreißenden Erzählungen berühmter +Geschichten- und Romanenschreiber der Menschheit, dem armen Volke, von +jeher zum Fluche gereicht, daß diese "schwarzen Vögel" wie wir sie hießen, +uns, Träger der Kultur des Volkes und selbstbewußte Funken der Gottheit +dereinst zu Dienern herabwürdigen und ungestraft kuranzen sollten—dieser +Gedanke machte die Heißblütigen unter uns manchmal rasend und nur die +Hoffnung auf eine bessere Zukunft, der mannhafte Entschluß, für diese aus +allen Kräften zu arbeiten, gewährte uns einige Erleichterung und Trost. Die +Edeln des Menschengeschlechts träumten von jeher von bessern Tagen, unser +Direktor that dasselbe, wovon schon seine Idee von der fünften Fakultät der +Hochschule, der <i>staatswissenschaftlichen</i> männiglich überzeugen muß.</p> +<p>Diese hat das <i>Leben des Volkes</i> zum Gegenstande und beschäftigt sich +näher mit der Lehre vom Wesen des Volkes und seiner Entwicklung zum Staate, +mit der Bildung und Pflege des Volkslebens, ferner mit der Lehre von der +krankhaften Entwicklung desselben, so wie mit dem Verderbnisse der Staaten, +den Arten dieses Verderbnisses und mit der Heilung dieser Mißstände, +zuletzt auch mit der Lehre vom Berufe des Staatsmannes und dessen +Verhältniß zu den übrigen Ständen.—</p> +<p>Sehr naiv wird bemerkt: "Sind die Disciplinen nicht mit den gewöhnlichen +Namen benannt, so ist dies nicht Folge der Unkenntniß oder Mißachtung, +sondern des Strebens, die Idee zum Bewußtsein zu bringen, aus der die +Schulen überhaupt und insbesondere die Fakultäten der Gelehrtenschule +hervorgegangen sind.["]</p> +<p>Das Kulturministerium muß auf den Zinnen moderner Bildung stehen und +täglich Ströme von Geist, Licht und Geld in die untern Regionen entsenden. +Es soll "für das Leben des Geistes sein, was die Person für den einzelnen +Menschen oder der Staat für das Gesammtleben, soll das Leben der +Wissenschaft und Kunst von der Volksschule an bis zur Akademie beleben, +fördern und regeln. Insbesondere hat es für den Zusammenhang der Schule, +Bildung der Lehrer, für Lehrmittel und Aufsichtsbehörden Sorge zu tragen +und darf deßhalb nur solche Männer enthalten, welche außer +wissenschaftlicher Bildung Beweise von Regierungstüchtigkeit gegeben +haben."</p> +<p>Doch genug!</p> +<p>Suche Dir die Einleitung in die Religionslehre und andere Hefte zu +verschaffen, lies den gedruckten Aufsatz über "der Schule Wesen und +Gliederung" und dann habe die Güte, mir auf folgende Fragen zu antworten:</p> +<p>Habe ich Falschmünzerei mit den Aufsätzen und Schriften eines Mannes +getrieben, den ich als Mensch, Lehrer und Wohlthäter verehre? Sind die +Ansichten, Grundsätze und Ideen meines Seminardirektors positiv christliche +und katholische gewesen? Ist Dir der "Schulmeisterhochmuth" noch ein +Räthsel sammt der Abneigung gegen den geistlichen Stand und den meist so +ideenwidrigen Bestand des Bestehenden? War ich im Unrecht als ich meinen +Lehrern Mitschuld meiner Verirrungen und Verbrechen aufbürdete?—Ich glaube +deine Antwort zu hören!—</p> +<h3><a name="B3"></a>III.</h3> +<p> +Je mehr ich mich durch das Wohlwollen und die Theilnahme beglückt fühle, +welche meine Briefe an Herrn N. mir erwarben, desto mehr will ich eilen +Ihren Wunsch zu erfüllen und Ihnen die hauptsächlichsten Gründe des +Unglaubens und der Unzufriedenheit des Lehrerstandes meiner nahe liegenden +Zeit sowie meine Ansicht über <i>Gelehrtenschulen</i> mittheilen.</p> +<p>Die Auszüge aus den ungedruckten und gedruckten Heften meines alten +Seminardirektors haben Ihnen überraschend gezeigt, wie Vieles geschah, um +die Lehrer des Volkes zu eigentlichen Trägern und Aposteln der +Hauptkrankheit unserer Zeit, nämlich des Mangels an lebendigem +Christusglauben und des Ueberflusses an Unkenntniß und Verkennung der +katholischen Kirche zu machen.</p> +<p>Der oft gehörten Behauptung, unser Lehrerstand sei im Ganzen noch weit +besser und erträglicher als die Erziehung erwarten ließe, stimme ich gerne +bei. Es gibt tüchtige, brave Männer unter unsern Lehrern mit einem Herzen +voll Liebe für die Menschheit und ihren Beruf. Edle Anlagen und günstige +äußere Verhältnisse Einzelner, ganz besonders die abkühlende Wirkung, +welche mehr oder minder das Berufsleben auf jeden ausübt, mögen jedoch das +Meiste dafür thun, wenn nicht die Mehrzahl unserer Lehrer aus ganz und gar +blinden Fanatikern des Unglaubens und offenen oder heimlichen +Revolutionären besteht.</p> +<p>Abgesehen von meiner einst so unseligen Person waren nicht die Schlechtern +oder Unfähigeren meiner Kameraden der Gefahr am meisten ausgesetzt, +Fanatiker des Unglaubens und arge Revolutionärs zu werden, sondern gerade +begabte, strebsame Köpfe und feurige thatkräftige Charaktere.</p> +<p>Diese sendeten Ideale, welche sie aus den Schulbänken getragen, keineswegs +leicht in die Himmel oder in das Druck- und Löschpapier zurück, von wannen +sie gekommen, sondern suchten dieselben mit mehr oder minder Beharrlichkeit +im Leben zu verwirklichen. Damit waren Gefahren verknüpft, von denen ich +Ihnen zwei nennen will, welche ich für die größten halte, vielleicht weil +ich denselben erlag. Zum Ersten mußte Ausbildung ein Loosungswort für Alle +sein, welche würdige Mitglieder der welterobernden <i>Culturfakultät</i> +werden wollten und die argen Lücken ihres Wissens fühlten. Das Bemühen, +diese Lücken durch Selbstbildung auszufüllen, bleibt aber stets gefährlich, +wenn die Erziehung uns zu wenig Vorkenntnisse, unserm Denken keinen Halt in +der christlichen Weltanschauung und damit kein festes Urtheil über die +Bücher gegeben, aus denen wir Weisheit zu schöpfen vermeinen.</p> +<p>Viele von uns kamen bereits unfähig, katholische Schriften zu lesen, +geschweige zu lieben und am weitesten verirrten sich nach den Seminarjahren +diejenigen, welche Schöngeister, Historiker oder gar Philosophen und +Vielwisser werden wollten.</p> +<p>Wir griffen fleißig nach Conversationslexika, Realencyclopädieen und +ähnlichen <i>Bibeln des Zeitgeistes</i>, verloren und vertieften uns immer +mehr in die moderne Bücherwelt, worin bekanntlich wenig Christliches und +noch weniger Katholisches, dagegen desto mehr Vernunftbetäubendes, +Heidnisches und Diabolisches zu finden ist.</p> +<p>Die Meisten lasen wohl weit mehr mit dem Herzen als mit dem Kopfe und je +mehr Einer las, desto mehr wuchsen Einbildung und Unfähigkeit, Christliches +für etwas Zeitgemäßes, Vernünftiges und Heilbringendes zu halten. Zum +Andern traten wir mit den Riesenansprüchen begeisterter Jünglinge in das +Leben hinaus und dieses kam den Meisten nicht nur mit Zwergleistungen, +sondern mit ungeahnten Schwierigkeiten und Leiden aller Art entgegen, +welche uns entmuthigten, gegen Gott, Welt, Volk und Schicksal erbitterten. +Ich könnte Ihnen Vieles von arg gequälten Schullehrern und vielerlei Arten +von Quälgeistern derselben, namentlich auch von partheiischen und +ungerechten Behörden, unchristlichen Geistlichen und der Dummheit des +Volkes erzählen, aber ich will kurz sein und mit der Bitte, nicht zu +vergessen, daß der Beste unter uns seine schlimmen Neigungen und +Gewohnheitssünden hat, nur auf Eines aufmerksam machen. Das Erdenloos eines +Schulmeisters heißt: Leiste und trage Vieles, nimm wenig Dank und noch +weniger Geld dafür ein!—In Staaten, wo <i>der bewaffnete Friede</i> +Tausende von Arbeitskräften und den größern Theil des Staatseinkommens +verschlingt, weil wir vom Christenthum ab und in das Heidenthum, aus dem +Reiche der Liebe in das der Gewalt hinein gerathen, da mußte wohl das +Kirchengut so weit als nur immer thunlich in den Dienst des Heidenthums +gezogen und dann das Schulmeisterthum so karg als nur immer thunlich für +die saure Mühe abgefunden werden, womit es im Interesse der Staatsallmacht +das Volk "aufklärt."</p> +<p>Ich möchte beinahe sagen, unsere Schulmänner seien für ihr Wirken, wie +dasselbe seit dem Beginne des Jahrhunderts sich gestaltet, noch weniger +Lohnes werth als sie bekommen—allein ich schweige, weil ich an gewisse +Klassen privilegirter Faullenzer und geschäftiger Müssiggänger denke und +bleibe dabei, die Bezahlung der Schullehrer sei in den meisten christlichen +Staaten heidnisch klein, so daß sie sich kaum mit den Bedürfnissen des +genügsamsten, geschweige mit den Ansprüchen des selbstbewußten Mitgliedes +der Kulturfakultät vertrage.</p> +<p>Freilich sind die Armen im Geiste glücklich; Christus lehrt Entbehrungen +und Leiden der Armuth geduldig, muthig und freudig ertragen; Er ist +zugleich der größte aller Finanzmänner und Nationalökonomen und in der +Befolgung seiner Lehre liegt das Geheimniß verborgen, nach welchem das +Jahrhundert immer ängstlicher seufzt und immer durstiger lechzt: die +<i>Kunst wohlfeil zu leben und wohlhabend zu sterben</i>. Leider hat die +Erziehung seit Jahrzehnten Vieles gethan, um beizuhelfen, daß das Volk arm +an Geld und Gut und arm <i>am</i> Geiste, nicht aber, daß es arm <i>im</i> +Geiste werde. Wenn in den untersten Ständen der Bettelsack der +eindringlichste und gefährlichste Prophet des Kommunismus bleibt, so darf +man sich nicht wundern, wenn aus dem bellenden Magen oder der durstigen +Gurgel manches Schulmeisterleins ein unzufriedener Mensch und arger Demagog +herauswächst!</p> +<p>Der Bauch ist ja im Laufe einiger Jahrhunderte zu einem Weltregenten und +heutzutage zum unerbittlichen Gesetzgeber und dämonischen Tirannen der +"christlichen Staaten" geworden.</p> +<p>Ein Urtheil über <i>Gelehrtenschulen</i> ist meines Erachtens schier +überflüssig, seitdem die Revolution mit ihren Blättern, Kammern und +Parlamenten das Babel aller religiösen, sittlichen, politischen und +sozialen Begriffe offenbarte, welches in den Köpfen und Herzen der +gelehrtesten und gefeiertesten Männer spukt, vom besitzenden Bürger, +verarmenden Handwerker, dem geistigen Proletarier, Sklaven der Fabrikanten +und Auswurf der Gesellschaft zu schweigen. "An den Früchten sollt ihr sie +erkennen!"—sagt die Schrift und die Revolution gab Gelegenheit, die +geistigen Errungenschaften sammt der sittlichen Tüchtigkeit von Tausenden +und aber Tausenden zu beweinen, welche in gelehrten Anstalten großgezogen +worden.</p> +<p>Bei Vertretern <i>aller</i> politischen Partheien und <i>aller</i> Stände +hat es sich gezeigt, daß Wissen ohne Glauben leeres Scheinwissen, alles +Gerede von Charakter ohne positive Religion eine Lüge des Hochmuthes sei. +Wissen ohne Glauben und Sittlichkeit ohne Christenthum waren aber seit +langer Zeit die Idole, welchen unsere Erziehungskünstler nachjagten!—</p> +<p>Doch ich will nicht in den Schulmeisterton verfallen, sondern Ihnen nur +sagen, daß ich mehrere Jahre, bis mein Vater starb und äußere Verhältnisse +mich in das Lehrerseminar trieben, an Gelehrtenschulen lebte.</p> +<p>Dieselben waren geeignet, gelehrte Handwerker, genußwüthige +Nützlichkeitsmenschen oder Leute meiner Art heranzudressiren, nimmermehr +jedoch ächte Leuchten und rechte Führer des Volkes zu erziehen. Keine +ächten Leuchten, weil die wissenschaftliche und keine rechten Führer, weil +die religiöse Erziehung mangelte.</p> +<p>Zunächst ein kurzes Wort vom gelehrten Handwerkerthum, alsdann ein längeres +vom getauften Heidenthum der Pädagogien, Gymnasien und Lyzeen meiner +naheliegenden Zeit.</p> +<p>Es haben Viele laut und längst sich verwundert, weßhalb aus unsern Schulen +selten ein tüchtiger Mann hervorgeht, während es in einem Nachbarstaate von +Dichtern, Philosophen, Historikern, Staatsmännern, Theologen und Andern +wimmelte, welche hochberühmte Namen erwarben und doch lediglich die +gelehrten Anstalten ihrer Heimath besuchten. Man hat den Grund darin +gefunden, daß die ganze Erziehung bei uns darauf hinausläuft, Einen im +Laufe von 12 bis 15 und mehr Jahren soweit zu bringen, daß er im Siebe des +Staatsexamens hängen bleibt und gleichzeitig mit so unnöthigen und +vielerlei Forderungen zu überladen, daß er alle Kraft nothwendig +zersplittert und fast ebenso nothwendig im Examen durchfällt, wenn ihm +nicht das Glück besonders lächelt.</p> +<p>Wer das Programm einer Gelehrtenschule zur Hand nimmt, staunt ob der Fülle +von Kenntnissen, womit die Zöglinge vollgestopft und zur Hochschule +entlassen werden und wer öffentlichen Prüfungen beiwohnt, ohne die +Prüfungsdressur zu kennen, muß Länder selig preisen vor allen Ländern, für +welche Diener des Staates und der Kirche von so umfassender Gelehrsamkeit +und edler Begeisterung für alles Große und Schöne herangezogen werden, wie +dies in manchen Gegenden der Fall zu sein scheint. In Wirklichkeit verhielt +sich die Sache zu meiner Zeit ganz anders. Man hätte ruhig seinen Kopf +darauf verwetten dürfen, daß von 100 angehenden Hochschülern keine 10 im +Stande seien, nach 8-9jährigem Studiren ohne Beihülfe aller Art einen +leichten lateinischen oder griechischen Schriftsteller ordentlich zu +übersetzen, geschweige zu verstehen oder gar aus dem Zusammenhange mit +seiner Zeit und seinem Volke zu erklären.</p> +<p>Sicher waren von 100 keine 5 aufzutreiben gewesen, welche Geschmack und +Freude an ihren Quälgeistern, den Alten, gefunden und doch galten alte +Sprachen von der ersten bis zur letzten Klasse als Hauptgegenstände des +Unterrichts, auf welche am meisten Zeit und Mühe verwendet wurden.</p> +<p>Von mathematischen, geographischen, geschichtlichen oder +naturwissenschaftlichen Kenntnissen war bei Einzelnen Manches hängen +geblieben, doch die Mehrzahl hatte Grund genug, den Sokrates als Heiligen +zu ehren, weil dieser die Weisheit in das <i>Nichtswissen</i>, somit in die +starke Seite unserer geplagten Gelehrtenschüler, setzte.</p> +<p>Von philosophischer Vorbildung will ich schweigen. Ich meine nur, daß davon +bei Leuten keine Rede sein konnte, welche von der Weltanschauung des +Alterthums keine genügende Kenntniß und von der des Christenthums im besten +Falle nicht mehr als eine ganz dunkle Ahnung besaßen.</p> +<p>Von der Unwissenheit vieler "Gebildeten" über Alles, was sich über und +unter dem Monde befindet und nicht genau mit ihrem Handwerke zusammenhängt, +sind Sie überzeugt oder haben doch Gelegenheit, sich jeden Abend das Licht +hierüber in Museen, Kaffeehäusern, Weinschenken, Bierkneipen und andern +Orten zu verschaffen.—</p> +<p>Die weitgehende Unwissenheit hängt enge mit dem hochmüthigen Heidenthum der +Schulen meiner Zeit zusammen.</p> +<p>Wissen Sie, auf welche Weise ich zum erstenmal zum Tische des Herrn kam? +Nicht an Ostern, sondern im hohen Sommer, nicht im feierlichen +Gottesdienste, sondern in einer stillen, wenig besuchten Frühmesse und +beinahe ohne allen Vorunterricht, so daß wir kaum eine Ahnung von der +Bedeutung der uns abentheuerlich dünkenden Feier besaßen. Wir beichteten, +aber unser liebster Beichtvater war ein Professor, der allgemeine Beichten +nicht nur annahm sondern forderte. Drängten sich zu Viele um den +Beichtstuhl dieses Kirchenlichtes, so pflegte ich einen Zettel zu +entlehnen, worauf ein Anderer passende Sünden aufgezeichnet, las denselben +ab und übergab ihn nach der Lossprechung meinem Nachbar.—Einer der besten +unserer Religionslehrer schlief jahraus jahrein und überließ es uns, +Lectionen aus dem Katechismus gemächlich herauszulesen. Wieviele von uns +nicht einmal das Vaterunser, geschweige das katholische Glaubensbekenntniß +oder gar die Gebote der Kirche ordentlich herzusagen wußten, dafür ließen +sich Namen nennen, worunter der meinige nicht fehlte [Fußnote: Der meinige +leider auch nicht. D.V.]</p> +<p>Wer wollte sich wundern, daß gerade der Religionsunterricht als der +langweiligste und widerlichste Lehrgegenstand, das Kirchengehen besonders +zur Winterszeit als das leidigste und unnützeste Geschäft erschien?</p> +<p>Die Klage, daß von Oben herab die Pflege des positiven Christenthums im +mildesten Sinne nicht gefördert wurde, soll weniger durch die Unfähigkeit +aller meiner Religionslehrer als durch den Umstand unterstützt werden, daß +es an hochbelobten Lehrern wie an Schulbüchern nicht mangelte, welche uns +die eigene Kirche verächtlich und lächerlich machten und unser Gemüth mit +aufrichtigem Hasse gegen alles "Pfaffenthum" erfüllten.</p> +<p>Von Gewissen will ich aus gewissen Gründen schweigen, aber durchgehen Sie +die gedruckten Programme unserer gelehrten Anstalten, um sich zu +überzeugen, aus wievielen <i>Schulbüchern</i> wir alle Irrthümer und den +Kirchenhaß des Protestantismus in uns aufnahmen. Daß nebenbei Bibliotheken +der Anstalten und Professoren uns reichlich mit Hilfsmitteln der Aufklärung +versorgten, versteht sich von selbst und daß Viele von uns Alles, nur +nichts Gutes aus dem Kram der Leihbibliotheken schöpften, ist eben so +begreiflich als verzeihlich.</p> +<p>Geistliche und weltliche Lehrer hatten genug zu schaffen gehabt, uns gegen +den Einfluß einer durchaus unkatholischen Literatur und gegen die Gefahren +der Jugend durch das Einpflanzen christlicher Gesinnungen zu schützen. Doch +geschah von Allem das Gegentheil. Obwohl von Gott, Christus und Kirche +manchmal die Rede war, so lernte man doch nur das zeit- und staatsmäßig +zugeschnittene Christenthum meiner Mutter kennen und wurde mit einem nicht +minder zeit- und staatsmäßigen Hasse und Mißtrauen gegen das positive und +kirchliche Christenthum erfüllt.</p> +<p>Nicht Christenthum, sondern "<i>Humanität</i>" hieß bei uns die Loosung, +reden wir also auch von ihr!—</p> +<p>Die Zeit, in welcher dem Jüngling sein natürlicher Zusammenhang mit dem +Geschlechte offenbar wird, fällt mit derjenigen zusammen, in welcher er +seinen geistigen und sittlichen Zusammenhang mit demselben mindestens ahnt, +wenn auch seine Schulmeister sich als noch so elende Hebammen seines Wesens +bewähren.</p> +<p>Der Mensch wird zum Herkules am Scheidewege. Ideale von Freundschaft, +Vaterlandsliebe, Seelengröße und Tugend gehen ihm auf, und enger, inniger +als bisher schließt er sich an Seinesgleichen an, um höhere Lebenszwecke +als die bisherigen zu verfolgen. Jetzt bedarf er vor Allem der Führung der +Religion oder doch der Leitung erfahrener Männer, die er achtet und liebt, +denn diese Zeit ist nicht nur die schönste, sondern auch die gefährlichste +des Lebens. Wie waren wir daran?</p> +<p>Die alltäglichen Redensarten eines gefeierten Humanisten klingen mir noch +in den Ohren und ich gebe einige als Proben, mit welchem Takte dieser Mann +16 bis 20-jährige Vaterlandshoffnungen behandelte.</p> +<p>"Er steht da, als ob er die chinesische Mauer vor der Nase hätte, er +verzwickter Schafskopf, <u>non plus ultra</u> der Rindviehdummheit, elender +Böotier!—Er kann sich als Preisträger des landwirthschaftlichen Vereines +melden—Fahr Er Mist, dazu ist Er dumm genug, so rindviehmäßig dumm, daß Er +nicht einmal zum Schustersjungen taugt—Er Urkalb, Generalassekuranzesel, +halte Er sein Maul zum H—!—Geborenes und erzogenes Rindvieh, Er steht +unter dem Niveau eines Hundes!—Ein gescheidter Pudel ist intelligenter als +ihr Bestien!—Erlöst mich bald in Gottes oder des Teufels Namen!—Hat er +Pech am H—? Was will Er denn werden? Theologe! Daß sich Gott erbarme!—Da +möchte ich doch lieber in der tollsten Kneipe unter Proletariern sitzen und +ihren physischen Dunst einathmen, als euern geistigen Gestank riechen—Setz +dich, dein Name ist Rindvieh, man könnte dich zum Präsidenten einer +Eselsrepublik machen—Werd' Er Schuster, Barbier oder Leinweber, Er +hyperbestialisches Rindvieh—Der Ochse wird nur einmal vors Hirn gehauen, +er hats demnach besser als Ihr, denen man täglich vor den Kopf schlägt, +ohne daß Ihr Etwas spürt—Ist noch keine Artillerie- oder Bierbrauerstelle +für Ihn frei geworden? Er ist verballhornter als ein Esel in der zweiten +Potenz—Setz' Er sich auf seine Klauen, Mondkalb! Nicht einmal ein Hund +hebt sein Bein auf vor so verthierten Geschöpfen wie Ihr seid!—"</p> +<p>Ich will Sie mit noch derbern und ekelhaftern Redensarten dieses +gepriesenen Directors verschonen. Wir haben Sammlungen davon veranstaltet +und viele Freude daran gehabt, wenn er uns Gelegenheit gab, dieselbe durch +neue zu bereichern.</p> +<p>Die Schulgesetze zu verhöhnen und zu übertreten, galt als Heldenthat.</p> +<p>Vieles ließe sich hier über frappante Aehnlichkeiten zwischen Zuchthäusern +und Schulhäusern anknüpfen.</p> +<p>Von pedantischen Schulgesetzen und heimlichen Gesellschaften, von +erfolglosen Ermahnungsphilippiken und schlechten Streichen, von +öffentlichen Beräucherungen und heimlichen oder auch offen getriebenen +Lastern ließe sich Langes und Breites erzählen und hieraus mancher Beleg +für die alte und doch niemals genug beherzigte Wahrheit schmieden: <i>daß +Sünden, Laster und Verbrechen von kleinen Anfängen ausgehen und gleich +schleichenden Krankheiten erst recht offenbar und auffallend werden, wenn +sie schwer oder gar nicht mehr heilbar sind.</i></p> +<p>Blicke ich zurück auf meine Jugendgefährten, was ist aus so Vielen +derselben geworden? Ach, mehr als Einer ist gleich mir gemeiner, geschweige +"politischer" Verbrecher, gar Mancher hat sich durch Ausschweifungen in ein +frühes Grab gestürzt, Viele beweinen ein verfehltes Leben und die Meisten +haben es nicht ihrer Erziehung, sondern glücklichen Naturanlagen und einem +freundlichen Geschicke zu verdanken, daß ihre Geschichte keine +Zuchthausgeschichte geworden—denn Religion haben die Meisten noch heute +keine!—Man sage dagegen was man will: alle Wissenschaft und Bildung gibt +keine Sittlichkeit, verfeinert höchstens die selbstsüchtigen Triebe des +Menschen oder lehrt ihn die innere Roheit und Gemeinheit mit einem +äußerlich glänzenden Firniß übertünchen, durch den der wahre wüste Mensch +doch täglich hervorbricht. Sittlich sein heißt in Gott leben und in Gott +vermag nur der zu leben, welchem in Christo die Kraft geworden, den +geistigen Menschen über den natürlichen zur Herrschaft zu bringen.</p> +<p>Was soll man nun von einem Schulwesen halten, welches katholische Kinder +von der Volksschule an bis hinauf zur Hochschule mit Geringschätzung gegen +positive Religion und noch mehr mit Haß und Mißtrauen gegen die eigene +Kirche erfüllt?—</p> +<p>Freilich, wo Katholiken, Protestanten und Juden in Einer Schulbank sitzen, +darf außer der Religionsstunde von positiver Religion keine Rede sein und +wenn die Religionslehrer meiner Zeit wahre Apostel gewesen wären, so würde +der <i>Geschichtsunterricht</i> nicht ermangelt haben, uns für die +Reformation und deren Helden ebenso blind zu begeistern als gegen die +katholische Kirche einzunehmen und in unheilbarer Unwissenheit über +Geschichte, Einrichtungen und Gebräuche derselben zu erhalten.—</p> +<p>Ein Beweis für die Geringschätzung und Verachtung gegen unsere Kirche liegt +vielleicht darin, daß ich mich auch nicht Eines Beispiels entsinne, wo +Einer von uns auf den Gedanken gerathen wäre, irgend einen Heiligen zu +seinem Vorbilde zu wählen und diesen Entschluß auszusprechen.</p> +<p>Und sind die Heiligen als Helden des sittlichen Willens kleiner denn jene +Helden, welchen eine befangene Geschichtschreibung Weihrauch streut, weil +es großartige Räuberhauptleute, siegreiche Menschenschlächter, glückliche +Erfinder oder ohne ihr Zuthun mit hohen Geistesgaben ausgerüstete Männer +gewesen?—Wenn einmal jene Zeit da sein wird, wo Christus als lebendiger +Mittelpunkt der Geschichte der Christenheit und Menschheit erfaßt wird, +dann wird auch der geringste Heilige mehr gelten denn ein lasterhafter +Alexander, selbstsüchtiger Napoleon, liederlicher Maler, Geiger oder +Komödiant.—</p> +<p>Ein weiterer Beweis, wie weit die Protestantisirung der Katholiken in +paritätischen Ländern gediehen, liegt in der Thatsache, daß zu meiner Zeit +nicht sowohl die Kenntnißvollsten oder Besten, sondern weit eher +mittelmäßige Köpfe, Feiglinge, welche nicht den Muth besaßen, Entbehrungen +und Leiden der Armuth zu ertragen, niedrig denkende Bursche, welche von +vornherein an die Nichterfüllung gewisser beschworener Pflichten ihres +künftigen Standes dachten, sich dem Dienste der Weltkirche Jesu Christi +widmeten.</p> +<p>Begreiflich!—erinnere ich mich doch mehr als eines aufgeklärten +Professors, der sehr verächtlich in Gegenwart der Schüler vom Stande +katholischer Geistlichen redete und offen aussprach, der Dümmste sei +immerhin noch gescheidt genug, um für die Kirche gesalbt zu werden!—</p> +<p>Soll ich länger noch bei dem heimtückischen, verkappten Kriege mich +aufhalten, der mit schlauer Berechnung gegen Katholizismus und Kirche +geführt wurde, während man von Oben herab und Unten herauf von Erhaltung +religiösen Friedens, Gleichberechtigung der Confessionen und andern schönen +Sächelchen laut genug log und durch Lügen das Gewissen der Hirten der +Kirche in süßen Halbschlummer und verderbenbringende Betäubung lullte?—</p> +<p>So lange katholische Lehrer inwendige Protestanten sind, die Schulen nicht +zu Confessionsschulen und alle mit der christkatholischen Weltanschauung in +näherer Berührung stehenden Unterrichtszweige nicht aus katholischen +Büchern erlernt werden, so lange wird auch ein neuer und besserer Geist das +Volk nicht erneuern und beleben, sondern das schleichende Gift des +Heidenthums wird weiter fressen und zuletzt den Organismus der alten, +kranken Gesellschaft zerstören!—</p> +<p>Einige Jahre verlor ich an Gelehrtenschulen, an denen keine gründliche +Bildung zu holen und das bischen Christenthum, welches manche Kameraden aus +der Heimath mitgebracht, bald verloren war. Der schnell erfolgte Tod meines +Vaters fiel als Hagelschlag in meine reichlich blühenden Hoffnungen auf +eine ehrenvolle, glänzende Zukunft. Es stellte sich heraus, das Vermögen +sei bei weitem nicht so groß als man sich allgemein vorgestellt und eine +ziemlich sorglose Haushaltung hatte Vieles beigetragen, dasselbe zu +zerrütten. Außer dem ältern Bruder Anton und mir waren noch mehrere +Schwestern vorhanden. Anton war älter als ich, noch immer derselbe ruhige, +stille Mensch, welcher er von jeher gewesen und noch immer entschlossen, +ein Geistlicher zu werden. Er wollte dies nicht, weil er etwa mehr Glauben +oder Kenntnisse in religiösen und kirchlichen Dingen besaß als ich, sondern +weil ihm die Aussicht auf das friedliche Leben eines Landpfarrers behagte. +Es war der Seelenwunsch der Mutter, daß er seinem Plane getreu bleibe, doch +stellte der Tod des Vaters der Ausführung desselben Hindernisse entgegen. +Die Unterstützung irgend einer Art anzunehmen, das armselige Leben eines +Bettelstudentleins zu führen, dies waren Gedanken, welche die etwas stolze +Mutter so wenig als Anton zu ertragen vermochten. Der Stand des Vermögens +war jedoch so, daß Einer von uns Brüdern dem Studiren entsagen mußte, wenn +soviel übrig bleiben sollte, um den vier Schwestern eine angemessene +Erziehung und einige Aussicht auf zeitliche Versorgung zu geben. Anton war +um zwei Jahre vor mir, ich liebte die Mutter und wußte bereits, daß Geld +die Welt regiere, folglich meine Schwestern ohne einiges Geld schwerlich +jemals zur Regierung eines Hauswesens gelangten. Nicht ohne Kampf, doch +voll Freude über den Sieg verzichtete ich auf das Leben eines Studirten. +Meine Neigung Soldat zu werden, ward von der Mutter aus allen Kräften +bekämpft. Ich begann Musik zu treiben und trat kaum ein Jahr nach dem Tode +des Vaters ins Lehrerseminar.</p> +<p>Sie begreifen, daß ich ohne religiösen Glauben, folglich auch ohne +sittlichen Halt in dasselbe trat und beim Eifer meines Studirens sowie bei +der Lebhaftigkeit meines Temperaments als vollendeter Feind des +Pfaffenthums und voll Begeisterung für ein aufgeklärtes, freies, +glückliches Volk aus demselben herauskam, während mich gewisse Vorfälle und +Erfahrungen, die ich seit dem Tode des Vaters gemacht, gegen "honette und +gebildete" Leute stark eingenommen hatten.</p> +<p>Ich war einige Jahre Schulmeister und habe während dieser Zeit Vieles +durchgemacht, zumal die häuslichen Verhältnisse der Meinigen sich +verschlimmerten. Mein Ehrgeiz drohte unter der Wucht drückender +Lebensverhältnisse zu erliegen und leider mit ihm löblichere Eigenschaften. +—Jetzt begreife ich, weßhalb die Behörden mich zurücksetzten und meine +Vorgesetzten mir keine Ruhe ließen, doch damals sah ich nur +Ungerechtigkeit, Partheilichkeit, Pfaffenhaß, Weiberintriguen und machte +mich selbst zum Unseligsten aller Menschen.—Nicht die Religion, sondern +die Liebe für eine Sonntagsschülerin war es, welche meinem schwankenden, +ruhelosen, unseligen Wesen wiederum Halt, Friede, jenen Schimmer der +Seligkeit gewährt, welcher Jedem die Erinnerung an die erste Liebe +unvergeßlich macht.</p> +<p>Ich erfuhr nicht, daß Liebe der Lange Irrthum Eines Betrogenen Esels sei, +wie Saphir herb genug witzelt, aber ich war ein Schwärmer, ein Romanenheld, +die Geliebte dagegen ein verständiges, treuherziges, einfaches Landmädchen. +... Es verstand mich nicht, Eltern und Verwandte erklärten sich gegen mich +—Doch, ich will Sie mit meiner Liebesgeschichte nicht langweilen.</p> +<p>Sie modert längst im Grabe und in demselben Grabe mein besserer Mensch. Ich +verlor sie keineswegs durch den Tod, denn sie starb erst, während ich in +Frankreich lebte. Sie ließ sich halb und halb zu einer Heirath zwingen und +war zu edel, um ein Verhältniß fortzusetzen, welches ihren Pflichten hätte +gefährlich werden müssen. Ihr Verlust war für mich der Anfang einer +Sittenverwilderung, deren Schilderung Sie mir gewiß gerne erlassen. Ich +sank von Stufe zu Stufe und stürzte mich in Schulden, aus denen mich die +Meinigen weder herauszureißen vermochten, noch den Willen dazu hatten. Die +Meinigen verfluchten, die Behörden bedrohten, die Gläubiger verfolgten, +alle Bessern verachteten mich und ich, ich glaubte—ein noch immer +vortrefflicher Mensch und verdienter Lehrer zu sein und ein Recht zu +besitzen, der ganzen Welt zu trotzen.</p> +<p>Nur mit Schauder denke ich an jenen Sonntag zurück, an welchem ich im +Hochamte während der Wandlung auf der Orgel das Bänkelsängerlied:</p> +<p> <i>Schnapps, Schnapps, Schnapps, du edeles Getränke</i></p> +<p>anstimmte. Ich mußte fast augenblicklich fliehen und floh ohne Geld, ohne +Schriften, ohne Gepäck, ohne Ziel und Plan und ließ hinter mir die Heimath, +die Ehre, den Frieden meiner Seele.</p> +<p>Ich floh nach Frankreich und zwar nicht als fortgejagter Schulmeister, +sondern auch als Deserteur, da ich ein Jahr Kasernenleben mitgemacht und +auf meinen Abschied noch lange zu warten hatte. In Straßburg ließ ich mich +anwerben. Wenn ich meine Erlebnisse in Algier, Spanien, in Frankreich, +besonders in Paris und Lyon erzählen und mich näher mit dem politischen und +sozialistischen Theile meiner Geschichte befassen wollte, so würde dieser +ohnehin wohl zu lang gerathene Brief vor einem bis zwei Jahren schwerlich +ein Ende finden.</p> +<h3><a name="B4"></a>IV.</h3> +<p> +——Du, theuerster Anton, hast Deinem Bruder das Reisegeld gegeben und in +zwei Wochen segle ich Amerika zu, um dort nach Kräften gut zu machen, was +ich an der alten Welt, an dem Vaterlande, an meiner Familie und mir selbst +gesündiget. Hätte ich nicht das Kleid eines gemeinen Verbrechers getragen, +so würde ich in ein Kloster gehen, nicht sowohl um meine Schande zu +verbergen, sondern um die Gnaden zu offenbaren, welche Gott auch dem +Unwürdigsten noch zukommen läßt, wenn derselbe sich an Ihn wendet.</p> +<p>Es scheint mir nützlich und nothwendig zu sein, daß in den Tagen wachsender +Armuth, unersättlicher Genußsucht und maßlosen Hochmuthes Menschen durch +Thaten den Mitmenschen beweisen, wie wenig Einer braucht, um zu leben, wie +wenig sinnliche Genüsse zum Glücke gehören und wie wenig Demuth und +Selbstverläugnung uns erniedrigen. Klöster sind eine Forderung der Zeit.</p> +<p>Ach, ich möchte die Zahl Derer so gerne um Einen vermehren, welche laut und +offen verkündigen, daß der moderne Staat wiederum ein christlicher werden +müsse und daß Kaiser, Könige, Fürsten und Grafen bis herab zum Bettler +hinter dem Zaune Eine Pflicht und Eine Bestimmung haben, weil Christus für +Alle gestorben, Tod und Gericht Allen gemeinsam sind.</p> +<p>Leider sind jene Tage vorüber, wo auch große Verbrecher in stillen +Klostermauern Aufnahme fanden, um Buße zu thun und durch Wort und Beispiel +die Vergangenheit zu sühnen.</p> +<p>In zwei Welttheilen lebte ich als Seelenverderber, im dritten will ich als +Seelenretter ausharren bis zum Ende und als ein in Christo Freigewordener, +noch weit weniger als früher ein Gewicht auf die Warnung legen, welche +Faust dem Wagner gibt:</p> +<p> Wer darf das Kind beim wahren Namen nennen? + Die wenigen, die was davon erkannt, + Die thöricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten, + Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, + hat man von je gekreuzigt und verbrannt!</p> +<p>Ich suche in Amerika kein Eldorado und weiß, welche Entbehrungen und +Schwierigkeiten meiner harren, nachdem ich mich entschlossen, die Wilden +der Urwälder aufzusuchen, unter denselben als Vorarbeiter und Gehülfe der +Missionäre zu wirken und an ihnen gut zu machen, was ich an Andern +gesündiget.</p> +<p>Doch ich will Deinen Wunsch erfüllen, theuerster Bruder und Dir Näheres von +meinem Zuchthausleben erzählen, namentlich insofern dasselbe zu meiner +sittlich-religiösen Wiedergeburt beitrug.</p> +<p>Es war im Spätjahr 1847. Ich wußte genauer als mancher Andere, daß +Frankreich am Vorabend einer Revolution stehe. Daß dieselbe jedoch schon im +Februar 1848 losbrechen und nicht nur die Julimonarchie stürzen, sondern +die Monarchie überhaupt zertrümmern und Sozialisten zu Führern Frankreichs +machen würde, das ahnte ich nicht, weil es meine kühnsten Hoffnungen +überflügelte.</p> +<p>Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, so würde ich die geheime Mission nach +Deutschland nicht übernommen, eine verhängnißvolle Brieftasche mit +Banknoten nicht—gefunden und das Inwendige des Zuchthauses wohl nimmermehr +gesehen haben.</p> +<p>Ich lag im Gefängniß, als die Februartage kamen. Sie machten mich rasend; +ich konnte Tag und Nacht keine Ruhe finden und wundere mich nur, daß ich +nicht geisteskrank wurde. An Fluchtversuche dachte ich nicht, weil ich +stündlich Befreiung auf andere Weise hoffte und erwartete und als diese +ausblieb, hatte ich es durch meine Reden und mein Benehmen dahin gebracht, +daß man ein scharfes Auge auf mich bekam und mich in ein besser verwahrtes +Gemach brachte, wo ich einsame Stunden fieberhafter Spannung verlebte.</p> +<p>Es war zu erwarten, daß Berlin ein bischen Prosit rufe, wenn Paris nieße, +aber daß Berlin Prosit schreie und die gute alte Stadt Wien zum "Paris in +Knabenschuhen" würde, hattte [hatte] ich auch nicht geahnt und als es +dennoch so kam, verwünschte ich bereits im Sträflingskittel das +Mißgeschick, welches langjährige Hoffnungen verhöhnte, indem es mich, den +Sohn der Freiheit und Soldaten der Revolution zu einem Staatssklaven und +Opfer tödlich verachteter und gehaßter Gesetze machte. Das Ärgste war, daß +ich keineswegs umstrahlt von der Glorie eines politischen Märtyrers, +sondern in der Eigenschaft eines gemeinen Spitzbuben in die Strafanstalt +trat und hier zum Ueberfluß noch Leute fand, welche mich früher und leider +nicht auf vorteilhafte Weise kennen gelernt.</p> +<p>Beamte und Aufseher behandelten mich gleich jedem Andern; ich fühlte, daß +gleiche Behandlung Aller große Ungleichheiten zur Folge habe, sogar das +Beisammensein mit Dieben empörte meinen Stolz und ich that Alles, um mich +bei den Bessern der Sträflingsbevölkerung in Ansehen zu setzen. Doch ein +alter, einäugiger durchtriebener Gauner, mit welchem ich früher einmal im +Amtsgefängnisse zu N. gesessen, redete zu meinen Gunsten in einer Weise, +welche mir die Achtung der Bessern verscherzen mußte und eine Mißgestalt +von Bauernknecht, welchen ich in demselben Amtsgefängniß gewissenlos um +seine Ersparnisse gebracht und der nunmehr wieder unter Einem Dache mit mir +lebte, erzählte Alles, was er Schlimmes von mir wußte.</p> +<p>Draußen Revolution, der Kanonendonner und Freudenjubel der großen Zukunft, +in der Strafanstalt elende Handarbeit, schmale Kost und schlechter Trunk, +dabei noch Verachtung von Seite vieler Mitgefangenen, welche mich gerade +deßhalb um so herber drückte, weil sie von Sträflingen kam—wie zermalmte +mich solche Verschärfung meiner Strafe!</p> +<p>Der Gedanke, daß ich von meinen Freunden außerhalb der Gefängnißmauern +verlassen und vergessen sei, beunruhigte mich so sehr als die Ungewißheit +über die Lage der Dinge und ich glaube ich hätte damals einen Finger für +eine Nummer der Augsburger Allgemeinen Zeitung gegeben.</p> +<p>Die verworrenen und sich widersprechenden Gerüchte, welche durch +Plaudereien der Zuchtmeister, Schildwachen, Besuche und neu eintretenden +Sträflinge verbreitet wurden, dienten im Ganzen nur dazu, meine Neugierde +zu erhöhen, die Qual der Ungewißheit bis zur Verzweiflung zu steigern und +meine Ansichten über die Ereignisse vollständig zu verwirren.</p> +<p>Du erfassest das Elend solcher Qualen, im Vergleich zu welchen die Qual der +Gefangenschaft an sich geringfügig erscheint, nicht. Wer einen Gott hat und +einen Himmel kennt, der trägt unzerstörbaren Frieden in sich und betrachtet +das wechselnde irdische Leben ruhig.</p> +<p>Der Mai hatte einige Soldaten zu uns gebracht, die für eine zahme Republik +gekämpft haben sollten und doch nicht wußten, was eine Republik sei. Es +waren gutmüthige, brave Bursche und ich suchte mich denselben zu nähern, +allein sie blieben gegen mich wie gegen die "Spitzbuben" zurückhaltend und +spröde.</p> +<p>Sie sahen ein, daß es für Soldaten eine unverzeihliche Dummheit sei, zur +Zeit einer Emeute eine Ausnahme vom Verhalten der Mehrzahl der Kameraden zu +machen und nicht ihre harte Strafe, sondern ihr Zusammengeworfenwerden mit +gemeinen Verbrechern war's, was sie nicht zu verschmerzen vermochten und +ihren Rachedurst entflammte. Ich gewann sie leicht für meine Ansichten, +nachdem sie einmal an ihre neue Gesellschaft besser gewöhnt waren und +einiges Vertrauen zu mir gefaßt hatten. Unvergeßlich bleibt mir die +Demüthigung, welche mir einer derselben bereitete. Ich erzählte nämlich von +Robespierre und lobte vor Allem die Uneigennützigkeit dieses Helden der +Revolution, den ich als eines meiner Vorbilder erklärte. Da meinte Jener +trocken, wenn Uneigennützigkeit für einen rechten Volksführer unentbehrlich +sei, so werde ich niemals einen solchen abgeben!—Aus dieser Rede wie aus +den Blicken und dem Gelächter der Umsitzenden erkannte ich, daß alle genau +wußten, weßhalb ich verurtheilt worden. Glaubst du, daß ich Nächte hindurch +mich ruhelos auf meinem Strohsacke herumwälzte voll Aufregung über solche +Gewißheit?—</p> +<p>Mit der Zeit bekam ich Gewißheit, daß man in der Welt auch ohne mich fertig +werde und mich "den Spitzbuben" völlig vergessen habe—eine schmerzliche +Gewißheit für einen mit der Großmannssucht behafteten Menschen meiner Art! +Der Juniaufstand wurde durch einen Zufall bereits am folgenden Morgen nach +dem Ausbruche unter uns Gefangenen bekannt.</p> +<p>Wiederum war für längere Zeit meine Gemüthsverfassung die einer +Tigermutter, welche von Todfeinden ihre Jungen quälen und zerfleischen +sieht, ohne mehr zu vermögen als den grimmigen Zorn und Schmerz durch +Gebrülle zu mildern. Kaum fing ich an, mich an meine Lage zu gewöhnen und +in ihren Zerstreuungen einen Schein von Ruhe zu gewinnen, als ich in eine +Zelle versetzt wurde. Es war im Spätherbst 1848.</p> +<p>Nach einigen Tagen stiller Ergebung berauschte mich allgemach die +Einsamkeit. Zuweilen verlebte ich ruhige, sogar heitere Stunden, doch in +andern, besonders in der Todesstille der Nacht und bei schlechtem Wetter +empfand ich alle die unbeschreiblichen Qualen meiner Lage.</p> +<p>Ich möchte dieselben mit denen des angeschmiedeten Prometheus vergleichen, +doch hinkt solcher Vergleich vielfach, namentlich hatte ich dem Himmel mein +Feuer nicht gestohlen, sondern von der Hölle entlehnt.</p> +<p>Arbeiten und Bücher gewährten mir einige Unterhaltung und Trost. Ich +arbeitete, um mich selbst zu vergessen und einige Stunden des Schlafes, +dieses köstlichsten aller Güter eines Gefangenen, zu genießen. Meine Liebe +zum Lesen wäre leicht in Lesesucht ausgeartet, wenn ich mich der +Hausordnung hätte entziehen können. Doch welcher Sterbliche vermag sich in +einem Zellenbau der strengsten Beobachtung bei Tag und Nacht zu entziehen? +Geistliche, Beamte und Aufseher besuchten mich nach ihrer Vorschrift, doch +gewährten mir ihre Besuche wenig Unterhaltung und ihnen kein Vergnügen.</p> +<p>Mein Bestreben war darauf gerichtet, dieselben auf eine Weise zu kränken +und zu beleidigen, für welche sie mich nicht zu bestrafen vermochten.</p> +<p>Uebrigens ist ihre Strafgewalt so beschränkt, daß man wenig mehr nach +Strafen fragt, wenn man die üblichen einmal gekostet und nachdem mir eine +Uebertretung der Hausordnung einigemal kleine Strafen zugezogen, ertrug ich +Strafen gerne, wenn ich mir nur einbilden durfte, die Beamten recht +geärgert zu haben. Nur Einer kam mit mir aus. Es war ein Hauslehrer, der +von Zeit zu Zeit mit Heckerhut, Hahnenfeder und Schleppsäbel in meine Zelle +trat, um sich nach dem Befinden des "Bürger Gefangenen" zu erkundigen. +Nachdem er wußte, wie lange und wo ich in Frankreich und andern Ländern +gelebt und welcher Parthei ich lange Zeit angehörte, führten wir viele +wunderliche Gespräche mit einander. Bei ihm konnte ich meinem Grimme gegen +Gott, Welt und Menschen freien Lauf lassen, denn auch er gehörte zu Jenen, +welche von ergriffenen Prinzipien zu den äußersten Folgerungen derselben +muthig fortschreiten.</p> +<p>Von ihm erfuhr ich, was draußen in der Welt gespielt wurde und meine +Hoffnung auf Befreiung ward so lebhaft, daß ich mich am Morgen jedes Tages +fragte: Wirst du die Hausschelle heute Abend noch hören?—Noch vor Mai 1849 +verlor ich den Edlen, im Mai erfuhr ich die Befreiung der politischen +Gefangenen und erwartete die meinige—vergeblich. Jetzt brütete ich +wiederum düstere Plane unersättlicher Rache, schwelgte in entmenschten +Träumen blutigen Hasses und fand darin die einzige Unterhaltung, weil ich +in der Kirche nicht zum Hören zwischen den kahlen Zellenwänden nicht zum +Lesen und Nachts nicht zum Schlafen gelangte.</p> +<p>Ich hatte Schreibzeug, noch einiges Papier und begann zu dichten. Eine +Sammlung. <i>"Rothe Lieder"</i> sollte mir meine Lage erträglicher und nach +meiner Befreiung meinen Namen der Welt bekannt machen.</p> +<p>Während der Arbeit schmiedete ich Verse und schrieb einen nach dem andern +geschwind auf eine neben mir liegende Schiefertafel. Kam Jemand, so löschte +ich das Geschriebene schleunig aus, andernfalls schrieb ich es am frühen +Morgen oder während der Mittagsstunde auf Papierstreifen, die ich in den +Schuhen bei mir trug.</p> +<p>Eines mag als Probe meiner damaligen Seelenstimmung hier stehen und Dir +zeigen, wie weit ich noch nach etwa 10monatlicher Einzelhaft von Besserung +entfernt war:</p> +<p> Ein Sklavenvolk mag vor Molochen kriechen, + Vor schlauen Bonzen wahnerfüllt sich beugen, + Sein Glück mit Füßen treten im Unsinnsreigen + Und Seligkeit aus Triererröcken riechen!</p> +<p> Doch ewig soll das Volk an Dummheit siechen?— + O nein! die Wahrheit wird und muß sich zeigen, + Muß glühendroth aus Tempelasche steigen + Sobald der Wahn des Christenthums gewichen!</p> +<p> Drum frisch, ihr Freien, laßt nie träg euch finden, + Wetzt gegen Bonzentrug die schärfsten Klingen, + Es gilt, der freien Menschheit Reich zu gründen!</p> +<p> Der Weltgeist leiht euch riesenstarke Schwingen, + Kein Adler kann im Sonnenlicht erblinden, + Der Menschheitsgott lohnt euer kühnes Ringen!—</p> +<p>Im Juni setzten mich Kanonendonner und Kriegslärm aller Art in fieberhafte +Bewegung. Jeden Schritt, der auf den Steinplatten des Ganges dröhnte, hielt +ich für den meines Befreiers.</p> +<p>Ich hoffte, daß alle Gefängnisse ihre bleichen Bewohner ausspeien würden +und war gesonnen, aus denselben ein in die graue Tracht des Sträflings +gekleidetes Corps zu bilden, um dasselbe als Vorkämpfer beim Kampfe gegen +die alte Gesellschaft zum Siege zu führen.</p> +<p>Freiheit und Kampf, Sieg und blutige Rache, Tod und Ruhe war meine Loosung +und ich vergaß dieselbe sogar in meinen nächtlichen Träumen nicht.</p> +<p>Eines Abends marschirten preußische Füseliere über die Ringmauern der +Anstalt, bald nachher stand auf der Mauer meines Spatzierhöfchens +geschrieben; "Die Freischaaren sind aus dem Schwarzwalde in die Schweiz, +Alles ist aus.—Die Franzosen wollen wieder Einen haben und der Sträfling +von Ham soll auf der Liste zu oberst stehen. Lauter Lumperei!—"</p> +<p>Dies war zuviel.</p> +<p>Seit vielen Jahren eines ins Aeußerliche versenkten Lebens hatte mich Gott +das Rächeramt an mir selbst verwalten lassen. Eine beständige qualvolle +Unruhe, eine tiefe geheime Unzufriedenheit mit mir selbst jagte mich aus +einer Stunde in die andere wie den ewigen Juden und ließ mir nicht Einen +vollkommen sorgenlosen Genuß. Aus jedem Freudenbecher stiegen Dämonen und +setzten sich als unerträglich schwere Alpe auf mich, während Springfedern +in mir zu sein schienen, die beim leisesten Drucke von Außen mich fernen, +unbekannten Zielen zutrieben.</p> +<p>Während meiner Gefangenschaft war ich bereits so weit gekommen, die Ochsen +und Kühe zu beneiden, welche den Brodwagen in den Hof der Anstalt +schleppten. Ich würde gerne geglaubt haben, das elendeste Thier sei ein +glücklicheres Wesen als der Mensch, wenn nicht ruhige, freundliche, +glückliche Menschen, hinter denen mein scharfgewordenes Auge keinen Schein +entdeckte, täglich in meine Zelle getreten wären.</p> +<p>Ich mußte mir in ruhigeren Stunden gestehen, eine Regierung, welche Diener +von der Art meiner Besucher habe und ihre schlechtesten Unterthanen noch +menschenfreundlich behandle, müsse nicht ganz fluchwürdig sein. Nicht +minder fiel es mir bei, eine Religion, welche ihre treuen Anhänger so +ruhig, freundlich und glücklich mache wie die christliche, bleibe eine +preiswürdige Religion, selbst wenn ihre höchsten Vorstellungen keiner +Wirklichkeit entsprächen. Ich begann die Gläubigen um ihres Glaubens oder +vielmehr um des Glückes willen zu beneiden, welches der Glaube denselben +gewährt.</p> +<p>Beim Durchmustern meines vielbewegten Lebens kam ich allmälig immer mehr +auf meine Jugenderinnerungen zurück, weil sie die süßesten für mich waren. +Unsere Kinderzeit, theuerster Bruder, wurde für mich zunächst der Born, aus +welchem ich mich erfrischte, um zum Quell des wahren Lebens zu gelangen.</p> +<p>Die Macht dieser Erinnerungen trug Vieles bei, mein Felsenherz zu erweichen +und die wehmüthigen Betrachtungen und Vergleiche zwischen dem seligen Kinde +und dem unseligen Zuchthäusler versenkten mich in ernstes Nachdenken.</p> +<p>Mehr als einmal, wenn die Glocken von fern und nahe in meine Zelle +hineinläuteten und das Abendroth zwischen den Kerkerfensterlein +hindurchzuckte und golden über die kahlen Wände zog, da sah ich längst +entschwundenes Abendroth und unter ihm die Thürme, von welchen die Religion +ihren Abendgruß über unser Städtlein mit seinen dunkeln Dächermassen +hinrief und sah ein Haus, worin ein aufblitzendes Licht die liebsten, +freundlichsten Gestalten beleuchtete, die mir in meinen Erdenwallen +vorgekommen. O Anton, Anton, ich wünschte dann wiederum ein Kind zu sein +und mein Leben in ganz anderer Weise von vorn anfangen zu können!——</p> +<p>Ich begann allmählig auch religiöse Schriften zu lesen und über den Inhalt +reiflich nachzudenken. Schon die Vorträge und Predigten hatten mich +überzeugt, daß ich in vielen Punkten der christlichen Religion in Irrthum +und Unwissenheit geschwebt und alle Punkte nur von der Seite aus zu +betrachten gewöhnt war, von welcher sie mir verwerflich erschienen.</p> +<p>Je besser ich erkannte, daß ich trotz allen Erinnerungen aus dem +Katechismus und an Predigten von meiner Religion bereits so wenig als ein +Heide verstünde, desto mehr stiegen Interesse und Eifer mich zu +unterrichten. Bald machte ich Auszüge aus guten Schriften und zuletzt +eigene Aufsätze, um mich im Denken zu üben.</p> +<p>Gleichzeitig las ich geschichtliche Werke und begann an dem Ikarien, in +welches ich mich ganz und gar festgerannt hatte, irre zu werden.</p> +<p>Je mehr ich las und dachte, desto mehr wich der Fanatismus des Unglaubens. +Ich lernte die Ruhe des Denkers kennen und wenn dieselbe auch noch lange +nicht die Ruhe des Christen ist, so bleibt sie doch ein Durchgangspunkt, um +zu derselben zu gelangen.—</p> +<p>Jetzt ist es mir klar, daß Gott mich ins Zuchthaus führte und daß die +Zuchthausstrafe der Rettungsversuch war, welchen Er mit mir anstellte, +damit meine Seele nicht ewig verloren gehe.</p> +<p>Er handelte an mir wie ein geschickter Arzt, welcher kein Sengen, Brennen +und Schneiden scheut, wenn es dem Kranken nützt, ich dagegen lange genug +wie ein in Fieberwahn Daliegender, der von keinem rettenden Arzte wissen +will und um so heftiger nach demselben schlägt, je näher er ihm tritt.</p> +<p>Er züchtigte mich mit der einen und hielt mich mit der andern Hand.</p> +<p>Du weißt bereits auf welche Weise Er meine Zuchthausstrafe verschärfte. +Unter Sträflingen wäre ich niemals so weit gekommen, Geschmack an +religiösen Schriften zu finden. Seitdem ich einsam lebte und gar nichts +mehr vom Leben und Treiben der Welt erfuhr, war ich allmälig im Stande +Schriften zu lesen, deren Inhalt meinen Ansichten schnurstracks widersprach +und der Mangel an Zerstreuung zwang mich, die Gründe der Verfasser zu +prüfen.</p> +<p>Gleichzeitig gewann die Einsicht, daß ich durch unverständiges Benehmen +meine Lage nur verschlimmere, Uebermacht über die Leidenschaftlichkeit +meines Herzens und meinem anständigern, würdigerem Benehmen gegen Besucher +entsprach eine freundlichere, gütigere Behandlung von ihrer Seite.</p> +<p>In B. dauert das Jahr nur 8 Monate. Die Hälfte meiner Strafe war +überstanden, laut der Hausordnung konnte ich um Begnadigung bitten. Lange +schwankte und zauderte ich. Der Gedanke auszuharren, um mich nicht der +Gefahr einer demüthigenden Zurückweisung auszusetzen, wich nur, wenn ich an +die bisher ausgestandenen Leiden dachte. Ein Traum war's, der mich bewog, +ein Gnadengesuch einzugeben und an einen günstigen Erfolg desselben zu +glauben.</p> +<p>Einen tiefern Schmerz habe ich selten in meinem quallenreichen +[qualenreichen] Leben empfunden als den, welchen ich empfand, nachdem mir +ein Schreiber die Nachricht brachte, meine Bitte sei eine vergebliche +gewesen. Weniger die Vernichtung süßer Hoffnungen und die Fortdauer der +Gefangenschaft, als die Täuschung des Vertrauens, das ich der regierenden +"Bourgeoisie" geschenkt und der Gedanke, daß Beamte und Aufseher, die meine +frühern Prahlereien angehört und deren Glauben an meine Standhaftigkeit ich +durch die Bittschrift vernichtet hatte, wars, was mich schmerzte.</p> +<p>Ich that furchtbare Schwüre, daß meine Hand verdorren und mein Auge +erblinden möge, wenn ich jemals wiederum eine Feder anrühre, um ein +Gnadengeheul zu componiren. Der Schwur ward gehalten, nicht weil mein +Hochmuth stark, sondern weil der Schwur Schwur blieb.</p> +<p>Alle Ruhe und Mannhaftigkeit, alle Versöhnlichkeit und Unpartheilichkeit +waren aufs neue verloren. Selbst gegen meine Besucher konnte ich mehr als +mürrisch und grob sein, denn ich hatte die Vornehmsten in Verdacht, daß sie +meine Befreiung nicht bevorwortet, sondern hintertrieben hätten, während +sie mir ins Gesicht Güte und Menschenfreundlichkeit logen und es gab +Stunden, wo die innere Aufgeregtheit mich alle Klugheit und Mäßigung +vergessen ließen.</p> +<p>Meine religiösen und geschichtlichen Betrachtungen, die Vergleiche der +verschiedenen Systeme sozialistischer Träumer hörten auf, ich war zu +unruhig, um lesen zu können und nur die "Rothen Lieder" gediehen.</p> +<p>Sie lullten mich in die Ruhe stiller Verzweiflung und stumpfer +Gleichgültigkeit, indem ich durch sie meinen Schmerz und Ingrimm gegen +Gott, Welt und mein Geschick aus mir herausarbeitete; aber wenn ich +bedachte, weßhalb ich bestraft worden und wer mich in Gewalt hatte oder auf +die lange trostlose Reihe der Kerkernächte zurück oder vorwärts blickte, +dann hatte die trügerische Ruhe des Fatalisten, in welche ich mich +hineinzuzwingen versuchte, ein Ende.</p> +<p>Nur ein gemeiner Verbrecher in der Zelle erfährt, was es heißt, die Hölle +im Busen tragen und die Sehnsucht nach Glück sterben lassen. Es gab +Augenblicke, wo ich auf die Knie stürzte und die unbekannten Mächte, welche +ihr grausames Spiel mit mir trieben, um Erbarmen anflehte. Im nächsten +Augenblicke stand ich auf, lachte voll ingrimmigen Hohns und rief den +Teufel an, mir die Freiheit, Ruhe, Untergang im Genuß oder auch die Hölle +zu verschaffen. In der Hölle ein ganzer Teufel zu sein, ewig Gott zu +lästern und zu höhnen, in diesem entsetzlichen Gedanken lag für mich in +meinen ärgsten Stunden eine Art Wollust. Ich wünschte, daß es einen Gott, +einen persönlichen Gott geben möge, damit ich ein rechter Teufel sein +könne. Wer gab ihm das Recht, mich auf diese Welt zu setzen? Aus einem +glücklichen Nichts ein unglückliches Etwas zu machen? Weßhalb verfolgte Er +mich seit vielen Jahren? Warum ließ er mich leben, da ich doch sterben +wollte?—</p> +<p>Ja, wollte, theuerster Bruder! Schaudere nicht vor mir zurück, ich kannte +und besaß mich selbst damals nicht mehr, ein Dämon lebte und regierte in +mir, denn lange hatte ich der Hölle willenlos gedient und war in der Zelle +bereits in Gefahr gerathen, ihr ungetreu zu werden!—</p> +<p>Ich wollte mich erstechen und schliff mein stumpfes Messer mit unsäglicher +Mühe scharf und spitz. Aber ich besaß den Muth nicht dazu. Sage Keiner ein +Selbstmörder sei ein Feigling, es ist nicht wahr, zum Selbstmorde gehört +ein Muth, welcher den Selbsterhaltungstrieb und die Ewigkeit verhöhnt. Ein +Aufseher entdeckte das Messer, nahm es weg und mehr als je fand ich mich +beargwohnt und beobachtet. Ich betrachtete stundenlang meinen Kleiderrechen +und dachte daran, mich zu hängen.</p> +<p>Allein das Hängen hat namentlich für einen alten Soldaten etwas Widerliches +an sich, vielleicht weil es die leichteste oder doch angenehmste Todesart +sein soll. Zudem konnte ich zu früh entdeckt, abgeschnitten und gerettet +werden. Noch meine Todesgedanken waren von der Eitelkeit beherrscht; ich +glaubte die herabsetzenden Redensarten derer, die meinen Leichnam auszogen, +zu hören und der Gedanke, von gleichgültig lachenden Studenten zerschnitten +zu werden, erregte mir ein widerliches, grauenhaftes Gefühl.</p> +<p>Die Hölle ließ mich auf eine Todesart verfallen, deren Namen ich nicht +nennen mag; sie beseitigt den Schein des Selbstmordes und führt +Annehmlichkeiten mit sich, welche die des Hängens durch Dauer weit +überbieten. Um die Scheu vor der Anatomie zu beseitigen, wollte ich zuerst +von meinem Gutmachgeld das Doppelte des Werthes meines Leichnams—ein +menschlicher Leichnam gilt in B. 10 Gulden—an Jemanden außerhalb des +Gefängnisses senden und es dahin bringen, daß dieser Jemand nach meinem +Tode das Geld in die Anstalt brachte und die Beamten dadurch veranlaßte, +meinen Leichnam nicht den Studenten zu schicken, sondern in B. begraben zu +lassen.</p> +<p>Diesen Jemand hatte ich noch nicht gefunden, als ich in eine schwere +Krankheit verfiel.</p> +<p>Ich kam in eine Krankenzelle, welche sich von den gewöhnlichen Zellen fast +nur durch die größere Bequemlichkeit und vor Allem durch eine wahrhaft +christliche Behandlung unterscheidet, deren man darin genießt. Nur dunkel +entsinne ich mich, wie ich später in den Krankenstock hinabgetragen wurde, +wo sich die Schwerkranken befinden.</p> +<p>Bienen, Rosenkäfer und buntfarbige Schmetterlinge gaukelten lustig um +duftende Rosenhecken und prächtige Blumenketten des Citysus im heimelig +stillen Zuchthausgarten und die Schwalben äzten ihre Brut, als meine +Krankheit sich mit unerträglichem Kopfschmerz und galoppirendem Pulsschlage +einstellte. Der Wind trieb aber die letzten falben Blätter von den Bäumen, +der Sängerlärm im nahen Schloßgarten war verstummt und die unvermeidlichen +Spatzen zankten sich um verlassene warme Rester [Nester] unter den Dächern +des vierten Flügels, als ich zu neuem Dasein erwachte und mich täglich +etwas länger in der Kunst des Stehens und Gehens einüben durfte.</p> +<p>Ich vermeinte kein Gefangener mehr zu sein, denn ich wohnte in einem hohen, +anständig eingerichteten Gemache mit großem Fenster ohne Eisengitter und +nur der verbleichte Uniformsrock der Krankenwärter und noch mehr das +unmenschliche und unnöthige Gebrülle der meisten Wachen auf der Ringmauer +mahnte mich daran, daß ich noch Gefangener sei.</p> +<p>Der Krankenwärter besaß mehr Einsicht und Bildung als Leute seiner Art +gemeiniglich zu haben pflegen. Er nährte meinen aufwachenden Verstand, +während sein Gehülfe, ein etwas kurz und uneben gerathener Bursche mit +koketten Löcklein und zahmen Blauaugen den Magen versorgte.</p> +<p>Ein dicker, stattlicher, herzensguter Mann, der dröhnenden Schrittes durch +die Gänge und täglich lieber in mein Gemach stieg, zeigte sich bereit, mir +Alles zu enthüllen, was von Adams Zeit bis zu meiner Genesung über und +unter dem Monde vorgefallen war, insofern es sich nur mit der Hausordnung +vertrug. Der Arzt selbst besuchte mich täglich zwei bis dreimal, der +Widerwille, den ich früher gegen ihn als den "Knecht einer verrotteten +Regierung" so gut als gegen andere Besucher empfunden, war wie weggeblasen. +Er hatte mein Leben retten helfen und ich fühlte, daß ich das Leben +wiederum liebte, denn als der Mann mit dem dröhnenden Schritte mir +scherzend einen amerikanischen Strick in Aussicht stellte, schauderte ich +unwillkürlich zusammen.</p> +<p>Täglich kam der vortreffliche Hausgeistliche zu mir und jeder Besuch machte +mir denselben theurer. Durch maßlosen Hochmuth, ungeschickte Heuchelei und +arge Verstocktheit hatte ich ihn oft betrübt. Seine Freude, mich gelassen +und ruhig zu finden, war jetzt um so größer, denn er hatte alle Hoffnung +aufgegeben, mich gründlich zu bekehren und gehörte zu jenen Wenigen, denen +die Aufrichtung Eines Gefallenen in der That mehr gilt, als die Erhaltung +von zehn Nichtgefallenen, bei denen die Gefahr des Fallens vorüber ist.</p> +<p>Der alte wüste Ichmensch schien wirklich absterben, ich neugeboren werden +zu wollen. Die Krankheit hatte meine leibliche Kraft gebrochen, sie +erstarkte allmählig, doch den alten Menschen konnte und Sollte ich nicht +wieder erstarken lassen. Schon vor der Krankheit hatte ich so oft +gewünscht, wiederum ein Kind zu sein und mein Leben von vorn anfangen zu +können. Nunmehr war ich ein Kind und beschloß ein anderes Leben anzufangen, +obwohl meine Seelenstimmung jetzt noch mehr Folge der allgemeinen Schwäche +und mein Glaube an Christum, den Sohn Gottes und dessen Weltkirche noch +kein felsenfester war.</p> +<p>Mit der Kraftlosigkeit eines Kindes verband sich bei mir auch die Weisheit +und Leichtbestimmbarkeit eines Kindes. Liebe zieht den Menschen groß; die +Liebe von Solchen, denen ich niemals Gutes erwiesen und oft genug Arges +gesagt und gewünscht hatte, verhalf mir zu meiner leiblichen und geistigen +Genesung.</p> +<p>Lange, einsame Spätjahrnächte gaben mir Muße zum reifen Nachdenken. Wenn +der Sturm um das Haus heult und der Regen an die Fensterscheiben schlägt, +dann fühlt sich der Mensch, dem nicht das Glück geworden, Gatte und Vater +zu sein, einsam und keine trauliche Umgebung hält ihn von Betrachtungen ab, +welche mit den Stürmen oder der Eintönigkeit der Außenwelt harmoniren. Und +ich, ein gemeiner, kranker Verbrecher, ein Gefangener, der nach einem an +verfehlten Bestrebungen und Thaten reichen Leben anfängt, ernsthaft in sich +zu blicken, dem der Tod nahe gestanden und Gott neues Leben geschenkt, er +sollte sich keinen ernsten und schwermüthigen Betrachtungen hingeben?—</p> +<p>Lange, einsame Spätjahrnächte hindurch überlegte ich namentlich auch, was +ich denn wisse und verstehe und der Menschheit bisher nützte. Arm, krank, +ohne Zweck und ohne Mittel lag ich als unwissender Mensch und Feind der +Menschheit im Krankenzimmer eines Zuchthauses, ein Mann reif an Jahren, +leer an ersprießlichen Thaten und—doch Bruder, theuerster Bruder, erlasse +mir meine damaligen Stunden zu schildern. Nach langer, langer Zeit zum +erstenmal weinte ich keine Thränen der Wuth, sondern lindernde +schmerzstillende Thränen, weinte nicht über Andere, sondern über mich, +versuchte zu beten, stammelte zuweilen ein Vaterunser, dasselbe Vaterunser, +welches mich und Dich unsere theure, von mir so tiefgekränkte Mutter +gelehrt hatte.</p> +<p>Ich dachte nach über mich und mein Schicksal. Es däuchte mir, als ob ich +mich selbst bisher arg gehaßt und Alles gethan habe, um mir mein erlebtes +Schicksal zu bereiten. Je mehr ich an mich selbst und meine Fehler dachte, +desto mehr wurde ich geneigt, die Fehler Anderer in milderm Lichte zu +sehen.—</p> +<p>Eine Unvorsichtigkeit rief einen Rückfall meiner Krankheit hervor und der +Tod trat mir wiederum nahe. Ich zitterte nicht vor ihm, doch wünschte ich +meine Erhaltung, weil ich so Vieles noch auf Erden gut zu machen und eine +Ahnung künftigen Glückes mein ganzes Wesen durchklungen hatte. Zum +zweitenmal wurde ich gerettet, doch wohl nur deßhalb, weil ich vor dem +Rückfall in meiner Genesung ziemlich weit vorgeschritten war.</p> +<p>Wiederum dachte ich über mich und mein Schicksal nach, wiederum war mir das +Zeitliche gleichgültig und ich beschäftigte mich gerne mit den Zuständen +des Jenseits, dem ich näher als Andere gestanden, wiederum wirkten Besuche +und das Vorlesen meines Wärters vorteilhaft auf mich ein.</p> +<p>Ich wünschte lebhaft ein anderer Mensch zu werden und zum lebendigen +Glauben an Christum den Gottessohn, diesen süßen, beseligenden Glauben, zu +gelangen. Es dauerte lange, bis ich mich dazu entschloß, Gott nicht nur um +den Glauben zu bitten, sondern mich Ihm in in [in] einer Generalbeichte +einmal ganz und unbedingt zu Füßen zu werfen.</p> +<p>Ein Sonntagnachmittag besiegte meine letzten Bedenklichkeiten; ich werde +diesen und die darauf folgende Nacht nicht vergessen haben, wenn unsere +Gebeine längst vermodert sind und wir zusammen dort leben, wo der Mensch +den ganzen Plan und Gang seines Geschickes von der ersten Minute seines +Daseins bis zur letzten erschaut.</p> +<p>Der Himmel schaute trüb zum Fenster herein, die nahen Hügel im Schmucke des +Winters mahnten an Tod und kalte Nächte. Alle, die mich besucht hatten, +waren ernst und einsilbig geblieben, ein Gedanke von Verlassenheit, wie ihn +ein Sterbender in meiner Lage haben kann, durchklang meine Seele. Die +Gefangenen sangen die Vesper. Die halb verlornen Töne der Orgel, die +Stimmen der Singenden hatten etwas Tiefergreifendes, Wehmüthiges, +Trauriges. Ich vermeinte meinen Leichengesang bei lebendigem Leibe zu +vernehmen, ein herzzerreißendes wehmüthiges Klagelied über mein verfehltes +Leben. Ich betete und glaubte zu fühlen, wie der Tod näher zu meinem Herzen +heransteige, faltete unwillkürlich die Hände und betete.</p> +<p>Jetzt wurde ein anderer Psalm angestimmt, deutlich vernahm ich aus allen +Stimmen heraus einen durchdringenden Tenor, der die Worte sang:</p> +<p> Die Dunkelheit der Leidensnächte + Verwandelt Er in Wonnetage!—</p> +<p>Dieser Vers bohrte sich mit unwiderstehlicher Macht in mein Gedächtniß; ich +mußte ihn stets wiederholen und so oft ich beschloß, denselben zu +vergessen, hatte ich ihn wieder gedacht oder sogar gemurmelt. Es lag etwas +Wunderbares in den einfachen, von mir schon so oft gehörten und niemals +besonders beachteten Worten.</p> +<p>Finsterniß—Leidensnächte—Er—Wonnetage!—an diese vier Worte knüpfte sich +eine lange Kette von Gedanken, es schien mir, als ob Gott selbst zum Troste +sie mir zugerufen.</p> +<p>Ich wollte beten, aber ich betete nur diese vier Worte, schlief endlich ein +und als ich spät in der Nacht aufwachte, mahnte mich die Dunkelheit im +Gemache an die Dunkelheit meines Lebens und meiner Lage.</p> +<p>Drüben in der Stube des Krankenwärters schlug die Wanduhr langsam und +schwermüthig die zehnte Stunde. Dies war die Zeit, in welcher unsere Eltern +auch von mir allabendlich den Gutenachtkuß erhielten und gaben.</p> +<p>Ich gedachte der Wonnetage unserer Kindheit, der Leidensnächte, welche ich +mir und Euch bereitet, der zahllosen Beleidigungen und Frevel, welche ich +gegen Ihn verübt, der mich verlassen und der Finsterniß, welche in mir +viele Jahre geherrscht.</p> +<p>Das tiefe Schweigen der Nacht redete furchtbarer als je zu meinem Herzen, +der Nachbar im Nebenzimmer war heute verschieden, ich glaubte ihn jeden +Augenblick zur Thüre hereintreten, mich mit glanzlosen Augen und dem +haarsträubenden Gesichtsausdrucke dessen, der die Ewigkeit mit ihren +Schrecken erblickt, betrachten zu sehen und zu hören, wie er vom Jenseits +redete. Diese Vorstellungen wurden immer lebhafter, kalter Schweiß +überrieselte mich; ich wollte rufen, aber die Stimme versagte, vergeblich +schloß ich die Augen und steckte den Kopf unter die Decke—immer sah ich +den gräßlichen Boten der Ewigkeit vor mir, sah trotz der Decke und +Dunkelheit, wie das Gemach sich mit Verstorbenen anfüllte, ich glaubte zu +ersticken und war nicht im Stande ein Glied zu rühren. Ich sah den Vater, +die Mutter, sie betrachteten mich mit Augen, in denen mein +Verdammungsurtheil stand, verstorbene Freunde, die mich anstierten, +Kameraden, welche den arabischen Sand mit ihrem Blute getränkt und mit +denen ich so Vieles gesündiget und hinter ihnen eine gräßliche Gestalt, die +mir zuwinkte und verschwand. An ihrer Stelle stand eine Lichtgestalt, der +Glanz, der von ihr ausströmte, verklärte Alles ringsum. Leise, dann lauter, +bald feierlich und majestätisch, bald weich und milde ertönten die Worte +vielstimmig in Einem fort:</p> +<p> Die Dunkelheit der Leidensnächte + Verwandelt Er in Wonnetage!</p> +<p>Das Geschrei der Schildwachen weckte mich aus einem Zustande, der mir den +Zustand der Verdammten und der Seligen geoffenbart. Hatte ich geträumt? War +Alles Alpdrücken? Spiel der erhitzten Einbildungskraft? Ich weiß es nicht, +doch das weiß ich, daß ich ganz anders als früher betete und +augenblickliche Buße, den Beginn eines neuen Lebens gelobte und meine Seele +ihrem lange genug verkannten Erlöser empfahl. Gebet und Gelübde verliehen +mir wunderbaren Trost und eine Freudigkeit des Geistes, wie ich dieselbe +noch niemals empfunden.</p> +<p>Der Krankenwärter trat herein, um nach mir zu schauen. Er versicherte, daß +ich lange und laut geredet. Auf meine Bitte zündete er ein Licht an und +holte ein Gebetbuch, um Etwas vorzulesen. War es Fügung oder Zufall, daß er +gerade das Gedicht des heiligen Bernhard:</p> +<p> Jesu, dein süß Gedächtnis macht, + Daß mir das Herz vor Freuden lacht!</p> +<p>ein Gedicht, dessen unbeschreibliche Innigkeit und göttliche Liebe nur ein +gläubiger Christ vollkommen erfaßt, aufschlug? Er mußte es mehrmals +wiederholen und ich schämte mich der heißen, ebenso schmerzlichen als süßen +Thränen nicht, welche es mir auspreßte.</p> +<p>Der Krankenwärter ging. Doch blieb ich nicht allein—mein Schutzgeist, mein +Erlöser befanden sich bei mir und vernahmen von meiner Reue und Liebe +Alles, was die Verwandlung der Leidensnächte in Wonnetage mir gegeben. Nach +einem erquickenden Schlummer wachte ich auf, als die milden Sonnenstrahlen +eines schönen Herbsttages bereits in mein Gemach spielten. Den ganzen Tag +verwendete ich zur ernsten Gewissenserforschung, gegen Abend legte ich +meine Generalbeichte ab und empfing wohl zum erstenmale würdig den Leib +Jesu Christi. Wer gegen die Ohrenbeichte der Kirche auftritt, zeigt damit +nur, daß er noch nie recht beichtete und wer im heiligen Abendmahl etwas +Anderes als den verwandelten Christus findet, beweist, daß das innerste +Wesen des Christenthums, das Liebesverhältniß der Menschenseele zu Gott, +ihm noch nicht recht aufgegangen ist.</p> +<p>Gott war fortan mit mir und ich bei Ihm und wenn auch Schwachheit und +Sündhaftigkeit mich Ihm zuweilen zu entfremden drohten, kehrte ich +inbrünstiger zu Seinen Füßen zurück.</p> +<p>Ich betete viel und meist ohne Gebetbuch. Außer der Nachfolge Christi und +der Philothea genügte mir kein Gebetbuch.—</p> +<p>Verbrechen, welche vom Gesetze geahndet werden und an sich entehrend sind, +habe ich außer dem, welches mich in den Kerker führte, glücklicherweise +keine begangen, aber will dies Vieles bedeuten?</p> +<p>Wie mangelhaft, wandelbar, verschieden sind Gesetzgebungen!</p> +<p>Unter Vielem, was mir schwer auf der Seele liegt, ist es besonders das +Geld, welches ich im Amtsgefängnisse einem Bauernknechte herauslockte. Noth +trieb mich dazu, meine Ansichten vom Eigenthum ließen mir den Schritt um so +erlaubter erscheinen, weil ich ernstlich an Zurückgabe dachte.</p> +<p>Du weißt, daß Ersatz unmöglich geworden, weil der Betrogene im Gefängnisse +an der Schwindsucht starb und keine Seele besaß, die er sein eigen nannte +außer der eines unserer Mitgefangenen, des Duckmäusers. Doch werde ich +Alles thun, um den Schaden auf andere Weise gut zu machen.——Ich weiß, daß +meine frühern Freunde mich als einen schwachköpfigen oder schlauen +Renegaten verachten und verfolgen werden und beklage mich nicht darüber. +Der Stolz, ein consequenter und entschiedener Communist gewesen zu sein, +hat sich in das Gegentheil verkehrt und ich bin wohl am besten dabei +gefahren. Es ist nicht die Aufgabe des Menschen, auf einem Standpunkte zu +beharren, namentlich wenn er denselben als einen einseitigen und falschen +erkennt, sondern sich immer mehr zu vervollkommnen.—Gegen die furchtbaren +Gefahren, welche aus der täglich zunehmenden Verarmung, Verdienstlosigkeit +und Verzweiflung der Massen erwachsen, hat nur die Weltkirche Jesu Christi +Beschwörungsformeln, denn sie lehrt Leiden ertragen und in Freuden +verwandeln und zeigt nicht nur den Weg zur ewigen, sondern auch zur +zeitlichen Wohlfahrt. Im Christenthum als der absolut wahren Religion liegt +auch die einzig ächte Nützlichkeitsphilosophie, die Lösung der sozialen +Fragen verborgen. Von der Stellung, welche die verschiedenen Staaten und +Stäätlein zur Kirche einnehmen, wird der Fortbestand oder Sturz dieser +Staaten und Stäätlein abhängen. Staaten müssen sich aufrichtig bessern +gerade wie einzelne Menschen und wenn große Staaten wie Oesterreich und +Preußen mit gutem Beispiele vorangehen, wenn man das Aufleben kirchlicher +Gesinnung beim Volke beachtet, darf man ruhiger in die Zukunft blicken. +Stürme werden nicht ausbleiben, aber die Pforten der Hölle werden Christi +Kirche nicht besiegen und das revolutionäre Heidenthum wird den Bestand +<i>christlicher</i> Staaten und das Fortleben <i>christlicher</i> Völker +nur stören, doch nicht zerstören.</p> +<p>Aber Religion, positive Religion muß in Palästen und Kabineten, in +Deputirtenkammern und Amtsstuben so gut als in Hütten wohnen; bei den +Reichen und Besitzenden muß die Charitas des Mittelalters neu aufleben; das +positive Christenthum muß Obermacht über das herrschend gewordene +Heidenthum erlangen, wenn die moderne Gesellschaft nicht ein ähnliches +Geschick erleben will wie einst die versinkende Römerwelt!—</p> +<h3><a name="B5"></a>V.</h3> +<p> +—Sie haben vollkommen recht: die nationalen Eigenthümlichkeiten müssen bei +Zellengefangenen berücksichtiget werden, ja ich glaube, daß +Zellengefängnisse für südliche Völker nichts taugen. Der schweigsame, +kaltblütige Engländer mag sich begnügen mit flüchtigen Besuchen, welche den +Charakter polizeilicher Controlle tragen, pietistische Tractätlein und die +Offenbarung Johannis mögen sein Herz nicht mit dem Kopfe davon rennen +lassen und er mag nichts vermissen, wenn sein Verhältniß zu Beamten und +Aufsehern nichts Herzliches und Freundschaftliches an sich trägt, nicht +aber so der Deutsche. Der Hang zum Grübeln und Schwärmen, die Innerlichkeit +und Gemüthlichkeit des Deutschen ist auch beim Verbrecher zu +berücksichtigen und darin liegen Anknöpfungspunkte für seine Besserung wie +für Geistesstörung und Selbstmord. Senden sie schweigsame, spröde +Korporalstockpedanten in deutsche Zellengefängnisse, geben Sie dem +Gefangenen nur religiöse Bücher, bestellen Sie für ihn Geistliche, welche +in religiösen Angelegenheiten das Gefühl zum Dictator machen, und +verdoppeln Sie die, besonders in den ersten zwei Jahren namhaften, Leiden +der Einzelhaft durch Strafverschärfungen—so werden je nach der Dauer der +Strafzeit unbrauchbare Menschen oder Krüppel aus den Zellen heraustreten, +manche Zelle der schauerliche Schauplatz eines Selbstmordes und die +Irrenanstalten mit Rekruten versehen werden.</p> +<p>Was die <i>Strafverschärfungen</i> angeht, so hat bei uns wie anderswo die +Liebhaberei dafür so sehr Platz gegriffen, daß man Bruchsal mit mehr Recht +bald eine <i>neu aufgelegte und vermehrte Abschreckungsanstalt</i> denn +eine <i>Besserungsanstalt</i> nennen dürfte. Selten wird Einer von den +Schwurgerichten verurtheilt, ohne eine Anzahl von Hungerkost- und +Dunkelarresttagen auf den Weg zu bekommen.</p> +<p>Unstreitig sind Strafverschärfungen und unter diesen vor Allem Hungerkuren +das wirksamste Mittel, den Stammgästen der Zuchthäuser das Zuchthaus zu +verleiden oder sie bequem ins Jenseits zu spediren. Gewohnheitsdiebe sind +ebenso Kinder des Unglücks als der Unverbesserlichkeit, das Zuchthaus ist +ihre Versorgungsanstalt—sie gehören zu Jenen, welche leben wollen, ohne +Geld zu besitzen, und dies ist in unsern "christlichen" Staaten ein so +unverschämtes Verbrechen, daß Einer von Rechtswegen gleich nach der Geburt +einen Laufpaß in die Ewigkeit erhalten sollte und zwar aus purer +"Humanität", denn das Leben der Armen wird mehr oder minder zum langsamen, +qualvollen Sterben.</p> +<p>Weil das Heidenthum in den Köpfen unserer Gesetzgeber und Besitzenden +spukt, deßhalb will ich nichts gegen Strafverfolgungen sagen, die bei +Gewohnheitsdieben angewendet werden.</p> +<p>Allein nicht nur alte Zuchthausbrüder, sondern Solche, die zum erstenmal in +eine Strafanstalt kommen; ferner nicht nur die Sträflinge, welche +gemeinschaftlich zusammenleben, sondern auch Zellenbewohner werden mit +Strafverschärfungen bedacht und zudem müssen die Tage der Hungerkost und +des Dunkelarrestes gemeiniglich in der ersten Zeit der Haft durchgemacht +werden, weil die Dauer der Strafe häufig eine ziemlich kurze ist.</p> +<p>Dies erscheint meinem beschränkten Unterthanenverstande nicht klug, nicht +recht, nicht zweckmäßig. Nicht klug—denn der Staat muß die Hungerkuren der +Sträflinge theuer genug bezahlen. Abgesehen von der großen Mühe der +Beamten, deren Geschäfte vermehrt werden, leidet der Gewerbsbetrieb dadurch +Noth und wird die Gesellschaft mit arbeitsunfähigen Menschen bereichert. +Nicht gerecht—denn anerkannt gilt Einzelhaft schon an sich als eine +Strafverschärfung und weßhalb sollen Zellenbewohner ärger bestraft werden +als andere? Zufall, Laune, die Erklärung des Verurtheilten entscheiden +darüber, ob derselbe in die Zelle komme oder nicht, folglich auch über den +höhern oder niedern Grad der Strafverschärfung Nicht zweckmäßig—denn der +Hunger entkräftet, foltert und tödtet wohl den Leib, doch bessert er den +Betroffenen schwerlich. Raubvögel werden durch Hunger zahm; diesen muthet +man keine Arbeit, keinen Besuch der Schule und Kirche, kein gesetzmäßiges +Verhalten und keine lieb reichen Gesinnungen gegen Mitraubvögel zu, alles +dieses dagegen hungerigen Menschen; und solche Behandlung soll fühlende, +bewußte Menschen mit Liebe gegen Mitmenschen entflammen? Den Glauben an +einen gerechten Gott erwecken? Klingt es nicht wie herber Hohn, Gefangenen +die Religion der Liebe verkündigen, während man den ganzen Haß der +Gesellschaft gegen sie fühlbar macht?</p> +<p>Was den Dunkelarrest betrifft, so ist dieser auch nicht geeignet, das +Innere des darin Sitzenden zu erleuchten. Einige Tage Dunkelarrest mögen in +Kasernen und Amtsgefängnissen gut wirken, doch Sträflinge, welche ohnehin +gefangen sind und bleiben, werden im Allgemeinen dadurch zur Onanie und zum +Faullenzen angeleitet. Für Sträflinge in gemeinsamer Haft bleibt der +Dunkelarrest eine oft gar nicht unangenehme kleine Abwechslung, bei +Zellenbewohnern kann er leicht Anlaß zu Seelenstörungen und Selbstmord +geben, da ihre ohnehin aufgeregte und reizbare Gemüthsverfassung dadurch +gesteigert wird.</p> +<p>Will man doch einmal Sünder gegen das Eigenthum oder gegen Leib und Leben +Anderer den Thieren gleich stellen, so stelle man sie eher in die Reihe der +Hausthiere anstatt in die der Raubthiere und führe die <i>Prügelstrafe</i> +wiederum ein.</p> +<p>Die Prügelstrafe ist unstreitig die wohlfeilste, wirksamste und für gewisse +Klassen von Menschen wohl auch die angemessenste und gerechteste aller +Strafen. Von dem Grundsatze ausgehend, daß nicht sowohl der Mensch im +Menschen als das Thier in demselben gezüchtiget werde, sollte man für drei +Fälle von Vergehen Stockprügel auch außerhalb der Gefängnisse bereit haben. +Erstens für händelsüchtige, rohe Bursche, weiche besonders in weinreichen +Gegenden, bei Tanzgelegenheiten und anderswo Händel und Schlägereien +stiften. Zweitens verdienen sittenlose Mannsleute und freche Weibspersonen, +die am lichten Tage oder im Zwielicht hündische Schaamlosigkeit beweisen, +den Hunden gleich gezüchtiget zu werden ohne Rücksichtnahme auf Stand oder +Rang. Drittens endlich verdient Schläge, wer ein Weib schlägt. Uebrigens +möge uns Gott vor jener guten alten Zeit bewahren, in welcher der Stock das +A und das O der Beamtenweisheit ausmachte. Einzig und allein in obigen drei +Fällen möchte ich Prügel für Nichtgefangene empfehlen. Begreiflicherweise +gibt es in Strafanstalten Leute, für welche Prügel eine große Wohlthat sein +möchten und ich bleibe überzeugt, daß ein aus lauter Sträflingen +bestehendes Gericht gar oft auf Prügelstrafe für einen ihrer Kameraden +erkennen würde.</p> +<p>Allein nicht einmal im Zuchthause möchte ich die Anwendung von Prügelstrafe +dem Ermessen des einzelnen Beamten anheimstellen, geschweige Aufsehern und +Werkmeistern den Stock in die Hand geben. Vorstand, Verwalter, Buchhalter +und Oberaufseher sollten in geeigneten Fällen durch Stimmenmehrheit für +oder gegen Anwendung des Stockes und Zwangstuhles entscheiden, jedoch +niemals, ohne ein Mitglied des s.g. Aufsichtsrathes beizuziehen. Die letzte +Bestimmung der durchdachten und vortrefflichen Bruchsaler Hausordnung +heißt: "Gegen solche Straferkenntnisse, wofür theils der Vorstand, theils +der Aufsichtsrath zuständig ist, steht dem Sträfling der Rekurs, in der +Regel jedoch ohne aufschiebende Wirkung, an den Aufsichtsrath, +beziehungsweise an das Justizministerium zu."—Diese Bestimmung sollte +überall Aufnahme finden, namentlich wo Prügel einheimisch geworden, denn +nichts ist so sehr geeignet, das Rechtsgefühl des Verbrechers vollends +abzustumpfen und zu tödten als ungerechte, willkürliche Behandlung und +nichts so tauglich, alles Ehrgefühl gründlich zu vernichten, denn +ungeeignete Prügelstrafe.</p> +<p>Das Ehrgefühl sollte man im Verbrecher fast mehr schonen und pflegen als +bei andern Leuten, denn wie ein Mensch ohne Ehrgefühl ein ordentlicher +Bürger oder erträglicher Christ werden mag, sehe mindestens ich nicht ein. +Selbst falsches Ehrgefühl ist zehnmal besser als gar keines und großartige +Selbsterhebung zehnmal besser als gemeine Selbstwegwerfung.</p> +<p>Bei uns entehrt Zuchthausstrafe an sich und ich halte derartige Ausdehnung +der Entehrung für die Mutter vieles Schlimmen. Sie stellt Jeden, der eine +von der dermaligen Gesetzgebung als ehrlos verpönte Handlung begangen, mit +Sträflingen in Eine Reihe, welche längst jeden Begriff von Ehre verloren +haben und setzt dadurch seiner Besserung in der Strafanstalt wie seinem +ehrlichen Fortkommen nach erstandener Strafe mächtige Hindernisse entgegen.</p> +<p>Entehrung durch Zuchthausstrafe bleibt aber auch ungerecht, so lange die +Gesetzgebungen nicht alle an sich entehrenden Handlungen mit +Zuchthausstrafen bedenken. Diese Gesetzgebungen sind sehr mangelhaft schon +dadurch, daß sie Ein Gebot Gottes mit aller Macht in Schutz nehmen, andere +dagegen fast ganz außer Acht lassen.</p> +<p>Namentlich ist unsere Eigenthumsgesetzgebung eines der auffallendsten +Zeugnisse für die Siege, welche das Heidenthum in unsern christlichen +Staaten davon getragen. In meinen Augen ist ein Straßenräuber bei weitem +kein so verächtlicher und ehrloser Mensch denn ein Jungfrauenschänder und +ein ehrloser, feiger Spitzbube mehr werth als ein Ehebrecher.</p> +<p>Straßenraub wird furchtbar bestraft, selbst wenn verzweifelte Noth dazu +trieb—Jungfrauenschänder mit und ohne Von vor ihrem Namen, mit und ohne +Epauletten stolziren vornehm an Strafanstalten vorüber und es fällt ihnen +nicht im Traume bei, daß sie von Gott und Rechtswegen härter als +Straßenräuber und Spitzbuben bestraft gehören.</p> +<p>Schändliche Wucherer, gewandte Betrüger ruiniren ihre Mitmenschen innerhalb +der gesetzlichen Schranken und freuen sich, sobald sie in Zeitungen oder +anderswo die Entdeckung einer neuen Tortur gegen arme Teufel, die eine +Kleinigkeit stahlen, zu lesen bekommen.</p> +<p>Will man gar vom ersten der 10 Gebote anfangen—doch ich will nicht, denn +mein Blut fängt an zu sieden und die Hand zittert vor gerechtem Zorn! Man +geräth in Gefahr, in der That zu glauben, die <i>Armuth</i> sei die einzige +Todsünde, welche bei der Welt keine Vergebung finde und das +<i>Erwischtwerden</i> das einzige Verbrechen, insofern man aus dem kleinen +Zuchthaus in das große hineinschaut und Betrachtungen über Leben, Treiben +und das Loos der Armen und Reichen sammt Vergleichen zwischen Räubern, +Dieben, Mördern, Nothzüchtern einerseits und anständigen, honetten, +besitzenden und oft sogar fromm thuenden—Schurken anderseits anstellt.</p> +<p>Ihrem Wunsche gemäß nur noch <i>Ein Wort über Besserung der +Zellengefangenen.</i></p> +<p>Ein solcher kann in der Zelle allerdings Beweise von Besserung geben und +zwar bessere als ein Freier. Sein hartes Loos um Jesu Christi willen still +und geduldig ertragen, sich der Erfüllung aller Pflichten fröhlich und +freudig unterziehen, dies vermag er und Sie dürfen fest annehmen, daß ein +gebesserter Zellenbewohner durch Mienen, Gebärden, Reden und Handlungen +sich vom ungebesserten unterscheidet.</p> +<p>Weil alte Verbrecher bei uns in die Zelle kommen, alte und junge häufig nur +kurze Strafzeit haben und mit Strafverschärfungen bedacht werden, daher mag +es rühren, daß die Früchte der Einzelhaft bei uns nicht recht sichtbar +werden wollen.</p> +<p>Aber noch Etwas, worauf gewöhnlich wenig Gewicht gelegt wird.</p> +<p>Ein Gefangener mag gebessert sein, d.h. er mag mit lebendigem religiösen +Glauben das aufrichtige Streben verbinden, nicht nur gesetzmäßig, sondern +allen göttlichen Geboten gemäß zu leben und nach der Freilassung dennoch +wieder in alte Ansichten, Fehler, Laster und Verbrechen zurückfallen. +Warum? Die Gesellschaft trug mehr oder minder Mitschuld an seinem ersten +Verbrechen, sie gab ihm in der Zelle Gelegenheit und Mittel zur Bildung und +Besserung, er ergriff dieselben und tritt versöhnt mit Gott und Welt in die +Freiheit hinaus. Doch was findet er da? Hat die Strafe mit der Entlassung +ein Ende?</p> +<p>Gott bewahre, <i>die Strafe wird in anderer Weise fortgesetzt und oft in +einem Grade, daß ein Heiliger dazu gehörte, um sich nicht in den +verlassenen Kerker zurückzusehnen.</i></p> +<p>Zunächst weist ein unpassendes Gesetz den Entlassenen nach Hause und was +findet er dort? Lieblose Verachtung, ungerechte Vorwürfe, keine Arbeit und +keine Unterstützung, dagegen böses Beispiel, schlechte Kameraden, Anlaß und +Gelegenheit zu Lastern und Verbrechen. Der alte Mensch in ihm stirbt nicht +so leicht und rasch, wie dies zu wünschen wäre, er geräth in Versuchung, +abermals an Gottes Güte und Gerechtigkeit zu verzweifeln, weil die Menschen +ihm täglich Ursache geben, an ihnen zu verzweifeln. Er bereut seine +Besserung, weil dieselbe doch keine Anerkennung und weil er findet, daß +Andere sich nicht besserten und begeht aus Rachsucht oder Verzweiflung +manchmal eine That in der Absicht, wiederum ins Zuchthaus zu kommen, wo er +Nahrung, Kleidung, Wohnung und wenn ein auch noch so kümmerliches doch +ungeschornes Leben findet.</p> +<p>Nicht weil nothwendig ein Rückfälliger ehrlos ist, sondern weil die +Mitmenschen ihn als Ehrlosen behandeln, <i>wird</i> er es wirklich.</p> +<p>Schließlich noch eine Ansicht über Todesstrafe.</p> +<p>Ich bin derselben im Ganzen nicht gewogen und sehe in ihr eine Frucht der +Fortdauer heidnischer und barbarischer Zustände. Doch gibt es Leute, deren +Gemüth mehr oder minder durchteufelt ist und Verbrechen, welche unter so +schauderhaften Umständen verübt werden, daß man für den Tod des Thäters +fast unwillkürlich stimmt, indem man die Opfer der That bedenkt.</p> +<p>Aber man sollte erstens nach der Verurtheilung Keinen wochen- und +mondenlang zwischen Tod und Leben hängen lassen, indem man ihm die +Möglichkeit der Begnadigung übrig läßt; ferner sollte man zweitens dem +Verurtheilten volle Gewißheit seines Todes geben, ihm den Tag und die +Stunde desselben verkündigen und mindestens einige Wochen Zeit lassen, sich +auf seinen Tod vorzubereiten; drittens endlich sollte man Keinen vom +Schafot zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigen, dessen Verbrechen +voraussichtlich keine späteren Milderungen der Strafe erwarten läßt. +Lebenslänglich im Zuchthause sein, heißt langsam und qualvoll hingerichtet +werden; gebessert aber wird selbst kein zum Tode Verurtheilter, wenn er +unter Sträflingen lebt.</p> + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Zuchthausgeschichten von einem +ehemaligen Züchtling, by Joseph M. Hägele + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZUCHTHAUSGESCHICHTEN *** + +***** This file should be named 16279-h.htm or 16279-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/1/6/2/7/16279/ + +Produced by Robert Kropf and the Online Distributed +Proofreading Team at https://www.pgdp.net + + +Updated editions will replace the previous one--the old editions +will be renamed. + +Creating the works from public domain print editions means that no +one owns a United States copyright in these works, so the Foundation +(and you!) can copy and distribute it in the United States without +permission and without paying copyright royalties. Special rules, +set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to +copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to +protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. 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