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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/16280-0.txt b/16280-0.txt new file mode 100644 index 0000000..1b21614 --- /dev/null +++ b/16280-0.txt @@ -0,0 +1,7351 @@ +The Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und Erforschung +Africa's., by Gerhard Rohlfs + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Africa's. + Berichte aus den Jahren 1870-1875 + +Author: Gerhard Rohlfs + +Release Date: July 13, 2005 [EBook #16280] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITRÄGE ZUR ENTDECKUNG *** + + + + +Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This +file was produced from images generously made available +by the Bibliotheque nationale de France (BnF/Gallica) at +http://gallica.bnf.fr. + + + + + + +Beiträge + +zur Entdeckung und Erforschung + +Africa's. + +Berichte aus den Jahren 1870-1875 + +von + +Gerhard Rohlfs. + + * * * * * + +Leipzig, + +Verlag der Dürr'schen Buchhandlung + +1876 + +Mit dem Stahlstich-Portrait des Verfassers + + +Beiträge + +zur + +Entdeckung und Erforschung Afrika's. + +[Illustration: Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs] + +[Illustration: Handwriting] + +Contributions + +à la découverte cf á l'exploration + +de l'Afrique + +Récite des anneés 1870-1875 + +Herr Gerhard Rohlfs + +Leipzig + +Dürr + +1876 + + +Beiträge + +zur Entdeckung und Erforschung + +Afrika's. + +Berichte aus den Jahren 1870-1875 + +von + +Gerhard Rohlfs. + + * * * * * + +Leipzig, + +Verlag der Dürr'schen Buchhandlung + +1876 + + + + + + + +INHALT + + +1. Der Kanal von Suez +2. Bauten in Afrika +3. Lagos an der Westküste von Afrika +4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika +5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern +6. Beitrag zur Kenntnis der Sitten der Berber in Marokko +7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker +8. Aufbruch zur Libyschen Wüste +9. Das jetzige Alexandrien +10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten +11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste +12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnografische Schilderung + + + + + + +1. Der Kanal von Suez. + + +Es hat kaum ein großartigeres Unternehmen mehr das Interesse der +gebildeten Welt in Anspruch genommen, als der Durchstich des Isthmus von +Suez, eine Unternehmung, wie sie eben nur der vor nichts +zurückschreckende Geist des 19. Jahrhunderts erdenken konnte. Und keine +Arbeit ist mehr besprochen und beschrieben worden, als gerade dieser +Kanal, Stimmen haben sich dafür und dagegen erhoben; Enthusiasten +wollten den Kanal in ein paar Jahren vollenden, unterschätzten die +Schwierigkeiten, setzten die Kosten zu gering an; ihre Gegner sprachen +von unüberwindlichen Hindernissen, vom Niveauunterschiede der beiden zu +verbindenden Meere, von nicht zu besiegenden Sandstürmen der Wüste, vom +Mangel an Geld und endlich, falls der Kanal zu Stande käme, von den zu +großen Kosten, welche die Rheder für ihre durchgehenden Fahrzeuge zu +entrichten haben würden. + +Im Jahre 1854, als Hr. von Lesseps vom Vicekönig die Autorisation bekam +zur Anlegung eines maritimen Kanals durch die Landenge, constituirte +sich infolge dessen eine internationale Commission, bestehend aus +Ingenieuren von England, Oesterreich, Spanien, Frankreich, den +Niederlanden und Preußen, um einen Plan auszuarbeiten, und nachdem diese +Commission festgestellt hatte, daß kein Niveauunterschied zwischen den +beiden getrennten Meeren vorhanden sei, hatte sie die Bildung des Kanals +von Suez und eine Subscription zur Folge. Die auszuführenden Arbeiten +waren auf 200 Mill. Frs. veranschlagt worden, welche Summe aufgebracht +wurde. Im Jahre 1859 begannen die ersten Arbeiten unter der +unmittelbaren Direction der Compagnie selbst. + +Diese bestanden hauptsächlich in Menschenwerk; das ägyptische +Gouvernement hatte contractlich 20,000 Fellahin oder Leibeigene zu +liefern, welche eine monatliche Dienstzeit hatten, wobei sie auf Kosten +der Compagnie ernährt und abgelohnt wurden. Jeden Monat löste ein Haufen +anderer Zwangsarbeiter den alten ab. + +Als nun Ende 1865 die Unzulänglichkeit dieser Arbeiten sich +herausstellte, schloß die Compagnie mit dem Hause Borrel und Lavaley +einen Contract, demzufolge das genannte Haus es übernahm, sämmtliche +Erdarbeiten, die Ausgrabung und Ausbaggerung des Kanals durch Maschinen +bewerkstelligen zu wollen. Zugleich wurde der Firma Dussaud Frères die +Vollendung der großen Molen von Port-Said überwiesen und die Arbeiten, +welche dieses Haus durch seine colossalen künstlichen Steinblockbauten +in Algier, Cherbourg u.s.w. ausgeführt und dem man neuerdings noch die +Construction des Hafens von Smyrna übergeben hatte, waren hinlänglich +Bürge, daß ihnen die Molen von Port-Said würden ebenbürtig zur Seite +gestellt werden können. + +Es handelte sich nun aber darum, das ägyptische Gouvernement, welches +sich verpflichtet hatte, während des Kanalbaues so und so viele Arbeiter +zu liefern, dahin zu bringen, daß es für die jetzt unnöthig gewordenen +Menschenkräfte einen äquivalenten Theil an Geld gewährte und die +ägyptische Regierung, immer bei der Hand, das Unternehmen auf's +Großmütigste zu fördern, ging auf's Bereitwilligste daraus ein. Indeß +stellte es sich heraus, daß die Ablösungssumme, welche die Compagnie +verlangte, 54 Mill. Frs. dem Vicekönig zu hoch gegriffen schien und man +kam nun überein, sich einem Schiedsrichter zu unterwerfen, wozu beide +Parteien den Kaiser Napoleon wählten. Aber nicht für 54 Millionen +entschied sich der Kaiser der Franzosen, sondern für 84 Millionen, +welche die ägyptische Regierung der Compagnie zu zahlen habe. Die +anfängliche Schätzung der Compagnie war also bedeutend durch den +Ausspruch des Kaisers Napoleon überboten worden. Man hat behaupten +wollen, der Umstand, daß Herr von Lesseps ein Verwandter der Kaiserin +Eugenie ist, habe nicht wenig dazu beigetragen, eine für die Compagnie +so außerordentlich günstige Entscheidung herbeizuführen. Außerdem hatte +die Compagnie einen neuen Geldzuschuß von 10 Mill. Frs. als +Entschädigung für die Domäne Tel-el-kebir vom Vicekönig erhalten. +Trotzdem daß nun die ursprünglich veranschlagte Summe von 200 Mill. Frs. +sich so um fast 100 Millionen erhöht fand, stellte es sich schon im +kommenden Jahre heraus, daß zur Beendigung des Kanals noch wenigstens +100 Millionen erforderlich seien. Deshalb ging Anfang 1868 Herr Lesseps +nach Paris, um eine neue Anleihe zu negociiren. Eine Anleihe als solche +scheiterte indeß, es gelang aber Herrn Lesseps eine Lotterie mit +Bewilligung der französischen Kammer zu Stande zu bringen, welche bis +Anfang Juni 1868 40-45 Millionen ergab und endlich wurden durch +verschiedene Operationen die finanziellen Schwierigkeiten des Kanalbaues +überwunden. + +Nach der damaligen Abmachung sollten die Arbeiten bis zum 1. October +1869 fertig sein und nach den Arbeiten des Hauses Borrel und Lavaley zu +schließen, konnte dies auch geschehen. Denn um von dem Augenblicke an +den Kanal so herzustellen, daß er überall an der Wasserlinie eine Breite +von 100 Meter, an der Basis 22 Meter (an einigen Stellen indeß oben 75 +Meter und unten blos 12 Meter) mit einer Tiefe von überall 8 Metern +habe, blieben vom Juni 1868 an noch 34 Millionen Kubikmeter Terrain +wegzuräumen übrig. Mit der Arbeitsfähigkeit, welche Borrel und Lavaley +zu ihrer Disposition hatten und wodurch bis Mai 1868 circa 18 Millionen +Kubikmeter Erdreich weggeschafft wurde und welche im Juli 1868 bis auf +20 Millionen Kubikmeter gesteigert werden konnte, stellte es sich +heraus, daß in der That bis Ende des Jahres 1869 der Kanal fertig sein +würde. Ob aber derselbe dann schon für die größten Fahrzeuge passirbar +sein würde, war eine andere Frage; jedenfalls aber konnten Borrel und +Lavaley, die mit der Compagnie übereingekommen waren, eine so und so +große Menge von Erdreich aus der vorgeschriebenen Linie des Kanals +hinwegzuräumen, ihren Verpflichtungen nachkommen. Zur Ausführung dieser +großartigen Arbeit hatten Borrel und Lavaley folgende Maschinen, welche +sämmtlich entweder in England oder Frankreich und Belgien angefertigt +sind, zur Disposition: a) 10 mechanische Zermalmer; b) 4 +Handbaggermaschinen; c) 19 kleine Baggermaschinen; d) 58 große +Baggermaschinen, von denen 20 mit langen Abgüssen; e) 30 Dampfschiffe, +um Schutt wegzufahren, mit Seitenklappen; f) 79 Schuttdampfschiffe mit +Grundklappen, 37 von diesen hielten das Meer; g) 18 Elevateurs; h) 90 +schwimmende Chalands mit Schuttkisten; i) 30 Dampfwidder; k) 15 +Dampfchalands; l) 60 Locomobilen; m) 15 Locomotiven; n) 20 +Dampferdhöhler theils für trockenen, theils nassen Boden; o) 1800 +Erdwagen; p) 25 Dampfcanots oder Remorqueurs; q) 200 eiserne Chalands. + +Wir brauchen nicht zu erwähnen, daß auch noch ein genügendes und +massenhaftes Material von kleinen Geräthen, als Schaufeln, Hacken, +Schiebkarren u.s.w. vorhanden war. Borrel und Lavaley hatten außerdem +eine Arbeitskraft von circa 12,000 Menschen auf dem Platze, welche +theils aus Eingeborenen, die sich freiwillig zum Arbeiten gemeldet +hatten, theils aus Europäern bestand. Alle Arbeiten waren contractlich; +erstere bekamen für 1 Meter Kubikfuß 1 Fr. 95 Cent., wo das Terrain +leicht zu bearbeiten war; wo es hingegen, wie in Chalouf, schwierig war, +bis 2 Frs. 45 Cent., die Handwerker und Europäer hatten nicht unter 5 +Frs. per Tag. + +Bald darauf wurden aber wieder viele Stimmen laut, daß nach vollendetem +Kanalbaue zwei große Schiffe neben einander nicht würden passiren +können; indeß bei den geringsten Dimensionen von 75 Meter an der +Wasserlinie und 12 Meter an der Basis waren wir berechtigt, anzunehmen, +daß dies der Fall sein würde oder daß man dem würde abhelfen können. +Man wollte ferner behaupten, daß die Ausfüllung der Bitterseen vom +Mittelmeere aus zu rasch vor sich gehen würde und so durch den +hereinbrechenden Strom der Kanalbau beschädigt, wenn nicht ganz zerstört +werden könnte. Die Anfüllung des Timsahsees im Jahre 1861, wozu nicht +weniger als circa 100 Mill. Kubikmeter Wasser erforderlich waren, welche +dem mittelländischen Meere entzogen wurden, hatte jedoch gezeigt, daß +bei so großen Quantitäten mit verhältnißmäßig so geringem Falle die +Strömung mit großer Langsamkeit vor sich geht; und so konnte man genau +berechnen, daß zur Ausfüllung des großen und kleinen Beckens des +Bittersees, welcher wenigstens 20 Mal so viel Volumen Wasser +verschlingen würde, als der Timsahsee, fast zwei Monate erforderlich +sein müßten. + +So war, als wir Mitte Juni 1868 den Kanal besuchten, die Sachlage; und +wenn wir auch nicht der Meinung der Pessimisten waren, welche +behaupteten, der Kanal würde nie fertig, würde stets wieder versanden +oder auch diese Compagnie würde nicht die erforderlichen Mittel +aufbringen können, um die Bauten zu Ende zu führen, und es würde so +selbstverständlich der Kanal in die Hände der Engländer übergehen +(beiläufig gesagt wäre dies gar kein Schaden für die kommerzielle Welt), +so waren uns doch auch andererseits starke Zweifel aufgestoßen, ob der +Kanal schon Ende 1869 der allgemeinen Benutzung würde übergeben werden +können. Denn wenn auch die Firma Borrel und Lavaley die vorgeschriebenen +34 Mill. Kubikmeter Terrain bis Ende 1869 herausgeschafft haben konnte, +so war damit lange noch nicht der Kanal fertig. Vor Allem wäre überdies +der Compagnie eine weise Sparsamkeit anzuempfehlen gewesen. Wozu nützte +es damals, nachdem sie alle Privatarbeiten abgegeben hatte an +Privatunternehmer (Borrel und Lavaley, Dussaud Frères, Couvreur in El +Guisr u.a.m.), einen so großen Stab zu unterhalten? Seitdem die +Compagnie sich nicht mehr direct bei den Arbeiten betheiligte, wie im +Anfange, war es da nicht eine eitle Geldverschleuderung, noch immer +denselben Personalbestand zu haben, welcher unter den hochtönenden Namen +Agence supérieure und Direction générale des travaux ein Personal von +über 200 Leuten (officiell) aufwies, von denen der geringste Beamte +sicher nicht unter 5000 Frs., der Director Herr Voisin 50,000 Frs. +Gehalt bezog? + +Man kann von drei Seiten hinkommen, um den Kanal zu besuchen: von +Port-Said, von Ismaïlia und Suez. Wir gingen im Jahre 1868 von letzterem +Platze aus, uns auf dem Süßwasserkanal einschiffend, welcher von +Ismaïlia kommt und in Suez sein Ende hat. Von diesem Orte an bis nach +Ismaïlia hatte der Kanal eine Länge von 90 Kilometern, war an der +Wasserlinie überall 14 Meter breit und hatte eine durchschnittliche +Tiefe von 1,20 Meter. Es bestand eine regelmäßige Post, jedoch konnte +man auch Extradahabien haben, welche von Maulthieren, die immer im +schnellen Trabe oder Galop gehen, gezogen wurden. Der Verkehr war schon +sehr belebt durch kleine Privatschiffe; so bezogen schon damals die +indischen Schiffe und ganz Suez alle Kohlen mittelst des Kanals. Um die +Fähigkeit zu haben, überall halten und aussteigen zu können, zogen wir +eine Extradahabie vor, zumal die Posten sehr schmutzig und voller +Ungeziefer waren. Jede Dahabie hat einen Vorraum und einen kleinen +Salon, der für vier Personen geräumig ist, sogar ein kleines +Ankleidezimmer und Accessoir fehlen nicht. Die unvermeidlichen +Hausthiere mohamedanischer Länder, lästige kleine Insecten, fehlen aber +auch in den Extradahabien nicht, was auch ganz natürlich ist, da der +Reïs oder Capitain in Abwesenheit von Passagieren sich sicher nicht zum +Schlafen auf das Dach der Dahabie, sondern aus die Sophas in derselben +legt und seine beiden Leute sicher seinem Beispiel folgen. Man kann, +falls man sich gar nicht aufhält, die Fahrt von Suez nach Ismaïlia in +10-12 Stunden machen, indeß war es sehr gerathen, einige Stunden in +Chalouf zu bleiben, um die dortigen Arbeiten zu besichtigen. Hier ist +der einzige Ort, wo man auf felsiges Terrain, jedoch von lockerer +Beschaffenheit, stieß. Tagtäglich fand man hier die schönsten +Versteinerungen, Fische, Säugethiere und Pflanzen. Als wir den tiefen +Graben besuchten, wurde gerade ein ausgezeichnet schöner Rückenwirbel +eines Elephanten ausgegraben. Es herrschte in Chalouf ein reges Lebens, +große Dampfpumpen waren fortwährend in Thätigkeit, um das eindringende +Wasser, welches der nahe Süßwasserkanal durchsickern ließ, +herauszuschaffen, während andere mächtige Maschinen die Erde selbst +angriffen. Nur in Chalouf hatte man jetzt noch das Bild und Profil des +Kanals, da die anderen Strecken zwischen Port-Said und Ismaïlia alle +angefüllt waren. Aber gerade vor Thoresschluß den Kanal entstehen sehen +die riesigen Arbeiten bewundern zu können, gerade das hatte einen +besonderen Reiz. Wenn man jetzt nach Vollendung des Durchstiches über +den Kanal dahinfährt, kann man sich kaum eine richtige Idee machen von +den Schwierigkeiten, welche besiegt werden mußten. + +Nebenbei war hier eine ganze Stadt entstanden; es gab Kirchen, Moscheen, +Wirtshäuser, Spitäler, Cafés u.s.w. Von hier nun wendet sich der +Süßwasserkanal ab, um die Bitterseen, deren Bassin tiefer ist, als die +Basis des Süßwasserkanals, zu vermeiden, und bei der großen Hitze, die +im Sommer hier herrscht, zogen wir es vor, diesen Theil des Weges Nachts +zu machen, wo wir dann am anderen Morgen früh in Serapeum eintrafen; +dies liegt am Nordrande der Bitterseen. Vom Süßwassercanal führt eine +Zweigbahn nach Serapeum. Auch hier konnte man die Arbeiten in ihrer +ganzen Großartigkeit bewundern und auch hier hatte sich rasch ein Ort +entwickelt, wie es übrigens das Zusammensein so großer Arbeitermassen +von selbst mit sich bringt. + +Von Serapeum bis Ismaïlia sind nur noch 20 Kilometer und bald landete +die Dahabie an dem schönen steinernen Kai; vorbeifahrende Wagen, die +Menge der Schiffe (unter denen manche Dreimaster und stattliche +Mittelmeerdampfer), Kirchthürme, Häuser und Hotels, wie man sie nur in +den großen Seestädten findet, überraschen den Reisenden, so daß er +glaubt in Europa zu sein. + +Ismaïlia ist eine Stadt von circa 8000 Einwohnern. Nach einem vollkommen +regelmäßigen Plane gebaut, ist es weit hinaus im Halbkreise von einem +Süßwasserkanale umgeben, welcher von üppigen Weiden bordirt ist. Man hat +eine katholische und zwei griechische Kirchen, eine Moschee, zwei +Hospitäler, von denen eins für die arabische Bevölkerung bestimmt ist. +Es befinden sich hier die Gebäude der Directoren, welche an Pracht und +Bequemlichkeit in nichts den Sommerwohnungen der Fürsten nachstehen. +Die Straßen sind breit und vor allen Privathäusern breite Blumenbeete +und Baumanlagen, was einen reizenden Anblick gewährt. Namentlich der +Hauptcentralplatz ist eine allerliebste Anlage und obgleich erst seit +zwei Jahren geschaffen, so üppig, als ob sie seit zehn Jahren bestände. +In Ismaïlia ist das beste Hôtel das Hôtel des voyageurs; es giebt aber +noch fünf oder sechs andere. Natürlich wo Franzosen sind, fehlen nicht +die Cafés chantants und die Roulette; diese ist jetzt in Aegypten so +verbreitet, wie in Californien und namentlich zur Zeit der +Baumwollenperiode wurden oft in den schmutzigsten Winkelbuden Summen +umgesetzt, um die sie die Banken von Homburg, Wiesbaden und Ems hätten +beneiden können. Aber auch das deutsche Bier hat seinen Weg zum Kanal +gefunden und in Ismaïlia wie in allen anderen Städten Aegyptens giebt es +deutsche Bierbrauer, welche ihr Bier von Wien beziehen. Es hatte den +Anschein, als ob Ismaïlia nach Vollendung des Kanals sein Aufblühen, +welches es den Arbeiten hauptsächlich verdankt hatte, einbüßen würde, +aber jetzt im Bereiche des Eisenbahnnetzes, wird die Stadt doch immer +eine gewisse Wichtigkeit behalten, wenngleich es sich wohl nie zu einer +bedeutenden Stadt hinaufschwingen wird. + +Der Timsahsee war jetzt vollkommen angefüllt, er ist südlich von der +Stadt und circa einen halben Kilometer entfernt und hat eine Oberfläche +von 60 Hectaren. Der Canal maritime geht an der östlichen Seite +hindurch. Obgleich das auf dem Boden stark aufgehäufte Salz, welches +sich beim Hereinlassen des Mittelmeerwassers natürlich auflöste, +anfänglich keine Fische leben ließ, so ist doch durch die constante +Erneuerung des Wassers, durch den Abfluß vom Süßwasserkanal her, der +Salzgehalt so vermindert, daß eine Menge Fische jetzt darin leben, +obgleich der Salzgehalt des Wassers noch bedeutend größer ist, als der +des mittelländischen Meeres. Das Wasser ist übrigens hell, wie Krystall, +und ladet Jeden zum Baden ein. Krocodile sind heute nicht mehr zu +fürchten (behar el timssah heißt Krocodilsee) und eine gute Badeanstalt +am Ufer des Sees sorgt für alle Bedürfnisse ihrer Clienten. + +Von Ismaïlia bis Port-Said benutzte man damals schon den Canal maritime +der von Port-Said an gerechnet 75 Kilometer lang ist (die Länge des +ganzen Kanals beträgt bis Suez 160 Kilometer). Es war hier schon +tägliche Dampfverbindung und man legte die Fahrt gewöhnlich in acht +Stunden zurück. Die Dampfer, kleine Boote, waren übrigens zweckmäßig +eingerichtet und hatten eine erste und zweite Classe. Der Kanal hatte +hier überall die planmäßige Breite, aber noch nicht die gehörige Tiefe +zwischen diesen beiden Plätzen. Durch den Balahsee kam man zuerst nach +El Guisr, einem Punkte, der Interesse erregte durch die Ausstellung der +Maschinen des Herrn Couvreux. Diese Maschinen, Excavateurs genannt, +griffen mittelst Dampf das trockene Erdreich an, sind also +Trockenbaggerer; das Süßwasser wurde nach diesem Orte durch +Dampfdruckmaschinen befördert. Nichts war eigenthümlicher als der +Anblick der colossalen Dampfbaggerer und der Elevateurs, die man nun von +hier an auf Schritt und Tritt bis Port-Said fand. Es gab Baggerer, die +in _einem_ Tage bis 2000 Kubikmeter heraufholen konnten. + +Man passirt dann noch den Ort El Kántara (die Brücke) von circa 2000 +Einwohnern, schon früher wichtig als ein Halteplatz von Karavanen, die +nach und von Syrien ziehen. In El Kántara ist eine Kirche, ein Spital +und eine Moschee, dann die sehr sehenswerten Etablissements von Borrel +und Lavaley, welche denen dieser Herren in Chalouf um nichts nachstehen; +natürlich sind diese Werkstätten seitdem geschlossen worden. + +Der einzige Ort von Wichtigkeit ist nun nur noch El Aech (sprich Aisch), +ein kleines Etablissement circa 15 Kilometer von Port-Said entfernt. +Bald sah man nun schon die hohen Masten der Seefahrer und nach einer +Weile fuhr unser kleiner Dampfer hindurch zwischen seinen großen +Seebrüdern aus der Familie der Lloyd, der Messagerie impériale und +anderer Gesellschaften, die wie Riesen auf einen Zwerg, so auch auf +unsere kleine Dampfnußschale herabschauten. + +Port-Said ist eine vollkommen europäische Stadt und hat jetzt circa +12,000 Einwohner, welche Bevölkerung außer aus Aegyptern hauptsächlich +aus Oesterreichern (Dalmatinern), Franzosen, Italienern und Griechen +besteht. Letztere, der Auswurf ihres Landes, machen indeß das Leben in +Port-Said ebenso unsicher, wie in Suez und Alexandria. In allen diesen +Städten konnte man zur Zeit des Kanalbaues täglich einen Mord rechnen; +zum Glück für die übrigen Europäer, von denen sie wie die Pest gemieden +werden, schlachteten sie sich meist unter einander selbst ab. Die Stadt +hat einen ägyptischen Gouverneur und einen von der Regierung gepflegten +Gesundheitsdienst, fast alle maritimen Staaten sind durch Consuln +vertreten, Deutschland durch Herrn Bronn, welcher früher ebendaselbst +schon Consul von Preußen war. Es giebt Kirchen für den katholischen und +griechischen Cultus, eine Moschee für die Mohamedaner, Hospitäler und +Klöster, in denen nichtsthuende griechische oder katholische Mönche auf +Kosten der Bewohner Port-Saids ihre Bäuche mästen, eine Menge Hotels +(von denen das Hôtel Pagnon das beste sein soll; wir selbst hatten +unsere Wohnung auf Sr. Majestät Consulat). Cafés mit und ohne Musik, +öffentliche Bäder, Clubs, kurz nichts fehlte, um Port-Said als eine +kleine Großstadt bezeichnen zu können. Aber auch die Voraussicht, daß +Port-Said eine bedeutende Concurrenz Alexandrien machen würde, hat sich +nicht bewahrheitet. Jetzt nach einem Bestande des Canals von 5 Jahren +können wir nur constatiren, daß dieser Hafen nicht die Entwicklung +genommen hat, welche man seiner Lage zu Folge berechtigt zu sein +glaubte, voraussetzen zu dürfen. + +Zum Theil ist der Hafen nicht sicher, trotz der enormen Molen, welche +man construirt hat, zum Theil passiren die Schiffe, welche nach Indien +gehen, rasch ohne sich hier aufzuhalten. Der eigentliche Hafen für +Aegypten ist eben Alexandria geblieben. Wenn der jetzige Chedive, der ja +so große Dinge schon geschaffen hat, eines Tages dazu schreiten würde, +den in unmittelbarer Nähe gelegenen Mensaleh-See auszutrocknen, dann +würde sich allerdings in der Entwicklung Port-Saids eine wesentliche +Aenderung zu Gunsten der Stadt ergeben. + +Sehr sehenswerth war die Fabrikation der großen Steinblöcke zur +Construction der beiden Hafenmolen. Wie schon erwähnt, waren es die +Herren Dussaud Frères, welche diese Arbeit übernommen hatten. Jeder +Block hat 10 Kubikmeter Gehalt und wiegt 40,000 Pfund. Das Verfahren, +sie herzustellen, war so einfach wie möglich: Mittelst Sand, welcher aus +dem Hafen gebaggert und mit der vorgeschriebenen Partie Süßwasser +gemischt wurde, brachte man dieses Gemenge unter eine Zerreibemühle und +that es dann mit Kalk und Cement in gewollter Menge zusammen. Wenn alles +ordentlich durcheinander gemischt war, kam diese Masse in hölzerne +Formen und mußte dann zwei Monate trocknen, nach welcher Zeit eine +felsenartige Härte eintrat. + +Seitdem ist in der That der Kanal von Suez am 16. November 1869 eröffnet +worden und alle die bösen Conjuncturen, welche man an die +Lebensfähigkeit dieses gigantischen Unternehmens geknüpft hatte, haben +sich als eitel Dunst erwiesen. + +Ein riesiges Unternehmen, wozu man fünf Jahre Studien, wie Stephan sagt, +und elf Jahre Ausführung gebraucht hatte. + +Alle seefahrenden Nationen hatten sich bei dieser großartigen Feier +durch ihre Flotten vertreten lassen und von Fürstlichkeiten waren der +Kaiser von Oesterreich, der deutsche Kronprinz (damals noch Kronprinz +von Preußen), die Kaiserin Eugenie und Prinz Heinrich der Niederlande +erschienen. Alle waren Gäste des Chedive, aber nicht sie allein, sondern +Tausend andere. Ja der Schreiber dieser Zeilen, welcher ebenfalls eine +Einladung erhalten hatte, der er leider eingetretener Umstände halber +nicht Folge geben konnte, weiß aus späterem Besuche in Aegypten, daß +eine Menge _ungeladener_ Gäste flott sich unter die Geladenen drängte +und auf Kosten des Chedive den Festlichkeiten anwohnte. Man berechnet +die Zahl der damals anwesenden Fremden auf 30,000 Personen. + +Der dabei entwickelte Pomp, die Verschwendung, welche ostensibel zur +Schau getragen wurde, sind unbeschreiblich; aber für den Orient, wo +Alles auf Aeußerlichkeit berechnet ist, kann man sie kaum übertrieben +nennen. + +Wenn nun auch der Kanal bei der Eröffnung vollständig planmäßig +hergestellt war, so war doch im Mai 1871 erst die Ausbaggerung des +Kanals soweit vollendet, daß er in seiner ganzen Länge eine mittlere +Tiefe von 8,50 Meter hatte, so daß Schiffe mit 7 Meter Tiefgang +ungehindert den Kanal passiren konnten. + +Im ersten Jahre hat man noch, eingeschlossen die Ausbaggerung des +Außenhafens bei Port-Said, 563,060 Kubikmeter ausgeräumt, aber eine im +December 1871 vorgenommene Sondirung in einer Entfernung von je 18,50 +Meter vorgenommen ergab überall die Tiefe als normal. Es bestätigte sich +denn auch, daß der Kanal keineswegs so viel zu leiden hatte von den +Sandwehen der Dünen oder vom Abschwemmen der Ufer durch den Wellenschlag +vorbeifahrender Dampfer. Ebenso haben die in Port-Said errichteten Molen +vollkommen gut dem schlechtesten Wetter getrotzt, denn einige Senkungen, +welche man übrigens vorausgesehen hatte, haben auf die allgemeine +Sicherheit keinen Einfluß gehabt. + +Die Leichtigkeit, mit welcher der Verkehr vor sich geht, hat überhaupt +alle die bösartigen Voraussetzungen und Meinungen, die man anfangs mit +der Lebensfähigkeit des Kanals in Verbindung brachte, zu nichte gemacht. + + + +Im Jahre 1870 passirten 486 Schiffe. + " " 1871 " 765 " + " " 1872 " 1082 " + " " 1873 " 1173 " + " " 1874 " 1264 " + +Seit der Einweihung haben bis Ende 1874 4770 Schiffe den Kanal passirt +mit einem Gesammttonnengehalt von 8,050,338; davon waren circa vier +Fünftel Dampfer und nur ein Fünftel Segler. Die Einnahmen betrugen vom +Beginn der Eröffnung bis Ende 1874 78,317,352 Frs. Am besten wird das +stete Wachsen der Einnahme veranschaulicht, wenn wir die des ersten +Jahres mit 5,159,327 Frs. gegen die des Jahres 1874 mit 24,859,383 Frs. +halten. + +Wir sehen aber, daß bei Weitem der größte Theil der Schiffe den +Engländern gehört, ihr Land also in Wirklichkeit den größten Nutzen vom +Durchstich der Landenge von Suez gehabt hat. Was würde Lord Palmerston, +dieser eifrigste Gegner des Suezkanales, gesagt haben, hätte er ein +solches Resultat noch erleben können. + +Die jährlichen Ausgaben des Kanals waren auf circa 5,000,000 Frs. +veranschlagt, da aber im ersten Semester 1872 die Einnahmen sich schon +auf mehr als eine gleiche Summe bezifferte und da der Transit +fortwährend im Steigen begriffen ist, so kann man mit Zuversicht der +Zukunft entgegensehen. + +Seit dem Juli 1872 hat die Umwandlung des officiellen Tonnengehaltes in +die des sogenannten "gross tonnage" die Einnahmen um 40 bis 50% +gesteigert. + +Längs des ganzen Kanals hatte man von Mitte 1871 Fluthmesser angebracht +auf sechszehn verschiedenen Stationen. Von sechs Uhr Morgens bis sechs +Uhr Abends wird viertelstündlich die Höhe des Wassers, die Schnelligkeit +der Strömung des Wassers und die Windrichtung gemessen, so daß man jeden +Augenblick am Tage die Fluthwelle von Port-Said bis Suez in Erfahrung +bringen kann. Das aus dem rothen Meere kommende Wasser fließt gegen das +Mittelmeer mit einer intermittirenden Geschwindigkeit, welches von der +ungleichen Gezeitung beider Meere verursacht wird. + +Zu erwähnen ist noch, daß die Leuchtthürme von Port-Said und Suez ebenso +wie die, welche längs des Kanals aufgestellt sind, von electrischem +Lichte erleuchtet werden, der von Port-Said durch magneto-electrische +Maschinen, welche durch Dampf in Thätigkeit gesetzt werden. + +Trotz des großen Aufschwungs, den der Kanal genommen hat, knüpfen sich +an seine Existenz nicht unwichtige Fragen, welche bei einer eventuellen +Unabhängigkeitserklärung Aegyptens zum Austrag kommen dürften. +Jedenfalls besitzen wir aber dermalen in der Verbindung der beiden Meere +ein Werk so großartig, daß es bis jetzt durch kein anderes Unternehmen +ähnlicher Art übertroffen worden ist. + + + + +2. Bauten in Afrika. + + +Wenn wir hier die Bauweise der in Afrika befindlichen Völker, soweit es +dessen Norden und Centrum angeht, beschreiben wollen, so sehen wir +selbstverständlich von den _antiken_ Baudenkmälern ab. Allein die +Schilderung der Bauten, welche wir in Aegypten namhaft machen könnten, +würde Bände, oder der, welche wir in den sogenannten Berberstaaten +antreffen, seien es nun Reste der Libyer, Phönicier, Griechen, Römer und +Christen der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, würde Folianten +füllen, wenn Jemand sich der Mühe unterziehen wollte, ausschließlich +diesen Gegenstand zu behandeln. + +Indem wir aber wiederum Aegypten außer unserem Bereiche lassen, so weit +es die _neuen_ Bauten jetzt lebender Generationen anbetrifft, so glauben +wir damit vollkommen im Rechte zu sein; denn die Paläste, die Moscheen, +welche von den jetzigen Herrschern des Landes der Pharaonen errichtet +worden sind, wurden nicht von den Aegyptern selbst erbaut. Ausländische +Architekten leiteten die Construction, und nur die roheste Arbeit wurde +von den Eingeborenen selbst verrichtet. + +Anders ist es in den Berberstaaten. Obschon auch hier der +christlich-europäische Einfluß sich nicht leugnen läßt, namentlich bei +den Baulichkeiten von Tripolitanien, Tunesien und Algerien, so finden +wir hier doch noch mehr einheimisches Wesen und Form. Fast ganz rein von +europäischen Einflüssen hat sich die Bauweise in Marokko gestaltet, +obschon die monumentalen Gebäude fast alle aus der Periode her datiren, +wo dieses Reich mit Spanien eng verknüpft war. + +Die colossalen Bauten von Fes, die Djemma-el-Karuin, die +Djemma-Mulei-Dris, die Paläste des Kaisers, drei an der Zahl, das +umfangreiche Schloß des Sultans in Mikenes, die Djemma-el-Fanal in +Marokko selbst, das Lustschloß des Kaisers ebendaselbst, stammen alle +aus der Periode des westlichen Khalifats. + +Im heutigen Nordafrika können wir die Bauten der Bewohner der Städte, +die Dörfer des sogenannten Tel- oder Atlasgebietes, die Burgen der +Bewohner am Südwestabhange des Atlas und die Bauten der Oasenbewohner +unterscheiden. Ferner haben wir Zelte, Hütten und Höhlen der Bewohner +Nordafrika's in Betracht zu ziehen. + +Was nun bei den Häusern der Städte (ich nehme hier Fes, die Hauptstadt +des Kaiserreichs Marokko, als Vorbild) am meisten auffällt, ist, daß das +Aeußere vollkommen schmucklos ist, und daß mit Ausnahme einer niedrigen +Thür nirgends die Einförmigkeit einer weiß überkalkten Mauer durch +Fenster oder sonstige Oeffnungen unterbrochen wird. Wie bei den alten +römischen Wohnhäusern gruppirt sich Alles um einen Hof, der meistens +rechtwinklig und viereckig ist. Im Hofe selbst befindet sich fast immer +eine Cisterne, die das Regenwasser des ganzen Jahres ansammelt, und da, +wo es möglich ist, in Fes z.B., eine Fontaine mit sprudelndem oder immer +fließendem Wasser. Der Hof selbst ist bei den Vornehmen mit +Marmorplatten oder mit Kieselchen mosaikartig belegt. Aus diesen nun, zu +dem man von der Straße stets durch einen gewundenen Eingang hineinkommt +(damit man nicht von derselben aus direct in's Innere des Hauses sehen +kann), öffnen sich die Zimmer. Dieselben sind äußerst lang, und nur +ausnahmsweise haben sie eine Breite von mehr als zwölf Fuß. Meist sind +die Zimmer sehr hoch, mindestens immer zwanzig Fuß. Wenn ein Wohnzimmer +z.B. vierzig Fuß lang wäre und fünfundzwanzig Fuß Höhe hätte, so würden +marokkanische Architekten diesem Zimmer höchstens acht Fuß Breite geben. +Eine große gewölbte Thür, meist in der Mitte angebracht, führt hinein; +dicht neben der Thür, rechts und links, befinden sich zwei kleine +Fenster mit eisernen Gittern, ohne Glas. + +Meist sind parterre mehrere solcher Zimmer um den Hof herum, und findet +sich ein zweiter Stock, so ist die obere Anordnung eine ähnliche. Es +läuft sodann um den Hof eine Säulenhalle herum, zu welcher man oft +mittelst einer im Bau befindlichen steinernen, oft mittelst einer +hölzernen Treppe hinaufkommt. Man liebt es, im Innern der Zimmer in die +Wände nischenartige Vertiefungen zu machen, welche oft, mit hölzernen +Thüren versehen, als kleine Schränke dienen. Der Fußboden ist meist mit +Fliesen ausgelegt, welche in Fes gearbeitet werden, oft auch mit kleinen +Fliesstückchen, viereckig, dreieckig, sternartig von Form, und von den +verschiedensten Farben. Mit diesen legt man dann die buntesten Muster +zusammen große Sterne in der Mitte oder der sogenannte Ring des Salomon +bilden immer Hauptfiguren. Diese kleinen Flieschen, von denen ein +einzelnes nicht größer als 1--1-1/2 Zoll ist, sind glänzend glasirt, +heißen "Slädj" und werden ebenfalls in Fes fabricirt. Der Gesammtanblick +einer solchen Art ausgelegten Fußbodens ist reizend. + +Die Wände im Zimmer sind vollkommen weiß, manchmal jedoch mittelst Gyps +in quadratische Felder abgeheilt. Bei den Reichen läuft oben, +anscheinend um das Gebälk zu unterstützen, ein Kranzgesimse herum, oft +auch eine breite Borte, welche Koransprüche enthält. Da in Marokko, +ausgenommen bei jenen kleinen "Kubbas", welche als Grabstätten für +Heilige oder Fürsten dienen, nirgends das _Gewölbe_ angewendet wird, so +sehen wir die Decke der Paläste und Wohnungen _nur_ aus Holz gearbeitet. +Oft wird, um eine solche Decke auszuschmücken, die größte Sorgfalt +entwickelt, nicht nur in Holzschnitzerei, sondern auch in der Auslegung +von Holz, man macht also eine Art "Parquetirung". Dünne, aber äußerst +dicht neben einander liegende Balken bilden das Gerippe, darüber liegen +Bretter, das Ganze wird dann inwendig teppichartig ausgeschnitzt und oft +mit farbigen Holzstückchen ausgelegt; manchmal enthalten auch die Decken +zwischen ihrem Teppichmuster großbuchstabige Sprüche. Diese Art, auf +eine bunte und gefällige Weise die Plafonds zu schmücken, hat sich +vollkommen gut in Marokko erhalten. Statt die vielen Balken, welche den +Plafond stützen, offen zu zeigen, sind diese auch wohl mit Brettern +beschlagen, welche dann ähnlich geschmückt werden. + +Thüren, Fenster und Nischen zeigen alle jenen bekannten Hufeisenbogen, +den die Araber erfunden haben sollen. Sehr oft sind die Bogen selbst auf +die phantastischste Art wieder ausgewölbt und ausgezackt, so daß in +einer Bogenhälfte manchmal bis zehn kleinere Bogen vorkommen. Auch die +Aufstellung von zwei, drei und vier Säulen, dicht bei einander, findet +man heute in Marokko noch in Anwendung. Als ich einen längeren +Aufenthalt in Uesan beim Hadj Abd-es-Salam, dem Großscherif, hatte, +zeigte ich ihm eines Tages eine Abbildung des Löwenhofes der Alhambra +aus Sedillot's Historie des Arabes. Hadj Abd-es-Salam annectirte das +Buch der Abbildungen wegen (und es ist heute noch in seinem Besitze) und +verreiste dann auf längere Zeit. Als ich zurückkam, hatte er allerdings +nicht einen Löwenhof, aber in seinem Garten eine reizende Veranda +errichten lassen: ein längliches Viereck mit nach vorn geöffneter Seite. +Die "kannelirten Bogen" wurden von Doppelsäulen getragen, der Fußboden +war aus buntem "Slädj" zusammengesetzt zu einem allerliebsten Muster, +und der Plafond von Holz schillerte von blauen und goldenen Feldern. + +Die Paläste des Sultans, der Großen und Reichen haben ganz ähnliche +Anordnung, nur daß ihre Wohnungen statt eines Hofes oft drei, vier oder +mehrere Höfe haben und alle Räumlichkeiten bedeutend größer sind. + +Was die Moscheen anbetrifft, so finden sich im ganzen westlichen Afrika +(nicht blos in Marokko, welches als eigentliches Westland bei den +Marokkanern den Namen "Rharb-djoani" hat) gar keine, die irgendwie +christliche Reminiscenzen aufkommen ließen. Denn die in Algier +befindliche Moschee, die später als christliche Kathedrale eingerichtet +wurde, und welche vom letzten Dei kurz vor der Eroberung Algeriens +erbaut worden war, zeigt in ihrer ganzen Anlage allerdings den Styl +einer christlichen Kirche, ist aber auch von christlichen Sclaven und +Renegaten erbaut worden. Fast durchweg zeigen die marokkonischen +Moscheen, sowie die der übrigen Berberstaaten einen großen Hof, der +manchmal von einer Säulenhalle umgeben ist. Nach Osten zu vermehren sich +die Säulenhallen zu verschiedenen Schiffen. So zeigt die Karuin in Fes +so viele Säulen, daß die ganze Moschee 360 haben soll. Die Säulen +selbst, die auf einer einfachen Basis ruhen, sind ohne Schmuck, und auch +das Capital zeigt große Einfachheit. Die hufeisenförmigen Bogen gehen +von Säule zu Säule, so daß, wo mehrere Schiffe sind, immer vier Bogen an +einer Säule entspringen. Fast in allen Moscheen kann man, wie überall +bei arabischen Bauten, die größten Unregelmäßigkeiten beobachten, und +die Abwesenheit von Harmonie und Verhältnis tritt überall zu Tage. Es +ist als ob z.B. die Höhe der Säulen eine überaus gleiche sein müßte, so +daß man die Säulen für eine Veranda von zwanzig Fuß Breite eben so hoch +macht wie die, welche das Dach einer Moschee stützen, welche vielleicht +einen Flächenraum von zweihundert Fuß Geviert hat. + +Die Wände in den Moscheen, welche letztere im Rharb "Djemma" genannt +werden, sind von außen in der Regel ohne Schmuck, einförmig und +fensterlos wie die übrigen Bauten. Im Innern ist dieselbe Anordnung zu +bemerken wie in den Wohnungen. Die Gebetsnische, "Kybla" genannt, wird +auch heute oft noch durch ein prächtiges Stalactit-Gewölbe überdeckt; +auch diese Kunst hat sich in Marokko erhalten. Diese Stalactit-Gewölbe, +wie man sie genannt hat, sind indeß weiter nichts wie einfache +Auswölbungen; der Stalactitenschmuck ist von Gyps. In der eigentlichen +Sculptur haben die Araber überhaupt nie etwas geleistet, da ihnen Bilder +aus Stein zu meißeln verboten ist. Ihre ganze Kunstfertigkeit beschränkt +sich daher auf Stuccoarbeit, und hier ließen sie ihren mathematischen +Formen die Zügel schießen. So findet man denn in Gyps gearbeitet die +wunderbarste Art sich kreuzender Linien. + +Wenn der Reisende im Hofe der großen Djemma el Karuin zwei prachtvolle +Marmorfontainen bewundert und dann vielleicht sich selber sagen möchte, +hier haben doch die Araber in Steinarbeit etwas geleistet; so wird seine +Meinung von den Eingeborenen in Fes selbst gleich corrigirt werden: +"Diese Fontainen sind von 'Oeludj', d.h. christlichen Sclaven, +gearbeitet." + +Der "Mimber" oder die Treppe, welche in keiner Moschee fehlt, von der +das "Kotba", d.h. das Freitagsgebet, gelesen wird, ist fast immer aus +Holz. Hier bemerken wir ebendasselbe, was wir schon bei den +Mauerarbeiten zu beobachten Gelegenheit hatten. Ebenso wenig, wie die +Araber gelernt haben, aus Stein heraus zu arbeiten, ebenso wenig treffen +wir bei ihnen jene kunstvollen Holzschnitzereien, welche _Körper_ haben. +Die Gebetstreppen sind daher, was die Form anbetrifft, alle roh und +primitiv; aber manchmal ist die Oberfläche des Holzes ausgravirt, und +wir finden dann dieselben oder ähnliche Linienbilder, welche, wenn sie +mit _krummen_ Linien Bezeichnet sind, "Arabesken" genannt werden, wie +wir dieselben an den Wänden der Mauern in Stucco kennen gelernt haben. + +Man kann also keineswegs sagen, daß die Araber Afrika's zurückgegangen +sind. Aber so wie man in Sevilla und Granada zur Zeit der Almoraviden +und Almohaden, zur Zeit der größten Glanzperiode der sogenannten +"maurischen Architektur", baute, so baut man noch heute. Man hat +keineswegs verlernt, _ebenso_ zu bauen, aber _Fortschritt_ in der +Architektur ist nirgends zu finden. Man versteht es vollkommen, jene +ogivischen Bogen, jene Porzellanmosaiken, jene Stickereien auf Gyps und +Holz darzustellen, wie zur Zeit der "Abd-er-Rhaman"; wenn man aber +Stillstand in Kunst und Wissenschaft als _Rückschritt_ bezeichnen kann, +dann haben die Araber entschieden Rückschritte gemacht. So haben sie +denn auch keineswegs gelernt, ihren Bauten irgendwie Solidität zu geben. +Was _heute_ gebaut ist, verfällt _morgen_. Wären die Alhambra und die +Giralda nicht in Spanien, wären sie der Sorglosigkeit einer +mohammedanischen Zeit ausgesetzt, was würde von diesen Monumenten +arabischer Architektur heute noch erhalten sein? Und wie lange stehen +diese Bauten? Wie lange stehen sie im Verhältniß zu den Bauüberresten, +die uns Aegypten, Griechenland und Rom überlassen haben, und die, +trotzdem Jahrtausende verstrichen und Zeit und Menschen das Ihrige +thaten, Alles zu vernichten, manchmal in ihren _einzelnen_ Theilen sich +so erhalten haben, als ob sie von gestern wären. + +Die Unsolidität der arabischen Bauten kennzeichnet sich denn nicht nur +in der äußeren Architektur, sondern auch in der Benutzung des Materials +bei den Hauptmauern und Pfeilern. In keinem einzigen Gebäude der +Berberstaaten finden wir behauene Steine aus Sandstein oder Marmor, +sondern immer nur gebrannte Thonsteine angewandt. Meist aber sind die +großen Mauern, namentlich die von monumentalen Bauten, aus zwischen +Planken schichtweise gepreßten Steinen, Cement und Kalk errichtet. Diese +Mauern halten sich aber nur dann einigermaßen gegen den Zahn der Zeit, +wenn die äußere Bekleidung vollkommen gut und immer wie neu unterhalten +wird; sonst ist binnen Kurzem die Baute dem Ruin ausgesetzt. + +Daher liegen denn auch die Bauten, welche von Yussuf ben Taschfin und +Mohammed ben Abd-Allah herrühren, heut in Trümmern, und selbst die, +welche vom letzten oder vorletzten Kaiser errichtet sind, von Mulei +Abd-er-Rhaman-ben-Hischam und Mulei Sliman sind halbe Ruinen. Und ist es +selbst in Aegypten anders, wo doch der europäische Geist heute Alles +durchdringen soll? Hörte man nicht oft genug den verstorbenen +_Diebitsch_ klagen, daß wenn das letzte Ende an einem Palaste fertig +sei, der Anfang desselben zu verfallen beginne?! + +Von den städtischen Bauten bleiben uns nur noch die Befestigungsmauern +derselben und die kleinen Dome zu erwähnen. Erstere sind durchweg aus +gepreßten Mauern errichtet und hinlänglich stark, um alter Artillerie +einige Stunden Widerstand leisten zu können. Auf denselben führt ein Weg +herum, der nach Außen durch eine mannshohe krenelirte Mauer aus +Backstein geschützt ist. Man bemerkt nirgends irgend einen Plan, +nirgends fortifikatorischen Sinn, um die Befestigungen irgendwie dem +Terrain anzupassen; nur die Ausdehnung der Stadt selbst giebt das Maß +der äußeren Schutzmauer ab. Unterbrochen und flankirt werden diese +Umfestigungsmauern durch viereckige oder runde Thürme, deren Hälfte +außerhalb der Mauern hervorspringt; sie sind in der Regel halb mal höher +und dienen hauptsächlich dazu, die Kanonen aufzunehmen. Oft noch durch +Gräben beschützt, bieten auch diese kein ernstliches Hinderniß. +Bastionirte Mauern, Außenwerke, mögen es nun Fleschen, Lünetten oder +gekrönte Bastionen sein, kennt man in den Berberstaaten nicht, und wenn +auch die Hauptstadt Fes zwei bedeutende Außenwerke besitzt, so sind +diese nicht von den Arabern errichtet, sondern von Renegaten (Oeludj) +unter der Regierung des Sultan Sliman, Großvaters des jetzt regierenden. +Was die erwähnten kleinen Dome anbetrifft, so dienen sie, wie schon +angeführt, zu Grabstätten und sind die einzigen Gebäude[1], bei denen +der Araber sich in Gewölben versucht hat. Meist ist die Grundform +viereckig, aber _nie rund_. Die Kuppel hingegen oder das Dach ist fast +immer _rund_, häufig achteckig. Bei der Ausschmückung der Wände und des +Fußbodens wird derselbe Plan innegehalten wie oben bei den übrigen +Baulichkeiten auseinandergesetzt wurde. Die Wölbung ist meist durch +eingeschobene Holzquerbalken unterstützt. Das Material besteht entweder +aus gebrannten Ziegeln oder unbehauenen Feldsteinen. Man findet diese +Kubba in den Städten und überall auf dem Lande zerstreut; in den Städten +bilden sie häufig gleichsam eine Art von Nebenkapelle, die an eine große +Moschee angebaut ist. + +Von den Wohnungen der Landleute nördlich vom Atlas läßt sich nur wenig +sagen. Dieselben bestehen, ob sie nun von Berbern oder Arabern (und es +giebt in den Berberstaaten mehr seßhafte Araber, als gewöhnlich +angenommen wird) herrühren, immer nur aus einem Zimmer, das hausartig +gebaut ist; oft sind sie aus gestampften Massen, oft auch aus +Feldsteinen aufgebaut. Auf 20 Fuß Länge sind sie circa 8 Fuß breit und 8 +Fuß hoch und von einem circa 6 Fuß hohen Strohdache bedeckt. Im Innern +ist der Fußboden gestampfter Lehm; der Plafond besteht aus Rohr, welches +manchmal auf Aloë-Balken, manchmal auf anderen Holzästen, die einen +weniger geraden Wuchs haben, ruht. + +Sehr häufig sind die Wände der Mauern auswendig und inwendig gekalkt, +sonst aber ganz ohne Schmuck, mit einer niedrigen, circa 4 Fuß hohen +Thür, manchmal mit ogivischem Bogen, manchmal viereckig. Fenster und +Rauchfänge sind nicht vorhanden. Eine Familie hat in der Regel zwei oder +drei solcher Häuser, die, durch Mauern verbunden, einen viereckigen Hof +einschließen, der zugleich Nachts für das Vieh dient. + +Ganz anderer Art sind die Wohnungen der Bewohner südlich vom großen +Atlas, der Bewohner des Sus- und Nun-Districts. Der fortwährend +unsichere Zustand jener Gegend hat es nothwendig gemacht, daß dort +Jedermann darauf bedacht sein mußte, sich Schutz gegen seinen Nachbar zu +suchen. So findet man hier denn auch keineswegs kleine oder große +Dörfer, sondern Burgen. Ein solches Schloß--man kann sie wegen ihres +stattlichen Aussehens in der That so nennen--ist oft so groß, daß es +mehrere Familien beherbergt; es giebt feste Burgen, die einen +Quadratraum von 500 Fuß einnehmen. Diese Bauten sind circa 50 Fuß hoch, +von außen von starken, oft 5 bis 6 Fuß breiten Steinmauern (die Steine +sind entweder unregelmäßig gebrochene oder wie man sie gerade gefunden +hat) aufgeführt und oben krenelirt. Ein Thor, zuweilen mit einer +Fallthür versehen, und immer so eingerichtet, daß aus zwei Seitenzimmern +der Eingang durch Scharten beschossen werden kann, führt in einen großen +geräumigen Hof. Dieser, sowie die unteren Gemächer, dienen für's Vieh. +In den oberen Räumen hält sich die Bewohnerschaft auf. Zu diesem +Stockwerk führt eine aufziehbare Leiter, und das flache Dach, mit +gestampfter, auf Balken ruhender Erde gedeckt, dient zu gleicher Zeit +zur äußeren Verteidigung. Eine Cisterne im Innern vervollständigt das +Ganze. Kellerräume sind aber ebensowenig bekannt wie nördlich vom Atlas. + +Als eigenthümlich der Gebirgslandschaft nördlich vom Sus erwähne ich +noch die vielen öffentlichen Cisternen modernen Ursprungs. Man findet +sie überall und namentlich längs der Wege. Sie sind ähnlicher Art wie +die römischen, was die Form anbetrifft, aber weniger solid und weniger +_großartig_ gebaut. In der Regel 20 bis 25 Fuß lang auf 8 bis 10 Fuß +Breite, sind sie 10 bis 12 Fuß tief und erheben sich blos mit dem +_gewölbten_ Dache aus dem Erdboden heraus. Aus ungehauenen Steinen +errichtet, ist das Innere cementirt, und durch ein Loch des Gewölbes +wird das Wasser herausgeschöpft; gespeist werden die Cisternen durch +Rinnsale. + +Es ist hier nicht der Ort, die Wohnungen der nomadisirenden Völker +Nordafrika's zu beschreiben; aber auch diese haben mannigfache Formen +und Verschiedenheiten. Das aristokratische Zelt der Uled Sidi Schich, +immer auf der Spitze mit drei Bündeln Straußfedern geschmückt, +unterscheidet sich von dem ärmlichen Zelte der meisten östlichen Triben, +wie das große Haus mit mehreren Höfen der Hauptstadt sich von der +einfachen Wohnung des Djerdjuragebirges unterscheidet. Aber nicht +unerwähnt können wir die Höhlenwohnungen der Bewohner des +Ghoriangebirges lassen. Meist sind diese Höhlen in Lehmboden +hineingearbeitet, und sind einfache Aushöhlungen, in der Regel von +kreisrunder Form. Man bemerkt gewöhnlich eine Vorkammer und ein +hinteres, größeres Gemach; der Plafond ist wie gewölbt. Oben hinaus +befindet sich meist eine Oeffnung zum Abzuge des Rauches. _Richardson_ +will im Ghoriangebirge auch Wohnungen in Felshöhlen gesehen haben; es +ist übrigens fraglich, ob diese modernen Ursprungs sind. Es ist +wahrscheinlich, daß dies antike libysche Höhlen sind, wie man deren +namentlich in Cyrenaica noch viele antrifft. + +Betrachten wir nun, nachdem wir einen Ueberblick der Bauten des +nördlichen Afrika's gewonnen haben, die Wohnungen der Völkerschaften der +Sahara. + +Mit Ausnahme der zum Theil nomadisirenden Tuareg sind alle Bewohner der +Sahara seßhaft; denn die Araber, welche in die große Wüste +hineingegangen sind, haben alsbald das Zelt gegen das Haus vertauscht. + +Im Grunde kommen bei den Bauten der Oasenbewohner denn auch dieselben +Bauregeln und Pläne beim Einrichten ihrer Moscheen und Wohnungen in +Anwendung, wie bei ihren nördlichen Brüdern. Bei der wohlhabenden Classe +befindet sich in ihrer Wohnung meist ein Aufzimmer, d.h. ein +Fremdenzimmer, auf das platte Dach des Hauptgebäudes hin errichtet. Wie +immer hat dieses einen Hof, bei den Reichen auch mehrere, und auf den +Hof öffnen sich die langen und schmalen Zimmer. In manchen Oasen sind +die Gebäude krenelirt, aber mehr zum Schmucke als zur Vertheidigung. + +Wenn aber schon bei den Arabern im Norden auf dem Tel wenig behauene +Steine in Anwendung kommen, so finden wir in der Wüste als Material nur +gestampfte Erdmasse oder an der Sonne getrocknete Thonziegel. Alles +Gebälk und Holzwerk besteht aus dem Holze der Dattelpalme. Man wird +leicht einsehen, daß mit so geringem Material nichts Besonderes in der +Architektur geleistet werden kann. + +Dennoch finden wir in den westlichen Oasen der Sahara Manches, was auf +innigen Contact mit Marokko hinweist. Es sind die Grabdenkmale von +Sidi-Hammed-ben Nasser in Tamagrut, Hauptstadt der Oase Draa, dann das +prächtige Grabmal Mulei-Ali-Scherif's bei Abuam, Hauptstadt von Tafilet, +inwendig auf's Reichste mit "Slädj" ausgeschmückt. Ja, man hat sich +sogar nicht gescheut, für das Dachwerk (die Grabmäler sind nicht +gewölbt) Holz vom Atlas kommen zu lassen, und die das spitze Dach +bildenden Balken und Bretter sind hübsch mit arabeskenartigem +Schnitzwerk und Malerei versehen. + +Im Uebrigen sind die Moscheen oder Djemmen in den Oasen nach denselben +Grundsätzen gebaut; bei den meisten fehlt jedoch ein eigentlicher Thurm +oder Minaret. Ersetzt werden die Minarets durch thurmähnliche, zwei +Stockwerke hohe Anbauten, welche nach oben an Umfang abnehmen. Bei sehr +vielen Gebäuden der Vornehmen in den Ortschaften der Oasen finden wir +ebenfalls jene thurmartigen Anbauten, die zuweilen auch als Wartthürme +dienen. + +Besonders zu erwähnen sind in der Sahara an den großen Straßen noch die +einfachen Bezeichnungen einer Moschee durch Steine. Man deutet +gewissermaßen nur den Grundriß einer Djemma durch Steine an. Sie werden +jedoch von jeder vorübergehenden Karawane zum Gebet benutzt, und auch +hier zeigt die Ausbuchtung oder Kibla die Gebetsrichtung an. + +Die Wohnung der Großen und um so mehr die der ärmeren Bevölkerung der +westlichen Oasen sind alle einstöckig. Die der ersteren sind oft +kastellartig gebaut und befinden sich dann außerhalb der Ortschaften, so +die Wohnungen der marokkanischen Prinzen in Tafilet, der Schechs in +Tuat, der Häuptlinge der Tuareg in Rhat und Air. Architektonische +Verzierungen sind hier fast gar nicht mehr zu finden, nur findet man die +ogivische Thür noch überall vorherrschend. Besonders um sich gegen die +Hitze zu sichern, findet man die Erdwände der Häuser sehr dick und das +Palmbalkendach durch eine enorm hohe Erdschicht überdeckt. Die Thüren +sind überall so niedrig, daß man nur tief gebückt hineintreten kann. +Aber so vergänglich sind diese Bauten, daß ein ausnahmsweise +eintretender Regen oft ganze Ortschaften im wahren Sinne des Worten +hinwegschmilzt. + +In den meisten Oasen sind die Städte und Dörfer befestigt; einige +größere haben sogar Thürme an die meist 20 Fuß hohe Mauer angebracht. +Die Mauern, oft aus gestampftem Erdboden, oft aus Feldstein, durch Thon +zusammengehalten, erbaut, sind meist krenelirt. Die Thore, welche +hindurchführen, sind nie gewölbt, meist einthürig und nur so breit, daß +ein beladenes Kameel hindurch gehen kann. + +Ist der ganze Tel wie übersäet mit jenen kleinen Domgrabmälern, so +lassen sich die der großen Sahara, welche an Ausdehnung so groß wie +Australien ist, zählen. Die Grabmonumente sind der einfachsten Art; ein +Haufen Steine, manchmal am Kopfende durch einen besonders großen +angezeichnet, das ist die letzte Grabstätte der Wüstenbewohner. + +Vor allen anderen Oasen zeichnen sich jedoch in der Bauweise zwei aus, +die Oasen von Siuah und Rhadames, und wenn nicht schon die +übereinstimmende Aussage der Bewohner dieser Ortschaften ihren +verwandtschaftlichen Ursprung bezeugte, wenn nicht dies schon bewiesen +wäre durch ihre selbe Sprache, welche, obschon beide Oerter durch einen +Raum getrennt sind, der durchaus Wüste ist und in gerader Linie +wenigstens so viel beträgt, wie von Paris bis Königsberg, so würde die +innige Verwandtschaft, welche sich in der Bauweise beider Oerter +kundgiebt, gleich auf gemeinsamen Ursprung hinweisen. + +Was besonders die Bauart beider Oerter auszeichnet, sind die Höhe der +Wohnungen und die bedeckten Straßen, welche mehr unterirdischen Gängen +gleichen, als offenen Wegen. In Rhadames sowohl wie in der heutigen +Hauptstadt des alten Ammonium, in Siuah, sind die meisten Häuser drei +Stock, ja in Siuah viele fünf Stockwerke hoch. Während aber im reichen +Rhadames sowohl im Innern der Häuser als im Aeußern sich ein gewisser +Luxus kund giebt, alle geweißt ist, und die Mauern meist aus, wenn auch +unbehauenen, Steinen gebaut sind, so macht man in Siuah die Wohnungen +nur aus Lehm, und trotzdem die architektonischen Vorbilder der Aegypter +und Griechen noch heute vor Augen stehen, sind sie höchst mangelhaft +gebaut. Die Wohnungen der Rhadamser und Siuahner unterscheiden sich auch +noch dadurch von den übrigen Wohnhäusern in der Sahara, daß sie keinen, +oder selten doch nur einen sehr kleinen Hof im Innern haben: Alles ist +in Zimmer und kleine Gemächer getheilt. Oben mit platten Dächern +versehen, bilden diese Dächer in Rhadamas zugleich die _Straßen_ für die +Frauen. Obschon durch Brustwehr von einander getrennt, werden diese von +den Frauen überklettert, und ihr _Verkehr_ findet nur über den Köpfen +der Männer statt. In Rhadames herrscht Hufeisenform bei der Thürbildung, +in Siuah eine viereckige Form vor. + +Natürlich nicht zum Nomadisiren eingerichtet, verdienen die Palmenhütten +der Beni Mohammed in Draa und Tafilet und einzelner Familien in Audjila +und Fesan noch Erwähnung; sie sind vollkommen kunstlos aus Palmenzweigen +errichtet, bald mit plattem, bald mit spitz zulaufendem Dache versehen, +und auch dieses Dach ist aus Palmenzweigen gefertigt. In Fesan und +Audjila sind die Seitenmauern dieser Hütten, welche manchmal viereckig, +manchmal rund sind, zuweilen aus Stein oder Thon, und die Thüren immer +so niedrig, das man hindurch _kriechen_ muß. + +Vortheilhaft, was Reinlichkeit und symmetrische Anordnung betrifft, +zeichnen sich die Wohnungen der Tebu aus. In Kauar sind sie kreisrund; +die Seitenwände sind aus Stein brusthoch ausgeführt und dann überdeckt +mit Palmenreisern, Stroh und Matten. Dr. _Nachtigal_ sagt von den +Bewohnern Tibesti's: "Alle ihre Wohnungen so kunstlos, und einfach sie +sind, zeichnen sich durch die größte Nettigkeit und Sauberkeit vor denen +ihrer arabischen und fesanischen Nachbarn vortheilhaft aus. Vor der +Hütte haben sie nicht selten einen gehärteten Erd- oder Lehmplatz, der +frisch mit Sand bestreut wird, und die hervorragenden Männer eine Art +offener Halle, ebenfalls aus Palmenzweigen geflochten, vor ihrer +Wohnung, in der sie Besuche empfangen." + +Es bleibt uns nur noch übrig, die bewegliche Wohnung der nomadisirenden +Bevölkerung der Sahara zu beschreiben, das Zelt der Tuareg. Der Araber +ist eigenthümlicher Weise in der großen Sahara nie heimisch geworden. +Ist er ja dahin gedrungen, so hat er sich seßhaft gemacht. So haben die +Mehammedin in Draa und Tafilet das Zelt gegen die Palmenhütten +vertauscht. Die einzelnen Familien aber, die wir in Fesan, Rhat und +anderen südlichen Oasen finden, haben Häuser. Nur die nach Kanem +vertriebenen Uled Sliman haben bis jetzt das Zelt bewahrt, aber es ist +kaum zu bezweifeln, daß auch sie über kurz oder lang das bewegliche Haus +mit dem festen vertauschen werden, wie die Schoa und +Uled-Raschid-Araber, die noch weiter im Innern Afrika's sich eine neue +Heimat mitten zwischen den Negern gründeten. + +Das Zelt der Tuareg ist sehr einfacher Art. Im Allgemeinen der +länglichen Form der Araberzelte entsprechend, sind die Tuaregzelte +bedeutend kleiner und niedriger. Kaum sechs Personen haben in ihrem +Tuaregzelte Platz. In einem Araberzelte wird das Dach immer durch zwei, +im Tuaregzelte durch eine Zeltstange unterstützt. Der Stoff besteht bei +jenen aus grobem Haar und wollenen Zeugen, bei diesen aus gegerbtem +Leder. Nach Duveyrier sind die Lederzelte oft roth gefärbt und gut +genäht. + +In Centralafrika angekommen, bemerken wir vorweg, daß wir _nirgends_ +Wohnungen nicht seßhafter Völker haben; denn die früher nomadisirenden +Pullo haben mit der Erreichung ihrer größten Ausdehnbarkeit sich jetzt +überall dauernde Wohnungen gebaut. Die Stämme aber, die vom Nomadenvolke +par exellence, dem arabischen, abstammen und bis nach Centralafrika +vorgedrungen sind--ich nenne davon nur die Schua-Araber westlich und +südwestlich vom Tschad--selbst diese haben längst ihr Zelt, diese +luftige Behausung der Jäger- und Hirten-Völker, aufgegeben und sich nach +Art der Neger in soliden Bauten seßhaft gemacht. + +Man kann bei den Negern Centralafrika's hauptsächlich drei Arten von +Wohnungen unterscheiden: große aus Thon oder Luftziegeln erbaute Häuser, +welche offenbar unter arabisch-berberischem Einfluß entstanden sind, +verschiedene Hüttenwohnungen runder Form, entweder aus Strohmatten oder +aus Thon oder Luftziegeln errichtet, und endlich große Häuser mit +Giebeldächern, vielleicht durch europäischen Einfluß von der Küste aus +nach Afrika verpflanzt. + +In allen uns bekannten Ländern Centralafrika's, Bornu, Bagermi, Socoto, +Gando, Uadai, Adamaua, Bautschi und anderen, sind die Wohnungen der +Fürsten, der Großen des Reichs, der vornehmen Kaufleute, die Moscheen +und Bethäuser aus soliden Mauern mit flachen Dächern errichtet. Es +scheint sogar, daß man einzeln, obschon nie mit behauenen Steinen, so +doch an manchen Orten mit _gebrannten_ Ziegeln gebaut habe. So will +_Barth_ in Massenña (III. S. 346) Gebäude aus _wirklich gebrannten_ +Backsteinen beobachtet haben und er erwähnt bei der Gelegenheit: "auch +die alte Birni (Hauptstadt) von Bornu soll aus Backsteinen gebaut +gewesen sein." + +Was uns anbetrifft, so haben wir jedoch _nirgends_ im "schwarzen Afrika" +gebrannte Steine in Anwendung gesehen, nur Luftziegel und aus +Thonziegeln und aus Thon aufgelegte oder gepreßte Mauern. Zu den großen +Gebäuden der Fürsten, fast ohne Ausnahme ein Stock hoch, sind trotzdem +verhältnißmäßig dicke Mauern genommen, um das starke, mit Thon überlegte +Dachgebälk tragen zu können. Von außen sieht eine solche Burg meist +einförmig aus, da oft nur Eine Thür Unterbrechung in die schlichte Wand +bringt. Sehr oft ist übrigens die Brüstung des flachen Daches auf +phantastische Art geziert. Das Innere einer solchen Fürstenwohnung +enthält große Zimmer und Hofräume. + +Erstere erhalten Licht durch die Thüren und manchmal durch große +viereckige Oeffnungen, die sich in den Wänden befinden, welche nach den +Höfen zu gerichtet sind; oft sind die Gemächer vollkommen dunkel. Wenn +die Räume sehr groß sind, so wird die Spannung der Deckbalken durch +kolossale Thonpfeiler gestützt. In einigen Hauptstädten sehen wir sogar +Bogen, hufeisenförmig gewölbt, die Decke unterstützen; wie die Pfeiler +sind dieselben aus gehärtetem Thon. So finden wir bei _Barth's_ (II. +124) Beschreibung des Palastes von _Kano_: "Die Gemächer sind nicht sehr +dunkel, das Hauptgemach ist aber sehr schön, ja großartig zu nennen. Der +ganze Charakter desselben machte um so mehr Eindruck, da die Tragbalken +nicht zu sehen waren, während zwei große Kreuzbogen, aus demselben +Material wie die Wände, überaus sauber geglättet und reich verziert, das +Ganze zu tragen schienen. In der hinteren Wand waren zwei geräumige +Nischen, in deren einer der Fürst Platz zu nehmen pflegt." + +In derselben großartigen Weise sind in centralafrikanischen Ländern die +Wohnungen der Fürsten eingerichtet, die sich dem Islam in die Arme +geworfen haben; der Einfluß der Träger der Religion ist unverkennbar. + +In diesen dem Islam zum Theil huldigenden Staaten sind die Moscheen +ähnlich wie die in den nordafrikanischen Staaten erbaut, nur noch aus +bedeutend schlechterem Material; denn wenn gebrannte Steine in Bornu, +Bagermi, Uadai, Adamaua, Kano, Gando und noch anderen Negerkönigreichen +nicht im Gebrauche sind, so hat man auch keinen Kalk, oder wenigstens +versteht man ihn nicht zu brennen und zu bereiten, das heißt zu löschen. +Im großen Königreich Bornu kommen Kalkgesteine überdies nicht vor oder +wären nur von den angrenzenden Ländern unter den größten Mühseligkeiten +zu beziehen. Aus den zahlreichen Conchylien des Tschad-See's und der +Flüsse aber verstehen die Neger keinen Kalk zu brennen. So bleibt ihnen +denn weiter nichts Anderes übrig, als die Luftziegel durch Thon zu +verbinden oder aus Thon und Sand zusammengepreßt die Hauswände zu +bilden. + +Man findet häufig die Wände der Moscheen und die Wohnungen der Großen +wie geweißt; es rührt dies nicht von einer Verkalkung oder Vergypsung +her, sondern ist einfach ein Ueberstrich von einem sehr weißen und +feinen Thon. Dieser ist so fett und fein, daß er gar keine +Sandpartikelchen enthält; ganz in der Nähe von Kuka findet man im +Nordwesten der Stadt mächtige Lager davon einige Fuß tief unter dem +schwarzen Humus. + +Architektonisch zeichnen sich die Moscheen keineswegs aus. Etwa 20 Fuß +hohe, aus Thon aufgeführte Mauern umgeben einen offenen Hofraum; nach +der nach Mekka gerichteten Seite sind durch plumpe, vier- oder +achteckige Erdpfeiler gebildete Bogengänge, meist in zwei oder drei +Reihen, vorhanden, die dann ein oder zwei Schiffe, wenn man diese so +nennen will, bilden. Nach dieser Seite zu befinden sich auch die Kibla +und das Mimber. Irgend eine Ecke einer solchen Moschee bildet eine +thurmartige Erhöhung, und dient als Minaret oder Sma. + +Hier wollen wir denn auch der Befestigungen erwähnen, wie sie in den +meisten centralafrikanischen Städten üblich sind. + +Im Vergleich zu dem schlechten Mauerwerk der heutigen Araber- und +Berberstädte in Nordafrika und in Anbetracht, daß in Centralafrika +nirgends beim Kriegführen Feuerwaffen großen Kalibers gebraucht werden, +sind dieselben sehr gut zu nennen. Die Befestigungen der +Negerortschaften sind derart angelegt, daß man sieht, dieselben sind +ganz ihren Verhältnissen und ihren Umständen angemessen, für dortige +eventuell sich ereignende Fälle geschaffen. + +Meist sind die Lehm- oder Thonmauern nach außen zu fast steil oder doch +nur sehr wenig geböscht abfallend, circa 20 bis 30 Fuß hoch und fast +immer mit einem tiefen, jedoch nicht sehr breiten Graben nach außen +umgeben. Kuka z.B. hat eine Mauer aus hartem Thon, die circa 25 Fuß hoch +ist und nach außen zu fast senkrecht in einen 12 Fuß tiefen Graben +abfällt. Nach innen jedoch verbreitert sie sich dachartig durch Stufen +nach unten, derart, daß oben die äußerste Kante, welche zugleich als +Brustwehr dient, circa 4 Fuß hoch und nur circa 2 Fuß breit ist, während +die Basis der ganzen Umfassungsmauer ebenso breit wie hoch ist. Die +Thore durch solche Erdmauern oder Erdwälle sind manchmal überdacht, +manchmal offen; immer aber ist unten die Thür enger als oben und vor +Erdnachsturz durch Gebälkauskleidung geschützt. In den Städten großer +Reiche sind die Gräben ordentlich überbrückt mittelst soliden +Balkenwerks, so daß die schwersten Lastthiere hinüber passiren können. +Nicht so ist es bei den kleineren Städten auf der Grenze des Islam und +des Heidenthums. + +Südlich von Keffi-abd-es-Senga begegnete es mir mehrere Male, daß ich +vom Besuche einer solchen schwer zugänglichen Stadt abstehen mußte. +Ueber den allerdings nicht sehr breiten, aber tiefen Graben führte zum +Thore der Stadt nur _Ein einziger schwankender Palmstamm_. Meine noch +dazu mit großen Elfenbeinzähnen beladenen Begleiter gingen sicher und +festen Schrittes hinüber; vom Schwindel ergriffen, wollte ich indeß +solch ein Seiltänzerkunststück nicht wagen und blieb zurück. Ja, selbst +als eines Tages schon alle Diener hinüber waren, und nach einem +anstrengenden Marsch ein lukullisches Negermahl winkte, konnte ich es +doch nicht über mich bringen, über einen so schwankenden Stamm dahin zu +schreiten. Ich versuchte hinüber zu klettern, fand aber bald, daß die +Neger mich auslachten, und ich verzichtete auf diese Art, ihre Stadt zu +besuchen, da ich zu sehr in ihrer Achtung sinken würde. Auch widerstand +ich dem Anerbieten, die Schultern eines der Neger zu besteigen; es blieb +nichts Anderes übrig, als auf den Besuch der Stadt zu verzichten. + +Einzelne Städte haben außer dem Walle und dem äußeren Graben noch einen +inneren und fügen Verhaue und Dornhecken hinzu, um dem Feinde das +Annähern zu erschweren. So berichtet _Barth_ II. S. 211 von den Manga, +daß sie außer der Erdmauer und dem Graben noch ein Dornverhack hatten, +das sich 10 Fuß dick außerhalb herumzog; in Band II. S. 184 von +Birmenaua, daß dies ein kleiner, aber stark befestigter Ort sei mit zwei +Gräben, einem innerhalb, einem außerhalb der Mauer. + +Am unvollkommensten finden wir die Hütten da, wo der mohammedanische +Glaube Eingang gefunden hat. So im ganzen Norden von Centralafrika. Eine +Hütte in Kuka von runder, nach oben spitz zulaufender Form hat circa 12 +bis 15 Fuß an der Basis im Durchmesser. Das aus Holz oder Rohr +ausgeführte Gerüst ist mit Stroh überdeckt; eine Thür, oft gewölbt, oft +eckig, bildet den Eingang. Aber selbst hier, wo in der Stadt der Fürst +und alle Großen, wie die reichen Kaufleute Thonwohnungen haben, bildet +die Hütte die Nationalbehausung. Das Innere ist äußerst reinlich +gehalten und enthält manchmal eine mannshohe Scheidewand aus Matten, um +verschiedene Familienglieder von andern abzusondern. Wenigstens zwei, +oft drei bis vier solcher Hütten bilden ein Haus, ein Gehöft. +Umschlossen sind sie von einer thönernen Mauer, oderauch von +übermannshohen Matten, welche durch in die Erde gerammte Stämme aufrecht +gehalten werden. + +Am schönsten finden wir die Hütten da, wo sie vollkommen aus _eigenem_ +Bautriebe der Neger hervorgegangen sind, bei den Negern, die noch dem +Heidenthum anhangen. + +So berichtet _Barth_ von den Marghi-Hütten (II. S. 463): "Die Hütten +haben vor ihrer Thür Rohrschwellen, die manchmal umklappbar sind, und +inwendig sind die Fußböden schon gepflastert;" oder II. S. 525 von +Adamaua: "In Ssarau besteht eine Wohnung aus mehreren Hütten mit +Lehmwänden und vortrefflich geflochtenem Rohrdach; diese Hütten sind +durch Lehmwände mit einander verbunden, so daß das Ganze ein +abgerundetes Dreieck bildet. Die eine Hütte bildet den Eingang, die +anderen beiden sind für die Frauen. Die Eingangshütte hat eine 3-1/2 Fuß +hohe und 16 Zoll breite _eiförmige_ Thür; es befindet sich hier ein +Ruhebett, 7 Fuß lang und 5 Fuß breit und 3 Fuß über der Flur, außerdem +eine Feuerstelle. Die hellbraunen Wände der Hütte sind mit allerdings +nicht kunstvollen Gegenständen von weißer Farbe bemalt. Die beiden +andere Hütten sind ähnlich, enthalten zwei Rohrbetten, wovon eins für +die Frau durch eine Scheidewand von dem übrigen Raume der Hütte getrennt +ist. Diese 5 Fuß hohe und 4 Zoll dicke Scheidewand ist ebenfalls braun +und mit weißen Streifen geziert; oben ist sie durch abwechselnd +schalenartige und pyramidale Aufsätze gekrönt, welche ebenfalls +verschiedene Farbe haben. Die Thüren sind auch hier _eiförmig_ und noch +kleiner, nur 2 Fuß hoch und 10 Zoll breit. Diese heimlichen Wohnungen +übertreffen durch Harmonie der Farbentöne ihre Schwestern" u.s.w. + +Am vollkommsten fand _Barth_ den Hüttenbau wohl im Lande der Musgu. So +berichtet er II. S. 158: "Jeder Hof hat drei bis sechs Hütten, sie sind +aus Thon, und die Umschließungsmauer bei den Wohlhabenden aus demselben +Material die der Aermeren aus Rohr und Holz. Die Dächer sind mit +Sorgfalt gedeckt und weit besser als Strohdächer. _Die Musguhütten +zeigen in der Form ihrer Giebelung selbst Spuren verschiedener Style, +die vielleicht auf eine gewisse Stufenfolge im Leben zurückzuführen +sind_." + +Ueberall findet man in diesen Gehöften, die nicht nur die Städte und +Dörfer zusammensetzen, sondern da, wo die Sicherheit der Gegend es +zuläßt, auch über die Landschaften vereinzelt anzutreffen sind, die dem +Neger so unentbehrlichen Nebenbaulichkeiten. Wir erwähnen hier zuerst +des Schattendaches, welches man in jeder Wohnung antrifft. + +Diese Schattendächer ruhen auf 4 oder 6 Pfählen, welche nur oben mit +einem dicken Strohdache oder Mattenwerk bedeckt sind. Unter ihnen ist +gewöhnlich ein Rohrbett und Platz genug, daß auch die Hausfrau ihre +Arbeiten im Schatten verrichten kann. Dann findet man in jedem Hofraum +große Thonbehälter, oft auf Steinen ruhend, zum Aufbewahren von Korn; +manchmal sind sie sehr künstlich eingerichtet. _Barth_ sagt III. S. 158 +bei der Beschreibung eines Musgu-Hofes: "Jeder Hofraum hat einen 12 bis +15 Fuß hohen Kornbehälter aus Thon und ein Schattendach. Die +Kornbehälter haben ein gewölbtes, ebenfalls aus Thon bestehendes Dach +mit einer aufspringenden Mündung, welche wieder von einem kleinen +Strohdache geschützt wird." An einer andern Stelle sagt _Barth_: "Die +Kornbehälter auf 2 Fuß Unterlagen haben eine Höhe von 15 Fuß und +verjüngen sich nach oben. Sie haben nur eine Oeffnung am oberen Theile +und sind ähnlich den ägyptischen Taubenhäusern." Außerdem findet man +häufig Veranden vor den Hütten und überdachte Kochstellen. + +Die vollendetsten Hütten trifft man, wie schon gesagt, da, wo das +Heidenthum herrscht. Eine Hütte hat in der Regel 15 Fuß Durchmesser, und +die Thonwände, oft dick, oft nur 1/2 Fuß dünn, sind in der Regel 4 bis 5 +Fuß über der Erde. Das Dach ruht ganz frei auf dem runden Thonbau; in +den meisten Gegenden wird es zu ebener Erde fertig gebaut und vollendet +erst auf die Thonmauer gleichsam wie ein Deckel gelegt. Der Boden ist +überall festgestampft und bildet manchmal einen aus kleinen Steinchen +zusammengegossenen Mosaik. + +Im Innern der Hütte sind verschiedene Scheidewände und außer dem +beweglichen Rohrbette befindet sich wenigstens ein festes Thonbett +darin. In kalten Gegenden, z.B. auf dem Gora-Gebirge, beobachtete ich, +daß die Thonbetten hohl und von _inwendig zu heizen_ waren. Die größte +Sorgfalt wird immer auf die Eingangshütten verwendet; diese haben +natürlich immer zwei Thüren. Eine Hütte des Sultans von Akun, den ich +besuchte, zeigte sogar zwei Dächer, wovon das obere offenbar nur zum +Schmuck angebracht ist. Manche Eingangshütten sind colossal groß, sowie +die des Sultans von Keffi-abd-es-Senga; diese diente zugleich als +Versammlungort seiner Gäste, war viereckig und hatte mit einem +außerordentlich hohen Dache eine Veranda verbunden. + +Eine ähnlich große Empfangshalle traf Schweinfurth auf seiner Reise im +östlichen Centralafrika. Die L.I. Zeitung Nr. 1542 vom Jahre 1873 giebt +ein anschauliches Bild davon. Die große Festhalle, in der Schweinfurth +empfangen wurde, war von vielen Hundert Menschen gefüllt. Es waren die +achtzig Lieblingsweiber des Königs Munsa anwesend, eine Musikbande und +alle seine Trabanten. Die Empfangshalle selbst hatte die Form unserer +modernen großen Eisenbahnhallen. + +Die kunstlosen Hütten der Bassa-Neger auf den Inseln des Bénue verdienen +hier insofern nur einer Erwähnung, als wir hier inmitten Afrika's auch +auf "Pfahlbauten" stoßen. + +Einen Uebergang zu den, wie es scheint, von den Europäern von der Küste +her eingeführten großen Giebelhäusern und den Hütten der Neger bilden +die seltsamen Wohnungen der Kado-Neger in Segseg, die gewissermaßen aus +Haus und Hütte zusammengesetzt sind. Zwei circa 25 Fuß von einander +entfernte Hütten sind durch ein Haus oder einen Gang verbunden, und das +Dach bildet mit den beiden Dächern der Hütte ein Ganzes. Nur die eine +Hütte hat eine Thür, der Gang und die zweite Hütte haben nur runde +Löcher, um dem Lichte Eingang zu verschaffen. + +Hier zu erwähnen sind auch noch jene kleinen Hütten für die Fetische. +Manchmal sind dies nur auf Pfählen ruhende Strohdächer, unter welchen +die Götter Schutz gegen die Sonne und den Regen finden, manchmal aber +auch ordentlich eingerichtete Hütten. Aber jedesmal findet man sie in +bedeutend verkleinertem Maßstabe. Eine Fetischhütte ist nie höher als 4 +bis 5 Fuß und hat an der Basis gewöhnlich 3 bis 4 Fuß Durchmesser. Oft +steht ein Fetisch oder eine ganze Fetischfamilie nur auf einem +Thonteller, der circa 1 Fuß hoch, nach oben sich verjüngt und circa 3 +bis 4 Fuß im Durchmesser hat. Außerdem hat jede Hütte in den Gegenden, +wo Fetischismus betrieben wird, einen Fetisch in seiner Hütte, der oft +aus Thon oder Holz geformt, oft aber nur ein Bild oder Relief an der +Hüttenwand ist. + +Je mehr man sich dem Niger nähert, desto andere Bauformen finden wir +gäng und gäbe. Freilich bleibt auch hier die runde Hütte noch immer die +eigentliche Nationalbehausung der Neger; aber wir finden nun bei den +Wohnungen der Fürsten, der Großen und Reichen keineswegs mehr große, +nach arabischer Art mit plattem Dache versehene Häuser, sondern Gebäude, +die nach Art der europäischen ein Giebeldach haben. In Imaha, in +Ogbomoscho und Ibadan haben die Fürsten die großartigsten Giebelbauten, +bei denen europäischer Einfluß wohl kaum zu leugnen ist. + +Die Fürstenwohnung in Illori ist der Art, daß sie ein längliches Viereck +von 150 Fuß Länge auf 30 Fuß Breite bildet. Die Seitenmauern, circa 6 +Fuß hoch und 2 Zoll dick, aus gestampftem Thon errichtet, tragen ein +unverhältnißmäßiges hohes Strohdach à cheval, dessen überstehende +Seitenwände über die Mauern hinausreichen, so daß sie fast den Erdboden +berühren. Der Raum, der hierdurch entsteht, giebt einen schattigen +Ruheplatz für die zahlreichen Sclaven ab. Im Innern läuft längs der +einen Wand ein Corridor, und von diesem aus kommt man mittelst niedriger +Thüren in die verschiedenen Zimmer, von denen einige einen aparten +Bodenabschluß haben, andere aber frei bis unter das Dach hinaufreichen. + +Höchst eigenthümlich fand Dr. Nachtigal die heidnischen Bewohner im +südlichen Bagermi wohnen. Fortwährend den Ueberfällen der +mohammedanischen Bevölkerung ausgesetzt, haben sie ihre Wohnungen gleich +den Vögeln auf den Bäumen errichtet, und der gewaltige Baumwollenbaum +(Bembax. cottontree) eignet sich vortrefflich dazu, derartige +Behausungen zu empfangen: Der Baumwollenbaum gehört zu den Riesen der +centralafrikanischen Vegetation. Ungefähr 50 Fuß hoch vom Boden, gehen +von seinem colossalen Stamme starke horizontal verlaufende Aeste ab. Auf +diese legen die Bagermi-Bewohner Balken und errichten darauf ihre +Hütten; selbst der Viehstand wird in Zeiten der Gefahr mit nach oben +gezogen. Mittelst einer aufziehbaren Strickleiter gelangen die +Eigentümer hinauf. In der Nacht werden nach Nachtigal nie +Feindseligkeiten unternommen, so daß während dieser Zeit die Inwohner +eines solchen Baumdorfes ihre Vorräthe an Wasser und Lebensmitteln +machen können. Und da in Bagermi der Gebrauch der Schießwaffe noch nicht +eingeführt ist, so gewinnen die Besitzer in ihren hohen, luftigen Bauten +eine ziemliche Sicherheit. + +Je mehr man sich der Küste nähert, desto mehr schwindet die Hütte, und +wenn in den Ortschaften des Konggebirges oder an den Abhängen desselben +auch die Häuser der privaten nicht alle jene großen kasernenartigen +Dimensionen haben, so läßt sich doch in der Anlage der europäische +Einfluß auf den ersten Blick heraussehen. Gebrannte und behauene Steine +findet man erst, wenn man die Küstenstädte Afrika's selbst, mithin das +europäische Element erreicht hat. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 1: Allerdings sind in Marokko in den sogenannten "maurischen +Bädern" auch gewölbte Kuppeln, aber diese Gewölbe sind entweder durch +horizontal eingeschobene Balken gebildet und getragen, oder durch +Uebertragung horizontal gelegter Steine gebildet, ähnlich wie man es in +den gewölbten Kammern der griechischen Thesauren beobachtet.] + + + + +3. Lagos an der Westküste von Afrika. + + +Keine Stadt an der Westküste von Afrika, vom Cap Spartel an gerechnet, +bis zum Cap der guten Hoffnung, hat in den letzten Jahren einen so +raschen Aufschwung genommen wie Lagos. Unter dem 6° 26' nördlicher +Breite und dem 3° 22' östlicher L. v. Gr. gelegen (nach anderen 6° 28' +n. Br. und 3° 26' östl. L. v. Gr.), war Lagos bis zum Jahre 1851 +portugiesische Schutzstadt und Hauptexportstadt für den Sclavenhandel. +In diesem Jahre vertrieb ein eingeborener Fürst, Namens Kosoko, den +rechtmäßigen König Akitoye, weil dieser auf Betrieb Englands den +Sclavenhandel unterdrückt hatte. Kosoko wurde von den Engländern wieder +verjagt und der rechtmäßige König wieder eingesetzt. Aber trotzdem +florirte die Negerausfuhr fort, die um so schwieriger hier zu überwachen +und zu verhindern war, als der Küstenstrich wegen Lagunenbildung +zahlreiche Verstecke und Schlupfwinkel bietet, wohin sich die +Sclavenhändler bei drohender Gefahr zurückziehen konnten. + +Am 6. August 1861 erschien deshalb das englische Kriegsschiff +Prometheus, Com. Bedingfeld; Lagos wurde genommen und zur englischen +Colonie erklärt. Zum Scheine ließ man jedoch den Sohn Akitoye's, Docemo, +als König bestehen, er behielt jedoch nur den Titel. + +Von den Eingeborenen Eko, auch Oni genannt, erhielt Lagos seinen Namen +von den Portugiesen. Es liegt auf einer halbmondförmigen Insel, hat im +Süden das Meer, im Norden die die Insel vom Festland trennende Lagune, +und ist von den übrigen schmalen Küstenstrichen oder Inseln, welche im +Osten und Westen sich fortziehen, durch enge Meeresarme getrennt. Das +Festland ist circa 15 engl. Meilen entfernt. Von den schmalen +Landstreifen, welche ursprünglich Festland gewesen sind, und die +manchmal 3, manchmal bis 10 englische Meilen breit sind, gehört ein +60-70 englische Meilen langes Stück jetzt den Engländern. Alle diese +Streifen sind mit dichtester Vegetation bedeckt, meistens mit +Mangroven-Buschwerk bestanden, das von schlanken Cocosnußpalmen überragt +wird, während gleich am Festlande jene undurchdringlichen Urwälder +beginnen, in denen die Oelpalme und der Baumwollenbaum die +hervorragendste Rolle spielen. + +Hält man sich für kurze Zeit in diesem von der Natur so verschwenderisch +ausgestatteten Lande auf, so sollte man glauben, es sei hier ein ewiges +Paradies was das Klima anbetrifft: man glaubt in einer ewig +frühlingsmäßigen Natur zu leben. Balsamische Düfte durchziehen die Luft, +der tiefblaue Himmel, das saftige Grün der üppigen Pflanzenwelt, in der +Ferne das tiefblaue wogende Meer, lassen den Gedanken nicht aufkommen, +daß jeder Athemzug dem Körper giftige Substanzen zuführt; und doch ist +dem so, wie die große Sterblichkeit der Eingeborenen sowohl wie die der +Europäer ergiebt. Eben die lagunenartige Gegend, die Ausdünstungen der +See, die vermodernden Pflanzentheile der nahen Sümpfe, die Vermischung +von Salz- und Süßwasser nehmen alle Theil an jenen Krankheiten, die den +Menschen so gefährlich sind, und meist rasch und tödtlich verlaufen. + +Die mittlere Temperatur von Lagos ist unbekannt, dürfte aber zwischen +20° und 22°[2] sein. Der niedrigste beobachtete Thermometerstand war 15° +C., der höchste 35°. Barometrische Aufzeichnungen von Lagos liegen gar +nicht vor. Als hygrometrische Beobachtungen wurden mir 0,2 und 25° +genannt, indeß nicht dabei gesagt, mit welchem Instrument und nach +welchem Systeme dieselben gefunden worden sind. Die fallende Wassermenge +wird wohl der von Gabun gleichkommen, wo man in einem Jahr 250" Regen +beobachtet hat. Die nasse Jahreszeit währt von April und Mai bis August +und September und in dieser Zeit sind fast täglich die heftigsten +Tornados (Gewitterregen) bei herrschendem Ostwinde. Im November, +December, Januar und Februar ist fast nie Regen beobachtet worden. Der +herrschende Wind der trockenen Jahreszeit ist West und Nordwest. In +dieser Periode herrscht Nachts vollkommene Windstille; erst gegen 9 Uhr +Morgens springt der Wind auf, um bis nach Sonnenuntergang als starke +Brise zu blasen. Im Januar wird hauptsächlich der Harmattan beobachtet, +vom Innern her wehend, und von welchem die dort lebenden Europäer noch +immer glauben, daß es Nebel sei, während es nichts Anderes ist, als ein +zerflossener Rauch jener großen innerafrikanischen Wald- und Grasbrände, +die sich manchmal über Strecken verbreiten, die Tausende von +Quadratmeilen einnehmen. Zu dieser Zeit ist der Gesundheitszustand am +besten, namentlich auf äußere Hautkrankheiten übt der Harmattan einen +überaus wohlthätigen Einfluß aus. + +Hauptsächlich dort beobachtete Krankheiten sind, was auf die Europäer +sich bezieht, Malaria und bösartige Wechselfieber, Dyssenterien und +Leberkrankheiten. Cholera und gelbes Fieber sind in Lagos nie +aufgetreten. Es ist übrigens wohl in Betracht zu ziehen, daß die meisten +Europäer durch ihr eignes unmäßiges Leben sich derartige Krankheiten +zuziehen. Während das weiche, erschlaffende Leben eine mäßige +Lebensweise, namentlich Enthaltsamkeit von trockenen Weinen und +Liqueuren, empfiehlt, findet man hier, wie fast überall in den Colonien, +vorzugsweise spanische Weine, Sparkling Hock[3] und Brandy im Gebrauch, +und die schwelgerischen Tafeln, die dort stets dem Magen vorgestellt +werden, rufen denn nur zu rasch jene Krankeiten hervor, denen die +Europäer zum Opfer fallen, auf dem Sterbebette noch das mörderische +Klima verfluchend. Bei den Negern beobachtet man außerdem noch den +Guineawurm, Elephantiasis, Pocken, Lepra, Krakra (eine widerliche +Krankheit) und Yaws, eine Art von böser Frambösie. + +Die Bevölkerung der Schwarzen besteht aus Eingeborenen und dorthin +eingewanderten und transportirten Negern. Erstere gehören alle zu den +Stämmen der großen Yoruba-Familie. Ohne so schön und hell zu sein wie +die Pullo, sind die Yoruba keineswegs vollkommen schwarz, sondern haben +mehr bräunliche Hautfarbe. Sie haben sanfte, nicht stark prononcirte +Gesichtszüge, und werden von den dortigen Europäern für die besten und +gutmütigsten aller Neger gehalten. Als die Portugiesen zuerst nach Lagos +kamen, fanden sie die Eingeborenen sehr geschickt in Verfertigung von +Matten und Strohflechtereien, die sie auch noch so zart und fein zu +flechten wissen, daß man daraus Kleidungsstücke machen könnte, und die +zum Theil auch von den Eingeborenen in früheren Zeiten als solche +benutzt wurden. Baumwollenweberei, Färberei, Ledergerberei, vorzügliche +Holzschnitzerei, Töpferkunst und die Verarbeitung edler und unedler +Metalle waren den Eingeborenen von Lagos bekannt, als die Europäer +dorthin kamen. Man kann ihre Zahl auf 35-40,000 schätzen. Haussa-Neger +bilden das zweite Element, sie sind durch etwa 1000 Individuen +vertreten. Die übrigen endlich sind Acra-, Fanti- und Kru-Neger, etwa +2000 Seelen stark, und einzelne von verschiedenen anderen Horden. Alle +diese sind ursprünglich freie, in Lagos von jeher seßhafte Neger, dann +aus dem Innern und von der Küste als Freie Eingewanderte, oder aber +ursprünglich gewesene Sclaven und deren Nachkommen und zum Theil aus dem +britischen Westindien, von Sierra Leone, Gambien, Liberien, Brasilien +oder Cuba zurücktransportirte, gekaperte ehemalige Sclaven. Allein die +von Sierra Leone gekommenen Neger schätzt man auf 4000 Seelen. + +Was die Europäer anbetrifft, so ist deren Zahl durchschnittlich gegen +100, von denen etwa 60 Engländer, 20 Deutsche und Franzosen sind, und +die übrigen aus Spaniern, Portugiesen und Italienern bestehen. + +Der Cultus der Eingeborenen, die noch nicht zum Christenthume +übergetreten sind, ist Fetischdienst. Vornehmlich werden Bäume +fetischirt, aber auch Thiere, z.B. Hunde, stehen in Verehrung. Die +Anbetung von kleinen, aus Holz und Thon gearbeiteten Götzenbildern ist +sehr allgemein; Herr Philippi aus Potsdam, der sich 13 Jahre in Lagos +aufhielt, besitzt eine ganze Sammlung jener kleinen interessanten +Gottheiten. Außer den allgemein heilig gehaltenen Thieren hat dann noch +jeder Neger sein Privatheiligthier, von dem er dann natürlich auch nicht +essen darf, während die Uebrigen, wenn diese Thiere zu den genießbaren +zählen, davon essen. So durfte der Häuptling Tappa, eine persönliche +Bekanntschaft von mir, keine Hühner essen, Docemo, der König, keine +weißen Tauben. Jeder hat so seine speciellen Göttchen, die gewissermaßen +als Heiligen den betreffenden Individuen dienen und in den Wohnungen den +Ehrenplatz einnehmen. Im Ganzen mögen gegen 25000 Heiden in Lagos sein. +Für die Umwandlung in Christen thut die englische Regierung officiell +seit einigen Jahren nichts mehr, legt aber auch den Missionären, +einerlei, von welcher Kirche sie abgeschickt worden sind, keine +Hindernisse in den Weg. + +Als Nichtchristen zählen zunächst die Mohammedaner; ihnen gehören +besonders alle Haussa-Neger an, aber auch viele Yoruba. Der Islam hat +sich quer durch Afrika seinen Weg gebahnt, er wird um so mehr von den +Negern angenommen, als die moralischen Vorschriften besser mit den +alten hergebrachten Leben harmoniren, überdies die den Mohammedanismus +predigenden Lehrer gleich Sitten und Gebräuche der Schwarzen selbst +annehmen, und nur die Formen und äußeren Gebräuche ihres Glaubens +verlangen. Außerdem predigt der Islam Hochmuth. "Sobald ihr Gläubige +seid, steht ihr über Christen und Juden, ihr gehört dann zum +ausgewählten Volke, ihr seid dann gut =par exellence=." Eine solche +Lehre gefällt den unmündigen Negern. Es gefällt ihnen das weit besser, +als: "Ihr könnt das Himmelreich nur durch Buße und Glauben gewinnen, +Sünder bleibt ihr aber immer; seid demüthig, verachtet den Reichtum &c." +Zudem ist der christliche Missionär in unseren Tagen nicht im Stande, +auf das Niveau der Eingeborenen hinabzusteigen, während er ebenso wenig +vermag, diesen zu sich heraufzuziehen, das heißt ihm die äußeren +Annehmlichkeiten des Lebens zu bieten, unter denen er selbst seine +Existenz hat. Wie kann ein armer Neger sich denken, daß die Lehre +richtig sei, wo man ihm Verachtung des Reichthums, Mäßigung, Demuth und +Buße predigt, und er dies von solchen Männern hört, die gut bekleidet +sind, die schöne Häuser haben, Möbel besitzen, wie er sich sie nie +anschaffen kann, und über Geld in Hülle und Fülle (nach den Anschauungen +der Neger) gebieten? Denn wenn auch nach europäischen Begriffen die +Missionäre nicht allzuglänzend und reich ausgestattet sind, so sind sie +es doch den Eingeborenen gegenüber. Ganz anders tritt der Mohammedaner +auf: er hat nicht mehr als der Neger, er verdient seinen Lebensunterhalt +durch seine Arbeit, durch Handel; der Eingeborene sieht, wenn der +mohammedanische Lehrer zu Wohlstand kommt, woher und wie derselbe +gewonnen ist. Kein mohammedanischer Apostel hat irgendwie Gehalt, er +bekehrt, um einen neuen Gläubigen zu gewinnen, ganz aus eigenem +Antriebe, ohne von einer Gesellschaft ermächtigt zu sein. Er glaubt auch +nicht einmal, daß dies für ihn selbst ein großes Werk sei, er meint +dadurch nur die Seele des Bekehrten gerettet zu haben, welche nun würdig +ist, mit ihm nach dem irdischen Tode die verheißenen Freuden des +Paradieses zu theilen. + +Die Zahl der Mohammedaner wird auf 4000 geschätzt, und scheint dieselbe +noch fortwährend zuzunehmen. + +Was die Christen anbetrifft, so haben wir verschiedene +Glaubensrichtungen in Lagos vertreten, und dies Nichteinheitliche der +Lehre Jesu trägt gewiß dazu bei, bei Ausbreitung des Glaubens die +Eingeborenen stutzig zu machen. + +Von den Protestanten finden wir die englische _high church_ durch die +_church missionary society_ vertreten, etwa 1000 Seelen; die Wesleyaner +etwa 700 Seelen, und amerikanische Baptisten etwa 30 Seelen. Die +römisch-katholische Kirche ist hauptsächlich durch 3-400 sogenannte +_emancipados_ (ehemalige Sclaven) aus Brasilien und Cuba repräsentirt. +Die deutschen Protestanten halten sich zur Hochkirche. Im ganzen beläuft +sich die Zahl der Christen in Lagos auf 3500. Für die Protestanten +besteht ein Seminar mit einem weißen und einem schwarzen Lehrer und etwa +20 Zöglingen; ein Mädcheninstitut unter einem weißen Lehrer und einer +weißen und einer schwarzen Lehrerin mit etwa 20 Schülerinnen; vier +gemischte Volksschulen mit 8 Lehrern und 430 Schülern; drei kleine +Kinderschulen mit 5 Lehrerinnen und 320 Schülern. Die Wesleyaner haben +außerdem eine Schule mit 3 Lehrern und 170 Schülern. Ueber die Schulen +der römisch-katholischen Mission liegen keine numerischen Nachrichten +vor. + +Die Mohammedaner sorgen für die Bildung ihrer Gläubigen durch Gebete in +der Hauptmoschee, sie haben 12 bis 16 kleinere Betplätze, die zum Theil +Medressen (Schulen) sind, in denen jedoch weiter nichts gelehrt wird, +als mechanisch Koransprüche herzusagen. Fast mit Sicherheit kann man +behaupten, daß die Lehrer selbst den Sinn der Sprüche und Gebete nicht +verstehen. Nach den Begriffen der modernen Apostel des Islam ist das +auch nicht nöthig, da Gott selbst Arabisch versteht, also wohl weiß, was +die Gläubigen beten. + +Die Regierung besteht derzeit aus einem Gouverneur (von der +Kriegsflotte), einem Colonialsecretär, einem Oberrichter (_high +justice_), einem Ingenieur, einem Colonialarzt, einem Schatzmeister und +zwei Polizei-Inspectoren mit 45 Constablern. Das Geschwornengericht ist +aus Weißen und Schwarzen zusammengesetzt. Als Garnison steht in Lagos +eine Compagnie westindischer schwarzer Soldaten, und in letzterer Zeit +sind darunter als Ergänzung vorzugsweise Haussa-Leute aufgenommen +worden. Außerdem steht der Regierung ein Kanonenboot I.M. der Königin zu +Gebote. In Lagos residiren ein norddeutsches, ein französisches und ein +italienisches Consulat. + +Während Lagos früher krumme, winkelige Straßen hatte, an beiden Seiten +von Negerhütten besäumt, wird jetzt der Ort durch sehr breite, gerade +Straßen durchzogen, die Nachts beleuchtet sind. Man unterscheidet vier +Hauptstadttheile, Okofagi, Ologbowa, Offi und Egga. In letzterem +befindet sich der Palast von König Docemo, der aussieht wie eine große +Bude. Das Haus, welches der Gouverneur bewohnt, ganz aus Eisen errichtet +und fertig von England gebracht, befindet sich, wie die meisten +Wohnungen der Europäer, auf der der See zugekehrten Seite der Insel. +Gleich daneben liegt die prachtvolle ehemalige O'Swaldische Factorei, +die seit einigen Jahren in die Hände eines anderen Hamburger Hauses +übergegangen ist. + +An öffentlichen Gebäuden erwähnen wir noch das Colonial-Secretariat, das +neue, aus Backstein errichtete Rathhaus, in dem zugleich der Gerichtshof +ist, eine Caserne mit Spitaleinrichtung, ein Colonial-Hospital mit 20 +Betten, das jedoch viel zu wünschen übrig läßt, ein Zollhaus mit Krahn, +endlich 10 Kirchen für Protestanten und eine im Bau begriffene für +Katholiken. + +Die Häuser der Europäer sind zweckmäßig und meist aus gebrannten Ziegeln +aufgeführt und fast alle von kleinen Gärten umgeben. Cocospalmen, +Brodfruchtbäume und Mangos gewähren Schatten; an wohlschmeckenden +Früchten sind die Ananas von Lagos als ganz vorzüglich +hervorzuheben.--Die Stadt hat außerdem mehrere kleine Dampfer, welche +die großen Dampfschiffe und Segler, welche die Barre nicht passiren +können, befrachten und ausladen, Hunderte von kleinen Schiffen, alle +numerirt und den Eingeborenen gehörend, unterhalten den Verkehr mit dem +Festlande, hauptsächlich mit der Stadt Ikorodu. Sehr angenehm für die +Bewohner von Lagos ist, daß die Lagunen nicht nur äußerst fischreich +sind, sondern jahraus, jahrein täglich so viel Austern und Granaten +(_Crangon vulgaris_) gefangen werden, wie es die Bedürfnisse erheischen. +Deshalb ist denn auch die Fischerei eine der Hauptbeschäftigungen des +Volkes; aber außerdem finden wir alle Handwerker vertreten, als +Schreiner, Maurer, Zimmerleute, Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser +&c. + +Die Europäer sind fast durchaus Handelsleute; es giebt Engros-Häuser, +sogenannte Factoreien, und Detailisten. Große Factoreien giebt es circa +20, von denen die Hamburgische von O'Swald die bedeutendste war, die +sogar der Factorei der West-African-Company den Rang abgelaufen hatte. + +Export und Import haben unter der englischen Regierung einen bedeutenden +Aufschwung genommen, was natürlich auf die Einkünfte der Colonie +bedeutend nachgewirkt hat. 1862 betrug die Einnahme 5000 Pfd. St., im +Jahre 1867 schon 30,000 Pfd. St. Nach dem Blaubuche betrug 1867 der +Werth der exportirten Waaren 51,313 Pfd. St., der Werth der importirten +Gegenstände ist nicht angegeben, Lagos hatte aber 1868 an Zollgebühren +(vom Export wird nicht gezollt) eine Einnahme von 35,000 Pfd. St.[4], +aus anderen Quellen noch 4000 Pfd. St., also im Ganzen fast 40,000 Pfd. +St. + +Exportirt wird hauptsächlich Indigo, Grundnüsse (=Arachis=), +Elfenbein, Mais, Baumwolle (1867 für 7112 Tons, die Tonne zu 2000 +Pfund), Goro- oder Kolanüsse[5], welche nach Brasilien und Sierra Leone +verschickt werden, endlich Oel- und Palmnüsse. Oel wurde 1867 im Gewicht +von 12,414 Tonnen, Nüsse 9600 Tonnen exportirt. Die Nüsse wurden im +Anfang gar nicht benutzt, es ist das Verdienst der O'Swald'schen +Factorei, dieses Product der _Elaeis guineensis_ zuerst ausgenützt zu +haben. Die Nuß enthält nämlich bedeutende Mengen von Stearin, das Oel +wird zum Schmieren und zur Seifefabrikation benutzt. + +Man führt ein: Cawries (=kauri, kungena, kerdi, eloda-Cypraea moneta +L.=), jene kleinen Muscheln aus den ostindischen Gewässern, die als +Scheidemünze dienen im größten Theil von Centralafrika, Rollen- und +Blättertabak von Brasilien, Waffen, Pulver, Stabeisen, Messingdraht, +Perlen, Spiegel, Messer, Manufacturen, Salz, Spirituosen. Von +Spirituosen, Cawries und Tabak wird 6 Proc. Eingangszoll erhoben. + +Im Jahre 1873 arbeitete der Bürgermeister von Lagos, Mr. Goldsworthy, +zusammen mit dem Gouverneur Herrn Glover, um neue Handelsstraßen nach +dem Innern zu eröffnen. Im vergangenen Jahre machte Goldsworthy eine +Reise von 200 englischen Meilen in nordöstlicher Richtung und berührte +dabei die Gebiete von Ikale, eine wald- und sumpfreiche Gegend mit +einzelnen angebauten Strichen, und von Onodo, einer Hügelkette längs +der Küste und von Ife berührt. Es gelang ihm, die Kämpfe zwischen +einzelnen Stämmen zu beendigen und wahrscheinlich auch das Efou-Gebiet +durch eine neue Handelsstraße zu eröffnen. + +Werfen wir schließlich einen Rückblick auf Lagos, heute die volkreichste +Stadt an der ganzen Westküste von Afrika, so bemerken wir, daß der Ort +hauptsächlich unter der freisinnigen englischen Administration rascheren +Aufschwung genommen hat wie andere Punkte in Afrika. Selbst das Klima +scheint sich durch gute sanitätspolizeiliche Maßregeln, als Erweiterung +der Straßen, Pflasterung der Wege, Ausrottung der nächsten Dschengel-und +Mangroven-Büsche verbessert zu haben; in früheren Jahren trafen auf die +weiße Bevölkerung wenigstens 20 Todesfälle, in den letzten Jahren ist +das Verhältniß jedes Jahr günstiger geworden. 1869 ist, freilich wohl +ausnahmsweise, nur Einer von der circa 100 Köpfe starken weißen +Bevölkerung gestorben. + +Auch die Gesittung und Civilisation nimmt unter den Eingeborenen +erfreulich zu. Wenn Europäer, und besonders die Missionäre, beherzigen +wollten, daß ein Volk, welches seither fortwährend von der Cultur der +civilisirten Völker abgeschlossen gewesen, von einem primitiven +Standpunkte sehr schwer innerhalb einiger Jahre auf eine solche +Culturstufe gebracht werden kann, wozu wir selbst fast 2000 Jahre +gebraucht haben, so würden sie langsamer vorgehen und mehr Geduld haben +mit ihren Civilisationsbemühungen. Wenn man die heutigen Neger +betrachtet, namentlich die Bewohner jener großen Reiche Centralafrika's, +und vergleicht den Zustand dieser Völker und Länder mit jenen von +Europa vor circa 2000 Jahren (natürlich Griechen und Römer ausgenommen), +so wird jeder Mensch, der unbefangen urtheilt, sagen: der Vortheil ist +hier auf Seiten der Schwarzen. Die großen Staaten Bornu, Sokoto und +Gando &c. legen glänzendes Zeugniß ab, wie weit ohne europäische +Einflüsse die Neger fähig sind, sich zu civilisiren, und General +Faidherbe hat gewiß nicht Unrecht, wenn er die Schwarzen als für +Civilisation empfänglicher hält, als Berber und Araber. + +Aber trotzdem und trotz vieler glänzenden Beispiele, die eben beweisen, +daß selbst in kürzester Zeit der Neger bei sorgfältiger Erziehung sich +vollkommen mit dem Weißen gleichzustellen weiß (ich erinnere nur an +Bischof Crowther, an Senator Revels, welcher Letztere jüngst im Senate +der Vereinigten Staaten seine erste Rede, die als oratorisches +Meisterwerk dasteht, gehalten hat), wage ich nicht zu behaupten, daß die +Neger eine Zukunft vor sich haben; sie werden am Ende von den Weißen +absorbirt werden. + +Wir sehen in Centralafrika, daß die Pullo, welche sich als herrschendes +Volk große Negerreiche unterworfen haben, heute, nach noch nicht 100 +Jahren, vollkommen von den Negern assimilirt worden sind. Obschon die +Pullo noch die herrschenden sind, auch ihre Pullo-Sprache noch reden, +sind sie fast ganz schwarz geworden und alle reden heute neben ihrem +Pullo die Sprache der Stämme, über welche sie herrschen. Ebenso haben +die Araber in Centralafrika, z.B. die Schoa, fast nur noch ihre Sprache +erhalten. Und so wird es den Negern ergehen den Weißen gegenüber, wenn +sie nicht durch eine zu rasch mit ihnen vorgenommene +Civilisationsmethode (namentlich durch unpassende Bekehrungsversuche) +vorher ausgerottet werden. Ist dies nicht der Fall, so werden sie +langsam verdrängt werden von den Weißen, wenn sich einmal für diese das +Bedürfniß herausstellen sollte, Afrika so ernstlich in Angriff zu +nehmen, wie man es mit Amerika und jüngst mit Australien gethan hat. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 2: Hunderttheilig.] + +[Footnote 3: Rheinwein wird von den Engländern meist als Schaumwein +getrunken.] + +[Footnote 4: Fast Alles zahlt 4 Proc. nur einige Artikel 6 Proc.] + +[Footnote 5: Als ich 1867 von Lagos nach Europa zurückkehrte, gelang es +mir, Goro-Nüsse ganz frisch heimzubringen. Unser nun verewigter Liebig, +dem ich dieselben zur Untersuchung einschickte, fand die Nüsse sehr +reichhaltig an Coffein; außerdem gelang es ihm, im botanischen Garten zu +München aus einer der Nüsse einen Baum heranzuziehen, der im vorigen +Sommer schon eine Höhe von 5 Fuß erreicht hatte und laut eines Briefes +vom 9.d.M. von Liebig fortfährt, sehr gut zu gedeihen.] + + + + +4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika. + + +Einer der wichtigsten Gebirgsstöcke im bekannten Centralafrika ist das +Gora-Gebirge, denn hier ist die Wasserscheide zwischen dem Tschad-See +einerseits und dem mächtigen Niger andererseits. Zudem entspringt hier +der Gongolafluß, einer der bedeutendsten Nebenflüsse des Bénue, sowie +eine Menge kleinere Flüsse, die direct in den Bénue (dieser ist der +bedeutendste Nebenfluß des Niger, und vielleicht ebenso bedeutend als +dieser) sich werfen. + +Das Gora-Gebirge erreicht eine absolute Höhe von mehr als 7000 Fuß und +besteht seiner Hauptmasse nach aus Granit, doch sind an den unteren +Abhängen auch alle anderen Gesteinsarten vertreten. Das Gebirge scheint +sehr mineralisch zu sein, die Bewohner haben Antimon-, Zinn- und +Eisenminen; über das Vorkommen von Gold ist den Eingebornen indeß nichts +bekannt, noch weniger läßt sich sagen, ob Silber vorhanden sei, welches +überhaupt in Centralafrika noch nicht gefunden worden ist. Der Boden +besteht fast durchweg aus einem festen röthlichen Lehm und Thon, doch +sieht man mitunter auch ausgedehnte Strecken mit schwarzem Humus +bedeckt. Die hervorragendsten Berggipfel sind der Saranda, westlich von +Bautschi (Jacoba) gelegen, der Goa- und der Gora-Knotenpunkt, von dem +das ganze ausgedehnte Gebirge seinen Namen hat, und von dem die Wasser +hauptsächlich entspringen, welche dem Niger, Bénue und dem Tschad +zueilen. + +Was Naturschönheiten anbelangt, so wird es kaum ein Gebirge geben, +welches hierin die Goraberge übertrifft. Ueberall bewaldete Höhen, oft +steil emporragende Felsen, rieselnde Bäche, spritzende Wasserfälle, +herrliche Steilschluchten. Hie und da wieder ein Stück Ackerland um +kleine Ortschaften herumliegend, üppige Gärten mit Bananen, Gundabäumen, +Erdnüssen und einigen Gemüsen--dies das Gesammtbild, wie sich das +Gora-Gebirge dem Wanderer zeigt. Ja, wenn nicht die eigenthümlichen +konischen Dächer der Hütten, welche jene Negerdörfer zusammensetzen, +wenn nicht bei näherer Betrachtung die einzelnen Bäume der dichten +Wälder, wenn nicht hie und da die schwarze Gestalt eines mit Bogen und +Pfeil bewaffneten Eingeborenen einen daran erinnerten, daß man sich +zwischen dem 9. und 11. Grade N. Br. befände, so würde man eher glauben, +in einer üppigen europäischen Gebirgslandschaft zu sein, als in einer +afrikanischen Tropengegend. + +Bis auf den Kamm des Gebirges hat man es meist mit denselben Bäumen zu +thun, wie sie in Bornu vorkommen, aber darunter befinden sich manche +fruchttragende, die in den Tschadebenen nicht vorkommen. Auf der +westlichen Seite treten hingegen die Baumarten in den Vordergrund, wie +sie das Nilthal vorzugsweise aufweist, und namentlich sind es +ausgedehnte Wälder des Butterbaumes, _Bassia Parki_, die nun +vorherrschen. In den niederen Theilen zeigen sich Bananen und der +herrliche Gunda-Baum überall wild. Indigo, zum Theil wild, Baumwolle und +Tabak gezüchtet, kommen allerwärts vor. Der Wald liefert die +Yams-Wurzeln, die auch gebaut werden, ebenso pflanzen die Eingeborenen +in ihrem Garten Ingwer, verschiedene Zwiebeln, Erdnüsse und Kohlsorten. + +In einer so üppigen Gegend ist natürlich die Thierwelt sehr reich +vertreten: die niedere sowohl wie die geflügelte zeigt dem Europäer auf +Schritt und Tritt Neues. Reißende Thiere, namentlich Panther und +Leoparden, sind in den Schluchten der Berge nichts Seltenes, doch sind +sie keineswegs so häufig, daß dadurch irgendwie die Sicherheit der +Reisenden gefährdet würde. + +Sehr zahlreich sind allerdings die Hyänen und Büffel vertreten; Giraffen +kommen hier im Gebirge nirgends vor; Elephanten, Nashörner und +Flußpferde treten erst am Bénue und Niger auf; ebenso fehlt hier der +Gorilla-Affe, nur Paviane und Hundsaffen sind in erstaunlicher Menge +vertreten. Wie überall, wo das Land von Ameisen beherrscht wird, ist +auch der Ameisenbär anzutreffen, und jene ungeheueren Thonpyramiden, +welche man über das ganze Land zerstreut sieht, sind oft von der Kralle +des Ameisenbärs angebohrt. Diese Pyramiden, von denen auch schon durch +Photographie fixirte Ansichten existiren, verleihen der Landschaft einen +eigenthümlichen Reiz. Man beobachtet welche von einer Höhe von über 20 +Fuß. + +Die Bewohner des Gora-Gebirges sind echte Neger und gehörten ehedem zum +großen Reiche der Haussa-Neger. Bei der Invasion der Pullo wurden sie +unterjocht, und jetzt bildet das Gora-Gebirge einen Theil des +Kaiserreichs Sokoto. Zum Theil gehört es zu den Königreichen Bautschi +und Kano, zum Theil zu denen von Saria und Keffi-abd-es-Senga, welche +alle dem Kaiser von Sokoto unterthan sind. + +Mit Ausnahme der Städtebewohner gehen alle Eingeborenen vollkommen nackt +und sind Heiden. Die Frauen tragen Ringe und Spangen um Arme und +Fußknöchel, jedoch durchbohren sie die Ohrlappen nicht wie die +europäischen Frauen, ihr Haar tragen sie ohne Schmuck und kurz +abgeschnitten, während die Männer es nach Art der Bornu-Frauen helmartig +zu einem Wulst zusammenwachsen lassen. Um den Leib tragen die Frauen +einen Ledergurt der vorn und hinten mit Blättern behangen wird, um damit +die Blößen zu bedecken; die Männer tragen ein Schurzfell, oft kunstvoll +gestickt und mit vielen kleinen Muscheln geschmückt. Die Männer sind +immer bewaffnet: ein Bogen, ein Köcher mit vergifteten Pfeilen und oft +ein gerades, in Hagen oder Solingen verfertigtes Schwert macht ihre +Rüstung aus. + +Ihre Religion ist Fetischdienst, obschon die über sie herrschenden Pullo +den Islam angenommen haben. Aber obgleich sie Heiden sind, stehen sie +keineswegs auf einer ganz niederen Stufe der Cultur; ihre Hütten sind so +regelmäßig und gut angelegt, daß man ihnen gewissermaßen Sinn für +Architektur und Geschmack nachsagen muß; der Boden ist eine Art Mosaik, +welcher von den Frauen eingegossen und festgeklopft wird. Ihre +Hauseinrichtungen, was Töpfe, Holzschnitzereien und andere Gegenstände +anbetrifft, sind kunstvoll und mit Eleganz gearbeitet, ihre Werkzeuge +verfertigen sie selbst aus Eisen. Um im Winter auf den höher gelegenen +Bergtheilen sich besser gegen die Kälte schützen zu können, haben sie +in ihren Hütten eigene thönerne Feuerbetten angebracht. Dieselben +bestehen aus thönernen Bänken, die inwendig hohl sind; hierin wird Feuer +gemacht und so gewähren sie dem darauf liegenden, der die schroffe Hitze +durch Felle und Matten dämpft, eine angenehme Wärme. + +Einer der Hauptstämme ist der der Bolo-Neger, aber je mehr man nach dem +Süden kommt, desto verschiedener werden die Bewohner, was Sprache +anbetrifft, und fast täglich hat man einen anderen Stamm vor sich. Schon +der Umstand, daß sie mich als ersten Weißen unbehelligt ihr Gebirge +durchziehen ließen, spricht zu ihren Gunsten. Allerdings machte auf sie +das Erscheinen eines Weißen den größten Eindruck, und sie bekundeten das +dadurch, daß häufig Männer und Frauen herbeikamen, um mich zu befühlen, +ob ich auch wirklich aus Fleisch und Blut sei, oder daß die ganze Jugend +eines Ortes hinter uns drein zog und "=Thoraua, Thoraua=" (Weißer, +Weißer) rief; aber nirgends war irgend von einem feindseligen Worte, +geschweige einer beleidigenden Handlung gegen mich die Rede. Im +Gegentheil, oft gab man mir zu verstehen, ich möchte doch bald nach +ihren Gegenden zurückkommen. + + + + +5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern. + + +"Es ssalamu alikum" ist die allgemeine Begrüßung der Gläubigen, der +Araber, und folglich aller Marokkaner, die der allein seligmachenden +Kirche Mohammeds anhängen. "Alikum ssalam" ist die Antwort. Beiderseits +muß der Gruß immer mit sichtbarem Ernste, mit einer gewissen +Feierlichkeit ausgesprochen werden; ein freundlich lächelndes Gesicht +würde man für ganz unpassend halten. + +Wie die mohammedanische Religion am Ende weiter nichts will, als die +ganze Menschheit unter _einen_ religiösen Hut bringen, und dies dadurch +zu erreichen hofft, daß sie jeden anderen glauben als absolut falsch +verwirft, so hat dieselbe auf alle Völker, die den Islam bekennen, einen +merkwürdig nivellirenden Einfluß ausgeübt. Und wie hauptsächlich Gewicht +auf das _wörtliche Glaubensbekenntniß_ gelegt wird und eine +fortschreitende _Entwickelung_ in der Religion auf's Strengste verpönt +ist, so sehen wir, daß alle den Islam bekennenden Völker dahin gekommen +sind, wohin der Buchstabenglaube führt: zur offenen Heuchelei, +Scheinheiligkeit und zu einer entsetzlichen Verdummung und Verthierung +des Volkes. + +Durch Alles, was die mohammedanischen Völker thun und reden, zieht sich +immer ein heuchlerischer, muckerhafter und pharisäischer Hauch, auch in +Höflichkeiten. Der durch den Gebrauch Mohammed's geheiligte Gruß: "Der +Gruß (Gottes) sei mit Euch" wird daher auch nie an Ungläubige +verschwendet. Ein ächter Mohammedaner würde glauben, ewig verdammt zu +werden, wenn er hierin nicht einen strengen Unterschied machte. Tritt er +in eine Versammlung, wo Juden und Christen zugegen sind, so unterläßt er +nie zu sagen: "=Ssalam-ala-hali=," Gruß meinen Leuten, oder will er +den Unterschied noch mehr hervortreten lassen, so sagt er: +"=Ssalam-ala-hal-es-ssalam=," Gruß den Leuten des Grußes, d.h. den +Mohammedanern, da selbstverständlich den ungläubigen Hunden kein Gruß +zukommt. Oder auch man sagt. "Gruß Denen, welche die Religion befolgen," +womit selbstverständlich die allein seligmachende Religion des Islam +gemeint ist, alle anderen Religionen, die christliche, die jüdische &c., +führen den Menschen direct vom Diesseits in die Hölle. + +Will ein Marokkaner recht höflich gegen einen Christen oder Juden sein, +d.h. ihn beim Begegnen zuerst anreden, so sagt er wohl: +"=Allah-iaunek=," Gott helfe dir, oder auch: Gott gebe dir zu +essen. Nie aber würde er einen Glaubensgenossen so anreden, denn Alles, +auch die Höflichkeitsbezeigungen, sind streng vorgeschriebene +Redensarten und Handlungen. + +Und es ist eigenthümlich: während äußerlich eine gewisse Gleichheit der +Menschen zu existiren scheint,--denn der ärmste Mann im Lande ist nicht +sicher, eines Tages zum ersten Minister oder gar zum Sultan, zum Chalif +(des gnädigen Herrn Mohammed) gemacht zu werden,--herrscht dennoch ein +strenger Unterschied in den Förmlichkeiten und Gebräuchen des Umgangs +zwischen Hohen und Niedern, zwischen Armen und Reichen, zwischen +Schriftgelehrten und Laien, zwischen Schürfa[6] und anderen gewöhnlichen +Sterblichen. Ist es nicht ähnlich so in der päpstlichen Kirche? Der +Sultan von Marokko betrachtet sich als den rechtmäßigen Nachfolger +Mohammeds, als seinen Verweser auf Erden. Seiner Idee nach gehört von +Rechtswegen die ganze Erde ihm: "Jeder kann Sultan oder Beherrscher der +Gläubigen werden, vornehmlich aber die vom Blute Mohammeds"[7]. Der +Papst andererseits betrachtet sich als rechtmäßigen Nachfolger Petri +(oder als Stellvertreter Jesu Christi, d.h. eigentlich Gottes), seiner +Meinung nach gehört von Rechtswegen die Herrschaft über die ganze Erde +ihm, jeder kann Papst werden, der den Laienstand mit dem schwarzen +Gewande vertauscht; wie der Sultan von Marokko, behauptet er, nicht +fehlen zu können. Wo ist da der Unterschied vor dem _unparteiischen_ +Menschen? Aber eben so groß, wie er in der päpstlichen Kirche zwischen +dem mit dreifach goldener Krone bedeckten Papste und dem einfachsten +Priester der Kirche oder gar dem Bettler ist, so groß ist auch der +Abstand zwischen dem von seinen tausend Weibern umgebenen Sultan und dem +ärmsten Faki des mohammedanischen Reiches. + +Wie es bei uns verschiedene Anreden giebt, so auch bei den Marokkanern. +Der Sultan hat den Titel _Sidina_, unser "gnädiger Herr"; der Scherif, +d.h. ein Nachkomme Mohammeds, den Titel _Sidi_ oder _Mulei_, d.h. mein +Herr; eine Scheriffrau den Titel _Lella_; einen andern Menschen redet +man mit _Si_, _Herr_, an, welches Si dem Namen vorgesetzt wird, _aber +nur, wenn er lesen und schreiben kann_. Andere ganz gewöhnliche Menschen +nennt man einfach bei Namen, sowohl Männer und Frauen, wie Kinder. Will +man solche rufen, so kann man ohne zu verstoßen, falls der Mann +unbekannt ist, sagen: =ia radjel=, o Mann; =ia marra=, o Frau; +=ia uld=, o Sohn; =ia bent= oder =ia bekra=, o Tochter, o +Jungfrau. + +Man muß sich wohl hüten, in Marokko den Titel _Sidi_, mein Herr, +gewöhnlichen Menschen zu geben, nur die Juden müssen alle Gläubigen so +anreden. Auch die Minister, Agha, Kaid, Mufti, Kadi, Imam u.s.w. haben, +falls sie nicht Schürfa sind, kein Recht auf den Titel Sidi. + +Beim _Begrüßen_ sagt man bis Mittag: Dein Tag sei gut; von Mittag bis +Abend: Dein Abend sei gut. Zu jeder Stunde kann man sagen: Sei +willkommen. + +Wenn auch vollkommen Unbekannte beim ersten Anreden sich duzen, so ist +das Duzen doch nicht ausschließlich im Gebrauch. Es würde unschicklich +sein, den Sultan anders anzureden, als in der zweiten Person Pluralis, +ebenso lieben es auch vornehme Personen, namentlich Religionsmänner, +sich in der zweiten Person Pluralis anreden zu lassen. Auch Kinder +pflegen ihre Eltern mit "Ihr" anzureden. Der gebräuchlichste Gruß, +=es ssalamu alikum=, ist ebenfalls in der zweiten Person Pluralis. + +Da eine Begrüßung zwischen Leuten, die sich seit Langem nicht gesehen, +immer unendlich lange dauert, manchmal eine halbe Stunde, so hat man die +verschiedensten Redensarten, um sich nach dem wechselseitigen Befinden +zu erkundigen., "Wie ist dein Zustand?" "Wie ist deine Zeit?" "Wie bist +du?" "Wie ist dein Wie?" "Wie bist du gemacht?" u.s.w. Alle diese +Redensarten werden mit monotoner Stimme wiederholt und man hat wohl +Acht, dieselben mit häufigen "Gott sei gelobt", "o gnädiger Herr +Mohammed" zu untermischen. Je öfterer man Letzteres thut, desto besser +und frommer glaubt man zu sein und für desto heiliger wird man gehalten. + +Es würde ein großes Verbrechen sein, bei den Leuten arabischen Blutes +sich nach dem Befinden der Frau des Anderen zu erkundigen. Und wenn sie +am Rande des Grabes stände, dürfte man das nicht direct thun. Selbst der +Vater, der Bruder würde es nicht für decent halten, seinen +Schwiegersohn, seinen Schwager ohne Umschweife nach der Gesundheit +seiner Tochter, seiner Schwester zu fragen. + +Da aber der Marokkaner ebenso gut den Trieb der Neugier besitzt, wie +wir, so braucht er dann allerlei Umwege, um sich nach dem Befinden einer +Frau zu erkundigen: "Wie befinden sich Adams Kinder?" d.h. alle +Menschen, die Frauen also auch; oder: "Wie geht es dem Zelte?" d.h. mit +Allem was darin ist; oder: "Wie geht es der Familie?"--"Wie befinden +sich deine Leute?" u.s.w. + +Der _Kuß_ ist allgemein verbreitet. Dennoch kennt man nicht den Kuß der +Liebe: den auf den Mund. Man begegnet einander, ergreift die Rechte, +ohne sie zu drücken, und küßt sodann seinen _eigenen_ Zeigefinger. Will +man über die Begegnung recht seine Freude ausdrücken, so wird diese +Procedur sechs- bis achtmal wiederholt. Ein Untergebener küßt einem +Vornehmen den Saum seines Kleides oder ist dieser zu Pferde, das Knie, +die Füße; ist der zu Begrüßende ein großer Heiliger, so kann man auch +dessen Pferd oder irgend einen beliebigen ihm gehörigen Gegenstand +küssen. + +Weiß der Vornehme oder der Heilige, daß der Begrüßer Geld hat oder Geld +schenken will, so giebt er wohl seine Hand zum Küssen, legt dieselbe +segnend auf den Kopf oder wehrt die demüthige Geberde des Begrüßers mit +Worten ab. Ist ein Untergebener zu Pferde, so steigt er schon von Weitem +ab, um einen höher Stehenden zu begrüßen. Zwei Gleiche küssen sich wohl +die Wangen, und will ein Vornehmer oder ein Heiliger Jemand besonders +auszeichnen, so küßt er diesem die Stirn. Kommt ein Vornehmer, so +erheben sich alle Anwesenden und verbeugen sich mit vor der Brust +gekreuzten Armen. Vor dem Sultan, vor dem Großscherif kann man sich auch +auf die Erde werfen, wie beim Gebet, und die Stirn auf den Boden +drücken: "=Allah-itohl-amreck=!" Gott verlängere die Existenz +deiner Seele, ruft man. + +Der Marokkaner verläßt eine Versammlung ohne Gruß; nur wenn er auf +längere Zeit verreisen wollte, würde er es für nöthig halten, sich +förmlich und durch Worte zu verabschieden. Ist aber ein sehr vornehmer +Mann, ein Heiliger in der Versammlung, so geht man zu ihm, küßt seine +Knie, seine Hand oder den Saum seines Kleides und verabschiedet sich +dann, ohne ein Wort zu sagen. + +Schon an anderen Orten ist darauf hingewiesen worden, wie die +marokkanische Geistlichkeit, wenn von einer solchen die Rede sein kann, +ebensoviel auf äußere Ehrenbezeigungen hält, wie die der europäischen +Christenheit. Wenn es auch dort nicht Sitte ist, daß sie sich kenntlich +macht von den Laien durch besondere Tracht (schwarzer Anzug, weiße +Cravate), so liebt es doch Jeder, der sich vorzugsweise dem Studium der +Religion hingiebt, daß man ihn zuerst grüßt, daß er den Ehrenplatz +erhält und daß man auf ihn die meiste Rücksicht nehme. In einem so durch +die Religion fanatisirten Lande ist es daher jedem Reisenden dringend +anzurathen, sich mit dieser Klasse von Menschen gut zu stellen, und da +die mohammedanische Geistlichkeit ebenso wie die christliche besondere +Vorliebe für Geld hat, weil dieses als die erste Bedingung zur +Herrschaft erscheint, so ist es wohl gerathen, den frommen Leuten davon +soviel wie möglich zukommen zu lassen. Wie richtig handelte z.B. Ali Bey +in dieser Beziehung bei seinen Reisen durch Marokko. + +Alle Höflichkeitsbezeigungen in Marokko müssen in fromme Redensarten +gekleidet sein. =Allah-iatik-ssaha, Allah-iaunik=, Gott gebe dir +Kraft, Gott helfe dir, ruft man einem Arbeitenden zu, und wenn einer +niest, so rufe ihm ein =Nedjak-Allah=, Gott rette dich, zu; der +Niesende dankt mit "=R'hamek-Allah=", Gott sei dir gnädig. + +Eine Sitte oder vielmehr Unsitte existirt, die man in Europa auf's +Höchste anstößig finden würde: das laute Aufstoßen während des Essens +und gleich hernach. Der Aufstoßende ruft dann selbstgefällig +"=Stafhr-Allah=", Gott verzeih' es, oder "=Hamd-Allah=". Gott +sei gelobt. Er betrachtet das als Zeichen, daß der Appetit jetzt +gestillt sei, und ebenso fassen die Mitessenden es auf, die ihn +vielleicht heimlicherweise um dies seh- und hörbare Zeichen seines +gesunden Magens beneiden. Jedes Essen, jeder Trunk wird begonnen, wie +überhaupt Alles was man unternimmt, mit =Bsm-Allah=, im Namen +Gottes. Und es würde vollkommen gegen alle Sitte sein, _aufrecht +stehend_ zu essen oder zu trinken. Dem Trinkenden wird ein: +"=Ssaha=", Gesundheit, zugerufen. + +Es würde nicht nur ein Verstoß gegen den guten Anstand sein, wollte man +mit der linken Hand essen, sondern auch den Religionsvorschriften +entgegen sein. Die linke Hand, welche zu gewissen Ablutionen benutzt +wird, gilt für unrein, nur der _Teufel_, der sich aus religiösen +Vorschriften nichts macht, bedient sich seiner Linken. Man darf sich bei +dem _Essen_ nie des _Messers_ bedienen, namentlich das Brod darf _nicht +geschnitten_, sondern muß _gebrochen_ werden. Vor und nach dem Essen muß +man sich die Hände und nach dem Essen die Hände und den Mund ausspülen, +aber sorgfältig darauf achten, daß das zum Mundausspülen benutzte +_Wasser nur aus der hohlen Hand_, nicht aus einem Gefäße genommen wird. +Zum Reinigen des Mundes bedient der wohlerzogene Mann sich nur des +Daumens und Zeigefingers seiner Rechten. Man soll nicht zu schnell +essen, und Derjenige, der einen Vornehmen oder höher im Range Stehenden +bei sich empfängt, darf sich nicht mit an die Schüssel setzen, sondern +muß durch Aufwarten seine Sorgfalt für den Besuch bekunden. Der +Besuchende selbst würde sehr gegen die Lebensart verstoßen, wollte er +sich um seine Bagage oder um seine Diener bekümmern. Daß diese in Obhut +genommen, daß die Dienerschaft mit Speise und Trank versehen, daß die +Thiere abgefüttert werden, darf ihn nicht kümmern, es ist das Sache des +Wirthes. Präsentirt man dir eine Tasse Thee oder Kaffee, so trinke sie +nicht rasch aus, sondern nimm das Getränk _schlürfend_ zu dir; wenn du +beim Speisen bist, so unterlasse es nie, die Hinzukommenden zum Mitessen +einzuladen, und diese, falls sie gleiches Ranges sind, erzeigen sich als +wohlerzogene Leute, wenn sie wenigstens einen _Bissen_ mitessen, selbst +wenn sie satt sind. Sind sie aber niederer Herkunft, so dürfen sie das +Anerbieten nicht annehmen; sind sie hungrig, so erfordert es der +Anstand, sich zu setzen und zu _warten_, bis man ihnen die Ueberreste +reicht. + +Gewisse Gebräuche, als von den unseren abweichend, sind noch besonders +hervorzuheben: + +Man darf keinen brennenden Spahn mit dem Hauche auslöschen, sondern nur +durch Hin- und Herfahren durch die Luft. Wenn man Feuer verlangt zu +einer Pfeife oder um Etwas anzuzünden, so sage man nicht: "gieb mir +Feuer," "=attininar=", denn "=nar=" bedeutet auch das +höllische Feuer, sondern man sagt: "=attini-l'afiah=". Das Wort +"=l'afia=" bedeutet Leben, Gesundheit und Feuer, oder +"=attini-djemra=", gieb mir eine Kohle. + +Höchst unanständig würde es sein, _aufrechtstehend_ ein Bedürfniß zu +verrichten, man muß das in hockender Stellung thun und hernach die +Ablution nicht verabsäumen, oder wo Wasser fehlt, die Ablution durch +Sand vollziehen. + +Man vermeide, mit Schuhen ein Zimmer oder gar eine Moschee zu betreten; +an der Schwelle der Thür müssen sie zurückgelassen werden. Sobald man +Jemand auf der Straße anreden will und hat ihm etwas Ausführliches zu +sagen, dann bleibe man nicht stehen, sondern hocke nieder, _denn im +Stehen lange zu sprechen ist unanständig_. + +Einen Bittenden muß man nie durch eine _abschlägige_ Antwort beleidigen; +"=in-schah-Allah=," so Gott will, sagt man, oder ist der Bittende +zudringlich: "=Rbi-atik=", Gott wird _dir_ geben; ein guter +Mohammedaner darf keinen Zweifel an der Großmuth Gottes hegen. + +Begeht man eine Ungeschicklichkeit, zerbricht oder wirft man aus +Versehen Etwas um, _so verflucht man zuerst den Teufel_, denn der ist +die Ursache alles Uebels; erst dann sagt man: "=smah-li=", verzeih +mir, "=ma-fi-schi-bass=", ist kein Uebel dabei, erwiedert der +Besitzer _laut, innerlich_ aber den Urheber und Teufel zum Teufel +wünschend. Sehr bequem für alle Unfälle sind auch die Redensarten: +"=Mektub-Allah=," es war bei Gott geschrieben, oder +"=Hakum-Allah=," es war von Gott befohlen, oder wenn man einen +lästigen Frager durch eine gerade Antwort nicht befriedigen will: +"=Baid-alia, cha-bar-and-Allah=", das ist weit von mir, Gott weiß +es, oder "=Arbi-iarf=," Gott weiß es. + +Hat man sonst nichts zu thun, stockt eine Unterhaltung, so ruft man +einfach: =Allah= oder =Rbi=, d.h. Gott, _Meister_, oder +=Allah-akbar=, Gott ist der Größte, oder man bezeugt, daß Gott ein +einiger und Mohammed sein Gesandter ist, oder endlich, _man verflucht +die Christen_. Grund und Anlaß zu diesen Reden brauchen nicht vorhanden +zu sein, es gehört aber zum _guten Ton_, sie so oft wie möglich +auszustoßen. + +Für eine empfangene Wohlthat muß immer gedankt werden, wäre sie auch +noch so gering: =Allah-ikter-cheirek=, Gott vermehre dein Gut, oder +=Allah-iberk-fik=, Gott segne dich. + +Auf das Versprechen eines Marokkaners ist nichts zu geben, wenn er auch +von Höflichkeit überfließen würde und die heiligsten Eide, wie "beim +Haupte des Propheten, bei Gott dem Allmächtigen" &c. geschworen hatte. +Es erheischt dann aber auch die gute Sitte, daß man dergleichen Schwüre +nicht genau nimmt, nicht daran erinnert. + +Ist man zum Besuche, so muß man sich ja hüten, die Gegenstände oder den +Besitz des Wirthes zu loben, es könnte das den Verdacht erwecken, als +wolle man Etwas geschenkt haben. Thut man es ja, so füge man immer +hinzu: =Mabruk=. Lobt man z.B. ein Pferd: =mabruk el aud=, das +Pferd möge dir glücklich sein, oder lobt man ein Kind: =Allah itohl +amru=, Gott verlängere seine Existenz. Lobt man einen Abwesenden, so +ist es höflich, wenn man seine Eigenschaften vergleicht mit denen +Desjenigen, zu dem man spricht: "ich traf letzthin mit Mohammed Ben Omar +zusammen, der ebenso viel Geist, ebensoviel Ueberlegung besitzt, _wie du +selbst_." Ueberhaupt ist es Norm, Jedem die größten Schmeicheleien +geradezu ins Gesicht zu sagen: "Bei Gott, wie geistreich du bist, +Niemand ist, wenn es Gott gefällt, so großmüthig, wie du; ich habe, Gott +stehe mir bei, noch keinen so guten Reiter gesehen, wie du einer bist" +u.s.w. Der Geschmeichelte antwortet mit "=Kulschi-and-Allah=", +Alles steht bei Gott, oder mit sonst einer frommen Redensart. + +Bei gewissen Ereignissen im menschlichen Leben haben die Marokkaner ihre +unveränderlichen Höflichkeitsphrasen. Bei einer Verheirathung: "Gebe +Gott, daß sie dein Zelt fülle" (mit Kindern). Wenn ein männlicher +Sprößling geboren wird: "Das Kind möge dir Glück bringen." Zu einem +Erkrankten: "Sorge nicht, Gott hat die Zahl deiner Krankheitstage +gezählt;" zu Einem, der im Gefecht verwundet wurde: "Du bist glücklich, +Gott hat dich gezeichnet, um dich nicht (beim jüngsten Gericht oder beim +Eintritt ins Paradies) zu vergessen." Will man Jemand über den Verlust +eines Angehörigen trösten: "Seit dem Tage, wo er empfangen wurde, stand +sein Tod im Buche Gottes", oder: "es war bei Gott geschrieben." + +Ueber den Verlust der Frau tröstet man noch besonders mit: "Halt deinen +Schmerz an, Gott wird diesen Verlust ersetzen." + +Alle diese Redensarten sind _unveränderlich_, wie bei uns "guten Tag", +"wie gehts" &c. Die Marokkaner haben aber auch noch andere Mittel, um +sich unbemerkt oder durch Zeichensprache ihre Gedanken mitzutheilen. Zum +Beispiel in einer Versammlung wäre es vielleicht wünschenswerth, irgend +Jemand über die Gesinnung oder Absicht dieses oder jenes aufzuklären. Er +blinzelt ihm mit dem Auge zu, reibt die beiden Zeigefinger an einander, +d.h. wir sind oder ihr seid Freunde und verstehen uns oder ihr seid +Gesinnungsgenossen. Ein _kreuzweises Sägen der beiden Zeigefinger_ +würde Feindschaft andeuten. Dergleichen conventionelle Zeichen haben die +Marokkaner sehr viele, wodurch sie reden können, ohne damit in eine +allgemeine Unterhaltung eingreifen zu müssen. Und es wird keineswegs als +ein Act der Unhöflichkeit betrachtet, sich solcher Zeichen zu bedienen. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 6: Nachkommen des Mohammed.] + +[Footnote 7: Sollte ja Einer auf den Thron kommen, der nicht Scherif +wäre, so würde er kraft der Infallibilität, die jeder Sultan der +Gläubigen besitzt, schon Papiere beibringen, um zu beweisen, daß er doch +Mohammeds Blut in seinen Adern habe.] + + + + +6. Beitrag zur Kenntniß der Sitten der Berber in Marokko. + + +Die Berber, welche Nordafrika und besonders den nordwestlichen Theil des +Atlas von Marokko bewohnen, haben mehr als andere dem Islam huldigende +Völker ihre eigenen Sitten und Gebräuche beibehalten. Zum großen Theile +ist die Gemeinsamkeit der Sprache Ursache dieser Eigenthümlichkeit; denn +wie groß auch der Raum ist, den die Berbersprache einnimmt, vom +atlantischen Ocean bis zum rothen Meere, so sind die Dialekte derselben +keineswegs der Art, daß nicht eine Verständigung zwischen den +verschiedenen Stämmen möglich wäre. + +Vorzugsweise finden wir aber Berber in Marokko, denn es dürften von der +Gesammtbevölkerung des Landes zwei Drittel berberischen und nur ein +Drittel arabischen Blutes sein: schlank von Wuchs, weiß von Hautfarbe, +zeigen die Berber überhaupt alle die Merkmale, die wir gewohnt sind, der +kaukasischen Race beizulegen; daß sie die Abkömmlinge der alten Mauren +oder Numider sind, welche unter verschiedenen Namen, als Gätuler, +Autolaler &c., fast dieselben Gegenden inne hatten, die wir heute von +den Berberstämmen bewohnt sehen,--daran zweifelt Niemand. + +So finden wir denn auch heute die Berber so leben, wie sie es vor +tausend Jahren gewohnt waren, d.h. ein Theil von ihnen wohnt in Städten, +wenn man größere befestigte Ortschaften so nennen will, ein anderer +Theil aber wohnt nomadisirend, wie das Mela am Schlusse seines dritten +Buches schon hervorhebt: =hominum pars silvas frequentant et--pars in +ubibus agunt=, und daß heute noch dieselben Verhältnisse in Bezug auf +dies Land und diese Völker gang und gebe sind, daß wir auch heute kaum +mehr vom Inneren Marokkos wissen, als unsere geistigen Vorfahren, die +Griechen und Römer, das wird dann klar, wenn wir die Worte des Plinius +unterschreiben: "ich wundere mich aber nicht sehr, daß Rittern und +Denen, welche aus diesem Orden in den Senat traten, Manches unbekannt +geblieben war; aber darüber wundere ich mich, daß es auch der Luxus +nicht erforscht hat. Die Macht desselben ist die wirksamste und größte. +Denn man durchsucht ja die Wälder um Elfenbein, und alle gätulischen +Klippen um Stachel- und Purpurschnecken[8]." + +Ist es nicht, als ob dieser Passus heute geschrieben sei? Auch heute, wo +der Luxus noch die größte Macht ist, ist es demselben nicht gelungen, +Marokko der Civilisation zu öffnen, vielleicht aber auch, weil eben der +rechte Luxusartikel, der gerade den Bewohnern genehm wäre, noch nicht +gefunden worden ist. + +Der vor ohngefähr tausend Jahren den Berbern aufgedrungene Islam hat +wenig, oder fast kann man sagen, gar keine Veränderungen in den +Anschauungen und in der Lebensweise der Berber hervorgebracht. Die Lehre +Mohammeds, _nur_ in der arabischen Sprache gelehrt, ist für diese +Völker, von denen nur ausnahmsweise ein Individuum der Koransprache +mächtig ist, ein todter Buchstabe geblieben; sogar die äußeren +Vorschriften und Gebräuche, die der Prophet seinen Anhängern +vorgeschrieben hat, sind für Berber nicht vorhanden. + +Nur Eins hat der Islam auch zur Folge gehabt, was ja überhaupt allen +hierarchischen Religionen nur eigen ist und ohne das sie nicht würden +existiren können: das Verdammen einer jeden anderen Religion und Haß und +Verachtung gegen alle Die, welche nicht das glauben, was man selbst +glaubt. Natürlich schließt das ein, daß man die eigne Lehre, den eignen +Glauben für den allein richtigen und allein seligmachenden hält. + +Deshalb ist denn auch die Feindschaft, welche Berber gegen andere Völker +hegen, fast nur eine aus der Religion entspringende; obschon sie nichts +vom eigentlichen Islam verstehen, hassen und befeinden sie alle die +Völker, die eine andere Religion haben. + +Es ist daher falsch, wenn Richardson und andere Reisende behauptet +haben, daß die in Marokko unter den Berbern ansässigen Juden besser +gehalten seien, als die unter den Arabern wohnenden. Die Unterdrückung +derselben, ihre schimpfliche Stellung ist unter den Berbern ebenso groß +und in die Augen springend, wie unter den Arabern. + +Was das häusliche Leben anbetrifft, so liegt zwischen Berbern und den +übrigen Mohammedanern der wesentlichste Unterschied in der Stellung der +Frau; aber auch in allen übrigen, die Sitten und Gebräuche betreffenden +Dingen lassen die Berber bis zum heutigen Tage sich vielmehr vom +_Herkommen_ leiten, als von den Gesetzen des Koran. Aus diesem haben sie +eben nur _das_ angenommen, was ihrer Eitelkeit und Einbildungskraft +schmeichelte. So pflegt denn auch die Heirath vollkommen nach dem +Herkommen, el Ada genannt, stattzufinden. Indeß hat die Frau dennoch +nicht die gleichberechtigte Stellung, wie sie die Frau heute bei _uns_ +einnimmt, sondern wird mehr als Eigenthum des Mannes, als etwas zum +übrigen Vermögen Gehörendes betrachtet. + +In der Heirath _nach uraltem Brauche_, =Suadj el Djidi= oder +Gaislein-Heirath, so genannt, weil das Schlachten eines jungen Zickleins +die eheliche Verbindung besiegelt, verpflichtet sich der Gatte, dem +Vater seiner Zukünftigen 60 Metkal zu zahlen. Hat er das Geld nicht +disponibel, so zählt er auf seine Freunde, und am Schlachttage verfehlen +diese auch nicht, sich einzustellen und Jeder legt dem Freier ein +kleines Geschenk zu Füßen. Im Fall der Freier gar keinen Wohnsitz hat, +beeilen sie sich, Steine herbeizubringen; ein Haus, wir würden sagen ein +Stall, wächst schnell aus der Erde, schlanke Aloë-Stämme giebt es genug +als Gebälk und die großen und langen Rindenstücke der Korkeiche bedecken +die Wohnung. Wenn aber die zur Ehe Verlangte von den Angehörigen dem +Freier aus irgend einem Grunde verweigert wird[9], dann müssen sie, +falls der Liebende auf seinem Heirathsprojecte besteht, wohl aufpassen, +daß sie ihm keine Gelegenheit geben, sich der Wohnung der Geliebten zu +nähern. Thut und kann er das, gelingt es ihm, unvermerkt auf der +Schwelle seiner Ersehnten ein Gaislein zu opfern, dann ist sie ohne +Widerruf mit ihm verlobt und ihre Anverwandten würden sich der +Mißbilligung, ja der Feindschaft Aller aussetzen, wollten sie jetzt noch +der Heirath hemmend in den Weg treten. + +In einigen Triben ist es Sitte, daß die sich Vermählende vor der +Hochzeit von ihren Verwandten auf einem Maulthiere durch das Dorf oder +durch den Duar (Zeltdorf) geführt wird. Ueberall ertönt das gellende +Geschrei und Gejauchze der Frauen, die jungen Leute lassen fleißig das +Pulver sprechen. Vor jedem Hause, vor jedem Zelte, vor welchem sie +vorbei kommt, beeilt man sich, eine kleine Gabe herauszutragen: hier +sind in einem Strohteller große Bohnen, dort wird Gerste, hier werden +trockene Feigen, dort Rosinen präsentirt. Die junge Dame nimmt von allen +Sachen eine Hand voll, küßt sie und wirft dann das Ergriffene auf den +Teller zurück. Aber hinterher schreitet irgend eine ihrer älteren +Verwandten, die nun Alles in einen großen Sack einheimst: zur Aussteuer +für die Neuvermählten. + +Sobald man sich der Wohnung oder dem Zelte des Gatten nähert, wird die +Braut von anderen Frauen umringt, sie geben ihr einen Topf mit flüssiger +Butter, in die sie die Hände tauchen muß als Zeichen des steten +Ueberflusses im Haushalte, und sodann ein Ei, welches sie zwischen den +Ohren des Maulthieres zerschlagen muß, um dadurch böse Zaubereien +unschädlich zu machen. An der Schwelle der Wohnung präsentirt man der +Frau einen Trunk Buttermilch und sie selbst ergreift eine Hand voll Korn +und Salz um dasselbe ebenfalls als Zeichen des Reichthums und Segens +rechts und links auszustreuen. + +Jetzt ergreift der Mann Besitz von seiner Braut und zum Zeichen schießt +er in unmittelbarer Nähe vor ihren Füßen eine Flinte ab, er ergreift das +junge Mädchen und zieht sie ins Innere der Wohnung, während die +Verwandten sich zur allgemeinen Belustigung zurückziehen. Ein zweiter +Schuß im Innern der Behausung ertönt, Zeichen, daß die Heirath vollzogen +ist; die junge Frau erscheint bald darauf an der Hand ihres Gatten, Tanz +und Schmausereien, woran das junge Paar Theil nimmt, beschließen die +Festlichkeit. + +Die Frau ist, wie gesagt, ein Besitz, wie jedes andere Eigenthum des +Mannes, wenigstens bei gewissen Stämmen des Atlas. Stirbt ihr Mann, so +wird der männliche Anverwandte, der der Wittwe zuerst seinen Haïk +(großes wollenes Umschlagtuch)[10] überwirft, ihr rechtmäßiger Gemahl. +Zugleich ist er aber auch verpflichtet, für die etwaigen Kinder zu +sorgen und deren Vermögen zu verwalten. + +Scheidungen finden bei den Berbern statt, aber nie auf so leichte und +grundlose Weise, wie bei den Arabern oder sonstigen Mohammedanern, wie +denn überhaupt alle Berber, mögen sie nun unter dem Namen Tuareg bei +Timbuktu wohnen oder als Kabylen im Djurdjura hausen, entschiedene +Feinde der Polygamie sind. Grund zur Scheidung ist Kinderlosigkeit +(Berber wie Araber halten Kinderlosigkeit immer für Sterilität der +Frauen); der Vater der zurückgeschickten Frau muß das Morgengeld wieder +herausgeben. Ebenso, falls die Frau Infirmitäten bei der Verheirathung +zeigte oder gar schon ihre Virginitas verloren hat, kann sie darauf +rechnen, auf der Stelle zurückgeschickt zu werden. + +Die Tochter ist manchmal dazu bestimmt, das Leben ihres Vaters oder +Bruders mittelst ihrer Sclaverei zu erkaufen, aber nie würde sie für +einen Oheim, Großvater, Vetter oder sonstigen noch entfernteren +Verwandten mit ihrer Person eintreten können; auch herrscht diese Sitte +nur bei einigen Berberstämmen. Jemand begeht z.B. einen Mord oder +Todtschlag in einer anderen Familie, hat aber nicht die Mittel, um die +Diya, d.h. das Blutgeld, bezahlen zu können; will er nun nicht selbst +das Leben opfern, so kann er dem anderen Stamme seine Tochter oder +Schwester als Sclavin überlassen. Diese verliert dadurch völlig die +Rechte einer Freien, wird ebenso angesehen, wie eine Chadem (schwarze +Sclavin) und ist nun vollkommen Eigenthum der anderen Familie geworden. +Aber oft genug kommt es vor, daß die Sclavin, wenn sie jung und hübsch +ist, das Herz eines Jünglings ihrer neuen Herrschaft erobert, ihn +heirathet, dadurch frei und dann zugleich das Freundschaftsband zwischen +zwei ehemals feindlichen Stämmen wird. + +Es kommt häufig vor, daß zwei Männer einen Tausch mit ihren Frauen auf +ganz friedliche Weise zu Wege bringen; derjenige, der das in Beider +Augen häßlichere und weniger werthvolle Weib besitzt, d.h. ein solches, +welches weniger jung und fett als das des Anderen ist, muß einiges Gold +darauf zahlen. Hat aber Jemand seine Tochter einem jungen Manne +versprochen und läßt sich nachher durch Habgier bewegen, sein Wort nicht +zu halten, so entsteht Krieg. Die ganze Familie, die ganze Tribe nimmt +sich sodann des Bräutigams an und sucht mit Gewalt dessen Ansprüche +geltend zu machen. Ehebruch und Verführungen sind äußerst selten, und +obschon in rohen Formen, halten die Berber große Stücke auf +Familienleben. Aus einer im October 1858 veröffentlichten Gesetzgebung +der Kabylen vom Orte Thaslent ersehen wir auch, daß es den Männern +besagter Ortschaft verboten war, mit den Frauen zu disputiren, einerlei, +ob die Frau angreifender Theil war oder nicht. Hatte indeß die Frau +erwiesenermaßen zuerst angefangen, so mußte ihr Mann Strafe zahlen, +sonst aber der, welcher mit ihr Streit gesucht hatte. Die größten und +heiligsten Pflichten glaubt aber der Berber für sein Gemeinwesen, für +seinen Stamm zu haben. Ist dem Araber zuerst die Religion die +Hauptsache, wie denn Mohammed überhaupt, gerade wie es in der römischen +Kirche gelehrt wird, die Nationalität auslöschen will, um an deren +Stelle einen Religionsstaat zu setzen, so hat der Berber, trotzdem auch +er den Islam angenommen hat, dies nie begreifen können. Wenn der Berber +sich auch vorzugsweise gern mit seinem Schwerte gegen die Christen +wendet, so ist's ihm im nächsten Augenblicke aber auch ganz gleich, +dasselbe gegen jedweden Mohammedaner zu ziehen, sobald sich dieser gegen +ihn oder gar gegen seinen Stamm vergangen hat. Der Araber führt auch +Krieg gegen Mohammedaner; die wüthendsten Kämpfe sind ja zwischen +Stämmen arabischen Blutes oder zwischen Arabern und Türken gefochten +worden und entbrennen auch jetzt noch immer wieder. Aber heuchlerischer +Weise gestehen sie das nicht zu, sie behaupten nur gegen die Ungläubigen +zu kämpfen, und die Araber Algeriens z.B., die einst fortwährend mit +ihrer türkisch-mohammedanischen Regierung in Fehde lagen und die so +erbittert gegenseitig auf einander waren, daß sie nicht wußten, auf +welch grausamste Weise sie einander tödten sollten--diese selben Araber +haben jetzt ganz und gar ihre grausame türkische Herrschaft vergessen. +Hört man sie sprechen, so waren die Türken die mildesten, gerechtesten, +gottesfürchtigsten Herrscher, sie waren ja vor allen Dingen "Gläubige", +die Franzosen aber sind Ungläubige, mögen sie noch so gut regieren, sie +bleiben aus religiösem Hasse immer für die Araber die "christlichen +Hunde". Fragt man einen Araber: würdest du gegen die "Gläubigen" +kämpfen? so wird er sicher antworten: "Beim Haupte Mohammeds, Gott hat +es verboten, Gottes Name sei gelobt." + +Der Berber kennt von solchen Heucheleien nichts, und durch manche Stämme +bin ich gekommen, die so wenig auf ihren Islam geben, daß man von ihnen +sagte, sie sind so räuberisch und diebisch, daß, wenn Mohammed in eigner +Person käme und habe ein anständiges Kleid an, sie (die Berber) nicht +anstehen würden, den Propheten auszuplündern. + +Wenn ich vorhin anführte, daß die Ehre der Familie und des eignen +Stammes den Berbern als das Höchste gilt, so ist dies so zu verstehen, +daß sie z.B. denjenigen ihrer Leute keineswegs für ehrlos halten, der +einen Fremden bestiehlt; aber ehrlos würde es sei, wollte Jemand einen +von einem anderen Stamme, der einmal Zutritt erhalten hat oder der gar +die Anaya[11] des Stammes besitzt, bestehlen oder gar ermorden. Daß aber +doch solche Fälle vorkommen, ersieht man daraus, daß die Berber hierüber +und hiergegen ihre eigenen (arabisch) geschriebenen Gesetze haben, die +nicht wie die meisten Gesetze der übrigen Mohammedaner auf den Koran +fußen, sondern aus uralten Ueberlieferungen bestehen und wohl erst im +Laufe der Jahrhunderte von der Tholba zu Papier gebracht wurden. Wie +stark ist z.B. der Gemeinsinn ausgeprägt, wenn es in einem alten +Kabylengesetze heißt: "Der, dem eine Kuh, ein Ochse oder ein Schaf +stirbt, hat das Recht, die Gemeinde zu zwingen, das Fleisch des Thieres +zu kaufen als eine Hülfeleistung.--So will es der Gebrauch." Dies Gesetz +ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Der Verlust des Viehes wird +dem Eigentümer dadurch einigermaßen versüßt, weil er das Fleisch doch +wenigstens verwerthen kann; der Gebrauch will, daß die Quantität, die +Jeder nehmen muß, vom Chef des Ortes bestimmt wird. Sodann ist aber +dieses Gesetz zugleich ein Schlag dem Koran ins Gesicht, denn Mohammed +sagt ausdrücklich, daß Fleisch von gestorbenen oder gefallenen Thieren +als unrein für jeden Mohammedaner "=harem=" d.h. verboten ist. Aber +was ist dem Berber der Koran, wenn es gilt: Einer für Alle, Alle für +Einen! + +Wie stark im Sinne der Gemeinde-Interessen ist nicht auch folgendes +Gesetz: "Der, welcher ein Haus, einen Obstgarten, ein Feld oder einen +Gemüsegarten an Individuen eines anderen Dorfes verkauft, muß davon +seine Brüder, Verwandte, Geschäftsfreunde und die Leute seines Dorfes +überhaupt benachrichtigen, und wenn diese den Kauf rückgängig machen und +sich den Käufer substituiren wollen, so haben sie demselben innerhalb +dreier Tage den Kaufschilling zurückzuerstatten[12]." Durch dieses +Gesetz konnte die Gemeinde verhüten, daß irgend ein ihr mißliebiges +fremdes Individuum bei ihr Zutritt bekam. Es ist wahr, die Gesetze +wechseln bei jeder Tribe, von Dorf zu Dorf, und es ist das ein sicheres +Zeichen, daß seit langer Zeit den Berbern die einheitliche Leitung +fehlt; aber im Ganzen beruhen sie doch auf denselben Grundsätzen. Es ist +eigenthümlich und auch das bekundet das hohe Alter solcher +Gesetzsammlungen, daß die Berber dafür den Ausdruck "=kanon=", ein +Wort, das offenbar griechischen Ursprungs ist, haben und welches, wie +General Daumas meint, eine christliche Reminiscenz in sich schließt. + +In der Gesetzsammlung der Ortschaften, Thaurirt und Amokrom, der großen +Kabylie, vom Herrn Aucapitaine herausgegeben, finden wir ebenfalls die +weltlichen und Gemeinde-Angelegenheiten den kirchlichen übergeordnet und +ausdrücklich hervorgehoben: "Wer sich ins Einvernehmen mit Schürfa, als +da sind vom Stamme der Uled-Ali, Icheliden oder anderen Marabutin setzt, +zahlt 50 Realen Strafe." Wenn man nun weiß, daß die Schürfa, d.h. die +Nachkommen Mohammeds, unter den Mohammedanern ohngefähr dieselbe Rolle +spielen, wie bei uns die Jesuiten, die sich für die besten Nachfolger +Jesu halten, so wird man nicht umhin können, den weisen Sinn und den +gesunden Verstand der Berber zu bewundern. + +Die von den Alten schon erwähnte Vorliebe der Berber für Schmucksachen +und schöne Kleidung[13] besteht auch heute noch. Der größte Ehrgeiz der +Berber besteht darin, in den Besitz eines Tuch-Burnus von schreiendsten +Farben zu kommen, hochroth und gelb sind als Farben besonders beliebt; +kann er es ermöglichen, einen solchen mit Goldstickerei zu kaufen, so +dünkt er sich ein König zu sein. Das Haar tragen die Berber heute nicht +mehr nach einer bestimmten Vorschrift, wie es ehedem vielleicht Sitte +gewesen ist, meist wird der Kopf sogar ganz kahl rasirt, aber alle +halten darauf, einen Zopf stehen zu lassen, meist vom Hinterhaupte +ausgehend. Das Haar der Berber ist durchweg schwarz; die einzelnen +blonden Individuen, die man vorzugsweise im Djurdjura-Gebirge in +Riffpartien und überhaupt längs des Mittelmeeres findet, sind allerdings +manchmal durch einzelne Familien hindurchgehend, aber doch nur +vereinzelt. Ob diese Blonden von gothischer Abkunft, ob sie vandalischen +Ursprungs sind, das wird schwerlich je festgestellt werden; es ist das +auch für das Berbervolk in seiner Gesammtheit höchst gleichgültig, da +der Berber im Ganzen schwarzhaarig ist. + +Es giebt wohl wenig Berberstämme, die nicht Ringe als Schmuck in +Gebrauch haben; hier sind es große Ohrringe, manchmal 2-3 Zoll groß und +aus Silber bestehend, dort kleinere; hier haben ganze Stämme die +Gewohnheit, Oberarm-Ringe zu tragen aus Serpentinstein[14] oder Metall, +dort werden die verschiedenen Finger mit Ringen überladen. Und fast +scheint es, als ob die Männer bei den Berbern der eitlere Theil wären. +Allerdings tragen die Frauen die üblichen Fußringe, manchmal werden +mehrere über einen Knöchel gezwängt; allerdings haben sie ihre Agraffen, +Fingerringe und Haargeschmeide, aber schon das fast durchweg dunkle +Costüm der Frauen aus dunkelblauem Kattun (was in der That bei den +meisten Berberfrauen üblich ist) zeigt, daß die Frauen weniger auf +hervortretende Toiletten geben. + +Was die Waffen der Berber anbetrifft, so sind Bogen und Pfeile längst +durch Schießwaffen verdrängt, nur einige Stämme im großen Atlas, sowie +die Tuareg machen Gebrauch von der Lanze. Alle Berber haben kurze breite +Dolche, viele tragen sie befestigt am Arme, so die Tuareg und die Berber +südlich vom Atlas, andere haben sie im Leibgürtel stecken oder an einer +Schnur hängen. Ihr Schwert ist südlich vom Atlas mehr von gerader Form, +nördlich vom Gebirge ist es das schwach gekrümmte marokkanische; die +Schußwaffen bestehen aus Lunten- und Steinschloßflinten. + +Weil der Islam, der wie andere monotheistische Religionen leicht zu +einer unumschränkten Priesterherrschaft führt, bei den Berbern nicht den +Eingang gefunden hat, wie bei den Arabern, so haben jene sich einen weit +größeren Grad von Freiheit und Freiheitsliebe bewahrt, und weil sie mehr +Sinn für Freiheit haben, deshalb sind sie, man kann es wohl behaupten, +besser als die Araber. Die geknechteten Menschen, einerlei, ob sie von +einer fremden Gewalt oder von einer fremden Nation bedrückt oder von +einer einheimischen, z.B. ihrer eignen Regierung oder ihrer +Geistlichkeit, als Sclaven gebraucht werden, haben sich stets als die +schlechtesten und sittlich am niedrigsten stehenden erwiesen. Deshalb +sind die Araber so heruntergekommen, weil sie alle ihre Tholba für +unfehlbar hielten und Alles glaubten, was im Koran stand. Deshalb stehen +die Griechen auf so niedriger Stufe geistiger Entwicklung, weil sie von +den Türken als Sclaven behandelt wurden; deshalb sind Franzosen, Spanier +und andere romanische Völker weit in sittlicher Beziehung hinter den +freidenkenden protestantischen Germanen zurück. Wir sehen also deutlich, +daß ein Volk, je mehr es auf seine Religionsübungen verwendet, sittlich +um so mehr verkommen ist; denn ohne ungerecht zu sein, können wir sagen, +daß durchschnittlich mehr Sittlichkeit und mehr Bildung in den +protestantischen Ländern herrscht. Die statistischen Zahlen nennen den +Unterschied Derer, die lesen und schreiben können, und geben Aufschluß +darüber, wo größere Achtung vor dem Gesetz und dem öffentlichen +Eigenthum besteht und weniger Verbrechen begangen werden, ob in den +protestantischen, ob in den katholischen Ländern. Aber Niemand wird wohl +behaupten, die Protestanten seien religiöser (freilich sagen unsere +Religionslehrer, die wahre Religion sei nicht bei den Katholiken) als +die Katholiken. Im Gegentheil; die Katholiken gehen fleißiger zur +Kirche, ihr Glaube ist viel inniger und fester, ihre frommen Stiftungen +zahlreicher, ihr ganzes kirchliches Leben ausgedehnter. Aber was ihnen +fehlt, ist die Freiheit des Denkens und die Schulbildung, welche, um den +Menschen sittlich zu machen, nothwendig ist. Ganz ebenso ist es mit den +Mohammedanern; gewöhnt, nur das zu glauben, was ihnen ihr "_Buch_" sagt, +weil dabei eine gewisse Classe von Menschen am besten wegkommt, haben +sie sich zu Sclaven dieses "Buches" und dieser Classe von Menschen +gemacht. Sie haben längst aufgehört, darüber nachzudenken, oder haben +sich eigentlich nie zu dem Gedanken emporschwingen können, ihr "Buch" +einer Kritik zu unterwerfen--der blinde Glaube hat sie dahin gebracht, +wohin sie gekommen sind, und andere Völker, die im blinden Glauben dahin +leben, werden ihnen folgen. + +Der Berber ist davor bewahrt worden: ohne gerade Kritik an den Islam zu +legen, ist er indifferent geblieben. Ohne Contact mit anderen Völkern +hat er allerdings in Bildung und Gesittung keinen höheren Standpunkt +eingenommen, aber er ist frei geblieben und, wie gesagt, die Freiheit +hat ihn geadelt. + +Offenbar würde der Berber deshalb auch eine Zukunft haben, käme er mit +gesitteten Nationen in Berührung, die frei in Beziehung auf Religion +denken. Die Franzosen constatiren mit Genugthuung, daß mit den Berbern +Algeriens leichter umzugehen sei, daß sie sich eher der Civilisation +geneigt zeigen, als die Araber. General Faidherbe, einer der besten +Kenner der Völker Nordafrika's hat dies wiederholt ausgesprochen. + +Was die jetzige Lebensweise der Berber anbetrifft, so ist, wie schon +erwähnt, ein Theil in festen Ortschaften, ein Theil in Zelten wohnhaft, +aber mit Ausnahme der Tuareg treiben sie alle Ackerbau. Auch die in +Zelten auf den Abhängen des großen Atlas lebenden Berber haben ihre +Aecker. Ebenso treiben alle Berber Viehzucht, vorzugsweise die +Zeltbewohner. Auf dem Tell, d.h. dem fruchtreichen Erdboden, halten sie +Rinder-, Schaf- und Ziegenheerden; in der Sahara legen sie sich auf +Kamelzucht. Eigen ist allen die Vorliebe für das Pferd. Mit Recht wird +das Berberpferd ebenso hoch geschätzt, wie das arabische. + +Die Nahrung der Berber ist einfach und fast nur vegetabilisch. Der +höchste Genuß ist ihnen eine Schüssel Kuskussu, eine Mehlspeise, die aus +Gerste oder Weizen bereitet wird und die auch von den Tuareg als das +=Non plus ultra= aller Gerichte geschätzt wird. Eigentliches Brod +in unserem Sinne ist den Berbern nicht bekannt, wohl aber machen sie +Mehlfladen auf einer Stein- oder Eisenplatte. Oder auch Mehl wird +geknetet, mit Speck und Datteln durchsetzt und auf heißem Sande gar +gebacken. Bei allen Berbern werden nur zwei Hauptmahlzeiten, die Morgens +und Abends stattfinden, genossen; letztere ist die reichlichere. Man ißt +allgemein mit der Hand und aus _einer_ Schüssel, die Frauen und Kinder +getrennt von den erwachsenen Männern; für Suppen und flüssige Speisen +hat man hölzerne Löffel. Wenn aber z.B. fünf oder sieben Personen aus +einer Schüssel Suppe essen, so hat man in der Regel nicht mehr als +zwei, höchstens drei Löffel, welche im Kreise herumgehen. Natürlich +wird, da den Berbern alle Möbel, wie Stühle, Bänke und Tische, abgeben, +auf der Erde hockend gesessen, die Schüssel selbst, am Boden stehend, +bleibt in der Mitte. Wird ein Getränk, sei es nun saure Milch oder +Wasser, herumgereicht, so kreist die Schüssel ebenfalls, und wie bei +Arabern, ist es vergönnt, _stehend_ zu essen oder zu trinken. + +Was die geistigen Fähigkeiten der Berber betrifft, so stehen sie +mindestens aus derselben Stufe, wie die Araber, wenn nicht _jetzt_ +höher. Daß sie bedeutend empfänglicher für Civilisation sind, als die +Araber Nordafrika's, habe ich schon hervorgehoben; der freiwillige +Besuch, den Tuareg-Häuptlinge vor einigen Jahren in Paris machten, ist +ein glänzendes Zeugniß davon. In Algerien arbeiten Berber des +Djurdjura-Gebirges oder aus dem marokkanischen großen Atlas gern bei +Christen; der durch die Religion fanatistrte Araber faullenzt und +hungert lieber, als daß er sich herabließe, bei den Christen zu +arbeiten. Aber zu einer guten Entwicklung des Berbervolkes wäre +allerdings der Contact mit religiös vorurtheilsfreien Nationen, +namentlich protestantischen, nothwendig. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 8: Plinius, Naturgeschichte Bd. 5.] + +[Footnote 9: =v. Feraud, reveue africaine 1862=.] + +[Footnote 10: =v. Feraud, revue africaine 1862=.] + +[Footnote 11: Anaya ist das, was die Araber Aman, d.h. Sicherheitsbrief, +=sauf conduit= nennen.] + +[Footnote 12: =Journal Akhbar, Algèr 1858=.] + +[Footnote 13: _Strabo_ im XVII. Buche, übersetzt v. _Venzel_: "Sie +träufeln sich sorgfältig ihr Haupthaar und ihren Bart, tragen zur Zierde +Gold auf den Kleidern, reinigen sich die Zähne, beschneiden die Nägel +und selten wird man, wenn sie miteinander spazieren gehen, sehen, dass +Einer dem anderen gar zu nahe kommt, aus Furcht die Frisur desselben zu +verderben."] + +[Footnote 14: Werden in Europa zu diesem Gebrauche verfertigt und von +Mogador und anderen Hafenstädten aus importiert.] + + + + +7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker. + + +1. _Goro- oder Kola-Nuß_. + +Die Goro- oder Kola-Nuß, =cola acuminata R. Br.= oder =sterculia +acuminata Pal.=, ist eines der verbreitetsten Reizmittel bei den +centralafrikanischen Völkern. Diese Nuß, von der Größe einer dicken +Kastanie, wächst auf einem staudenartigen Baume, welcher ähnlich dem +Kaffeebaume ist. Die Blätter desselben sind gummibaumartig. Man findet +diesen Baum oder diese Staude an der ganzen Westküste von Afrika, +hauptsächlich auf dem sogenannten Kong-Gebirge, aber nach dem Innern zu +scheint dieselbe nicht weit vorgedrungen zu sein; auf dem Gora-Gebirge +z.B., einem Gebirgsstock, zwischen Tschad-See, Bénue und Niger gelegen, +fehlt die Goro-Staude. Wild wächst sie in einer Oertlichkeit, Namens +Gondja. Oestlich von Sierra Leone scheint aber die Goro-Staude auch +durch die Neger angebaut zu werden. + +Heinrich Barth sagt, daß die in Timbuktu vorkommende Goro- oder, wie er +schreibt, Guro-Nuß aus den Provinzen von Tamgrera, von Tente und Koni +komme, daß die auf dem Markte von Kano vorkommende hingegen aus der +nördlichen Provinz Assanti's komme, von einer Stadt, Namens Sselga. + +Man unterscheidet die echte Goro-Nuß, deren Inneres dunkelrosenfarbig, +von angenehmem bitteren Geschmacke und nicht schleimartig ist, mit einer +Abart derselben, ebenfalls inwendig roth, aber weniger bitter und einen +gummiartigen Schleim beim Zerkauen abgebend. Diese beiden sind bekannt +unter dem Namen =sterculia acuminata=. Sodann die weiße oder +unechte Goro-Nuß, die nur an der Küste vorkommt und am wenigsten bitter +ist. Es ist dies die =sterculia macrocarpa=. + +Nach Barth unterscheidet man sodann in Kano je nach der Größe der Frucht +vier besondere Arten: =guria=, die größte, oft 1-1/2 bis zwei Zoll +im Durchmesser haltend, die =marssakatu=, die =soara-n-naga= +und die =mena=. Nach ihm (Band V. S. 28) unterscheidet man in Kano +dann die je nach der Jahreszeit geernteten: die =dja-n-karagu=, die +erste, welche Ende Februar, die =gummaguri=, die später und die +=nata=, welche zuletzt gesammelt wird und die sich am längsten +halten soll. In Timbuktu fand Barth drei verschiedene Arten. Aber alle +diese Unterschiede sind nicht durch wesentliche Verschiedenheiten der +Nuß selbst bedingt, sondern bestehen nur in willkürlich oder durch +Gewohnheit angenommenen Merkmalen der Neger. + +Wird die Goro-Nuß alt und trocken, so wird die Oberfläche mehr runzlig +und das Fleisch erhärtet fast wie Holz und nimmt eine braunrothe Färbung +an. In diesem Zustande wird sie Kola-Nuß genannt, denn nur frische Nüsse +heißen Goro. Der Geschmack der Nuß ist aromatisch bitter, etwas +adstringirend und zerkaut färbt sie den Speichel gelb-röthlich. Sie +hinterläßt einen süßlichen, süßholzartigen Nachgeschmack. Es unterliegt +keinem Zweifel, daß die Goro-Nuß auch tonisch wirkt. Dieser angenehme, +bitter-süße Geschmack ist aber nur bei frischen Nüssen zu bemerken, +getrocknet verlieren die Kola-Nüsse fast jeden Geschmack, es ist dann +fast, kaut man sie, als ob man ungebrannte Kaffeebohnen kaute. Aber auch +in diesem Zustande müssen sie noch wirksame Bestandtheile besitzen, denn +nur so kann man es sich erklären, daß die Kola-Nüsse noch eine so große +Verbreitung und Anwendung haben. + +Die Araber, welche mit den Sudanländern Verbindung haben, schreiben der +Goro-Nuß aber auch eine starke erotische Kraft zu und gerade dieser +Eigenschaften wegen kauen sie dieselbe; außerdem behaupten sie, und dies +gewiß mit Recht, daß die Nuß Appetit erregend sei und namentlich der +Tabak besonders gut darauf schmecke. + +Natürlich kann sich, was räumliche Verbreitung anbetrifft, die Goro-Nuß +keineswegs mit Thee, Kaffee, Tabak, Opium oder gar alkoholartigen +Getränken messen; wenn wir aber bedenken, daß mehr oder weniger alle +Bewohner des nördlichen und nordcentralafrikanischen Continents von +diesem Stimulans Gebrauch machen, so liegt doch wohl die Frage nahe, +_weshalb_ ist die Goro-Nuß so allgemein in Aufnahme gekommen, _warum_ +ist dieselbe heute gewissen Stämmen centralafrikanischer Völker ebenso +unentbehrlich geworden, wie den meisten civilisirten Völkern der Thee +oder Kaffee? + +Die meisten Individuen, die Gebrauch von Thee oder Kaffee machen, +wissen nichts von den eigentlichen chemischen Eigenschaften dieser +Vegetabilien. Sie haben wohl nie von Koffein gehört; sie würden gar +nicht verstehen, wollte man ihnen sagen, daß unsere Physiologen und +Chemiker dem Thee und Kaffee directe Wirkungen auf das Gehirn +zuschreiben, und dennoch genießen sie unablässig entweder das eine oder +das andere Getränk oder auch beide; sie würden sich vollkommen +unglücklich fühlen, wollte man sie dieser Genüsse berauben. Die schon +mehr Verständigen versuchen wohl die Ausrede, der Kaffee wirke tonisch, +der Thee adstringirend, aber der große Haufe nimmt Kaffee und Thee zu +sich, weil beide Getränke ihm _unbewußt_ ein _undefinirbares_ Vergnügen +und Wohlbehagen verschaffen. + +Als ich von meiner Reise nach Centralafrika auf dem Rückwege Sierra +Leone berührte, fand ich in der Hauptstadt dieser Halbinsel, in +Freetown, auf dem dortigen Markte einen großen Vorrath Goro-Nüsse beider +Arten. Ganz auf dieselbe Art verpackt, wie die Neger sie von den +Küstenländern in das Innere von Afrika forttransportiren, d.h. zwischen +feuchtem Moose gelagert und das Ganze in einem Bastkorbe verpackt, nahm +ich einen solchen Korb voll mit nach Europa; die Nüsse hielten sich +vortrefflich frisch. In Deutschland angekommen, schickte ich denn auch +sogleich an meinen Gönner und Freund, unseren berühmten Chemiker, Baron +Liebig, eine Partie Nüsse. Eine davon, welche gepflanzt wurde (im +botanischen Garten der Universität), gedieh bis zum Jahre 1869 zu einer +kräftigen Staude mit prächtigen, saftgrünen Blättern. Aber am +interessantesten war für mich, daß v. Liebig mir mittheilte, daß er in +den Goro-Nüssen mehr Koffeïn gefunden habe, als verhältnismäßig in den +Kaffeebohnen selbst vorkomme. Man kann also dreist sagen, daß auch bei +der Goro-Nuß, wie beim Kaffee oder Thee, das unbewußt Anziehende der +Koffeïnstoff ist. + +Der Preis der Goro-Nuß ist sehr verschieden, je nach der Oertlichkeit +und je nach der Größe und Art der Frucht. Weiße Nüsse gelten an der +Küste Westafrika's 3000 Stück einen M.-Th.-Thaler, also das Stück eine +Muschel. Rothe, namentlich wenn sie groß sind, gelten aber auch hier +oder in der eigentlichen Heimath das Stück fünf Muscheln. Nach Barth +schwankt je nach der Jahreszeit, nach ihrer Größe und Güte der Preis +einer Nuß in Timbuktu zwischen 10 und 1000 Muscheln. In Kuka steigt der +Preis bei schlechten Ernten, bei mangelhaftem Transport (ein Esel kann +circa 6000 Nüsse transportiren), oder bei gehemmtem Karawanenverkehr, +manchmal auf 500, ja auf 1000 Muscheln für eine einzelne Nuß. Aber so +groß ist die Begierde der Neger nach diesem Artikel, daß auch dann sich +noch Käufer finden. Unter solchen Umständen theilt man sich gegenseitig +die kleinsten Stücke mit, ja unter den gewöhnlichen Leuten ist so wenig +Ekel, daß sie keineswegs Anstoß daran nehmen, von einem besser Situirten +ein schon halb ausgesogenes und abgekautes Stückchen Nuß zu empfangen, +es in den Mund zu nehmen, um es vollends seiner bittern und aromatischen +Substanz zu berauben. + +In allen Ländern Bornu's, Socoto's, Gando's, Yoruba's &c. ist die +Uebersendung eines mit Goro-Nüssen gefüllten Korbes Seitens des Sultans +oder Fürsten an den Fremden das Zeichen der Freundschaft und des +Willkommens. Je größer die Nüsse, je gefüllter der Korb ist, eines um +so besseren Empfanges kann man versichert sein. Und wie der Türke jeden +Besucher mit einer Pfeife und einer Tasse Kaffee ehrt, so gehört es mit +zum guten Ton in den civilisirten Negerländern, dem Fremden mit einer +Goro-Nuß aufzuwarten. Sind die Nüsse selten oder wegen der Jahreszeit +oder des Transportes theuer, so theilt man sie mit seinem Gefährten. + + +2. _Tabak_. + +Von allen betäubenden Mitteln, die zugleich aufregend wirken, ist wohl +keines verbreiteter als Tabak, und wenn man zu der Annahme berechtigt +ist, daß die Tabakpflanze sich _nur_ von Amerika aus verbreitet hat, +Amerika aber erst seit einigen Jahrhunderten für die übrige Welt +erschlossen wurde, so muß man noch mehr staunen. Afrika, dieser compacte +Erdtheil, der sich allen Culturbestrebungen bis jetzt verschlossen +gezeigt hat, hat die Tabakspflanze bis zu seinem innersten Centrum +dringen lassen. Nicht etwa, daß der Tabak, einmal eingeführt, sich +selbst den Weg gebahnt hätte, wie gewisse Culturpflanzen und auch +Unkraute es thun, indem sie mit unwiderstehlicher Macht _von selbst_ +vorwärts dringen, es sind die Menschen, die Eingeborenen dieses +Erdtheiles selbst die Träger und Verbreiter dieser Pflanze gewesen. Und +es giebt wohl keine Art und Weise, den Tabak zu nehmen, die nicht in +Afrika Anwendung fände; hier raucht man, dort wird geschnupft, hier kaut +man, dort wird Tabak als medizinisches Heilmittel gebraucht. Ja, +Duveyrier[15] behauptet sogar, "daß arabische Frauen, mit elf Jahren +verheirathet, Mütter mit zwölf Jahren, mit zwanzig Jahren schon +Greisinnen, den Tabak als ein Aphrodisiacum gebrauchen, indem sie sich +gewisse Körpertheile mit pulverisirtem Tabak bestreuen". + +Von verschiedenen Forschern ist die Frage ausgeworfen worden, ob bei der +in Afrika durchgängigen Verbreitung des Tabaks die Pflanze nicht dort, +wie in Amerika, _ureinheimisch_ gewesen sein könne. Ich wage hierüber +kaum eine Meinung, vielweniger noch eine Entscheidung abzugeben. Am +verbreitetsten in Afrika ist jedenfalls der Bauerntabak, =Nicotiana +rustica=; aber auch der virginische Tabak, =N. tabacum L.=, +findet sich in Afrika. Schweinfurth fand ihn bei den Monbuttos und im +Tell von Algerien wird er durchweg gebaut. Indeß ist es, meine ich, kaum +ein Grund, zu glauben, Nicotiana rustica dürfe darum ureinheimisch in +Afrika sein, weil einige Völker ein eignes Wort dafür in ihrer Sprache +besitzen und nicht eins, welches von "Tabak" abgeleitet sei oder damit +in Verbindung stehe; auch für andere Gegenstände, von denen wir bestimmt +wissen, daß sie ihnen von Außen zugebracht sind, haben sie oft genug das +Originalwort verworfen und dafür ein neues, von ihnen erfundenes oder +aus ihrer Sprache entlehntes an die Stelle gesetzt. Sodann kommt noch in +Betracht: kann die =Nicotiana rustica= auf anderem Boden und unter +anderen klimatischen Verhältnissen sich in tabacum veredeln oder ist +eine Rückbildung von einer zur anderen Seite unmöglich? Verschiedene +Tabakbauern haben mir gesagt, daß derartige Beobachtungen gemacht wären. + +Am allgemeinsten ist unter den verschiedenen Weisen den Tabak zu +nehmen, das Rauchen verbreitet, und wenn es auch Stämme und Völker +giebt, die blos schnupfen oder kauen, so giebt es andererseits auch +Völker in Afrika, bei denen Männer und Frauen, ohne Ausnahme, der +Gewohnheit des Rauchens huldigen. So z.B. die Kadje- und Bussa-Neger, +die Tuareg. "=Chez les Touareg=," sagt Henry Duoeyrier S. 184, +"=hommes et femmes fument et quoique la fumée du tabac rustique soit +très acre, hommes et femmes la rendent par le nez=." + +Unsere Damen in Europa könnten also an den afrikanischen in dieser +Beziehung lernen, denn mit Ausnahme der polnischen Aristokratie rauchen +bei den _übrigen_ europäischen Völkern nur die Damen des =demi +monde=. + +Während aber wir Europäer zum größten Theile den Tabaksrauch nur in die +Mundhöhle einziehen, saugen die afrikanischen Völker den Rauch derart +ein, daß die _ganze Lunge_ davon erfüllt wird: der immer mehr oder +weniger mit Nicotin geschwängerte Tabak tritt also bei ihnen vermittelst +der Lungenbläschen und der Capillarblutgefäße direct ins Blut über. +Natürlich folgt daraus, daß bei diesen Leuten ein schneller Rausch +eintritt. Dieser Tabaksrausch scheint aber aller angenehmen +Eigenschaften zu entbehren, vielmehr nur in einer Art von +Bewußtlosigkeit zu bestehen. + +Für die allgemeine Verbreitung des Tabaks spricht auch noch der Umstand, +daß man in Afrika die einfachsten Gefäße, um den Tabak "rauchen" zu +machen, nebst dem raffinirtesten, der Narghile, im Gebrauch hat. Ed. +Mohr sagt aus, daß die Matchele-Neger einen Kegel aus Thonerde auf dem +Boden formen, oben eine topfartige Höhlung hineindrücken, diese mit +Kohlen etwas trocken brennen und siehe da, der Pfeifenkopf ist fertig. +Sie füllen Tabakblätter hinein, bohren seitwärts ein Rohr ein, und +nachdem nun das Kraut entzündet, kann das Rauchen beginnen. Weit +complicirter ist das von Fritsch u.A. beobachtete Rauchen aus +Antilopenhörnern, die schon eine rohe und primitive Narghile-Flaschen +andeuten. Ganz auf ähnliche Art rauchen Abessinier und Galastämme aus +Thonkrügen oder Flaschenkürbissen. Von den Monbutto sagt Dr. +Schweinfurth[16]: "Sie rauchen aus einer Pfeife primitivster, aber +durchaus praktischer Art, indem sie als Rohr die Mittelrippe eines +Bananenblattes verwenden. Die vornehmsten unter ihnen lassen sich indeß +von ihren Schmieden ein eisernes Rohr, gleichfalls von den Dimensionen +des aus Bananenlaub geschnittenen (etwa fünf Fuß lang), herstellen. Das +untere Ende dieses Rohrs ist geschlossen und statt dessen seitlich, kurz +vor dem Ende, ein Einschnitt gemacht, in welchen eine mit Tabak gefüllte +_Düte von Bananenlaub_ gesteckt wird, die als Pfeifenkopf dient." + +Aber wer wollte alle die Arten und Weisen aufzählen, auf welche +afrikanische Völker Tabak rauchen. Ich führe nur noch an, daß die an den +Ufern des Bénue lebenden Stämme den Tabak aus Thonköpfen rauchen, +ähnlich den unsern, und daran haben sie so lange Rohre, daß die Pfeife +im Stehen geraucht werden kann. Diese Stämme, namentlich die +Bassa-Neger, sind so verpicht auf's Rauchen, daß sie z.B., gehen sie zu +Boot, eigens im Schiffe ein Feuer unterhalten, um jederzeit ihre Pfeife +wieder anzünden zu können. Die in den Berberstaaten nomadisirenden oder +seßhaften Berber und Araber bedienen sich ohne Ausnahme eines +_Röhrenknochens_ vom Schafe oder von einer Ziege. In das eine Ende der +Knochenröhre wird der Tabak eingestopft und dann direct durchs andere +Ende der Dampf eingesogen. Die Städtebewohner Nordafrika's huldigen der +Narghile oder den Papiercigaretten. Die eigentliche Cigarre, also das +Tabakrauchen unmittelbar, hat bei den Eingeborenen Afrika's bis jetzt +wenig Anklang gefunden. + +Weniger gebräuchlich ist in Afrika die Sitte des Tabakkauens. Ich selbst +beobachtete das Tabakkauen nur bei Tebu und einigen Negerstämmen am +Tschad-See. Man nimmt dazu keinen besonders präparirten Tabak, sondern +dieselben Blätter, welche Andere auch geraucht haben würden. Aber +allgemein ist Brauch, den Saft des zerkauten Tabaks noch dadurch zu +verschärfen, daß man Trona (kohlensaures Natron), welches in vielen +Theilen Afrika's gefunden wird, hinzusetzt. Besondere Behälter, des +Beschreibens werth, um Tabak und Trona aufzubewahren, haben die +Eingeborenen nicht; irgend ein alter Lappen oder der Zipfel eines +Kleides dient dazu. + +Noch weniger gebräuchlich ist das Prisen, es ist gewissermaßen +Privilegium vornehmer Eingeborener. Der zu schnupfende Tabak wird +äußerst fein gestoßen und sodann mischen die meisten dazu noch ein +Achtel kohlensaures Natron. Reiche und angesehene Leute in Marokko +erlauben sich heute auch den Gebrauch einer europäischen +Schnupftabaks-Dose oder sie haben eine aus Ebenholz gefertigte große +Birne, welche den Schnupftabak birgt. Aber in letzterer ist immer nur +ein kleines Loch, verschlossen durch einen hölzernen Stöpsel. Und +hierbei bemerke ich, daß die frommen mohammedanischen Leute wie bei +uns[17] das Rauchen für sündhafter halten, als das Schnupfen. In Marokko +rauchen selten die Schriftgelehrten, aber alle schnupfen. Zum +Aufbewahren des Schnupftabaks haben die Völker von Mandara eine +ausgehöhlte Bohne, Schotensame eines Baumes. Diese Bohnen haben +anderthalb bis zwei Zoll Durchmesser, sind aber ganz glatt; durch eine +kleine Oeffnung bringt man den Tabak hinein und heraus. Eine sehr +beliebte Methode, den Schnupftabak aufzubewahren, ist, ihn in ein Stück +Zuckerrohr zu schütten, dessen eines Ende mit einem alten Lappen +verschlossen wird.--Afrika hat jedenfalls eine bedeutende Zukunft für +den Anbau des Tabaks. Die in Algerien gezogenen Tabakssorten sind +vortrefflich, aus Centralafrika von mir mitgebrachte Sorten (auf dem +Markte von Kuka gekauft) wurden in Bremen für ausgezeichnet erklärt. Und +der Tabak scheint in Afrika überall zu gedeihen, denn selbst in den +heißesten Oasen der Sahara findet man Tabaksfelder und jeder Neger zieht +in der Regel seinen Tabaksbedarf in seinem eigenen Garten. + + +3. _Kaffee und Thee, Lakbi, Tetsch und andere alcoholartige Getränke_. + +Man kann keineswegs behaupten, daß Kaffee irgendwo in Afrika ein so +nationales Getränk geworden ist, wie bei verschiedenen Völkern in +Europa. Und gerade da, wo er am billigsten für das Volk herzustellen +wäre, scheint er am wenigsten im Gebrauch zu sein, nämlich in den +südabessinischen Provinzen. Dort, wo die Staude oder der Kaffeebaum +überall wild wachsen und von wo sie erst im Anfange des 15. Jahrhunderts +nach Arabien importirt wurden, scheinen die umwohnenden Völker kaum die +Anwendung der Bohne zu kennen; die Abessinier aber trinken keinen +Kaffee, weil sie dadurch zu sündigen glauben, sie meinen nämlich, +Kaffeetrinken sei nur den Mohammedanern eigen. + +Der Kaffee wird in Afrika überall ohne Milch genommen, und die Art ihn +durchzuseihen, ihn zu filtriren oder blos durch einen Aufguß heißen +Wassers herzustellen, ist ungebräuchlich. "Kaffee machen" ist bei allen +afrikanischen Völkern nur eine "=decoctio="[18]. Und zwar wird nur +nach augenblicklichem Bedarfe Kaffee für eine Person, höchstens für drei +bis vier Personen, in kleinen Gefäßen gekocht. Der auf's Feinste zu Mehl +gestoßene Kaffee wird in ein kleines eisernes, mit kochend heißem Wasser +gefülltes Gefäß gethan, dann läßt man diese Mischung einige Male über +Kohlen aufkochen und das Getränk ist fertig. Diese Kochgefäße sind so +klein, daß wenn z.B. für eine Person Kaffee bereitet wird, dasselbe +auch kein größeres Quantum Wasser aufnehmen kann, als jene bekannten +sogenannten türkischen Tassen fassen. + +In ganz Afrika, von Aegypten bis Marokko, von Tripolis bis nach Kuka, +wird auf _diese_ Art der Kaffee bereitet. Aber wie Kaffee in allen +diesen Ländern nur als eine Leckerei betrachtet wird, so findet man +Kaffeehäuser nur in größeren Orten; bei nomadisirenden Stämmen erlaubt +sich höchstens noch der Schech oder Kaid einer Tribe den Luxus einer +täglichen Tasse Kaffee; überhaupt kann man sagen, ist Kaffeeverbreitung +nur nördlich vom Atlas. In den Oasen Tafilet, Draa und Tuat sind die +wenigen Kaffeehäuser zu zählen und die Besitzer müssen meistenteils noch +irgend einen anderen Erwerbszweig nebenbei betreiben, um leben zu +können. In Fesan besteht nur Ein Kaffeehaus in der Hauptstadt Mursuck, +und der Eigentümer ist ein nach diesem Orte verbannter Türke, sonst +würde vielleicht gar keins vorhanden sein. In Kuka, in Bautschi, in +Kano, in Timbuktu sind Kaffeehäuser unbekannt. Man kann also im +Allgemeinen sagen, südlich vom 30° nördlicher Breite hört in Afrika der +Gebrauch des Kaffee's auf; denn wenn auch behauptet wird[19]: "der Sohn +der Wüste trinkt seinen Kaffee ungemischt und den schwarzen, aber +wahrhaften Satz sammt dem Aufguß; zuweilen bringt er es auf 80 Schälchen +am Tage," so ist Ersteres richtig, alle Mohammedaner trinken den Kaffee +mit dem Satze; aber wo wäre der Beduine, und wäre er selbst Chef einer +Tribe, der die Mittel hätte, 80 Tassen Kaffee zu bezahlen? Kaffee ist +nur Luxusgetränk in ganz Afrika, d.h. in dem Sinne, als Kaffee im +Allgemeinen zu theuer ist, um als Volksnahrungs- oder Reizmittel gelten +zu können. Schon der erste Anlaß, wie der Kaffee unter den Arabern in +Yemen Aufnahme gefunden, spricht dafür, wenn auch das Ganze eine Fabel +ist, daß in demselben Etwas enthalten sein muß, was eine +unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Man erzählt nämlich, ein armer +Derwisch habe bemerkt, daß seine Schafe und Ziegen jedesmal nach dem +Abweiden einer gewissen Staude äußerst heiter und lustig gewesen seien, +und als er sodann selbst von dieser Staude Blätter genossen, habe er +dieselbe Wirkung verspürt. + +Die Sitte, Gischr, d.h. einen Absud von Kaffeehülsen zu trinken, wie Hr. +v. Maltzan dies in Südarabien beobachtete, kennt man in Afrika nicht. Es +hat dies übrigens gar nichts zu Verwunderndes. Denn nach Untersuchungen +von Stenhouse enthalten die Blätter des Kaffeebaumes mehr Koffein als +die Bohnen[20], also werden die Hülsen der Bohnen auch wohl das +belebende Princip enthalten. Ebenso fand ich nicht den Gebrauch des +Milchzugießens, den Maltzan auch an einigen Orten Südarabiens +beobachtete. Abeken auf seiner Reise nach Oberägypten und Nubien fand +dort Leute, die eine Abkochung aus rohen, ungebrannten Bohnen +bereiteten. Abeken fand diese Kaffeebereitung so angenehm und +schmackhaft, daß er in seinen letzten Lebensjahren immer nur eine +Decoction aus ungebrannten Bohnen trank. Mir ist dieser Gebrauch +nirgends vorgekommen. + +Noch weniger hat sich der Thee einbürgern können; aber während der +Kaffeegebrauch im Osten von Nordafrika vorwiegend ist--denn Aegypten +allein consumirt mehr Kaffee, als Tripolitanien, Tunesien, Algerien, +Marokko und die Sudanländer zusammen--ist hingegen der Verbrauch von +Thee im Westen von Nordafrika größer. Marokko bezieht mehr Thee als alle +übrigen Länder Nordafrikas zusammen. Während nach Marokko jährlich +wenigstens 5000 Kisten Thee importirt werden, bedarf Aegypten, welches +doch eine ungefähr gleiche Bevölkerung hat, so wenig, daß unter den +amtlich genannten Einfuhrartikeln vom Jahre 1868 Thee nicht genannt +wird. Bibra[21] in seinem unten citirten Werke hat also vollkommen +Recht, wenn er S. 66 sagt: "Von zweien solcher Aufgußgetränke mit allen +ihren physiologischen Wirkungen auf den Organismus ist eins aber sicher +überflüssig," und hier hat der Instinct der Menge entschieden. Beide +herrschen nirgends neben einander, sondern eines derselben wird stets +als Luxusgetränk consumirt und erscheint nur ausnahmsweise irgend einem +einzelnen Individuum angemessener, als das allgemein eingeführte. Im +Süden findet man auf allen großen Märkten, so in Kuka, wie in Kano, +Saria und Timbuktu, Thee zu kaufen. + +Thee wird in Afrika nie allein bereitet; der Eingeborene von Aegypten +schüttet ebenso gut wie der Tunesier und Marokkaner zu den Theeblättern +einige Münzblätter oder auch Absynth, Luisa und andere aromatische +Kräuter. Denn so wie man in Marokko den Thee braut, so wird er in ganz +Afrika bereitet. Marokko ist ja der Religionsstaat schlechtweg, und wie +alle mohammedanischen Afrikaner Malekiten sind wie die Maghrebiner, so +bekommen sie auch vorzugsweise von Marokko in allen Gebräuchen, +namentlich wenn diese irgendwie mit der Religion in Verbindung stehen, +ihre Parole. Thee ist aber ein religiöses Getränk. Es _giebt_ fromme +Schriftgelehrte, die Kaffee nicht trinken, weil Kaffee _gebrannt_ werden +muß, Mohammed aber an irgend einer Stelle im Koran sagt: "Alles, was +verbrannt ist, ist verboten." + +Die Afrikaner trinken nur grünen Thee, eine ziemlich geringe Sorte, der +ihnen fast ausschließlich von den Engländern zugeführt wird. Die +eigenthümliche Sitte, die Barth in Timbuktu beobachtete, daß man Thee +und Zucker zusammen verkauft, als ob beide Waaren unzertrennlich wären, +beobachtete ich auch an verschiedenen Orten. Denn wenn man in Afrika bei +den Meisten bemerkt, daß sie den Kaffee bitter trinken, pflegen sie den +Thee jedoch so stark zu süßen, daß an vielen Orten Thee ohne Zucker und +Zucker ohne Thee nicht gedacht oder verkauft werden kann. Man kennt +nirgends die Sitte, Thee und Milch zusammen zu mischen. In vielen +Städten Nordafrika's genießen statt des Thee's verschiedene Leute einen +Aufguß von Gewürzen. Ingwer, Nelken, Muscatblüthen werden mit heißem +Wasser übergossen und zu dieser Infusion etwas Zucker gesetzt. + +Bedeutend volkstümlicher ist Lakbi, ein aus dem Safte der Dattelpalme +gewonnenes Getränk. Man findet Lakbi in ganz Nordafrika im Gebrauch vom +c.25° ö.L.v.F. an, dann im Westen von Nun, im Draathal, in Tafilet und +Tuat wird nirgends Lakbi getrunken. Aber in Djerid, in den Oasen +südlich von Konstantine, in ganz Tripolitanien, einschließlich der +großen Oase Fesan bis nach Aegypten hin, findet man in allen Palmhainen +immer Bäume, die angezapft sind. Man zieht die männliche Palme zum +Anzapfen vor, einmal weil dieser Baum weniger Werth hat, dann auch, weil +der Saft der männlichen Palme kräftiger sein soll. Das Anzapfen wird +derart gemacht, daß oben der jüngste Sproß ausgehoben wird; dann wird +eine Rinne nach dem äußeren Umfange gearbeitet und darunter ein Krug +oder Topf befestigt. Im Frühjahr kann man in den ersten Tagen des +Anzapfens bis zu 5 Liter erhalten. Die anfangs etwas milchige, fast +widerlich süß schmeckende Flüssigkeit wird nach Verlauf von 24-36 +Stunden säuerlich, fängt an zu gähren und entwickelt nun Alcohol. In +diesem Zustande ist Lakbi berauschender als Bier, aber schon nach +abermals 24 Stunden bildet dies Spiritus haltende Getränk sich in Essig +um. Den von Rüppel erwähnten _Dattelwein_, "ein widerlich süßes Getränk, +aus halbgegohrenem Datteldecoct bereitet", habe ich nirgends +angetroffen. + +Bedeutend beschränkter ist Meth, Tetsch oder Honigwein. Man kann sagen, +daß dies Getränk eigentlich nur in Abessinien und den nächst +angrenzenden Ländern getrunken wird. Die Bereitung des Tetsch geschieht +in Abessinien ähnlich wie in England und bei uns, nur daß statt Hefen +und Hopfen eine andere bittere Pflanze, Amdat genannt, hinzu gethan +wird. Das Getränk wird in Abessinien gewöhnlich in großen Rindshörnern +aufbewahrt, auch die Becher zum Trinken bestehen aus Horn. Tetsch ist +sehr berauschend. Ausnahmsweise bereiten auch centralafrikanische Völker +Honigwein, aber meistens stellen diese ihr bei uns Europäern unter dem +Namen Busa oder auch Merissa bekanntes, berauschendes Getränk aus +Getreide her. Es gehört schon ein guter Magen und ein wenig wählerischer +Geschmack dazu, um das abscheuliche Getränk genießen zu können. Und da +Busa und Merissa wenig alkoholartig sind, so gehören schon ungeheure +Quantitäten dazu, wie sie eben nur ein Negermagen zu bergen vermag, um +nur einigermaßen Wirkung zu spüren. Dennoch haben verschiedene +Reisende[22] sich an dies schon äußerlich so widerlich +(chocoladenfarbig) aussehende Getränk gewöhnen können. Die Maba in Wadai +vertilgen ungeheure Quantitäten von Merissa, ebenso wird in Bagermi, in +Mandala stark Busa getrunken; in Bornu, namentlich in der Hauptstadt +Kuka, weniger. + +Von den Eingeborenen Afrika's wird Wein nur in Marokko und Tunis +bereitet. Die Weinrebe kommt allerdings wohl in Abessinien vor, aber nur +in einzelnen Stauden. Ebenso findet man in Unterägypten Weinreben, auch +im Norden von Tripolitanien, aber nur Europäer bereiten etwas Wein +davon. Es liegt das eben in den Verhältnissen Nordafrika's, das jetzt +ganz in den Händen der Mohammedaner sich befindet, denen Wein +bekanntlich verboten ist. Aber wie trefflich der Wein in Nordafrika +wird, sieht man aus den Sorten, die jetzt von Algerien aus auf den Markt +kommen; sie stehen an Güte den spanischen nicht nach. Im Weinlande +Marokko aber verlegen sich trotz des Verbotes ihres Propheten genug +Leute auf Weinbereitung und Weintrinken. Aber der Wein, den die +Marokkaner durch Kochen herstellen, ist, obwohl sehr stark von +Geschmack, herzlich schlecht und von Farbe ebenso abstoßend. Blume ist +gar nicht vorhanden. Der Gebrauch des Weines in Marokko ist mehr auf dem +Lande als in der Stadt zu Hause. Man nennt den Wein =Ssammed=, +=Hammed= oder =Schrab=. + +Die in Nordafrika seßhaften Juden bereiten auch Schnaps aus Feigen, +Rosinen und Datteln. Jeder Jude fast hat seinen eignen kleinen +Destillationsapparat im Hause und macht sich nach seinen Bedürfnissen +seinen Schnaps selbst. Der Schnaps der Juden ist gut, auch nicht zu +stark, besonders rein im Geschmack. Man würde Unrecht thun, wollte man +sagen, die einzelnen Juden seien Säufer; obschon sie alle Schnaps +trinken, sind sie im Ganzen sehr mäßig darin. Desto mehr haben sie von +der mohammedanischen Geistlichkeit zu leiden; oft dringt ein Thaleb oder +auch ein Scherif in ein jüdisches Haus, bemächtigt sich des ganzen +Schnapsvorrathes, um sich wie eine Bestie damit vollzusaufen; der arme +Jude kann in dem Falle noch froh sein, wenn er ohne Prügel dabei +wegkommt. + +Sonst ist beim eigentlichen Volke in Nordafrika das Schnapstrinken nicht +gebräuchlich, erst wenn man den Niger erreicht hat, in den +Yorubaländern, also der Küste zu, stößt man auf ganze Karawanen mit +Kisten, welche Schnapsflaschen enthalten. Hier an der ganzen Westküste +von Afrika huldigen die Schwarzen dem Gotte "Schnaps". Und welch' +entsetzliches Getränk, das vorzugsweise in Frankreich und Deutschland +fabricirt wird, wird ihnen zugeführt. Es unterliegt denn auch wohl +keinem Zweifel daß nicht Kriege, wohl aber dieses entsetzliche Gift jene +Völker in kürzester Zeit ausrotten und vertilgen werden. Denn diese +Völker trinken nicht, sondern saufen, wenn sie Schnaps besitzen, so +lange, bis sie wie todt auf dem Platze liegen bleiben. Und Schnaps +können sie ohne Mühe und ohne große Arbeit haben. Wenn auch der +Sclavenhandel früher die Mittel zum Schnaps für die Großen jener Länder +geben mußte, oder die Könige auch direct ihre Unterthanen gegen Fässer +Schnaps weggaben, so geht dies allerdings jetzt nicht mehr, denn an der +Westküste von Afrika ist dem Sclavenhandel wohl ein Ende gemacht. Aber +dafür tauscht sich gegen Palmöl, gegen Palmnüsse jetzt Jeder seinen +Schnapsbedarf ein und die Wälder sind ja vorläufig an Oelpalmen so +reich, daß an Mangel nicht zu denken ist. Während also früher nur die +Könige und Vornehmen der Schwarzen Schnaps trinken konnten, kann jetzt +Jeder diesen Artikel bekommen, der das Glück hat, den Europäern Nüsse +oder Oel zu bringen. Der Schnaps wird eher mit den Schwarzen fertig +werden, als es das Schwert oder die Flinte des Europäers vermöchte. + + +4. _Opium und Haschisch_. + +In Afrika hat Opium nur geringen Anhang gefunden und wahrscheinlich ist +dies Betäubungsmittel erst durch die Türken den Eingeborenen dieses +Continents mitgetheilt worden. Die Mohnpflanze, dieselbe, wie die bei +uns in Europa gezogene, entwickelt bei anderen klimatischen +Verhältnissen in Afrika und Asien jene Eigenschaften, gute und böse, die +in der Heilkunde so segensreich wirken, aber bei unnützem und +übermäßigem Gebrauche sich als eines der bewährtesten Mittel erweisen, +ganze Völker der Erde ohne Pulver und Blei von derselben verschwinden +zu machen. + +Um Opium zu erzielen, bauen die Eingeborenen Afrika's die Mohnpflanze +nur in Aegypten und zwar heute, nach Schweinfurth, _nur_ in Oberägypten. +Und dem Anbaue des Zuckerrohrs und der Baumwolle wird der Mohn in +Aegypten wohl bald ganz weichen müssen. Sodann wird aber auch in +Marokko, namentlich in der Oase Tuat dieses Landes, Mohn des Opiums +wegen angebaut, aber immer nur der Art, daß der Gewinn des Mohnsamens +behufs Oelbereitung die Hauptsache bleibt, indem die Köpfe nur +oberflächlich geritzt werden, damit der Samen seiner Hülsung unberaubt +zur Reife kommen kann. Man kann deshalb auch sagen, daß der Gebrauch des +Opiums sich nur auf die Städtebewohner beschränkt und zwar nur in +Nordafrika. + +Man raucht den Opium oder man nimmt das Extract in Form von kleinen +Stückchen oder Pillen. Aber nicht wie im Orient raucht man Opium allein, +indem man ein Stückchen in eine kleine Pfeife bringt, eine Flamme +darüber streichen läßt und den heißen Opiumrauch einathmet, sondern man +legt das Extract aus eine Narghile und so vermischt man Tabak-und +Opium-Narcose. In Aegypten, namentlich in Damiette, sah ich indeß auch +Opium allein und direct rauchen. + +Das in Marokko verbrauchte Opium darf in den großen Städten nur durch +von der Regierung bestellte Leute, die meistens auch den Tabakverkauf +haben, verkauft werden. Früher wurde nur ägyptisches Opium verkauft, +welches Pilger von ihrer Reise in kleinen, 2-3 Zoll großen Kuchen, die +einen Zoll dick waren, mitbrachten. Jetzt wird in Marokko meistens aus +Frankreich importirtes Opium, =opium crú=. d.h. wässeriges +Opiumextract, gebraucht, nur in einzelnen Gegenden stellt man selbst +Opium her. In Tuat, der großen südlich vom Atlas gelegenen Oase, fand +ich die meisten Opiumesser und zwar Leute, die es so weit gebracht +hatten, daß sie ohne Opium nicht mehr existiren konnten; in dieser Oase +waren auch alle anderen Berauschungsmittel unbekannt. Leider giebt es +aber auch in Afrika Europäer genug, die sich dem Opiumgenusse hingeben. +Einer der gelehrtesten Männer in Keilschriften war derart dem Opium +zugethan, daß er ohne dasselbe zu leben vollkommen unfähig war, er nahm +Opium in roher Form und rauchte Tabak, den er in Opiumtinctur gelegt und +macerirt hatte. Schon seit Jahren ist er dem Gifte erlegen. Ich selbst +hatte unter Opiumgenuß monatelang zu leiden. + +Erkrankt in Rhadames an einer blutigen Dyssenterie, hatte ich große +Gaben von Opium genommen und konnte ich mich des Gebrauchs nicht +entschlagen, da ein Aufhören im Opiumessen oder auch nur ein Vermindern +der Gaben gleich wieder heftige Diarrhöen zur Folge hatte, bis plötzlich +der Genuß frischer Datteln (die sonst in der Regel gegenteilig wirken) +Besserung erzielte. + +Keineswegs befand ich mich dabei in einem angenehmen Zustande; +allerdings ist das "Bessersein", das Befreitsein von einer lästigen +Krankheit schon Etwas, allerdings verspürt man eine Erleichterung, eine +Behendigkeit in allen Gliedern, aber angenehme Empfindungen, sensuelle +Erregungen traten nie bei mir ein. Es ist ja auch vollkommen constatirt, +daß beständiger Opiumgenuß erotisch dämpfend ist. Das Haschen, das +Jagen nach Opium hat wohl nur seinen Grund darin, daß es ein gewisses +Wohlbehagen, eine _körperliche_ und in Folge davon auch eine geistige +Gleichgültigkeit gegen Alles, was Einen umgiebt, mit sich im Gefolge +hat. + +Viel verbreiteter als Opium ist Haschisch in Afrika. Aber die Angabe v. +Bibra's, daß es 300 Millionen Haschischesser auf der Erde überhaupt +gebe, möchte ich doch nicht unterschreiben. In Afrika z.B., wo von +Marokko jedenfalls das größte Contingent gestellt wird, würde man +höchstens sagen können, daß von der ungefähren Bevölkerung dieses +Landes, die man auf circa 6,500,000 Seelen rechnen kann, höchstens die +Hälfte Haschisch nimmt. Von Westen nach dem Osten nimmt in Afrika der +Hanfgenuß ab, ebenso von Norden nach Süden. In Tunis, in Algerien giebt +es noch viele Haschischkneipen, weniger schon in Tripolitanien und +Aegypten. Schweinfurth fand Hanfesser nur im Delta, doch kommen sie +sporadisch auch wohl noch weiter nach dem Süden zu vor. In Fesan baut +man Hanf nur an einzelnen Orten, nach Duveyrier besonders in Tragen. +Frauen huldigen sehr selten in Afrika dem Hanfe. Im Süden wird nur +vereinzelt =cannabis indica= genommen und ist dort wohl von den +Arabern importirt worden, entgegengesetzt der Ansicht von Escayrac de +Lauture, der die cannabis indica aus dem Süden stammen lassen will. +Hervorgerufen war wohl diese Ansicht dadurch, daß man früher glaubte, +die cannabis indica sei unterschieden von der =cannabis sativa=. +Das ist nicht der Fall. Auch hier bringen die topographischen und +klimatischen Einflüsse bei _derselben_ Pflanze nur andere und zwar im +Süden kräftigere Eigenschaften hervor. + +Aber wie die Eigenschaften des Hanfes je mehr und mehr nach Norden an +Wirksamkeit zu verlieren scheinen, so scheint auch die Empfänglichkeit +für dies Narcoticum im Norden schwieriger vor sich zu gehen, als in +einem südlichen Klima[23]. Professor Preyer in Jena konnte mit guten +Haschischblättern, die ich frisch und direct von Tripolis hatte kommen +lassen, keine besonderen Rauschresultate erzielen; v. Liebig fand in +Blättern derselben Sendung keine anderen wirksamen Bestandtheile, als in +der =cannabis sativa=. + +Man könnte also fast sagen, um eines vollkommenen Rausches theilhaftig +zu werden, muß man in südlichen Ländern gezogenen Hanf in südlichen +Ländern nehmen. + +Ich habe an anderen Orten meine an mir selbst angestellten Beobachtungen +niedergelegt. Und wenn ich diesen im Jahre 1866 angestellten Versuch mit +denen vergleiche, die Dr. Lay, Dr. Moreau, v. Bibra, Dr. Baierlacher u. +A. vorgenommen, so kann ich nur bestätigen, daß in der Hauptsache meine +Empfindungen mit denen der genannten Beobachter übereinstimmen. + +Der wirksame Stoff in der cannabis indica ist ein von Gastinel +hergestelltes und von ihm Haschischin genanntes Alcaloid von schöner +grüner, jedoch nicht von Chlorophyll herrührender Farbe. Genommen wird +Hanf in Theeform oder man pulverisirt die getrockneten Blätter und +schluckt sie mit Wasser hinab, oder man raucht dieselben, oder sie +werden zu einer mit Zucker und Gewürzen verarbeiteten Pastete, "Madjun" +genannt, gegessen[24]. Letztere Form findet man nur in den Städten. + +Fast in ganz Afrika wird vorzugsweise Hanf _geraucht_, wenigstens fängt +man hiermit an; erst im zweiten Stadium wird Haschisch gegessen. Das +Rauchen hat einfach deshalb nicht so großen Erfolg, weil selbst geübte +Veteranen im Narghilerauchen es schwer vertragen, den beißenden und +ätzenden Dampf durch die Lunge direct mit dem Blute in Berührung zu +bringen. Es ist deshalb auch übertrieben, wenn einzelne Reisende +berichten, es gebe Hanfraucher, die es bis auf 30 Pfeifen und mehr +täglich bringen könnten. Abgesehen davon, daß die Haschischpfeifenköpfe +nicht größer sind, als das Viertel eines Fingerhutes einer Dame, so +ziehen die auf Hanf erpichtesten Raucher selten mehr als zwei bis drei +Züge aus dem Pfeifchen, pausiren sodann lange Zeit oder lassen die +Pfeife ausgehen, oder aber, wenn sie reich und großmüthig sind, reichen +sie die Pfeife zum Mitrauchen einem Nebensitzenden. + +Das wirksame Princip des Hanfes sitzt besonders in den Blättern und den +feinsten Stengeln und zwar zu der Zeit, wenn der Same eben reif geworden +ist. Im Samen selbst, der stark ölartig ist, scheint Haschischin wenig +oder gar nicht enthalten zu sein; die Haschischesser werfen denn auch +den Samen fort, wenn sie die Blätter bereiten. In den Ländern Afrika's, +die ich durchreist habe, habe ich nie von einem Harz, "Churrus" +genannt[25], welches aus den Blättern schwitzt, reden hören, noch habe +ich es selbst zu sehen bekommen. + +Die Wirkungen des Haschisch lassen sich dahin zusammenfassen, daß im +Anfange bei kleinen Dosen die Eßlust stark angeregt wird, während +fortgesetzter Gebrauch und große Dosen eine Störung aller Lebensprozesse +im Körper bewirken. Wem cannabis indica zur Gewohnheit geworden ist, +kann sich davon schwerer entwöhnen, als der Trunkenbold von +alkoholartigen Getränken, der Opiophage vom Opium. Auf das Nervensystem +wirkt nach den Resultaten der Versuche, die als glaubwürdig vorliegen, +das Haschisch so, daß mit einer Erleichterung im "Fühlen alles +Körperlichen" (man glaubt zu schweben) eine große momentane +_Gedächtnißstärke_ verbunden ist, man erinnert sich an Ereignisse, +welche einem seit Jahren nicht mehr ins Gedächtniß gekommen sind. Und +auch körperlich scheinen die Gegenstände sich zu _vergrößern_ und zu +_verlängern_: Straßen werden endlos, Häuser scheinen in den Himmel +hineinzuragen. Dr. Mornau sagt treffend[26]: "Die Grenzen der +Möglichkeit, das Maß des Raumes in der Zeit hören auf, die Secunde ist +ein Jahrhundert und mit einem Schritte überschreitet man die Welt;" und +weiter sagt derselbe Beobachter: "im Gehen sei ihm eine Straße unendlich +verlängert vorgekommen." Ganz dieselben Beobachtungen habe ich auch +gemacht. + +Es kommen sodann schließlich bei geringstem Anlasse Sinnestäuschungen +vor, eine unbemalte Wand erscheint in den schönsten Farben, das Gquieke +einer Thür ertönt wie symphonische Concerte und wenn einerseits das +Gedächtniß neu belebt erscheint, vergißt man oft bei einem ganz kurzen +Redesatze den Anfang desselben, als ob man seit Stunden geredet hätte. + +So achtungswerth aber auch die Namen gewisser Reisenden sind, so möchte +ich nicht die Ansicht mit vertreten, daß Haschisch eine Wirkung +hervorrufen könnte, einen Menschen, wie Treevelgar erzählt, in +zehntägige Katalepsie zu versetzen. Dagegen finde ich den von +O'Shangnessy[27] mitgetheilen Fall von einer durch Haschisch bewirkten +_vorübergehenden_ Katalepsie vollkommen glaubwürdig. Fallen doch fast +alle veralteten Hanfesser in eine mehr oder weniger lange anhaltende +Starrsucht. + +Jedenfalls wird man nicht zu viel sagen, wenn man behauptet, daß die +cannabis indica, eines der heftigsten Reizmittel, im Stande ist, nicht +nur die herrlichsten Empfindungen, die bezauberndsten Bilder zu +schaffen, sondern auch den Menschen gewissermaßen momentan der Erde zu +entrücken, aber auch andererseits wegen des Giftes, das darin liegt, +eines der gefährlichsten Präparate, das mit unwiderstehlicher Gewalt den +Menschen, der sich ihm hingegeben, festhält und nach Kurzem tödtet. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 15:= Les Touareg du Nord, p. 185=.] + +[Footnote 16: Zeitschr. der Gesellsch. für Erdk. VII. Bd. V. Heft.] + +[Footnote 17: Papst Urban VIII. erließ 1624 eine Bulle gegen das +Tabakschnupfen in den Kirchen, aber trotz dieses unfehlbaren Edicts +schnupfen heute fast alle Priester in den Kirchen wie _außerhalb_.] + +[Footnote 18: Europäische Aerzte verordnen übrigens auch nur eine +=decoctio=, keine =infusio= des Kaffee's] + +[Footnote 19: Ausland 1872. S. 948.] + +[Footnote 20: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel. Nürnberg 1855.] + +[Footnote 21: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel.] + +[Footnote 22: Auch Schweinfurth sagt, er habe auf seiner letzten Reise +ein gutes, dem deutschen Biere ähnliches Getränk gefunden.] + +[Footnote 23: Globus 1866 und Land und Leute in Afrika, Rüthmann, Bremen +1870] + +[Footnote 24: Ich führe hier an, daß wenn Europäer mit Hanf Versuche +anstellen wollen, sie sich mit größter Vorsicht dabei des Madjun +bedienen mögen, da in der Regel auch Cantharibenpulver dazwischen +gemischt ist.] + +[Footnote 25: v. Bibra, S. 266.] + +[Footnote 26: v. Bibra, S. 272.] + +[Footnote 27: v. Bibra, S. 284.] + + + + +8. Aufbruch zur Libyschen Wüste. + + +"Wie ein Afrikareisender mit einer Schlittenpartie seine Reise in die +Libysche Wüste antritt", hätte ich dieses Mal mein Tagebuch +überschreiben können. Das ist auch wohl noch nicht dagewesen, und +doch,--denn als ich meine zweite Reise antrat, mußte ich ja auch nach +einigen Tagemärschen, wenn auch nicht durch oder über Schnee, so doch +daran vorbei und noch dazu in Afrika selbst, auf dem großen Atlas. + +Diesmal galt es nun zwar nicht, den mit Schnee bedeckten Atlas zu +übersteigen, sondern auf angenehmste Weise über den herrlichsten aller +Alpenpässe zu kutschiren, über den Splügen. Am Morgen in der Frühe +sollte es weiter gehen, und so geschah es auch. Eine ziemlich zahlreiche +Reisegesellschaft, drei große Postwagen voll Menschen beiderlei +Geschlechts, von jeglichem Alter, von jedem Stande. Ich hatte für mich +einen Coupéplatz bekommen und Noël[28] im selben Wagen einen +Interieurplatz. Neben mir (die Coupés haben nur zwei Plätze) saß noch +eine junge Dame, ein Mädchen, ein Backfisch, ein Kind--eine jede dieser +Bezeichnungen würde auf sie gepaßt haben--nicht hübsch, nicht häßlich, +Schweizern, mit einer entsetzlichen Aussprache des Deutschen und +ungemein schüchtern, verlegen und blöde. Der Backfisch, nennen wir sie +so, war in Belfort in Pension gewesen, um Französisch zu lernen; unter +der Zeit waren seine Eltern von der Schweiz, wo sie ansässig gewesen +waren, nach Bergamo gezogen und jetzt, nach beendigtem Cursus, sollte +der Backfisch wieder heim zu den Eltern. Und das ging ganz gut, wie ein +Packet wurde er befördert. In Chur logirten wir z.B. im "Luckmanier" +zusammen, der Backfisch wurde von der Wirthin empfangen u. Abends, als +der Wirth gehört hatte, ich reise nach Italien, kam er zu mir, ob ich +nicht den Backfisch unter meine Obhut bis Como oder Lecco nehmen wolle, +dort würde er von verwandten Fischern in Empfang genommen werden. +Natürlich sagte ich nicht "nein" und merkwürdig genug traf es sich, daß +im Interieur eine nach--der Türkei, nach Trapezunt reisende Dame sich +unter Noël's Schutz begab. + +Ich unterlasse es, von den Schönheiten der =Via mala= zu sprechen, +offenbar der schönste und großartigste Paß, der über die Alpen führt und +welcher, da der Baumbestand aus Nadelhölzern besteht, zu jeder Zeit grün +ist. Ja, ich möchte sagen, der naturschönheitliche Reiz wird im Winter +eher erhöht, als vermindert durch die starken Contraste des +blendendweißen Schnees und des tiefen, fast schwarzen Grüns der Fichten +und Kiefern. Als sämmtliche Passagiere obligaterweise an der Stelle +ausgestiegen waren, wo die =Via mala= am engsten ist und wo eine +Brücke über den Schlund führt, die man auch Teufelsbrücke hätte nennen +können, ging es weiter und Mittags erreichten wir Splügen. + +Eine gemeinschaftliche =Table d'hôte= brachte alle Reisenden +zusammen und der gute Veltliner Wein, wie das warme Zimmer führten eine +recht animirte Unterhaltung herbei, denn zur Hälfte waren die Reisenden +Italiener, welche, froh, bald die Grenze ihrer =cara Italia= +erreicht zu haben, nicht verfehlten, ein Glas mehr, als gewöhnlich, zu +trinken. Mit dem Orte Splügen hat man aber keineswegs die Paßhöhe +erreicht. Im Gegentheil, jetzt beginnt erst das _steile_ Steigen und +eine Viertelstunde oberhalb des Dorfes fanden wir ein ganzes +Schlittendepôt. Die Postkutschen wurden verlassen und je Zwei wurden in +einen eleganten Schlitten gepackt; wir hatten die Schneegrenze erreicht. +Natürlich geht dieselbe im December noch tiefer, bis Chur selbst, +hinunter und fängt im Januar und Februar gar unterhalb Chur an, aber im +November und October fällt Schnee nur bis Splügen und etwas oberhalb. + +Hatten wir am Tage vorher abscheulich nebliges Wetter gehabt, so war +unsere =Via-mala=-Tour, unsere Schlittenpartie über den Splügen, +durch den sonnigsten, italienischen Himmel verherrlicht. Aber kalt war +es. Trotz des Südwindes, der allerdings stundenlang über Gletscher und +Schneefelder fegte, fror man bis auf's Innerste. Wie froh war ich, daß +ich meinen grauen Mantel und die Pelzdecke mitgenommen hatte. Drei +Stunden brauchten wir zu dieser Schlittenfahrt und man kann sich einen +Begriff machen, welche Schneemassen im Laufe des Winters auf den Alpen +angehäuft werden, wenn ich sage, daß wir manchmal Stellen passirten, wo +der Schnee schon (durch Anwehen) 10-12' hoch lag. Auf der Südseite, noch +mitten im Schnee, liegt die italienische Douane, während man die Grenze +schon früher auf der Kante des Passes selbst passirt hat. + +Die Zollbeamten waren diesmal äußerst milde; hielten sie mich für irgend +eine besondere Persönlichkeit (denn in den Augen aller dieser Leute +passirte Noël immer als mein Diener), oder ist die Praxis überhaupt +milder geworden, genug, es wurde nur ein Koffer pro forma geöffnet und +damit war Alles fertig. Ich war namentlich froh wegen meiner Patronen, +die ich ja gern versteuert hätte, von denen ich aber fürchten mußte, sie +würden confiscirt werden. + +Bald darauf erreichten wir die südliche Schneegrenze und in ebenso guten +Postkutschen ging es weiter. Den herrlichen Punkt, wo ein Gießbach ins +Thal hinab braust und wo man der Fernsicht halber eigens eine Kanzel +erbaut hat, von der man die schönste Aussicht genießen kann, passirten +wir noch eben bei Licht, dann noch eine halbe Stunde das schönste +Alpenglühen, wie ich es nie leuchtender und intensiver gesehen habe, und +tiefe Nacht senkte sich rasch auf uns herab. Nach zwei Stunden, d.h. um +6-1/2 Uhr Abends, waren wir in Chiavenna. + +Das Hotel zur Post, von dem Herrn Schreiber gehalten, ist berühmt in +ganz Italien und auch wir konnten mit dem Nachtmahl, welches uns +aufgetischt wurde, nur zufrieden sein; ja, das Lob seines Valtelliner +machte, daß er uns noch eine Flasche, natürlich für unser Geld, +heraufholte. Wir schieden um 10 Uhr als gute Freunde (im ganzen Hôtel +ist nur deutsche Bedienung) und weiter ging's bis Colico, welchen Ort +wir um 1 Uhr Nachts erreichten. In Colico selbst wurde nur umgeladen in +einen anderen Wagen, der nach Lecco bestimmt war. + +Aus dieser schönen Tour längs des Lago di Como, die ich übrigens zu +Lande schon einmal, zur See schon mehreremal gemacht habe, merkten wir +nun zwar nichts von den Reizen der Natur, aber die milderen Lüfte und +zur Seite des Wagens die belaubten Olivenbäume bekundeten auch so genug, +daß wir uns auf der anderen Seite der Alpen befänden. + +In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Backfisches ledig. Als wir +uns aus dem Omnibus Einer nach dem Anderen entwickelten, stand ein Herr +bereit: "Sind Sie Fräulein Müller?" (Meier, Schulze oder Schmidt, so +ungefähr klingt der Name). "Ja, ich bin es." Und damit fiel die junge +Dame in verwandtschaftliche Arme. + +Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der Bahn bis Mailand weiter und +direct ins Hôtel Reichmann, nächtigten daselbst und fuhren ohne +Unterbrechung nach Brindisi, wo wir Abends um 10 Uhr anlangten. Von den +anderen Herren war noch Niemand hier, ich vermuthete, Alle seien wegen +des Choleragerüchtes über Triest gegangen. Zu meiner Freude hörte ich +aber bald darauf, daß die Cholera erloschen sei. + +In Brindisi ist ein vorzügliches Hôtel, das des =Indes orientales=. +Die Absicht, in eine Locomda zu gehen, gab ich auf, da ein +italienischer Reisegefährte mir unterwegs sagte, man bekäme dort +unfehlbar =pedocchi= d.h. die Thierchen, welche die Franzosen im +Gegensatze zu den Flöhen, der leichten Cavallerie, die schwere nennen. +Näher brauche ich diese menschenfreundlichen Thierchen wohl nicht zu +bezeichnen. Ich dachte aber, es ist noch früh genug; wenn man sich ihrer +in Afrika nicht wird erwehren _können_, dann muß man mit ihnen +haushalten. + +Komisch erschien mir die Extravaganz der italienischen Damen in den +neuesten Moden: fußhohe Chignons aller möglichen Formen, selbst die +Hörner der Pullo-Frauen[29], die Wulste der Mandara-Damen[30] sind nicht +ausgeschlossen; ich glaube, keine Damen der Welt entwickeln so viel +Phantasie in der Herstellung aller nur möglichen Haartouren, als die +schönen Milaneserinnen. Sehr häufig sieht man vorn auf der Stirn kleine +Löckchen glatt angeklebt mit Pomade, ein entsetzlich schlechter +Geschmack. Alles dies gilt nur von der vornehmen Welt, das Volk ist in +dieser Beziehung vernünftiger. + +Mein Zimmer in der Bel-Etage des Hôtels von Brindisi ging auf den Hafen, +und wenn auch keine großartige Aussicht geboten ist, so hat man doch +immer ein belebtes Bild. + +Ich verbrachte meine Zeit damit, daß ich dem englischen Consul einen +Besuch machte, um seine herrliche Sammlung von Antiken u.s.w. zu +besehen. Er empfing mich sehr freundlich und hatte, wie er sagte, aus +der "Times" schon mein Kommen über Brindisi erfahren. Sodann suchte ich +den Archidiakon Farentini auf, der die Bibliothek unter sich hat, in der +sich nebenbei ebenfalls ein kleines archäologisches Museum befindet, +welches einzelne hübsche Sachen, z.B. ein prachtvolles Lacrimale[31] und +interessante Broncestatuetten enthält. Bei der Gelegenheit zeigte er mir +auch eine höchst merkwürdige Vase, welche sich im Reliquien-Schreine des +Doms befindet, von so feinkörnigem Granit, wie ich ihn nie gesehen. Sie +soll durch Kreuzfahrer aus Palästina gekommen sein, so sagen die +ältesten Chroniken. Ob sie, wie Pater Farentini behauptet, phönicischen +Ursprunges ist, wage ich nicht zu bestätigen. Nach dem Volksglauben +ältester Zeit soll dies dieselbe Vase sein, in der Jesus Wasser in Wein +verwandelt hat. Pater Giov. Farentini fügte aber hinzu: "Ich für meinen +Theil halte sie nur werth als ein höchst interessantes Kunstwerk, die +damit verknüpfte heilige Legende überlassen wir dem Volke." Ein +liebenswürdiger alter Mann, dieser Domherr, der sich ein über das andere +Mal selbst besegnete (=benedetto io=), daß er meine Bekanntschaft +gemacht habe. Am nächsten Tage wollte er mir noch einige +Merkwürdigkeiten in der Stadt und Umgegend zeigen, obschon Brindisi in +dieser Beziehung sehr arm ist. + +Nur langsam erholt sich diese einst so wichtige Stadt, welche im +Alterthum über 100,000 Einwohner, jetzt kaum 10,000 Seelen hat. + +Strabo, welcher ausführlich von dieser alten Stadt handelt, sagt[32]. +Brundusium soll, wie gesagt wird, eine Colonie der Kreter sein, die mit +dem Theseus aus Knossus dahin kamen. Sodann lobt Strabo den Hafen der +Stadt, nach ihm ungleich besser als der Tarents, und fügt hinzu, dieser, +wie es dem Anscheine nach aussieht, einzige Hafen theilt sich inwendig +in eine Menge kleinerer Busen, so daß der gesammte Hafen die Gestalt +eines Hirschkopfes bekommt, daher die Stadt auch ihren Namen erhalten +haben soll, denn in der Sprache der Messapier heißt ein Hirschkopf +Brundusium. + +Brundusium ist auch nach Strabo der gewöhnliche Hafen, aus dem man +ausfährt, wenn man nach Griechenland oder Asien übersetzen will, und +alle Griechen und Asiaten landen auch hier, wenn sie Rom sehen wollen. +Brundusium gilt als Geburtsstätte des Tragödiendichters Pacuvius, und +Virgil ist hier gestorben. + +Mit dem Zusammensinken des römischen Reiches hörte die Blüthe der Stadt +aus, natürlich weil der Verkehr zwischen Morgenland und Abendland +stockte. Und als dann zur Zeit der Kreuzzüge auf einmal wieder ein +lebhafter, wenn auch feindlicher Zusammenstoß zwischen Occident und +Orient stattfand, hob sich Brundusium rasch wieder und erlangte eine +Einwohnerzahl, die auf 60,000 Seelen veranschlagt wird. Kaiser +Barbarossa bevorzugte namentlich den Hafen und er ist auch der Erbauer +des Castells. Mit dem Falle Jerusalems, mit der Beendigung der +Kreuzzüge hing auch der Verfall Brundusiums zusammen. + +Erst jetzt, wo Brindisi wieder Hauptausgangspunkt und Ankunftsort für +Abendland und Morgenland geworden ist, hebt sich die Stadt wieder. Da +aber jetzt die diese Straße Ziehenden bei Weitem nicht so lange im Hafen +weilen wie im Alterthum, so ist der Aufschwung der Stadt ein viel +langsamerer. Aber Brindisi wird jedenfalls, wird diese Linie +beibehalten, immer eine gewisse Wichtigkeit bewahren. + +Die Stadt selbst macht auch nur einen sehr dürftigen Eindruck; zwar sind +die Straßen mit herrlichen Quadern gepflastert, aber meist sehr schmal, +die Häuser zum größten Theile einstöckig, und dann macht es einen höchst +traurigen Eindruck, daß so viele Bauten unvollendet gelassen, zum Theil +schon wieder Ruine geworden sind. Was war die Ursache davon? Hatte man +kein Geld, keine Lust zum Weiterbauen? Aber wie erquickt Einen das +herrliche Grün, wie lächeln Einem die allbekannten Opuntien und +langblätterigen Aloës zu, wie bekannt und heimisch winkt der hohe +Palmbaum! Dazu das lebendige Treiben auf der Straße. Die wirklich +madonnenhaften Antlitze der jungen Mädchen, denn eine durchweg schöne +Bevölkerung ist in Apulien und namentlich der weibliche Theil, ist fast +durchaus schön zu nennen. + +Und so wie es ist muß es auch sein; ich möchte nichts von dem wissen, +wie wir uns Italien seit jeher vorgestellt haben und wie es in der That +ist. Da scandalirt man über den Schmutz[33] der neapolitanischen +Bevölkerung, über die =shocking= Nacktheit der dort +herumlaufenden, herumkriechenden Kinder, aber man mache einmal aus +Neapel eine nach holländischer Art abgewaschene Stadt--und Neapel ist +nicht mehr Neapel. + +Ein ununterbrochener Regen goß herab, auf der Post fand ich einen Brief +von Ernst[34], dem an der Grenze die Patronen confiscirt waren, der +sonst aber wohlbehalten mit Taubert[35] in Triest angekommen war. Auch +Jordan[36] schrieb von dort vom 20.: er sei mit Remelé[37] und drei +Dienern in Triest angekommen, habe meine beiden Diener gefunden und +Freitag Nachts hätten sie sich an Bord begeben. Zittel[38] und +Schweinfurth[39] könnten nun möglicherweise am selben Abend noch hierher +kommen, wenn sie nicht auch die Route Triest genommen hätten; am Abend +vorher hatte ich sie vergebens erwartet. + +Als ich meine Briefe postirt hatte, legte sich der Platzregen, welcher +den ganzen Morgen mit ununterbrochener Wuth herabgeströmt war, und bald +darauf erschien der Archidiakon Farentini, um mich abzuholen. Er zeigte +mir zuerst eine höchst merkwürdige Kirche, eine sehr alte Baute, die +ursprünglich frei angelegt, später durch den Ueberbau einer anderen +Kirche zu einer Krypta gemacht und jetzt wieder durch Hinwegräumung des +umgebenden Terrains eine überirdische Kirche geworden ist. Sie rührt aus +dem 5. oder 6. Jahrhundert her. Sodann gingen wir nach einer Rotunde, +einer Ruine, von der die Reisebücher behaupten, sie sei als christliche +Kirche gebaut, was indeß keineswegs erwiesen ist. Jedenfalls rühren die +Säulen, die Capitäler von verschiedener Ordnung von alten römischen oder +griechischen Tempeln her. Es war mittlerweile dunkel geworden und wir +verabschiedeten uns von einander. + +Bei meiner Nachhausekunft fand ich Zittel und Ascherson vor. Sie waren +beide über Rom und Neapel Nachmittags in Brindisi eingetroffen und +Ascherson hatte den kurzen Aufenthalt schon benutzt, um zu botanisiren; +ganz mit Pflanzen beladen kam er nach Hause. Wir dinirten noch +gemeinschaftlich und gingen dann um 7 Uhr an Bord. Zuerst hatten Noël +und ich, Ascherson und Zittel je eine Cajüte für uns, als aber dann in +unsere Cabinen noch fremde Leute hineingesteckt wurden, tauschten wir +derart, daß wir Vier zusammenkamen. Ich konnte die Nacht gar nicht +schlafen, die Betten waren sehr hart und schmal und gegen Morgen +entstand ein Höllenlärm, denn um 3 Uhr kam ein Londoner Expreßtrain, den +auch Schweinfurth benutzt hatte, von Bologna und um 8 Uhr Morgens kurz +vor Frühstückszeit, als wir auf dem Deck erschienen, waren wir schon +=en route=; es war köstliches Wetter, das Meer leicht gewellt, was +aber dem sehr großen Dampfer keine Bewegung verursachte. + +Um 10 Uhr Morgens fuhren wir bei der griechischen Stadt Navarin vorbei; +auch an dem Tage herrliches Wetter, wenn auch etwas trüber. Je mehr wir +nach dem Süden kamen, desto milder wurde die Lufttemperatur und Abends +hatten wir immer das schönste Meerleuchten, und die Zeit wäre gewiß so +angenehm wie möglich vergangen, wenn nicht Regenwetter eingetreten wäre, +welches uns nöthigte unter Deck zu bleiben. Die letzten beiden Tage +hatten wir sogar Sturm; Zittel und Ascherson waren seekrank, +Schweinfurth, Noël und ich hielten uns vortrefflich; aber Zittel mußte +einen ganzen Tag im Bette liegen, da er sich stark erkältet hatte und +heftige Halsschmerzen bekam. Und doch war es so warm. 20 Grad im +Schatten. + +Um 12 Uhr Mittags kamen wir in den Hafen von Alexandrien; wir mußten die +Quarantäne am Bord des Schiffes bis übermorgen Mittag halten. Alle +Sachen waren angekommen und alles Andere war von Menshausen, einem +deutschen Kaufmanne, besorgt. Der Vicekönig war in Kairo und v. Jasmund +auch, der dort sich augenblicklich mit dem Prinzen von Hohenzollern +aufhielt. In Alexandria war projectirt, nur einen Tag zu bleiben, in +Kairo drei bis vier, um dann gleich bis Minieh oder Siut (Hauptstadt von +Oberägypten am Nil) vorwärts zu gehen. + +Welch' bewegtes Leben hier in Skendria oder Alexandria! Wir lagen am +Eingange des Hafens auf der Rhede. Rechts der schöne Mex-Palast von Said +Pascha, links der Leuchtthurm und der schneeweiße Palast von Mehemed +Ali, der Mastenwald, mit der Stadt im Hintergrunde vor uns. In der Ferne +ein üppiger Palmenwald: dies das Panorama von unserem Schiffe. Auf dem +Schiffe selbst zerlumpte Soldaten mit gelber Schärpe, Abzeichen der +Quarantäne. Dafür, daß ich mit Menshausen sprach, kam der wie ein +Bänkelsänger aussehende Soldat gleich mit offener Hand auf mich los: +"=nrid backschisch=", "ich möchte Trinkgeld." Er war sehr +bedonnert, als ich ihn in arabischer Sprache fragte, wie er dazu käme +und mit welchem Rechte er bettele. Natürlich gab ich ihm trotzdem sein +Backschisch. + +Schweinfurth war wieder hergestellt und Zittel und Ascherson natürlich +wie durch Zauber ihrer Krankheit hier im sicheren Hafen überhoben. Mit +den übrigen Herren auf dem Lloydschiffe, welches auch gekommen war und +einen Flintenschuß weit von uns lag, tauschten wir, sobald wir uns +durchs Fernrohr erkannten, laute Hurrahrufe aus und später kamen Jordan +und Remelé herüber, um uns (natürlich immer in respectvoller Distance, +da sie fünf, wir aber nur zwei Tage Quarantäne halten sollten) zu +begrüßen. Die Armen mußten darauf aber das Schiff verlassen, um am Lande +die Quarantäne abzuhalten. Das ist langweilig und kostspielig für sie; +aber amüsant mußte es ihnen sein, die zahlreichen Pilger zu beobachten, +welche, an dem Tage von Marokko kommend, ein englischer Dampfer gebracht +hatte, etwa 1000 an der Zahl. Das war ein sonderbarer Anblick; ein +bunteres Bild konnte man kaum sehen, als sie in kleinen Barken zu 8-10 +Mann nach dem Quarantäne-Gebäude geschafft wurden. Aber bunt kann man +eigentlich nicht sagen, weil alle entweder in einem schmutziggrauen, +schmutzigbraunen oder schwarzen Burnus eingewickelt waren und offenbar +die schlechtesten Gewänder trugen, die sie überhaupt in ihrer Heimath +von ihren Angehörigen hatten auftreiben können. Wie merkwürdig, daß sich +dieser Pilgerzug mitten durch die civilisirtesten Länder und Völker +hindurch immer noch erhält, denn eine Abnahme des Pilgerns ist wohl kaum +zu spüren. Und wie merkwürdig, daß die christlichen Engländer es heute +unternehmen, die fanatischen Gläubigen zu ihrer heiligen Stätte zu +führen. Auf der einen Seite geben sie jährlich Hunderttausende von Pfund +Sterling aus, um dem Umsichgreifen des Islam durch christliche Missionen +ein Ziel zu setzen, auf der anderen Seite leisten sie demselben Vorschub +dadurch, daß sie das Pilgern erleichtern, denn es kann nicht geläugnet +werden, daß die jährlichen Zusammenkünfte am Berge Ararat und beim +schwarzen Steine in Mekka die Mohammedaner zu immer neuem Fanatismus +anfachen. Das ist bei den mohammedanischen Pilgerfahrten so gut der +Fall, wie bei den katholischen. Uebrigens Angesichts unserer eigenen +Pilgerreisen inmitten des civilisirten Europa ist es kaum erlaubt, +darüber zu staunen; denn dem Unparteiischen muß es schließlich einerlei +sein, ob er in Nordafrika dumme Schafheerden nach Mekka strömen sieht, +oder solche von Frankreich, von Belgien, vom Rhein aus auf dem Wege nach +Rom erblickt. Hier sowohl wie dort wird Dasselbe erstrebt: In Mekka wie +in Rom ist für den Hohenpriester die Hauptsache, Geld zu bekommen, für +die Pilger, sich Verdienste und Vergebung der Sünden zu erwerben. Einen +Unterschied vermögen wir absolut nicht zu finden. Dummheit und +Aberglaube sind bei den Mohammedanern wie Christen die Triebfedern. + +Langeweile hatten wir an Bord nicht; die Passagiere waren noch fast alle +geblieben, nur die India-Reisenden gingen am selben Tage mit einem +direct nach Suez gehenden Zuge ab. Ein solcher Quarantäne-Zug wird +verschlossen, darf nirgends halten und ohne Aufenthalt geht es in Suez +wieder an Bord. Der Hafen ist ungemein belebt; Dampfer kommen und gehen; +einige, die von inficirten Häfen kommen, werden mit der gelben Flagge, +dem Abzeichen, daß sie in Quarantäne sind, geschmückt; andere, die aus +gesunden Häfen ausgelaufen sind, bleiben ohne gelbes Abzeichen und +dürfen gleich mit der Stadt communiciren. + +Endlich schlug die ersehnte Stunde: zwei Cavassen vom Generalconsulat +kamen an Bord, und uns und unsere Sachen einladend ging es fort und bald +darauf hielten wir vor Abbat's Hôtel, an einem der schönsten Plätze +Alexandriens gelegen. Ich ging zuerst zu Menshausen und dann auf's +Consulat. Herr v. Jasmund empfing mich sehr freundlich. Für den Abend +war ich mit allen meinen Begleitern zum Essen auf's Consulat geladen. + +Jordan und Remelé waren gestern Abend auch noch aus der Quarantäne +befreit werden, welche also keineswegs so streng beobachtet und gehalten +wurde, wie ursprünglich war angeordnet worden, und so waren wir denn +Alle vereint im Hôtel Abbat, wo wir zum ersten Male erfahren sollten, +mit ägyptischen Preisen zu rechnen. Allein für die Diener mußte ich +täglich 40 Frcs. ausgeben. Im Uebrigen konnte man mit den Zimmern, dem +Essen und der Bedienung zufrieden sein, obschon die Hôtels in +Alexandrien nicht so gut sind, wie die in Kairo, da in der Hafenstadt +die Passagiere nur ein bis zwei Tage zu bleiben pflegen, wogegen sie in +Kairo manchmal Monate lang weilen. + +In Alexandria wurde meine ganze Zeit durch geschäftliche Angelegenheiten +in Anspruch genommen. Nur Abends hatten wir Ruhe, uns an einem Glase +Bier zu erlaben. + +Bei unserer demnächstigen Abreise von Alexandrien war am Schalter wieder +eine entsetzliche Wirthschaft: Es ist unglaublich, mit welcher +Gemüthsruhe der Billeteur die sich drängenden und ungeduldigen Reisenden +am Schalter abfertigt. Werden sie gar zu lästig, hört er einige +"=goddam=" oder "=au sacre nom de Dieu=" oder +Kreuz-Millionen-Donnerwetter, dann entfernt er sich für fünf Minuten, +nimmt eine Tasse Kaffee, um mit neuen Kräften dem Publicum +entgegentreten zu können. Endlich war an mich die Reihe gekommen, ich +hatte meine Billets, die Bagage wurde eingeschrieben und bald darauf +ging's fort. Da Ascherson, Jordan und Remelé noch zurückblieben, um mit +einem anderen Zuge nachzufahren, so lud Herr v. Jasmund uns ein, in sein +Coupé zu steigen. Die Generalkonsuln in Alexandrien bekommen jedesmal +ein eigenes Coupé, wenn sie reisen. + +Ich unterlasse es, über die Fahrt auch nur ein Wort zu sagen, doch muß +ich erwähnen, daß wir in Kassar Sayet, beim Uebergange des linken +Nilarmes, mit Nubar Pascha, der von Kairo nach Alexandria fuhr, +zusammenkamen und demselben vorgestellt wurden. Eigenthümlich, ich hatte +mir den Mann ganz anders gedacht, mehr diplomatenmäßig, d.h. wie bei uns +die Staatsmänner auszusehen pflegen. Damit will ich aber keineswegs +sagen, daß Nubar eine gewöhnliche Physiognomie habe, im Gegentheil, +namentlich sein Auge ist wunderschön. Im Französischen drückt er sich +gewandt aus. Er theilte uns mit, der Vicekönig wünsche der Expedition +einen so wenig officiellen Anstrich wie möglich zu geben und deshalb +müßten wir von einer militärischen Escorte abstehen. Dahingegen +garantire er absolute Sicherheit der Gegend zwischen dem Nil und den +Uah-Oasen. Die Unterredung dauerte nur kurze Zeit, da die Züge bald +darauf wieder abfuhren. Mir war nichts angenehmer, aus der lästigen +Escorte ledig zu sein. Wie ich denn überhaupt bemerken muß, daß der +Gedanke einer militärischen Begleitung keineswegs von mir, sondern +ursprünglich vom Chedive selbst ausging und zwar so gestellt wurde, daß +ich glauben mußte, dem Chedive sei daran gelegen, eine militärische +Bedeckung mitzugeben. + +Mit dem Zuge, den wir benutzten, erreicht man Kairo in fünftehalb +Stunden. Um 1 Uhr waren wir denn auch angelangt, nachdem schon längere +Zeit vorher die Pyramiden, die Gräber der Chalifen, die schlanken +Minarets der Mohammed-Ali-Moschee ihren Willkommengruß uns entgegen +gesandt hatten. + +Angekommen, begaben wir uns sogleich ins Nil-Hôtel, nachdem ich vorher +vergeblich versucht hatte, die Diener in einem billigeren Hôtel +unterzubringen. Nachmittags besuchten wir das Consulat, fanden aber, daß +unser deutscher Viceconsul Travers auf einer Tour nach Minieh war, um +den Prinzen von Hohenzollern dorthin zu begleiten. Abends waren wir im +Theater und hörten die "Aida" von Verdi, welche in dieser Saison zum +ersten Male aufgeführt wurde. Wer hätte nicht von den Wundern gehört, +welche der Chedive durch Zaubergewalt in seiner Hauptstadt seit Jahren +entstehen läßt? Wenn auch nicht alle gleich an Pracht, wie solche bei +Eröffnung des Suez-Kanals dem Auge sich darbot, zeigen doch die Werke, +welche der Vicekönig seitdem nach und nach ins Leben rief, um die +Freuden des Lebens durch Kunstgenüsse zu erhöhen, einen derartig großen +Anstrich, daß es sich wohl verlohnt, dabei zu verweilen. + +Einen Lieblingsgedanken, eine Oper zu besitzen, verwirklichte Ismael +Pascha bald, nachdem die Feierlichkeiten der Kanaleröffnung vorüber +waren, indem er auf dem prächtigen Esbekieh-Platze ein Gebäude mit +Allem, was dazu gehört, für eine italienische Oper herrichten ließ. Um +dasselbe würdig einzuweihen, veranlaßte er den Maëstro Verdi, eigens +eine Oper dafür zu componiren. Den geschichtlichen Stoff lieferte +Mariette, die literarische Redaction besorgte Ghislanzoni. + +Präcis 8 Uhr begann man mit der Ouverture, welche von einem vollkommen +eingeübten Orchester meisterhaft vorgetragen wurde. Ebenso tadellos war +die ganze Aufführung. Sänger und Sängerinnen sind durchweg ersten +Ranges, namentlich der Tenor (Radames) Sigr. Fancelli, von einer Stärke +und Höhe der Stimme, wie man ihn gewiß selten an einer der größten +Bühnen Deutschlands findet. Was die Sängerinnen anbetrifft, so waren +dieselben in der Saison nur aus Deutschland recrutirt, die Aida wurde +von Fräulein Stolz, Amneris von Fräulein Waldmann repräsentirt. Beide +waren in ihrer Art vorzüglich. + +Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß man bei der Costümirung auf +größte Genauigkeit gesehen hat, um Kleidung und alte Gegenstände so +herzustellen, wie sie durch die Aegyptologen uns bekannt und wie sie +uns in den Museen aufbewahrt sind. Dazu ist Alles mit einer Pracht +hergerichtet, wie es eben nur ein Fürst zu leisten vermag, dessen Mittel +fast unbeschränkt sind. + +Was das Sujet anbetrifft, so ist es der ägyptischen Geschichte +entnommen. Aegypten und Abessinien liegen seit Jahren in Krieg +miteinander. Der Feldherr des Königs von Aegypten, Namens Radames hat +die Tochter des äthiopischen Königs Amonasro, Namens Aida, gefangen +genommen, er giebt sie der Tochter seines ägyptischen Königs, Namens +Amneris, zur Sclavin. Radames verliebt sich aber in Aida und wird von +Aida wieder geliebt. Später wird der äthiopische König Amonasro auch +noch gefangen genommen. Amonasro und Aida finden sich wieder, Beide, +Vater und Tochter, Gefangene am ägyptischen Hofe. Man begnadigt Beide +und will sie ziehen lassen. Amonasro aber überredet seine Tochter, die +Liebe Radames' zubenutzen, um ihn über einen Kriegsplan auszuforschen; +sie weicht endlich den Bitten des Vaters und Radames widersteht nicht +dem Flehen der Aida. Er fängt an, den Plan zu verrathen, aber gerade in +dem Momente kommt Amneris hinzu. Radames flieht nicht, er klagt sich +selbst an, die Königstochter überliefert ihn aus Eifersucht den +Priestern, er wird zum Tode verurtheilt und kann dann trotz der bitteren +Reue der Amneris nicht gerettet werden. Lebendig in einem Grabe +eingemauert, theilt Aida freiwillig sein Loos. + +Eine solche Aufführung, wie sie in Kairo Statt hatte, muß selbst den +verwöhntesten Geschmack befriedigen. Die Musik freilich wird wohl nicht +überall Beifall finden. Die Freunde der Harmonie werden sagen, es sind +zu viel Wagner'sche Anklänge vorhanden, die Wagnerianer werden die Musik +zu dünn und zu wenig überwältigend finden. In der That ist Verdi bei +dieser Composition ganz aus seiner Rolle gefallen. Der Componist des +"Ernani", des "Trovatore" hat sich im Wagnerianismus versuchen wollen, +aber nichts als zwangvolle Sätze sind entstanden, welche das Publicum +kalt lassen. + +Die innere Einrichtung des Opernhauses ist reizend. Die Bühne ist +verhältnißmäßig groß, ebenso der Orchesterraum. Links hat der Chedive +eine Prosceniumsloge, die gleich hoch _allen_ Logenreihen ist, darunter +eine kleine dicht am Orchester. Rechts ist die chedivische Haremsloge, +durch ein so feines Eisengitter verschleiert, daß die Meisten glauben, +dies weiße Gewebe seien Tüllgardinen, aber in der That besteht es aus +dem feinsten Eisendraht. Daran schließen sich vier andere, ähnlich +verschleierte Logen, für andere Haremsdamen hoher Würdenträger. + +Das Opernhaus hat vier Logenreihen übereinander. Im ersten Stock, also +parallel mit den Logen ersten Ranges, befindet sich ein großes und +fürstlich eingerichtetes Foyer, zugänglich für Jedermann. Daneben sind +Restaurationslocale, die man übrigens auch unten findet. + +Zu der Zeit wurde das Opernhaus erheblich vergrößert, weil die damaligen +Räume zur Aufbewahrung der Decorationen keineswegs genügten. + +Am folgenden Tage wurden wir um 10-1/2 Uhr zum Vicekönige befohlen; wir +holten Herrn v. Jasmund ab. Der Vicekönig residirt in einem neuen Palais +im neuen Stadttheile Ismaelia. Nach wenigen Vorstellungen, die zwischen +Ali Pascha, dem Ceremonienmeister und dann einem Anderen, der der +Großsiegelbewahrer ist, stattfanden, führte man uns die Treppe hinauf, +wo wir oben vom Vicekönige empfangen wurden. Aus dem großen Saale führte +er uns in ein kleines Zimmer. Die Unterhaltnng drehte sich natürlich nur +um die Expedition. Zuerst aber, nachdem wir vorgestellt waren, hielt +Herr v. Jasmund einen kleinen =speech=, worin er dem Vicekönige +dankte für das, was er für die wissenschaftliche Expedition gethan. Dann +erwiderte der Vicekönig, wie glücklich er sich schätze, mit solchen +Leuten eine solche Expedition organisiren zu können, und dann stattete +ich meine Grüße ab und dankte im Namen des Kaisers und Königs. Als ich +dies sagte, erhob sich der Chedive von seinem Platze, aus Ehrfurcht vor +dem Namen Sr. Majestät und Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen. + +Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte 3/4 Stunden) über +die Expedition und hierbei beklagte sich der Vicekönig bitter über +Bakers Expedition, der unnütz Menschenblut vergossen und für Abschaffung +des Sclavenhandels nichts gethan habe. Diese vom Vicekönige gesprochenen +Worte bekräftigten also in der That, daß Sir Samuel gar nichts erreicht +hat, daß seine Expedition vielmehr nach der Aussage des Chedive nur +unheilvoll wirkte. Ich begriff nun auch, warum die ägyptische Regierung +meiner Expedition so wenig officiellen Charakter, wie möglich, geben +wollte. Gegen Samuel Baker scheint der Chedive jedoch sich ganz anders +geäußert zu haben; wenigstens lesen wir in Bakers "Ismailia", daß der +Chedive seine Dienste durch die Verleihung des Osmanieh-Orden belohnte, +und daß Baker selbst meint, sein fester Glaube auf die Unterstützung der +Vorsehung sei nicht unbelohnt geblieben, also seine Aufgaben für gelöst +hielt. Das kann ich bestätigen, daß der Chedive keineswegs gesonnen +schien, die Baker'sche Expedition aufzugeben, sondern in Colonel Gordon +einen würdigen Mann fand, der da wieder anknüpfte, wo Baker sein +Unternehmen abgebrochen hatte. + +Der Vicekönig, 1830 geboren, also jetzt 45 Jahre alt, hat eine +gedrungene Gestalt, ein sympathisches Gesicht, freundliche Augen, im +Ganzen ein sehr intelligentes Aeußere. Jedenfalls, nach seiner +Physiognomie zu schließen, ein Mann, der mehr liebt, das Gute zu thun, +als das Böse. + +Als wir uns verabschiedet hatten, begab ich mich mit v. Jasmund nach +seinem Hôtel, um noch einige Punkte wegen des Dampfers, der Kamele &c. +zu präcisiren und zu Papier zu bringen. + +Darüber war es Mittag geworden. Nach Tische kam Jasmund, mich abzuholen +zu einem Besuche bei Hussein Pascha, dem zweiten Sohne des Vicekönigs, +der den öffentlichen Arbeiten vorsteht. Es handelte sich nämlich darum, +die Papiere bezüglich des Nivellements der Eisenbahnstrecke von Siut zu +bekommen, damit wir bei unserem Vorgehen von diesem Punkte eine +bestimmte Basis hätten. Hussein wohnt auf der Kasbah und im selben +Palais oder Harem, in welchem der große Mohammed Ali sein Leben +ausgehaucht hat. Ein großartiges Gebäude von colossalen Dimensionen, +dessen Bel-Etage ein immenses Kreuz bildet, derart, daß 1 das +Audienzzimmer, 2 den Saal und 3, 3, 3 noch andere Zimmer umfassen. Wie +im chedivischen Palaste, war auch hier Alles auf's Geschmachvollste, +auf's Reichste und ohne Ueberladung decorirt. Aber die Kasbah hat nicht +nur diesen einen Palast, sondern es ist dies ein Complex von Forts, +Schlössern und Moscheen. Da ist z.B. das Palais, in dem der Vicekönig +die Beiramsfestlichkeiten abhält, da ist vor Allem die ganz aus +Alabaster, oder besser gesagt, aus ägyptischem Marmor erbaute Moschee +Mehemed Ali's. + ++---+---+---+ +| 1 | | 3 | ++---+ +---+ +| 2 | ++---+ +---+ +| 3 | | 3 | ++---+---+---+ + +Mögen nun auch die Architekten sagen, was sie wollen, mögen sie +behaupten, diese Bauten zeigen keinen bestimmten Stil, mögen sie +glauben, die Minarets seien im Verhältnis zu ihrer bedeutenden Höhe zu +dünn oder zu wenig umfangreich, es steht fest, daß gerade diese Moschee +eine der Hauptzierden Kairos ist, daß man ohne sie sich Kairo nicht mehr +vorstellen könnte. Und in ihren einzelnen Theilen wie im Ganzen kann man +sie nur schön nennen, im Innern, wie im Aeußern. Nur der häßliche +Uhrthurm auf der Westfaçade des Hofes, aus Holz erbaut, paßt nicht zum +Ensemble. Wir besuchten natürlich auch das Innere, es wurden uns die +obligaten Schuhe übergezogen, aber ich merkte einen Fortschritt, sie +waren nicht wie früher aus Stroh, sondern aus Tuch und wurden +festgebunden durch Bänder. + +Eine stark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt und gesagt, es sei +das der Ort, wo eventuell der türkische Sultan seinen Sitz nähme; dies +scheint mir problematisch, ich glaube vielmehr, es ist eine Einrichtung +für den Harem. + +Nachdem wir dann die unvergleichlich schöne Aussicht von dem Punkte aus +genossen hatten, wo beim Massacre der Mameluken einer derselben sich +durch einen kühnen Sprung in die Tiefe gerettet haben soll, ein Punkt, +von welchem aus man die Stadt, die Gräber der Chalifen, das rothe +Gebirge (=Gebel ahmer=), das Mokhatan-Gebirge, die Pyramiden, den +Nil, ein großes Stück des üppigen Nil-Delta und die unendliche Sahara +überblickt, ein Punkt, von dem aus man das vollkommenste Bild über +Aegypten gewinnt, wo man den Charakter dieses Landes mit einem Blick +überschauen kann--nachdem wir dies in uns aufgenommen, stiegen wir zur +Hassan-Moschee, am Fuße der Kasbah gelegen, hinab. + +Die Hassan- Moschee gilt überall als die schönste Moschee von Kairo und +doch keineswegs mit Recht. Die Großartigkeit der Steinmauern bestreite +ich nicht, aber die schon zugeschnittenen Quadern wurden von den +Pyramiden entnommen. Die Zartheit, das Kühne des Tropfsteingewölbes, das +Unglaubliche der Stalaktiten-Kuppeln gebe ich gern zu, aber das Material +dazu ist von Holz, und mit Widerwillen fast wird man hier an das +Vergängliche, an das Unsolide aller maurischen Bauten erinnert. Dazu +kommt, daß diese Holz-Stalaktiten-Bauten derart vernachlässigt und +zerfallen sind, daß alle Schönheit schon zu Grunde gegangen ist. + +Was aber für den mit der religiösen Geschichte der Mohammedaner +Vertrauten ungleich mehr auffällt, ist der Grundriß der Moschee. Bis +jetzt hat noch kein Architekt darauf aufmerksam gemacht. Im +gewöhnlichen Stil besteht nämlich jede Moschee aus zwei Körpern: dem +bedeckten, nach Osten gerichteten Theile, aus manchmal vielen +Säulenhallen bestehend, und dem unbedeckten Hofe im Westen, beide in der +Regel viereckig. Die Hassan-Moschee aber hat im Hofe als Grundriß ein +vollkommenes _Kreuz_. Wenn man weiß, wie furchtbar der Moslim Alles +haßt, was nur irgendwie an die Form des Kreuzes erinnert, so muß man +sich wundern, daß dies hier so prägnant zum Ausdruck gekommen ist. +Jedenfalls ist es unbewußt geschehen, denn der uns begleitende Priester +gab mir den Schlüssel dazu folgendermaßen: Jeder der Kreuzflügel, +welche, beiläufig gesagt, überwölbt sind, dient zur Aufnahme der +Anhänger der vier rechtgläubigen Bekenner, so daß in dem einen die +Malekiten, im anderen die Schaffeïten, im dritten die Hambaliten, im +vierten die Hanesiten Platz finden. Sultan Hassan liegt in der Moschee +begraben und rund um sein Grab sieht man die unvertilgbaren Spuren von +Blutlachen, Zeugen der Ermordung von Mameluken, welche sich beim +Massacre in die Moschee geflüchtet hatten. + +Hiernach begleiteten wir v. Jasmund nach Hause und fuhren, Zittel und +ich, sodann zu Mariette Bei, dem Director des Bulac-Museums, fanden ihn +aber nicht zu Hause. Das Museum konnten wir auch nur sehr flüchtig +besehen, da es dunkel wurde. + +Nach dem Essen gingen die Anderen noch etwas spazieren, ich schrieb, +machte auch einen Gang auf die Esbekieh und hiernach trafen Zittel und +ich uns wieder im Nil-Hôtel. Wir saßen Abends noch lange im Mondschein, +der Mond stand hoch, fast im Zenith über uns. Die blühenden, wie +Heliotrop duftenden Akazien, die milden Lüfte, Alles war zauberisch +schön. Solche duftende ruhige Nächte giebt es nur in Nordafrika, wo die +Nächte Winters und Sommers sich fast stets durch absolute Windlosigkeit +der Atmosphäre auszeichnen. + +Ein wichtiges Geschäft war dann noch abzuwickeln, nämlich gute Diener zu +engagiren. Eine gewisse Erleichterung gewährte Kairo in sofern, als alle +unbeschäftigten fremden Leute, alte und junge, in der Stadt einem Schich +unterstehen, der, so lange sie in Kairo sind, für ihr Betragen der +Polizei haftbar ist. Dieser Schich besorgte mir sodann Leute, so viel +ich brauchte, und da außerdem die Polizei sich noch drein mischte, +konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, gute und brave Leute +engagirt zu haben. Gleich von vornherein kann ich dies auch hier +bestätigen, denn im Ganzen hatten wir recht treue Diener; und wenn +selbst der fromme Doctor der Theologie, welcher Prof. Ascherson's Diener +war, diesen so unverschämt betrog, so folgte er wohl nur religiösen +Motiven oder glaubte vielmehr seine Betrügereien durch den Mantel der +Religion bedecken zu können. Ein alter Diener, den ich in Tripolis aus +der Sclaverei befreit und über Cyrenaica und Siuah hierher gebracht +hatte, fand mich hier wieder. Es war rührend, als er kam, mir die Hand +küßte, weinte und mir das Certificat zurückstellte mit den Worten: +"Jetzt brauche ich es nicht mehr, jetzt habe ich Dich wiedergefunden." + +Nachdem viele Einkäufe besorgt waren, gingen wir sodann zur Sitzung des +=Institut d'Égypte=, wo man uns zu Ehren eine Versammlung anberaumt +hatte. Da waren alle Notabilitäten der Wissenschaft Aegyptens +vertreten. Mariette Bei, der berühmte Aegyptolog, präsidirte. Die +Sitzung war in einem Saale des Ministeriums des Innern. Nach einer +einleitenden Rede und nach Verlesung des =procès verbal= der +letzten Verhandlung verlas ich eine Rede in französischer Sprache. Es +war recht feierlich, v. Jasmund war auch da und Schweinfurth von +Alexandrien herüber gekommen. + +Nach diesem kurzen Aufenthalte in Alexandrien und Kairo wurde Siut +erreicht, von wo die eigentliche Expedition beginnen sollte. Aber gleich +beim Beginne stellten sich die Schwierigkeiten bedeutend größer heraus, +als man vermuthet hatte, denn es galt, die Kamele mit Futter zu beladen, +da man sich Angesichts einer absolut vegetationslosen Wüste befand. +Nachdem die Bohnen, welche zu einer Reise von zwanzig Tagen nothwendig +wurden, an Ort und Stelle waren, traten wir am 18. December den Marsch +in die Wüste an. Dieselbe offenbarte denn auch gleich an den ersten +Tagen ihre ganzen Schrecken und Gefahren, denn man befand sich in der +trostlosesten Einöde. Allerdings nicht so vegetationslos, daß nicht hier +und da noch einige Kräuter gesproßt hätten, aber keineswegs so +krautreich, daß man darin hätte Kamele weiden können. + +Nur dieser Theil der Sahara, die sogenannte Libysche Wüste, kennzeichnet +sich durch eine so außerordentliche Armuth an Pflanzen, denn in der +ganzen übrigen Sahara nehmen Karawanen nie Futter für die Kamele mit, +sondern die Thiere begnügen sich mit dem, was sie unterwegs finden. Nur +südlich von Tedjerri in Fessan hat man auch ein Terrain zu durchziehen, +wo man für einige Tage Datteln als Kamelfutter mitzunehmen pflegt. + +Wir erreichten dann zunächst die kleine Oase Farafrah, keineswegs dem +Nil zunächst gelegen, im Gegentheil, sie ist von Sinah am Nil die +entfernteste. Aber ich hatte diesen Weg vorgezogen, weil er ein +vollkommen neuer, _noch nie von Europäern begangener_ war. Das +Erscheinen einer so großen Karavane, 100 Kamele und circa 80 Mann, rief +natürlich die größte Angst, der alsbald das Staunen folgte, bei den +Eingeborenen hervor, aber als sie schnell gewahr wurden, daß wir in +friedlicher Absicht gekommen waren, etablirte sich ein leidliches +Verhältniß zwischen uns, soweit der Fanatismus der Bewohner es +gestattete. + +Sodann mußten wir nach einigen Tagen uns nach Dachel wenden, da wir in +Farafrah weder für uns noch für unsere Kamele Vorräthe auftreiben +konnten. Wir folgten derselben Route, welche vor uns Cailliaud gezogen +war, und erreichten nach einer Woche diese freundlichste aller +Uah-Oasen. Und so freundlich uns die Landschaft und der Hauptort Gasr +entgegenlachten, so zuvorkommend wurden wir hier auch empfangen von der +Behörde und der ganzen Bevölkerung. Erwähnen muß ich allerdings, daß die +Farafrenser über unsere Ankunft noch nicht unterrichtet waren, als wir +dort eintrafen, in Dachel hingegen die Behörde von Siut aus schon +instruirt war, uns freundlich aufzunehmen. + +Aber auch hier in Dachel waren die Vorräthe nicht so reichlich, wie man +uns es vorgespiegelt hatte, und ich war gezwungen, nach Siut +zurückzusenden, um sechzig neue Kamelladungen Bohnen kommen zu lassen. +Aber ehe dieselben eintrafen, vermochte ich Prof. Jordan, vorauszugehen. +Freilich hatte er mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber als dann +Zittel auch bald nachrücken konnte, wurde abermals weiter vorgegangen +und die Expedition erreichte fast den 27° O.L. v. Gr. und blieb vor +einer mächtigen, von Norden nach Süden streichenden Düne liegen. Hier +fand ich dieselbe lagern, als ich selbst nach einiger Zeit dort eintraf. + +Eine Recognoscirung, die Zittel zu Fuße schon vorher gemacht hatte, eine +andere, die ich selbst mit Prof. Jordan unternahm, stellte nun zur +Evidenz heraus, daß an ein weiteres Vorgehen nach Westen nicht zu denken +sei. Wir befanden uns Angesichts eines Sandmeeres, welches aus 100-150 +Meter hohen Sandketten mit steilen Böschungen bestand. Die Zwischenräume +zwischen diesen Sandketten waren ebenfalls mit Sand bedeckt, zeigten +_kein nacktes Gestein_. Es traten nun zwei entscheidende Gründe ein, die +uns zwangen, von weiterem Vorgehen nach Westen abzustehen. Erstens waren +es die hohen, von _Norden nach Süden_ ziehenden Dünen, welche zu _jeder +Uebersteigung_ mehrere Stunden nöthig machten und wodurch wir sodann +höchstens per Tag 20 Kilometer hätten vordringen können mit der +_gewissen_ Aussicht, nach acht Tagen sämmtliche Kamele todt oder +"=batal="[40] gehabt zu haben. Zweitens war es unmöglich, im +Sandmeer Wegzeichen zu errichten; der geringste Samum würde sie umgeweht +haben; mithin war eine weitere Depôtbildung, die unumgänglich +nothwendig war, sowie eine constante Verbindung mit dem Hauptdepôt +Dachel nicht zu ermöglichen. + +Sobald daher das Unausführbare, Kufra von Westen aus mit den uns zu +Gebote stehenden Locomobilen zu erreichen, constatirt war, beschlossen +wir, mit den Dünen nach Norden zu gehen, um womöglich einen Durchgang, +ein Aufhören der Dünen zu finden oder Siuah zu erreichen. Die Dünen +hörten nicht auf, wir waren während 14 Tagen stets zwischen hohen Ketten +von Sandbergen und legten einen der sonderbarsten Märsche zurück, welche +je in Afrika gemacht worden sind. _Ohne Führer_ waren wir, wie das +Schiff auf dem Meere, nur dem Compaß vertrauend, angewiesen, der einmal +angenommenen Richtung zu folgen. War diese falsch oder wären wir durch +die öftere nothwendig werdende Uebersteigung der Dünen zu weit +abgekommen, so mußte voraussichtlich Siuah verfehlt werden[41]. Oder +wären wir von einem _mehrtägigen_ Samum überrascht worden, so wäre +voraussichtlich unser Loos ein noch schlimmeres gewesen, indem wir nur +für eine bestimmte Zahl von Tagen Wasser hatten. Ich konnte es überhaupt +nur übernehmen, die Karavane nach Siuah zu führen, weil ich dort bekannt +war und die Formation der Ufer und die Lage der Seen östlich und +westlich von Siuah mir noch vor Augen stand. Ich brauchte deshalb nicht +zu fürchten, falls ich zu weit westlich oder östlich herauskäme, +unorientirt zu bleiben. + +Und glücklich erreichten wir denn auch die Oase des Jupiter Ammon, wo +wir bei der Behörde den freundlichsten Empfang fanden. Schon nach +wenigen Tagen brachen wir wieder auf, gingen bis Setra zusammen in +östlicher Richtung und sodann trennten Zittel und ich uns von Jordan, um +wiederum _ohne Führer und auf nie begangenem_ Wege direct nach Farafrah +zu gehen, während Jordan mit einem in Siuah gemietheten Führer nach +Uah-el-behari ging, um die auf den Karten verzeichneten Behar-bela-ma zu +untersuchen. + +Farafrah wurde glücklich von uns erreicht, vonwo Zittel sogleich nach +Dachel weiter ging, um unseren dortigen um uns in Sorge lebenden +Gefährten die Nachricht unserer glücklichen Rückkehr zu übermitteln. Ich +selbst blieb noch einen Tag länger in Farafrah und ging dann auf +_neuem_, noch nie begangenem Wege nach Dachel, hauptsächlich um die +Gebirgszüge zu durchschneiden, welche wir früher im Westen von unserem +ersten Marsche von Farafrah nach Dachel erblickt hatten. In Dachel +vereinten wir uns dann nach einigen Tagen zu gemeinsamem Vorgehen über +Chargeh nach Esneh, welches wir am 1. April ohne Unfall erreichten. + +Ich komme nun auf die Resultate zu sprechen und hebe hervor, daß uns +außer der allgemeinen Erforschung der Libyschen Wüste hauptsächlich zwei +Punkte als beachtenswerth waren bezeichnet worden: die Untersuchung der +verschiedenen Behar-bela-ma und die Depression der Libyschen Wüste. + +Ein Bahr-bela-ma von Dachel ausgehend und nordöstlich von Beharieh in +das von Ost nach West gerichtete Bahr-bela-ma von Pacho und Belzoni +mündend existirt nicht. Es breitet sich zwischen ihnen ein einzig +Kalksteinplateau über 300 Meter hoch aus. In der Sitzung des =Institut +Égyptien= hatte ich schon darauf aufmerksam gemacht, daß Bahr-bela-ma +in der Sahara nichts ist, als das gleichbedeutende Wort Wadi, das +hundertmal vorkommt. Wenn es sich aber durch die geographischen +Verhältnisse bestimmt erweisen läßt, daß ein Bahr-bela-ma als eine +Längseinsenkung nicht existirt, so ist andererseits durch die +geologische Untersuchung des Bodens auf das Schlagendste nachgewiesen, +daß der Nil nie in dieser Richtung hat fließen können. Nirgends wurden +von unserer Expedition fluviatile Niederschläge, sondern überall nur +maritime Bildungen constatirt. Das Bahr-bela-ma als ein continuirliches +Thal, oder gar als ein westliches Flußbett des Nil muß daher definitiv +aus der Welt geschafft und von den Karten gestrichen werden. + +Die zweite zu lösende Aufgabe betraf die Depressionsfrage, ob nämlich +die von mir 1869 entdeckte Depression sich über die ganze Libysche Wüste +erstreckt, oder vielmehr von dem Libyschen Küstenplateau (diesen +Ausdruck möchte ich vorschlagen für den jetzt gebräuchlichen "Libysches +Wüstenplateau") sich bedeutend nach Süden zu ausdehnt. Hierin lag +zugleich die Aufgabe einer Erforschung der ganzen Libyschen Wüste; denn +als Endziel war die Erreichung der Oase Kufra in Aussicht genommen. + +Gleich beim Verlassen der Oase Dachel konnten wir eine merkliche +Steigerung beobachten, wie ja überhaupt, mit Ausnahme von Siuah, alle +Uah-Oasen höher als der Ocean gelegen sind und nur relativ Depressionen +bilden. In Regenfeld waren wir schon über 300 M. gestiegen, und als wir +dann nach Nord einige Grade zu West den Weg fortsetzten, fanden wir zwar +eine allmälige Absenkung aber erst in Siuah konnten wir eine eigentliche +absolute Depression constatiren. Die Producte des Meeres, die hier +gefunden wurden, die Abwesenheit von Süßwasserbildungen oder gar von +Nilschlamm schließen aber auch hier jeden Gedanken aus, daß der Nil sich +durch diese Depression in die Syrte ergossen habe. + +Unser Vormarsch in Regenfeld war verhindert worden durch hohe Sanddünen, +welche von NNW. zu SSO. Richtung hatten und 100-150 M. hoch waren. Ein +Vormarsch in westlicher Richtung war somit unmöglich geworden, theils +wegen der Kamele und theils weil aus Mangel an Wegweisern keine +Depositorien mehr angelegt werden konnten. Denn zwischen den Dünen war +nicht etwa bloses Gestein, sondern tiefer Sand, welcher das Errichten +von Wegzeichen unmöglich machte. Wir hatten also Ein einziges Sandmeer +vor uns, nur unterbrochen durch 1--1-1/2 Kilometer auseinanderstehende +Sandketten. + +Die Sanddünen sind Meeresprodukt; ihre Formenveränderungen sind im +Allgemeinen constant. Daß die Winde, die hier meist von NNW. nach SSO. +wehen, während der Chamsin gleiche Richtung, aber aus entgegengesetztem +Pole hat, sie verursachen, glaube ich nicht; denn dann müßten sie in der +Grundform in der dem Winde entgegengesetzten Richtung laufen, sie +verlaufen aber mit dem Winde. + +Was die Wärmeverhältnisse anbetrifft, so hatten wir diesmal sehr geringe +Schwankungen. Während auf früheren Reisen in der Wüste im Winter eine +Differenz von 30º beobachtet wurde, hatten wir diesmal im Februar, +welcher sich als der kälteste Monat herausstellte, einen Unterschied, +der bedeutend geringer war, wenig mehr als die Hälfte. Eine mittlere +Zahl kann ich noch nicht aus meinen viermal täglich angestellten +Beobachtungen geben. Aber im Februar hatten wir sieben Tage, wo das +Thermometer unter Null war, und am 16. zeigte das Thermometer sogar -5°. +Die größte Wärme, welche im Februar beobachtet wurde, betrug nicht mehr +als 24° und dies nur an zwei Tagen. Auffallend war die Erscheinung eines +dreitägigen Regens in der Libyschen Wüste, und zwar erstreckte sich +dieser Regenfall über ein ziemlich großes Terrain: denn in Dachel und +Farafrah hatte es an denselben Tagen auch geregnet, während man aber in +dem dem Mittelmeere näher gelegenen Siuah keinen feuchten Niederschlag +gehabt hatte. So war denn auch der Feuchtigkeitsgehalt der Wüste ein +ungemein bedeutender und nur, wenn Südwind eintrat, zeigte sich +plötzlich eine auffallende Trockenheit in der Atmosphäre. Leider mußten +Untersuchungen über den Electricitätgehalt der Luft ausgesetzt werden, +weil die magnetische Nadel des mitgenommenen Electrometers sich als zu +schwach erwies; sie reagirte gar nicht. Aeußerst interessant waren die +Untersuchungen über Ozongehalt, wie man sich aus den demnächst zur +Veröffentlichung kommenden Beobachtungen Zittels wird überzeugen können. +Je offener der Himmel war, und je entfernter wir von bewohnten Plätzen +waren, desto mehr Ozon wurde bemerkt. Bei herrschendem Samum war äußerst +wenig Ozon vorhanden. + +Ich unterlasse es hier, ausführlich über die von uns angetroffenen +Völker in den Oasen zu reden. Bekannt ist, daß die Bevölkerung von Siuah +berberischer Herkunft ist. In Uah-el-Beharieh, Farafrah und Dachel ist +zweifelsohne die Abstammung der Bewohner dieselbe, wie die der Fellahin +im Nilthale; doch haben sich in Uah-el-Beharieh und Dachel einzelne +Araber früher seßhaft gemacht. Hervorheben müßte ich noch, daß es Prof. +Ascherson gelungen ist, nachzuweisen, daß nicht Farafrah die Oase +Trinythis der Alten ist, sondern daß dieser Name mit der =Oasis +magna= in Verbindung gebracht werden muß. + +Was die archäologischen Ergebnisse anbetrifft, so beruhen dieselben auf +genauen photographischen Bildern, welche die Expedition von den Tempeln +in Chargeh und Dachel gemacht hat. Zu diesem Behufe mußte der Tempel in +Dachel erst ganz vom Schutte und Sand ausgeräumt und zum Theil 50 +Centner schwere Blöcke entfernt werden. Prof. Ebers in Leipzig, der die +Güte hatte, die Bilder durchzusehen, hat auf den Tempelwänden von Dachel +den Namen des Kaisers Vespasian gelesen und der berühmte Aegyptologe ist +der Ansicht, daß die feineren Skulpturen von allgemeinen Künstlern +hergestellt seien, während die gröberen von Dachelaner Steinhauern +selbst ausgeführt worden wären. Viel ergiebiger und interessanter +zeigten sich die Inschriften des Tempels von Chargeh. Wir sehen dort den +opfernden König Darius, dem Ammon Libationen und Rauchopfer anbietend. +Darius wird als Liebling des Ammon von "Heb" (dies der alte Name für +Chargeh) bezeichnet, auch ein bisher Ebers unbekannter Vorname des +Darius, "Basetut", ist angeführt. Nach Ebers wurde der Tempel von +Chargeh erst nach dem Tode Darius vollendet; daher die vielen leeren +Königsschilder, welche ursprünglich für den Namen des Darius bestimmt +waren. Die sehr interessanten Inschriften, schrieb mir Ebers, beweisen, +daß das ganze ägyptische Pantheon, Ammon an der Spitze, in der Oase +verehrt wurde, daß dort eine ägyptische Priesterschaft mit reichlicher +Versorgung dem Cultus vorstand, daß Chargeh Heb hieß, daß Darius als +König Aegypten und wahrscheinlich auch die Oasen besucht hat. Daß auf +einer der Platten, welche in Kairo Brugsch vorgelegt wurde, dieser +Gelehrte den alten Namen der Hauptstadt der Oase Dachel als "Mondstadt" +bezeichnet fand, glaube ich schon mitgetheilt zu haben. + +In Betreff der Ausbeute der mich begleitenden Fachgelehrten kann ich +noch nichts Detaillirtes mittheilen. Indeß gereicht es mir zur Freude, +sagen zu können, daß die botanischen Ergebnisse des Prof. Ascherson +keineswegs so gering gewesen ist, wie wir fürchteten. Gab es auch +manchmal ganz vegetationslose Strecken, so boten aber gerade die Oasen +in der Zeit, als wir dort waren, ein um so reicheres Pflanzenleben. +Prof. Jordan hat alle wichtigen Punkte astronomisch bestimmt. Täglich +wurden Breitenbestimmungen gemacht und die Declination der Magnetnadel +notirt. Und was Zittel anbetrifft, so sind dessen Funde in +paläontologischer Beziehung wahrhaft überraschend gewesen. Der Wahn der +einförmigen Numinulitenformation, welche man früher für die ganze +Libysche Wüste annahm, ist somit gründlich zerstört. + +Dies die wissenschaftlichen Resultate der Expedition. Praktische hat +dieselbe keine aufzuweisen, wenn nicht das bewiesen wäre, daß der +Europäer in Afrika auch ohne Führer reisen kann, daß durch Mitnahme von +eisernen Wasserbehältern man in der Wüste nicht blos Wege, wo Brunnen +oder Wasserlöcher sind, zu nehmen braucht, sondern monatelang ohne +solche existieren kann. Selbst die ausgedehnten Eisensrunde werden nie +zu verwerthen sein, weil es in der Libyschen Wüste an zwei Bedingungen, +sie zu verarbeiten, fehlt: Kohlen und Wasser. Aber praktische Resultate +hat die Expedition auch nie erzielen wollen, und obschon dieselbe Kufra +aus unüberwindlichen Hindernissen nicht erreichen konnte, wird nicht +bestritten werden können, daß sie der Hauptsache nach ihre Aufgaben +gelöst und auf alle Fälle in Anstrebung des vorgesteckten Zieles ihre +Pflicht gethan hat. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 28: Noël ist der junge stattliche Afrikaner, welcher in Folge +der Bestimmung Sr. Maj. des Kaisers von Deutschland in Lichtenfelde bei +Berlin eine deutschen Begriffen entsprechende Bildung genoß, nun aber, +da ihm das nördliche Klima nicht bekam, auf Befehl des Kaisers mit nach +Aegypten ging, um dort noch eine weitere Ausbildung zu erhalten.] + +[Footnote 29: Centralafrikanischer Volksstamm.] + +[Footnote 30: Mandara ist eine Landschaft in Nordafrika, welche von +einem eigenthümlichen Negervolke von übrigens ausgezeichneter +Körperbildung bewohnt wird.] + +[Footnote 31: Das ist eines jener Thränengläser, die sich oft in Gräbern +der Alten bei Todtenurnen finden und worin angeblich die Hinterbliebenen +den Verstorbenen ihre Thränen mitgaben.] + +[Footnote 32: Buch VI, S.10, deutsche Uebersetzung von Penzel.] + +[Footnote 33: Den Schmutz der internationalen Waggons verdamme ich +trotzdem.] + +[Footnote 34: Mein deutscher Diener.] + +[Footnote 35: Herrn Remelé's Diener.] + +[Footnote 36: Der Astronom der Expedition.] + +[Footnote 37: Photograph.] + +[Footnote 38: Archäeolog und Geodät.] + +[Footnote 39: Schweinfurth reiste im selben Winter nach Chargeh, aber +unabhaengig von der Expedition.] + +[Footnote 40: =Batal= = tragunfähig.] + +[Footnote 41: Eine Breitenbeobachtung konnte Jordan freilich Abends +machen, aber zu einer Längen-Nahme fehlte die Zeit.] + + + + +9. Das jetzige Alexandrien. + + +Mehr als zweiundzwanzig Hundert Jahre steht die Stadt, welche den Namen +des großen Mannes trägt, der nach Aegypten gekommen war, um im +weltberühmten Orakelheiligthum des Ammonium die Frage zu stellen, ob er +wirklich ein Sohn des Zeus sei. Gewaltig sind die Stürme der +menschlichen Geschichte über die Stadt dahingebraust, welche einst der +Glanzpunkt der Welt in wissenschaftlicher und commerzieller Beziehung +war. Alexandrien, die Stadt des Museum und Serapeum, war aber trotz +seiner Weltlage im Jahre 1790 so herabgekommen, daß, als die Franzosen +unter Bonaparte landeten, es nur mehr circa 6000 Einwohner hatte. Es +gehörte aber auch die ganze Wirtschaft knechtischer Beys dazu, um ein +Land und die Städte so ruiniren zu können, wie wir Aegypten und seine +Oerter am Anfang dieses Jahrhunderts sehen. Verwundert fragt man sich: +wie war es möglich, daß eine Stadt, so ungemein günstig gelegen, so tief +hatte sinken können? + +In der That hat Alexandrien, wie keine andere Stadt am Mittelmeere, eine +vorteilhafte Lage. Wegen des ausgezeichneten Hafens braucht es nicht zu +befürchten, von Port Said, das allerdings an der Mündung des Kanals von +Suez liegt, überflügelt zu werden, und mittelst der Eisenbahnen und +Dampfschiffe auf den Kanälen ist es ohnedieß mit dem großen Kanal in +intimster Beziehung. Alexandrien liegt an einer der größten +Verkehrsadern unserer Zeit, einer Verkehrsstraße, welche voraussichtlich +immer als eine der am lebhaftesten pulsirenden Handelswege fortbestehen +wird. Aber nicht allein das ist es, gleichsam als Etape zwischen +Ostindien und Oceanien einerseits und Europa andererseits zu dienen; die +Stadt Alexander des Großen liegt an der Mündung des einzigen schiffbaren +Flusses von Nordafrika, welcher mit seiner mächtigen Verästelung ein +ungeheures Gebiet beherrscht. Welche Zukunft erschließt sich der Stadt, +wenn die Producte aus Centralafrika nilabwärts ihr zugeführt werden. +Denn jetzt vermittelt der Nil blos Das, was an Erzeugnissen längs seines +300 Meilen langen Stammes producirt wird. Welche Zukunft wird aber +Alexandrien haben, wenn die Felsen der Katarakte gesprengt und man mit +Dampfschiffen direct vom Mittelmeere bis zu den See'n Innerafrikas, den +großen Wasserreservoirs des Nils, wird fahren können! + +Aber wenn man auch Alexandrien ein immer mehr günstig sich gestaltendes +Prognostikon stellen kann, so hat die Stadt keineswegs Ursache, mit +ihrer heutigen Entwickelung unzufrieden zu sein. Es ist der Großvater +des jetzigen Chedive, Mohammed Ali, dem die Stadt ihren jetzigen +Aufschwung verdankt. Dadurch, daß er der Stadt den Kanal herstellte, +wurde ihr nicht nur gutes Trinkwasser, sondern auch ein leichter +Verkehrsweg mit dem Innern geschaffen. Mohammed Ali war auch der Erste, +welcher den Schiffen der christlichen Nationen den Eingang in den alten +Hafen eröffnete; bis vor seiner Regierung mußten sie den neuen, wenig +sicheren Hafen benutzen. + +Alexandrien mit etwa 200,000 Einwohnern zerfällt in zwei Stadttheile, +von denen der eine von der europäischen Bevölkerung der andere von den +Eingeborenen bewohnt wird. Der arabische[42] Stadttheil ist im +Nordwesten und Westen gelegen; die Straßen sind eng, unregelmäßig, im +Sommer staubig, im Winter mit undurchdringlichem Schmutz erfüllt; die +Häuser sind meist einstöckig und höchst launenhaft gebaut. Hier steht +eins mit halber Front, diagonalartig zur Straße, dort hängt eins mit dem +oberen Stockwerk über; hier ist eins in die Straße selbst hineingebaut, +dort ist eins, welches einen weiten Hof vor sich hat. Fenster sind +spärlich vorhanden, namentlich im Erdgeschosse; ist eine Bel-Etage +vorhanden, so findet man häufig sehr viele, mit feinem Holzgitter +verschlossene Fenster. Sehr praktisch ist der zickzackartige Bau des +oberen Geschosses, der Art, daß regelmäßig vorspringende Winkel, mit +Fenstern versehen, angelegt sind. Alte Gebäude findet man in der +Alexandrinischen Araberstadt fast gar nicht, so daß sie keineswegs ein +interessantes Aussehen hat, sich höchstens gut bei Mondscheinbeleuchtung +ausnimmt. So durchzogen wir sie denn auch eines Abends, ehe wir die +libysche Expedition antraten, und besuchten sodann ein Kaffeehaus der +Eingeborenen, um eine Mokka zu schlürfen und einen Tschibuk zu saugen. +Aber auch hier fängt die Civilisation an, mit mächtiger Gewalt +einzudringen. Im ganzen arabischen Viertel ist jetzt Gasbeleuchtung. Wie +lange wird es dauern und die Straßen werden gepflastert, sie werden +gerade gemacht, besprengt, mit schattigen Bäumen bepflanzt und statt der +kleinen Gewölbe und Boutiken mit prächtigen Verkaufsläden geschmückt +werden. Das Letztere wäre namentlich wünschenswert; denn gezwungen durch +die Kleinheit ihrer Verkaufsbuden, rücken die Kaufleute ihre Waaren weit +in die Straßen hinein, verengern so die Passage und füllen die Luft mit +den sich mischenden Gerüchen gekochter Speisen, frischen Gemüsen, rohen +Fleisches, kurz aller Gegenstände, die sie feil haben. + +Das muselmännische Alexandrien hat hundert Moscheen, von denen jedoch +keine einzige ausgezeichnet und berühmt ist, verschiedene Sauya[43] und +Medressen[44] und eine Menge Funduks und Karawanseraien, um Menschen und +Thiere zu beherbergen. Es versteht sich von selbst, daß in diesen +Funduks nur die Eingeborenen logiren. Die Bevölkerung des arabischen +Theiles von Alexandrien beträgt etwa 100,000 Einwohner, also die Hälfte +der Gesammtbevölkerung. + +Ganz anders erscheint das europäische Quartier, welches, wie aus dem +früher Gesagten hervorgeht, eine eigentliche Schöpfung der Neuzeit ist. +Breite und gerade Straßen, zum Theil mit schönen Baumreihen bestanden, +hier und da ein reizender Platz mit immergrünen Pflanzen und duftigen +Blumen, an den Seiten prächtige, mehrstöckige Häuser, massive Bauten +mit den elegantesten Läden, herrliches Pflaster (die Steine dazu hat +man von Triest kommen lassen, _jedes Stück_ hat circa 5 Francs gekostet +bei einer Größe von 15 Zentimeter quadratischer Oberfläche auf 20 +Centimeter Tiefe), mit schönem Trottoir für Fußgänger, machen das +europäische Alexandrien zu einer der schönsten Städte am Mittelmeere. +Dazu kommt eine ausreichende Gasbeleuchtung und eine künstliche +Wasseranstalt (auch die arabische Stadt wird mit Wasser aus derselben +versorgt), welche bei Moharrem-Bai Nilwasser in ein Reservoir pumpt, aus +der die ganze Stadt mit dem besten Trinkwasser der Welt versorgt +wird[45]. Der mittlere Verbrauch von Wasser beläuft sich auf 8000 +kubische Meter täglich. + +Auf dem Platze Mohammed Ali's, auch =Place des consuls= genannt, +concentrirt sich am meisten das europäische Leben; hier sieht man die +glänzendsten Läden, hier ist das französische Generalconsulat, das +Stadthaus, mehrere große Hotels und seit zwei Jahren--Allah und Mohammed +verzeihe dem Chedive und seinen Räthen diese christliche oder vielmehr +heidnische Ketzerei--erhebt sich inmitten der breiten Allee die über +lebensgroße Statue des Begründers der jetzigen Dynastie. Die Statue +Mohammed Alis ist aus Bronce und im Ganzen 11,50 Meter hoch, wovon 6,50 +Meter auf das aus toscanischem Marmor gemeißelte Piedestal kommen, +während die Reiterstatue selbst 5 Meter hoch ist. Die Statue ist von +prachtvoller Wirkung. Mohammed Ali in orientalischer Tracht, den Kopf +beturbant, sitzt in gebietender Stellung zu Roß, seinem energischen +Gesichtsausdruck sieht man es an, daß er der Mann ist, welcher das +türkische Joch abschüttelte, der, hätten nicht die Großmächte ihr Veto +dazwischen gerufen, sein Schwert bis nach Stambul selbst hineingetragen +haben würde. Furchtsam umstehen die Fellahin das Denkmal, fromme Flüche +und Verwünschungen murmelt der scheinheilige Taleb oder Faki beim +Anblick dieses gewaltigen Mannes; am liebsten würde er gleich das "Bild" +vernichten. Aber der Preis und die Belohnung, welche er sich dafür im +Paradies unfehlbar erwerben würde, scheint doch nicht so sicher zu sein, +als die irdische Strafe, welche einem solchen Versuche auf der Stelle +folgen würde. Ismael, der jetzige Regent von Aegypten, kennt seine +Leute, er weiß, was er ihnen bieten kann und er weiß, daß der +einigermaßen denkende Mohammedaner heute der irdischen Belohnung und der +irdischen Strafe vor den unsicheren zukünftigen Versprechungen oder den +jenseitigen Qualen den Vorzug giebt. =Tout comme chez nous=. Wer +fürchtet sich heute bei uns vor den Flammen der Hölle und vor der +Aussicht, Milliarden von Jahren dem Allerhöchsten ein Hallelujah zu +singen!--Aber das irdische Gesetz und das eigne Pflichtgefühl, die Liebe +zum Guten und Schönen, der Haß des Bösen und Häßlichen, welche uns +_jetzt_ schon erblich, möchte ich sagen, überliefert werden, das sind +heute die großen Triebfedern, welche die menschliche Ordnung und +Gesellschaft zusammenhalten müssen. + +Daß für die religiösen Bedürfnisse der Europäer reichlich gesorgt ist, +versteht sich von selbst in einer orientalischen Stadt, wo die meisten +Europäer Katholiken sind oder der griechischen Kirche angehören. Es +giebt 3 katholische Kirchen, 4 für den griechischen Ritus, 3 +protestantische, 1 koptische und 1 maronitische Kirche. Die Juden haben +3 Synagogen. Daß Mönche und Klöster nicht fehlen in einer so großen +Stadt am Mittelmeere, der Geburtsstätte so vieler Religionen, braucht +wohl kaum gesagt zu werden. Der koptische Patriarch residirt auch in der +Regel in Alexandrien.--An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt die Stadt 4 +Hospitäler, das für Militär und Civilpersonen eingerichtete +Gouvernementshospital, das allgemeine europäische Hospital, das +Diaconissenhospital und ein griechisches. Von den barmherzigen +Schwestern wird auch ein Findlinghaus geleitet.--Die Schulen sind alle +in den Händen der Geistlichkeit, aber es dürfte, seit Herr Dor, ein +Schweizer, die Leitung des Unterrichts in Aegypten übernommen hat, bald +eine günstige Veränderung eintreten; auch eine deutsche Schule ist unter +den Auspicien des deutschen Generalconsulats gegründet worden. Von den +übrigen europäischen Schulen nenne ich das Institut der Lazaristen +(=collège des Lazaristes=), ähnlich eingerichtet, wie ein +französisches Lyceum: man unterrichtet in französischer Sprache +Lateinisch und Griechisch. Das Arabische, Neugriechische, Italienische +ist facultativ. Englisch und Zeichnen und Musikunterricht werden +besonders bezahlt, der Pensionpreis beträgt 1000 Francs jährlich. Die 12 +Lehrer sind sämmtlich Geistliche. Die Schule wurde 1873 von 60 Schülern +besucht. Das italienische Lyceum steht unter italienischer +Regierungscontrole; die Zahl der Schüler betrug 255 im selben Jahre. Die +Schule der schottischen Kirche, die der apostolischen Amerikaner, die +der Griechen, die allgemeine, unter dem Protectorat des ägyptischen +Erbprinzen stehende Schule mit unentgeltlichem Unterricht sind alle mehr +oder weniger stark frequentirt. Auch die Juden haben eine von etwa 120 +Schülern besuchte Anstalt. Außerdem giebt es 6 Mädchenschulen. Sowohl +von den Kirchen, wie auch von den Schulen haben mehrere ein monumentales +Aeußere. + +Die Vereinigung der ersten Gelehrten, welche jedoch kein eignes Gebäude +besitzen, ich meine =l'Institut Égyptien= ist seit Anfang dieses +Jahres nach Kairo verlegt worden. Es giebt sodann viele +Wohlthätigkeitsvereine und auch gesellige; von den letzteren sind die +bedeutendsten der Börsencirkel, der philharmonische Gesellschaftskreis, +vorwiegend aus Franzosen bestehend, und der Club der Deutschen. Für das +geistige Leben ist durch eine öffentliche Bibliothek und durch das +Erscheinen von 9 Zeitungen gesorgt, von denen 3 in italienischer, 1 in +englischer, 2 in griechischer und die übrigen in französischer Sprache +erscheinen. + +Im hübsch gelegenen und elegant erbauten Siziniatheater werden +italienische Opern aufgeführt, außerdem giebt es noch ein kleines +Theater, Namens Alsieri. Erwähnen wir schließlich noch, daß +französische, englische, italienische und griechische Freimaurerlogen in +Alexandrien sind, im Ganzen 8, an der Zahl, so glauben wir aller +Anstalten Erwähnung gethan zu haben. Nur möchte ich für etwaige nach +Aegypten Reisende hervorheben, daß es dort eine Reihe guter Hôtels +giebt, von denen 2 ersten Ranges, daß Kaffeehäuser und Restaurationen in +großer Anzahl vorhanden sind, ja daß es sogar viele deutsche Bierstuben +giebt, wo Wiener Bier verzapft wird. In der Stadt Alexander des Großen, +des Ptolemäus Philadelphus, deutsches Bier von deutschen Jungfrauen +geschenkt! In der Stadt des Pompejus, der Cleopatra Gas- und +Dampffabriken! Welche Gegensätze und doch so groß nicht, wie man denkt! +Denn in der Stadt, wo das weltberühmte Museum mit 700,000 Büchern oder +vielmehr Schriftrollen war und die im Serapeum eine zweite Bibliothek +mit 200,000 Bänden besaß und deren Straßen eben so wohl und gerade +angelegt waren, wie jetzt die des europäischen Viertels[46], in der zur +Zeit, als die Römer die Herrschaft antraten, nach Diodorus Siculus fast +eine Million Einwohner sich befanden, soll die Zukunft erst wieder eine +gleiche Blüthe und Bevölkerung hervorbringen, wie wir solche zu Zeiten +der Ptolemäer dort vorfanden. + +Von den 200,000 Einwohnern kommen auf die europäische Bevölkerung von +Alexandrien circa 100,000 Seelen[47] und sind dahin auch die Türken und +ihre Descendenz zu rechnen, mit einem ziemlich zahlreichen Contingent. +Sie bewohnen die Halbinsel, welche, ehedem als selbe nur durch einen +steinernen Damm mit dem Festlande verbunden war, Insel Pharos hieß. Die +Straßen dieses Viertels sind auch ziemlich breit und gerade, und besser +im Stande gehalten als im arabischen Viertel. Hier wohnen die Paschas, +Beys, Effendis und hohen Würdenträger des Königreichs. An der +westlichen, äußersten Spitze des Vorgebirges =Ras es Tin= oder +Feigenvorgebirge genannt, ließ Mohammed Ali ein nach dem Plane des +Serail in Konstantinopel erbautes Schloß errichten. Dasselbe wird noch +von dem Vicekönig benutzt; auch Harem und Dienstzimmer für die Minister +befinden sich in demselben. Das Harem steht ganz isolirt inmitten des +schönen Gartens. Dicht daneben ist auch das Arsenal. + +Der alte Hafen von Alexandrien hat seit 1870 eine vollkommene Umwandlung +erlitten, indem die großartigsten Molenbauten[48] ganz neue Bassins +schufen. Im Jahre 1876 wird Alexandrien ein äußeres Hafenbecken besitzen +mit einer Oberfläche von 350 Hektaren und einer Tiefe von wenigstens 10 +Meter. Dieser Vorhafen wird nach der offenen Seite durch einen +Wellenbrecher geschützt sein, welcher 2340 Meter lang und 8 Meter hoch +sein soll. Die Blöcke dazu werden zum Theil künstlich hergestellt und +werden 20,000 benöthigt, jeder 10 Kubikmeter groß und 20 Tonnen[49] +wiegend. Dieser Wogenbrecher hat zwei Eingänge, einer zwischen dem +Nordende und =Ras el Tin=, 600 Meter breit, für kleinere Schiffe, +ein anderer am südlichen Ende, 800 Meter breit, für große Fahrzeuge. + +Das innere Hafenbecken wird 72 Hektaren Oberfläche haben und wenigstens +8,50 Meter tief sein. Auch dieser Hafen wird durch besondere Molen +geschützt sein und hydraulische Kräne zur Leichterung der Schiffe +erhalten. Die jährliche Schiffsbewegung beläuft sich jetzt auf circa +3000 einkommende und ebenso viel ausfahrende Schiffe mit einem Gehalt +von circa 1,500,000 Tonnen. + +Der "Guide" von François Levernay, dem wir die Zahlen für diesen Aufsatz +entnommen, giebt die mittlere Jahrestemperatur von Alexandrien zu +20º +C. an, mit einem Maximum von 27º und einem Minimum von 7º. Ich glaube, +sorgfältiger angestellte Beobachtungen würden eine um einige Grad +wärmere Temperatur ergeben. In Alexandrien ist noch nie Frost beobachtet +worden; in der Libyschen Wüste, obschon sich dieselbe bedeutend weiter +nach Süden erstreckt, fällt das Thermometer jeden Winter unter Null. Der +kälteste Monat in Alexandrien ist der Januar, Juli und August sind die +heißeste Zeit. Der Nord und Nord-Nord-West-Wind sind, wie in ganz +Unterägypten, die vorherrschenden, erst Ende April und im Mai weht der +Chamsin (d.h. der während 50 Tagen wehende Süd-Süd-Ost-Wind) und bringt +oft eine unerträgliche Hitze, die jedoch nur während des Windes selbst +anhält. Während des Chamsin ist selbst am Meeresstrande die Luft kaum +mit Feuchtigkeit geschwängert, während der übrigen Monate ist aber +gerade in Alexandrien ein ungemein hoher Feuchtigkeitsgehalt, was den +Aufenthalt in den Spätsommerwochen so unangenehm macht. Die Quantität +des Regenfalls variirt zwischen 100 und 335 Mm. jährlich; doch macht man +auch hier die Wahrnehmung, daß mit der steigenden Baumcultur auch die +Menge des Regenfalles sich jährlich in Alexandrien vermehrt. Stürme sind +in Alexandrien selten, Hagel fällt durchschnittlich ein- oder zweimal +des Jahres, im März oder April; Nebel, aber von kurzer Dauer, treten im +März, November und December auf. + +Wie der Chedive, der Hof und die ganze Regierung im Sommer von Kairo +nach Alexandrien übersiedeln, der frischen Meeresbrisen wegen, so +folgen auch die meisten Europäer diesem Beispiel. Aber sie wohnen dann +weniger in Alexandrien selbst, als im nahe gelegenen Ramleh, einem Orte, +welcher vor wenigen Jahren seinen Namen (Sand) noch verdiente, jetzt +aber ein reizender Villencomplex geworden ist. Ramleh hat im Sommer +6500, im Winter 3200 Einwohner und man findet dort alle Annehmlichkeiten +einer Villegiatur. Griechische, französische und italienische Schulen, +Schauspiele, Restaurants und ein Hôtel deutet darauf hin, daß Ramleh +binnen Kurzem das Scheveningen Alexandriens sein wird. + +Aber auch an reizenden Spaziergängen fehlt es den Alexandrinern nicht. +Längs des Mahmudie-Kanals findet man an den Seiten schattiger Alleen die +herrlichsten Gärten und darin versteckt die geschmackvollsten Villen. +Keine herrlichere Spazierfahrt kann man sich denken, als längs dieses +von Hunderten von größeren und kleineren Schiffen, sowie von eleganten +Dahabien belebten Kanals. Auch der öffentliche Garten ist hier gelegen, +wo tägliche Militärmusik die elegante Welt anzieht. Wenn man Abends die +Hunderte von feinen Landauern mit den schönen griechischen Damen in +elegantester Toilette daherfahren sieht, dann glaubt man nicht in Afrika +zu sein, sondern man denkt unwillkürlich an die wagenbelebte Chiaja in +Neapel. Aber es ist Alles erst im Werden, denn mit Sicherheit fast läßt +sich voraussagen, daß Alexandrien wieder werden wird, was es war, ein +Emporium für den Welthandel, die bedeutendste Handelsstadt des +Mittelmeeres. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 42: Wenn ich "arabisch" sage, so ist damit die eingeborne +Bevölkerung von Aegypten gemeint, welche aber keineswegs arabisch ist. +Ich folge in dieser Bezeichnung nur einen angenommenen Gebrauche.] + +[Footnote 43: Sauha ist Kloster, Hochschule und Asyl; letzteres hat aber +in Aegypten heute keine Bedeutung mehr.] + +[Footnote 44: Medressa ist Schule.] + +[Footnote 45: Die Eingeborenen und auch fremde Araber und Berber +behaupten, daß das Nilwasser das süßeste und beste Wasser der Welt sei +und sagen wie die Römer von ihrer Fontana Trevi, wer einmal aus dem Nil +getrunken habe, den zöge es immer wieder nach Aegypten hin.] + +[Footnote 46: Siehe Tafel 5, Zeitschrift für Erdkunde 1872. Kiepert, Zur +Topographie des alten Alexandrien.] + +[Footnote 47: Der Zahl nach kommen zuerst Griechen, dann Italiener, dann +Engländer (Maltheser), dann Franzosen, endlich Deutsche; die übrigen +Nationen sind in geringer Zahl vorhanden.] + +[Footnote 48: Die Kosten dieser Bauten, mit deren Ausführung das Haus +Greenfield u. Comp. betraut ist, sind auf 50,000,000 Francs +veranschlagt. (=Guide annuaire d'Égypte 1873=.)] + +[Footnote 49: Eine Tonne gleich 2240 Pfund.] + + + + +10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten. + + +Ehe wir die Beschreibung von Aegyptens Hauptstadt unternehmen, kehren +wir zur Vergangenheit zurück und besonders auch kümmern wir uns um die +Etymologie des Namens der Stadt selbst. Die modernen Völker haben alle +mehr oder weniger eine gleiche Benennung. Wir Deutsche schreiben Cairo +und Kairo und sprechen Kairo oder Kaïro; die Franzosen sagen und +schreiben. =Caire= oder =le grand Caire=; die Engländer +schreiben Cairo, ebenso die Italiener, welche aber Kaïro sprechen. Der +gemeine Mann Aegyptens weiß aber von "Kairo" nichts, denn selbst das +Wort "=el Kâhira=", die Unterjocherin[50], welche Veranlassung zur +Bildung des Wortes Kaïro gewesen, ist nur den Gebildeten bekannt. Das +Volk der Hauptstadt, sowie die Eingeborenen des Landes nennen die Stadt +Masr. Auch dieses Wort finden wir von den Europäern auf die +verschiedenste Art geschrieben: Masr, Misr, Messr, Masser, Messer und +noch einige andere Schreibarten. + +In der nachfolgenden Erklärung dieses Namens folge ich durchaus der +Auseinandersetzung des gelehrten Orientalisten Wetzstein in Berlin, der +die Güte hatte, mir seine bezüglichen Forschungen hierüber mitzutheilen, +die um so werthvoller sind, weil sie zum Theil neue Gesichtspunkte +eröffnen und vollkommen originell sind. + +Wetzstein sagt: Die Hauptstadt Aegyptens heißt bekanntlich im Lande +selbst Misr[51]. Da nun dieser Name ursprünglich der Name des ganzen +Landes ist, denn schon im alten Testamente hieß Aegypten Misraim, so hat +man hier eine Uebertragung des Landnamens auf die Landeshauptstadt zu +constatiren; =medinat Misr=, die Hauptstadt Aegyptens, ist also zur +Stadt Misr geworden. Für eine solche Uebertragung bietet die +geographische Nomenclatur der Araber viele Beispiele. Hier nur einige: +Syrien hieß bei den Arabern der Halbinsel schon in den ältesten Zeiten +Schâm, d.h. das Nordland, und sein Hauptmarkt, bis wohin die arabischen +Karavanen gingen, war in vormohammedanischer Zeit Bosrâ, die Hauptstadt +Haurân's; eine Reise nach Syrien war also in der Regel für die Araber +gleichbedeutend mit der Reise nach Bosrâ. Daher heißt bei ihnen in jener +Zeit Bosrâ immer Schâm im Sinne von "Markt" von Schâm (Syrien). Als nun +in den ersten Jahrhunderten des Islam Bosrâ verödete und die Karavanen +bis Damask gehen mußten, ging die Benennung Schâm naturgemäß auf die +Stadt über, so daß der Name Damaskus vollständig unterging[52] und +Schâm seitdem zugleich Syrien und Damask bedeutet. Nur blieb an den +Ruinen von Bosrâ noch der Name Alt-Schâm (türkisch: Eski-Schâm) haften. + +Ein anderes Beispiel: Die Hauptstadt von Bahrein, d.h. von dem +nordöstlichen Küstenstriche der arabischen Halbinsel, war im Alterthum +der berühmte Handelsplatz Gerrha (arabisch H'gér), der Ausgangs- und +Zielpunkt der aus und nach Bahrein expedirten Karawanen. Auch dieses +Emporium verlor unter den Arabern seinen Eigennamen und nahm den des +Landes Bahrein an. + +Dasselbe geschah mit der alten Hauptstadt Jemâma, dem heutigen +Wahabiten-Reiche, westlich von Bahrein. Sie hieß Hagr; aber die +arabischen Geographen erwähnen selten diesen Namen. Meistens nennen sie +die Stadt entweder Medinat-el-Jemâma oder geradezu Jemâma, wie das Land +selbst. Diesen Beispielen fügen wir noch die Stadt Ramla (bei Lydda) +bei, welche bis zum Beginn der Kreuzzüge von großem Umfange und +Hauptstadt der Provinz Felistin (damals Westpalästina) war; sie wird in +den arabischen Schriften jener Zeit geradezu Felistin im Sinne von +"Hauptstadt Palästina's" genannt. Liest man, Jemand habe in Felistin +übernachtet, oder von Felistin nach Jâhâ oder Jerusalem sei eine +Tagereise, so ist immer Ramla gemeint. + +Diese Bezeichnungsweise ist oft verwirrend und kann das Verständniß +einer geographischen oder historischen Angabe erschweren. Entstanden +wird sie sein durch die Redeweise der Karawanen, insofern z.B. die aus +Arabien abgehende Kâfilat-Misr, Karawane von Misr, immer zugleich die +nach dessen Hauptstadt dirigirte war, und man darf annehmen, daß Misr +schon Jahrhunderte lang _vor dem Islam_ bei den Arabern jene doppelte +Bedeutung hatte. + +Uebrigens wäre auch folgende Erklärung denkbar: Unter den Ptolemäern +entstand zwischen Heliopolis und Memphis ein Waffenplatz, der +wahrscheinlich das volkreiche Memphis im Zaume halten sollte und zur +Erinnerung an Alexander's Feldzug in Asien Babylon genannt wurde. Nach +und nach verödete Memphis, indem es einen kleinen Theil seiner +Bevölkerung und seines Baumaterials an dieses Babylon abgab, welches in +den ersten Jahrhunderten der christlichen Aera (abgesehen von +Alexandrien) der Hauptort Aegyptens geworden zu sein scheint. Denn als +des Chalifen Omar's Feldherr ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= im Jahre 19 der +Higra Babylon erobert hatte, befand er sich thatsächlich im Besitze des +ganzen Landes und brauchte nur noch Alexandrien zu erobern. Dieses +Babylon hieß nun zum Unterschiede von der berühmten gleichnamigen Stadt +am Euphrat "das ägyptische Babylon", Bâbeliûn Misr, welche Bezeichnung +sich, da die Araber lange Ortsnamen hassen, in Misr verkürzte, so daß +Land und Landeshauptstadt gleichnamig wurden. Doch ist die =primo +loco= gegebene Erklärung dieser unbedingt vorzuziehen. + +Die übrigen Namen der Hauptstadt Aegyptens anlangend, so hieß dieselbe +in den ersten Jahrhunderten des Islam el Fostât aus folgender +Veranlassung. Als der vorerwähnte ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= Babylon +belagerte, stand sein Lager an der Nordseite der Stadt, und um sein +Zelt, welches el Fostât hieß, bildete sich nach und nach eine +Baracken-und Hüttenstadt, die sich erhielt und vergrößerte, da ein Theil +des Lagers auch nach Eroberung der Stadt stehen blieb. Diese nomadische +Niederlassung verwandelte sich nach und nach in eine Vorstadt Babylons, +die nach ihrem Mittelpunkte dem ehemaligen Feldherrn-Zelte, el Fostât +genannt und deren Name allmälig auf die ganze Stadt angewendet wurde, so +daß die alte Benennung Babylon außer Brauch kam. Doch findet man sie +noch bei den Geographen, welche sie bald Babeljûn, bald Hisn-el-Iûn +(Festung des Iûn) schreiben, indem die erste Silbe, welche man für das +arabische =Bab= Thor hielt, wegfiel. + +Der Name el Fostât wurde seit der Occupation Aegyptens durch den +Fatimiten =el Moizz li-din-Allah= (369 d.H.) verdrängt. Als Ganhal, +sein Feldherr, mit dem westafrikanischen Heere vor die Hauptstadt +rückte, ging er mit der Bevölkerung den Vertrag ein, daß seine Soldaten +die Stadt selbst nicht betreten, sondern außerhalb derselben in Baracken +und Zelten untergebracht werden sollten. Dieses Lager, welches sich wie +350 Jahre früher dasjenige des ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= allmälig in +eine militärische Colonie verwandelte und zugleich die Unterwürfigkeit +der Stadt gewährleistete, erhielt den Namen el Kâhira "die +Unterjocherin", der sich gerade wie früher el Fostât der ganzen Stadt +mittheilte. + +Man unterscheidet bis auf den heutigen Tag die Stadttheile el Kâhira, el +Fostât und das ursprüngliche Misr. In amtlichen Acten, bei denen es auf +Genauigkeit der Ortsangaben ankommt, heißt die Stadt Kâhirat Misr "Kairo +in Aegypten", oder auch Misr el Kâhira, was der gewöhnliche Mann als die +"siegreiche Stadt Misr" deutet. + +Indem wir so der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalen folgten, +fügen wir noch hinzu, daß Wetzstein etymologisch das Wort Misr +simitischen Ursprungs erklärt und sich der Ansicht zuneigt, es bedeute +"die beiden eingeschlossenen Länder", nämlich Ober- und Unter-Aegypten. +Wetzstein meint nämlich: "gehöre diese Benennung ursprünglich einer +altägyptischen, d.h. einer Ruschitischen Sprache an, so ließe sich +nichts über ihre Bedeutung sagen, denn das Koptische sei ein zu +verkommenes Idiom und das Hieroglyphische mit seinen Schwestern eine zu +unbekannte Sprachform, als daß sie Aufschlüsse geben könnten." + +Genug! Wenn auch nicht an derselben Stelle gelegen, wissen wir und +müssen das festhalten, daß die heutige Hauptstadt der Aegypter bei den +Alten Babylon (bei den lateinischen Schriftstellern Babylonia), bei den +ersten Arabern Fostât hieß und daß sie heute bei den Europäern mit den +verschiedenen Variationen Kairo, bei den Aegyptern selbst Masr genannt +wird. Die Namen Masr el-kahirah als Neustadt oder Masr el-attica als +Altstadt haben nur officiellen Sprachgebrauch erlangt. + +Man hat behaupten wollen, die Vorgängerin Kairo's, die Stadt Memphis, +sei günstiger gelegen gewesen, als die jetzige Hauptstadt Aegyptens. Ich +wüßte nicht, worauf man dieses Urtheil stützen wollte. Der natürlich +vortheilhafteste Platz wäre wohl an der Spitze des Delta's selbst +gewesen, aber die Entwicklung der Stadt selbst zeugt, daß man keineswegs +eine ungünstige Position zur Anlage einer Stadt gewählt habe. Es ist +heute freilich leicht zu sagen, die und die Stadt hat eine äußerst +günstige geographische Lage. In unserer Zeit der Eisenbahnen, der +Kunststraßen, der Kanäle &c. überläßt man sich gar zu leicht der +Ansicht, die natürliche Lage der Stadt habe das Blühen und Gedeihen +derselben verursacht, wenn es doch nichts Anderes war als eben jene +modernen Kunstmittel. + +Kairo liegt auf dem 30º 2' 4'' N.B. und auf dem 28º 58' 30'' O.L. von +Paris. Die Erhebung der Stadt über dem Meere beträgt durchschnittlich 13 +Meter; obschon einzelne Stadtteile höher sind, so liegt die +Hassan-Moschee 30 Meter höher, als der Spiegel des Mittelmeeres. + +Die mittlere Jahrestemperatur ist 23º C. Selten fällt im Winter der +Thermometer unter 10º und steigt nur während der Zeit der Chamsinwinde +auf über 40º. Während früher feuchter Niederschlag zu den Seltenheiten +gehörte, hat man die Beobachtung gemacht, daß jetzt mit jedem Jahre die +Regenfälle im Zunehmen begriffen sind; offenbar Folge der so sehr +vermehrten Baumpflanzungen in der Stadt selbst und in der nächsten +Umgebung derselben. Aber es liegen noch keine bestimmten Daten hierüber +vor und so heben wir eben nur die allgemeine Thatsache hervor. + +Obschon man wegen der immerhin bedeutenden Hitze nicht sagen kann, daß +Kairo ein angenehmes Klima habe, so kann man doch auch keineswegs +behaupten, es sei eine ungesunde Stadt. Im Sommer pflegen wegen der +unerträglichen Hitze die dort wohnenden Europäer, auch der Hof, die +ersten Würdenträger und reiche Eingeborene die Stadt zu meiden. Im +Winter hingegen ist sie Aufenthaltsort zahlreicher Reisender und noch +zahlreicherer Kranker, welche dort Herstellung ihrer Gesundheit zu +finden hoffen. Namentlich für Schwindsüchtige wird die Luft Kairo's und, +wie es scheint, mit Recht, empfohlen. Die sogenannte ägyptische +Augenkrankheit eine Entzündung der Schleimhaut, der Conjunctiva des +Auges, sowohl des Augapfels, als auch der Augenlider, welche ansteckend +und in Aegypten endemisch ist, eine seit Hippokrates Zeit bekannte +Krankheit, wurde durch die französische Invasion unter Napoleon I. und +durch die Engländer nach Europa gebracht; indeß befällt sie +erwiesenermaßen Europäer weniger, als die Eingeborenen und Letztere +werden besonders davon afficirt, weil sie nicht durch größte +Reinlichkeit die fortwährenden schädlichen Einwirkungen des Staubes, von +dem die Luft stets geschwängert ist, unwirksam machen. Und zwar wirkt +der Staub, der unmittelbar in den Straßen aufgewirbelt wird und aus den +kleinsten Partikeln zersetzter organischer Stoffe besteht, ebenso +schädlich, als der kaum sichtbare Staub der Samum-Winde. Woran die +Europäer am meisten leiden, das sind Krankheiten der Leber und der Milz, +letztere zum Theil hervorgerufen durch tertiäre Wechselfieber, und sind +erstere radical nur zu heilen durch Ortsveränderung, durch Rückkehr nach +Europa. Die Pest kommt seit Jahren nicht mehr in Kairo vor und die +Cholera eben auch nicht häufiger, als in Europa. + +Kairo ist eine unbefestigte Stadt, denn was die Kâsbah betrifft, welche +ursprünglich zur Verteidigung der Chalifenstadt diente, nebst hohen +Mauern, welche im Mittelalter die Stadt umfriedigten, so ist erstere +längst ihres Festungscharakters beraubt, letztere aber sind geschleift +und abgetragen worden, oder in Ruinen zerfallen. Jedoch zahlreiche +Mauern im Innern der Stadt, ehemals äußere Stadtmauern, zeugen von der +beständigen Umwandlung und Vergrößerung der Stadt, sowie die jetzige +äußere Mauer ebenfalls schon inmitten der Hauptstadt sich befindet. +Heute ist es kaum noch gestattet, von Masr el Kâhirah, von Masr el +Attika, von Bulak u.s.w. als unterschiedlichen Städten zu reden, +namentlich wird es ebenso falsch sein, zu sagen, Bulak sei als _Hafen_ +Kairo's von dieser _Stadt_ zu unterscheiden, sowie man Unrecht hätte, +Moabit nicht zu Berlin zu rechnen. Heute liegt in der That Kairo am Nil: +Bulak ist ein Stadttheil der Hauptstadt geworden. Höchstens darf man +jetzt noch den Unterschied zwischen _dem_ Stadttheile machen, der seinen +_morgenländischen_ Charakter bewahrt hat und dem, der ganz _europäisch_ +ist. + +Der erste Stadttheil, der sich an die Citadelle lehnt, welche selbst auf +einem der äußersten Ausläufer des Mokattam-Gebirges gelegen ist, den man +unter dem Namen Chalifenstadt begreifen kann, ist ein großes Labyrinth +krummer und enger Straßen, oft durch Ueberbauten dunkel und so +unscheinbar, daß man meinen sollte, man befände sich in einer Gasse des +Hauptortes der Oase des Jupiter Ammon. Hier kennt man kein Pflaster, +hier giebt es Abends keine Beleuchtung, geschweige denn von Gas zu +reden; zahlreiche Sackgassen nötigen den nicht Eingeweihten, stets auf +seine Schritte zurückzukommen, vom Eintritt eines bestimmten Platzes an +bis zu einer bestimmten Grenze wird der Fremde, passirt er Nachts diesen +Stadttheil, von einer klaffenden Meute hungriger Hunde verfolgt, welche +wild und herrenlos, wie sie sind, doch unter sich eine genaue +Besitzeintheilung hergestellt haben der Art, daß immer ein Theil eines +Quartiers oder einer Straße von einer Meute besetzt gehalten wird, die +auf's Eifrigste über die Unverletzlichkeit ihres Territoriums wacht. +Wehe dem Fremden, der Nachts ohne Stock durch eine von diesen wilden +Bestien bewachte Straße geht, namentlich wenn er ein Ungläubiger und in +europäischer Tracht ist; aber noch mehr wehe, wenn einer ihres Gleichen, +ein fremder Hund, sich unter sie verirren sollte, er ist unrettbar +verloren, gelingt es ihm nicht, auf sein eignes Gebiet zurückzuflüchten. + +Aber nicht immer haben wir enge und unscheinbare Gassen, in diesem +Ur-Kairo ist Alles Ueberraschung. Hier giebt es auch Moscheen von allen +Formen und allen Farben, einfache und prachtvolle, reich mit Arabesken +und Sculpturen geschmückte und solche, welche äußerlich nur eine nackte +Wand zeigen. Hier bemerkt man auch jene reich sculptirten Brunnen, +meistens fromme Stiftungen, welche bis vor Kurzem, wo das Trinkwasser in +Kairo so spärlich war, zu den größten Wohlthaten zählten, die ein +frommer Moslim seiner Vaterstadt vermachen konnte. Hier findet man auch +jene reizenden Muscharabiehen aus Holz geschnitzt, welche die Eifersucht +des gestrengen Haremgebieters erfand. Muscharabiehen sind Jalousien, +welche sich stark ausgebuchtet vor den Fenstern befinden. Sie sind auf's +Kunstvollste aus Holz geschnitzt, oft so fein und zierlich, daß es sich +von Weitem wie Filigran-Arbeit ausnimmt. Geheimnisvoll ragen sie im +Halbdunkel der Straßen aus den Häusern hervor; manchmal scheinen sie +sich bei den überhängenden Etagen der Häuser zu berühren. Dahinter +lauert die junge Frau des Hausherrn, verlangende Blicke wirft sie auf +das Leben zu ihren Füßen, sie hört es, sie sieht auch Alles, ohne selbst +bemerkt zu werden; glühend erröthet sie, wenn ein jugendlicher Frangi +vorübergeht, der ihr viel vorteilhafter dünkt, als jener alte, +weißbärtige Mann, dem sie gezwungen war, ihr Leben zu opfern. Da +erblickt sie gar in einer Carrosse dahersausend zwei hübsche +Christendamen, sie sind unverschleiert. Sie lächeln, sie freuen sich des +Lebens, während sie selbst, die Aermste, hinter ihrer Muscharabieh eine +Thräne im Auge zerdrückt und ihr freudenloses Leben beklagt! Aber was +ist das? Da biegt um die Ecke ein eleganter Phaëton, laut schreiend vor +ihm rufen die Läufer ihr ewiges "=Guarda, Guarda=" oder +=schemalak ia chodja, l'iminak=[53]. Darin sitzen im Wagen zwei +reizende Moslemata[54], kaum verschleiert die dünne Tüllspitze ihr +fröhlich lächelndes Gesicht; sie scheinen aber auch gar keine Lust zu +haben, ihr Antlitz verbergen zu wollen, im Gegentheil, man sieht, daß +sie nur scheinbar diesen Zwang mitmachen. Es sind Prinzessinnen, Töchter +oder Nichten des Chedive; ahnungsvoll zieht sich unsere Schöne aus +ihrer Muscharabieh zurück; ein dunkles Gefühl sagt ihr, daß auch für +ihres Gleichen bald die Stunde der Befreiung schlagen wird. + +Hier finden wir auch jene großen Bazarstraßen, wo die Produkte der drei +Erdtheile sich einander begegnen und wo in immer geschäftiger Weise +während des ganzen Tages das regste Leben und Treiben herrscht und +Groß-und Kleinhandel getrieben wird. Von einigen dieser Bazars soll +später noch die Rede sein. + +Der andere Stadttheil, ganz neu und vorzugsweise eine Schöpfung des +jetzigen Chedive, daher auch Ismaelia genannt, mit seinen seenartigen +Gärten, seinen breiten wohlgepflasterten und täglich besprengten +Straßen, seinen Palästen und Theatern, seinen Gascandelabern und +prachtvollen Läden ist vollkommen europäisch. Dies moderne Kairo, +welches heute schon von den Fluthen des Nils berührt wird, steht in +Nichts den schönsten Städten Europas nach. Was luxuriöse Ausstattung der +Gebäude und ihrer Fanden anbetrifft, so können sich die der ägyptischen +Hauptstadt ganz messen mit denen am Ring in Wien oder denen der +Boulevards von Paris. + +Mit Recht sagt Levernay (=guide annuaire d'Égypte 1873 p. 254=): +Hier ist die Vereinigung des Orients mit dem Occident, hier ist das +Symbol der religiösen Freiheit; hier ist das Bündniß der Handelsfreiheit +(?)[55] und der Völkergemeinschaft; findet man nicht in dieser Stadt +zusammenlebend den flachshaarigen Scandinavier an der Seite des +wollhaarigen Furer, den fanatischen Magrebiner von der Küste des +atlantischen Oceans an der Seite des gelbhäutigen Indiers oder den +südlichen Araber mit kaffeebrauner Haut an der Seite des +halbeuropäischen Türken? Und dazwischen Tartaren, Perser, Turkomannen, +Kurden und Chinesen. Ja, hier sieht man Hand in Hand gehend den +gelehrtesten Professor aus der Hauptstadt der Denker mit dem von Steppe +zu Steppe vagabondirenden Nomaden, welcher, ohne Gesetze lebend, nur +seinem eigenen Willen folgt. Ja, es ist ein eigenthümliches Leben in +Kairo und glücklich Der, welcher Empfängnis hat für die Sitten fremder +Völker oder der gar die Gabe besitzt, dem Gedankengange der Eingeborenen +momentan folgen zu können. Hier an der ältesten Wiege menschlicher +Cultur reichen sich Tag für Tag Asiaten, Europäer und Afrikaner die +Hand, und wie schon zu verschiedenen Malen von hier aus die menschliche +Entwickelung zu ihren jeweiligen höchstem Triumphen gelangte, so scheint +auch jetzt ein neues Leben, ein neues gewaltiges Ringen zum +Vorwärtskommen erwacht zu sein. + +Die Zahl der Bevölkerung von Kairo dürfte man auf circa 400,000 Seelen +für das Jahr 1875 beziffern. Genaue statistische Erhebungen sind in +mohammedanischen Städten zur Zeit noch nicht auszuführen. Denn selbst +wenn eine amtliche Zählung vorgenommen wird, so stößt diese immer auf +unüberwindliche Hindernisse wegen der Haremverhältnisse und der +weiblichen Sclaven. + +Von diesen 400,000 Einwohnern dürften incl. 800 Perser etwa 20,000 +Europäer sein. Aber man denke nicht, daß etwa die 380,000 verbleibenden +Menschen alle einer Nationalität angehören. Da sind die verschiedensten +schwarzen Stämme, da sind Syrier, ächte Araber, seit Jahrhunderten in +Aegypten lebende Araber, Inder, Chinesen, endlich Fellahin und Kopten +und eine große Anzahl von Türken. Alle diese stellt man, obschon sie es +keineswegs sind, als "Eingeborene" oder "Rechtgläubige" den fremden +Europäern gegenüber. Daß man die Perser ebenfalls als besondere +Nationalität trennt, verdanken sie dem Umstande, weil sie in Aegypten +besondere Consuln haben. + +Man zählte im Jahre 1873 in Kairo 4200 Griechen, 7000 Italiener, 4000 +Franzosen, 1600 Engländer, 1200 Oestreicher und Ungarn, 800 Deutsche, +500 Perser, 120 Spanier, 50 Russen, 25 Belgier, 9 Brasilianer, 5 +Portugiesen, 2 Schweden und 1 Nordamerikaner. Was die letzte Zahl +anbetrifft, so scheint sie uns nicht richtig zu sein, da allein in der +chedivischen Armee an hundert nordamerikanische Officiere dienen, von +denen wir bei den eigenen Verhältnissen in Aegypten kaum glauben können, +daß sie ihre Nationalität aufgegeben haben. Wenn wir überhaupt zu diesen +Zahlen größere Zuversicht haben dürfen, weil sie eben auf amtliche +Ermittelung der bezüglichen Consulate fußen, so sind sie doch auch noch +fern davon, eine so absolute Sicherheit zu gewähren, wie wir gewohnt +sind, von unseren amtlichen, statistischen Erhebungen zu erwarten. + +Kairo hat wenigstens 300 Moscheen, wenn man alle kleinen Kapellen und +Bethäuser mitrechnet, also ein Gotteshaus auf circa 1200 Individuen; +denn von den 400,000 Einwohnern sind, wenn wir die Kopten mitrechnen, +wenigstens 50,000 Christen. Diese letzteren haben 44 Kirchen, was +ohngefähr dasselbe Verhältniß ergiebt, und rechnet man in Kairo 7000 +Juden und für dieselben 13 Synagogen, so erhält man das Resultat, daß +diese am günstigsten daran sind, denn es beziffert sich für sie die Zahl +der zu einem Tempel Gehörigen auf einige mehr als 500. + +In der Hauptstadt des Chedive herrscht natürlich die vollste religiöse +Freiheit, aber erst seit einigen Jahren. Wie aber Alles, was maßlos ist, +zu Unzuträglichkeiten führt, so auch diese vollkommene religiöse +Freiheit. Es offenbart sich dies am meisten bei jenen großen +mohammedanischen Prozessionen, welche oft stundenlang den Verkehr auf +den Straßen hemmen. Die Zeiten sind allerdings längst vorüber, wo ein +Andersdenkender beim Zuschauen einer solchen mohammedanischen Prozession +sein Leben gefährdet sah, und da die Muselmanen ja überhaupt nicht die +Sitte des Hutabnehmens haben, so ist vom "Huteintreiben" oder +"Hutabschlagen", wie das in unseren toleranten und civilisirten Ländern +vorkommt, nie die Rede. + +Unerwähnt darf man auch nicht lassen, daß dies die einzigen +Ausschreitungen sind, welche sich der Cult dem staatlichen Gemeinwesen +gegenüber erlaubt, denn nicht würde der unbestraft bleiben, wäre er ein +auch noch so hoher Geistlicher, der sich dem Staats-Gesetze widersetzen +wollte. + +Ueberhaupt lebt man in keinem Lande der Welt so sicher als in Aegypten +und speciell in Kairo. Es ist wahr, daß auch hier manchmal große +Diebstähle verübt werden, und ich erinnere nur an den berühmten +Diamantendiebstahl Ende des Jahres 1874; aber er wurde in dem +europäischen Viertel und von Europäern vollzogen. Von Mordtaten, +Raubanfällen und größeren Verbrechen hört man fast nie. + +Wenden wir uns zu einzelnen großen Bauten und Anlagen, so zieht vor +allen im alten Stadttheile die Citadelle unsere Aufmerksamkeit auf sich. +Schon von Weitem, wenn man mit der Bahn sich nähert, sieht man die hohe +Kuppel und die eleganten schlanken Minarets der Moschee des Mohammed +Ali, welche die Citadelle als krönendes Werk überragt. Denn die +Citadelle ist keineswegs _eine_ Baute, sondern besteht aus verschiedenen +fortifikatorischen Gebäuden, aus Palästen, Kasernen und kleineren +Gebäuden. Aber der aus Alabaster errichtete Dom, unter dem die Gebeine +des großen Begründers der beutigen Dynastie ruhen, mit seinen imposanten +Formen, in seiner dominirenden Lage, ist doch das Gebäude, welches den +Fremden am meisten fesselt. + +Hier auf der Citadelle ist auch der berühmte Brunnen in den Fels +hinabgehauen; er ist fast 100 Meter tief und so breit, daß man bis zur +Quelle mittelst Stufen hinabsteigen kann. Er heißt Josephs-Brunnen, hat +aber nichts mit dem biblischen Joseph gemein, sondern wurde von Joseph +ben Agub oder Saladin, dem ersten aglubitischen Sultan, erbaut, damit im +Falle einer Belagerung die Citadelle nicht des Wassers ermangele. +Mittelst zweier Schöpfräder (=Norias oder Sakias=) wird das Wasser +an die Oberfläche gehoben. Der Anblick von der Plattform der Citadelle +auf die große Stadt zu ihren Füßen, auf Bulak, Rodha und den gewaltigen +Nil, auf die Pyramiden und im Hintergrunde die mit dem Himmel +verschwimmende Sahara gehört zu dem Großartigsten, was man sich denken +kann; die kühnste Phantasie findet hier ihre Befriedigung. Und wenn man +das Glück hat, bei der Betrachtung dieses Bildes die über dem +Mokattam-Gebirge heraufsteigende Sonne als Frühbeleuchtung zu haben, so +spottet das Ganze jeder Beschreibung, und selbst der eingebildetste +Pedant, der nörgelndste Philister wird von der Großartigkeit dieses +Panoramas überwältigt werden. + +Von den übrigen Moscheen nennen wir zuerst die des Amru, die älteste, +ungefähr um 640 errichtete, aber von ihrer ehemaligen Pracht ist wenig +mehr übrig. Bei allen mohammedanischen Gotteshäusern, wie auch bei ihren +Profanbauten kann man die Bemerkung machen, daß die Mohammedaner mit +großer Vorliebe Bauten unternehmen, aber nie daran denken, ihre Bauten +zu _erhalten_. Die Amru-Moschee ist ein Rechteck von 120 Meter zu 75 +Meter. Der Säulenwald an der Ostseite des Hofes aus 21 Säulenreihen, in +jeder Reihe 6 Säulen, ist imposant. + +Interessant für die Geschichte der Architektur ist die im Jahre 877 von +Ahmed ebn Tulun erbaute Moschee, 80 M. lang aus 76 M. Breite. Man findet +schon ogivische Bogen in Anwendung und außerdem die Wände mit Kusischen +Legenden geschmückt. Nach arabischen Inschriften soll der das Gebäude +umgebende Karnies aus zusammengestampftem Amber gemacht gewesen sein, um +den Eintretenden Wohlgerüche zuzuführen. Jetzt ist nichts mehr davon zu +bemerken und auch diese Moschee zeigt Verfall. + +Die große und glänzende el Asar-Moschee ist insofern von Wichtigkeit, +als mit ihr die Hochschule verknüpft ist, die bedeutendste der ganzen +mohammedanischen Welt. Fast 10,000 Studenten folgen hier dem Unterrichte +von über 300 Professoren. Es wird aber fast nichts, als Religion gelehrt +und besonders sind es die vier rechtgläubigen Riten, die Hambaliten, +Schaffeïten, Hanesiten und Malekiten, welche hier ihre Vorlesungen +halten. Schaffeïten und Malekiten haben die meisten Zuhörer: erstere +über 4500, letztere 3700. Die Hanesiten, wozu sich alle Türken rechnen, +haben ca. 1000, die Hambaliten nur ca. 50 Studenten. Alle diese Schüler +haben freien Unterricht und freie Kost nebst Bekleidung, ebenso sind +auch die Professoren vom Staate besoldet. Außer Religion wird etwas +Poesie, Grammatik und Gesetzgebung, letztere natürlich auf Koran und +Sunnah basirt, getrieben. Mit dieser Moschee ist verbunden ein großes +Blinden-Hospital, eine Sauya für Pilger, deren Asylrecht heute aber im +Strome der Civilisation untergegangen ist. + +Eine merkwürdige Universität, wo man weiter nichts treibt, als religiöse +Forschungen, über nichts Anderes nachdenkt, als über Dinge, die +außerhalb dem Bereiche des Wirklichen liegen und deren Resultate deshalb +für das Land, für die Menschheit von gar keinem Nutzen sind. + +Die Moschee, welche am meisten die Bewunderung der Europäer auf sich +zieht, die Hassan-Moschee, hat mich immer ziemlich kalt gelassen. Zum +Theil kommt das wohl daher, daß ich nie Vorliebe für jenen _unmöglichen_ +Stalactitenbau habe gewinnen können, zum Theil, daß einen die Quadern zu +sehr an die Bauten der alten Aegypter erinnern. Solche Vandalen, die +nicht die Energie besitzen, zu einem so großartigen Gebäude eigenes +Material zu nehmen, sondern andere Bauten _zerstören_, um sie zu den +ihrigen zu benutzen, soll man die wohl achten? Und sieht man nun gar, +wie die famosen Stalactiten-Nischen in der Hassan-Moschee nicht aus +Stucco oder Stein bestehen, sondern elende Holznachbildung sind, so +schwindet vollends alle Sympathie. Die Moschee wurde 1356 vom Sultan +Hassan erbaut. Das danebenstehende Minaret hat 80 Meter Höhe; fügt man +die Höhe des Bodens, auf dem die Moschee erbaut ist--30 Meter--hinzu, so +hat man die Höhe von Assuan. + +Ich übergehe die übrigen Moscheen, welche alle, wie z.B. die von Kalaum +auch el Barkuk genannt, oder die von Sitti Seinab oder die der Hassanein +oder die von el Moged für diejenigen, welche sich für +ägyptisch-mohammedanische Architektur interessieren, sehenswerth sind, +deren Besuch man sich aber sonst ersparen kann. + +In der Stadt selbst hat der Chedive merkwürdiger Weise keinen einzigen +Palast, der von Außen irgendwie Anspruch auf architektonische Schönheit +machen könnte. + +Wie alle gouvernementalen Gebäude ist seine dermalige Wohnung ein +äußerst fensterreiches Gebäude, _ganz ohne Styl_. Inwendig lassen diese +chedivischen Paläste allerdings nichts zu wünschen übrig, weder an +Eleganz noch an Pracht, noch auch an Geschmack der Decoration oder an +zweckmäßiger Raumvertheilung. + +Die neue Börse, die Bibliothek, die Wohnungen der ersten Beamten +zeichnen sich durch nichts Besonderes aus. Was die Bibliothek +anbetrifft, so besitzt dieselbe ca. 30,000 arabische Bände, fast nur +Handschriften, darunter viele äußerst kostbare. Da sieht man vor allen +anderen jene Bücher von außerordentlicher Größe, deren Buchstaben von +Gold mit so großer Regelmäßigkeit gemalt erscheinen, daß man meinen +sollte, sie seien gedruckt. Natürlich ist der Inhalt weiter nichts als +der Text des Koran. + +Will man schöne Gebäude modernsten Styls, villenartig gebaut, von +reizenden Gärten umgeben sehen, so wandere man durch den neuen +Stadttheil. Hier liegt auch die schmucke deutsche protestantische +Kirche, hier hat der Minister der Justiz, jetzt Scherif Pascha, sein von +feenhaften Gärten umgebenes Palais. + +Was die Theatergebäude betrifft, so läßt sich bezüglich der Bauten +selbst nichts sagen, als daß es provisorische Gebäude sind, bestimmt, +mit der Zeit anderen monumentalen Platz zu machen. Was aber innere +Ausstattung, Inscenirung, Personal und Leitung betrifft, so stehen +sowohl die chedivische italienische Oper, als auch das französische +Schauspiel unseren ersten und besten Bühnen würdig zur Seite. Hierüber +herrscht nur eine Stimme. + +Den größten Zauber und Reiz besitzt Neu-Kairo heute in jenem +Esbekieh-Garten, mitten in der Stadt gelegen, den ich selbst noch bis +zum Jahre 1868 als einen großen pfützenreichen Platz von hohen Sykomoren +beschattet gekannt habe. Umfriedigt von Prachtbauten, ähnlich wie die +der Rue Rivoli zu Paris, ist der harten von einem hohen eisernen Gitter +umgeben. Zahlreiche Thore, deren Eingänge mit Selbstzählern versehen +sind, geben Einlaß. Bei dem sonderbaren Hange der Orientalen, stunden-, +ja tagelang faulenzend auf irgend einem einladenden Platze sich dem +=Dolce far niente= hinzugeben, war die Vorschrift, ein +unbedeutendes Entrée zu erheben, unerläßlich, denn nur durch eine solche +Maßregel konnte der prächtige Park rein gehalten werden von jenem +ungemein stark in Kairo vertretenen Contingent, das seine Sache auf +nichts gestellt hat und höchstens vom bequemsten Betteln lebt und +sicherlich mit angeborener Frechheit die schönsten und anziehendsten +Punkte des großen Gartens in Besitz genommen haben würde. + +Es ist wunderbar, wenn man die Beschreibungen früherer Reisender +durchgeht und liest, was die Esbekieh _war_ und nun staunt, was sie +jetzt ist. + +Die ganze Esbekieh-Anlage von achteckiger Form mit einem Umfange von 940 +Meter nimmt ein Areal von ca. 82,500 Quadratmetern ein. Die Länge der +Wege beträgt 2 Kilometer 300 Meter. Das Flüßchen und die von ihm +gebildeten Teiche, Alles durch Kunst geschaffen, bedecken eine +Oberfläche von fast 5000 Quadratmeter. Die Teiche sind 2 Meter tief. + +Außer den kostbarsten Gewächsen aller Länder und Zonen, welche trotz des +kurzen Zeitraumes ihres jetzigen Bestandes dort seit 20 Jahren gegrünt +zu haben scheinen, findet der Spaziergänger in diesem Garten Alles +vereint, was nur das Leben angenehm macht. Da sind reizende Buden, wo +Liqueure, Eis und Scherbets verkauft werden. Hier ist eine Bierhalle, wo +das beste Drehersche oder Münchener Bier in Eis dem durstigen +Nordländer Labung bietet, Kaffeehäuser mit reizenden Kiosken gut +eingerichtete Restaurationen, ein kleines Theater-Concert, ein +arabisches Kaffeehaus, Schaukeln, Carroussels, verschiedene andere +Kioske und Sammelplätze, endlich =last not least= eine Grotte[56] +aus Tuffsteinen, die ganz und gar auf's Treueste die Natur nachahmt und +aus der das Wasser in Cascaden hervorsprudelt, welches die See'n und den +Bach speist. + +Diese Grotte ist von einem künstlich aufgebauten Pic überragt, aus +großen Tropfsteinblöcken und Steinen errichtet. Man gelangt hinauf +mittelst eines schattigen Weges oder auch auf äußeren und inneren +Pfaden, die man durch den künstlich geschaffenen Fels gearbeitet hat. +Ans der obersten Spitze hat man ein Belvedere angebracht, von wo aus man +nicht nur den ganzen Garten übersehen kann, sondern von dem aus auch das +ganze Panorama von Kairo zu den Füßen des entzückten Beschauers +liegt.--Die Eisenarbeiten sind alle in Paris gefertigt. + +Der Esbekieh-Garten bedarf zur Speisung seiner Springbrunnen, zum +Besprengen der Wege, zum Unterhalten der Teiche eines täglichen +Wasserquantums von 800 Kubikmeter; die Erleuchtung bei Abend, welche +feenhaft ist, wird durch 106 Candelaber bewerkstelligt; alle diese +Candelaber haben Blumenform, 5 Zweige mit je 5 Tulpen, so daß im Ganzen +allabendlich 2500 Flammen brennen. Dazu spielt jeden Tag, sobald die +Sonne sich unter den Horizont senkt, ein ausgezeichnetes +Militärorchester europäische Symphonien und Stücke, auch wohl arabische +Weisen, welch' letztere ungemein an Wagner'sche Compositionen erinnern. + +Leider ist der Esbekieh-Garten lange nicht so besucht, wie er es +verdiente, es ist eine für Kairo zu vornehme Anstalt; nicht etwa, weil +das niedrige Entrée von den Besuchern als unerschwinglich bezeichnet +würde; es sind auch die Genüsse innerhalb desselben dem Publicum zu +theuer. Dazu kommt, daß das vornehme europäische Publicum, an der Spitze +die Vertreter der europäischen Länder, blasirt, das vornehme +mohammedanische apathisch und unempfänglich für solche Genüsse sich +verhält, der gewöhnliche Mittelstand der Eingeborenen aber in diesem +Entrée gleich eine Steuer des Chedive wittert und der gemeine +europäische Mann lieber in den übrigen Vergnügungslocalen Kairo's seine +Unterhaltung sucht. + +Diese sind keineswegs in geringer Anzahl vorhanden. Der Deutsche findet +in zahllosen Bierhäusern längs der Esbekieh nicht nur Drehersches, +sondern auch bairisches Bier und zwar wohlgekühlt in Eis; der Franzose +findet überall seine Café's; der Italiener findet in den Conditoreien +und auf der Straße seine Sorbetti und in zahlreichen Restaurants kann +der Engländer, von Engländern bedient, sein Beefsteak und sein Glas +"=half and half=" trinken. Nur der russische Traktir fehlt noch, +aber wie lange wird es dauern und irgend ein speculativer Kopf erbaut +ein solches mit einer mächtigen Orgel versehen an der Seite einer Fonda, +wo man =Polenta= und =Olla potrida= verkauft. + +Denn wenn man Abends durch die auf's Glänzendste von Gas beleuchteten +Straßen geht und hört, wie einem allerorts Musik entgegenschallt, hier +des Italieners "=o che la morte honora=" oder "=madre in felice +corro a salvarti=" dort des Deutschen "Wacht am Rhein"; hier des +Franzosen "=partant pour la Syrie=" dort des Engländers "=god +save the queen=", wenn man sieht, daß alle diese Musikbanden aus +nationalen Kräften bestehen (Kaffee- und Weinhäuser mit deutschen und +deutsch-böhmischen Musikbanden, Sängern und Sängerinnen giebt es ein +Dutzend in Kairo), so sollte man nicht glauben, in der Stadt zu sein, +welche noch bis vor wenigen Jahren als das ächteste Bild einer +orientalischen Stadt hingestellt wurde. + +Und geht man gar in die elegant eingerichteten Spielsalons, wo hier eine +Roulette, dort König Pharao den Gästen das Geld aus der Tasche lockt und +die meistens als Aushängeschild die elegantesten =Cafés chantants= +oder auch kleine Theater mit Ballerinen zeigen, so sollte man nicht +meinen, daß man nur einige Stunden weit von den Pyramiden des Cheops und +des Cephren sich befände. + +Aber trotz dieses modernen Kairo ist noch ein gut Stück Alt-Kairo, d.h. +orientalischer Stadt übrig. Jedoch verschwindet es allmälig schneller +und schneller, und vielleicht schon nach einem Menschenalter wird jene +alte orientalische Stadt, jene Stadt mit den maurischen Hufeisenbauten, +mit den schlanken Minarets, mit den engen überdachten Gassen und ihren +noch engeren Kaufläden--sie wird verschwunden sein, und finden können +wir sie dann nur noch in den Büchern und Reiseberichten Derer, welche +sie zu der Zeit besuchten. Und um so spurloser wird das alte Kairo vom +Erdboden verschwinden, als die Wohnungen der Eingeborenen aus losem, +schlechtem Material errichtet und selbst die Moscheen und Paläste aus +Quadern erbaut sind, welche man von alten Monumentalbauten +zusammengeschleppt hat; sind doch jetzt schon _alle_ Moscheen und die +Mehrzahl der Paläste früherer Vicekönige halbe Ruinen. + +Wenn man aber sieht, mit welcher Rücksichtslosigkeit mitten durch die +Quartiere der Eingeborenen eine gerade breite Straße gezogen wird, wie +man weder die Medressen (Schulen) noch die Moscheen schont, wie man +Untiefen auffüllt, Hügel abträgt, dann muß man staunen ob der Energie +des Chedive. Aber "Gott soll ihn ewig mit den ungläubigen Christenhunden +brennen lassen!" murmelt der fromme Mohammedaner, der aus seinem Heim +vertrieben wird, welches seine Vorfahren inne gehabt hatten und wo er +selbst schon seit Jahren wohnte. Aber er "murmelt" es nur, offen es +auszusprechen, wagt er nicht. Ja er preist sich glücklich, wenn die +chedivische Regierung ihm _umsonst_ ein Stück Land anweist in einem ganz +anderen Viertel der Stadt, mit der Erlaubnis, ein Haus zu bauen nach +europäischem Style. + +So vollziehen sich die Expropriationen in Aegypten und speciell in +Kairo. Von Entschädigungen ist nirgends eine Rede. Sobald der Chedive +beschlossen hat, eine Straße durch den orientalischen Stadttheil zu +legen, wie er sich solche auf dem Plane der Stadt vorzeichnet, erhalten +die betreffenden Anwohner des Viertels Befehl, innerhalb einiger Tage +ihre Immobilien zu räumen. Von Entschädigung wird nicht gesprochen; nur +wenn europäische Unterthanen von einer solchen Maßregel betroffen +werden, dann bekommen sie vollen Ersatz für ihr genommenes +Grundeigentum. + +Die Straße, welche früher als Glanzpunkt des europäischen Lebens galt, +die Muski, ist heute entthront; zwar findet man immer noch elegante +Läden, aber elegantere giebt es in der Ismaelia (der neue Stadttheil von +Kairo) und die Straße ist viel zu eng, als daß sie jemals ihren Rang +wieder einnehmen könnte, nämlich die "Unter den Linden" Kairo's zu sein. +Dazu kommt noch, daß man aus Utilitätsrücksichten geglaubt hat, davon +abstehen zu müssen, sie mit Pflasterung zu versehen. Aber die Muski ist +noch immer das Herz von Kairo, hier pulsirt das größte Leben, welches in +seinem Dahinfluthen Aehnliches zeigt mit den Wogen des Strand von +London. Hier ist auch die Vermittelungsstraße vom modernen europäischen +zum alten orientalischen Kairo. + +Wandern wir rasch durch die verschiedenen orientalischen Quartiere, +durch die Bazars, ehe sie für immer verschwinden, um einer modernen +"=Avenue=" oder einem "=Boulevard=" Platz zu machen. + +Da ist der Khan el Khalil im Gammeliah-Quartier; der Name rührt daher, +weil hier die Kamele (Gammel, Gemmel oder Djemel) ihre Waaren aufnehmen +und abladen. Hier sind alle orientalischen Artikel zu haben. An +endlosen, nicht sehr breiten überdachten Straßen hocken in engen +Verkaufsläden die Eigentümer. Die Läden sind meistens so eng, daß Alles +und Jedes im Bereiche des Hockenden ist. Hier finden wir alle Requisiten +des orientalischen Rauchers. Hier sieht man jene reichen Teppiche aus +Persien oder Damask, elegante orientalische Stoffe, Elfenbein und +Straußenfedern und im Allgemeinen alle Artikel aus dem Sudan und Asien; +reich eingelegte Waffen, Schmucksachen, unverarbeitete Edelsteine, Vasen +etc. Die Hauptmarkttage von Khan el Khalil sind Montags und Donnerstags. + +Diese große Markthalle, wo fast ausschließlich eingeborene Kaufleute +ihre Buden haben, wo aber manches europäische Haus mit großen Summen +betheiligt ist, hat natürlich an allen Ecken und Enden feste und +"fliegende" Café's. Erstere sind solche, wo der Kauadji eine größere +oder kleinere Räumlichkeit besitzt, welche von seinen Gästen besucht +wird, in denen man mitunter auch Musik findet. Letztere bestehen auf der +Straße selbst einfach aus einem kleinen Kochapparat, wo Kaffee bereitet +wird, den der Cafétier seinen bestimmten Kunden zuträgt. Jeder +Budenbesitzer schlürft mehrere Male des Tages seinen Mokka, und da +größere Käufe, welche natürlich längere Zeit in Anspruch nehmen, nur mit +einer Tasse Kaffee in der Hand abgemacht werden, so haben solche +fliegende Cafetiers auch eine ganz gute Kundschaft. + +Hier findet man vereinzelt auch jene Haschisch-Buden, d.h. Kaffeehäuser, +wo neben dem Tabaksrauchapparat, der in Narghileh, Tschibuck und +Cigaretten besteht, vorzugsweise Haschisch geraucht und gegessen wird. + +Gehen wir weiter, so kommen wir zum Hamsani-Bazar, wo man hauptsächlich +Parfümerien, Papier, Porzellan, Krystallsachen, Kattunstoffe, Kramwaaren +und Arzneien kaufen kann. Erstere, die Parfümerien, sind bei den +Orientalen ein stark begehrter Gegenstand. Im Allgemeinen haben sie auch +Vorliebe für dieselben Wohlgerüche, wie wir Europäer, aber bei +einzelnen, welche bei uns die seine Gesellschaft schon zu "=mauvais +odeur=" rechnet und welcher sich bei uns nur der =demi monde= +bedient, nämlich Moschus und Patschuli--diese erklärt der Orientale als +den Inbegrif des Vollkommensten, was man dem Geruchsorgan bieten könne. + +Auch in vergangenen Jahrhunderten war dies so, die Liebhaberei für +derartige Düfte ist nicht neu. Als Beweis führe ich Leo[57] an, der in +seiner Beschreibung "von der sehr großen und bewunderungswürdigen Stadt +Kairo" sagt: "Auf einer anderen Seite (er hatte soeben das auch zu +seiner Zeit so heißende Can el Halili beschrieben) der erwähnten Straße +ist eine Gegend für Diejenigen, die mit Räucherwerken, z.B. Zibeth, +Moschus, Ambra und Benzoin handeln; diese Wohlgerüche sind in solcher +Menge vorhanden, daß wenn Jemand 25 Pfund verlangt, man ihm wohl 100 +Pfund zeigen kann." + +Hieran reihen sich noch andere Bazars, der von Gurich, wo hauptsächlich +Seidenstoffe, Wollfabrikate und Tuche verkauft werden; ein eigener +Zuckerbazar fehlt auch nicht und auch ein Waffenbazar dicht bei der +berühmten Hassan-Moschee existirt noch immer. Man findet hier +europäische und ägyptische Waffen, das Material indeß, die Klingen, +Läufe und Schlösser kommen vom Abendlande, nur die Zusammensetzung und +die Ausbesserungen werden hier vorgenommen. + +Der Waffenmarkt hat übrigens bedeutend abgenommen, seitdem das +Faustrecht in Aegypten aufgehört hat, an der Tagesordnung zu sein. +Jeder Eingeborene sucht allerdings auch heute noch seinen Stolz darin, +dermaleinst eine Flinte zu besitzen, um der Jagd, die ja in Aegypten +frei ist, fröhnen zu können; aber eine _Notwendigkeit_, eine Waffe zu +haben und zu tragen, wie das früher der Fall war, namentlich vor +Mohammed-Alis Zeiten, die liegt heute nicht mehr vor. + +Wenn nun auch Kairo nicht die erste Handelsstadt des Pharaonenreiches +ist, das ist heute Alexandrien, so ist der Warenumsatz und geschäftliche +Verkehr doch immerhin ein bedeutender und durchaus der Einwohnerzahl +Kairos gemäß. + +Der Haupthandel, namentlich der Engros-Handel, befindet sich in den +Händen der Griechen, nach ihnen kommen die Engländer, Italiener, +Franzosen und Deutschen; aber der größte Kaufmann, der, welcher allein +mehr Geschäfte macht, als alle Eingeborenen und Ausländer +zusammengenommen, das ist der Chedive. Noch größer, denn als Regent, +zeigt sich Ismael als Geschäftsmann. + +Die kaufmännischen Geschäfte werden zwischen den Eingeborenen und +europäischen Handelsleuten mittelst Makler (arab. =samsar=, +italienisch =sensale=) abgemacht. Meist wird der Verkauf mittelst +Credit abgeschlossen, selten gleich baare Zahlung geleistet. Gewöhnlich +sind die Eingeborenen die pünktlichsten Zahler, obschon sie es auch an +der knauserigsten Feilscherei nicht fehlen lassen und um einen Para mehr +oder weniger Himmel und Hölle in Bewegung setzen möchten. + +Unter den Ausfuhrartikeln, welche stets in Kairo lagern, nennen wir als +wichtig: Gummi, Elfenbein, Sennesblätter, Datteln, Weihrauch, +Perlmutter, sogenannter Mokkakaffee, der aber zum größten Theil aus den +Landstrichen südlich von Abessynien kommt, Straußenfedern, Felle, Opium, +Schildpatt, Tamarinden, Wachs, Knochen, Hörner, Lumpen. + +In industrieller Beziehung steht die Fabrikation von halbseidenen +Stoffen oben an. Es giebt in Kairo augenblicklich 500 Webestühle, welche +jenen unter dem Namen Kutnieh oder Alagieh bekannten halbseidenen Stoff +fabriciren. Ferner ist die Zahl der Indigofärbereien nicht unbedeutend; +fast alle Kattunstoffe werden ungefärbt importirt, aber die Eingeborenen +tragen sie nur indigogefärbt. + +Auch die Gerbereien werden =en gros= betrieben. Die Bewohner von +Kairo verstehen ebenso gut das Leder zu gerben und zuzubereiten, wie die +von Cordova, von Marokko oder Saffi, von welchen Städten die feinen +Leder ihre speciellen Namen als Corduan, Maroccain oder Saffian erhalten +haben. Auch Posamentirarbeiten, Mattenflechterei und Korbmacherei +erfreut sich in der Hauptstadt eines großen Aufschwunges. + +Wollstoffe, grobe Leinwand, welche vorzüglich in Fayum gewebt wird, +haben in Kairo ihren hauptsächlichsten Umsatz für das ganze Land. In +Bulak giebt es eine Papierfabrik, eine Kanonengießerei und eine +bedeutende Schiffswerft. Bulak muß jetzt überhaupt schon als ein +integrirender Stadttheil Kairo's betrachtet werden, und da wollen wir +nicht unerwähnt lassen, daß das Sehenswertheste in diesem Stadttheile +das von Herrn _Mariette_ gegründete ägyptologische Museum ist. + +Auch ein Irrenhaus, ein Bagno für weibliche Verbrecher, eine Kunst- und +Gewerbeschule, das Arsenal, eine arabische und persische Druckerei +befinden sich in Bulak. + +Und =vis-à -vis= von Bulak ist die Perle des Nils, der Palast und +Garten von Gesirah. Wer je einmal die Wundermärchen von "Tausend und +Eine Nacht" gelesen hat, der glaubt, daß hier diese Zaubereien +Wirklichkeit geworden sind. Der Palast selbst erinnert an das +Meisterstück der Alhambra, den Löwenhof. Der Garten aber übertrifft an +Ueppigkeit der Pflanzen, an prachtvollen Anlagen, an seltenen exotischen +Gewächsen selbst noch den der Esbekieh inmitten der Hauptstadt. + +Die Grasplätze, Stauden und Blumen, die Statuetten, Grotten, +Felspartien, Bäche, Brücken, Candelaber, Springbrunnen &c., alles dies +belebt von Thieren aller Art und Größe, machen diesen Garten zu einer +Zauberei eigner Art. Namentlich Abends und Nachts, wenn einer jener +officiellen chedivischen Bälle abgehalten wird, glaubt man beim Lichte +jener 1000 Gasflammen der Wirklichkeit entrückt zu sein. + +In der Mitte des Gartens ist jener herrliche Salamlik, ein Sommerpalast +des Chedive, von einem Walde von Säulen getragen. + +Eine Zierde dieses Wundergartens wird das Aquarium sein, welches von +eben jenem fähigen Baumeister errichtet wird, Herrn _Combay_, welcher +die prachtvolle Grotte im Esbekieh-Garten erbaut hat. Dasselbe erhält +eine Grundfläche von 4800 Quadratmetern und besteht aus zwei Etagen. Die +Idee ist ebenso großartig, wie kühn. Die prächtig nachgebildeten +Stalaktiten, welche vom Gewölbe herab sich in die Grotten senken, die +Korallen und Seegewächse, welche vom Boden aufsteigen, wirken wunderbar, +und hier auf der Grenze zweier Meere, des rothen und des +mittelländischen, inmitten eines der mächtigsten Ströme der Erde werden +wir bald ein Aquarium besitzen, wie kein zweites auf der Welt, welches +jedenfalls an Reichhaltigkeit lebender Bewohner von Salz- und Süßwasser +selbst die Aquarien von Brighton und Neapel aus dem Felde schlagen wird. + +Wie Bulak heute nur ein Theil Kairo's ist, so ist Masr el Attikah +(Alt-Kairo, früher officiell so unterschieden als abgetrennte Stadt vom +eigentlichen Masr, während wir im Verlaufe dieser Abhandlung mit +Alt-Kairo das bezeichnen, was orientalisch ist, und Neu-Kairo das +nennen, was neu ist, also vorzüglich den Stadttheil Ismaelia) es +ebenfalls. + +Geht man von der Esbekieh aus über den Abdin-Platz bei der Sitti Seinab +vorbei, so befindet man sich angesichts des protestantischen und +katholischen Kirchhofs und angesichts jenes Riesen-Aquaducts, den +Saladin herstellen ließ, um dadurch die Befestigungen der Citadelle zu +vervollständigen. Diese Wasserleitung ruht auf 289 Bogen und hat eine +Länge von etwas über 2 Quadrat-Meilen. Eine schattige Alle führt, sobald +man unter der Wasserleitung durch ist, nach Masr el Attikah. + +Von den 8 christlichen Kirchen, welche hier sind, ist für den Fremden +die am interessantesten, in welcher das Häuschen sich befindet, worin +nach der Legende die heilige Familie geweilt haben soll; sie gehört den +nichtunirten Griechen. + +Gegenüber liegt die Insel Rhoda, welche zwar nicht zur Stadt Kairo +gehört, aber wegen des hier befindlichen Nilmessers, Mekias von den +Eingeborenen[58] genannt, welcher sich ursprünglich in Memphis befand, +wird gewiß jeder Europäer, der als Reisender nach Aegypten kommt, zur +Insel hinüberfahren. + +Aber auch auf dieser Insel giebt es prächtige Paläste und Gärten, +namentlich der Palast von Ibrahim Pascha ist eines Besuches werth. Auf +dem südlichsten Ende der Insel befindet sich eine Pulvermühle. + +Masr el Attikah ist mit Bulak durch eine Reihe schöner Paläste, Villen +und Gärten verbunden. Das Palais von Soliman Pascha, unmittelbar am Nil +gelegen, der Khalig-Kanal, bei dem alljährlich die Festlichkeiten +stattfinden, welche bei der Nilüberschwemmung seit Tausenden von Jahren +gefeiert werden, eine große Salpeterfabrik, das große Hospital Gasr el +Ain, welches sowohl für Militär- als Civilpersonen eingerichtet ist, +endlich das große Schloß Gasr el Nil, ein Hospital und eine ungeheure +Kaserne, alle diese Bauten bereiten den Wanderer gewissermaßen auf eine +der kolossalsten Thaten des Chedive vor, welche derselbe im Verlaufe +seiner so wirksamen und ruhmgekrönten Regierung hat ausführen lassen. +Wir meinen die feste Nilbrücke, im Februar 1872 eingeweiht; sie hat eine +Länge von 406 Meter, hat auf dem rechten Nilufer eine Drehscheibe von 30 +Meter Durchschnitt auf einem Thurme ruhend, der 50 Fuß tief in das +Nilbett eingesenkt ist. Die Brücke hat 2,300,000 Frcs. gekostet. +Ebenbürtig stellt sie sich den besten Brückenbauten der civilisirten +Staaten an die Seite. + +Aber wir halten, am anderen Ufer des Nils angekommen, an, denn die +Beschreibung von Giseh, welches jetzt die Abfahrtsstation für +Ober-Aegypten mit der Bahn geworden ist, die Pyramiden, auf der anderen +Seite der versteinerten Welt Matarieh und Heliopolis, die Abassieh und +die heißen Bäder von Hamman Heluan gehören nicht in den Rahmen dieses +Bildes, der ja nur eine Uebersicht von Kairo, wie es jetzt ist, +entwerfen sollte. + +Eigenthümlich genug, daß die Generalconsulate und politischen Agenturen +nicht in der Hauptstadt Aegyptens, sondern in Alexandrien sind. Dasselbe +sehen wir sich wiederholen am westlichsten Punkte von Afrika, in +Marokko, mit dem Unterschiede, daß im Innern von Marokko überhaupt noch +keine Vertreter christlicher Mächte zu finden sind, während Tanger von +den Staaten, die sich am meisten für das Land interessiren. +Generalconsulate und Viceconsulate, beide von _einer_ Macht, beherbergt. +Kairo hat blos Consulate. + +Der Grund dieser Abnormität, dieser stiefmütterlichen Behandlung der +Hauptstadt schreibt sich aus den alten Zeiten her, wo der Christ sich +jede Art roher Behandlung gefallen lassen mußte. Wurde nun einmal ein +einfacher Consul geohrfeigt von einem Mameluk oder ägyptischen Pascha, +so konnte das eher verschmerzt werden; wurde aber ein Generalconsul mit +Füßen getreten, so mußte man schon Notiz davon nehmen[59]. Zudem konnte +ein Generalconsul eher in einer Hafenstadt geschützt werden, als im +Innern des Landes. + +Da aber alle diese Ursachen längst aufgehört haben, so sollte auch jener +abnorme Zustand aufhören. Oder denkt man vielleicht, mit der +Souveränität von Aegypten müßten ohnedies neue diplomatische +Verbindungen eintreten und die Unabhängigkeit des Landes werde wohl +nicht lange mehr auf sich warten lassen? Das einzige Land Persien hat +sein Viceconsulat in Alexandrien, sein Generalconsulat aber in Kairo, +und auch dies bestätigt meine vorhin ausgesprochene Ursache. + +Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften in Kairo haben fast alle +ihre eigenen Kirchen, so die katholische der Väter des heiligen Grabes, +die unirten Griechen, die orthodoxen Griechen, die katholischen +Armenier, die nichtkatholischen Armenier, die unirten Syrier, die +katholischen Maroniten, die reformirten deutsch-französischen Christen, +die amerikanischen Protestanten, die katholischen Kopten und die +Jesuiten. + +Auch die Juden theilen sich in Talmudisten und Thoraimisten, d.h. +solche, welche nur das Gesetz Moses anerkennen. + +Das Schulwesen in Kairo hat einen ganz neuen Aufschwung genommen unter +der umsichtigen Leitung des Schweizers, Herrn Dohr. Sein Hauptstreben +ist dahin gerichtet, die weibliche mohammedanische Jugend der Bildung +theilhaftig werden zu lassen, derer sie bedarf, und wenn dies gelingt, +so ist damit ein Hauptfactor zur wirklichen Civilisation des ganzen +Volkes gegeben. + +Hospitäler giebt es zwei, das schon genannte in Gasr el Nil, welches +jährlich an 5000 Kranke aufnimmt, und das europäische, dessen Kranke in +den Flügeln des großen Gasr el Ain untergebracht werden. Die Aufnahme +der Kranken ist hier nicht gratis, sondern der Patient zahlt je 12, 6 +und 3 Frcs. für den Tag. Dies Hospital steht unter Aufsicht eines der +Consuln, welche zu diesem Zwecke einen der Ihrigen alljährlich hierzu +auserwählen. + +Sollen wir schließlich noch ein Wort über die Absteigequartiere der +Europäer sagen, so beginnen wir mit dem sowohl äußerlich, wie innerlich +gleich großartig ausgestatteten New-Hôtel, an der Esbekieh gelegen; es +ist Eigenthum des Chedive und wird besonders von nach Indien reisenden +Engländern besucht. + +Schaper's Hôtel, jetzt Herrn Zech, einem Schwaben, gehörig, ebenfalls am +Esbekieh-Platz gelegen, besonders von vornehmen Reisenden frequentirt; +Art und Weise durchaus englisch. + +Nil-Hôtel am Ende einer von der Muskistraße ausgehenden Sackgasse, +besonders von Deutschen und Nordamerikanern besucht, mit reizendem +Garten und trefflicher deutscher Bedienung bei vorzüglicher +französischer Küche. + +Andere Hôtels ersten Ranges, wie =Hôtel d'Orient=, =Hôtel des +Ambassadeurs=, =Hôtel Royal= sind gleichfalls zu empfehlen. Auch +gute Hôtels zweiten Ranges fehlen nicht, z.B. =Hôtel des Colonies, de +France, des Princes, du Commerce= u.a. + +Mit allen Hotels sind europäische Bäder verknüpft; von den zahlreichen +maurischen Bädern ist das den Europäern am meisten zu empfehlende das +Bad Tombaly nahe dem Scharieh-Thore. + +Das ist das Kairo im Jahre 1875; heute schon halb eine europäische +Stadt, wird diese Stätte uralter ägyptischer Cultur--denn Kairo ist doch +eigentlich weiter nichts, als ein verjüngtes Memphis--bald wieder ein +neues, ganz der neuesten Civilisation und Cultur sich anpassendes Kleid +angelegt haben und nach Abschüttelung des Staubes und der Asche wie ein +Phönix aus derselben emporsteigen. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 50: Uebersetzung nach Wetzstein; andere übersetzen auch "die +Siegerin".] + +[Footnote 51: Ich folge _hier_ der Schreibweise Wetzsteins.] + +[Footnote 52: Es ist dies in sofern interessant, als das Umgekehrte +Regel ist, wenigstens in der Neuzeit. Von verschiedenen Völkern wird das +türkische Reich nach seiner Hauptstadt Stambul genannt, also das Land +nach der Hauptstadt. Im ganzen Orient benennt man das Kaiserreich der +Preußen nach seiner alten Hauptstadt Muscu. Wir selbst nennen die +Berberstaaten Tripolis, Tunis, Algier nach ihren Hauptstädten. In +Deutschland haben die kleinen Länder fast alle ihre Benennung nach den +Hauptstädten.] + +[Footnote 53: Aufgepaßt, aufgepaßt, rechts Herr, links!] + +[Footnote 54: Weiblicher Plural von Moslim.] + +[Footnote 55: Was das anbetrifft, so müssen wir doch anderer Meinung +sein. In einem Lande, wo eigentlich nur _ein_ Kaufmann ist, nämlich der +Chedive, kann von Handelsfreiheit nicht wohl die Rede sein.] + +[Footnote 56: Siehe p. 275: =guide annuaire par Fr. Levernay=.] + +[Footnote 57: Uebersetzung von Lorsbach p. 519.] + +[Footnote 58: [Greek: neiloschopion] der Griechen.] + +[Footnote 59: Der Schlag mit dem Fliegenwedel ins Gesicht des +französischen Consuls in Algier führte zur Unterwerfung der +Regentschaft; leider wurden ähnliche Insulten von anderen Mächten nicht +so energisch geahndet, sonst hätte das Piratenwesen etc. nicht +aufkommen, wenigstens nie eine solche Macht werden können und die +schändliche Menschenräuberei, welche bis 1830 trotz der europäischen +Mächte von den muselmanischen Beys und Deys betrieben wurde, wäre viel +eher unterdrückt und ausgerottet worden.] + + + + +11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste. + + +Schon einen halben Tag vorher, als wir noch inmitten der ödesten +Steinwüste waren, bemerkten wir die Nähe des lebenspendenden Nilthales. +Es war gegen 2 Uhr Nachmittags, und in verschiedenen Gruppen zu Fuß +gehend waren wir den langsamen Kamelen vorausgeeilt; wir unterhielten +uns gerade über die Möglichkeit, noch am selben Abende oder früh am +Morgen an's Nilthal zu kommen, als lautes Gejodel hinter uns ausbrach. +Es waren unsere Diener, die nun heranstürmten und uns auf eine hohe +Dampfsäule aufmerksam machten, die gerade vor uns im Osten majestätisch +gen Himmel aufwirbelte. Sie konnte nur aus einem jener +Fabrikschornsteine herrühren, welche man jetzt in Aegypten, vom Delta an +bis nach Assuom hinauf, als Zeugen einer höheren Kultur antrifft. + +Mit erneuertem Eifer eilten wir voran und eine Stunde vor +Sonnenuntergang hatten wir den Rand der Sahara, das felsige Steil-Ufer +des Nil, erreicht. Ja, auf einem erhöhten Vorsprunge konnten wir, in +weiter Entfernung allerdings, den Nil selbst und seinen grünen Rahmen, +die schlanken Palmen, erkennen. Sobald die Kamele herangekommen waren, +wurde dann noch mit Vorsicht der Abstieg ausgeführt, wollten wir doch +vor allen Dingen noch am selben Abende der traurigen Hammada (steinigen +Hochebene) entfliehen und der Wüste für immer Lebewohl sagen. + +Aber wenn wir auch die Genugthuung hatten, am Fuße des felsigen Ufers +unsere Zelte aufschlagen zu können, so war es doch zu spät geworden, um +das eigentliche Nilthal, das, welches unter der unmittelbaren Einwirkung +des belebenden Wassers steht, erreichen zu können. Die Schwierigkeiten, +die beladenen Kamele durch die enge, abschüssige Felsspalte +hinabzutreiben, waren so groß, daß es schon dunkelte, als wir unten am +Ausgange der majestätischen Schlucht ankamen. Aber ein prachtvoller +Lagerplatz war es. Da standen unsere Zelte am Fuße der jäh abfallenden +Kalkwände, vor uns öffneten sie sich, der Ausgang winkte uns Leben +entgegen, hinter uns thürmten sie sich himmelhoch auf, eine riesige +Mauer als Scheidewand der ewig todten Sahara vom fruchtbarsten Thale der +Welt. Und nun ging der Mond auf und ergoß sein Licht über unser +malerisches Lager; die Feuer prasselten, behaglich hatten sich die müden +Kamele in den weichen Sand gestreckt und zermalmten langsam ihr +wohlverdientes Futter; die deutschen Diener provocirten jubelnd durch +Revolver und Gewehrschüsse das vielfache Echo, während wir Anderen uns +vor unsere Zelte gesetzt hatten und die Freuden der Nilreise erwogen, +welche wir sicher schon am andern Tage antreten zu können hofften. + +Das war unser letztes Lager, unsere letzte Wüstennacht, die gewiß Jedem +von uns unvergeßlich sein wird. + +Früher als sonst waren wir am anderen Morgen bereit. Schnell wurden die +Zelte gerollt, die Kamele beladen und vorwärts ging es. Aber so schnell +war dennoch Esneh, wo wir uns einzuschiffen hoffen konnten, nicht +erreicht. Wir waren allerdings im Nilthale, aber noch weit von Esneh, +dessen Palmen noch nicht einmal zu sehen waren. Ein regelrechter +Tagemarsch mußte noch zurückgelegt werden und zwar kein angenehmer, denn +das Thermometer zeigte im Schatten über 30 Grad. Indeß zogen wir immer +längs der fruchtbaren Nilfelder nach Süden und rechts das hohe Ufer bot +in seiner wechselvollen Form Unterhaltung genug, um die Zeit rasch +schwinden zu machen. + +Nachmittags erreichten wir denn auch die ersten menschlichen Bauten, +zwar nur Ruinen, aber interessanter Art. Es waren die Reste eines +ehemaligen bedeutenden koptischen Klosters, welches auch heute noch für +die ägyptischen Christen ein berühmter Wallfahrtsort ist. Hierher kam in +der Mitte des vierten Jahrhunderts der Pater Pachomius, ein Held der +koptischen Kirche. Die Kirche des Klosters, eine Rotunde, ist noch gut +erhalten, ja einige Zellen, mit Matten belegt, geben Zeugniß, daß +manchmal Tage lang noch Gottesdienst hier verrichtet wird. Einige in +Stein gehauene griechische Inschriften deuten auf das hohe Alter des +merkwürdigen Klosters hin. Am interessantesten sind aber die hübschen +Mausoleen in der Nähe des Klosters; hier ruhen die Gebeine der +christlichen Märtyrer, welche im Jahre 303 n. Chr. auf Befehl vom Kaiser +Diocletian hingerichtet wurden. Reizende Grabkapellen, deren hübsche +architektonische Formen sich nur vergleichen lassen mit der berühmten +Nekropolis in Chargeh und die um so bemerkenswerter sind, weil sie zu +den wenigen Bauüberresten gehören, welche aus _ungebrannten_ Thonziegeln +errichtet sind. + +Jetzt tauchten auch die Gärten von Esneh auf und bald darauf erblickte +man die größeren Gebäude und die schlanken Minarets der Moscheen. Unser +Factotum, Mohammed Daud, hatte ich vorausgeschickt, um uns beim Mudir +anzumelden, und eine halbe Stunde vor der Stadt kam uns auf einem +prächtigen weißen Berberhengste der Unter-Mudir entgegen, um uns +willkommen zu heißen. Zittel und ich waren vorausgegangen und betraten +bald darauf das hübsche Lustschloß des Chedive, unmittelbar am Nil +gelegen. + +Sobald wir im Schlosse, welches der Chedive ganz zu unserer Verfügung +gestellt hatte, eingerichtet waren, namentlich Jeder von uns sein Zimmer +in Besitz genommen hatte, stellten sich die Honoratioren der Stadt ein +und im großen Saale wurde Empfang gehalten. Wir aber forschten vor +Allem, ob in Esneh ein Trunk Bier zu haben sei, und siehe da, die Stadt +erwies sich in dieser Beziehung sehr civilisirt, denn bald darauf +standen vermiedene Flaschen Ale auf dem Tische. Seltsames Verlangen, +welches wohl nur der Deutsche, vielleicht auch der Engländer +besitzt--ich glaube, in Esneh ist während der kurzen Zeit unseres +Aufenthalts so viel Bier wie nie vorher verkauft worden. + +Das Schloß des Vicekönigs war reizend gelegen, obschon es sich sonst +keineswegs durch architektonische Schönheit auszeichnete. Von Mohammed +Ali erbaut, der fast jeden Winter einige Monate in Esneh zuzubringen +pflegte, zeigt es im Allgemeinen dieselbe Anordnung der viceköniglichen +Palais aus jener Periode, d.h. länglich viereckig ist das innere +Parterre durch ein großes Kreuz getheilt. Sonderbare Vorliebe, welche +die Aegypter für's Kreuz besitzen, denn sogar die berühmte +Mulei-Hassan-Moschee in Kairo zeigt ja, wie ich früher schon erwähnte, +in der Grundform ein Kreuz. In der Bel-Etage war ein großer Saal mit +verschiedenen Zimmern daneben; letztere hatten wir unter uns vertheilt; +der Salon, nach türkischer Sitte nur mit einem Divan, der sich rund um +die Wände zog, möblirt, diente als gemeinsames Speisezimmer und als +Empfangszimmer. Die Teppiche waren überaus schön und auch die +Möbelstoffe, Gardinen etc. waren einst schön gewesen, aber vom Zahne der +Zeit etwas angegriffen. + +Ich schlief in der ersten Nacht im Bette Mohammed Ali's, aber in den +folgenden Nächten zog ich mein Feldbett doch vor. In den Wandschränken +der Zimmer fand sich überdies der reichste Vorrath von Leinenzeug, +seidenen und wollenen Decken, Kissen etc., vielleicht seit zwanzig +Jahren unberührt liegend, denn der jetzige Chedive und seine beiden +Vorgänger haben nie in diesem Palaste genächtigt. + +Ringsum ist ein reizender Garten, da wetteifern Palmen mit Oliven, +Feigen mit Agaven, Granaten mit Orangen in ewig grüner Pracht, wer am +ersten seine duftenden Blüthen offenbaren soll. Und vor dem Palais +selbst ist, ehe man zu den Fluthen des Nils kommt, ein zweiter schöner +Platz, stets schattig, denn herrliche Lebek-Akazien überwölben ihn. + +Unsere Freude, den Nil erreicht zu haben, wieder in civilisirter +Umgebung sein zu können, wurde aber etwas getrübt, weil kein Dampfer, um +uns zu holen, gekommen war. Leider war der Brief, den ich von der +Jupiter-Ammons-Oase aus an unseren Generalconsul in Alexandrien +geschickt hatte, acht Tage später angekommen, durch die unverzeihliche +Nachlässigkeit des arabischen Boten, welcher geglaubt hatte. "Acht Tage +früher oder acht Tage später, was macht das aus?" So fanden wir nur ein +Telegramm vor, welches besagte, es sei Befehl gegeben, uns von Assuan +her eine Dahabieh zu besorgen, da Dampfer des niedrigen Wasserstandes +wegen nicht mehr fahren könnten. Letzteres war nun allerdings eine +Unwahrheit, aber jedenfalls war die Zeit zu kurz geworden, um jetzt noch +einen Dampfer von Kairo zu erwarten. + +Wir mußten uns also mit Geduld in unser Schicksal ergeben und Jeder +nutzte die Zeit aus, so gut es ging. Zittel durchforschte noch einmal +die interessanten Schichten des Nilufers, Jordan operirte mit dem +Theodolit, Ascherson suchte mit seinem Diener Korb Pflanzen und Herr +Remelé photographirte im Tempel; nur ich selbst hatte meine Thätigkeit +geschlossen, denn mit der Erreichung des Nils hatte die Reise ihr Ende +erreicht. Aber ganz unthätig war ich auch nicht, lag mir doch ob, unsere +ganze Expedition noch stromabwärts bis zum Mittelmeere zu führen, und da +gab es noch Mancherlei zu besorgen und anzuordnen. + +Esneh mit circa 7000 Einwohnern ist günstiger gelegen, als Siut, +insofern als es unmittelbar am Nil liegt, aber dennoch ist letztere +Stadt bedeutend wichtiger für Handel und Wandel. Der jetzige Name Esneh +ist der alte, ursprünglich ägyptische, wie Quatremère und Champollion +aus koptischen Urkunden nachgewiesen haben. Letzterer bringt das Wort +mit =Sna= was auf koptisch Garten bedeutet, in Verbindung. Der +griechische Name Latopolis kommt, wie Strabo (Bd. XVII, S. 817) sagt, +von der Verehrung des Fisches Latos her, dem hier mit Minerva göttliche +Ehre erwiesen wurde. Dies bezeugt der prächtige Tempel, dessen Vorhalle, +unter Mohammed Ali's Regierung bloßgelegt, zu den wohlerhaltensten +Denkmälern gehört, welche Aegypten besitzt. + +Im Ganzen genommen liegt Esneh äußerst malerisch auf circa 25-30 Fuß +hohem Nilufer. Der Palast des Chedive, die große Cavallerie-Caserne, +welche jetzt allerdings leer steht und welcher der Verfall droht, das +Mudirats-Gebäude, die Wohnung des Schich el Bled, alle am Nil gelegen, +dann die große Zahl der imposanten und bunt bekalkten Taubenschläge +verleihen der Stadt ein größeres Aussehen, als sie in Wirklichkeit hat. +Ich habe früher schon dieser colossalen Taubenschläge erwähnt; ein +einziger solcher Thurm, viel luxuriöser gebaut, als die danebenstehende +menschliche Wohnung, beherbergt oft 500 und mehr Tauben. Hauptzweck der +Taubenzucht ist die Erzielung von Guano, und Leute in Esneh gaben mir +die Versicherung, daß der Jahresbetrag eines großen Taubenschlags oft +für 40 bis 50 Ducaten Guano betrage. Man sieht also, daß nicht allein +die Gewässer des Nils es sind, welche die fruchtbaren Fluren erzeugen, +sondern daß auch noch durch Dünger nachgeholfen werden muß. + +Und da ich doch einmal bei den Tauben verweile, möchte ich hier die +interessante, schon von Darwin mitgeteilte Thatsache hervorheben, daß +die Tauben, um zu trinken, direct in den Nil fliegen; natürlich gehen +sie in so seichtes Wasser, daß sie Grund finden. Aber wie lange wird es +dauern und Gewohnheit, Notwendigkeit und Zuchtwahl werden +zusammenwirken, es werden sich Schwimmhäutchen an den Füßen bilden und +nach 10,000 Jahren oder mehr hat Aegypten vielleicht schwimmende Tauben. + +Eine Eigenthümlichkeit hat Esneh noch, welche sich vielleicht in den +anderen ägyptischen Städten auch findet, aber nicht so hervortritt, +nämlich ein ganzes Viertel, wo nur Hetären wohnen. In der Nähe sind +türkische Kaffeehäuser und von da konnten wir die interessantesten +Beobachtungen anstellen. Da sah man eine ganze ethnographische +Musterkarte weiblicher Geschöpfe: hier eine blendend weiße +Deltabewohnerin, vielleicht mit tscherkessischem Blute in ihren Adern, +dort eine pechschwarze Dame aus Fur, hier eine rothe Dongolanerin, dort +eine Fellahin aus dem Nilthal mit goldgelber Haut und großen schwarzen +Augen, hier eine Jüdin, dort eine Christin, hier eine Mohammedanerin, +dort eine Schwarze, welche vielleicht noch Heidin war, kurz, fast alle +Racen, jedes Alter und jede Religion war vertreten. + +Wir luden diese zuvorkommenden Wesen ein, uns im Palais einen Besuch zu +machen, aber da erfuhren wir, daß sie aus der Grenze ihres Stadtviertels +ohne besondere Erlaubniß des Gouverneurs nicht herausgehen durften. +Unser Photograph, Herr Remelé, wollte nämlich ein Gesammtbild dieser +ethnographisch interessanten Frauen herstellen. Die Erlaubniß war indeß +schnell erwirkt. Unter Führung des Unter-Mudir und verschiedener +Polizisten erschienen sie Nachmittags, gewiß 30 an der Zahl, im Garten +des chedivischen Palais. Alle waren im höchsten Putze und die Aermste +hatte mindestens 40-50 Goldstücke zu einer Kette vereint um den Hals. +Große goldene und silberne Armbänder, Fußspangen, bunte Kleider, +goldgestickte Schuhe, Alles hatten sie angethan, um möglichst +vorteilhaft zu erscheinen. Natürlich mußte die Sitzung bezahlt werden, +aber es gelang Herrn Remelé doch, zwei höchst gelungene Aufnahmen zu +machen. + +Sonst hat die Stadt nichts von Interesse; der Marktplatz, die Buden, die +Straßen sind eng und klein, aber es ist Alles zu haben. Mehrere von +Griechen gehaltene Schenken sind mit leiblichen Bedürfnissen aller Art +wohl versehen. + +Doch noch einmal kehren wir zurück zu dem Tempel, der gleich hinter dem +Marktplatze gelegen ist und sicher zu den staunenswertesten Denkmälern +Aegyptens gehört. Dabei kam mir der Gedanke, wie angenehm es für uns +gewesen war, diese alten ägyptischen Bauten immer in aufsteigender Weise +kennen gelernt zu haben. Nachdem wir zuerst auf unserer Hinreise die +ziemlich kunstlos gearbeiteten Hypogeen (Katakomben) von Beni Hassan, +die Grüfte von Siut, gesehen, waren wir zum kleinen Tempel in Dachel, +dann aber zum viel prächtigeren großen von Chargeh gekommen und nun +hatten wir hier ein Werk vor uns, das uns die Pracht und die +Herrlichkeit der ägyptischen Baukunst auf's Vollkommenste +vergegenwärtigte. Leider ist der größte Theil des Tempels noch unter +Schutt, nur der Porticus ist zugänglich. Aber seine gewaltigen +Dimensionen deuten genugsam auf die bedeutenden Bauten hin, welche uns +augenblicklich der neidische Boden zusammengefallener Hütten und Häuser +verbirgt. + +24 Säulen, über 33 Fuß hoch, in vier Reihen stehend, mit einer +Peripherie von 16 Fuß jede Säule, lassen in diesem Vortempel nur ahnen, +welche großartige Verhältnisse dahinter liegen. Die französische +Expedition schätzt die Grundfläche des ganzen Tempels auf 5000 +Quadratmeter, und Alles ist mit Hieroglyphen und bildlichen +Darstellungen bedeckt. "Könnte ein Steinmetz auch ein Zehntel +Quadratmeter in _einem_ Tage mit solchen Hieroglyphen bedecken, so wären +doch 50,000 Tage zur Beendigung der ganzen Decoration nöthig[60]." + +Man sieht überall den Widderkopf des Jupiter Ammon; auch über der Thür, +welche ins Innere des Tempels führt und die vermauert ist, sieht man ein +widderköpfiges Bild. Die Säulen, deren Architrav, die Decke des Tempels +sind alle wohl erhalten und die _erhaben_ gearbeiteten Hieroglyphen im +Innern des Porticus sind von einer Genauigkeit der Arbeit, als ob sie +erst gestern aus der Hand des Künstlers hervorgegangen wären. Warum sind +in dem Innern der Tempel die Hieroglyphen erhaben, an der äußeren Seite +aber meist vertieft gearbeitet? Das sind Fragen, die Einem einfallen; +vielleicht hat ein Brugsch oder Lepsius, oder gar schon Champollion +darauf geantwortet. Ich weiß es nicht, ich verweise daher den, der sich +mit diesen Gegenständen eingehend beschäftigen will, auf die dahin +einschlägige Literatur. Interesse hat eine solche Baute gewiß für +Jedermann; auch der Gleichgültigste muß bewundern und selbst der +blasirteste Mensch muß verstummen unter dem mächtigen Eindrucke dieses +Menschenwerks. Schade, daß die Dunkelheit nicht erlaubt, die +Deckengemälde genauer zu betrachten, wo namentlich ein Thierkreis, durch +die Sauberkeit seiner Arbeit ausgezeichnet, von großem Interesse sein +soll. Ich habe ihn nicht gesehen; die Dunkelheit wird hervorgebracht +durch Schutt, der, fast so hoch wie der Tempel selbst, davor liegt; man +muß mittelst einer Treppe hinabsteigen. + +Fünf Tage waren wir in Esneh, von Assuan kam immer noch kein Schiff. Am +vierten Tage aber hatten wir schon einen Entschluß gefaßt. Vertraut mit +den Versprechungen, welche ägyptische Beamte zu machen, aber nicht zu +halten pflegen, hatten wir eingesehen, daß auf eine Dahabieh nicht zu +rechnen sei. "Kairo ist weit und der Chedive thront hoch", denken auch +die ägyptischen Mudire in Oberägypten. Möglich, daß keine Dahabieh in +Assuan zu haben war, möglich, daß man dahin noch gar nicht um eine +solche telegraphirt hatte; genug, es kam keine. + +Aber in Esneh selbst fanden sich zwei allerdings kleine, aber doch +taugliche Schiffe, und mit Hülfe des Mudir wurden sie gemiethet. Der +Mudir verstand etwas Englisch und war einer der besten ägyptischen +Provinzialbeamten, den ich noch gesehen hatte: Wie fein und +"=gentlemanlike=" war sein Benehmen gegen das des Siuter Mudir, der +ein ehemaliger Sclave von Abbas Pascha war! Der Mudir von Esneh hatte +aber auch früher an der Spitze der Asisieh-Dampfer-Compagnie gestanden, +er war noch früher See-Capitain gewesen und hatte als solcher die Welt +kennen gelernt. + +Auch die anderen Honoratioren der Stadt waren ordentliche Leute. Da war +der Unter-Mudir, ein sehr gefälliger Mann; da war der Medicinalrath, der +etwas Französisch redete, sich auch eine ägyptische Zeitung, die in +französischer Sprache erschien, hielt, sie nur nie las. Er war so +liebenswürdig, sie mir täglich zu schicken, aber ich gestehe, nachdem +ich einige Mal dies Blatt, "=l'Egypte=" genannt, durchgesehen +hatte, stand ich ebenfalls davon ab, es zu lesen. Kann man sich einen +langweiligeren Inhalt denken: einige amtliche Bekanntmachungen, Auszüge +aus den Verhandlungen irgend welcher obscurer französischer +Gesellschaften, irgend ein französischer Sensationsroman und einige +Annoncen. Selbst telegraphische Berichte waren nicht einmal vorhanden +und politische Nachrichten, Leitartikel oder sonstige Raisonnements +fehlten gänzlich. Glückliche ägyptische Beamte, die mit einem solchen +officiellen Blatte abgespeist werden, "=l'Egypte=" ist das Organ +der Regierung. + +Da war dann noch der Mufti, der Kadhi, der Schich el Midjelis[61], der +Ukil[62] des Palais des Vicekönigs und einige andere Notablen, die uns +alle Abende einen Besuch machten; aber einen kurzen, das muß ich zu +ihrer Ehre nachrühmen; die langen Sitzungen, wie sie uns von der Behörde +in Dachel täglich aufoctroyirt wurden, hatten wir hier nicht mehr zu +erdulden. + +Bezaubernd in gewisser Weise waren auch die Tage in Esneh, so recht +für's =Dolce far niente= angethan. Wenn des Morgens in die offenen +Fenster hinein die sich mischenden Düfte des Jasmin und Orangenbaumes +zogen, wenn die Schwalben ihr jubelndes Zwitschern erschallen ließen und +wir selbst, Zittel und ich, uns auf die Terrasse begaben, um in aller +Ruhe Kaffee zu schlürfen, zu schreiben oder zu lesen,--oder aber, wenn +Abends die Sonne sich hinter die Nilufer gesenkt hatte und nun die +gegenüberliegenden weißlichen Kalkberge in den herrlichsten Farben +geschmückt prangten, der Himmel und der Nil selbst von ganz anderen +Tinten übergossen erschien, als man es je anderswo schauen mag--so +ließen alle diese Bilder Eindrücke zurück, welche nur Der zu würdigen +weiß, der selbst Aehnliches erlebt und gesehen hat. + +Mittags hatten wir die Dahabiehen gemiethet, Nachmittags um 5 Uhr +konnten wir schon abfahren. Aber die Dahabiehen sind keineswegs alle von +gleicher Beschaffenheit. Man hat sehr große und schöne, so wie die +europäischen Nilreisenden sich dieselben in Kairo zu einer Reise auf dem +Nil miethen; man hat kleinere für eingeborene Reisende und solche, die +gleichsam für den Waarentransport eingerichtet sind. + +Uns standen zwei kleinere zu Gebote, die mit vielen Nachtheilen den +Vortheil verbanden, daß sie schneller fortzubewegen und besonders, daß +sie bedeutend billiger waren, als die großen Dahabiehen. Wir verteilten +uns also in die zwei Schiffchen und zwar so, daß Zittel, Ascherson und +ich mit zwei europäischen Dienern das eine, Herr Remelé und Jordan mit +drei ebenfalls europäischen Dienern das andere Schiff einnahmen. +Räumlich waren letztere besser daran, als wir, denn bei gleich großen +Cajüten waren sie zu Zweien, wir aber zu Dreien. Jedes Schiff hatte +nämlich an seinem hinteren Theile zwei kleine Cabinen; in unserem +bezogen Zittel und ich die eine, Ascherson die andere; letztere diente +zugleich als Speisesaal und als Ort, wo unsere Kisten standen; beide +Cajüten waren durch einen nicht näher zu bezeichnenden Ort getrennt, +dessen unangenehme Einschaltung wir aber dadurch unschädlich machten, +daß wir uns Allen den Zutritt verboten. + +Oben auf den beiden Cajüten wurde gesteuert, dort schliefen der Rais, +unsere beiden europäischen Diener und der Schich unserer eingeborenen +Leute. Die Mitte des Schiffes hatte Raum für den Mastbaum, für drei +improvisirte Bänke, welche die sechs Ruderer inne hatten, und unter Deck +war unsere Bagage; ganz am Vordertheile des Schiffes befand sich eine +Art von Küche. Das war die Einrichtung des Schiffes. An Möbeln hatten +wir Feldtische und Stühle von einem Dampfschiffe des Chedive, welches +vor Kurzem bei den Ssilsilla-Bergen oberhalb Esneh gescheitert war. +Unsere eignen Feldstühle waren durch die Reise ganz unbrauchbar +geworden. + +An Proviant hatten wir drei Schafe, mehrere Puter, Eier, Mehl, Butter, +Reis, Linsen, Brod, Kaffee, Wein und Bier; in dieser Beziehung waren wir +also wohl versorgt, und um ja zu vermeiden, daß an Bord des anderen +Schiffes nicht Unzufriedenheit ausbräche, theilte ich die Lebensmittel +und Getränke stets so, daß jedes Schiff die Hälfte bekam, trotzdem wir +zu drei Herren, das andere Fahrzeug aber nur mit zweien besetzt war. + +Langsam entschwand Esneh unseren Blicken. Es war der erste Abend, den +wir wieder auf dem Nil verlebten, ein herrlicher in jeder Art, und nun +konnten wir auch schon mit ziemlicher Gewißheit vorher berechnen, wann +wir in Kairo, wann wir in Alexandria und wann wir in Neapel sein würden, +besonders Zittel und ich, die wir gemeinsam zurückreisen wollten, wir +gaben uns oft diesem frohen Gedanken hin. Da saßen wir nun oben auf der +Cabine, ein Glas Bier vor uns, schauten auf die in prächtigen Farben +schimmernden Berge, auf die ruhigen Fluthen des Nil, auf die Barken, die +leise darüber hinglitten, auf die friedlichen Ufer, wo hier ein Schäfer +seine Heerde heimtrieb, dort Büffel, die das steile Gehänge +hinanklommen, hier Männer mit Sicheln bewaffnet, Heubündel einheimsend, +hier die jungen Fellahmädchen, die Kühe zum Melken herantreibend,--ein +Bild der Ruhe und des Friedens. Und diese Leute sollen so bedrückt sein, +daß sie kaum mehr das Geld erschwingen können? So fragte ich mich beim +Anblick dieses Bildes. Es leuchtete doch nur Zufriedenheit und Frohsinn +aus aller Leute Gesicht. Hier wurde laut gelacht, dort wurde gesungen. +Wie stimmt das mit den Klagen über unerschwingliche Steuern? + +Ach, es ist leider nur zu wahr, in Aegypten giebt es wohl gar keine +Gegenstände mehr, die unbesteuert sind und die Steuern sind wirklich für +das Volk fast unerschwinglich. Die Zufriedenheit und der frohe Sinn, die +ewige Heiterkeit der armen Fellahin erklärt sich nur daraus, daß sie es +nie besser gewohnt waren. Seit mehr als 4000 Jahren immer im +Sclavenjoch, ist es einer Generation am Ende einerlei, ob sie mehr +bezahlen muß, als die andern früher bezahlten. Auch die Väter haben +keine Reichthümer gesammelt und haben, trotzdem sie vielleicht weniger +steuerten, auch nichts hinterlassen. + +Was war das? Da tönte von der anderen Barke mit einem Male "Ein lustiger +Musikante marschirte einst am Nil" &c. herüber und hernach noch andere +Lieder. Das Singen ist ansteckend; wir antworteten und so etablirten +sich Wechselgesänge oder auch, wenn die beiden Barken ganz nahe waren, +sangen wir zusammen. Zittel mit seiner wirklich schönen Stimme mußte die +Palme zuerkannt werden,--doch nein, ich übertraf ihn. Denn wenn ich mit +der Kraft meines ganzen Körpers und mit unbeschreiblichem Ausdruck mein +Schnadahüpfln sang, dann folgte immer ein allgemeines "bis, bis, noch +ein Mal!" Ja, wie von einem Niemann oder Betz, wie von einer Lucca oder +Patti (ich vereinige den Zauber und den Schmelz der verschiedensten +Stimmen, einerlei, ob aus männlichen oder weiblichen Kehlen) wurde stets +mein Lied drei oder vier Mal zu hören verlangt. + +Die Nächte auf dem Schiffe waren nicht allzu angenehm. Daß Ungeziefer +der verschiedensten Art einheimisch war, sollten wir bald genug +erfahren, aber in unserem Fahrzeuge waren außerdem noch Wasserratten, +die auf lästige Art oft unseren ohnedies nicht festen Schlaf störten. +Ja, eines Nachts sprang eine freche Ratte durch das kleine Fenster +gerade auf mein Gesicht und als ich erschreckt in die Höhe fuhr, mit +einem Satze auf Zittels Kopf, der dicht an meiner Seite schlief. Als sie +auch hier keinen angenehmen Empfang fand, verschwand sie in unserem +Brodkorbe, den sie sich als Lieblingsaufenthalt ausersehen hatte. + +Das war die erste Nacht, aber man gewöhnte sich an derartige +Unannehmlichkeiten, und die mächtig wirkende Sonnengluth bei Tage suchte +man durch leichtere Kleidung zu dämpfen, oder es wurde an seichten +Stellen ein Bad genommen, das freilich nur eine momentane Abkühlung +bewirkte. + +Wir näherten uns Theben, wo reich die Wohnungen sind an Besitzthum: + + "Hundert hat sie der Thor', und es ziehen zweihundert aus jedem, + Rüstige Männer zum Streit mit Rossen daher und Geschirren." + +So singt Homer, aber ach!--nur Ruinen deuten heute noch auf die einstige +Größe der Stadt, nach der im grauesten Alterthume, wie Herodot uns sagt, +ganz Aegypten genannt wurde. + +Pocht nur, ihr modernen Städte und Staaten, auf eure Unvergänglichkeit, +du prahlerisches Rom mit deinen paar Tausend Jahren nennst dich die +"ewige Stadt". Blicke auf Theben zurück, dem nicht einmal der Name +geblieben ist. Ja, es ist traurig, die heutigen Bewohner des Ortes +kennen den Namen Theben nicht. Angesichts der colossalen Ruinen, +Angesichts eines Tempels, in welchem der Dom von St. Peter fünfmal +stehen kann, ahnen sie nicht einmal die Bedeutung und die Macht, die +früher diese Stätte hatte. + +Man hätte es sich selbst nie verzeihen können, bei Theben +vorbeizufahren, ohne wenigstens die hauptsächlichsten Denkmäler gesehen +zu haben. "Auf Luxor zu halten!" riefen wir, und siehe da: auf einem +stattlichen Hause unmittelbar am Nil flatterte eine große deutsche Fahne +empor. Auf dem deutschen Consulate hatte man zwei mit deutschen Flaggen +versehene Dahabiehen bemerkt, und da man ohnedies von unserer Ankunft +unterrichtet war, wollte uns der Consul dadurch eine Aufmerksamkeit +beweisen. Des Consuls Salutschüsse wurden von unseren Schiffen sogleich +erwidert und bald darauf legten wir dicht bei seinem Hause vor Anker und +begaben uns hinauf. Ein liebenswürdiger Mann, dieser Vertreter +Deutschlands, dem nur Eins fehlt, nämlich Gehalt, was doch immerhin +nothwendig wäre bei der öfteren Repräsentation und der Gastfreundschaft, +welche dieser freundliche Kopte allen Deutschen erweist. Es wäre dies um +so wünschenswerther, als die Vertreter der übrigen Mächte in Theben, +z.B. die von England, Frankreich und Oesterreich, auch Gehalt beziehen. +Allerdings sind dort keine Deutschen zu beschützen oder sonst irgendwie +deutsche Interessen wahrzunehmen, aber wenn man schon einmal die +Nothwendigkeit eines deutschen Consuls für einen Ort anerkannt hat, dann +soll man ihn auch honoriren. + +Es macht einen angenehmen Eindruck, im Hause des Consuls einen +europäisch eingerichteten Salon zu finden, an den Wänden: unseren +Kaiser, den Kronprinzen, die Schlachten mit den Franzosen und +verschiedene Photographien von Deutschen, die Luxor, so heißt dieser +Theil von Theben, wo die Consulate sich befinden, besucht haben. + +Hier befindet sich auch das berühmte Fremdenbuch, worin Engländer und +Franzosen unsern Lepsius so begeiferten, indem sie unkluger Weise ihm +die Zerstörung der Ruinen schuld gaben. Kindischere Bemerkungen über die +Trümmerfelder von Theben sind wohl nie geschrieben worden. Sie bedachten +wohl nicht, daß Theben schon zur Zeit Strabo's zerstört war. Strabo +(Bd. XVII, S. 816) sagt ausdrücklich: "Es ist mit Tempeln, die +größtenteils von Chambyses zerstört worden sind, erfüllet und wird +gegenwärtig als kleiner Flecken bewohnt &c." Also schon vor ca. 1900 +Jahren war Theben, so wie es heute ist, aber vor ca. 3500 Jahren war es +in seiner Glanzperiode, an Rom dachte man damals noch nicht. Dies +Fremdenbuch wurde von Dümichen, als er unseren Kronprinzen auf seiner +ägyptischen Reise begleitete, an Lepsius geschickt, der es zurücksandte +mit der einfachen Bemerkung, er habe Kenntniß davon genommen. Auf dem +Consulate sind übrigens zwei Fremdenbücher, ein allgemeines und ein nur +für Deutsche bestimmtes. Das allgemeine Album rührt noch aus der Zeit +her, wo der Consul verschiedene andere Nationen gleichzeitig mit +vertrat. + +Das Verbrechen von Lepsius bestand in Wirklichkeit darin, daß er viele +der Tempel von Schutt reinigen ließ und zu der Zeit die Erlaubniß +erhielt, gefundene Kunstgegenstände nach Berlin bringen zu dürfen; aber +zerbrochen hat Lepsius nichts. Eine solche Barbarei z.B., wie das +Ausbrechen des Thierkreises aus dem Tempel zu Dendera ist, ist nie von +Deutschen begangen worden. Derselbe ist jetzt im Louvre. + +Nach einem kurzen Besuche auf dem Consulate, wo der übliche Kaffee, +Scherbet und Araki geschlürft und ein Tschibuk geraucht wurde, gingen +wir sodann, den Tempel von Luxor zu sehen und ritten darauf nach dem +Heiligthum von Karnak, dem größten Gebäude der Erde, welches jemals +einer Gottheit geweiht war. Da eine Beschreibung dieser Bauten mit ihren +Obelisken, Pylonen und Sphinxen nicht in meiner Absicht liegt, so fahre +ich gleich fort im Berichten unserer Erlebnisse. + +Wir waren Abends am Bord unseres Schiffes, schwelgend in der Erinnerung +an jene staunenswerten Kunstwerke längst vergangener Generationen, nicht +vergangener Völker, denn die heutigen Nilthalbewohner sind doch am Ende +nur die Abkömmlinge jener Titanen, welche diese Riesenwerke aufbauten, +deren Kraft und Schönheit wir jetzt täglich zu bewundern Gelegenheit +hatten. + +Und der folgende Tag sollte fast einen noch größeren Genuß gewähren: wir +setzten hinüber auf die andere Seite des Nils, auf die linke, um die +Königsgräber, die Memnon-Colosse, das Rameseum mit seinen herrlichen +Bildwerken &c. in Augenschein zu nehmen. Ein ganzer Tag ging damit hin +und dennoch sahen wir keineswegs alle Denkmäler, sondern nur die +bemerkenswerthesten. Dankend muß ich erwähnen, daß uns vom Consulate ein +sehr intelligenter Führer mitgegeben war, ein geborener Schlauberger, +der dadurch die Backschische der Deutschen reichlicher zu fließen machen +hoffte, daß er bei jeder Gelegenheit, und wenn diese auch von einem +Steingemäuer (in Ermangelung eines Zaunes) gebrochen werden mußte, auf +die Franzosen schimpfte, wie er andererseits muthmaßlich nicht +verfehlte, auf die Deutschen zu schimpfen, wenn er Franzosen zu führen +hatte. + +Abends vereinigte uns ein solennes Souper auf dem Consulate. Man muß +aber ein solches Essen mitgemacht haben, um über die Zahl der Gänge und +Gerichte einen Begriff zu erhalten. Einigermaßen wird man sich eine Idee +machen können, wenn ich sage, daß drei unserer complicirtesten Diners +zusammengesetzt etwa ein koptisches bilden würden. Um uns besonders zu +ehren und uns ganz in die koptische Sitte einzuführen, hatte der Consul +es auf einer messingenen Riesenschüssel auftragen lassen, und während er +selbst die Honneurs machte, ohne am Essen Theil zu nehmen, bat er uns, +mit den Fingern zuzugreifen. Sein Sohn aber, ein liebenswürdiger junger +Mann, der gut Englisch und etwas Deutsch sprach, nahm Theil an unserem +Mahle. Als ich aber sah, daß einige von unserer Gesellschaft über das +adamitische Essen ungeduldig zu werden anfingen (der Gang nach den +Königsgrüften war ganz danach gewesen, den Appetit mehr als gewöhnlich +zu reizen), bat ich den Consul, Messer und Gabeln bringen zu lassen, und +nun ging es rascher von Statten. Aber fast hätte man sich diese wieder +weggewünscht, denn es folgten so viele Gerichte, so viele Speisen, daß +es kaum möglich war, von allen auch nur zu kosten. Rothwein, Champagner, +dann und wann ein Gläschen Araki, um den Magen zu schnellerer +Bewältigung der Speisen zu reizen, bildeten das Getränk und am Schlusse +selbstverständlich eine Tasse Mokka mit dem Tschibuk. + +Es war schon dunkel, als wir dankend vom Consul Abschied nahmen, uns an +Bord begaben und noch am selbigen Abend abfuhren. Da erleuchteten, als +wir dem Consulate gegenüber waren, bengalische Flammen sein Haus und +gluthübergossen zeigte sich daneben der Tempel von Luxor mit seinem +hohen Obelisk, dessen Bruder jetzt auf dem Concordienplatze in Paris +steht. Flinten- und Revolverschüsse tönten dazwischen als Gruß für uns +in die Heimath. Aber diesmal konnten wir den liebenswürdigen Consul +überbieten, denn wir hatten noch viel Magnesiumdraht übrig behalten: wie +durch Zauber erhellten wir die ganze Gegend mit sonnengleichem Lichte, +noch einmal sahen wir den Karnaktempel, Medinet Abu, die Memnonssäulen, +das Rameseum und alle die Herrlichkeiten der alten hundertthorigen Stadt +und dann war lautlose Stille und tiefschwarze Nacht hüllte uns ein, +selbst die Ruderer sangen nicht, sondern trieben durch leise +Ruderschläge die Schiffe gen Norden. + +Nachts kamen die Schiffe meistens auseinander; das, worauf Jordan war, +hatte, weil es kleiner war, zwei Ruderer weniger; der Rais (Capitain) +schlief gern, das Fahrwasser schien er nicht zu kennen, so daß es häufig +aufrannte, aber des Morgens kamen wir doch immer wieder zusammen. + +Unser Botaniker Abu Haschisch erwarb sich, wie überall in den Oasen, so +auch bei unseren Matrosen, schnell die Sympathie derselben; sie hatten +ein Gedicht auf ihn gemacht und unterließen nicht, ihn mehrere Male +täglich zu besingen. Da war in ihrer Poesie von einem Garten, von +Granatblüthen, von Pflanzen, von einem Quell die Rede, und namentlich +wurde in gebundenen Worten sein Hemd besungen, welches diese Ehre durch +einen ungeheuren Tintenklecks erworben hatte. Am Tage war nämlich die +Hitze so groß, daß wir Alle, wie schon erwähnt, in einem möglichst +leichten Costüm auftraten. + +Hatten wir in Theben das großartigste der ägyptischen Baukunst +betrachten können, so bot uns Dendera Gelegenheit, den Triumph der +griechischen und ägyptischen Architektur zu bewundern; denn der +Denderatempel, vollkommen von Schutt befreit und in allen Theilen +erhalten, ist das Vollendetste, was von den neueren ägyptischen +Bauwerken noch erhalten ist. + +Sodann fuhren wir ohne weiteren Aufenthalt (nur in Girgeh wurde eine +Stunde angehalten, um Proviant einzunehmen) nach Siut, von wo aus unsere +Expedition abgegangen war. Obgleich wir in früher Morgenstunde, um 6 +Uhr, landeten, war Herr Khaiat, des deutschen Consuls Sohn, schon in +Homra, dem Hasenplatze von Sint. In der Erwartung, daß wir kommen +würden, hatte er die ganze Nacht dort zugebracht. Hier hatten wir einen +längeren Anfenthalt, Jordan hatte noch eine astronomische Messung zu +machen, sodann waren noch sämmtliche Kisten, unsere Sammlungen +enthaltend, an Bord zu nehmen. Während der Zeit ließ es sich das +Consulat nicht nehmen, ein Frühstück zu arrangiren. Dem Consul und +seinem Sohne, welche von der koptischen zur reformirt-koptischen Kirche +übergetreten sind, pflichten wir den größten Dank. Während der ganzen +Expedition haben Beide mit unermüdlicher Sorgfalt mit uns Verbindung +gehalten, unsere Post besorgt, uns Lebensmittel und Alles, was sonst +nöthig war, nachgeschickt. Ohne sie wäre der Verlauf der ganzen +Expedition keineswegs so zusammenhängend und ohne Störung von Statten +gegangen. + +Durch ihre Vermittlung gelang es uns auch, die Erlaubniß zu bekommen, +uns einem Dampfer eines Pascha's anhängen zu dürfen, zwar nur bis +Monfalut, aber wir gewannen dadurch doch bedeutend an Zeit. Und dann +erreichten wir bald mit günstigem Chamsin-Winde[63] Rhoda, die +südlichste Eisenbahnstation. Abends dort angekommen, gelang es uns noch +am selben Tage, alle unsere Bagage auszuladen und in einem Gepäckwagen +der Eisenbahn zu verpacken. Der Chedive hatte uns bereitwilligst freie +Fahrt bis Kairo bewilligt. Die Nacht, welche wir in zwei Zimmern des +Stationsgebäudes zubrachten, gehörte allerdings nicht zu den +angenehmsten: Schnaken und tausend Insecten plagten uns derart, daß an +Schlaf nicht zu denken war. + +Anderen Tages fühlte man sich fast wie in Europa; die Eisenbahn hat +etwas eigenthümlich Heimisches; da, wo das Dampfroß schnaubt, glaubt man +schon mit einem Fuße wieder in der Heimath zu sein, und in der That, von +Rhoda aus steht man ja mit jedem größeren Orte Europas, ja der ganzen +Welt in ununterbrochener Dampffahrt-Verbindung. Vorsorglich hatte ich +Herrn Friedmann, dem Besitzer des Nil-Hôtel, telegraphirt, uns Wagen an +der Station Giseh bei Kairo bereit zu halten; wir fanden solche auch und +im Trapp ging's dann nach der Chalifenstadt hinein, durch die schöne +neue Allee von Lebeckbäumen, die, wie durch Zauber entstanden, von Kairo +bis zu den Pyramiden führt, über die neue Brücke und dann direct ins +Nilhôtel, den sichersten Hafen für Reisende, welche, wie wir, so lange +den civilisirten Genüssen fern gestanden hatten. + +Und wie sahen wir aus! Als wir das Hôtel betraten, riefen mir zwei +Amerikanerinnen "=shocking, shocking=" entgegen und flohen in den +Gartenpavillon. Vor einem Spiegel sah ich denn auch, daß ich keineswegs +ein gesellschaftsmäßiges Aussehen hatte; Schweiß, Staub und Hitze von +der Eisenbahnfahrt hatten mein Gesicht, das ohnehin verbrannt war, zu +einem Mohrenantlitz gestempelt, in allen möglichen dunkeln Farben +schillernd. Ein Bad brachte jedoch Alles in Ordnung und Abends bei der +=Table d'hôte= fand unsere ganze Reisegesellschaft einen +freundlichen Empfang. + +Ueber meinen Aufenthalt in Kairo habe ich diesmal nicht viel zu sagen. +Natürlich wurden wir vom Chedive wieder in Audienz empfangen, auch war +abermals eine Sitzung des Institut =Égyptien= und Gesellschaften +bei unseren Freunden--uns aber zog es, je näher wir Europa kamen, desto +mächtiger der Heimath entgegen. + +Zittel's und mein ursprünglicher Plan, unsere resp. Frauen nach Cairo +kommen zu lassen, mußte aufgegeben werden. Die Hitze und der Staub waren +nun schon so unerträglich, daß die Damen von einer solchen Reise keine +Annehmlichkeit und keinen Genuß gehabt hätten, aber dafür gaben wir uns +in Neapel Rendezvous. Und nachdem alles Geschäftliche abgewickelt war, +ging es in Alexandria an Bord. Zittel und ich hatten uns für das +französische Boot entschieden, aber es war so übervoll, daß wir keine +Cabine bekommen konnten, sondern uns blos mit einem Platze erster Classe +ohne Bett begnügen mußten. Das war freilich schlimm, denn es standen uns +noch immerhin vier Nächte bevor. Zittel eroberte sich indeß eines der +zwei Sophas und ich begnügte mich mit einem Seitentische oberhalb seines +Lagers. Eine eigenthümliche Gesellschaft war am Bord dieses Dampfers, +ein Abbild des heutigen Franzosenthums. Mit Ausnahme von einigen +Amerikanern und uns bestand die ganze Passagiergesellschaft aus +Schauspielern, Pfaffen und Pfäffinnen--Kirche und Theater. + +Da war ein Kapuzinermönch, da waren Augustiner, Dominikaner und einige +Weltgeistliche, im Ganzen, mit einem protestantischen Reverend, vierzehn +heilige Leute; da waren Schwestern vom heiligen Herzen Jesu und andere +auffallend gekleidete Nonnen; den ganzen Tag hatten sie ein kleines +Brevier in der Hand und den unvermeidlichen Rosenkranz, welchen +Buddhisten, Mohammedaner und Katholiken in brüderlicher Liebe +gleichmäßig als Gebetzähler adoptirt haben. + +Nicht so langweilig wie diese augenverdrehende Gesellschaft war das +lustige Theatervölkchen, ja eines Abends hatten wir sogar den Genuß, von +einer der Damen, mit Begleitung des am Bord befindlichen Pianos, hübsche +Lieder vorgetragen zu hören. Nirgends ist man auf dem Mittelmeere besser +aufgehoben, als an Bord der französischen Messagerie nationale[64]. Die +Officiere wie der Capitain sind meist gebildete, liebenswürdige Leute +und, bei der weltverbreiteten Bedeutung dieser französischen Dampfer, +sind sie frei von jener krankhaften Neigung, in jedem Deutschen einen +Feind zu sehen. Die Cabinen sind vortrefflich und jede nur zu zwei +Betten eingerichtet. Die Küche vorzüglich, ebenso die Getränke. + +Wir hatten die Annehmlichkeit, an einem kleinen Tische allein zu +speisen, nur zwei Yankees, die Erbauer der Pacific-Bahn, ein +ägyptisch-arabischer Kaufmann, ein Jude und der katholische Patriarch +von Jerusalem waren unsere Genossen. Man kann sich denken, daß da die +Unterhaltung eine äußerst mannigfaltige war, wenngleich die +Verschiedenartigkeit der Sprachen bisweilen wohl etwas hindernd +erschien. + +Die Fahrt durch die unvergleichlich schöne Meerenge von Messina, die +Einfahrt in den Busen von Neapel werden für Jeden von uns gewiß +unvergeßlich sei. Da ankerten wir nun im Angesichte der stolzen Königin +des Mittelmeeres, ungeduldig des Zeichens gewärtig, das Schiff verlassen +zu dürfen. Eifrig suchten wir unter den hundert kleinen Booten, die den +Dampfer umkreisten, ob nicht in einem unsere Frauen sein könnten. Aber +vergebens, keine blonde Dame war unter ihnen. Hier war ein Boot mit +hübschen schwarzen Damen, auf Verwandte wartend, dort waren Hôteldiener, +um Fremde zu angeln; hier hatte ein Policinello in schaukelnder Jolle +sein Theater aufgestellt, hier trillerte ein Leierkasten, dort kam ein +Schiff mit Mönchen, ja es drängte sich sogar eine ganze Musikbande +heran; aber so sehr wir auch suchten, unsere Frauen waren nicht +erschienen. + +Endlich erlaubte man uns, an's Land zu gehen. Die italienische Douane +war höflich und nachsichtig, und in schneller Fahrt eilten wir zum +=Hôtel de Russie=, =vis-à -vis= von St. Lucia unmittelbar am +Golf gelegen. Aber eine neue Enttäuschung erwartete uns: "Zwei Damen +logiren hier nicht," sagte uns der Portier.--Aber eine genauere +Nachforschung Zittel's brachte uns die Gewißheit, daß am Abend vorher +unsere Frauen angekommen, doch momentan spazieren gefahren seien. Man +kann sich unsere Ungeduld denken, die indeß eine nicht zu lange Probe +zu bestehen hatte; denn kaum hatten wir Jeder unser Zimmer bezogen, als +mächtig große Camelien-Bouquets hineingeworfen wurden und gleich mit +ihnen die Frauen hereinstürmten. Ein Wiedersehen nach fünfmonatlicher +Trennung kann Jeder, der verheirathet ist, sich ausmalen, zumal wenn so +weite Räume, so beschwerlich zu durchziehende Gegenden von der Heimath +einen entfernten. + +Ich verweile nicht bei Neapel, wo an einigen angenehm verlebten Tagen +die Reize dieser bevorzugten Stadt uns den freundlichsten Empfang auf +europäischem Boden bereiteten. Die Chiaja, das neue zoologische Institut +unter der Direction des Deutschen Dorn[65], eines hervorragenden +Gelehrten, Sorrent, Capri und Abends unter den Fischerhallen von St. +Lucia bilden unverwischliche Glanzpunkte Neapels. In Pompeji war ich mit +Baron v. Keudell, einer alten Bekanntschaft von mir, zusammengetroffen; +Se. Excellenz lud mich freundlich ein, ihn in Rom zu besuchen. Der +Einladung folgend, traf es sich aber so unglücklich, daß wir an dem +Abende, wo meine Frau und ich den Vorzug haben sollten, bei ihm +zuzubringen, nicht zu Hause waren, da wir die Einladung zu spät erhalten +hatten; am anderen Morgen vor der Abreise hatte ich indeß Gelegenheit, +die prachtvolle Wohnung der deutschen Gesandtschaft auf dem Capitol zu +bewundern. Herr v. Keudell zeigte mir selbst die Räumlichkeiten, den +Garten und die köstliche Aussicht. + +"_Nach Deutschland_" drängte es immer lebhafter in mir, und nur in +Mailand, der Stadt des Marmor-Doms, hatten wir dann noch einen +eintägigen Aufenthalt. Im Hôtel Reichmann fanden wir eine ganz +freundliche Aufnahme, und wenn dies Hotel eine kleine Weile seinen +Nimbus einbüßen konnte, so ist derselbe seit Kurzem wieder hergestellt. +Herr Reichmann =jun.= verwaltet jetzt auf's Ausgezeichnetste dies +von den Deutschen am liebsten besuchte Hôtel. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 60: =Jollois description p. 14=.] + +[Footnote 61: Präsident des Gemeinderathes.] + +[Footnote 62: Verwalter.] + +[Footnote 63: Chamsin heißt fünfzig, die Eingeborenen nennen diesen Wind +so, weil er 50 Tage lang wehen soll aus SSO.] + +[Footnote 64: =Messagerie nationale= hat, wenn Frankreich +Kaiserreich oder Königreich ist, den Titel =m. impériale= oder +=m. royale=.] + +[Footnote 65: Kein Deutscher, der Neapel besucht, sollte versäumen, das +Gebäude des zoologischen Instituts, an der Chiaja gelegen, zu besuchen. +Dort bekommt man den besten Begriff eines reichen Aquariums, wie ein +solches weder in Brighton, noch Hamburg oder Berlin vorhanden ist.] + + + + +12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnographische Schilderung. + + +_Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Begräbniß._ + +Wie geschäftig die Frauen seit dem Morgen schon die Esel +zusammentreiben! Unter Lachen und Schreien haben die Knaben und +Jünglinge dabei geholfen, die Langohren vor einem großen Zelte (es +gehört dem Kaid Abu Ssalam) zusammenzuhalten. + +Heute wird eine große Festlichkeit vor sich gehen; man erwartet +stündlich die Entbindung der zweiten Frau des Kaids, der Lella Mariam, +einer jungen, reizenden Frau von vornehmstem Zelte. Kaid Abu Ssalam, der +selbst nicht aus dem Geschlechte Mohammed's ist, sonst aber auch aus +einem großen Zelte[66] stammt, hat durch seinen Reichthum es möglich +gemacht, eine Scherifa zur Frau zu bekommen, d.h. eine Dame vom Stamme +des Propheten. Um so mehr ist das zu bewundern, als Abu Ssalam schon +eine Frau besitzt und Lella Mariam nicht nur jung und schön, ihr Alter +betrug 15 Jahre, sondern auch reich ist. Aber welch' stattlicher Mann +ist auch Kaid Abu Ssalam und wie geachtet und unabhängig im ganzen +Lande! Selbst der Sultan liebt ihn. + +Vom Stamme der Beni-Amer hatte er vor etwa 30 Jahren, als die +Ungläubigen das Gebiet von Tlemßen besetzten, die dortige Gegend +verlassen und nach einer dreijährigen Wanderung, immer nach Westen +ziehend und oft genug mit der langen Flinte sich einen Weg bahnend, hat +er den eigentlichen Westen erreicht, den Rharb el djoani, das gelobte +Land der Gläubigen. Der Sultan ertheilte gern die Erlaubnis zum Bleiben, +und nachdem die üblichen Abgaben geregelt waren, erhielt Abu Ssalam, es +war das schon zu Lebzeiten des Sultans Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam, +die Erlaubniß, seinen Stamm an die Ufer des Ued Ssebu zu führen. + +Abu Ssalam herrschte über drei Duar (Zeltdörfer), von denen das größere +sich aus circa 30 Zelten zusammensetzte und dem er selbst vorstand; die +beiden kleineren, aus je 20 und 24 Zelten aufgeschlagen, waren von +seinen jüngeren Brüdern beherrscht. Bei dem Jüngsten lebte außerdem noch +ihr gemeinschaftlicher Vater, der Hadj Omar-ben-Edris, der aber schon +lange die Kaidschaft an seinen ältesten Sohn abgetreten hatte. + +Die drei Duar, so ziemlich in einer Linie gelegen, machten Front nach +Westen und lehnten sich an einen Bergrücken; hier bestand derselbe aus +herrlichen Wiesen, während nach dem Gipfel zu immergrüne Bäume, aus +Korkeichen, Lentisken und Juniperen bestehend, den Berg bedeckten. Etwa +eine Viertelstunde unterhalb der drei Zeltdörfer schlängelte sich der +Ued Ssebu vorbei und ganz in der Ferne erglänzte der blaue Ocean. Der +Raum zwischen den Dörfern und dem Flusse war durchweg beackert, aber +unmittelbar neben den Zeltdörfern befanden sich auch kleine +Gemüsegärtchen, eingezäunt von großen Dorngebüschen des stacheligen +Lotusstrauches, das, obschon todt, dennoch hinlänglichen Schutz gewährte +gegen weidende Thiere. + +Von dem großen Zelte Abu Ssalam's also zogen sie ab, eine ganze Karawane +lachender Frauen und Mädchen, einige zwanzig Esel mit leeren ledernen +Schläuchen beladen vor sich hertreibend. Wohl manche mochte hoffen, +heute bei der Festlichkeit das Herz eines Jünglings zu fesseln; die +jungen Mädchen erzählten sich, wie viele Armbänder sie anlegen würden. +Da sagte eine Andere, sie würde ihr Haar frisch machen lassen[67], und +unter Jubeln und Lachen war der Ssebu erreicht. + +Das Füllen der Schläuche aus einem mächtigen Strome ist leichte Arbeit. +Die jungen Mädchen gingen bis an die Knie in den Strom, ließen das +Wasser hineinlaufen und nachdem sodann noch Einige die Zeit benutzten, +ein Bad zu nehmen, wurden die Schläuche, je zwei, einem Esel aufgeladen +und zurück ging es zum Duar. + +Unter der Zeit war die Geburt vor sich gegangen und Abu Ssalam's größter +Wunsch war erfüllt, seine junge Frau hatte ihm einen kräftigen Knaben +geschenkt. Zu Ehren seines Vaters erhielt derselbe noch _am selben Tage_ +den Namen Omar. Es ist Sitte, daß das Namengeben noch am Tage der Geburt +geschieht. Wie war nun die Geburt vor sich gegangen? Wir können nur nach +Hörensagen berichten, denn nie, und wenn auch die Frau dadurch vom Tode +hätte gerettet werden können, darf ein Mann, ein Arzt oder Geburtshelfer +bei einem solchen Acte zugegen sein. + +Es scheint, daß bei Lella Mariam die Geburt leicht von Statten ging; +Abends vorher waren Hülfsweiber gekommen, und als am anderen Morgen die +Frauen vom Wasserholen zurückkamen, ertönte durch die Duar der Ruf: +"=El Hamd ul Lahi mabruck uldo=", "Gott sei gelobt, der Sohn sei +ihm zum Segen". Und vor dem Zelte, aus einem Arbater Teppiche, saß Abu +Ssalam und empfing die Glückwünsche der männlichen Bevölkerung der drei +Zeltdörfer. Auch manche alte Frau, ja manches junge Mädchen kam herbei, +beugte rasch ein Knie und küßte Abu Ssalam's Hand den Gruß flüsternd: +"=Rbi ithol amru=", Gott verlängere seine Existenz. Und er konnte +recht stolz sein, unser Abu Ssalam; sein heißer Wunsch, einen +Nachfolger, einen Sohn zu haben, war erfüllt. Zwar sein Stamm konnte so +leicht nicht aussterben; den Stammbaum direct bis zum Chalifen Omar +zurückführend, waren die Beni-Amer jetzt einer der mächtigsten Stämme +unter den Arabern, ihre Duar zogen sich durch ganz Nordafrika. Seine +eignen Leute näherer Verwandtschaft, die er nach dem Rharb (Marokko) +geführt hatte, zählten über 100 Leute männlichen Geschlechts. Genau +hatte Abu Ssalam sie nie gezählt, denn ein rechter Gläubiger zählt die +Seinigen nicht. Aber er selbst hatte von seiner zuerst angeheirateten +Frau Minana nur zwei Töchter, und Minana mit ihren 21 Jahren schien ihm +wenig Hoffnung zu machen, ihm noch einen Sohn zu geben. Daher hatte er +denn auch vor etwa neun Monaten die liebliche Lella Mariam geheirathet. + +Jede Vorkehrung war aber auch diesmal getroffen worden, damit Abu Ssalam +einen Sohn bekäme. Er selbst war nicht nur vor mehreren Monaten nach +Uesan gepilgert, um die Intervention Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's +anzurufen, er hatte sogar das feste Versprechen Sidi's[68] erlangt, daß +der Allerhöchste ihm einen Sohn schenken würde, und der Großscherif +hatte freundlich dafür ein Pferd als Geschenk anzunehmen geruht; ja, um +ganz sicher zu gehen, war er nach Fes zum Grabmal Mulei Edris gepilgert +und hatte den Tholba (Schriftgelehrten) der Djemma (Gotteshaus) des +Mulei Edris fünfzig Duros geopfert; mußte da Allah ihm nicht einen Sohn +schenken? + +"Gott segne den Großscherif!" rief Abu Ssalam, "Gott gewähre Mulei Edris +alle Freuden des Paradieses," fügte er hinzu, "denn sie waren es, die +mir den Knaben schenkten." Und da kam auch schon Lella Mariam aus dem +kleinen Zelte, welches neben dem Zelte ihres Mannes war, nicht in +Festgewändern, aber doch in einen neuen Haik gehüllt. Sie hatte vor sich +das Knäblein und niederknieend legte sie den neuen Familienstammhalter +vor ihren Gatten hin. Sie selbst in aufgelöstem Haare[69], da sie genau +nach den Vorschriften des Gesandten Gottes lebte, hielt sich knieend +abseits, da ihr Mann sie doch nicht, weil sie unrein war, berühren +durfte. Nachdem die junge Mutter und das Knäblein den Segen vom Manne +und Vater erhalten und der daneben sitzende Fakih (Doctor der Theologie) +der Zeltdörfer das Fötah (erstes Capitel des Koran) gebetet hatte, ging +sie ins Zelt zurück; schon am anderen Morgen machte sich die junge Frau +an ihre gewöhnlichen Beschäftigungen, denn ein Wochenbett abhalten, wie +bei uns die Frauen in Europa es zu thun gewohnt sind, kennt man in +Marokko nicht. + +Am selben Abend aber war großes Festessen vor dem Zelte Abu Ssalam's. Er +hatte viele Hammel und Ziegen schlachten lassen zu Ehren des Tages und +die Frauen des Duars hatten den ganzen Tag Kuskussu bereiten müssen, der +in größeren hölzernen Schüsseln für die Gäste hingesetzt wurde. + +Was mich anbetrifft, so wollte ich gern Näheres über den Geburtsact +erfahren. Auf mein Befragen erzählte man mir, es sei Sitte, wenn eine +Frau in Nöthen sei, so lasse man zuerst einen Fakih kommen, der durch +Weihrauch und fromme Sprüche den Teufel zu bannen versuche, denn der +Teufel ist auch in Marokko die Ursache allen Uebels. Hilft das nicht, so +bekommt die Frau Koransprüche, die auf eine hölzerne Tafel geschrieben +werden, zu trinken, indem die Sprüche von der Tafel abgewaschen werden; +hilft auch das Verfahren noch nicht, so werden Koransprüche auf Papier +geschrieben, zerstampft und mit Wasser gemischt der Leidenden +eingegeben. Aber manchmal hat der Satan das Weib derart in Besitz +genommen, daß er selbst durch das heilige Buch nicht ausgetrieben wird. +Dann werden allerlei Amulete angewandt, z.B. die in ein Ledersäckchen +eingenähten Haare eines großen Heiligen, die man der Kreißenden auf die +Brust legt, oder Wasser vom Brunnen Semsem, welches man ihr zu trinken +giebt, oder Staub aus dem Tempel von Mekka[70], welchen man auf ihr +Ruhebett legt. In einigen Fällen läßt sodann der Teufel seine Beute los +und der Vorgang erfolgt für die Mutter auf glückliche Weise. Es kommen +jedoch genug Fälle vor, wo der Iblis (Teufel) derart sich des Weibes +bemächtigt, daß er keinem Mittel weichen will; die Hülfsweiber nehmen +dann selbst den Kampf mit ihm auf. Unter Beschwörungen und fortwährend +rufend: =Rham-ek-Lab=! (Gott erbarme sich Deiner!) wird die Frau +ergriffen, ein starkes Band um den Rücken und unter die Achsel +durchgeschlungen und so in die Luft gezogen. Dadurch wollen sie die +Wehen beschleunigen, und zeigt sich möglicherweise ein Theil des Kindes, +entweder der Kopf oder die Füße, so versuchen sie, diese Theile zu +ergreifen und durch starkes Reißen und Ziehen das Kind zu Tage zu +befördern. Nur selten gelingt das, meist wird das Kind zerrissen und +fast immer ist der Tod der Mutter Folge dieses barbarischen Verfahrens: +Gott verfluche den Teufel! + +Der kleine Omar wuchs kräftig heran; wie sollte er auch nicht! Zwei +Jahre hatte ihn seine Mutter Lella Mariam selbst gesäugt und nur wenig +war er während dieser Zeit Tags vom Rücken seiner Mutter gekommen und +Nachts aus dem Schooße derselben. Denn die Frauen pflegen ihre Kinder so +aufzuziehen, daß sie mit Ausnahme der Augenblicke, wo dem Kleinen die +Brust gereicht wird, Tags über in einer Falte des Haiks (großes +Umschlagetuch) auf dem Rücken der Mutter in _reitender_ Stellung sich +befinden. Es hat das zur Folge, daß die meisten Marokkaner sowohl +männlichen wie weiblichen Geschlechtes Säbelbeine haben. Nachts aber +ruht das Kindchen vor seiner Mutter, die während der zwei Jahre +beständig allein lebt, obschon es ihrem Manne nach Ablauf von drei +Perioden gestattet ist, sie wieder zu besuchen und mit ihr Umgang zu +pflegen. Nachdem die zwei Jahre vorbei waren und Omar statt der süßen +Muttermilch jetzt saure Buttermilch und Abends Kuskussu zu essen bekam, +wurde ihm auch zum ersten Male das Kopfhaar geschoren; aber sein Vater +Abu Ssalam gab wohl Acht, daß am Scheitel des Kopfes eine Locke, Gotaya, +sowie an der rechten Seite des Kopfes außerdem ein Streifen von Haaren +in der Form eines Halbmondes stehen blieb, denn die Kinder der Beni-Amer +hatten seit undenklichen Zeiten einen solchen Schmuck getragen. Am +selben Tage gab er seinem Zelte[71] einen Hammel zum Besten, sonstige +Festlichkeiten fanden nicht statt. + +Dafür wurde aber die Beschneidung Omar's in seinem achten Jahre desto +festlicher begangen. Omar war jetzt ein kräftiger Bursche geworden; +fortwährend in der freien Natur hatte er tagelang die Schafe und Ziegen +seines Vaters mit hüten helfen und gewöhnlich auch das Pferd mit zur +Schwemme reiten müssen; er verstand es schon, die eignen Kamele oder die +der etwa ankommenden Fremden mit niederknien zu machen und der +Thaleb[72] der Zeltdörfer hatte ihn das erste Capitel des Koran gelehrt. + +Der feierliche Augenblick war gekommen, wodurch der kleine Omar jetzt in +die Gemeinschaft der Muselmanen aufgenommen werden sollte. Um den Glanz +des Festes noch mehr zu erhöhen, hatte Abu Ssalam es übernommen, +sämmtliche gleichalterige Knaben der drei Zeltdörfer der Beni-Amer, und +es waren deren noch sieben, auf seine Kosten beschneiden zu lassen. Ja, +ohne den Neid und die Mißgunst seines eignen Fakih's (Doctor der +Theologie) und der Tholba[73] der Duars zu erregen, weil sie auch ihre +Gebühren bekamen, hatte er einen in hohem Ansehen stehenden +Schriftgelehrten aus Fes kommen lassen. Die Gebühr für die Beschneidung, +3 Metkal, erlegte er im Voraus. Wie reich aber mußte Abu Ssalam sein, +daß er so große Summen zahlen konnte, denn zahlte er doch, wie schon +gesagt, seinen eignen Schriftgelehrten die nämliche Summe. Und wenn man +bedenkt, daß man in Marokko für die Beschneidung sonst nichts zu +bezahlen braucht, der bemittelte Mann höchstens eine Maß Korn oder ein +Huhn oder einige Eier dem Schriftgelehrten für seine Bemühung giebt, so +kann man ermessen, wie freudig die Eltern ihre Söhne herbeibrachten. Das +Glück, vom heiligen Sidi Mussa aus Fes beschnitten zu werden, war zu +groß. Abu Ssalam aber hatte es von jeher als eine Regel der Klugheit +betrachtet, mit den heiligen Leuten, mit der Geistlichkeit, auf gutem +Fuße zu leben und er hatte längst eingesehen, daß man mit der +Geistlichkeit nur dann auf gutem Fuße lebt, _wenn man sie tüchtig +zahlt_. Aber dafür war er auch des Paradieses sicher; der Segen, den sie +ihm ertheilten, war _länger_ als der für die übrigen Gläubigen, und +durch die vielen Wohlthaten, die er den Fakih's und Tholba erwiesen +hatte und noch immer erwies, war Abu Ssalam selbst in den Ruf großer +Frömmigkeit gekommen. + +Die acht Knaben wurden vor das Djemmazelt[74] in einer Reihe +aufgestellt, und nachdem vom Fakih Sidi Mussa ein langes Gebet war +gesprochen worden, ging er auf Omar zu, der von seinem Vater gehalten +und ermahnt wurde, standhaft zu sein, ergriff sodann das Präputium und +trennte es mit einem raschen Schnitte von der übrigen Haut; das noch +übrig gebliebene Frenulum wurde mit einem zweiten Schnitte getrennt und +sodann kam ein anderer Thaleb und streuete pulverisirten Schöb (Alaun) +auf die blutenden Ränder. Standhaft hatte der Knabe Omar ausgehalten, +seine Zähne zusammenbeißend murmelte er fortwährend: "Gott ist der +größte, es giebt nur einen Gott." Sein Vater trug ihn, Omar war fast +ohnmächtig geworden, nun gleich ins väterliche Haus zurück, während ein +Sclave ein ganz neues Hemd und eine neue weißwollene Djilaba[75] vor ihm +hertrug, Festgeschenke seines Vaters, welche aber erst angelegt werden +durften, wenn der Kranke vollkommen genesen war. Die Beschneidung der +übrigen Knaben erfolgte auf dieselbe Weise, nur daß einige von ihnen ein +entsetzliches Geschrei ausstießen, und merkwürdiger Weise war einer +unter ihnen ohne Präputium, oder doch nur mit einer Andeutung davon. +Natürlich wurde er gleich für heilig erklärt, denn wie selten trifft es +sich, daß ein Mensch beschnitten zur Welt kommt. Die Geschichte (d.h. +nach der Auffassung der Marokkaner) nennt nur Mulei Edris, Sidna +Mohammed, Sidna Brahim, Sidna Daud und Sidna Mussa als von Gott +beschnittene Leute, d.h. ohne Präputium zur Welt gekommen. Der so +ausgezeichnete Knabe, Namens Hamd-Allahi, hat denn auch später eine +wichtige Rolle gespielt; er war von Gott beschnitten, er war ein +Heiliger vor Gott und wer weiß, ob er nicht einst berufen ist, alle +Menschen zum Islam zurückzuführen, damit alle Menschen des Paradieses +teilhaftig werden, das Gott ihnen durch seinen Liebling Mohammed +verheißen hat. + +Aber wie segensreich sollte überhaupt diese Beschneidung für die acht +Knaben werden, wie überhaupt für den ganzen Stamm der Beni-Amer! Die +Beschneidung nämlich war vollzogen worden mit einem Mus min Hedjr[76] +(Steinmesser). Seit undenklichen Zeiten vererbte sich ein Steinmesser +vom Vater auf den Sohn in diesem Stamme der Beni-Amer, und einer +schriftlichen Tradition zu Folge soll die Beschneiduug Sidni Omar's, des +Stammvaters der Beni-Amer und zweiten Chalifen, mit diesem selben Messer +vorgenommen worden sein. Wie ein Heiligthum wurde dasselbe in der +Familie bewahrt, und selbst als es bei der Eroberung der Provinz Tlemsen +durch die Ungläubigen, bei der Plünderung des Duars durch die +Christenhunde, verloren gegangen war, kam es durch ein Wunder wieder in +den Besitz des Kaids Abu Ssalam. Der Chalif Sidni Omar hatte es ihm +selbst eines Nachts zurückgebracht, er fand es unter seinem Kopfkissen. +Alle umliegenden Stämme beneideten die Beni-Amer um einen so köstlichen +Schatz. Die meisten Marokkaner lassen sich mit gewöhnlichen Rasirmessern +beschneiden, d.h. diese haben den Namen Rasirmesser, sind aber weiter +nichts, als die elendesten Klingen dieser Art. + +Omar verbrachte nun die nächsten Jahre damit, den Koran zu lernen, d.h. +schriftlich und auswendig; denn heute gilt es in Marokko für einen Mann, +der einst Kaid seines Stammes sein will, für unerläßlich, _selbst_ lesen +und schreiben zu können. Nicht, als ob er jemals diese Wissenschaften +praktisch verwerthen würde, aber es gehört zum guten Ton, und wie auch +in Marokko in dieser Beziehung die Mode anfängt, unerbittlich zu sein, +so mußte sich Omar den langweiligen Unterrichtsstunden im Koranlesen und +Buchstabenmalen unterwerfen. Sein Vater war glücklicher gewesen; zu +seiner Zeit erheischte man noch nicht von den jungen Leuten, Lesen und +Schreiben zu lernen. Omar machte dann in Gemeinsamkeit mit seinem Vater +mehrere Reisen in Marokko, denn Kaid Abu Ssalam hatte den Entschluß +gefaßt, die Pilgerfahrt nach Mekka erst dann zu machen, wenn sein Sohn +eine Frau habe: dann solle die ganze Familie das Haus Gottes besuchen. +Aber er lernte doch Fes kennen, er sah in Mikenes den Sultan, er +unternahm eine Siara (Pilgerreise) nach der heiligen Stadt Uesan, er kam +nach Tanger, um dort die Feuerschiffe der ungläubigen Hunde zu +bewundern, und hatte das achtzehnte Jahr erreicht, um daran denken zu +können, eine Frau zu nehmen. + +Bei den freien Zeltbewohnern Marokko's ist es keineswegs Sitte, daß die +Frauen sich verschleiern, wie in den Städten; Jünglinge und Jungfrauen +haben daher auch Gelegenheit, sich zu sehen, kennen zu lernen und zu +lieben. Auf dem Lande werden daher auch häufig genug Heirathen aus +wahrer Neigung geschlossen. Omar hatte seit längerer Zeit Gelegenheit +gehabt, die Reize und Vorzüge eines jungen Mädchens kennen zu lernen, +welches nur einige Stunden von seinem Duar entfernt lebte. Es war das +Aischa bent Abu Thaleb vom Stamme der Uled Hassan. Die beiden Väter +waren seit Langem durch Freundschaft verbunden; der Duar der Uled Hassan +lag auf dem Wege vom Ssebu nach Fes. Wenn nun Abu Ssalam nach der +Hauptstadt reiste, was häufig genug vorkam, so nächtigte er nicht im +allgemeinen Dar diaf (Fremdenzelt) der Uled Hassan, sondern ging zum +Zeltendes Abu Thaleb selbst, und umgekehrt machte es dieser so, wenn +sein Weg ihn in die Nähe des Ued Ssebu führte. + +Omar war dann mehrere Male in Begleitung seines Vaters gewesen und seit +vier Jahren war ihm die wunderbare Schönheit Aischa's aufgefallen; +Aischa selbst mochte, als er sie zum ersten Male sah, 10 Jahre alt sein, +jetzt hatte sie 14. Kein Mädchen hatte seiner Meinung nach so feurige +Gazellenaugen, keine hatte einen kleineren Granatmund und längeres +schwarzes Haar, keine hatte so volle Formen und kleinere Hände und Füße. + +In seinen Augen verstand kein anderes Mädchen so gut die Ziegen zu +melken wie Aischa, oder mit gleich lieblicher Anmuth einen Teller Brod +anzubieten oder eine Schale mit Milch zu credenzen. Aber was war Alles +dies gegen den Zauber ihrer Stimme? Zwar hatte Omar selbst nur einmal +mit ihr gesprochen, als er ermüdet das Zelt ihres Vaters erreichte und +um einen Trunk Wasser bat. Da schoß Aischa wie ein Reh davon, und aus +dem Schlauche eine Tasse füllend, überreichte sie dieselbe mit den +Worten: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes). Das war Alles, was +Aischa direct zu ihm gesprochen hatte. Aber von dem Augenblicke sagte +Omar zu sich: "Du kannst nur Aischa zum Weibe nehmen und keine andere." +Er glaubte nun auch zu wissen, daß Aischa gern seine Frau werden würde, +er schien bei ihr eine gewisse Sympathie für sich bemerkt zu haben, und +ohne daß man mit Worten seine Gedanken auszutauschen braucht, merken +die jungen Leute in Marokko ebenso leicht wie bei uns, was Liebe ist. + +Omar war im Frühling, nur von Gefährten und Sclaven begleitet, von Fes +zurückgekommen, er hatte wieder bei Abu Thaleb die Nacht zugebracht, er +hatte die großen Augen Aischa's wiedergesehen, er hatte sie plaudern +hören mit ihren Gespielinnen und von dem Augenblicke war sein Entschluß +gefaßt. Als er am anderen Abend den eignen elterlichen Duar erreichte, +rief er seine Mutter bei Seite; er gestand ihr seine Liebe zu Aischa und +bat sie, mit dem Vater deshalb zu sprechen. + +Obschon seine Mutter, Lella Mariam, eigentlich ein anderes junges +Mädchen für ihren Sohn im Auge hatte, er sollte eine weitläufige +Verwandte, die ebenfalls Scherifa (aus dem Stamme des Propheten) war, +heirathen, so lag ihr das Glück ihres einzigen Sohnes doch viel zu sehr +am Herzen, als daß sie hätte Schwierigkeiten erheben wollen. Zudem wußte +sie wohl, daß, obwohl sie großen Einfluß auf ihren Mann hatte, die +Entscheidung einer so wichtigen Angelegenheit von ihm abhing. Sie +beeilte sich daher, ihrem Manne Mittheilung davon zu machen, und +wunderte sich, daß derselbe ihres Sohnes Liebe ziemlich gleichgültig, +fast kalt aufnahm. + +Kaid Abu Ssalam war ein praktischer Mann, auch er hatte längst eine +Schwiegertochter im Auge; das war aber keineswegs Aischa, die Tochter +seines armen Freundes, sondern Sasia, die Tochter eines reichen Kaids +der Uled Sidi Schich, deren Zelte in der Nähe von Udjda standen. Seit +Jahren hatten die Väter dieses Project genährt. Die Uled Sidi Schich +waren ebenfalls aus der Provinz Tlemsen vertrieben, aber sie waren nur +über die Grenze gegangen. Safia mußte um diese Zeit etwa 13 Jahre alt +sein und noch vor Kurzem hatte ihr Vater an Abu Ssalam geschrieben, nach +Udjda zu kommen und seinen Sohn mitzubringen und dieser hatte es +versprochen.--Jetzt sollte aus dieser Heirath, die Abu Ssalam fast schon +als abgemacht fand, nichts werden, er sollte sein Wort brechen.--Aber +Omar, der einzige Sohn, kam selbst, er beschwor den Vater, ihm Aischa zu +verschaffen, er würde sterben, wenn Aischa nicht sein Weib würde, und +dann flehte die Mutter, Lella Mariam, zu Gunsten des Sohnes; wie konnte +da der Vater, der Gatte widerstehen? + +Vor allen Dingen schickte er daher Leute ab an den Kaid der Uled Sidi +Schichs, um ihm anzuzeigen, er könne und wolle sein Versprechen nicht +halten, sein Sohn Omar habe sich eine andere Frau genommen. Sodann ging +man gleich an die Brautwerbung, um jetzt die Hochzeit so rasch wie +möglich zum Abschluß zu bringen. + +Unter dem Vorwande, nach Fes reisen zu wollen, brach Abu Ssalam, von +seiner Frau Mariam begleitet, auf und erreichte Nachmittags den Duar der +Uled Hassen, um bei seinem Freunde Abu Thaleb abzusteigen. Die +Begleitung der Lella Mariam erregte natürlich das größte Aufsehen und im +ganzen Zeltdorfe flüsterten die Frauen und jungen Mädchen über dieses +Ereigniß und prophezeiheten eine baldige Hochzeit. Abu Thaleb, der, wie +schon gesagt, nicht begütert war, besaß nur ein Zelt, aber durch eine +Scheidewand von wollenen Stoffen war eine Abtheilung für seine Frau +hergestellt und in diese begab sich sogleich Lella Mariam zur Mutter +Aischa's. + +Sie fing damit an, von gleichgültigen Sachen zu sprechen und kam dann +allmälig auf die Vorzüge ihres Sohnes; sie pries dessen Kraft und +Schönheit, sie deutete an, daß er dereinst Kaid seiner Stämme werden +würde, sie betonte, daß er von väterlicher Seite das Blut des Chalifen +Omar, von mütterlicher das des Propheten habe und meinte schließlich, +daß jedes Mädchen glücklich sein müsse, das er sich als Frau auserwählen +würde. Sodann fügte sie noch hinzu, daß Aischa ein hübsches und +tugendhaftes Mädchen sei, die wohl für Omar passen möchte. Aischa, wohl +ahnend was kommen würde, war gleich im Anfange dem Zelte entschlüpft und +hatte sich draußen etwas zu thun gemacht. Die Mutter Aischa's hingegen +hatte nicht genug Lob für ihre Tochter, keine sei so schlau wie sie, +keine verstehe so dauerhafte Haiks (Umschlagetücher) zu weben wie sie, +keine verstehe die Kügelchen zum Kuskussu so fein zu reiben wie sie und +ihre Keuschheit und Sittsamkeit sei über alles Lob erhaben; aber +schließlich meinte auch sie, daß Aischa wohl für Omar passen würde. + +Als nach dem Abendessen, welches die beiden Männer gemeinsam eingenommen +hatten, ein jeder sich mit seiner Frau allein befand,--Aischa selbst war +für die Nacht zu einer Freundin gegangen,--erfuhren sie von ihren Frauen +den Gedankenaustausch und Abu Ssalam beschloß nun, am anderen Morgen von +Aischa's Vater ihre Hand für seinen Sohn zu verlangen. Ob Aischa +einwilligen würde, daran dachte er wenig, zumal er nach seines Sohnes +Worten vermuthen durfte, daß eine gegenseitige Neigung vorhanden sei. + +Da Kaid Abu Ssalam entschlossen, seinem Sohne (er hatte ja nur den +einzigen) schon bei Lebzeiten einen Theil seiner Heerden abzutreten, so +war er bald mit Aischa's Vater, dem Abu Thaleb, einig, er bezahlte ihm +200 Duoros, also einen bedeutend höheren Preis[77], als sonst üblich +ist. Es wurde außerdem festgesetzt, daß Aischa drei neue silberne +Spangen (um das Gewand festzustecken), zwei silberne Armbänder, zwei +silberne Fußringe, im Ganzen im Gewichte von fünf Pfund Silber, bekäme, +daß sie zwei Sack Korn, eine neue große kupferne Gidra[78], einen +Teppich von Arbat, im Werthe von 20 Duoros, ein neues Hemd, einen neuen +Haik, ein neues seidenes Kopftuch und eine neue seidene Schürze als +Aussteuer bekäme, daß endlich das Maulthier, auf dem sie hergeleitet +würde, Eigenthum ihres Mannes bliebe. Es war also genau so viel der +Braut an Gegenständen mitzugeben, als der Schwiegervater dem Abu Thaleb +an Geld gezahlt hatte; einer alten Sitte gemäß hatte überdies Aischa +noch für ihren Zukünftigen das Hemd selbst zu nähen, welches er am +Hochzeitstage zu tragen hatte, auch eine rothe Mütze mußte sie ihm +mitbringen, wofür der Bräutigam am Festtage der Braut einen silbernen +Ring und eine Halsschnur von Bernstein überreichte. + +Nachdem die beiden Väter dieses unter sich abgemacht hatten, begaben +sie sich zum Kadhi der Uled Hassan, wo alle diese Bestimmungen zu Papier +gebracht und von Beiden unterzeichnet wurden; auch wurde der Tag der +Heimführung der Braut, der Hochzeitstag, bestimmt und Alles dies durch +ein gemeinsames Fötah (Segen, d.h. das erste Capitel des Koran wird +gesprochen) besiegelt. + +Abu Ssalam mit seiner Ehehälfte zog sodann eiligst nach Hause, denn da +die Hochzeit schon nach acht Tagen stattfinden sollte, mußten jetzt +rasch die Vorbereitungen zur Festlichkeit gemacht werden. Es mußten die +Einladungen ergehen an nahe wohnende Freunde, Geschenke für die +Geistlichkeit mußten gemacht werden, damit diese den Segen Gottes auf +das neue Ehepaar herabflehe, Lämmer und Ziegen mußten ausgesucht werden +zum Schlachten, und Tag für Tag waren die Frauen der drei Duar +beschäftigt, Kuskussukügelchen[79] zu rollen, denn Hunderte von Personen +waren am Hochzeitstage zu bewirthen. + +So nahete der Tag. Einige Tage vorher saß Aischa schon mit umwickelten +Händen und Füßen; denn während sonst die+ Frauen es für genügend halten, +während einer Nacht, um eine rothe Färbung hervorzubringen, ihre +Gliedmaßen in zerstampftes Hennahkraut einzuwickeln, hatte Aischa's +Mutter, um eine recht rothe Farbe hervorzurufen, es für nothwendig +gehalten, dies während mehrerer Tage hindurch zu thun. Ihre Augenlider +wurden mit Kohöl geschwärzt, ebenso die Brauen, und auf ihre Stirn +hatte ihre Mutter ihr ein reizendes Blümchen gezeichnet, während auf die +Außenfläche der rothen Hand verschiedene schwarze Zickzacklinien gemalt +wurden. Ihre Freundinnen und Gespielinnen waren alsdann behülflich, sie +anzukleiden, nachdem Aischa im nahen Flusse ein Bad mit ihnen genommen +hatte. Aber weniger prunkvoll, wie dies die Städterinnen zu thun +pflegen, war das bald geschehen: ein seidenes Tuch um den Kopf +geschlungen, nur mit Mühe das lange hervorquellende Haar zurückhaltend, +welches sorgfältig gekämmt, geölt und geflochten war, ein neues Hemd, +ein neuer weißer Haik, der über den Kopf und um den ganzen Leib +geschlungen wurde, eine seidene Schürze von Fes, das war nebst rothen +Pantöffelchen an den Füßen der ganze Anzug; denn Hosen, Westen, Kaftane +und dergleichen Kleider, wie sie die Städterinnen in Fes, Mikenes oder +einer anderen Stadt tragen, kennen die Töchter eines Zeltes nicht. +Sodann wurde Aischa mit Rosenwasser übersprengt, mit Bochor und Djaui +(Sandelholz und Weihrauch) durchräuchert und in die Kubba auf's +Maulthier gesetzt. + +Unter Thränen hatte sie Abschied von ihrer Mutter und von ihren +Freundinnen genommen, denn die Sitte erheischte, daß diese daheim +blieben; nur die männliche Bevölkerung der Uled Hassan und zu beiden +Seiten des Maulthieres zwei ehrwürdige Greise, ihr Vater und ihr Oheim +väterlicher Seits, begleiteten sie. Früh aufgebrochen, waren sie schon +Mittags Angesichts der drei Duar der Beni-Amer, und sobald der Zug +sichtbar war, kamen sämmtliche Leute der Beni-Amer und viele Fremde der +Umgegend, die Pferde hatten, auf sie losgesprengt und bewillkommneten +die Braut durch Flintenschüsse. Der Bräutigam war aber nicht dabei. + +Im Duar des Bräutigams selbst angekommen, wurde sie sogleich nach dem +Zelte ihrer Schwiegermutter geführt, und jetzt, unter lauter ihr fremden +Frauen, zeigte sie sich zum ersten Male ihren neuen weiblichen +Verwandten; denn wenn die Frauen des Zeltes auch nicht verschleiert +sind, so war Aischa doch in der Kubba, d.h. in einer Art Käfig, der auf +dem Maulthiere ruhte, hergekommen und war somit allen Blicken entzogen. +Die Frauen verbringen jetzt die Zeit mit Essen und Trinken. Unterdeß +haben sich aber auch die Männer versammelt, sie ziehen vor das Zelt des +Bräutigams, der, in neue Gewänder gehüllt, heraustritt. Sein Kopf ist +vollkommen mit einem Turban umwickelt, nur ein schmaler Spalt für die +Augen ist gelassen. Man heißt ihn ein Pferd besteigen und sodann reiten +Alle aus dem Duar heraus, um ein Lab, d.h. ein Wettrennen mit Schießen, +abzuhalten. Der Bräutigam allein nimmt nicht Theil. Er hält gegenüber +dem Zelte, wo man weiß, daß die Braut mit den übrigen alten und jungen +Frauen sich aufhält, und nimmt so gewissermaßen Angesichts seiner Braut +eine Parade ab. Weder kann er sie sehen, noch sie ihn, denn das Zelt ist +bis auf einige Schlitze dicht zusammengezogen und sein Kopf ist +verhüllt. Endlich ergreift, nachdem Alle schon mehrere Male das Pulver +haben sprechen lassen, Omar ebenfalls eine Flinte, er schwingt sie um +seinen Kopf, er saust davon, macht Kehrt, um im rasendsten Ritte auf's +Zelt seiner Braut loszugehen, und angekommen, drückt er seine Flinte ab, +schwenkt seitwärts, nachdem er noch die Flinte hoch in die Luft +geschleudert und geschickt wieder aufgefangen hat. + +Es wird Abend und der Bräutigam wird nach seinem Zelte zurückgeführt. +Nun beginnen allgemeine Schmausereien; aber die Frauen, immer in ihrer +Mitte noch die Braut Aischa behaltend, setzen den Kampf gegen die +Kuskussuschüsseln allein fort, frischen Muth dazu dann und wann durch +eine Tasse stark mit Münze aromatisirten Thee's schlürfend. Die meisten +Männer und Jünglinge essen im Freien, denn die Zelte bieten weder Raum +noch Helligkeit, nur der Bräutigam bleibt allein. Es scheint sich ein +wahrer Wettstreit unter den Gästen im Essen zu entwickeln; aber wenn man +weiß, wie ausnahmsweise und selten in Marokko den Leuten die Gelegenheit +geboten wird, Fleisch zu essen, so kann man sich vorstellen, wie es dann +bei einem Mahle hergeht, wo Fleisch in Hülle und Fülle vorhanden ist und +man seine Höflichkeit und Freude am besten dadurch kund zu geben meint, +wenn man so viel ißt, als man überhaupt nur essen kann. + +Die Dunkelheit ist nun völlig hereingebrochen. Da sieht man plötzlich +aus dem Zelte der Frauen einen Zug herauskommen, voran die Braut, sie +allein verschleiert; ihr zur Seite gehen andere junge Mädchen, in der +einen Hand eine Papierlaterne tragend, in der anderen ein mit +Rosenwasser geschwängertes Tuch, womit sie der Braut wohlriechende Luft +zuwehen; andere Frauen, und zwar zunächst die Schwiegermutter Lella +Mariam, folgen, alle haben Laternen. Sie gehen auf das Zelt Omars zu, +der fortwährend allein geblieben war, und da von der anderen Seite auch +die Männer herbeigekommen waren, so ruft Abu Thaleb: "Omar ben Abu +Ssalam, bist Du im Zelte, so erscheine und bezeuge im Namen des einigen +Gottes, daß Du meine Tochter Aischa als Deine Frau aufnehmen und +ernähren willst." Omar erschien und bezeugte es im Namen Gottes. Sodann +ruft sein Vater: "Ich bezeuge im Namen des Höchsten, daß ich an Abu +Thaleb 200 Duro gezahlt habe; hast Du sie bekommen, o Freund?"--"Mit +Hülfe Gottes habe ich das Geld empfangen und laß Deinen Sohn morgen +zeugen, ob die Morgengabe Aischa's richtig ist."--Darauf wurde das Fötah +gebetet und die Mutter Omars, die Braut ihm zuschiebend, schlug das Zelt +über Beide herab, und Omar und Aischa lagen einander in den Armen. + +Draußen wurden aber die Schwelgereien im Essen fortgesetzt. Kaid Abu +Ssalam hatte Sänger und Lautenspieler kommen lassen, Tänzerinnen hatten +sich eingestellt, kurz, es fehlte nichts einer, einem so reichen und +mächtigen Kaid würdigen Hochzeitsfeier. Aber stürmischer Jubel brach +los, als einige Zeit nachher Lella Mariam, die Mutter Omar's, die vor +dem Zelte Platz genommen hatte, aufstand und ein Hemd, das der gewesenen +Braut Aischa, durch die Luft schwenkte. Das Hemd enthielt Blutstropfen, +Omar konnte also den sichtbaren Beweis der Jungfräulichkeit seiner Braut +liefern und dieser mußte Allen, die an der Hochzeitsfeier Theil nahmen, +gezeigt werden. Kann dieser nicht beigebracht werden, so ist überhaupt +die Heirath, _wenn der Gatte will_, als nicht geschehen zu betrachten. + +Drei Tage dauerten diese Schmausereien, während welcher Zeit aber das +junge Paar meistens allein blieb, um ganz das Glück der ersten Liebe zu +genießen; vielleicht hätte auch Kaid Abu Ssalam die Festlichkeit noch +länger ausgedehnt, da bei sehr reichen Familien acht Tage lang festirt +wird, wenn nicht ein Ereigniß eingetreten wäre, das den Lustbarkeiten +ein jähes Ende setzte. + +Wohl durch zu viele Arbeit, die der alte Omar, Vater Abu Thalebs, seinem +Magen aufgebürdet hatte, vielleicht auch durch Uebermaß des sonst +ungewohnten Fleischgenusses, erkrankte er und schon nach einigen Stunden +hatte er aufgehört zu leben. + +Sobald man den Tod des alten Omar als sicher constatirt hatte, wurden +alle alten Weiber vor sein Zelt beordert, um das Klagen und Weinen zu +besorgen, während die Männer den noch warmen Leichnam wuschen, +räucherten und in ein neues Stück Kattun einwickelten. Dies dauerte +einige Stunden, sodann wurde eine Tragbahre geholt und der Verstorbene +hinaufgelegt, denn bei den Zeltbewohnern herrscht die Sitte, den Todten +in einen Sarg oder eine Truhe zu legen, nicht. Vier Männer bemächtigten +sich der Bahre und sodann ging es fort in so schnellem Schritte, als +man, ohne zu laufen, nur gehen konnte. Beständig wurde nach einförmiger +Melodie gesungen: =Lah illaha Il Allaha=, und wenn dies etwa +hundert Mal wiederholt worden war, bildete der Satz: =Mohammed ressul +ul Lah= den Schluß, um aber gleich wieder von vorn anzufangen. Alle +zwanzig Schritte lösten sich die Leute im Tragen ab, damit Jeder der +Ehre, den Todten zur letzten Stätte zu tragen, theilhaftig werden könne. +Nach dem Gottesacker der Beni-Amer, der ziemlich entfernt vom Duar +gelegen war, waren aber schon vorher einige Leute geschickt worden, um +die Gruft zu bereiten, und als der Trauerzug ankam, war Alles in +Ordnung. + +Ein letztes Fötah wurde gebetet und die Sure: "Sag', Gott ist der +Einzige und Ewige. Gott zeugt nicht und ist nicht gezeugt und kein +Geschöpf gleicht ihm," wurde von allen Anwesenden gelesen[80] und darauf +unter dem Ausrufe: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes) der Leichnam +in die Gruft gelegt. Ein Jeder der Anwesenden warf eine Hand voll Sand +auf den Körper und hierauf wurde durch Hacken die Grube schnell mit Erde +gefüllt. Damit nicht etwa Hyänen das Grab eröffnen könnten, wurden +sodann zum Schlusse schwere Steine über das Ganze gelegt. Zurück wurde +der Weg eben so rasch und ebenfalls unter dem Gesange: "=Lah illaha Il +Allaha=" gemacht. Acht Tage lang mußten außerdem Trauerweiber, die +zum Theil bezahlt waren, klagen und weinen, die Männer aber gingen ihren +gewöhnlichen Beschäftigungen nach, pflegten sich aber auch Abends beim +Trauerzelte einzufinden, weniger um der Vorzüge und Tugenden zu +gedenken, die der verstorbene Omar ben Edris gehabt haben sollte, als um +an der Mahlzeit Theil zu nehmen, die sein Sohn während der achttägigen +Klagezeit allen Mittrauernden spenden mußte. Die Trauer durch besondere +Kleider, z.B. schwarze Gewänder, auszudrücken, ist aber bei den +Zeltbewohnern so wenig Sitte, wie bei den mohammedanischen Städtern. + +Daß der Kaid der Uled Sidi Schich die Kränkung nicht ruhig hinnahm, weil +man seine Tochter verschmäht hatte, versteht sich von selbst. Und so +erschien er denn eines Tages mit zwanzig Reitern nach gefahrvollen +Märschen; es gelang ihm auch, eine Nachts außengebliebene Heerde +fortzutreiben. Doch die schnell aufgebotenen Beni-Amer, im Verein mit +einigen Uled Hassan, ereilten die Räuber, ein kurzes Gefecht entspann +sich, einige Kugeln wurden gewechselt. Die Uled Sidi Schich zogen +natürlich den Kürzeren, im Triumphe wurde die geraubte Heerde +zurückgebracht und seit der Zeit lebt Omar zufrieden und ruhig am Ued +Ssebu, lebt wie sein Vater und seine Vorfahren gelebt hatten und wie +seine Söhne und Nachkommen unwandelbar nach denselben Sitten und +Gebräuchen weiter leben werden. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 66: Wie man bei uns sagt, er stammt aus einem großen Hause, so +sagt man in Marokko min cheima kebira ("von einem großen Zelte").] + +[Footnote 67: In Marokko flechten und kämmen die Frauen und Mädchen ihr +Haar keineswegs alle Tage, sondern nur bei festlichen Gelegenheiten.] + +[Footnote 68: Sidi ist der Titel des Großscherifs der heiligen Stadt +Uesan.] + +[Footnote 69: Mohammed sagt im Koran: "Niemand trage seine Haare in +Flechten bis zu den Schultern herab." Weil, S. 251.] + +[Footnote 70: Obschon es Mohammed ausdrücklich verboten ist, Staub aus +dem Tempel von Mekka als Reliquie mitzunehmen, thun es die meisten +marokkanischen Pilger doch.] + +[Footnote 71: Man sagt so, natürlich sind die Insassen des Zeltes +gemeint.] + +[Footnote 72: Schreiber.] + +[Footnote 73: Plural von Thaleb.] + +[Footnote 74: In jedem marokkanischen Duar befindet sich ein Zelt, das +zum Abhalten des freitäglichen Chothagebetes bestimmt ist und Situn el +Djemma heißt; in der Regel dient es auch als Herberge für Fremde und +heißt dann Situn el Diaf.] + +[Footnote 75: Wollenes Uebergewand.] + +[Footnote 76: In einzelnen Familien haben sich behufs der Beschneidung +Steinmesser oder vielmehr scharfe Steinscherben vom Vater auf den Sohn +vererbt und wahrscheinlich sind sie aus Arabien mit herübergebracht +worden.] + +[Footnote 77: Der gewöhnliche Preis ist auf 60 französische Thaler, in +Marokko Doro oder Duoro genannt, fixiert.] + +[Footnote 78: Kupferner Kessel.] + +[Footnote 79: Die Kuskussukügelchen aus Weizen- oder Gerstenmehl, auf +einem Palm- oder Strohteller gerieben, sind von der Größe unserer +Perlgrütze. Getrocknet halten sie sich monatelang, ja über ein Jahr. Man +nimmt sie auch als Provision auf Reisen mit.] + +[Footnote 80: Der Araber braucht das Wort "ikra" er liest, nicht blos +von der Handlung in unserem Sinne, d.h. wenn man aus einem Buche etwas +abliest, sondern auch, wenn Jemand aus dem Koran oder sonst einem Buche +ein Capitel hersagt.] + + +Leipzig, + +Druck von Alexander Edelmann. + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und +Erforschung Africa's., by Gerhard Rohlfs + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITR„GE ZUR ENTDECKUNG *** + +***** This file should be named 16280-8.txt or 16280-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/1/6/2/8/16280/ + +Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. + + +Section 3. 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Thus, we do not necessarily +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + + +Most people start at our Web site which has the main PG search facility: + + https://www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. diff --git a/16280-0.zip b/16280-0.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..1e723fc --- /dev/null +++ b/16280-0.zip diff --git a/16280-h.zip b/16280-h.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..b8b916c --- /dev/null +++ b/16280-h.zip diff --git a/16280-h/16280-h.htm b/16280-h/16280-h.htm new file mode 100644 index 0000000..29a492d --- /dev/null +++ b/16280-h/16280-h.htm @@ -0,0 +1,8493 @@ +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.0 Strict//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml1/DTD/xhtml1-strict.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> + <head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html;charset=iso-8859-1" /> + <title> + The Project Gutenberg eBook of Beiträge zur Entdeckungen und Erforschung Africa's, by Gerhard Rohlfs. + </title> + <style type="text/css"> +/*<![CDATA[ XML blockout */ +<!-- + p { margin-top: .75em; + text-align: justify; + margin-bottom: .75em; + } + h1,h2,h3,h4,h5,h6 { + text-align: center; /* all headings centered */ + clear: both; + } + hr { width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: auto; + margin-right: auto; + clear: both; + } + + table {margin-left: auto; margin-right: auto;} + + body{margin-left: 10%; + margin-right: 10%; + } + + .linenum {position: absolute; top: auto; left: 4%;} /* poetry number */ + .blockquot{margin-left: 5%; margin-right: 10%;} + .pagenum {position: absolute; left: 92%; font-size: smaller; text-align: right;} /* page numbers */ + .sidenote {width: 20%; padding-bottom: .5em; padding-top: .5em; + padding-left: .5em; padding-right: .5em; margin-left: 1em; + float: right; clear: right; margin-top: 1em; + font-size: smaller; background: #eeeeee; border: dashed 1px;} + + .bb {border-bottom: solid 2px;} + .bl {border-left: solid 2px;} + .bt {border-top: solid 2px;} + .br {border-right: solid 2px;} + .bbox {border: solid 2px;} + + .center {text-align: center;} + .smcap {font-variant: small-caps;} + .u {text-decoration: underline;} + .tt {font-family: Arial, sans-serif; } + + .caption {font-weight: bold;} + + .figcenter {margin: auto; text-align: center;} + + .figleft {float: left; clear: left; margin-left: 0; margin-bottom: 1em; margin-top: + 1em; margin-right: 1em; padding: 0; text-align: center;} + + .figright {float: right; clear: right; margin-left: 1em; margin-bottom: 1em; + margin-top: 1em; margin-right: 0; padding: 0; text-align: center;} + + .footnotes {border: dashed 1px;} + .footnote {margin-left: 10%; margin-right: 10%; font-size: 0.9em;} + .footnote .label {position: absolute; right: 84%; text-align: right;} + .fnanchor {vertical-align: super; font-size: .8em; text-decoration: none;} + + .poem {margin-left:10%; margin-right:10%; text-align: left;} + .poem br {display: none;} + .poem .stanza {margin: 1em 0em 1em 0em;} + .poem span.i0 {display: block; margin-left: 0em;} + .poem span.i2 {display: block; margin-left: 2em;} + .poem span.i4 {display: block; margin-left: 4em;} + // --> + /* XML end ]]>*/ + </style> + </head> +<body> + + +<pre> + +The Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und Erforschung +Africa's., by Gerhard Rohlfs + +This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with +almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Africa's. + Berichte aus den Jahren 1870-1875 + +Author: Gerhard Rohlfs + +Release Date: July 13, 2005 [EBook #16280] + +Language: German + +Character set encoding: UTF-8 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITRÄGE ZUR ENTDECKUNG *** + + + + +Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This +file was produced from images generously made available +by the Bibliotheque nationale de France (BnF/Gallica) at +http://gallica.bnf.fr. + + + + + + +</pre> + + +<h1>Beiträge</h1> + +<h1>zur Entdeckung und Erforschung</h1> + +<h1>Africa's.</h1> + +<h2>Berichte aus den Jahren 1870-1875</h2> + +<p class='center'>von</p> + +<h2>Gerhard Rohlfs.</h2> + +<hr style='width: 45%;' /> + +<p class='center'>Leipzig,</p> + +<p class='center'>Verlag der Dürr'schen Buchhandlung</p> + +<p class='center'>1876</p> + +<p class='center'>Mit dem Stahlstich-Portrait des Verfassers</p> + +<hr style='width: 65%;' /> + +<p class='figcenter'><a href="./images/1.png"><img src="./images/1_thumb.png" +alt="Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs" +title="Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs" /> </a></p> +<p class='figcenter'><span class='smcap'>Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs +</span></p> + +<hr style='width: 65%;' /> + +<p class='figcenter'><a href="./images/2.png"><img src="./images/2_thumb.png" +alt="Handwriting" +title="Handwriting" /> </a></p> +<p class='figcenter'><span class='smcap'>Handwriting</span></p> + +<hr style='width: 65%;' /> + +<h1>Contributions</h1> + +<h1>à la découverte cf á l'exploration</h1> + +<h1>de l'Afrique</h1> + +<h2>Récite des anneés 1870-1875</h2> + +<h2>Herr Gerhard Rohlfs</h2> + +<hr style='width: 45%;' /> + +<p class='center'>Leipzig</p> + +<p class='center'>Dürr</p> + +<p class='center'>1876</p> + +<hr style='width: 65%;' /> + +<h1>Beiträge</h1> + +<h1>zur Entdeckung und Erforschung</h1> + +<h1>Afrika's.</h1> + +<h2>Berichte aus den Jahren 1870-1875</h2> + +<p class='center'>von</p> + +<h2>Gerhard Rohlfs.</h2> + +<hr style='width: 45%;' /> + +<p class='center'>Leipzig,</p> + +<p class='center'>Verlag der Dürr'schen Buchhandlung</p> + +<p class='center'>1876</p> + + + +<hr style="width: 65%;" /> + +<h2><a name="INHALT" id="INHALT"></a>INHALT</h2> + + +<p> +<a href="#Ch1_Der_Kanal_von_Suez"><b>1. Der Kanal von Suez.</b></a><br /> +<a href="#Ch2_Bauten_in_Afrika"><b>2. Bauten in Afrika.</b></a><br /> +<a href="#Ch3_Lagos_an_der_Westkuste_von_Afrika"><b>3. Lagos an der Westküste von Afrika.</b></a><br /> +<a href="#Ch4_Das_Gora-Gebirge_in_Central-Afrika"><b>4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika.</b></a><br /> +<a href="#Ch5_Hoflichkeitsformen_und_Umgangsgebrauche_bei_den"><b>5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den</b></a><br /> +<a href="#Ch6_Beitrag_zur_Kenntni_der_Sitten_der_Berber"><b>6. Beitrag zur Kenntniß der Sitten der Berber</b></a><br /> +<a href="#Ch7_Ueber_Reiz-_und_Nahrungsmittel_afrikanischer_Volker"><b>7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker.</b></a><br /> +<a href="#Ch8_Aufbruch_zur_Libyschen_Wuste"><b>8. Aufbruch zur Libyschen Wüste.</b></a><br /> +<a href="#Ch9_Das_jetzige_Alexandrien"><b>9. Das jetzige Alexandrien.</b></a><br /> +<a href="#Ch10_Kairo_Hauptstadt_von_Aegypten"><b>10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten.</b></a><br /> +<a href="#Ch11_Meine_Heimkehr_aus_der_Libyschen_Wuste"><b>11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste.</b></a><br /> +<a href="#Ch12_Bei_den_Zeltbewohnern_in_Marokko"><b>12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko,</b></a><br /> +</p> + + + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch1_Der_Kanal_von_Suez" id="Ch1_Der_Kanal_von_Suez"></a>1. Der Kanal von Suez.</h2> + + +<p>Es hat kaum ein großartigeres Unternehmen mehr das +Interesse der gebildeten Welt in Anspruch genommen, als der +Durchstich des Isthmus von Suez, eine Unternehmung, wie sie +eben nur der vor nichts zurückschreckende Geist des 19. Jahrhunderts +erdenken konnte. Und keine Arbeit ist mehr besprochen +und beschrieben worden, als gerade dieser Kanal, Stimmen +haben sich dafür und dagegen erhoben; Enthusiasten wollten +den Kanal in ein paar Jahren vollenden, unterschätzten die +Schwierigkeiten, setzten die Kosten zu gering an; ihre Gegner +sprachen von unüberwindlichen Hindernissen, vom Niveauunterschiede +der beiden zu verbindenden Meere, von nicht zu besiegenden +Sandstürmen der Wüste, vom Mangel an Geld und endlich, +falls der Kanal zu Stande käme, von den zu großen Kosten, +welche die Rheder für ihre durchgehenden Fahrzeuge zu entrichten +haben würden.</p> + +<p>Im Jahre 1854, als Hr. von Lesseps vom Vicekönig die +Autorisation bekam zur Anlegung eines maritimen Kanals durch +die Landenge, constituirte sich infolge dessen eine internationale +Commission, bestehend aus Ingenieuren von England, Oesterreich, +Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Preußen, um +einen Plan auszuarbeiten, und nachdem diese Commission festgestellt +hatte, daß kein Niveauunterschied zwischen den beiden getrennten +Meeren vorhanden sei, hatte sie die Bildung des Kanals von +Suez und eine Subscription zur Folge. Die auszuführenden +Arbeiten waren auf 200 Mill. Frs. veranschlagt worden, +welche Summe aufgebracht wurde. Im Jahre 1859 begannen +die ersten Arbeiten unter der unmittelbaren Direction der +Compagnie selbst.</p> + +<p>Diese bestanden hauptsächlich in Menschenwerk; das ägyptische +Gouvernement hatte contractlich 20,000 Fellahin oder Leibeigene +zu liefern, welche eine monatliche Dienstzeit hatten, wobei +sie auf Kosten der Compagnie ernährt und abgelohnt wurden. +Jeden Monat löste ein Haufen anderer Zwangsarbeiter den +alten ab.</p> + +<p>Als nun Ende 1865 die Unzulänglichkeit dieser Arbeiten +sich herausstellte, schloß die Compagnie mit dem Hause Borrel +und Lavaley einen Contract, demzufolge das genannte Haus +es übernahm, sämmtliche Erdarbeiten, die Ausgrabung und +Ausbaggerung des Kanals durch Maschinen bewerkstelligen zu +wollen. Zugleich wurde der Firma Dussaud Frères die Vollendung +der großen Molen von Port-Said überwiesen und die +Arbeiten, welche dieses Haus durch seine colossalen künstlichen +Steinblockbauten in Algier, Cherbourg u.s.w. ausgeführt und +dem man neuerdings noch die Construction des Hafens von +Smyrna übergeben hatte, waren hinlänglich Bürge, daß ihnen +die Molen von Port-Said würden ebenbürtig zur Seite gestellt +werden können.</p> + +<p>Es handelte sich nun aber darum, das ägyptische Gouvernement, +welches sich verpflichtet hatte, während des Kanalbaues +so und so viele Arbeiter zu liefern, dahin zu bringen, daß es +für die jetzt unnöthig gewordenen Menschenkräfte einen äquivalenten +Theil an Geld gewährte und die ägyptische Regierung, +immer bei der Hand, das Unternehmen auf's Großmütigste zu +fördern, ging auf's Bereitwilligste daraus ein. Indeß stellte +es sich heraus, daß die Ablösungssumme, welche die Compagnie +verlangte, 54 Mill. Frs. dem Vicekönig zu hoch gegriffen +schien und man kam nun überein, sich einem Schiedsrichter zu +unterwerfen, wozu beide Parteien den Kaiser Napoleon wählten. +Aber nicht für 54 Millionen entschied sich der Kaiser der Franzosen, +sondern für 84 Millionen, welche die ägyptische Regierung +der Compagnie zu zahlen habe. Die anfängliche Schätzung +der Compagnie war also bedeutend durch den Ausspruch des +Kaisers Napoleon überboten worden. Man hat behaupten +wollen, der Umstand, daß Herr von Lesseps ein Verwandter der +Kaiserin Eugenie ist, habe nicht wenig dazu beigetragen, eine +für die Compagnie so außerordentlich günstige Entscheidung +herbeizuführen. Außerdem hatte die Compagnie einen neuen +Geldzuschuß von 10 Mill. Frs. als Entschädigung für die +Domäne Tel-el-kebir vom Vicekönig erhalten. Trotzdem daß +nun die ursprünglich veranschlagte Summe von 200 Mill. +Frs. sich so um fast 100 Millionen erhöht fand, stellte es sich +schon im kommenden Jahre heraus, daß zur Beendigung des +Kanals noch wenigstens 100 Millionen erforderlich seien. Deshalb +ging Anfang 1868 Herr Lesseps nach Paris, um eine neue +Anleihe zu negociiren. Eine Anleihe als solche scheiterte indeß, +es gelang aber Herrn Lesseps eine Lotterie mit Bewilligung +der französischen Kammer zu Stande zu bringen, welche bis +Anfang Juni 1868 40-45 Millionen ergab und endlich +wurden durch verschiedene Operationen die finanziellen Schwierigkeiten +des Kanalbaues überwunden.</p> + +<p>Nach der damaligen Abmachung sollten die Arbeiten bis +zum 1. October 1869 fertig sein und nach den Arbeiten des +Hauses Borrel und Lavaley zu schließen, konnte dies auch +geschehen. Denn um von dem Augenblicke an den Kanal so +herzustellen, daß er überall an der Wasserlinie eine Breite von +100 Meter, an der Basis 22 Meter (an einigen Stellen +indeß oben 75 Meter und unten blos 12 Meter) mit einer +Tiefe von überall 8 Metern habe, blieben vom Juni 1868 +an noch 34 Millionen Kubikmeter Terrain wegzuräumen übrig. +Mit der Arbeitsfähigkeit, welche Borrel und Lavaley zu ihrer +Disposition hatten und wodurch bis Mai 1868 circa 18 Millionen +Kubikmeter Erdreich weggeschafft wurde und welche im +Juli 1868 bis auf 20 Millionen Kubikmeter gesteigert werden +konnte, stellte es sich heraus, daß in der That bis Ende des +Jahres 1869 der Kanal fertig sein würde. Ob aber derselbe +dann schon für die größten Fahrzeuge passirbar sein würde, +war eine andere Frage; jedenfalls aber konnten Borrel und +Lavaley, die mit der Compagnie übereingekommen waren, eine +so und so große Menge von Erdreich aus der vorgeschriebenen +Linie des Kanals hinwegzuräumen, ihren Verpflichtungen nachkommen. +Zur Ausführung dieser großartigen Arbeit hatten +Borrel und Lavaley folgende Maschinen, welche sämmtlich entweder +in England oder Frankreich und Belgien angefertigt +sind, zur Disposition: a) 10 mechanische Zermalmer; b) 4 +Handbaggermaschinen; c) 19 kleine Baggermaschinen; d) 58 +große Baggermaschinen, von denen 20 mit langen Abgüssen; +e) 30 Dampfschiffe, um Schutt wegzufahren, mit Seitenklappen; +f) 79 Schuttdampfschiffe mit Grundklappen, 37 von diesen +hielten das Meer; g) 18 Elevateurs; h) 90 schwimmende +Chalands mit Schuttkisten; i) 30 Dampfwidder; k) 15 Dampfchalands; +l) 60 Locomobilen; m) 15 Locomotiven; n) 20 Dampferdhöhler theils +für trockenen, theils nassen Boden; o) 1800 +Erdwagen; p) 25 Dampfcanots oder Remorqueurs; q) 200 +eiserne Chalands.</p> + +<p>Wir brauchen nicht zu erwähnen, daß auch noch ein genügendes +und massenhaftes Material von kleinen Geräthen, als Schaufeln, +Hacken, Schiebkarren u.s.w. vorhanden war. Borrel und Lavaley +hatten außerdem eine Arbeitskraft von circa 12,000 Menschen auf +dem Platze, welche theils aus Eingeborenen, die sich freiwillig +zum Arbeiten gemeldet hatten, +theils aus Europäern bestand. Alle Arbeiten waren contractlich; +erstere bekamen für 1 Meter Kubikfuß 1 Fr. 95 Cent., +wo das Terrain leicht zu bearbeiten war; wo es hingegen, wie +in Chalouf, schwierig war, bis 2 Frs. 45 Cent., die Handwerker +und Europäer hatten nicht unter 5 Frs. per Tag.</p> + +<p>Bald darauf wurden aber wieder viele Stimmen laut, daß +nach vollendetem Kanalbaue zwei große Schiffe neben einander +nicht würden passiren können; indeß bei den geringsten Dimensionen +von 75 Meter an der Wasserlinie und 12 Meter an +der Basis waren wir berechtigt, anzunehmen, daß dies der +Fall sein würde oder daß man dem würde abhelfen können. +Man wollte ferner behaupten, daß die Ausfüllung der Bitterseen +vom Mittelmeere aus zu rasch vor sich gehen würde und +so durch den hereinbrechenden Strom der Kanalbau beschädigt, +wenn nicht ganz zerstört werden könnte. Die Anfüllung des +Timsahsees im Jahre 1861, wozu nicht weniger als circa 100 +Mill. Kubikmeter Wasser erforderlich waren, welche dem mittelländischen +Meere entzogen wurden, hatte jedoch gezeigt, daß +bei so großen Quantitäten mit verhältnißmäßig so geringem +Falle die Strömung mit großer Langsamkeit vor sich geht; und +so konnte man genau berechnen, daß zur Ausfüllung des großen +und kleinen Beckens des Bittersees, welcher wenigstens 20 Mal +so viel Volumen Wasser verschlingen würde, als der Timsahsee, +fast zwei Monate erforderlich sein müßten.</p> + +<p>So war, als wir Mitte Juni 1868 den Kanal besuchten, +die Sachlage; und wenn wir auch nicht der Meinung der +Pessimisten waren, welche behaupteten, der Kanal würde nie +fertig, würde stets wieder versanden oder auch diese Compagnie +würde nicht die erforderlichen Mittel aufbringen können, um +die Bauten zu Ende zu führen, und es würde so selbstverständlich +der Kanal in die Hände der Engländer übergehen (beiläufig +gesagt wäre dies gar kein Schaden für die kommerzielle +Welt), so waren uns doch auch andererseits starke Zweifel aufgestoßen, +ob der Kanal schon Ende 1869 der allgemeinen Benutzung +würde übergeben werden können. Denn wenn auch +die Firma Borrel und Lavaley die vorgeschriebenen 34 Mill. +Kubikmeter Terrain bis Ende 1869 herausgeschafft haben +konnte, so war damit lange noch nicht der Kanal fertig. Vor +Allem wäre überdies der Compagnie eine weise Sparsamkeit +anzuempfehlen gewesen. Wozu nützte es damals, nachdem sie +alle Privatarbeiten abgegeben hatte an Privatunternehmer +(Borrel und Lavaley, Dussaud Frères, Couvreur in El Guisr +u.a.m.), einen so großen Stab zu unterhalten? Seitdem die +Compagnie sich nicht mehr direct bei den Arbeiten betheiligte, +wie im Anfange, war es da nicht eine eitle Geldverschleuderung, +noch immer denselben Personalbestand zu haben, welcher unter +den hochtönenden Namen Agence supérieure und Direction +générale des travaux ein Personal von über 200 Leuten +(officiell) aufwies, von denen der geringste Beamte sicher nicht +unter 5000 Frs., der Director Herr Voisin 50,000 Frs. Gehalt +bezog?</p> + +<p>Man kann von drei Seiten hinkommen, um den Kanal zu +besuchen: von Port-Said, von Ismaïlia und Suez. Wir +gingen im Jahre 1868 von letzterem Platze aus, uns auf dem +Süßwasserkanal einschiffend, welcher von Ismaïlia kommt und +in Suez sein Ende hat. Von diesem Orte an bis nach Ismaïlia +hatte der Kanal eine Länge von 90 Kilometern, war +an der Wasserlinie überall 14 Meter breit und hatte eine durchschnittliche +Tiefe von 1,20 Meter. Es bestand eine regelmäßige +Post, jedoch konnte man auch Extradahabien haben, welche +von Maulthieren, die immer im schnellen Trabe oder Galop +gehen, gezogen wurden. Der Verkehr war schon sehr belebt +durch kleine Privatschiffe; so bezogen schon damals die indischen +Schiffe und ganz Suez alle Kohlen mittelst des Kanals. Um +die Fähigkeit zu haben, überall halten und aussteigen zu können, +zogen wir eine Extradahabie vor, zumal die Posten sehr schmutzig +und voller Ungeziefer waren. Jede Dahabie hat einen Vorraum +und einen kleinen Salon, der für vier Personen geräumig +ist, sogar ein kleines Ankleidezimmer und Accessoir fehlen nicht. +Die unvermeidlichen Hausthiere mohamedanischer Länder, lästige +kleine Insecten, fehlen aber auch in den Extradahabien nicht, was +auch ganz natürlich ist, da der Reïs oder Capitain in Abwesenheit +von Passagieren sich sicher nicht zum Schlafen auf das +Dach der Dahabie, sondern aus die Sophas in derselben legt +und seine beiden Leute sicher seinem Beispiel folgen. Man +kann, falls man sich gar nicht aufhält, die Fahrt von Suez +nach Ismaïlia in 10-12 Stunden machen, indeß war es sehr +gerathen, einige Stunden in Chalouf zu bleiben, um die dortigen +Arbeiten zu besichtigen. Hier ist der einzige Ort, wo +man auf felsiges Terrain, jedoch von lockerer Beschaffenheit, +stieß. Tagtäglich fand man hier die schönsten Versteinerungen, +Fische, Säugethiere und Pflanzen. Als wir den tiefen Graben +besuchten, wurde gerade ein ausgezeichnet schöner Rückenwirbel +eines Elephanten ausgegraben. Es herrschte in Chalouf ein reges +Lebens, große Dampfpumpen waren fortwährend in Thätigkeit, +um das eindringende Wasser, welches der nahe Süßwasserkanal +durchsickern ließ, herauszuschaffen, während andere +mächtige Maschinen die Erde selbst angriffen. Nur in Chalouf +hatte man jetzt noch das Bild und Profil des Kanals, da die +anderen Strecken zwischen Port-Said und Ismaïlia alle angefüllt +waren. Aber gerade vor Thoresschluß den Kanal entstehen sehen +die riesigen Arbeiten bewundern zu können, gerade das hatte +einen besonderen Reiz. Wenn man jetzt nach Vollendung des Durchstiches +über den Kanal dahinfährt, kann man sich kaum eine richtige +Idee machen von den Schwierigkeiten, welche besiegt werden mußten.</p> + +<p>Nebenbei war hier eine ganze Stadt entstanden; es gab +Kirchen, Moscheen, Wirtshäuser, Spitäler, Cafés u.s.w. +Von hier nun wendet sich der Süßwasserkanal ab, um die +Bitterseen, deren Bassin tiefer ist, als die Basis des Süßwasserkanals, +zu vermeiden, und bei der großen Hitze, die im +Sommer hier herrscht, zogen wir es vor, diesen Theil des +Weges Nachts zu machen, wo wir dann am anderen Morgen +früh in Serapeum eintrafen; dies liegt am Nordrande der +Bitterseen. Vom Süßwassercanal führt eine Zweigbahn nach +Serapeum. Auch hier konnte man die Arbeiten in ihrer +ganzen Großartigkeit bewundern und auch hier hatte sich rasch +ein Ort entwickelt, wie es übrigens das Zusammensein so +großer Arbeitermassen von selbst mit sich bringt.</p> + +<p>Von Serapeum bis Ismaïlia sind nur noch 20 Kilometer +und bald landete die Dahabie an dem schönen steinernen Kai; +vorbeifahrende Wagen, die Menge der Schiffe (unter denen +manche Dreimaster und stattliche Mittelmeerdampfer), Kirchthürme, +Häuser und Hotels, wie man sie nur in den großen +Seestädten findet, überraschen den Reisenden, so daß er glaubt +in Europa zu sein.</p> + +<p>Ismaïlia ist eine Stadt von circa 8000 Einwohnern. +Nach einem vollkommen regelmäßigen Plane gebaut, ist es +weit hinaus im Halbkreise von einem Süßwasserkanale umgeben, +welcher von üppigen Weiden bordirt ist. Man hat eine +katholische und zwei griechische Kirchen, eine Moschee, zwei +Hospitäler, von denen eins für die arabische Bevölkerung bestimmt +ist. Es befinden sich hier die Gebäude der Directoren, +welche an Pracht und Bequemlichkeit in nichts den Sommerwohnungen +der Fürsten nachstehen. Die Straßen sind breit +und vor allen Privathäusern breite Blumenbeete und Baumanlagen, +was einen reizenden Anblick gewährt. Namentlich +der Hauptcentralplatz ist eine allerliebste Anlage und obgleich +erst seit zwei Jahren geschaffen, so üppig, als ob sie seit zehn +Jahren bestände. In Ismaïlia ist das beste Hôtel das Hôtel +des voyageurs; es giebt aber noch fünf oder sechs andere. Natürlich +wo Franzosen sind, fehlen nicht die Cafés chantants und die +Roulette; diese ist jetzt in Aegypten so verbreitet, wie in Californien +und namentlich zur Zeit der Baumwollenperiode wurden +oft in den schmutzigsten Winkelbuden Summen umgesetzt, +um die sie die Banken von Homburg, Wiesbaden und Ems +hätten beneiden können. Aber auch das deutsche Bier hat +seinen Weg zum Kanal gefunden und in Ismaïlia wie in +allen anderen Städten Aegyptens giebt es deutsche Bierbrauer, +welche ihr Bier von Wien beziehen. Es hatte den Anschein, +als ob Ismaïlia nach Vollendung des Kanals sein Aufblühen, +welches es den Arbeiten hauptsächlich verdankt hatte, einbüßen +würde, aber jetzt im Bereiche des Eisenbahnnetzes, wird die +Stadt doch immer eine gewisse Wichtigkeit behalten, wenngleich +es sich wohl nie zu einer bedeutenden Stadt hinaufschwingen +wird.</p> + +<p>Der Timsahsee war jetzt vollkommen angefüllt, er ist südlich +von der Stadt und circa einen halben Kilometer entfernt und +hat eine Oberfläche von 60 Hectaren. Der Canal maritime +geht an der östlichen Seite hindurch. Obgleich das auf dem +Boden stark aufgehäufte Salz, welches sich beim Hereinlassen +des Mittelmeerwassers natürlich auflöste, anfänglich keine Fische +leben ließ, so ist doch durch die constante Erneuerung des +Wassers, durch den Abfluß vom Süßwasserkanal her, der Salzgehalt +so vermindert, daß eine Menge Fische jetzt darin leben, +obgleich der Salzgehalt des Wassers noch bedeutend größer +ist, als der des mittelländischen Meeres. Das Wasser ist +übrigens hell, wie Krystall, und ladet Jeden zum Baden ein. +Krocodile sind heute nicht mehr zu fürchten (behar el timssah +heißt Krocodilsee) und eine gute Badeanstalt am Ufer des +Sees sorgt für alle Bedürfnisse ihrer Clienten.</p> + +<p>Von Ismaïlia bis Port-Said benutzte man damals schon +den Canal maritime der von Port-Said an gerechnet 75 Kilometer +lang ist (die Länge des ganzen Kanals beträgt bis Suez +160 Kilometer). Es war hier schon tägliche Dampfverbindung +und man legte die Fahrt gewöhnlich in acht Stunden zurück. +Die Dampfer, kleine Boote, waren übrigens zweckmäßig eingerichtet +und hatten eine erste und zweite Classe. Der Kanal +hatte hier überall die planmäßige Breite, aber noch nicht die +gehörige Tiefe zwischen diesen beiden Plätzen. Durch den +Balahsee kam man zuerst nach El Guisr, einem Punkte, der +Interesse erregte durch die Ausstellung der Maschinen des +Herrn Couvreux. Diese Maschinen, Excavateurs genannt, +griffen mittelst Dampf das trockene Erdreich an, sind also +Trockenbaggerer; das Süßwasser wurde nach diesem Orte durch +Dampfdruckmaschinen befördert. Nichts war eigenthümlicher +als der Anblick der colossalen Dampfbaggerer und der Elevateurs, +die man nun von hier an auf Schritt und Tritt bis +Port-Said fand. Es gab Baggerer, die in <i>einem</i> Tage bis +2000 Kubikmeter heraufholen konnten.</p> + +<p>Man passirt dann noch den Ort El Kántara (die Brücke) +von circa 2000 Einwohnern, schon früher wichtig als ein +Halteplatz von Karavanen, die nach und von Syrien ziehen. +In El Kántara ist eine Kirche, ein Spital und eine Moschee, +dann die sehr sehenswerten Etablissements von Borrel und +Lavaley, welche denen dieser Herren in Chalouf um nichts +nachstehen; natürlich sind diese Werkstätten seitdem geschlossen +worden.</p> + +<p>Der einzige Ort von Wichtigkeit ist nun nur noch El Aech +(sprich Aisch), ein kleines Etablissement circa 15 Kilometer +von Port-Said entfernt. Bald sah man nun schon die hohen +Masten der Seefahrer und nach einer Weile fuhr unser kleiner +Dampfer hindurch zwischen seinen großen Seebrüdern aus der +Familie der Lloyd, der Messagerie impériale und anderer +Gesellschaften, die wie Riesen auf einen Zwerg, so auch auf +unsere kleine Dampfnußschale herabschauten.</p> + +<p>Port-Said ist eine vollkommen europäische Stadt und hat +jetzt circa 12,000 Einwohner, welche Bevölkerung außer aus +Aegyptern hauptsächlich aus Oesterreichern (Dalmatinern), +Franzosen, Italienern und Griechen besteht. Letztere, der +Auswurf ihres Landes, machen indeß das Leben in Port-Said +ebenso unsicher, wie in Suez und Alexandria. In allen diesen +Städten konnte man zur Zeit des Kanalbaues täglich einen Mord +rechnen; zum Glück für die übrigen Europäer, von denen sie +wie die Pest gemieden werden, schlachteten sie sich meist unter +einander selbst ab. Die Stadt hat einen ägyptischen Gouverneur +und einen von der Regierung gepflegten Gesundheitsdienst, +fast alle maritimen Staaten sind durch Consuln vertreten, +Deutschland durch Herrn Bronn, welcher früher ebendaselbst +schon Consul von Preußen war. Es giebt Kirchen für +den katholischen und griechischen Cultus, eine Moschee für die +Mohamedaner, Hospitäler und Klöster, in denen nichtsthuende +griechische oder katholische Mönche auf Kosten der Bewohner +Port-Saids ihre Bäuche mästen, eine Menge Hotels (von +denen das Hôtel Pagnon das beste sein soll; wir selbst hatten +unsere Wohnung auf Sr. Majestät Consulat). Cafés mit und +ohne Musik, öffentliche Bäder, Clubs, kurz nichts fehlte, um +Port-Said als eine kleine Großstadt bezeichnen zu können. +Aber auch die Voraussicht, daß Port-Said eine bedeutende +Concurrenz Alexandrien machen würde, hat sich nicht bewahrheitet. +Jetzt nach einem Bestande des Canals von 5 Jahren +können wir nur constatiren, daß dieser Hafen nicht die Entwicklung +genommen hat, welche man seiner Lage zu Folge +berechtigt zu sein glaubte, voraussetzen zu dürfen.</p> + +<p>Zum Theil ist der Hafen nicht sicher, trotz der enormen +Molen, welche man construirt hat, zum Theil passiren die +Schiffe, welche nach Indien gehen, rasch ohne sich hier aufzuhalten. +Der eigentliche Hafen für Aegypten ist eben Alexandria +geblieben. Wenn der jetzige Chedive, der ja so große +Dinge schon geschaffen hat, eines Tages dazu schreiten würde, +den in unmittelbarer Nähe gelegenen Mensaleh-See auszutrocknen, +dann würde sich allerdings in der Entwicklung Port-Saids +eine wesentliche Aenderung zu Gunsten der Stadt +ergeben.</p> + +<p>Sehr sehenswerth war die Fabrikation der großen Steinblöcke +zur Construction der beiden Hafenmolen. Wie schon +erwähnt, waren es die Herren Dussaud Frères, welche diese +Arbeit übernommen hatten. Jeder Block hat 10 Kubikmeter +Gehalt und wiegt 40,000 Pfund. Das Verfahren, sie herzustellen, +war so einfach wie möglich: Mittelst Sand, welcher +aus dem Hafen gebaggert und mit der vorgeschriebenen Partie +Süßwasser gemischt wurde, brachte man dieses Gemenge unter +eine Zerreibemühle und that es dann mit Kalk und Cement +in gewollter Menge zusammen. Wenn alles ordentlich durcheinander +gemischt war, kam diese Masse in hölzerne Formen +und mußte dann zwei Monate trocknen, nach welcher Zeit eine +felsenartige Härte eintrat.</p> + +<p>Seitdem ist in der That der Kanal von Suez am 16. November +1869 eröffnet worden und alle die bösen Conjuncturen, +welche man an die Lebensfähigkeit dieses gigantischen Unternehmens +geknüpft hatte, haben sich als eitel Dunst erwiesen.</p> + +<p>Ein riesiges Unternehmen, wozu man fünf Jahre Studien, +wie Stephan sagt, und elf Jahre Ausführung gebraucht hatte.</p> + +<p>Alle seefahrenden Nationen hatten sich bei dieser großartigen +Feier durch ihre Flotten vertreten lassen und von +Fürstlichkeiten waren der Kaiser von Oesterreich, der deutsche +Kronprinz (damals noch Kronprinz von Preußen), die Kaiserin +Eugenie und Prinz Heinrich der Niederlande erschienen. Alle +waren Gäste des Chedive, aber nicht sie allein, sondern Tausend +andere. Ja der Schreiber dieser Zeilen, welcher ebenfalls eine +Einladung erhalten hatte, der er leider eingetretener Umstände +halber nicht Folge geben konnte, weiß aus späterem Besuche +in Aegypten, daß eine Menge <i>ungeladener</i> Gäste flott sich +unter die Geladenen drängte und auf Kosten des Chedive den +Festlichkeiten anwohnte. Man berechnet die Zahl der damals +anwesenden Fremden auf 30,000 Personen.</p> + +<p>Der dabei entwickelte Pomp, die Verschwendung, welche +ostensibel zur Schau getragen wurde, sind unbeschreiblich; aber +für den Orient, wo Alles auf Aeußerlichkeit berechnet ist, kann +man sie kaum übertrieben nennen.</p> + +<p>Wenn nun auch der Kanal bei der Eröffnung vollständig +planmäßig hergestellt war, so war doch im Mai 1871 erst die +Ausbaggerung des Kanals soweit vollendet, daß er in seiner +ganzen Länge eine mittlere Tiefe von 8,50 Meter hatte, so +daß Schiffe mit 7 Meter Tiefgang ungehindert den Kanal +passiren konnten.</p> + +<p>Im ersten Jahre hat man noch, eingeschlossen die Ausbaggerung +des Außenhafens bei Port-Said, 563,060 Kubikmeter +ausgeräumt, aber eine im December 1871 vorgenommene +Sondirung in einer Entfernung von je 18,50 Meter vorgenommen +ergab überall die Tiefe als normal. Es bestätigte +sich denn auch, daß der Kanal keineswegs so viel zu leiden +hatte von den Sandwehen der Dünen oder vom Abschwemmen +der Ufer durch den Wellenschlag vorbeifahrender Dampfer. +Ebenso haben die in Port-Said errichteten Molen vollkommen +gut dem schlechtesten Wetter getrotzt, denn einige Senkungen, +welche man übrigens vorausgesehen hatte, haben auf die allgemeine +Sicherheit keinen Einfluß gehabt.</p> + +<p>Die Leichtigkeit, mit welcher der Verkehr vor sich geht, hat +überhaupt alle die bösartigen Voraussetzungen und Meinungen, +die man anfangs mit der Lebensfähigkeit des Kanals in Verbindung +brachte, zu nichte gemacht.</p> + +<div class='center'> +<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary=""> +<tr><td align='center'>Im</td><td align='center'>Jahre</td><td align='center'>1870</td><td align='center'>passirten</td><td align='center'>486</td><td align='center'>Schiffe</td></tr> +<tr><td align='center'>"</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1871</td><td align='center'>"</td><td align='center'>765</td><td align='center'>"</td></tr> +<tr><td align='center'>"</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1872</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1082</td><td align='center'>"</td></tr> +<tr><td align='center'>"</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1873</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1173</td><td align='center'>"</td></tr> +<tr><td align='center'>"</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1874</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1264</td><td align='center'>"</td></tr> +</table></div> + +<p>Seit der Einweihung haben bis Ende 1874 4770 Schiffe +den Kanal passirt mit einem Gesammttonnengehalt von +8,050,338; davon waren circa vier Fünftel Dampfer und nur +ein Fünftel Segler. Die Einnahmen betrugen vom Beginn der +Eröffnung bis Ende 1874 78,317,352 Frs. Am besten wird +das stete Wachsen der Einnahme veranschaulicht, wenn wir +die des ersten Jahres mit 5,159,327 Frs. gegen die des +Jahres 1874 mit 24,859,383 Frs. halten.</p> + +<p>Wir sehen aber, daß bei Weitem der größte Theil der +Schiffe den Engländern gehört, ihr Land also in Wirklichkeit +den größten Nutzen vom Durchstich der Landenge von Suez +gehabt hat. Was würde Lord Palmerston, dieser eifrigste +Gegner des Suezkanales, gesagt haben, hätte er ein solches +Resultat noch erleben können.</p> + +<p>Die jährlichen Ausgaben des Kanals waren auf circa +5,000,000 Frs. veranschlagt, da aber im ersten Semester +1872 die Einnahmen sich schon auf mehr als eine gleiche +Summe bezifferte und da der Transit fortwährend im +Steigen begriffen ist, so kann man mit Zuversicht der Zukunft +entgegensehen.</p> + +<p>Seit dem Juli 1872 hat die Umwandlung des officiellen +Tonnengehaltes in die des sogenannten "gross tonnage" die +Einnahmen um 40 bis 50% gesteigert.</p> + +<p>Längs des ganzen Kanals hatte man von Mitte 1871 +Fluthmesser angebracht auf sechszehn verschiedenen Stationen. +Von sechs Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends wird viertelstündlich +die Höhe des Wassers, die Schnelligkeit der Strömung +des Wassers und die Windrichtung gemessen, so daß man +jeden Augenblick am Tage die Fluthwelle von Port-Said bis +Suez in Erfahrung bringen kann. Das aus dem rothen +Meere kommende Wasser fließt gegen das Mittelmeer mit einer +intermittirenden Geschwindigkeit, welches von der ungleichen +Gezeitung beider Meere verursacht wird.</p> + +<p>Zu erwähnen ist noch, daß die Leuchtthürme von Port-Said +und Suez ebenso wie die, welche längs des Kanals +aufgestellt sind, von electrischem Lichte erleuchtet werden, der +von Port-Said durch magneto-electrische Maschinen, welche +durch Dampf in Thätigkeit gesetzt werden.</p> + +<p>Trotz des großen Aufschwungs, den der Kanal genommen +hat, knüpfen sich an seine Existenz nicht unwichtige Fragen, +welche bei einer eventuellen Unabhängigkeitserklärung Aegyptens +zum Austrag kommen dürften. Jedenfalls besitzen wir aber +dermalen in der Verbindung der beiden Meere ein Werk so +großartig, daß es bis jetzt durch kein anderes Unternehmen +ähnlicher Art übertroffen worden ist.</p> + + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch2_Bauten_in_Afrika" id="Ch2_Bauten_in_Afrika"></a>2. Bauten in Afrika.</h2> + + +<p>Wenn wir hier die Bauweise der in Afrika befindlichen +Völker, soweit es dessen Norden und Centrum angeht, beschreiben +wollen, so sehen wir selbstverständlich von den <i>antiken</i> +Baudenkmälern ab. Allein die Schilderung der Bauten, welche +wir in Aegypten namhaft machen könnten, würde Bände, oder +der, welche wir in den sogenannten Berberstaaten antreffen, seien +es nun Reste der Libyer, Phönicier, Griechen, Römer und Christen +der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, würde Folianten +füllen, wenn Jemand sich der Mühe unterziehen wollte, +ausschließlich diesen Gegenstand zu behandeln.</p> + +<p>Indem wir aber wiederum Aegypten außer unserem Bereiche +lassen, so weit es die <i>neuen</i> Bauten jetzt lebender Generationen +anbetrifft, so glauben wir damit vollkommen im Rechte +zu sein; denn die Paläste, die Moscheen, welche von den +jetzigen Herrschern des Landes der Pharaonen errichtet worden +sind, wurden nicht von den Aegyptern selbst erbaut. Ausländische +Architekten leiteten die Construction, und nur die roheste +Arbeit wurde von den Eingeborenen selbst verrichtet.</p> + +<p>Anders ist es in den Berberstaaten. Obschon auch hier +der christlich-europäische Einfluß sich nicht leugnen läßt, +namentlich bei den Baulichkeiten von Tripolitanien, Tunesien +und Algerien, so finden wir hier doch noch mehr einheimisches +Wesen und Form. Fast ganz rein von europäischen Einflüssen +hat sich die Bauweise in Marokko gestaltet, obschon die monumentalen +Gebäude fast alle aus der Periode her datiren, wo +dieses Reich mit Spanien eng verknüpft war.</p> + +<p>Die colossalen Bauten von Fes, die Djemma-el-Karuin, +die Djemma-Mulei-Dris, die Paläste des Kaisers, drei an der +Zahl, das umfangreiche Schloß des Sultans in Mikenes, die +Djemma-el-Fanal in Marokko selbst, das Lustschloß des Kaisers +ebendaselbst, stammen alle aus der Periode des westlichen +Khalifats.</p> + +<p>Im heutigen Nordafrika können wir die Bauten der Bewohner +der Städte, die Dörfer des sogenannten Tel- oder +Atlasgebietes, die Burgen der Bewohner am Südwestabhange +des Atlas und die Bauten der Oasenbewohner unterscheiden. +Ferner haben wir Zelte, Hütten und Höhlen der Bewohner +Nordafrika's in Betracht zu ziehen.</p> + +<p>Was nun bei den Häusern der Städte (ich nehme hier +Fes, die Hauptstadt des Kaiserreichs Marokko, als Vorbild) +am meisten auffällt, ist, daß das Aeußere vollkommen schmucklos +ist, und daß mit Ausnahme einer niedrigen Thür nirgends +die Einförmigkeit einer weiß überkalkten Mauer durch Fenster +oder sonstige Oeffnungen unterbrochen wird. Wie bei den +alten römischen Wohnhäusern gruppirt sich Alles um einen +Hof, der meistens rechtwinklig und viereckig ist. Im Hofe +selbst befindet sich fast immer eine Cisterne, die das Regenwasser +des ganzen Jahres ansammelt, und da, wo es möglich +ist, in Fes z.B., eine Fontaine mit sprudelndem oder immer +fließendem Wasser. Der Hof selbst ist bei den Vornehmen mit +Marmorplatten oder mit Kieselchen mosaikartig belegt. Aus +diesen nun, zu dem man von der Straße stets durch einen +gewundenen Eingang hineinkommt (damit man nicht von derselben +aus direct in's Innere des Hauses sehen kann), öffnen +sich die Zimmer. Dieselben sind äußerst lang, und nur ausnahmsweise +haben sie eine Breite von mehr als zwölf Fuß. +Meist sind die Zimmer sehr hoch, mindestens immer zwanzig +Fuß. Wenn ein Wohnzimmer z.B. vierzig Fuß lang wäre +und fünfundzwanzig Fuß Höhe hätte, so würden marokkanische +Architekten diesem Zimmer höchstens acht Fuß Breite geben. +Eine große gewölbte Thür, meist in der Mitte angebracht, +führt hinein; dicht neben der Thür, rechts und links, befinden +sich zwei kleine Fenster mit eisernen Gittern, ohne Glas.</p> + +<p>Meist sind parterre mehrere solcher Zimmer um den Hof +herum, und findet sich ein zweiter Stock, so ist die obere Anordnung +eine ähnliche. Es läuft sodann um den Hof eine +Säulenhalle herum, zu welcher man oft mittelst einer im Bau +befindlichen steinernen, oft mittelst einer hölzernen Treppe +hinaufkommt. Man liebt es, im Innern der Zimmer in die +Wände nischenartige Vertiefungen zu machen, welche oft, mit +hölzernen Thüren versehen, als kleine Schränke dienen. Der +Fußboden ist meist mit Fliesen ausgelegt, welche in Fes gearbeitet +werden, oft auch mit kleinen Fliesstückchen, viereckig, +dreieckig, sternartig von Form, und von den verschiedensten +Farben. Mit diesen legt man dann die buntesten Muster zusammen +große Sterne in der Mitte oder der sogenannte +Ring des Salomon bilden immer Hauptfiguren. Diese kleinen +Flieschen, von denen ein einzelnes nicht größer als 1—1-1/2 +Zoll ist, sind glänzend glasirt, heißen "Slädj" und werden +ebenfalls in Fes fabricirt. Der Gesammtanblick einer solchen +Art ausgelegten Fußbodens ist reizend.</p> + +<p>Die Wände im Zimmer sind vollkommen weiß, manchmal +jedoch mittelst Gyps in quadratische Felder abgeheilt. Bei +den Reichen läuft oben, anscheinend um das Gebälk zu unterstützen, +ein Kranzgesimse herum, oft auch eine breite Borte, +welche Koransprüche enthält. Da in Marokko, ausgenommen +bei jenen kleinen "Kubbas", welche als Grabstätten für +Heilige oder Fürsten dienen, nirgends das <i>Gewölbe</i> angewendet +wird, so sehen wir die Decke der Paläste und Wohnungen +<i>nur</i> aus Holz gearbeitet. Oft wird, um eine solche +Decke auszuschmücken, die größte Sorgfalt entwickelt, nicht nur +in Holzschnitzerei, sondern auch in der Auslegung von Holz, +man macht also eine Art "Parquetirung". Dünne, aber +äußerst dicht neben einander liegende Balken bilden das +Gerippe, darüber liegen Bretter, das Ganze wird dann inwendig +teppichartig ausgeschnitzt und oft mit farbigen Holzstückchen +ausgelegt; manchmal enthalten auch die Decken zwischen ihrem +Teppichmuster großbuchstabige Sprüche. Diese Art, auf eine +bunte und gefällige Weise die Plafonds zu schmücken, hat sich +vollkommen gut in Marokko erhalten. Statt die vielen Balken, +welche den Plafond stützen, offen zu zeigen, sind diese +auch wohl mit Brettern beschlagen, welche dann ähnlich geschmückt +werden.</p> + +<p>Thüren, Fenster und Nischen zeigen alle jenen bekannten +Hufeisenbogen, den die Araber erfunden haben sollen. +Sehr oft sind die Bogen selbst auf die phantastischste Art +wieder ausgewölbt und ausgezackt, so daß in einer Bogenhälfte +manchmal bis zehn kleinere Bogen vorkommen. Auch +die Aufstellung von zwei, drei und vier Säulen, dicht bei einander, +findet man heute in Marokko noch in Anwendung. +Als ich einen längeren Aufenthalt in Uesan beim Hadj Abd-es-Salam, +dem Großscherif, hatte, zeigte ich ihm eines Tages +eine Abbildung des Löwenhofes der Alhambra aus Sedillot's +Historie des Arabes. Hadj Abd-es-Salam annectirte das +Buch der Abbildungen wegen (und es ist heute noch in seinem +Besitze) und verreiste dann auf längere Zeit. Als ich zurückkam, +hatte er allerdings nicht einen Löwenhof, aber in seinem +Garten eine reizende Veranda errichten lassen: ein längliches +Viereck mit nach vorn geöffneter Seite. Die "kannelirten +Bogen" wurden von Doppelsäulen getragen, der Fußboden +war aus buntem "Slädj" zusammengesetzt zu einem allerliebsten +Muster, und der Plafond von Holz schillerte von +blauen und goldenen Feldern.</p> + +<p>Die Paläste des Sultans, der Großen und Reichen haben +ganz ähnliche Anordnung, nur daß ihre Wohnungen statt eines +Hofes oft drei, vier oder mehrere Höfe haben und alle Räumlichkeiten +bedeutend größer sind.</p> + +<p>Was die Moscheen anbetrifft, so finden sich im ganzen +westlichen Afrika (nicht blos in Marokko, welches als eigentliches +Westland bei den Marokkanern den Namen "Rharb-djoani" +hat) gar keine, die irgendwie christliche Reminiscenzen +aufkommen ließen. Denn die in Algier befindliche Moschee, +die später als christliche Kathedrale eingerichtet wurde, und +welche vom letzten Dei kurz vor der Eroberung Algeriens erbaut +worden war, zeigt in ihrer ganzen Anlage allerdings +den Styl einer christlichen Kirche, ist aber auch von christlichen +Sclaven und Renegaten erbaut worden. Fast durchweg zeigen +die marokkonischen Moscheen, sowie die der übrigen Berberstaaten +einen großen Hof, der manchmal von einer Säulenhalle +umgeben ist. Nach Osten zu vermehren sich die Säulenhallen +zu verschiedenen Schiffen. So zeigt die Karuin in Fes +so viele Säulen, daß die ganze Moschee 360 haben soll. Die +Säulen selbst, die auf einer einfachen Basis ruhen, sind ohne +Schmuck, und auch das Capital zeigt große Einfachheit. Die +hufeisenförmigen Bogen gehen von Säule zu Säule, so daß, +wo mehrere Schiffe sind, immer vier Bogen an einer Säule +entspringen. Fast in allen Moscheen kann man, wie überall +bei arabischen Bauten, die größten Unregelmäßigkeiten beobachten, +und die Abwesenheit von Harmonie und Verhältnis +tritt überall zu Tage. Es ist als ob z.B. die Höhe der +Säulen eine überaus gleiche sein müßte, so daß man die +Säulen für eine Veranda von zwanzig Fuß Breite eben so +hoch macht wie die, welche das Dach einer Moschee stützen, +welche vielleicht einen Flächenraum von zweihundert Fuß Geviert +hat.</p> + +<p>Die Wände in den Moscheen, welche letztere im Rharb +"Djemma" genannt werden, sind von außen in der Regel +ohne Schmuck, einförmig und fensterlos wie die übrigen Bauten. +Im Innern ist dieselbe Anordnung zu bemerken wie in +den Wohnungen. Die Gebetsnische, "Kybla" genannt, wird +auch heute oft noch durch ein prächtiges Stalactit-Gewölbe +überdeckt; auch diese Kunst hat sich in Marokko erhalten. +Diese Stalactit-Gewölbe, wie man sie genannt hat, sind indeß +weiter nichts wie einfache Auswölbungen; der Stalactitenschmuck +ist von Gyps. In der eigentlichen Sculptur haben +die Araber überhaupt nie etwas geleistet, da ihnen Bilder +aus Stein zu meißeln verboten ist. Ihre ganze Kunstfertigkeit +beschränkt sich daher auf Stuccoarbeit, und hier ließen sie +ihren mathematischen Formen die Zügel schießen. So findet +man denn in Gyps gearbeitet die wunderbarste Art sich kreuzender +Linien.</p> + +<p>Wenn der Reisende im Hofe der großen Djemma el Karuin +zwei prachtvolle Marmorfontainen bewundert und dann vielleicht +sich selber sagen möchte, hier haben doch die Araber in +Steinarbeit etwas geleistet; so wird seine Meinung von den +Eingeborenen in Fes selbst gleich corrigirt werden: "Diese +Fontainen sind von 'Oeludj', d.h. christlichen Sclaven, gearbeitet."</p> + +<p>Der "Mimber" oder die Treppe, welche in keiner Moschee +fehlt, von der das "Kotba", d.h. das Freitagsgebet, gelesen +wird, ist fast immer aus Holz. Hier bemerken wir ebendasselbe, +was wir schon bei den Mauerarbeiten zu beobachten +Gelegenheit hatten. Ebenso wenig, wie die Araber gelernt +haben, aus Stein heraus zu arbeiten, ebenso wenig treffen +wir bei ihnen jene kunstvollen Holzschnitzereien, welche <i>Körper</i> +haben. Die Gebetstreppen sind daher, was die Form anbetrifft, +alle roh und primitiv; aber manchmal ist die Oberfläche +des Holzes ausgravirt, und wir finden dann dieselben oder +ähnliche Linienbilder, welche, wenn sie mit <i>krummen</i> Linien +Bezeichnet sind, "Arabesken" genannt werden, wie wir dieselben +an den Wänden der Mauern in Stucco kennen gelernt haben.</p> + +<p>Man kann also keineswegs sagen, daß die Araber Afrika's +zurückgegangen sind. Aber so wie man in Sevilla und Granada +zur Zeit der Almoraviden und Almohaden, zur Zeit +der größten Glanzperiode der sogenannten "maurischen Architektur", +baute, so baut man noch heute. Man hat keineswegs +verlernt, <i>ebenso</i> zu bauen, aber <i>Fortschritt</i> in der Architektur +ist nirgends zu finden. Man versteht es vollkommen, +jene ogivischen Bogen, jene Porzellanmosaiken, jene Stickereien +auf Gyps und Holz darzustellen, wie zur Zeit der "Abd-er-Rhaman"; +wenn man aber Stillstand in Kunst und Wissenschaft +als <i>Rückschritt</i> bezeichnen kann, dann haben die Araber +entschieden Rückschritte gemacht. So haben sie denn auch +keineswegs gelernt, ihren Bauten irgendwie Solidität zu geben. +Was <i>heute</i> gebaut ist, verfällt <i>morgen</i>. Wären die Alhambra +und die Giralda nicht in Spanien, wären sie der Sorglosigkeit +einer mohammedanischen Zeit ausgesetzt, was würde +von diesen Monumenten arabischer Architektur heute noch erhalten +sein? Und wie lange stehen diese Bauten? Wie lange +stehen sie im Verhältniß zu den Bauüberresten, die uns Aegypten, +Griechenland und Rom überlassen haben, und die, trotzdem +Jahrtausende verstrichen und Zeit und Menschen das Ihrige +thaten, Alles zu vernichten, manchmal in ihren <i>einzelnen</i> +Theilen sich so erhalten haben, als ob sie von gestern wären.</p> + +<p>Die Unsolidität der arabischen Bauten kennzeichnet sich +denn nicht nur in der äußeren Architektur, sondern auch in +der Benutzung des Materials bei den Hauptmauern und +Pfeilern. In keinem einzigen Gebäude der Berberstaaten +finden wir behauene Steine aus Sandstein oder Marmor, +sondern immer nur gebrannte Thonsteine angewandt. Meist +aber sind die großen Mauern, namentlich die von monumentalen +Bauten, aus zwischen Planken schichtweise gepreßten +Steinen, Cement und Kalk errichtet. Diese Mauern halten +sich aber nur dann einigermaßen gegen den Zahn der Zeit, +wenn die äußere Bekleidung vollkommen gut und immer wie +neu unterhalten wird; sonst ist binnen Kurzem die Baute dem +Ruin ausgesetzt.</p> + +<p>Daher liegen denn auch die Bauten, welche von Yussuf +ben Taschfin und Mohammed ben Abd-Allah herrühren, +heut in Trümmern, und selbst die, welche vom letzten oder +vorletzten Kaiser errichtet sind, von Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam +und Mulei Sliman sind halbe Ruinen. Und +ist es selbst in Aegypten anders, wo doch der europäische +Geist heute Alles durchdringen soll? Hörte man nicht oft +genug den verstorbenen <i>Diebitsch</i> klagen, daß wenn das +letzte Ende an einem Palaste fertig sei, der Anfang desselben +zu verfallen beginne?!</p> + +<p>Von den städtischen Bauten bleiben uns nur noch die Befestigungsmauern +derselben und die kleinen Dome zu erwähnen. +Erstere sind durchweg aus gepreßten Mauern errichtet und +hinlänglich stark, um alter Artillerie einige Stunden Widerstand +leisten zu können. Auf denselben führt ein Weg herum, der +nach Außen durch eine mannshohe krenelirte Mauer aus +Backstein geschützt ist. Man bemerkt nirgends irgend einen +Plan, nirgends fortifikatorischen Sinn, um die Befestigungen +irgendwie dem Terrain anzupassen; nur die Ausdehnung +der Stadt selbst giebt das Maß der äußeren Schutzmauer ab. +Unterbrochen und flankirt werden diese Umfestigungsmauern +durch viereckige oder runde Thürme, deren Hälfte außerhalb +der Mauern hervorspringt; sie sind in der Regel halb mal +höher und dienen hauptsächlich dazu, die Kanonen aufzunehmen. +Oft noch durch Gräben beschützt, bieten auch diese kein ernstliches +Hinderniß. Bastionirte Mauern, Außenwerke, mögen es +nun Fleschen, Lünetten oder gekrönte Bastionen sein, kennt +man in den Berberstaaten nicht, und wenn auch die Hauptstadt +Fes zwei bedeutende Außenwerke besitzt, so sind diese +nicht von den Arabern errichtet, sondern von Renegaten +(Oeludj) unter der Regierung des Sultan Sliman, Großvaters +des jetzt regierenden. Was die erwähnten kleinen Dome anbetrifft, +so dienen sie, wie schon angeführt, zu Grabstätten und +sind die einzigen Gebäude<a name="FNanchor_1_1" id="FNanchor_1_1"></a><a href="#Footnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a>, bei denen der Araber sich in +Gewölben versucht hat. Meist ist die Grundform viereckig, +aber <i>nie rund</i>. Die Kuppel hingegen oder das Dach ist +fast immer <i>rund</i>, häufig achteckig. Bei der Ausschmückung +der Wände und des Fußbodens wird derselbe Plan innegehalten +wie oben bei den übrigen Baulichkeiten auseinandergesetzt +wurde. Die Wölbung ist meist durch eingeschobene +Holzquerbalken unterstützt. Das Material besteht entweder +aus gebrannten Ziegeln oder unbehauenen Feldsteinen. Man +findet diese Kubba in den Städten und überall auf dem Lande +zerstreut; in den Städten bilden sie häufig gleichsam eine Art +von Nebenkapelle, die an eine große Moschee angebaut ist.</p> + +<p>Von den Wohnungen der Landleute nördlich vom Atlas +läßt sich nur wenig sagen. Dieselben bestehen, ob sie nun +von Berbern oder Arabern (und es giebt in den Berberstaaten +mehr seßhafte Araber, als gewöhnlich angenommen +wird) herrühren, immer nur aus einem Zimmer, das hausartig +gebaut ist; oft sind sie aus gestampften Massen, oft auch aus +Feldsteinen aufgebaut. Auf 20 Fuß Länge sind sie circa 8 +Fuß breit und 8 Fuß hoch und von einem circa 6 Fuß hohen +Strohdache bedeckt. Im Innern ist der Fußboden gestampfter +Lehm; der Plafond besteht aus Rohr, welches manchmal auf +Aloë-Balken, manchmal auf anderen Holzästen, die einen weniger +geraden Wuchs haben, ruht.</p> + +<p>Sehr häufig sind die Wände der Mauern auswendig und +inwendig gekalkt, sonst aber ganz ohne Schmuck, mit einer +niedrigen, circa 4 Fuß hohen Thür, manchmal mit ogivischem +Bogen, manchmal viereckig. Fenster und Rauchfänge sind nicht +vorhanden. Eine Familie hat in der Regel zwei oder drei solcher +Häuser, die, durch Mauern verbunden, einen viereckigen Hof +einschließen, der zugleich Nachts für das Vieh dient.</p> + +<p>Ganz anderer Art sind die Wohnungen der Bewohner südlich +vom großen Atlas, der Bewohner des Sus- und Nun-Districts. +Der fortwährend unsichere Zustand jener Gegend +hat es nothwendig gemacht, daß dort Jedermann darauf bedacht +sein mußte, sich Schutz gegen seinen Nachbar zu suchen. +So findet man hier denn auch keineswegs kleine oder große +Dörfer, sondern Burgen. Ein solches Schloß—man kann +sie wegen ihres stattlichen Aussehens in der That so nennen—ist +oft so groß, daß es mehrere Familien beherbergt; es +giebt feste Burgen, die einen Quadratraum von 500 Fuß einnehmen. +Diese Bauten sind circa 50 Fuß hoch, von außen +von starken, oft 5 bis 6 Fuß breiten Steinmauern (die Steine +sind entweder unregelmäßig gebrochene oder wie man sie gerade +gefunden hat) aufgeführt und oben krenelirt. Ein Thor, +zuweilen mit einer Fallthür versehen, und immer so eingerichtet, +daß aus zwei Seitenzimmern der Eingang durch Scharten beschossen +werden kann, führt in einen großen geräumigen Hof. +Dieser, sowie die unteren Gemächer, dienen für's Vieh. In +den oberen Räumen hält sich die Bewohnerschaft auf. Zu +diesem Stockwerk führt eine aufziehbare Leiter, und das flache +Dach, mit gestampfter, auf Balken ruhender Erde gedeckt, dient +zu gleicher Zeit zur äußeren Verteidigung. Eine Cisterne im +Innern vervollständigt das Ganze. Kellerräume sind aber +ebensowenig bekannt wie nördlich vom Atlas.</p> + +<p>Als eigenthümlich der Gebirgslandschaft nördlich vom Sus +erwähne ich noch die vielen öffentlichen Cisternen modernen +Ursprungs. Man findet sie überall und namentlich längs der +Wege. Sie sind ähnlicher Art wie die römischen, was die +Form anbetrifft, aber weniger solid und weniger <i>großartig</i> +gebaut. In der Regel 20 bis 25 Fuß lang auf 8 bis 10 +Fuß Breite, sind sie 10 bis 12 Fuß tief und erheben sich blos +mit dem <i>gewölbten</i> Dache aus dem Erdboden heraus. Aus +ungehauenen Steinen errichtet, ist das Innere cementirt, und +durch ein Loch des Gewölbes wird das Wasser herausgeschöpft; +gespeist werden die Cisternen durch Rinnsale.</p> + +<p>Es ist hier nicht der Ort, die Wohnungen der nomadisirenden +Völker Nordafrika's zu beschreiben; aber auch diese haben +mannigfache Formen und Verschiedenheiten. Das aristokratische +Zelt der Uled Sidi Schich, immer auf der Spitze mit drei Bündeln +Straußfedern geschmückt, unterscheidet sich von dem ärmlichen +Zelte der meisten östlichen Triben, wie das große Haus +mit mehreren Höfen der Hauptstadt sich von der einfachen Wohnung +des Djerdjuragebirges unterscheidet. Aber nicht unerwähnt +können wir die Höhlenwohnungen der Bewohner des Ghoriangebirges +lassen. Meist sind diese Höhlen in Lehmboden hineingearbeitet, +und sind einfache Aushöhlungen, in der Regel von +kreisrunder Form. Man bemerkt gewöhnlich eine Vorkammer +und ein hinteres, größeres Gemach; der Plafond ist wie gewölbt. +Oben hinaus befindet sich meist eine Oeffnung zum +Abzuge des Rauches. <i>Richardson</i> will im Ghoriangebirge +auch Wohnungen in Felshöhlen gesehen haben; es ist übrigens +fraglich, ob diese modernen Ursprungs sind. Es ist wahrscheinlich, +daß dies antike libysche Höhlen sind, wie man deren +namentlich in Cyrenaica noch viele antrifft.</p> + +<p>Betrachten wir nun, nachdem wir einen Ueberblick der +Bauten des nördlichen Afrika's gewonnen haben, die Wohnungen +der Völkerschaften der Sahara.</p> + +<p>Mit Ausnahme der zum Theil nomadisirenden Tuareg sind +alle Bewohner der Sahara seßhaft; denn die Araber, welche +in die große Wüste hineingegangen sind, haben alsbald das +Zelt gegen das Haus vertauscht.</p> + +<p>Im Grunde kommen bei den Bauten der Oasenbewohner +denn auch dieselben Bauregeln und Pläne beim Einrichten ihrer +Moscheen und Wohnungen in Anwendung, wie bei ihren nördlichen +Brüdern. Bei der wohlhabenden Classe befindet sich in +ihrer Wohnung meist ein Aufzimmer, d.h. ein Fremdenzimmer, +auf das platte Dach des Hauptgebäudes hin errichtet. Wie +immer hat dieses einen Hof, bei den Reichen auch mehrere, +und auf den Hof öffnen sich die langen und schmalen Zimmer. +In manchen Oasen sind die Gebäude krenelirt, aber mehr zum +Schmucke als zur Vertheidigung.</p> + +<p>Wenn aber schon bei den Arabern im Norden auf dem +Tel wenig behauene Steine in Anwendung kommen, so finden +wir in der Wüste als Material nur gestampfte Erdmasse oder +an der Sonne getrocknete Thonziegel. Alles Gebälk und Holzwerk +besteht aus dem Holze der Dattelpalme. Man wird leicht +einsehen, daß mit so geringem Material nichts Besonderes in +der Architektur geleistet werden kann.</p> + +<p>Dennoch finden wir in den westlichen Oasen der Sahara +Manches, was auf innigen Contact mit Marokko hinweist. +Es sind die Grabdenkmale von Sidi-Hammed-ben Nasser in +Tamagrut, Hauptstadt der Oase Draa, dann das prächtige +Grabmal Mulei-Ali-Scherif's bei Abuam, Hauptstadt von +Tafilet, inwendig auf's Reichste mit "Slädj" ausgeschmückt. +Ja, man hat sich sogar nicht gescheut, für das Dachwerk (die +Grabmäler sind nicht gewölbt) Holz vom Atlas kommen zu +lassen, und die das spitze Dach bildenden Balken und Bretter +sind hübsch mit arabeskenartigem Schnitzwerk und Malerei +versehen.</p> + +<p>Im Uebrigen sind die Moscheen oder Djemmen in den +Oasen nach denselben Grundsätzen gebaut; bei den meisten fehlt +jedoch ein eigentlicher Thurm oder Minaret. Ersetzt werden +die Minarets durch thurmähnliche, zwei Stockwerke hohe Anbauten, +welche nach oben an Umfang abnehmen. Bei sehr +vielen Gebäuden der Vornehmen in den Ortschaften der Oasen +finden wir ebenfalls jene thurmartigen Anbauten, die zuweilen +auch als Wartthürme dienen.</p> + +<p>Besonders zu erwähnen sind in der Sahara an den großen +Straßen noch die einfachen Bezeichnungen einer Moschee durch +Steine. Man deutet gewissermaßen nur den Grundriß einer +Djemma durch Steine an. Sie werden jedoch von jeder vorübergehenden +Karawane zum Gebet benutzt, und auch hier +zeigt die Ausbuchtung oder Kibla die Gebetsrichtung an.</p> + +<p>Die Wohnung der Großen und um so mehr die der ärmeren +Bevölkerung der westlichen Oasen sind alle einstöckig. Die der +ersteren sind oft kastellartig gebaut und befinden sich dann +außerhalb der Ortschaften, so die Wohnungen der marokkanischen +Prinzen in Tafilet, der Schechs in Tuat, der Häuptlinge der Tuareg +in Rhat und Air. Architektonische Verzierungen sind hier fast +gar nicht mehr zu finden, nur findet man die ogivische Thür +noch überall vorherrschend. Besonders um sich gegen die Hitze +zu sichern, findet man die Erdwände der Häuser sehr dick und +das Palmbalkendach durch eine enorm hohe Erdschicht überdeckt. +Die Thüren sind überall so niedrig, daß man nur tief +gebückt hineintreten kann. Aber so vergänglich sind diese +Bauten, daß ein ausnahmsweise eintretender Regen oft ganze +Ortschaften im wahren Sinne des Worten hinwegschmilzt.</p> + +<p>In den meisten Oasen sind die Städte und Dörfer befestigt; +einige größere haben sogar Thürme an die meist 20 Fuß hohe +Mauer angebracht. Die Mauern, oft aus gestampftem Erdboden, +oft aus Feldstein, durch Thon zusammengehalten, erbaut, +sind meist krenelirt. Die Thore, welche hindurchführen, sind +nie gewölbt, meist einthürig und nur so breit, daß ein beladenes +Kameel hindurch gehen kann.</p> + +<p>Ist der ganze Tel wie übersäet mit jenen kleinen Domgrabmälern, +so lassen sich die der großen Sahara, welche an Ausdehnung +so groß wie Australien ist, zählen. Die Grabmonumente +sind der einfachsten Art; ein Haufen Steine, manchmal +am Kopfende durch einen besonders großen angezeichnet, das +ist die letzte Grabstätte der Wüstenbewohner.</p> + +<p>Vor allen anderen Oasen zeichnen sich jedoch in der Bauweise +zwei aus, die Oasen von Siuah und Rhadames, und wenn +nicht schon die übereinstimmende Aussage der Bewohner dieser +Ortschaften ihren verwandtschaftlichen Ursprung bezeugte, wenn +nicht dies schon bewiesen wäre durch ihre selbe Sprache, welche, obschon +beide Oerter durch einen Raum getrennt sind, der durchaus +Wüste ist und in gerader Linie wenigstens so viel beträgt, wie +von Paris bis Königsberg, so würde die innige Verwandtschaft, +welche sich in der Bauweise beider Oerter kundgiebt, gleich auf +gemeinsamen Ursprung hinweisen.</p> + +<p>Was besonders die Bauart beider Oerter auszeichnet, sind +die Höhe der Wohnungen und die bedeckten Straßen, welche +mehr unterirdischen Gängen gleichen, als offenen Wegen. In +Rhadames sowohl wie in der heutigen Hauptstadt des alten +Ammonium, in Siuah, sind die meisten Häuser drei Stock, ja +in Siuah viele fünf Stockwerke hoch. Während aber im reichen +Rhadames sowohl im Innern der Häuser als im Aeußern sich +ein gewisser Luxus kund giebt, alle geweißt ist, und die Mauern +meist aus, wenn auch unbehauenen, Steinen gebaut sind, so macht +man in Siuah die Wohnungen nur aus Lehm, und trotzdem +die architektonischen Vorbilder der Aegypter und Griechen +noch heute vor Augen stehen, sind sie höchst mangelhaft gebaut. +Die Wohnungen der Rhadamser und Siuahner unterscheiden +sich auch noch dadurch von den übrigen Wohnhäusern in der +Sahara, daß sie keinen, oder selten doch nur einen sehr kleinen +Hof im Innern haben: Alles ist in Zimmer und kleine Gemächer +getheilt. Oben mit platten Dächern versehen, bilden +diese Dächer in Rhadamas zugleich die <i>Straßen</i> für die +Frauen. Obschon durch Brustwehr von einander getrennt, +werden diese von den Frauen überklettert, und ihr <i>Verkehr</i> +findet nur über den Köpfen der Männer statt. In Rhadames +herrscht Hufeisenform bei der Thürbildung, in Siuah eine viereckige +Form vor.</p> + +<p>Natürlich nicht zum Nomadisiren eingerichtet, verdienen die +Palmenhütten der Beni Mohammed in Draa und Tafilet und +einzelner Familien in Audjila und Fesan noch Erwähnung; +sie sind vollkommen kunstlos aus Palmenzweigen errichtet, bald +mit plattem, bald mit spitz zulaufendem Dache versehen, und auch +dieses Dach ist aus Palmenzweigen gefertigt. In Fesan und +Audjila sind die Seitenmauern dieser Hütten, welche manchmal +viereckig, manchmal rund sind, zuweilen aus Stein oder Thon, +und die Thüren immer so niedrig, das man hindurch <i>kriechen</i> +muß.</p> + +<p>Vortheilhaft, was Reinlichkeit und symmetrische Anordnung +betrifft, zeichnen sich die Wohnungen der Tebu aus. In +Kauar sind sie kreisrund; die Seitenwände sind aus Stein +brusthoch ausgeführt und dann überdeckt mit Palmenreisern, +Stroh und Matten. Dr. <i>Nachtigal</i> sagt von den Bewohnern +Tibesti's: "Alle ihre Wohnungen so kunstlos, und einfach sie +sind, zeichnen sich durch die größte Nettigkeit und Sauberkeit +vor denen ihrer arabischen und fesanischen Nachbarn vortheilhaft +aus. Vor der Hütte haben sie nicht selten einen gehärteten +Erd- oder Lehmplatz, der frisch mit Sand bestreut wird, und +die hervorragenden Männer eine Art offener Halle, ebenfalls +aus Palmenzweigen geflochten, vor ihrer Wohnung, in der sie +Besuche empfangen."</p> + +<p>Es bleibt uns nur noch übrig, die bewegliche Wohnung +der nomadisirenden Bevölkerung der Sahara zu beschreiben, +das Zelt der Tuareg. Der Araber ist eigenthümlicher Weise +in der großen Sahara nie heimisch geworden. Ist er ja dahin +gedrungen, so hat er sich seßhaft gemacht. So haben die +Mehammedin in Draa und Tafilet das Zelt gegen die Palmenhütten +vertauscht. Die einzelnen Familien aber, die wir in +Fesan, Rhat und anderen südlichen Oasen finden, haben Häuser. +Nur die nach Kanem vertriebenen Uled Sliman haben +bis jetzt das Zelt bewahrt, aber es ist kaum zu bezweifeln, +daß auch sie über kurz oder lang das bewegliche Haus +mit dem festen vertauschen werden, wie die Schoa und Uled-Raschid-Araber, +die noch weiter im Innern Afrika's sich +eine neue Heimat mitten zwischen den Negern gründeten.</p> + +<p>Das Zelt der Tuareg ist sehr einfacher Art. Im Allgemeinen +der länglichen Form der Araberzelte entsprechend, sind +die Tuaregzelte bedeutend kleiner und niedriger. Kaum sechs +Personen haben in ihrem Tuaregzelte Platz. In einem Araberzelte +wird das Dach immer durch zwei, im Tuaregzelte +durch eine Zeltstange unterstützt. Der Stoff besteht bei jenen +aus grobem Haar und wollenen Zeugen, bei diesen aus gegerbtem +Leder. Nach Duveyrier sind die Lederzelte oft roth +gefärbt und gut genäht.</p> + +<p>In Centralafrika angekommen, bemerken wir vorweg, daß +wir <i>nirgends</i> Wohnungen nicht seßhafter Völker haben; +denn die früher nomadisirenden Pullo haben mit der Erreichung +ihrer größten Ausdehnbarkeit sich jetzt überall dauernde +Wohnungen gebaut. Die Stämme aber, die vom Nomadenvolke +par exellence, dem arabischen, abstammen und bis +nach Centralafrika vorgedrungen sind—ich nenne davon nur +die Schua-Araber westlich und südwestlich vom Tschad—selbst +diese haben längst ihr Zelt, diese luftige Behausung der +Jäger- und Hirten-Völker, aufgegeben und sich nach Art der +Neger in soliden Bauten seßhaft gemacht.</p> + +<p>Man kann bei den Negern Centralafrika's hauptsächlich +drei Arten von Wohnungen unterscheiden: große aus Thon +oder Luftziegeln erbaute Häuser, welche offenbar unter arabisch-berberischem +Einfluß entstanden sind, verschiedene Hüttenwohnungen +runder Form, entweder aus Strohmatten oder +aus Thon oder Luftziegeln errichtet, und endlich große Häuser +mit Giebeldächern, vielleicht durch europäischen Einfluß von +der Küste aus nach Afrika verpflanzt.</p> + +<p>In allen uns bekannten Ländern Centralafrika's, Bornu, +Bagermi, Socoto, Gando, Uadai, Adamaua, Bautschi und anderen, +sind die Wohnungen der Fürsten, der Großen des +Reichs, der vornehmen Kaufleute, die Moscheen und Bethäuser +aus soliden Mauern mit flachen Dächern errichtet. Es scheint +sogar, daß man einzeln, obschon nie mit behauenen Steinen, +so doch an manchen Orten mit <i>gebrannten</i> Ziegeln gebaut +habe. So will <i>Barth</i> in Massenña (III. S. 346) Gebäude +aus <i>wirklich gebrannten</i> Backsteinen beobachtet haben und +er erwähnt bei der Gelegenheit: "auch die alte Birni (Hauptstadt) +von Bornu soll aus Backsteinen gebaut gewesen sein."</p> + +<p>Was uns anbetrifft, so haben wir jedoch <i>nirgends</i> im +"schwarzen Afrika" gebrannte Steine in Anwendung gesehen, +nur Luftziegel und aus Thonziegeln und aus Thon aufgelegte +oder gepreßte Mauern. Zu den großen Gebäuden der +Fürsten, fast ohne Ausnahme ein Stock hoch, sind trotzdem +verhältnißmäßig dicke Mauern genommen, um das starke, mit +Thon überlegte Dachgebälk tragen zu können. Von außen +sieht eine solche Burg meist einförmig aus, da oft nur Eine +Thür Unterbrechung in die schlichte Wand bringt. Sehr oft +ist übrigens die Brüstung des flachen Daches auf phantastische +Art geziert. Das Innere einer solchen Fürstenwohnung enthält +große Zimmer und Hofräume.</p> + +<p>Erstere erhalten Licht durch die Thüren und manchmal +durch große viereckige Oeffnungen, die sich in den Wänden +befinden, welche nach den Höfen zu gerichtet sind; oft sind die +Gemächer vollkommen dunkel. Wenn die Räume sehr groß +sind, so wird die Spannung der Deckbalken durch kolossale +Thonpfeiler gestützt. In einigen Hauptstädten sehen wir sogar +Bogen, hufeisenförmig gewölbt, die Decke unterstützen; wie +die Pfeiler sind dieselben aus gehärtetem Thon. So finden +wir bei <i>Barth's</i> (II. 124) Beschreibung des Palastes von +<i>Kano</i>: "Die Gemächer sind nicht sehr dunkel, das Hauptgemach +ist aber sehr schön, ja großartig zu nennen. Der +ganze Charakter desselben machte um so mehr Eindruck, da +die Tragbalken nicht zu sehen waren, während zwei große +Kreuzbogen, aus demselben Material wie die Wände, überaus +sauber geglättet und reich verziert, das Ganze zu tragen +schienen. In der hinteren Wand waren zwei geräumige +Nischen, in deren einer der Fürst Platz zu nehmen pflegt."</p> + +<p>In derselben großartigen Weise sind in centralafrikanischen +Ländern die Wohnungen der Fürsten eingerichtet, die sich dem +Islam in die Arme geworfen haben; der Einfluß der Träger +der Religion ist unverkennbar.</p> + +<p>In diesen dem Islam zum Theil huldigenden Staaten sind +die Moscheen ähnlich wie die in den nordafrikanischen Staaten +erbaut, nur noch aus bedeutend schlechterem Material; denn +wenn gebrannte Steine in Bornu, Bagermi, Uadai, Adamaua, +Kano, Gando und noch anderen Negerkönigreichen nicht im +Gebrauche sind, so hat man auch keinen Kalk, oder wenigstens +versteht man ihn nicht zu brennen und zu bereiten, das heißt +zu löschen. Im großen Königreich Bornu kommen Kalkgesteine +überdies nicht vor oder wären nur von den angrenzenden +Ländern unter den größten Mühseligkeiten zu beziehen. Aus +den zahlreichen Conchylien des Tschad-See's und der Flüsse aber +verstehen die Neger keinen Kalk zu brennen. So bleibt ihnen +denn weiter nichts Anderes übrig, als die Luftziegel durch +Thon zu verbinden oder aus Thon und Sand zusammengepreßt +die Hauswände zu bilden.</p> + +<p>Man findet häufig die Wände der Moscheen und die +Wohnungen der Großen wie geweißt; es rührt dies nicht von +einer Verkalkung oder Vergypsung her, sondern ist einfach ein +Ueberstrich von einem sehr weißen und feinen Thon. Dieser +ist so fett und fein, daß er gar keine Sandpartikelchen enthält; +ganz in der Nähe von Kuka findet man im Nordwesten +der Stadt mächtige Lager davon einige Fuß tief unter dem +schwarzen Humus.</p> + +<p>Architektonisch zeichnen sich die Moscheen keineswegs aus. +Etwa 20 Fuß hohe, aus Thon aufgeführte Mauern umgeben +einen offenen Hofraum; nach der nach Mekka gerichteten +Seite sind durch plumpe, vier- oder achteckige Erdpfeiler +gebildete Bogengänge, meist in zwei oder drei Reihen, vorhanden, +die dann ein oder zwei Schiffe, wenn man diese so +nennen will, bilden. Nach dieser Seite zu befinden sich auch +die Kibla und das Mimber. Irgend eine Ecke einer solchen +Moschee bildet eine thurmartige Erhöhung, und dient als +Minaret oder Sma.</p> + +<p>Hier wollen wir denn auch der Befestigungen erwähnen, +wie sie in den meisten centralafrikanischen Städten üblich sind.</p> + +<p>Im Vergleich zu dem schlechten Mauerwerk der heutigen +Araber- und Berberstädte in Nordafrika und in Anbetracht, +daß in Centralafrika nirgends beim Kriegführen Feuerwaffen +großen Kalibers gebraucht werden, sind dieselben sehr gut zu +nennen. Die Befestigungen der Negerortschaften sind derart +angelegt, daß man sieht, dieselben sind ganz ihren Verhältnissen +und ihren Umständen angemessen, für dortige eventuell +sich ereignende Fälle geschaffen.</p> + +<p>Meist sind die Lehm- oder Thonmauern nach außen zu fast +steil oder doch nur sehr wenig geböscht abfallend, circa 20 +bis 30 Fuß hoch und fast immer mit einem tiefen, jedoch +nicht sehr breiten Graben nach außen umgeben. Kuka z.B. +hat eine Mauer aus hartem Thon, die circa 25 Fuß hoch ist +und nach außen zu fast senkrecht in einen 12 Fuß tiefen Graben +abfällt. Nach innen jedoch verbreitert sie sich dachartig +durch Stufen nach unten, derart, daß oben die äußerste Kante, +welche zugleich als Brustwehr dient, circa 4 Fuß hoch und +nur circa 2 Fuß breit ist, während die Basis der ganzen +Umfassungsmauer ebenso breit wie hoch ist. Die Thore +durch solche Erdmauern oder Erdwälle sind manchmal überdacht, +manchmal offen; immer aber ist unten die Thür enger +als oben und vor Erdnachsturz durch Gebälkauskleidung geschützt. +In den Städten großer Reiche sind die Gräben ordentlich +überbrückt mittelst soliden Balkenwerks, so daß die schwersten +Lastthiere hinüber passiren können. Nicht so ist es bei +den kleineren Städten auf der Grenze des Islam und des +Heidenthums.</p> + +<p>Südlich von Keffi-abd-es-Senga begegnete es mir mehrere +Male, daß ich vom Besuche einer solchen schwer zugänglichen +Stadt abstehen mußte. Ueber den allerdings nicht sehr breiten, +aber tiefen Graben führte zum Thore der Stadt nur <i>Ein +einziger schwankender Palmstamm</i>. Meine noch dazu +mit großen Elfenbeinzähnen beladenen Begleiter gingen sicher +und festen Schrittes hinüber; vom Schwindel ergriffen, wollte +ich indeß solch ein Seiltänzerkunststück nicht wagen und blieb +zurück. Ja, selbst als eines Tages schon alle Diener hinüber +waren, und nach einem anstrengenden Marsch ein lukullisches +Negermahl winkte, konnte ich es doch nicht über mich bringen, +über einen so schwankenden Stamm dahin zu schreiten. Ich +versuchte hinüber zu klettern, fand aber bald, daß die Neger +mich auslachten, und ich verzichtete auf diese Art, ihre Stadt +zu besuchen, da ich zu sehr in ihrer Achtung sinken würde. +Auch widerstand ich dem Anerbieten, die Schultern eines der +Neger zu besteigen; es blieb nichts Anderes übrig, als auf +den Besuch der Stadt zu verzichten.</p> + +<p>Einzelne Städte haben außer dem Walle und dem äußeren +Graben noch einen inneren und fügen Verhaue und Dornhecken +hinzu, um dem Feinde das Annähern zu erschweren. So berichtet +<i>Barth</i> II. S. 211 von den Manga, daß sie außer +der Erdmauer und dem Graben noch ein Dornverhack hatten, +das sich 10 Fuß dick außerhalb herumzog; in Band II. S. +184 von Birmenaua, daß dies ein kleiner, aber stark befestigter +Ort sei mit zwei Gräben, einem innerhalb, einem außerhalb +der Mauer.</p> + +<p>Am unvollkommensten finden wir die Hütten da, wo der +mohammedanische Glaube Eingang gefunden hat. So im +ganzen Norden von Centralafrika. Eine Hütte in Kuka von +runder, nach oben spitz zulaufender Form hat circa 12 bis +15 Fuß an der Basis im Durchmesser. Das aus Holz oder +Rohr ausgeführte Gerüst ist mit Stroh überdeckt; eine Thür, +oft gewölbt, oft eckig, bildet den Eingang. Aber selbst hier, +wo in der Stadt der Fürst und alle Großen, wie die reichen +Kaufleute Thonwohnungen haben, bildet die Hütte die Nationalbehausung. +Das Innere ist äußerst reinlich gehalten und +enthält manchmal eine mannshohe Scheidewand aus Matten, +um verschiedene Familienglieder von andern abzusondern. +Wenigstens zwei, oft drei bis vier solcher Hütten bilden ein +Haus, ein Gehöft. Umschlossen sind sie von einer thönernen +Mauer, oderauch von übermannshohen Matten, welche durch +in die Erde gerammte Stämme aufrecht gehalten werden.</p> + +<p>Am schönsten finden wir die Hütten da, wo sie vollkommen +aus <i>eigenem</i> Bautriebe der Neger hervorgegangen sind, bei +den Negern, die noch dem Heidenthum anhangen.</p> + +<p>So berichtet <i>Barth</i> von den Marghi-Hütten (II. S. 463): +"Die Hütten haben vor ihrer Thür Rohrschwellen, die manchmal +umklappbar sind, und inwendig sind die Fußböden schon +gepflastert;" oder II. S. 525 von Adamaua: "In Ssarau besteht +eine Wohnung aus mehreren Hütten mit Lehmwänden +und vortrefflich geflochtenem Rohrdach; diese Hütten sind durch +Lehmwände mit einander verbunden, so daß das Ganze ein +abgerundetes Dreieck bildet. Die eine Hütte bildet den Eingang, +die anderen beiden sind für die Frauen. Die Eingangshütte +hat eine 3-1/2 Fuß hohe und 16 Zoll breite <i>eiförmige</i> +Thür; es befindet sich hier ein Ruhebett, 7 Fuß lang und +5 Fuß breit und 3 Fuß über der Flur, außerdem eine Feuerstelle. +Die hellbraunen Wände der Hütte sind mit allerdings +nicht kunstvollen Gegenständen von weißer Farbe bemalt. Die +beiden andere Hütten sind ähnlich, enthalten zwei Rohrbetten, +wovon eins für die Frau durch eine Scheidewand von dem +übrigen Raume der Hütte getrennt ist. Diese 5 Fuß hohe +und 4 Zoll dicke Scheidewand ist ebenfalls braun und mit +weißen Streifen geziert; oben ist sie durch abwechselnd schalenartige +und pyramidale Aufsätze gekrönt, welche ebenfalls verschiedene +Farbe haben. Die Thüren sind auch hier <i>eiförmig</i> +und noch kleiner, nur 2 Fuß hoch und 10 Zoll breit. Diese +heimlichen Wohnungen übertreffen durch Harmonie der Farbentöne +ihre Schwestern" u.s.w.</p> + +<p>Am vollkommsten fand <i>Barth</i> den Hüttenbau wohl im +Lande der Musgu. So berichtet er II. S. 158: "Jeder Hof +hat drei bis sechs Hütten, sie sind aus Thon, und die Umschließungsmauer +bei den Wohlhabenden aus demselben Material +die der Aermeren aus Rohr und Holz. Die Dächer sind mit +Sorgfalt gedeckt und weit besser als Strohdächer. <i>Die +Musguhütten zeigen in der Form ihrer Giebelung +selbst Spuren verschiedener Style, die vielleicht +auf eine gewisse Stufenfolge im Leben zurückzuführen +sind</i>."</p> + +<p>Ueberall findet man in diesen Gehöften, die nicht nur die +Städte und Dörfer zusammensetzen, sondern da, wo die Sicherheit +der Gegend es zuläßt, auch über die Landschaften vereinzelt +anzutreffen sind, die dem Neger so unentbehrlichen +Nebenbaulichkeiten. Wir erwähnen hier zuerst des Schattendaches, +welches man in jeder Wohnung antrifft.</p> + +<p>Diese Schattendächer ruhen auf 4 oder 6 Pfählen, welche +nur oben mit einem dicken Strohdache oder Mattenwerk bedeckt +sind. Unter ihnen ist gewöhnlich ein Rohrbett und Platz +genug, daß auch die Hausfrau ihre Arbeiten im Schatten +verrichten kann. Dann findet man in jedem Hofraum große +Thonbehälter, oft auf Steinen ruhend, zum Aufbewahren von +Korn; manchmal sind sie sehr künstlich eingerichtet. <i>Barth</i> +sagt III. S. 158 bei der Beschreibung eines Musgu-Hofes: +"Jeder Hofraum hat einen 12 bis 15 Fuß hohen Kornbehälter +aus Thon und ein Schattendach. Die Kornbehälter haben +ein gewölbtes, ebenfalls aus Thon bestehendes Dach mit einer +aufspringenden Mündung, welche wieder von einem kleinen +Strohdache geschützt wird." An einer andern Stelle sagt +<i>Barth</i>: "Die Kornbehälter auf 2 Fuß Unterlagen haben +eine Höhe von 15 Fuß und verjüngen sich nach oben. Sie +haben nur eine Oeffnung am oberen Theile und sind ähnlich +den ägyptischen Taubenhäusern." Außerdem findet man häufig +Veranden vor den Hütten und überdachte Kochstellen.</p> + +<p>Die vollendetsten Hütten trifft man, wie schon gesagt, da, +wo das Heidenthum herrscht. Eine Hütte hat in der Regel +15 Fuß Durchmesser, und die Thonwände, oft dick, oft nur +1/2 Fuß dünn, sind in der Regel 4 bis 5 Fuß über der Erde. +Das Dach ruht ganz frei auf dem runden Thonbau; in den +meisten Gegenden wird es zu ebener Erde fertig gebaut und +vollendet erst auf die Thonmauer gleichsam wie ein Deckel gelegt. +Der Boden ist überall festgestampft und bildet manchmal +einen aus kleinen Steinchen zusammengegossenen Mosaik.</p> + +<p>Im Innern der Hütte sind verschiedene Scheidewände und +außer dem beweglichen Rohrbette befindet sich wenigstens ein +festes Thonbett darin. In kalten Gegenden, z.B. auf dem +Gora-Gebirge, beobachtete ich, daß die Thonbetten hohl und +von <i>inwendig zu heizen</i> waren. Die größte Sorgfalt +wird immer auf die Eingangshütten verwendet; diese haben +natürlich immer zwei Thüren. Eine Hütte des Sultans von +Akun, den ich besuchte, zeigte sogar zwei Dächer, wovon das +obere offenbar nur zum Schmuck angebracht ist. Manche Eingangshütten +sind colossal groß, sowie die des Sultans von +Keffi-abd-es-Senga; diese diente zugleich als Versammlungort +seiner Gäste, war viereckig und hatte mit einem außerordentlich +hohen Dache eine Veranda verbunden.</p> + +<p>Eine ähnlich große Empfangshalle traf Schweinfurth auf +seiner Reise im östlichen Centralafrika. Die L.I. Zeitung +Nr. 1542 vom Jahre 1873 giebt ein anschauliches Bild davon. +Die große Festhalle, in der Schweinfurth empfangen wurde, +war von vielen Hundert Menschen gefüllt. Es waren die +achtzig Lieblingsweiber des Königs Munsa anwesend, eine +Musikbande und alle seine Trabanten. Die Empfangshalle +selbst hatte die Form unserer modernen großen Eisenbahnhallen.</p> + +<p>Die kunstlosen Hütten der Bassa-Neger auf den Inseln des +Bénue verdienen hier insofern nur einer Erwähnung, als +wir hier inmitten Afrika's auch auf "Pfahlbauten" stoßen.</p> + +<p>Einen Uebergang zu den, wie es scheint, von den Europäern +von der Küste her eingeführten großen Giebelhäusern und den +Hütten der Neger bilden die seltsamen Wohnungen der Kado-Neger +in Segseg, die gewissermaßen aus Haus und Hütte zusammengesetzt +sind. Zwei circa 25 Fuß von einander entfernte +Hütten sind durch ein Haus oder einen Gang verbunden, +und das Dach bildet mit den beiden Dächern der Hütte +ein Ganzes. Nur die eine Hütte hat eine Thür, der Gang +und die zweite Hütte haben nur runde Löcher, um dem Lichte +Eingang zu verschaffen.</p> + +<p>Hier zu erwähnen sind auch noch jene kleinen Hütten für +die Fetische. Manchmal sind dies nur auf Pfählen ruhende +Strohdächer, unter welchen die Götter Schutz gegen die Sonne +und den Regen finden, manchmal aber auch ordentlich eingerichtete +Hütten. Aber jedesmal findet man sie in bedeutend +verkleinertem Maßstabe. Eine Fetischhütte ist nie höher als +4 bis 5 Fuß und hat an der Basis gewöhnlich 3 bis 4 Fuß +Durchmesser. Oft steht ein Fetisch oder eine ganze Fetischfamilie +nur auf einem Thonteller, der circa 1 Fuß hoch, nach +oben sich verjüngt und circa 3 bis 4 Fuß im Durchmesser +hat. Außerdem hat jede Hütte in den Gegenden, wo Fetischismus +betrieben wird, einen Fetisch in seiner Hütte, der oft aus +Thon oder Holz geformt, oft aber nur ein Bild oder Relief +an der Hüttenwand ist.</p> + +<p>Je mehr man sich dem Niger nähert, desto andere Bauformen +finden wir gäng und gäbe. Freilich bleibt auch hier +die runde Hütte noch immer die eigentliche Nationalbehausung +der Neger; aber wir finden nun bei den Wohnungen der +Fürsten, der Großen und Reichen keineswegs mehr große, nach +arabischer Art mit plattem Dache versehene Häuser, sondern +Gebäude, die nach Art der europäischen ein Giebeldach haben. +In Imaha, in Ogbomoscho und Ibadan haben die Fürsten +die großartigsten Giebelbauten, bei denen europäischer Einfluß +wohl kaum zu leugnen ist.</p> + +<p>Die Fürstenwohnung in Illori ist der Art, daß sie ein +längliches Viereck von 150 Fuß Länge auf 30 Fuß Breite +bildet. Die Seitenmauern, circa 6 Fuß hoch und 2 Zoll dick, +aus gestampftem Thon errichtet, tragen ein unverhältnißmäßiges +hohes Strohdach à cheval, dessen überstehende Seitenwände +über die Mauern hinausreichen, so daß sie fast den Erdboden +berühren. Der Raum, der hierdurch entsteht, giebt einen +schattigen Ruheplatz für die zahlreichen Sclaven ab. Im Innern +läuft längs der einen Wand ein Corridor, und von diesem +aus kommt man mittelst niedriger Thüren in die verschiedenen +Zimmer, von denen einige einen aparten Bodenabschluß haben, +andere aber frei bis unter das Dach hinaufreichen.</p> + +<p>Höchst eigenthümlich fand Dr. Nachtigal die heidnischen +Bewohner im südlichen Bagermi wohnen. Fortwährend den +Ueberfällen der mohammedanischen Bevölkerung ausgesetzt, +haben sie ihre Wohnungen gleich den Vögeln auf den Bäumen +errichtet, und der gewaltige Baumwollenbaum (Bembax. cottontree) +eignet sich vortrefflich dazu, derartige Behausungen zu +empfangen: Der Baumwollenbaum gehört zu den Riesen der +centralafrikanischen Vegetation. Ungefähr 50 Fuß hoch vom +Boden, gehen von seinem colossalen Stamme starke horizontal +verlaufende Aeste ab. Auf diese legen die Bagermi-Bewohner +Balken und errichten darauf ihre Hütten; selbst der Viehstand +wird in Zeiten der Gefahr mit nach oben gezogen. Mittelst +einer aufziehbaren Strickleiter gelangen die Eigentümer hinauf. +In der Nacht werden nach Nachtigal nie Feindseligkeiten +unternommen, so daß während dieser Zeit die Inwohner eines +solchen Baumdorfes ihre Vorräthe an Wasser und Lebensmitteln +machen können. Und da in Bagermi der Gebrauch +der Schießwaffe noch nicht eingeführt ist, so gewinnen die Besitzer +in ihren hohen, luftigen Bauten eine ziemliche Sicherheit.</p> + +<p>Je mehr man sich der Küste nähert, desto mehr schwindet +die Hütte, und wenn in den Ortschaften des Konggebirges +oder an den Abhängen desselben auch die Häuser der privaten +nicht alle jene großen kasernenartigen Dimensionen haben, so +läßt sich doch in der Anlage der europäische Einfluß auf den +ersten Blick heraussehen. Gebrannte und behauene Steine +findet man erst, wenn man die Küstenstädte Afrika's selbst, +mithin das europäische Element erreicht hat.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_1_1" id="Footnote_1_1"></a><a href="#FNanchor_1_1"><span class="label">[1]</span></a> Allerdings sind in Marokko in den sogenannten "maurischen +Bädern" auch gewölbte Kuppeln, aber diese Gewölbe sind entweder durch +horizontal eingeschobene Balken gebildet und getragen, oder durch Uebertragung +horizontal gelegter Steine gebildet, ähnlich wie man es in den +gewölbten Kammern der griechischen Thesauren beobachtet.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch3_Lagos_an_der_Westkuste_von_Afrika" id="Ch3_Lagos_an_der_Westkuste_von_Afrika"></a>3. Lagos an der Westküste von Afrika.</h2> + + +<p>Keine Stadt an der Westküste von Afrika, vom Cap Spartel +an gerechnet, bis zum Cap der guten Hoffnung, hat in +den letzten Jahren einen so raschen Aufschwung genommen +wie Lagos. Unter dem 6° 26' nördlicher Breite und dem +3° 22' östlicher L. v. Gr. gelegen (nach anderen 6° 28' n. +Br. und 3° 26' östl. L. v. Gr.), war Lagos bis zum Jahre +1851 portugiesische Schutzstadt und Hauptexportstadt für den +Sclavenhandel. In diesem Jahre vertrieb ein eingeborener +Fürst, Namens Kosoko, den rechtmäßigen König Akitoye, weil +dieser auf Betrieb Englands den Sclavenhandel unterdrückt +hatte. Kosoko wurde von den Engländern wieder verjagt und +der rechtmäßige König wieder eingesetzt. Aber trotzdem florirte +die Negerausfuhr fort, die um so schwieriger hier zu überwachen +und zu verhindern war, als der Küstenstrich wegen +Lagunenbildung zahlreiche Verstecke und Schlupfwinkel bietet, +wohin sich die Sclavenhändler bei drohender Gefahr zurückziehen +konnten.</p> + +<p>Am 6. August 1861 erschien deshalb das englische Kriegsschiff +Prometheus, Com. Bedingfeld; Lagos wurde genommen +und zur englischen Colonie erklärt. Zum Scheine ließ man +jedoch den Sohn Akitoye's, Docemo, als König bestehen, er +behielt jedoch nur den Titel.</p> + +<p>Von den Eingeborenen Eko, auch Oni genannt, erhielt +Lagos seinen Namen von den Portugiesen. Es liegt auf einer +halbmondförmigen Insel, hat im Süden das Meer, im Norden +die die Insel vom Festland trennende Lagune, und ist von +den übrigen schmalen Küstenstrichen oder Inseln, welche im +Osten und Westen sich fortziehen, durch enge Meeresarme getrennt. +Das Festland ist circa 15 engl. Meilen entfernt. +Von den schmalen Landstreifen, welche ursprünglich Festland +gewesen sind, und die manchmal 3, manchmal bis 10 englische +Meilen breit sind, gehört ein 60-70 englische Meilen langes +Stück jetzt den Engländern. Alle diese Streifen sind mit +dichtester Vegetation bedeckt, meistens mit Mangroven-Buschwerk +bestanden, das von schlanken Cocosnußpalmen überragt +wird, während gleich am Festlande jene undurchdringlichen +Urwälder beginnen, in denen die Oelpalme und der Baumwollenbaum +die hervorragendste Rolle spielen.</p> + +<p>Hält man sich für kurze Zeit in diesem von der Natur so +verschwenderisch ausgestatteten Lande auf, so sollte man glauben, +es sei hier ein ewiges Paradies was das Klima anbetrifft: +man glaubt in einer ewig frühlingsmäßigen Natur +zu leben. Balsamische Düfte durchziehen die Luft, der tiefblaue +Himmel, das saftige Grün der üppigen Pflanzenwelt, +in der Ferne das tiefblaue wogende Meer, lassen den Gedanken +nicht aufkommen, daß jeder Athemzug dem Körper giftige +Substanzen zuführt; und doch ist dem so, wie die große Sterblichkeit +der Eingeborenen sowohl wie die der Europäer ergiebt. +Eben die lagunenartige Gegend, die Ausdünstungen der See, +die vermodernden Pflanzentheile der nahen Sümpfe, die Vermischung +von Salz- und Süßwasser nehmen alle Theil an +jenen Krankheiten, die den Menschen so gefährlich sind, und +meist rasch und tödtlich verlaufen.</p> + +<p>Die mittlere Temperatur von Lagos ist unbekannt, dürfte +aber zwischen 20° und 22°<a name="FNanchor_2_2" id="FNanchor_2_2"></a><a href="#Footnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> sein. Der niedrigste beobachtete +Thermometerstand war 15° C., der höchste 35°. Barometrische +Aufzeichnungen von Lagos liegen gar nicht vor. Als hygrometrische +Beobachtungen wurden mir 0,2 und 25° genannt, +indeß nicht dabei gesagt, mit welchem Instrument und nach +welchem Systeme dieselben gefunden worden sind. Die fallende +Wassermenge wird wohl der von Gabun gleichkommen, wo +man in einem Jahr 250" Regen beobachtet hat. Die nasse +Jahreszeit währt von April und Mai bis August und September +und in dieser Zeit sind fast täglich die heftigsten Tornados +(Gewitterregen) bei herrschendem Ostwinde. Im November, +December, Januar und Februar ist fast nie Regen +beobachtet worden. Der herrschende Wind der trockenen Jahreszeit +ist West und Nordwest. In dieser Periode herrscht +Nachts vollkommene Windstille; erst gegen 9 Uhr Morgens +springt der Wind auf, um bis nach Sonnenuntergang als starke +Brise zu blasen. Im Januar wird hauptsächlich der Harmattan +beobachtet, vom Innern her wehend, und von welchem +die dort lebenden Europäer noch immer glauben, daß es +Nebel sei, während es nichts Anderes ist, als ein zerflossener +Rauch jener großen innerafrikanischen Wald- und Grasbrände, +die sich manchmal über Strecken verbreiten, die Tausende von +Quadratmeilen einnehmen. Zu dieser Zeit ist der Gesundheitszustand +am besten, namentlich auf äußere Hautkrankheiten +übt der Harmattan einen überaus wohlthätigen Einfluß aus.</p> + +<p>Hauptsächlich dort beobachtete Krankheiten sind, was auf +die Europäer sich bezieht, Malaria und bösartige Wechselfieber, +Dyssenterien und Leberkrankheiten. Cholera und gelbes Fieber +sind in Lagos nie aufgetreten. Es ist übrigens wohl in Betracht +zu ziehen, daß die meisten Europäer durch ihr eignes +unmäßiges Leben sich derartige Krankheiten zuziehen. Während +das weiche, erschlaffende Leben eine mäßige Lebensweise, +namentlich Enthaltsamkeit von trockenen Weinen und Liqueuren, +empfiehlt, findet man hier, wie fast überall in den Colonien, +vorzugsweise spanische Weine, Sparkling Hock<a name="FNanchor_3_3" id="FNanchor_3_3"></a><a href="#Footnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> und +Brandy im Gebrauch, und die schwelgerischen Tafeln, die dort +stets dem Magen vorgestellt werden, rufen denn nur zu rasch +jene Krankeiten hervor, denen die Europäer zum Opfer fallen, +auf dem Sterbebette noch das mörderische Klima verfluchend. +Bei den Negern beobachtet man außerdem noch den Guineawurm, +Elephantiasis, Pocken, Lepra, Krakra (eine widerliche +Krankheit) und Yaws, eine Art von böser Frambösie.</p> + +<p>Die Bevölkerung der Schwarzen besteht aus Eingeborenen +und dorthin eingewanderten und transportirten Negern. +Erstere gehören alle zu den Stämmen der großen Yoruba-Familie. +Ohne so schön und hell zu sein wie die Pullo, sind +die Yoruba keineswegs vollkommen schwarz, sondern haben +mehr bräunliche Hautfarbe. Sie haben sanfte, nicht stark prononcirte +Gesichtszüge, und werden von den dortigen Europäern +für die besten und gutmütigsten aller Neger gehalten. Als +die Portugiesen zuerst nach Lagos kamen, fanden sie die Eingeborenen +sehr geschickt in Verfertigung von Matten und +Strohflechtereien, die sie auch noch so zart und fein zu flechten +wissen, daß man daraus Kleidungsstücke machen könnte, und +die zum Theil auch von den Eingeborenen in früheren Zeiten +als solche benutzt wurden. Baumwollenweberei, Färberei, +Ledergerberei, vorzügliche Holzschnitzerei, Töpferkunst und die +Verarbeitung edler und unedler Metalle waren den Eingeborenen +von Lagos bekannt, als die Europäer dorthin kamen. +Man kann ihre Zahl auf 35-40,000 schätzen. Haussa-Neger +bilden das zweite Element, sie sind durch etwa 1000 Individuen +vertreten. Die übrigen endlich sind Acra-, Fanti- und +Kru-Neger, etwa 2000 Seelen stark, und einzelne von verschiedenen +anderen Horden. Alle diese sind ursprünglich freie, +in Lagos von jeher seßhafte Neger, dann aus dem Innern +und von der Küste als Freie Eingewanderte, oder aber ursprünglich +gewesene Sclaven und deren Nachkommen und zum +Theil aus dem britischen Westindien, von Sierra Leone, Gambien, +Liberien, Brasilien oder Cuba zurücktransportirte, gekaperte +ehemalige Sclaven. Allein die von Sierra Leone gekommenen +Neger schätzt man auf 4000 Seelen.</p> + +<p>Was die Europäer anbetrifft, so ist deren Zahl durchschnittlich +gegen 100, von denen etwa 60 Engländer, 20 Deutsche +und Franzosen sind, und die übrigen aus Spaniern, Portugiesen +und Italienern bestehen.</p> + +<p>Der Cultus der Eingeborenen, die noch nicht zum Christenthume +übergetreten sind, ist Fetischdienst. Vornehmlich werden +Bäume fetischirt, aber auch Thiere, z.B. Hunde, stehen in +Verehrung. Die Anbetung von kleinen, aus Holz und Thon +gearbeiteten Götzenbildern ist sehr allgemein; Herr Philippi +aus Potsdam, der sich 13 Jahre in Lagos aufhielt, besitzt +eine ganze Sammlung jener kleinen interessanten Gottheiten. +Außer den allgemein heilig gehaltenen Thieren hat dann noch +jeder Neger sein Privatheiligthier, von dem er dann natürlich +auch nicht essen darf, während die Uebrigen, wenn diese Thiere +zu den genießbaren zählen, davon essen. So durfte der Häuptling +Tappa, eine persönliche Bekanntschaft von mir, keine +Hühner essen, Docemo, der König, keine weißen Tauben. +Jeder hat so seine speciellen Göttchen, die gewissermaßen als +Heiligen den betreffenden Individuen dienen und in den +Wohnungen den Ehrenplatz einnehmen. Im Ganzen mögen +gegen 25000 Heiden in Lagos sein. Für die Umwandlung +in Christen thut die englische Regierung officiell seit einigen +Jahren nichts mehr, legt aber auch den Missionären, einerlei, +von welcher Kirche sie abgeschickt worden sind, keine Hindernisse +in den Weg.</p> + +<p>Als Nichtchristen zählen zunächst die Mohammedaner; ihnen +gehören besonders alle Haussa-Neger an, aber auch viele +Yoruba. Der Islam hat sich quer durch Afrika seinen Weg +gebahnt, er wird um so mehr von den Negern angenommen, +als die moralischen Vorschriften besser mit den alten hergebrachten +Leben harmoniren, überdies die den Mohammedanismus +predigenden Lehrer gleich Sitten und Gebräuche der +Schwarzen selbst annehmen, und nur die Formen und äußeren +Gebräuche ihres Glaubens verlangen. Außerdem predigt der +Islam Hochmuth. "Sobald ihr Gläubige seid, steht ihr über +Christen und Juden, ihr gehört dann zum ausgewählten Volke, +ihr seid dann gut <tt>par exellence</tt>." Eine solche Lehre gefällt +den unmündigen Negern. Es gefällt ihnen das weit besser, +als: "Ihr könnt das Himmelreich nur durch Buße und Glauben +gewinnen, Sünder bleibt ihr aber immer; seid demüthig, +verachtet den Reichtum &c." Zudem ist der christliche Missionär +in unseren Tagen nicht im Stande, auf das Niveau der +Eingeborenen hinabzusteigen, während er ebenso wenig vermag, +diesen zu sich heraufzuziehen, das heißt ihm die äußeren Annehmlichkeiten +des Lebens zu bieten, unter denen er selbst seine +Existenz hat. Wie kann ein armer Neger sich denken, daß +die Lehre richtig sei, wo man ihm Verachtung des Reichthums, +Mäßigung, Demuth und Buße predigt, und er dies von solchen +Männern hört, die gut bekleidet sind, die schöne Häuser haben, +Möbel besitzen, wie er sich sie nie anschaffen kann, und über +Geld in Hülle und Fülle (nach den Anschauungen der Neger) +gebieten? Denn wenn auch nach europäischen Begriffen die +Missionäre nicht allzuglänzend und reich ausgestattet sind, so +sind sie es doch den Eingeborenen gegenüber. Ganz anders +tritt der Mohammedaner auf: er hat nicht mehr als der +Neger, er verdient seinen Lebensunterhalt durch seine Arbeit, +durch Handel; der Eingeborene sieht, wenn der mohammedanische +Lehrer zu Wohlstand kommt, woher und wie derselbe +gewonnen ist. Kein mohammedanischer Apostel hat irgendwie +Gehalt, er bekehrt, um einen neuen Gläubigen zu gewinnen, +ganz aus eigenem Antriebe, ohne von einer Gesellschaft ermächtigt +zu sein. Er glaubt auch nicht einmal, daß dies für +ihn selbst ein großes Werk sei, er meint dadurch nur die +Seele des Bekehrten gerettet zu haben, welche nun würdig ist, +mit ihm nach dem irdischen Tode die verheißenen Freuden +des Paradieses zu theilen.</p> + +<p>Die Zahl der Mohammedaner wird auf 4000 geschätzt, und +scheint dieselbe noch fortwährend zuzunehmen.</p> + +<p>Was die Christen anbetrifft, so haben wir verschiedene +Glaubensrichtungen in Lagos vertreten, und dies Nichteinheitliche +der Lehre Jesu trägt gewiß dazu bei, bei Ausbreitung +des Glaubens die Eingeborenen stutzig zu machen.</p> + +<p>Von den Protestanten finden wir die englische <i>high church</i> +durch die <i>church missionary society</i> vertreten, etwa 1000 +Seelen; die Wesleyaner etwa 700 Seelen, und amerikanische +Baptisten etwa 30 Seelen. Die römisch-katholische Kirche ist +hauptsächlich durch 3-400 sogenannte <i>emancipados</i> (ehemalige +Sclaven) aus Brasilien und Cuba repräsentirt. Die deutschen +Protestanten halten sich zur Hochkirche. Im ganzen beläuft +sich die Zahl der Christen in Lagos auf 3500. Für die Protestanten +besteht ein Seminar mit einem weißen und einem +schwarzen Lehrer und etwa 20 Zöglingen; ein Mädcheninstitut +unter einem weißen Lehrer und einer weißen und einer schwarzen +Lehrerin mit etwa 20 Schülerinnen; vier gemischte Volksschulen +mit 8 Lehrern und 430 Schülern; drei kleine Kinderschulen +mit 5 Lehrerinnen und 320 Schülern. Die Wesleyaner +haben außerdem eine Schule mit 3 Lehrern und 170 +Schülern. Ueber die Schulen der römisch-katholischen Mission +liegen keine numerischen Nachrichten vor.</p> + +<p>Die Mohammedaner sorgen für die Bildung ihrer Gläubigen +durch Gebete in der Hauptmoschee, sie haben 12 bis 16 +kleinere Betplätze, die zum Theil Medressen (Schulen) sind, +in denen jedoch weiter nichts gelehrt wird, als mechanisch +Koransprüche herzusagen. Fast mit Sicherheit kann man behaupten, +daß die Lehrer selbst den Sinn der Sprüche und +Gebete nicht verstehen. Nach den Begriffen der modernen +Apostel des Islam ist das auch nicht nöthig, da Gott selbst +Arabisch versteht, also wohl weiß, was die Gläubigen beten.</p> + +<p>Die Regierung besteht derzeit aus einem Gouverneur (von +der Kriegsflotte), einem Colonialsecretär, einem Oberrichter +(<i>high justice</i>), einem Ingenieur, einem Colonialarzt, einem +Schatzmeister und zwei Polizei-Inspectoren mit 45 Constablern. +Das Geschwornengericht ist aus Weißen und Schwarzen zusammengesetzt. +Als Garnison steht in Lagos eine Compagnie +westindischer schwarzer Soldaten, und in letzterer Zeit sind +darunter als Ergänzung vorzugsweise Haussa-Leute aufgenommen +worden. Außerdem steht der Regierung ein Kanonenboot +I.M. der Königin zu Gebote. In Lagos residiren ein norddeutsches, +ein französisches und ein italienisches Consulat.</p> + +<p>Während Lagos früher krumme, winkelige Straßen hatte, +an beiden Seiten von Negerhütten besäumt, wird jetzt der Ort +durch sehr breite, gerade Straßen durchzogen, die Nachts beleuchtet +sind. Man unterscheidet vier Hauptstadttheile, Okofagi, +Ologbowa, Offi und Egga. In letzterem befindet sich der +Palast von König Docemo, der aussieht wie eine große Bude. +Das Haus, welches der Gouverneur bewohnt, ganz aus Eisen +errichtet und fertig von England gebracht, befindet sich, wie +die meisten Wohnungen der Europäer, auf der der See zugekehrten +Seite der Insel. Gleich daneben liegt die prachtvolle +ehemalige O'Swaldische Factorei, die seit einigen Jahren in +die Hände eines anderen Hamburger Hauses übergegangen ist.</p> + +<p>An öffentlichen Gebäuden erwähnen wir noch das Colonial-Secretariat, +das neue, aus Backstein errichtete Rathhaus, in +dem zugleich der Gerichtshof ist, eine Caserne mit Spitaleinrichtung, +ein Colonial-Hospital mit 20 Betten, das jedoch viel +zu wünschen übrig läßt, ein Zollhaus mit Krahn, endlich 10 Kirchen +für Protestanten und eine im Bau begriffene für Katholiken.</p> + +<p>Die Häuser der Europäer sind zweckmäßig und meist aus +gebrannten Ziegeln aufgeführt und fast alle von kleinen Gärten +umgeben. Cocospalmen, Brodfruchtbäume und Mangos +gewähren Schatten; an wohlschmeckenden Früchten sind die +Ananas von Lagos als ganz vorzüglich hervorzuheben.—Die +Stadt hat außerdem mehrere kleine Dampfer, welche die großen +Dampfschiffe und Segler, welche die Barre nicht passiren +können, befrachten und ausladen, Hunderte von kleinen Schiffen, +alle numerirt und den Eingeborenen gehörend, unterhalten +den Verkehr mit dem Festlande, hauptsächlich mit der Stadt +Ikorodu. Sehr angenehm für die Bewohner von Lagos ist, +daß die Lagunen nicht nur äußerst fischreich sind, sondern +jahraus, jahrein täglich so viel Austern und Granaten (<i>Crangon +vulgaris</i>) gefangen werden, wie es die Bedürfnisse erheischen. +Deshalb ist denn auch die Fischerei eine der Hauptbeschäftigungen +des Volkes; aber außerdem finden wir alle +Handwerker vertreten, als Schreiner, Maurer, Zimmerleute, +Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser &c.</p> + +<p>Die Europäer sind fast durchaus Handelsleute; es giebt +Engros-Häuser, sogenannte Factoreien, und Detailisten. Große +Factoreien giebt es circa 20, von denen die Hamburgische von +O'Swald die bedeutendste war, die sogar der Factorei der +West-African-Company den Rang abgelaufen hatte.</p> + +<p>Export und Import haben unter der englischen Regierung +einen bedeutenden Aufschwung genommen, was natürlich auf +die Einkünfte der Colonie bedeutend nachgewirkt hat. 1862 +betrug die Einnahme 5000 Pfd. St., im Jahre 1867 schon +30,000 Pfd. St. Nach dem Blaubuche betrug 1867 der Werth +der exportirten Waaren 51,313 Pfd. St., der Werth der importirten +Gegenstände ist nicht angegeben, Lagos hatte aber +1868 an Zollgebühren (vom Export wird nicht gezollt) eine +Einnahme von 35,000 Pfd. St.<a name="FNanchor_4_4" id="FNanchor_4_4"></a><a href="#Footnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a>, aus anderen Quellen noch +4000 Pfd. St., also im Ganzen fast 40,000 Pfd. St.</p> + +<p>Exportirt wird hauptsächlich Indigo, Grundnüsse (<tt>Arachis</tt>), +Elfenbein, Mais, Baumwolle (1867 für 7112 Tons, die +Tonne zu 2000 Pfund), Goro- oder Kolanüsse<a name="FNanchor_5_5" id="FNanchor_5_5"></a><a href="#Footnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a>, welche nach +Brasilien und Sierra Leone verschickt werden, endlich Oel- und +Palmnüsse. Oel wurde 1867 im Gewicht von 12,414 Tonnen, +Nüsse 9600 Tonnen exportirt. Die Nüsse wurden im Anfang gar +nicht benutzt, es ist das Verdienst der O'Swald'schen Factorei, +dieses Product der <i>Elaeis guineensis</i> zuerst ausgenützt zu +haben. Die Nuß enthält nämlich bedeutende Mengen von +Stearin, das Oel wird zum Schmieren und zur Seifefabrikation +benutzt.</p> + +<p>Man führt ein: Cawries (<tt>kauri, kungena, kerdi, eloda-Cypraea +moneta L.</tt>), jene kleinen Muscheln aus den ostindischen +Gewässern, die als Scheidemünze dienen im größten +Theil von Centralafrika, Rollen- und Blättertabak von Brasilien, +Waffen, Pulver, Stabeisen, Messingdraht, Perlen, +Spiegel, Messer, Manufacturen, Salz, Spirituosen. Von +Spirituosen, Cawries und Tabak wird 6 Proc. Eingangszoll +erhoben.</p> + +<p>Im Jahre 1873 arbeitete der Bürgermeister von Lagos, +Mr. Goldsworthy, zusammen mit dem Gouverneur Herrn +Glover, um neue Handelsstraßen nach dem Innern zu eröffnen. +Im vergangenen Jahre machte Goldsworthy eine Reise +von 200 englischen Meilen in nordöstlicher Richtung und berührte +dabei die Gebiete von Ikale, eine wald- und sumpfreiche +Gegend mit einzelnen angebauten Strichen, und von +Onodo, einer Hügelkette längs der Küste und von Ife berührt. +Es gelang ihm, die Kämpfe zwischen einzelnen Stämmen +zu beendigen und wahrscheinlich auch das Efou-Gebiet durch +eine neue Handelsstraße zu eröffnen.</p> + +<p>Werfen wir schließlich einen Rückblick auf Lagos, heute die +volkreichste Stadt an der ganzen Westküste von Afrika, so bemerken +wir, daß der Ort hauptsächlich unter der freisinnigen +englischen Administration rascheren Aufschwung genommen hat +wie andere Punkte in Afrika. Selbst das Klima scheint sich +durch gute sanitätspolizeiliche Maßregeln, als Erweiterung der +Straßen, Pflasterung der Wege, Ausrottung der nächsten +Dschengel- und Mangroven-Büsche verbessert zu haben; in +früheren Jahren trafen auf die weiße Bevölkerung wenigstens +20 Todesfälle, in den letzten Jahren ist das Verhältniß jedes +Jahr günstiger geworden. 1869 ist, freilich wohl ausnahmsweise, +nur Einer von der circa 100 Köpfe starken weißen Bevölkerung +gestorben.</p> + +<p>Auch die Gesittung und Civilisation nimmt unter den Eingeborenen +erfreulich zu. Wenn Europäer, und besonders die +Missionäre, beherzigen wollten, daß ein Volk, welches seither +fortwährend von der Cultur der civilisirten Völker abgeschlossen +gewesen, von einem primitiven Standpunkte sehr schwer innerhalb +einiger Jahre auf eine solche Culturstufe gebracht werden +kann, wozu wir selbst fast 2000 Jahre gebraucht haben, so +würden sie langsamer vorgehen und mehr Geduld haben mit +ihren Civilisationsbemühungen. Wenn man die heutigen Neger +betrachtet, namentlich die Bewohner jener großen Reiche +Centralafrika's, und vergleicht den Zustand dieser Völker und +Länder mit jenen von Europa vor circa 2000 Jahren (natürlich +Griechen und Römer ausgenommen), so wird jeder Mensch, +der unbefangen urtheilt, sagen: der Vortheil ist hier auf +Seiten der Schwarzen. Die großen Staaten Bornu, Sokoto +und Gando &c. legen glänzendes Zeugniß ab, wie weit ohne +europäische Einflüsse die Neger fähig sind, sich zu civilisiren, +und General Faidherbe hat gewiß nicht Unrecht, wenn er +die Schwarzen als für Civilisation empfänglicher hält, als +Berber und Araber.</p> + +<p>Aber trotzdem und trotz vieler glänzenden Beispiele, die +eben beweisen, daß selbst in kürzester Zeit der Neger bei +sorgfältiger Erziehung sich vollkommen mit dem Weißen +gleichzustellen weiß (ich erinnere nur an Bischof Crowther, +an Senator Revels, welcher Letztere jüngst im Senate der +Vereinigten Staaten seine erste Rede, die als oratorisches +Meisterwerk dasteht, gehalten hat), wage ich nicht zu behaupten, +daß die Neger eine Zukunft vor sich haben; sie werden +am Ende von den Weißen absorbirt werden.</p> + +<p>Wir sehen in Centralafrika, daß die Pullo, welche sich +als herrschendes Volk große Negerreiche unterworfen haben, +heute, nach noch nicht 100 Jahren, vollkommen von den +Negern assimilirt worden sind. Obschon die Pullo noch die +herrschenden sind, auch ihre Pullo-Sprache noch reden, sind +sie fast ganz schwarz geworden und alle reden heute neben +ihrem Pullo die Sprache der Stämme, über welche sie +herrschen. Ebenso haben die Araber in Centralafrika, z.B. +die Schoa, fast nur noch ihre Sprache erhalten. Und so +wird es den Negern ergehen den Weißen gegenüber, wenn sie +nicht durch eine zu rasch mit ihnen vorgenommene Civilisationsmethode +(namentlich durch unpassende Bekehrungsversuche) +vorher ausgerottet werden. Ist dies nicht der Fall, +so werden sie langsam verdrängt werden von den Weißen, +wenn sich einmal für diese das Bedürfniß herausstellen sollte, +Afrika so ernstlich in Angriff zu nehmen, wie man es mit +Amerika und jüngst mit Australien gethan hat.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_2_2" id="Footnote_2_2"></a><a href="#FNanchor_2_2"><span class="label">[2]</span></a> Hunderttheilig.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_3_3" id="Footnote_3_3"></a><a href="#FNanchor_3_3"><span class="label">[3]</span></a> Rheinwein wird von den Engländern meist als Schaumwein getrunken.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_4_4" id="Footnote_4_4"></a><a href="#FNanchor_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Fast Alles zahlt 4 Proc. nur einige Artikel 6 Proc.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_5_5" id="Footnote_5_5"></a><a href="#FNanchor_5_5"><span class="label">[5]</span></a> Als ich 1867 von Lagos nach Europa zurückkehrte, gelang es mir, +Goro-Nüsse ganz frisch heimzubringen. Unser nun verewigter Liebig, dem ich +dieselben zur Untersuchung einschickte, fand die Nüsse sehr reichhaltig an +Coffein; außerdem gelang es ihm, im botanischen Garten zu München aus +einer der Nüsse einen Baum heranzuziehen, der im vorigen Sommer +schon eine Höhe von 5 Fuß erreicht hatte und laut eines Briefes vom +9.d.M. von Liebig fortfährt, sehr gut zu gedeihen.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch4_Das_Gora-Gebirge_in_Central-Afrika" id="Ch4_Das_Gora-Gebirge_in_Central-Afrika"></a>4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika.</h2> + + +<p>Einer der wichtigsten Gebirgsstöcke im bekannten Centralafrika +ist das Gora-Gebirge, denn hier ist die Wasserscheide +zwischen dem Tschad-See einerseits und dem mächtigen Niger +andererseits. Zudem entspringt hier der Gongolafluß, einer +der bedeutendsten Nebenflüsse des Bénue, sowie eine Menge +kleinere Flüsse, die direct in den Bénue (dieser ist der bedeutendste +Nebenfluß des Niger, und vielleicht ebenso bedeutend +als dieser) sich werfen.</p> + +<p>Das Gora-Gebirge erreicht eine absolute Höhe von mehr +als 7000 Fuß und besteht seiner Hauptmasse nach aus Granit, +doch sind an den unteren Abhängen auch alle anderen Gesteinsarten +vertreten. Das Gebirge scheint sehr mineralisch zu +sein, die Bewohner haben Antimon-, Zinn- und Eisenminen; +über das Vorkommen von Gold ist den Eingebornen indeß +nichts bekannt, noch weniger läßt sich sagen, ob Silber vorhanden +sei, welches überhaupt in Centralafrika noch nicht gefunden +worden ist. Der Boden besteht fast durchweg aus +einem festen röthlichen Lehm und Thon, doch sieht man mitunter +auch ausgedehnte Strecken mit schwarzem Humus bedeckt. +Die hervorragendsten Berggipfel sind der Saranda, westlich +von Bautschi (Jacoba) gelegen, der Goa- und der Gora-Knotenpunkt, +von dem das ganze ausgedehnte Gebirge seinen Namen +hat, und von dem die Wasser hauptsächlich entspringen, welche +dem Niger, Bénue und dem Tschad zueilen.</p> + +<p>Was Naturschönheiten anbelangt, so wird es kaum ein +Gebirge geben, welches hierin die Goraberge übertrifft. Ueberall +bewaldete Höhen, oft steil emporragende Felsen, rieselnde Bäche, +spritzende Wasserfälle, herrliche Steilschluchten. Hie und da +wieder ein Stück Ackerland um kleine Ortschaften herumliegend, +üppige Gärten mit Bananen, Gundabäumen, Erdnüssen und +einigen Gemüsen—dies das Gesammtbild, wie sich das +Gora-Gebirge dem Wanderer zeigt. Ja, wenn nicht die eigenthümlichen +konischen Dächer der Hütten, welche jene Negerdörfer +zusammensetzen, wenn nicht bei näherer Betrachtung die +einzelnen Bäume der dichten Wälder, wenn nicht hie und da +die schwarze Gestalt eines mit Bogen und Pfeil bewaffneten +Eingeborenen einen daran erinnerten, daß man sich zwischen +dem 9. und 11. Grade N. Br. befände, so würde man eher +glauben, in einer üppigen europäischen Gebirgslandschaft zu +sein, als in einer afrikanischen Tropengegend.</p> + +<p>Bis auf den Kamm des Gebirges hat man es meist mit +denselben Bäumen zu thun, wie sie in Bornu vorkommen, aber +darunter befinden sich manche fruchttragende, die in den Tschadebenen +nicht vorkommen. Auf der westlichen Seite treten hingegen +die Baumarten in den Vordergrund, wie sie das Nilthal +vorzugsweise aufweist, und namentlich sind es ausgedehnte +Wälder des Butterbaumes, <i>Bassia Parki</i>, die nun vorherrschen. +In den niederen Theilen zeigen sich Bananen und der herrliche +Gunda-Baum überall wild. Indigo, zum Theil wild, +Baumwolle und Tabak gezüchtet, kommen allerwärts vor. Der +Wald liefert die Yams-Wurzeln, die auch gebaut werden, +ebenso pflanzen die Eingeborenen in ihrem Garten Ingwer, +verschiedene Zwiebeln, Erdnüsse und Kohlsorten.</p> + +<p>In einer so üppigen Gegend ist natürlich die Thierwelt +sehr reich vertreten: die niedere sowohl wie die geflügelte zeigt +dem Europäer auf Schritt und Tritt Neues. Reißende Thiere, +namentlich Panther und Leoparden, sind in den Schluchten der +Berge nichts Seltenes, doch sind sie keineswegs so häufig, daß +dadurch irgendwie die Sicherheit der Reisenden gefährdet würde.</p> + +<p>Sehr zahlreich sind allerdings die Hyänen und Büffel vertreten; +Giraffen kommen hier im Gebirge nirgends vor; Elephanten, +Nashörner und Flußpferde treten erst am Bénue und +Niger auf; ebenso fehlt hier der Gorilla-Affe, nur Paviane und +Hundsaffen sind in erstaunlicher Menge vertreten. Wie überall, +wo das Land von Ameisen beherrscht wird, ist auch der +Ameisenbär anzutreffen, und jene ungeheueren Thonpyramiden, +welche man über das ganze Land zerstreut sieht, sind oft von +der Kralle des Ameisenbärs angebohrt. Diese Pyramiden, +von denen auch schon durch Photographie fixirte Ansichten +existiren, verleihen der Landschaft einen eigenthümlichen Reiz. +Man beobachtet welche von einer Höhe von über 20 Fuß.</p> + +<p>Die Bewohner des Gora-Gebirges sind echte Neger und +gehörten ehedem zum großen Reiche der Haussa-Neger. Bei +der Invasion der Pullo wurden sie unterjocht, und jetzt bildet +das Gora-Gebirge einen Theil des Kaiserreichs Sokoto. Zum +Theil gehört es zu den Königreichen Bautschi und Kano, zum +Theil zu denen von Saria und Keffi-abd-es-Senga, welche alle +dem Kaiser von Sokoto unterthan sind.</p> + +<p>Mit Ausnahme der Städtebewohner gehen alle Eingeborenen +vollkommen nackt und sind Heiden. Die Frauen tragen +Ringe und Spangen um Arme und Fußknöchel, jedoch durchbohren +sie die Ohrlappen nicht wie die europäischen Frauen, ihr +Haar tragen sie ohne Schmuck und kurz abgeschnitten, während +die Männer es nach Art der Bornu-Frauen helmartig zu einem +Wulst zusammenwachsen lassen. Um den Leib tragen die Frauen +einen Ledergurt der vorn und hinten mit Blättern behangen +wird, um damit die Blößen zu bedecken; die Männer tragen +ein Schurzfell, oft kunstvoll gestickt und mit vielen kleinen +Muscheln geschmückt. Die Männer sind immer bewaffnet: ein +Bogen, ein Köcher mit vergifteten Pfeilen und oft ein gerades, +in Hagen oder Solingen verfertigtes Schwert macht ihre +Rüstung aus.</p> + +<p>Ihre Religion ist Fetischdienst, obschon die über sie herrschenden +Pullo den Islam angenommen haben. Aber obgleich +sie Heiden sind, stehen sie keineswegs auf einer ganz niederen +Stufe der Cultur; ihre Hütten sind so regelmäßig und gut +angelegt, daß man ihnen gewissermaßen Sinn für Architektur +und Geschmack nachsagen muß; der Boden ist eine Art Mosaik, +welcher von den Frauen eingegossen und festgeklopft wird. Ihre +Hauseinrichtungen, was Töpfe, Holzschnitzereien und andere +Gegenstände anbetrifft, sind kunstvoll und mit Eleganz gearbeitet, +ihre Werkzeuge verfertigen sie selbst aus Eisen. Um im +Winter auf den höher gelegenen Bergtheilen sich besser gegen +die Kälte schützen zu können, haben sie in ihren Hütten eigene +thönerne Feuerbetten angebracht. Dieselben bestehen aus +thönernen Bänken, die inwendig hohl sind; hierin wird Feuer +gemacht und so gewähren sie dem darauf liegenden, der die +schroffe Hitze durch Felle und Matten dämpft, eine angenehme +Wärme.</p> + +<p>Einer der Hauptstämme ist der der Bolo-Neger, aber je +mehr man nach dem Süden kommt, desto verschiedener werden +die Bewohner, was Sprache anbetrifft, und fast täglich hat +man einen anderen Stamm vor sich. Schon der Umstand, +daß sie mich als ersten Weißen unbehelligt ihr Gebirge durchziehen +ließen, spricht zu ihren Gunsten. Allerdings machte auf +sie das Erscheinen eines Weißen den größten Eindruck, und +sie bekundeten das dadurch, daß häufig Männer und Frauen +herbeikamen, um mich zu befühlen, ob ich auch wirklich aus +Fleisch und Blut sei, oder daß die ganze Jugend eines Ortes +hinter uns drein zog und "<tt>Thoraua, Thoraua</tt>" (Weißer, +Weißer) rief; aber nirgends war irgend von einem feindseligen +Worte, geschweige einer beleidigenden Handlung gegen mich die +Rede. Im Gegentheil, oft gab man mir zu verstehen, ich +möchte doch bald nach ihren Gegenden zurückkommen.</p> + + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch5_Hoflichkeitsformen_und_Umgangsgebrauche_bei_den" id="Ch5_Hoflichkeitsformen_und_Umgangsgebrauche_bei_den"></a>5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern.</h2> + +<p>"Es ssalamu alikum" ist die allgemeine Begrüßung der +Gläubigen, der Araber, und folglich aller Marokkaner, die der +allein seligmachenden Kirche Mohammeds anhängen. "Alikum +ssalam" ist die Antwort. Beiderseits muß der Gruß immer +mit sichtbarem Ernste, mit einer gewissen Feierlichkeit ausgesprochen +werden; ein freundlich lächelndes Gesicht würde man +für ganz unpassend halten.</p> + +<p>Wie die mohammedanische Religion am Ende weiter nichts +will, als die ganze Menschheit unter <i>einen</i> religiösen Hut +bringen, und dies dadurch zu erreichen hofft, daß sie jeden +anderen glauben als absolut falsch verwirft, so hat dieselbe +auf alle Völker, die den Islam bekennen, einen merkwürdig +nivellirenden Einfluß ausgeübt. Und wie hauptsächlich Gewicht +auf das <i>wörtliche Glaubensbekenntniß</i> gelegt wird und +eine fortschreitende <i>Entwickelung</i> in der Religion auf's +Strengste verpönt ist, so sehen wir, daß alle den Islam bekennenden +Völker dahin gekommen sind, wohin der Buchstabenglaube +führt: zur offenen Heuchelei, Scheinheiligkeit und zu +einer entsetzlichen Verdummung und Verthierung des Volkes.</p> + +<p>Durch Alles, was die mohammedanischen Völker thun und +reden, zieht sich immer ein heuchlerischer, muckerhafter und +pharisäischer Hauch, auch in Höflichkeiten. Der durch den Gebrauch +Mohammed's geheiligte Gruß: "Der Gruß (Gottes) sei +mit Euch" wird daher auch nie an Ungläubige verschwendet. +Ein ächter Mohammedaner würde glauben, ewig verdammt zu +werden, wenn er hierin nicht einen strengen Unterschied machte. +Tritt er in eine Versammlung, wo Juden und Christen zugegen +sind, so unterläßt er nie zu sagen: "<tt>Ssalam-ala-hali</tt>," +Gruß meinen Leuten, oder will er den Unterschied noch mehr +hervortreten lassen, so sagt er: "<tt>Ssalam-ala-hal-es-ssalam</tt>," +Gruß den Leuten des Grußes, d.h. den Mohammedanern, da +selbstverständlich den ungläubigen Hunden kein Gruß zukommt. +Oder auch man sagt. "Gruß Denen, welche die Religion befolgen," +womit selbstverständlich die allein seligmachende Religion +des Islam gemeint ist, alle anderen Religionen, die +christliche, die jüdische &c., führen den Menschen direct vom +Diesseits in die Hölle.</p> + +<p>Will ein Marokkaner recht höflich gegen einen Christen oder +Juden sein, d.h. ihn beim Begegnen zuerst anreden, so sagt +er wohl: "<tt>Allah-iaunek</tt>," Gott helfe dir, oder auch: Gott +gebe dir zu essen. Nie aber würde er einen Glaubensgenossen +so anreden, denn Alles, auch die Höflichkeitsbezeigungen, sind +streng vorgeschriebene Redensarten und Handlungen.</p> + +<p>Und es ist eigenthümlich: während äußerlich eine gewisse +Gleichheit der Menschen zu existiren scheint,—denn der ärmste +Mann im Lande ist nicht sicher, eines Tages zum ersten +Minister oder gar zum Sultan, zum Chalif (des gnädigen +Herrn Mohammed) gemacht zu werden,—herrscht dennoch ein +strenger Unterschied in den Förmlichkeiten und Gebräuchen des +Umgangs zwischen Hohen und Niedern, zwischen Armen und +Reichen, zwischen Schriftgelehrten und Laien, zwischen Schürfa<a name="FNanchor_6_6" id="FNanchor_6_6"></a><a href="#Footnote_6_6" class="fnanchor">[6]</a> +und anderen gewöhnlichen Sterblichen. Ist es nicht ähnlich +so in der päpstlichen Kirche? Der Sultan von Marokko betrachtet +sich als den rechtmäßigen Nachfolger Mohammeds, als +seinen Verweser auf Erden. Seiner Idee nach gehört von +Rechtswegen die ganze Erde ihm: "Jeder kann Sultan oder +Beherrscher der Gläubigen werden, vornehmlich aber die vom +Blute Mohammeds"<a name="FNanchor_7_7" id="FNanchor_7_7"></a><a href="#Footnote_7_7" class="fnanchor">[7]</a>. Der Papst andererseits betrachtet sich als +rechtmäßigen Nachfolger Petri (oder als Stellvertreter Jesu Christi, +d.h. eigentlich Gottes), seiner Meinung nach gehört von Rechtswegen +die Herrschaft über die ganze Erde ihm, jeder kann Papst +werden, der den Laienstand mit dem schwarzen Gewande vertauscht; +wie der Sultan von Marokko, behauptet er, nicht fehlen zu +können. Wo ist da der Unterschied vor dem <i>unparteiischen</i> +Menschen? Aber eben so groß, wie er in der päpstlichen Kirche +zwischen dem mit dreifach goldener Krone bedeckten Papste und +dem einfachsten Priester der Kirche oder gar dem Bettler ist, +so groß ist auch der Abstand zwischen dem von seinen tausend +Weibern umgebenen Sultan und dem ärmsten Faki des mohammedanischen +Reiches.</p> + +<p>Wie es bei uns verschiedene Anreden giebt, so auch bei den +Marokkanern. Der Sultan hat den Titel <i>Sidina</i>, unser +"gnädiger Herr"; der Scherif, d.h. ein Nachkomme Mohammeds, +den Titel <i>Sidi</i> oder <i>Mulei</i>, d.h. mein Herr; eine +Scheriffrau den Titel <i>Lella</i>; einen andern Menschen redet +man mit <i>Si</i>, <i>Herr</i>, an, welches Si dem Namen vorgesetzt +wird, <i>aber nur, wenn er lesen und schreiben kann</i>. +Andere ganz gewöhnliche Menschen nennt man einfach bei +Namen, sowohl Männer und Frauen, wie Kinder. Will man +solche rufen, so kann man ohne zu verstoßen, falls der Mann +unbekannt ist, sagen: <tt>ia radjel</tt>, o Mann; <tt>ia marra</tt>, o +Frau; <tt>ia uld</tt>, o Sohn; <tt>ia bent</tt> oder <tt>ia bekra</tt>, o Tochter, +o Jungfrau.</p> + +<p>Man muß sich wohl hüten, in Marokko den Titel <i>Sidi</i>, +mein Herr, gewöhnlichen Menschen zu geben, nur die Juden +müssen alle Gläubigen so anreden. Auch die Minister, Agha, +Kaid, Mufti, Kadi, Imam u.s.w. haben, falls sie nicht Schürfa +sind, kein Recht auf den Titel Sidi.</p> + +<p>Beim <i>Begrüßen</i> sagt man bis Mittag: Dein Tag sei +gut; von Mittag bis Abend: Dein Abend sei gut. Zu jeder +Stunde kann man sagen: Sei willkommen.</p> + +<p>Wenn auch vollkommen Unbekannte beim ersten Anreden +sich duzen, so ist das Duzen doch nicht ausschließlich im Gebrauch. +Es würde unschicklich sein, den Sultan anders anzureden, +als in der zweiten Person Pluralis, ebenso lieben es +auch vornehme Personen, namentlich Religionsmänner, sich in +der zweiten Person Pluralis anreden zu lassen. Auch Kinder +pflegen ihre Eltern mit "Ihr" anzureden. Der gebräuchlichste +Gruß, <tt>es ssalamu alikum</tt>, ist ebenfalls in der zweiten +Person Pluralis.</p> + +<p>Da eine Begrüßung zwischen Leuten, die sich seit Langem +nicht gesehen, immer unendlich lange dauert, manchmal eine +halbe Stunde, so hat man die verschiedensten Redensarten, um +sich nach dem wechselseitigen Befinden zu erkundigen., "Wie +ist dein Zustand?" "Wie ist deine Zeit?" "Wie bist du?" "Wie +ist dein Wie?" "Wie bist du gemacht?" u.s.w. Alle diese +Redensarten werden mit monotoner Stimme wiederholt und +man hat wohl Acht, dieselben mit häufigen "Gott sei gelobt", +"o gnädiger Herr Mohammed" zu untermischen. Je öfterer +man Letzteres thut, desto besser und frommer glaubt man zu +sein und für desto heiliger wird man gehalten.</p> + +<p>Es würde ein großes Verbrechen sein, bei den Leuten +arabischen Blutes sich nach dem Befinden der Frau des Anderen +zu erkundigen. Und wenn sie am Rande des Grabes +stände, dürfte man das nicht direct thun. Selbst der Vater, +der Bruder würde es nicht für decent halten, seinen Schwiegersohn, +seinen Schwager ohne Umschweife nach der Gesundheit +seiner Tochter, seiner Schwester zu fragen.</p> + +<p>Da aber der Marokkaner ebenso gut den Trieb der Neugier +besitzt, wie wir, so braucht er dann allerlei Umwege, um +sich nach dem Befinden einer Frau zu erkundigen: "Wie befinden +sich Adams Kinder?" d.h. alle Menschen, die Frauen +also auch; oder: "Wie geht es dem Zelte?" d.h. mit Allem +was darin ist; oder: "Wie geht es der Familie?"—"Wie befinden +sich deine Leute?" u.s.w.</p> + +<p>Der <i>Kuß</i> ist allgemein verbreitet. Dennoch kennt man +nicht den Kuß der Liebe: den auf den Mund. Man begegnet +einander, ergreift die Rechte, ohne sie zu drücken, und küßt sodann +seinen <i>eigenen</i> Zeigefinger. Will man über die Begegnung +recht seine Freude ausdrücken, so wird diese Procedur +sechs- bis achtmal wiederholt. Ein Untergebener küßt einem Vornehmen +den Saum seines Kleides oder ist dieser zu Pferde, +das Knie, die Füße; ist der zu Begrüßende ein großer Heiliger, +so kann man auch dessen Pferd oder irgend einen beliebigen +ihm gehörigen Gegenstand küssen.</p> + +<p>Weiß der Vornehme oder der Heilige, daß der Begrüßer +Geld hat oder Geld schenken will, so giebt er wohl seine Hand +zum Küssen, legt dieselbe segnend auf den Kopf oder wehrt +die demüthige Geberde des Begrüßers mit Worten ab. Ist +ein Untergebener zu Pferde, so steigt er schon von Weitem ab, +um einen höher Stehenden zu begrüßen. Zwei Gleiche küssen +sich wohl die Wangen, und will ein Vornehmer oder ein Heiliger +Jemand besonders auszeichnen, so küßt er diesem die +Stirn. Kommt ein Vornehmer, so erheben sich alle Anwesenden +und verbeugen sich mit vor der Brust gekreuzten Armen. +Vor dem Sultan, vor dem Großscherif kann man sich auch auf +die Erde werfen, wie beim Gebet, und die Stirn auf den Boden +drücken: "<tt>Allah-itohl-amreck</tt>!" Gott verlängere die Existenz +deiner Seele, ruft man.</p> + +<p>Der Marokkaner verläßt eine Versammlung ohne Gruß; +nur wenn er auf längere Zeit verreisen wollte, würde er es +für nöthig halten, sich förmlich und durch Worte zu verabschieden. +Ist aber ein sehr vornehmer Mann, ein Heiliger +in der Versammlung, so geht man zu ihm, küßt seine Knie, +seine Hand oder den Saum seines Kleides und verabschiedet +sich dann, ohne ein Wort zu sagen.</p> + +<p>Schon an anderen Orten ist darauf hingewiesen worden, +wie die marokkanische Geistlichkeit, wenn von einer solchen die +Rede sein kann, ebensoviel auf äußere Ehrenbezeigungen hält, +wie die der europäischen Christenheit. Wenn es auch dort +nicht Sitte ist, daß sie sich kenntlich macht von den Laien durch +besondere Tracht (schwarzer Anzug, weiße Cravate), so liebt +es doch Jeder, der sich vorzugsweise dem Studium der Religion +hingiebt, daß man ihn zuerst grüßt, daß er den Ehrenplatz +erhält und daß man auf ihn die meiste Rücksicht nehme. In +einem so durch die Religion fanatisirten Lande ist es daher +jedem Reisenden dringend anzurathen, sich mit dieser Klasse +von Menschen gut zu stellen, und da die mohammedanische +Geistlichkeit ebenso wie die christliche besondere Vorliebe für +Geld hat, weil dieses als die erste Bedingung zur Herrschaft +erscheint, so ist es wohl gerathen, den frommen Leuten davon +soviel wie möglich zukommen zu lassen. Wie richtig handelte +z.B. Ali Bey in dieser Beziehung bei seinen Reisen durch +Marokko.</p> + +<p>Alle Höflichkeitsbezeigungen in Marokko müssen in fromme +Redensarten gekleidet sein. <tt>Allah-iatik-ssaha, Allah-iaunik</tt>, +Gott gebe dir Kraft, Gott helfe dir, ruft man einem +Arbeitenden zu, und wenn einer niest, so rufe ihm ein <tt>Nedjak-Allah</tt>, +Gott rette dich, zu; der Niesende dankt mit "<tt>R'hamek-Allah</tt>", +Gott sei dir gnädig.</p> + +<p>Eine Sitte oder vielmehr Unsitte existirt, die man in +Europa auf's Höchste anstößig finden würde: das laute Aufstoßen +während des Essens und gleich hernach. Der Aufstoßende +ruft dann selbstgefällig "<tt>Stafhr-Allah</tt>", Gott verzeih' es, +oder "<tt>Hamd-Allah</tt>". Gott sei gelobt. Er betrachtet das +als Zeichen, daß der Appetit jetzt gestillt sei, und ebenso fassen +die Mitessenden es auf, die ihn vielleicht heimlicherweise um +dies seh- und hörbare Zeichen seines gesunden Magens beneiden. +Jedes Essen, jeder Trunk wird begonnen, wie überhaupt +Alles was man unternimmt, mit <tt>Bsm-Allah</tt>, im +Namen Gottes. Und es würde vollkommen gegen alle Sitte +sein, <i>aufrecht stehend</i> zu essen oder zu trinken. Dem Trinkenden +wird ein: "<tt>Ssaha</tt>", Gesundheit, zugerufen.</p> + +<p>Es würde nicht nur ein Verstoß gegen den guten Anstand +sein, wollte man mit der linken Hand essen, sondern auch den +Religionsvorschriften entgegen sein. Die linke Hand, welche +zu gewissen Ablutionen benutzt wird, gilt für unrein, nur der +<i>Teufel</i>, der sich aus religiösen Vorschriften nichts macht, bedient +sich seiner Linken. Man darf sich bei dem <i>Essen</i> nie +des <i>Messers</i> bedienen, namentlich das Brod darf <i>nicht geschnitten</i>, +sondern muß <i>gebrochen</i> werden. Vor und nach +dem Essen muß man sich die Hände und nach dem Essen die +Hände und den Mund ausspülen, aber sorgfältig darauf achten, +daß das zum Mundausspülen benutzte <i>Wasser nur aus der +hohlen Hand</i>, nicht aus einem Gefäße genommen wird. +Zum Reinigen des Mundes bedient der wohlerzogene Mann +sich nur des Daumens und Zeigefingers seiner Rechten. Man +soll nicht zu schnell essen, und Derjenige, der einen Vornehmen +oder höher im Range Stehenden bei sich empfängt, darf sich +nicht mit an die Schüssel setzen, sondern muß durch Aufwarten +seine Sorgfalt für den Besuch bekunden. Der Besuchende selbst +würde sehr gegen die Lebensart verstoßen, wollte er sich um +seine Bagage oder um seine Diener bekümmern. Daß diese +in Obhut genommen, daß die Dienerschaft mit Speise und +Trank versehen, daß die Thiere abgefüttert werden, darf ihn +nicht kümmern, es ist das Sache des Wirthes. Präsentirt man +dir eine Tasse Thee oder Kaffee, so trinke sie nicht rasch aus, +sondern nimm das Getränk <i>schlürfend</i> zu dir; wenn du beim +Speisen bist, so unterlasse es nie, die Hinzukommenden zum +Mitessen einzuladen, und diese, falls sie gleiches Ranges sind, +erzeigen sich als wohlerzogene Leute, wenn sie wenigstens einen +<i>Bissen</i> mitessen, selbst wenn sie satt sind. Sind sie aber +niederer Herkunft, so dürfen sie das Anerbieten nicht annehmen; +sind sie hungrig, so erfordert es der Anstand, sich zu setzen +und zu <i>warten</i>, bis man ihnen die Ueberreste reicht.</p> + +<p>Gewisse Gebräuche, als von den unseren abweichend, sind +noch besonders hervorzuheben:</p> + +<p>Man darf keinen brennenden Spahn mit dem Hauche auslöschen, +sondern nur durch Hin- und Herfahren durch die Luft. +Wenn man Feuer verlangt zu einer Pfeife oder um Etwas +anzuzünden, so sage man nicht: "gieb mir Feuer," "<tt>attininar</tt>", +denn "<tt>nar</tt>" bedeutet auch das höllische Feuer, sondern +man sagt: "<tt>attini-l'afiah</tt>". Das Wort "<tt>l'afia</tt>" bedeutet +Leben, Gesundheit und Feuer, oder "<tt>attini-djemra</tt>", gieb mir +eine Kohle.</p> + +<p>Höchst unanständig würde es sein, <i>aufrechtstehend</i> ein +Bedürfniß zu verrichten, man muß das in hockender Stellung +thun und hernach die Ablution nicht verabsäumen, oder wo +Wasser fehlt, die Ablution durch Sand vollziehen.</p> + +<p>Man vermeide, mit Schuhen ein Zimmer oder gar eine +Moschee zu betreten; an der Schwelle der Thür müssen sie +zurückgelassen werden. Sobald man Jemand auf der Straße +anreden will und hat ihm etwas Ausführliches zu sagen, dann +bleibe man nicht stehen, sondern hocke nieder, <i>denn im Stehen +lange zu sprechen ist unanständig</i>.</p> + +<p>Einen Bittenden muß man nie durch eine <i>abschlägige</i> +Antwort beleidigen; "<tt>in-schah-Allah</tt>," so Gott will, sagt +man, oder ist der Bittende zudringlich: "<tt>Rbi-atik</tt>", Gott wird +<i>dir</i> geben; ein guter Mohammedaner darf keinen Zweifel an +der Großmuth Gottes hegen.</p> + +<p>Begeht man eine Ungeschicklichkeit, zerbricht oder wirft man +aus Versehen Etwas um, <i>so verflucht man zuerst den +Teufel</i>, denn der ist die Ursache alles Uebels; erst dann sagt +man: "<tt>smah-li</tt>", verzeih mir, "<tt>ma-fi-schi-bass</tt>", ist kein +Uebel dabei, erwiedert der Besitzer <i>laut, innerlich</i> aber den +Urheber und Teufel zum Teufel wünschend. Sehr bequem +für alle Unfälle sind auch die Redensarten: "<tt>Mektub-Allah</tt>," +es war bei Gott geschrieben, oder "<tt>Hakum-Allah</tt>," es war +von Gott befohlen, oder wenn man einen lästigen Frager durch +eine gerade Antwort nicht befriedigen will: "<tt>Baid-alia, cha-bar-and-Allah</tt>", +das ist weit von mir, Gott weiß es, oder +"<tt>Arbi-iarf</tt>," Gott weiß es.</p> + +<p>Hat man sonst nichts zu thun, stockt eine Unterhaltung, so +ruft man einfach: <tt>Allah</tt> oder <tt>Rbi</tt>, d.h. Gott, <i>Meister</i>, +oder <tt>Allah-akbar</tt>, Gott ist der Größte, oder man bezeugt, +daß Gott ein einiger und Mohammed sein Gesandter ist, oder +endlich, <i>man verflucht die Christen</i>. Grund und Anlaß +zu diesen Reden brauchen nicht vorhanden zu sein, es gehört +aber zum <i>guten Ton</i>, sie so oft wie möglich auszustoßen.</p> + +<p>Für eine empfangene Wohlthat muß immer gedankt werden, +wäre sie auch noch so gering: <tt>Allah-ikter-cheirek</tt>, Gott +vermehre dein Gut, oder <tt>Allah-iberk-fik</tt>, Gott segne dich.</p> + +<p>Auf das Versprechen eines Marokkaners ist nichts zu geben, +wenn er auch von Höflichkeit überfließen würde und die heiligsten +Eide, wie "beim Haupte des Propheten, bei Gott dem +Allmächtigen" &c. geschworen hatte. Es erheischt dann aber +auch die gute Sitte, daß man dergleichen Schwüre nicht genau +nimmt, nicht daran erinnert.</p> + +<p>Ist man zum Besuche, so muß man sich ja hüten, die +Gegenstände oder den Besitz des Wirthes zu loben, es könnte +das den Verdacht erwecken, als wolle man Etwas geschenkt +haben. Thut man es ja, so füge man immer hinzu: <tt>Mabruk</tt>. +Lobt man z.B. ein Pferd: <tt>mabruk el aud</tt>, das Pferd möge +dir glücklich sein, oder lobt man ein Kind: <tt>Allah itohl +amru</tt>, Gott verlängere seine Existenz. Lobt man einen Abwesenden, +so ist es höflich, wenn man seine Eigenschaften vergleicht +mit denen Desjenigen, zu dem man spricht: "ich traf +letzthin mit Mohammed Ben Omar zusammen, der ebenso viel +Geist, ebensoviel Ueberlegung besitzt, <i>wie du selbst</i>." Ueberhaupt +ist es Norm, Jedem die größten Schmeicheleien geradezu +ins Gesicht zu sagen: "Bei Gott, wie geistreich du bist, Niemand +ist, wenn es Gott gefällt, so großmüthig, wie du; ich habe, +Gott stehe mir bei, noch keinen so guten Reiter gesehen, wie +du einer bist" u.s.w. Der Geschmeichelte antwortet mit +"<tt>Kulschi-and-Allah</tt>", Alles steht bei Gott, oder mit sonst +einer frommen Redensart.</p> + +<p>Bei gewissen Ereignissen im menschlichen Leben haben die +Marokkaner ihre unveränderlichen Höflichkeitsphrasen. Bei +einer Verheirathung: "Gebe Gott, daß sie dein Zelt fülle" +(mit Kindern). Wenn ein männlicher Sprößling geboren +wird: "Das Kind möge dir Glück bringen." Zu einem Erkrankten: +"Sorge nicht, Gott hat die Zahl deiner Krankheitstage +gezählt;" zu Einem, der im Gefecht verwundet wurde: +"Du bist glücklich, Gott hat dich gezeichnet, um dich nicht +(beim jüngsten Gericht oder beim Eintritt ins Paradies) zu +vergessen." Will man Jemand über den Verlust eines Angehörigen +trösten: "Seit dem Tage, wo er empfangen wurde, +stand sein Tod im Buche Gottes", oder: "es war bei Gott +geschrieben."</p> + +<p>Ueber den Verlust der Frau tröstet man noch besonders +mit: "Halt deinen Schmerz an, Gott wird diesen Verlust ersetzen."</p> + +<p>Alle diese Redensarten sind <i>unveränderlich</i>, wie bei +uns "guten Tag", "wie gehts" &c. Die Marokkaner haben +aber auch noch andere Mittel, um sich unbemerkt oder durch +Zeichensprache ihre Gedanken mitzutheilen. Zum Beispiel in +einer Versammlung wäre es vielleicht wünschenswerth, irgend +Jemand über die Gesinnung oder Absicht dieses oder jenes +aufzuklären. Er blinzelt ihm mit dem Auge zu, reibt die +beiden Zeigefinger an einander, d.h. wir sind oder ihr seid +Freunde und verstehen uns oder ihr seid Gesinnungsgenossen. +Ein <i>kreuzweises Sägen der beiden Zeigefinger</i> würde +Feindschaft andeuten. Dergleichen conventionelle Zeichen haben +die Marokkaner sehr viele, wodurch sie reden können, ohne +damit in eine allgemeine Unterhaltung eingreifen zu müssen. +Und es wird keineswegs als ein Act der Unhöflichkeit betrachtet, +sich solcher Zeichen zu bedienen.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_6_6" id="Footnote_6_6"></a><a href="#FNanchor_6_6"><span class="label">[6]</span></a> Nachkommen des Mohammed.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_7_7" id="Footnote_7_7"></a><a href="#FNanchor_7_7"><span class="label">[7]</span></a> Sollte ja Einer auf den Thron kommen, der nicht Scherif wäre, +so würde er kraft der Infallibilität, die jeder Sultan der Gläubigen besitzt, +schon Papiere beibringen, um zu beweisen, daß er doch Mohammeds +Blut in seinen Adern habe.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch6_Beitrag_zur_Kenntni_der_Sitten_der_Berber" id="Ch6_Beitrag_zur_Kenntni_der_Sitten_der_Berber"></a>6. Beitrag zur Kenntniß der Sitten der Berber in Marokko.</h2> + +<p>Die Berber, welche Nordafrika und besonders den nordwestlichen +Theil des Atlas von Marokko bewohnen, haben +mehr als andere dem Islam huldigende Völker ihre eigenen +Sitten und Gebräuche beibehalten. Zum großen Theile ist +die Gemeinsamkeit der Sprache Ursache dieser Eigenthümlichkeit; +denn wie groß auch der Raum ist, den die Berbersprache +einnimmt, vom atlantischen Ocean bis zum rothen Meere, so +sind die Dialekte derselben keineswegs der Art, daß nicht eine +Verständigung zwischen den verschiedenen Stämmen möglich +wäre.</p> + +<p>Vorzugsweise finden wir aber Berber in Marokko, denn +es dürften von der Gesammtbevölkerung des Landes zwei +Drittel berberischen und nur ein Drittel arabischen Blutes +sein: schlank von Wuchs, weiß von Hautfarbe, zeigen die Berber +überhaupt alle die Merkmale, die wir gewohnt sind, der +kaukasischen Race beizulegen; daß sie die Abkömmlinge der +alten Mauren oder Numider sind, welche unter verschiedenen +Namen, als Gätuler, Autolaler &c., fast dieselben Gegenden +inne hatten, die wir heute von den Berberstämmen bewohnt +sehen,—daran zweifelt Niemand.</p> + +<p>So finden wir denn auch heute die Berber so leben, wie +sie es vor tausend Jahren gewohnt waren, d.h. ein Theil +von ihnen wohnt in Städten, wenn man größere befestigte +Ortschaften so nennen will, ein anderer Theil aber wohnt +nomadisirend, wie das Mela am Schlusse seines dritten Buches +schon hervorhebt: <tt>hominum pars silvas frequentant et—pars +in ubibus agunt</tt>, und daß heute noch dieselben Verhältnisse +in Bezug auf dies Land und diese Völker gang und +gebe sind, daß wir auch heute kaum mehr vom Inneren Marokkos +wissen, als unsere geistigen Vorfahren, die Griechen +und Römer, das wird dann klar, wenn wir die Worte des +Plinius unterschreiben: "ich wundere mich aber nicht sehr, +daß Rittern und Denen, welche aus diesem Orden in den +Senat traten, Manches unbekannt geblieben war; aber darüber +wundere ich mich, daß es auch der Luxus nicht erforscht hat. +Die Macht desselben ist die wirksamste und größte. Denn +man durchsucht ja die Wälder um Elfenbein, und alle gätulischen +Klippen um Stachel- und Purpurschnecken<a name="FNanchor_8_8" id="FNanchor_8_8"></a><a href="#Footnote_8_8" class="fnanchor">[8]</a>."</p> + +<p>Ist es nicht, als ob dieser Passus heute geschrieben sei? +Auch heute, wo der Luxus noch die größte Macht ist, ist es +demselben nicht gelungen, Marokko der Civilisation zu öffnen, +vielleicht aber auch, weil eben der rechte Luxusartikel, der gerade +den Bewohnern genehm wäre, noch nicht gefunden worden +ist.</p> + +<p>Der vor ohngefähr tausend Jahren den Berbern aufgedrungene +Islam hat wenig, oder fast kann man sagen, gar +keine Veränderungen in den Anschauungen und in der Lebensweise +der Berber hervorgebracht. Die Lehre Mohammeds, <i>nur</i> +in der arabischen Sprache gelehrt, ist für diese Völker, von +denen nur ausnahmsweise ein Individuum der Koransprache +mächtig ist, ein todter Buchstabe geblieben; sogar die äußeren +Vorschriften und Gebräuche, die der Prophet seinen Anhängern +vorgeschrieben hat, sind für Berber nicht vorhanden.</p> + +<p>Nur Eins hat der Islam auch zur Folge gehabt, was ja +überhaupt allen hierarchischen Religionen nur eigen ist und +ohne das sie nicht würden existiren können: das Verdammen +einer jeden anderen Religion und Haß und Verachtung gegen +alle Die, welche nicht das glauben, was man selbst glaubt. +Natürlich schließt das ein, daß man die eigne Lehre, den eignen +Glauben für den allein richtigen und allein seligmachenden +hält.</p> + +<p>Deshalb ist denn auch die Feindschaft, welche Berber gegen +andere Völker hegen, fast nur eine aus der Religion entspringende; +obschon sie nichts vom eigentlichen Islam verstehen, +hassen und befeinden sie alle die Völker, die eine andere Religion +haben.</p> + +<p>Es ist daher falsch, wenn Richardson und andere Reisende +behauptet haben, daß die in Marokko unter den Berbern ansässigen +Juden besser gehalten seien, als die unter den Arabern +wohnenden. Die Unterdrückung derselben, ihre schimpfliche +Stellung ist unter den Berbern ebenso groß und in die Augen +springend, wie unter den Arabern.</p> + +<p>Was das häusliche Leben anbetrifft, so liegt zwischen Berbern +und den übrigen Mohammedanern der wesentlichste Unterschied +in der Stellung der Frau; aber auch in allen übrigen, +die Sitten und Gebräuche betreffenden Dingen lassen die Berber +bis zum heutigen Tage sich vielmehr vom <i>Herkommen</i> +leiten, als von den Gesetzen des Koran. Aus diesem haben +sie eben nur <i>das</i> angenommen, was ihrer Eitelkeit und Einbildungskraft +schmeichelte. So pflegt denn auch die Heirath +vollkommen nach dem Herkommen, el Ada genannt, stattzufinden. +Indeß hat die Frau dennoch nicht die gleichberechtigte +Stellung, wie sie die Frau heute bei <i>uns</i> einnimmt, sondern +wird mehr als Eigenthum des Mannes, als etwas zum übrigen +Vermögen Gehörendes betrachtet.</p> + +<p>In der Heirath <i>nach uraltem Brauche</i>, <tt>Suadj el Djidi</tt> +oder Gaislein-Heirath, so genannt, weil das Schlachten eines +jungen Zickleins die eheliche Verbindung besiegelt, verpflichtet +sich der Gatte, dem Vater seiner Zukünftigen 60 Metkal zu +zahlen. Hat er das Geld nicht disponibel, so zählt er auf +seine Freunde, und am Schlachttage verfehlen diese auch nicht, +sich einzustellen und Jeder legt dem Freier ein kleines Geschenk +zu Füßen. Im Fall der Freier gar keinen Wohnsitz hat, beeilen +sie sich, Steine herbeizubringen; ein Haus, wir würden +sagen ein Stall, wächst schnell aus der Erde, schlanke Aloë-Stämme +giebt es genug als Gebälk und die großen und +langen Rindenstücke der Korkeiche bedecken die Wohnung. +Wenn aber die zur Ehe Verlangte von den Angehörigen dem +Freier aus irgend einem Grunde verweigert wird<a name="FNanchor_9_9" id="FNanchor_9_9"></a><a href="#Footnote_9_9" class="fnanchor">[9]</a>, dann +müssen sie, falls der Liebende auf seinem Heirathsprojecte +besteht, wohl aufpassen, daß sie ihm keine Gelegenheit geben, +sich der Wohnung der Geliebten zu nähern. Thut und kann +er das, gelingt es ihm, unvermerkt auf der Schwelle seiner +Ersehnten ein Gaislein zu opfern, dann ist sie ohne Widerruf +mit ihm verlobt und ihre Anverwandten würden sich der +Mißbilligung, ja der Feindschaft Aller aussetzen, wollten sie +jetzt noch der Heirath hemmend in den Weg treten.</p> + +<p>In einigen Triben ist es Sitte, daß die sich Vermählende +vor der Hochzeit von ihren Verwandten auf einem Maulthiere +durch das Dorf oder durch den Duar (Zeltdorf) geführt +wird. Ueberall ertönt das gellende Geschrei und Gejauchze +der Frauen, die jungen Leute lassen fleißig das Pulver +sprechen. Vor jedem Hause, vor jedem Zelte, vor welchem +sie vorbei kommt, beeilt man sich, eine kleine Gabe herauszutragen: +hier sind in einem Strohteller große Bohnen, dort +wird Gerste, hier werden trockene Feigen, dort Rosinen präsentirt. +Die junge Dame nimmt von allen Sachen eine Hand +voll, küßt sie und wirft dann das Ergriffene auf den Teller +zurück. Aber hinterher schreitet irgend eine ihrer älteren +Verwandten, die nun Alles in einen großen Sack einheimst: +zur Aussteuer für die Neuvermählten.</p> + +<p>Sobald man sich der Wohnung oder dem Zelte des Gatten +nähert, wird die Braut von anderen Frauen umringt, sie +geben ihr einen Topf mit flüssiger Butter, in die sie die Hände +tauchen muß als Zeichen des steten Ueberflusses im Haushalte, +und sodann ein Ei, welches sie zwischen den Ohren des Maulthieres +zerschlagen muß, um dadurch böse Zaubereien unschädlich +zu machen. An der Schwelle der Wohnung präsentirt +man der Frau einen Trunk Buttermilch und sie selbst ergreift +eine Hand voll Korn und Salz um dasselbe ebenfalls als +Zeichen des Reichthums und Segens rechts und links auszustreuen.</p> + +<p>Jetzt ergreift der Mann Besitz von seiner Braut und zum +Zeichen schießt er in unmittelbarer Nähe vor ihren Füßen eine +Flinte ab, er ergreift das junge Mädchen und zieht sie ins +Innere der Wohnung, während die Verwandten sich zur allgemeinen +Belustigung zurückziehen. Ein zweiter Schuß im +Innern der Behausung ertönt, Zeichen, daß die Heirath vollzogen +ist; die junge Frau erscheint bald darauf an der Hand +ihres Gatten, Tanz und Schmausereien, woran das junge +Paar Theil nimmt, beschließen die Festlichkeit.</p> + +<p>Die Frau ist, wie gesagt, ein Besitz, wie jedes andere +Eigenthum des Mannes, wenigstens bei gewissen Stämmen +des Atlas. Stirbt ihr Mann, so wird der männliche Anverwandte, +der der Wittwe zuerst seinen Haïk (großes wollenes Umschlagtuch)<a name="FNanchor_10_10" id="FNanchor_10_10"></a><a href="#Footnote_10_10" class="fnanchor">[10]</a> +überwirft, ihr rechtmäßiger Gemahl. +Zugleich ist er aber auch verpflichtet, für die etwaigen Kinder +zu sorgen und deren Vermögen zu verwalten.</p> + +<p>Scheidungen finden bei den Berbern statt, aber nie auf so +leichte und grundlose Weise, wie bei den Arabern oder sonstigen +Mohammedanern, wie denn überhaupt alle Berber, mögen +sie nun unter dem Namen Tuareg bei Timbuktu wohnen oder +als Kabylen im Djurdjura hausen, entschiedene Feinde der +Polygamie sind. Grund zur Scheidung ist Kinderlosigkeit +(Berber wie Araber halten Kinderlosigkeit immer für Sterilität +der Frauen); der Vater der zurückgeschickten Frau muß das +Morgengeld wieder herausgeben. Ebenso, falls die Frau Infirmitäten +bei der Verheirathung zeigte oder gar schon ihre +Virginitas verloren hat, kann sie darauf rechnen, auf der +Stelle zurückgeschickt zu werden.</p> + +<p>Die Tochter ist manchmal dazu bestimmt, das Leben ihres +Vaters oder Bruders mittelst ihrer Sclaverei zu erkaufen, +aber nie würde sie für einen Oheim, Großvater, Vetter oder +sonstigen noch entfernteren Verwandten mit ihrer Person eintreten +können; auch herrscht diese Sitte nur bei einigen Berberstämmen. +Jemand begeht z.B. einen Mord oder Todtschlag +in einer anderen Familie, hat aber nicht die Mittel, +um die Diya, d.h. das Blutgeld, bezahlen zu können; will +er nun nicht selbst das Leben opfern, so kann er dem anderen +Stamme seine Tochter oder Schwester als Sclavin überlassen. +Diese verliert dadurch völlig die Rechte einer Freien, wird +ebenso angesehen, wie eine Chadem (schwarze Sclavin) und ist +nun vollkommen Eigenthum der anderen Familie geworden. +Aber oft genug kommt es vor, daß die Sclavin, wenn sie jung +und hübsch ist, das Herz eines Jünglings ihrer neuen Herrschaft +erobert, ihn heirathet, dadurch frei und dann zugleich +das Freundschaftsband zwischen zwei ehemals feindlichen Stämmen +wird.</p> + +<p>Es kommt häufig vor, daß zwei Männer einen Tausch +mit ihren Frauen auf ganz friedliche Weise zu Wege bringen; +derjenige, der das in Beider Augen häßlichere und weniger +werthvolle Weib besitzt, d.h. ein solches, welches weniger jung +und fett als das des Anderen ist, muß einiges Gold darauf +zahlen. Hat aber Jemand seine Tochter einem jungen Manne +versprochen und läßt sich nachher durch Habgier bewegen, sein +Wort nicht zu halten, so entsteht Krieg. Die ganze Familie, +die ganze Tribe nimmt sich sodann des Bräutigams an und +sucht mit Gewalt dessen Ansprüche geltend zu machen. Ehebruch +und Verführungen sind äußerst selten, und obschon in +rohen Formen, halten die Berber große Stücke auf Familienleben. +Aus einer im October 1858 veröffentlichten Gesetzgebung +der Kabylen vom Orte Thaslent ersehen wir auch, +daß es den Männern besagter Ortschaft verboten war, mit +den Frauen zu disputiren, einerlei, ob die Frau angreifender +Theil war oder nicht. Hatte indeß die Frau erwiesenermaßen +zuerst angefangen, so mußte ihr Mann Strafe zahlen, sonst +aber der, welcher mit ihr Streit gesucht hatte. Die größten +und heiligsten Pflichten glaubt aber der Berber für sein Gemeinwesen, +für seinen Stamm zu haben. Ist dem Araber +zuerst die Religion die Hauptsache, wie denn Mohammed überhaupt, +gerade wie es in der römischen Kirche gelehrt wird, +die Nationalität auslöschen will, um an deren Stelle einen +Religionsstaat zu setzen, so hat der Berber, trotzdem auch er +den Islam angenommen hat, dies nie begreifen können. +Wenn der Berber sich auch vorzugsweise gern mit seinem +Schwerte gegen die Christen wendet, so ist's ihm im nächsten +Augenblicke aber auch ganz gleich, dasselbe gegen jedweden +Mohammedaner zu ziehen, sobald sich dieser gegen ihn oder +gar gegen seinen Stamm vergangen hat. Der Araber führt +auch Krieg gegen Mohammedaner; die wüthendsten Kämpfe +sind ja zwischen Stämmen arabischen Blutes oder zwischen +Arabern und Türken gefochten worden und entbrennen auch +jetzt noch immer wieder. Aber heuchlerischer Weise gestehen +sie das nicht zu, sie behaupten nur gegen die Ungläubigen zu +kämpfen, und die Araber Algeriens z.B., die einst fortwährend +mit ihrer türkisch-mohammedanischen Regierung in Fehde +lagen und die so erbittert gegenseitig auf einander waren, +daß sie nicht wußten, auf welch grausamste Weise sie einander +tödten sollten—diese selben Araber haben jetzt ganz und gar +ihre grausame türkische Herrschaft vergessen. Hört man sie +sprechen, so waren die Türken die mildesten, gerechtesten, gottesfürchtigsten +Herrscher, sie waren ja vor allen Dingen "Gläubige", +die Franzosen aber sind Ungläubige, mögen sie noch +so gut regieren, sie bleiben aus religiösem Hasse immer für +die Araber die "christlichen Hunde". Fragt man einen Araber: +würdest du gegen die "Gläubigen" kämpfen? so wird er +sicher antworten: "Beim Haupte Mohammeds, Gott hat es +verboten, Gottes Name sei gelobt."</p> + +<p>Der Berber kennt von solchen Heucheleien nichts, und durch +manche Stämme bin ich gekommen, die so wenig auf ihren +Islam geben, daß man von ihnen sagte, sie sind so räuberisch +und diebisch, daß, wenn Mohammed in eigner Person käme +und habe ein anständiges Kleid an, sie (die Berber) nicht anstehen +würden, den Propheten auszuplündern.</p> + +<p>Wenn ich vorhin anführte, daß die Ehre der Familie und +des eignen Stammes den Berbern als das Höchste gilt, so +ist dies so zu verstehen, daß sie z.B. denjenigen ihrer Leute +keineswegs für ehrlos halten, der einen Fremden bestiehlt; +aber ehrlos würde es sei, wollte Jemand einen von einem +anderen Stamme, der einmal Zutritt erhalten hat oder der +gar die Anaya<a name="FNanchor_11_11" id="FNanchor_11_11"></a><a href="#Footnote_11_11" class="fnanchor">[11]</a> des Stammes besitzt, bestehlen oder gar ermorden. +Daß aber doch solche Fälle vorkommen, ersieht man +daraus, daß die Berber hierüber und hiergegen ihre eigenen +(arabisch) geschriebenen Gesetze haben, die nicht wie die meisten +Gesetze der übrigen Mohammedaner auf den Koran fußen, +sondern aus uralten Ueberlieferungen bestehen und wohl erst +im Laufe der Jahrhunderte von der Tholba zu Papier gebracht +wurden. Wie stark ist z.B. der Gemeinsinn ausgeprägt, +wenn es in einem alten Kabylengesetze heißt: "Der, dem eine +Kuh, ein Ochse oder ein Schaf stirbt, hat das Recht, die Gemeinde +zu zwingen, das Fleisch des Thieres zu kaufen als +eine Hülfeleistung.—So will es der Gebrauch." Dies Gesetz +ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Der Verlust +des Viehes wird dem Eigentümer dadurch einigermaßen versüßt, +weil er das Fleisch doch wenigstens verwerthen kann; +der Gebrauch will, daß die Quantität, die Jeder nehmen muß, +vom Chef des Ortes bestimmt wird. Sodann ist aber dieses +Gesetz zugleich ein Schlag dem Koran ins Gesicht, denn Mohammed +sagt ausdrücklich, daß Fleisch von gestorbenen oder +gefallenen Thieren als unrein für jeden Mohammedaner +"<tt>harem</tt>" d.h. verboten ist. Aber was ist dem Berber der +Koran, wenn es gilt: Einer für Alle, Alle für Einen!</p> + +<p>Wie stark im Sinne der Gemeinde-Interessen ist nicht auch +folgendes Gesetz: "Der, welcher ein Haus, einen Obstgarten, +ein Feld oder einen Gemüsegarten an Individuen eines anderen +Dorfes verkauft, muß davon seine Brüder, Verwandte, +Geschäftsfreunde und die Leute seines Dorfes überhaupt benachrichtigen, +und wenn diese den Kauf rückgängig machen und +sich den Käufer substituiren wollen, so haben sie demselben +innerhalb dreier Tage den Kaufschilling zurückzuerstatten<a name="FNanchor_12_12" id="FNanchor_12_12"></a><a href="#Footnote_12_12" class="fnanchor">[12]</a>." +Durch dieses Gesetz konnte die Gemeinde verhüten, daß irgend +ein ihr mißliebiges fremdes Individuum bei ihr Zutritt bekam. +Es ist wahr, die Gesetze wechseln bei jeder Tribe, von Dorf +zu Dorf, und es ist das ein sicheres Zeichen, daß seit +langer Zeit den Berbern die einheitliche Leitung fehlt; aber +im Ganzen beruhen sie doch auf denselben Grundsätzen. Es +ist eigenthümlich und auch das bekundet das hohe Alter solcher +Gesetzsammlungen, daß die Berber dafür den Ausdruck +"<tt>kanon</tt>", ein Wort, das offenbar griechischen Ursprungs ist, +haben und welches, wie General Daumas meint, eine christliche +Reminiscenz in sich schließt.</p> + +<p>In der Gesetzsammlung der Ortschaften, Thaurirt und +Amokrom, der großen Kabylie, vom Herrn Aucapitaine herausgegeben, +finden wir ebenfalls die weltlichen und Gemeinde-Angelegenheiten +den kirchlichen übergeordnet und ausdrücklich +hervorgehoben: "Wer sich ins Einvernehmen mit Schürfa, als +da sind vom Stamme der Uled-Ali, Icheliden oder anderen +Marabutin setzt, zahlt 50 Realen Strafe." Wenn man nun +weiß, daß die Schürfa, d.h. die Nachkommen Mohammeds, +unter den Mohammedanern ohngefähr dieselbe Rolle spielen, +wie bei uns die Jesuiten, die sich für die besten Nachfolger +Jesu halten, so wird man nicht umhin können, den weisen +Sinn und den gesunden Verstand der Berber zu bewundern.</p> + +<p>Die von den Alten schon erwähnte Vorliebe der Berber +für Schmucksachen und schöne Kleidung<a name="FNanchor_13_13" id="FNanchor_13_13"></a><a href="#Footnote_13_13" class="fnanchor">[13]</a> besteht auch heute +noch. Der größte Ehrgeiz der Berber besteht darin, in den +Besitz eines Tuch-Burnus von schreiendsten Farben zu kommen, +hochroth und gelb sind als Farben besonders beliebt; kann er +es ermöglichen, einen solchen mit Goldstickerei zu kaufen, so +dünkt er sich ein König zu sein. Das Haar tragen die Berber +heute nicht mehr nach einer bestimmten Vorschrift, wie es ehedem +vielleicht Sitte gewesen ist, meist wird der Kopf sogar +ganz kahl rasirt, aber alle halten darauf, einen Zopf stehen +zu lassen, meist vom Hinterhaupte ausgehend. Das Haar der +Berber ist durchweg schwarz; die einzelnen blonden Individuen, +die man vorzugsweise im Djurdjura-Gebirge in Riffpartien +und überhaupt längs des Mittelmeeres findet, sind allerdings +manchmal durch einzelne Familien hindurchgehend, aber doch +nur vereinzelt. Ob diese Blonden von gothischer Abkunft, ob +sie vandalischen Ursprungs sind, das wird schwerlich je festgestellt +werden; es ist das auch für das Berbervolk in seiner +Gesammtheit höchst gleichgültig, da der Berber im Ganzen +schwarzhaarig ist.</p> + +<p>Es giebt wohl wenig Berberstämme, die nicht Ringe als +Schmuck in Gebrauch haben; hier sind es große Ohrringe, +manchmal 2-3 Zoll groß und aus Silber bestehend, dort +kleinere; hier haben ganze Stämme die Gewohnheit, Oberarm-Ringe +zu tragen aus Serpentinstein<a name="FNanchor_14_14" id="FNanchor_14_14"></a><a href="#Footnote_14_14" class="fnanchor">[14]</a> oder Metall, dort werden +die verschiedenen Finger mit Ringen überladen. Und fast +scheint es, als ob die Männer bei den Berbern der eitlere +Theil wären. Allerdings tragen die Frauen die üblichen +Fußringe, manchmal werden mehrere über einen Knöchel gezwängt; +allerdings haben sie ihre Agraffen, Fingerringe und +Haargeschmeide, aber schon das fast durchweg dunkle Costüm +der Frauen aus dunkelblauem Kattun (was in der That bei +den meisten Berberfrauen üblich ist) zeigt, daß die Frauen +weniger auf hervortretende Toiletten geben.</p> + +<p>Was die Waffen der Berber anbetrifft, so sind Bogen und +Pfeile längst durch Schießwaffen verdrängt, nur einige Stämme +im großen Atlas, sowie die Tuareg machen Gebrauch von der +Lanze. Alle Berber haben kurze breite Dolche, viele tragen +sie befestigt am Arme, so die Tuareg und die Berber südlich +vom Atlas, andere haben sie im Leibgürtel stecken oder an +einer Schnur hängen. Ihr Schwert ist südlich vom Atlas +mehr von gerader Form, nördlich vom Gebirge ist es das +schwach gekrümmte marokkanische; die Schußwaffen bestehen aus +Lunten- und Steinschloßflinten.</p> + +<p>Weil der Islam, der wie andere monotheistische Religionen +leicht zu einer unumschränkten Priesterherrschaft führt, bei den +Berbern nicht den Eingang gefunden hat, wie bei den Arabern, +so haben jene sich einen weit größeren Grad von Freiheit und +Freiheitsliebe bewahrt, und weil sie mehr Sinn für Freiheit +haben, deshalb sind sie, man kann es wohl behaupten, besser +als die Araber. Die geknechteten Menschen, einerlei, ob sie +von einer fremden Gewalt oder von einer fremden Nation +bedrückt oder von einer einheimischen, z.B. ihrer eignen Regierung +oder ihrer Geistlichkeit, als Sclaven gebraucht werden, +haben sich stets als die schlechtesten und sittlich am niedrigsten +stehenden erwiesen. Deshalb sind die Araber so heruntergekommen, +weil sie alle ihre Tholba für unfehlbar hielten und +Alles glaubten, was im Koran stand. Deshalb stehen die +Griechen auf so niedriger Stufe geistiger Entwicklung, weil sie +von den Türken als Sclaven behandelt wurden; deshalb sind +Franzosen, Spanier und andere romanische Völker weit in +sittlicher Beziehung hinter den freidenkenden protestantischen +Germanen zurück. Wir sehen also deutlich, daß ein Volk, je +mehr es auf seine Religionsübungen verwendet, sittlich um so +mehr verkommen ist; denn ohne ungerecht zu sein, können +wir sagen, daß durchschnittlich mehr Sittlichkeit und mehr +Bildung in den protestantischen Ländern herrscht. Die statistischen +Zahlen nennen den Unterschied Derer, die lesen und +schreiben können, und geben Aufschluß darüber, wo größere +Achtung vor dem Gesetz und dem öffentlichen Eigenthum besteht +und weniger Verbrechen begangen werden, ob in den protestantischen, +ob in den katholischen Ländern. Aber Niemand wird +wohl behaupten, die Protestanten seien religiöser (freilich sagen +unsere Religionslehrer, die wahre Religion sei nicht bei den +Katholiken) als die Katholiken. Im Gegentheil; die Katholiken +gehen fleißiger zur Kirche, ihr Glaube ist viel inniger und +fester, ihre frommen Stiftungen zahlreicher, ihr ganzes kirchliches +Leben ausgedehnter. Aber was ihnen fehlt, ist die +Freiheit des Denkens und die Schulbildung, welche, um den +Menschen sittlich zu machen, nothwendig ist. Ganz ebenso ist +es mit den Mohammedanern; gewöhnt, nur das zu glauben, +was ihnen ihr "<i>Buch</i>" sagt, weil dabei eine gewisse Classe +von Menschen am besten wegkommt, haben sie sich zu Sclaven +dieses "Buches" und dieser Classe von Menschen gemacht. Sie +haben längst aufgehört, darüber nachzudenken, oder haben sich +eigentlich nie zu dem Gedanken emporschwingen können, ihr +"Buch" einer Kritik zu unterwerfen—der blinde Glaube +hat sie dahin gebracht, wohin sie gekommen sind, und andere +Völker, die im blinden Glauben dahin leben, werden ihnen +folgen.</p> + +<p>Der Berber ist davor bewahrt worden: ohne gerade Kritik +an den Islam zu legen, ist er indifferent geblieben. Ohne +Contact mit anderen Völkern hat er allerdings in Bildung +und Gesittung keinen höheren Standpunkt eingenommen, aber +er ist frei geblieben und, wie gesagt, die Freiheit hat ihn +geadelt.</p> + +<p>Offenbar würde der Berber deshalb auch eine Zukunft +haben, käme er mit gesitteten Nationen in Berührung, die frei +in Beziehung auf Religion denken. Die Franzosen constatiren +mit Genugthuung, daß mit den Berbern Algeriens leichter +umzugehen sei, daß sie sich eher der Civilisation geneigt zeigen, +als die Araber. General Faidherbe, einer der besten Kenner +der Völker Nordafrika's hat dies wiederholt ausgesprochen.</p> + +<p>Was die jetzige Lebensweise der Berber anbetrifft, so ist, +wie schon erwähnt, ein Theil in festen Ortschaften, ein Theil +in Zelten wohnhaft, aber mit Ausnahme der Tuareg treiben +sie alle Ackerbau. Auch die in Zelten auf den Abhängen des +großen Atlas lebenden Berber haben ihre Aecker. Ebenso +treiben alle Berber Viehzucht, vorzugsweise die Zeltbewohner. +Auf dem Tell, d.h. dem fruchtreichen Erdboden, halten sie +Rinder-, Schaf- und Ziegenheerden; in der Sahara legen sie +sich auf Kamelzucht. Eigen ist allen die Vorliebe für das +Pferd. Mit Recht wird das Berberpferd ebenso hoch geschätzt, +wie das arabische.</p> + +<p>Die Nahrung der Berber ist einfach und fast nur vegetabilisch. +Der höchste Genuß ist ihnen eine Schüssel Kuskussu, +eine Mehlspeise, die aus Gerste oder Weizen bereitet wird und +die auch von den Tuareg als das <tt>Non plus ultra</tt> aller Gerichte +geschätzt wird. Eigentliches Brod in unserem Sinne ist +den Berbern nicht bekannt, wohl aber machen sie Mehlfladen +auf einer Stein- oder Eisenplatte. Oder auch Mehl wird geknetet, +mit Speck und Datteln durchsetzt und auf heißem Sande +gar gebacken. Bei allen Berbern werden nur zwei Hauptmahlzeiten, +die Morgens und Abends stattfinden, genossen; +letztere ist die reichlichere. Man ißt allgemein mit der Hand +und aus <i>einer</i> Schüssel, die Frauen und Kinder getrennt +von den erwachsenen Männern; für Suppen und flüssige +Speisen hat man hölzerne Löffel. Wenn aber z.B. fünf oder +sieben Personen aus einer Schüssel Suppe essen, so hat man +in der Regel nicht mehr als zwei, höchstens drei Löffel, welche +im Kreise herumgehen. Natürlich wird, da den Berbern alle +Möbel, wie Stühle, Bänke und Tische, abgeben, auf der Erde +hockend gesessen, die Schüssel selbst, am Boden stehend, bleibt +in der Mitte. Wird ein Getränk, sei es nun saure Milch +oder Wasser, herumgereicht, so kreist die Schüssel ebenfalls, und +wie bei Arabern, ist es vergönnt, <i>stehend</i> zu essen oder zu +trinken.</p> + +<p>Was die geistigen Fähigkeiten der Berber betrifft, so stehen +sie mindestens aus derselben Stufe, wie die Araber, wenn +nicht <i>jetzt</i> höher. Daß sie bedeutend empfänglicher für Civilisation +sind, als die Araber Nordafrika's, habe ich schon hervorgehoben; +der freiwillige Besuch, den Tuareg-Häuptlinge vor +einigen Jahren in Paris machten, ist ein glänzendes Zeugniß +davon. In Algerien arbeiten Berber des Djurdjura-Gebirges +oder aus dem marokkanischen großen Atlas gern bei Christen; +der durch die Religion fanatistrte Araber faullenzt und hungert +lieber, als daß er sich herabließe, bei den Christen zu +arbeiten. Aber zu einer guten Entwicklung des Berbervolkes +wäre allerdings der Contact mit religiös vorurtheilsfreien +Nationen, namentlich protestantischen, nothwendig.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_8_8" id="Footnote_8_8"></a><a href="#FNanchor_8_8"><span class="label">[8]</span></a> Plinius, Naturgeschichte Bd. 5.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_9_9" id="Footnote_9_9"></a><a href="#FNanchor_9_9"><span class="label">[9]</span></a> <tt>v. Feraud, reveue africaine 1862</tt>.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_10_10" id="Footnote_10_10"></a><a href="#FNanchor_10_10"><span class="label">[10]</span></a> <tt>v. Feraud, revue africaine 1862</tt>.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_11_11" id="Footnote_11_11"></a><a href="#FNanchor_11_11"><span class="label">[11]</span></a> Anaya ist das, was die Araber Aman, d.h. Sicherheitsbrief, +<tt>sauf conduit</tt> nennen.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_12_12" id="Footnote_12_12"></a><a href="#FNanchor_12_12"><span class="label">[12]</span></a> <tt>Journal Akhbar, Algèr 1858</tt>.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_13_13" id="Footnote_13_13"></a><a href="#FNanchor_13_13"><span class="label">[13]</span></a> <i>Strabo</i> im XVII. Buche, übersetzt v. <i>Venzel</i>: "Sie träufeln sich +sorgfältig ihr Haupthaar und ihren Bart, tragen zur Zierde Gold auf +den Kleidern, reinigen sich die Zähne, beschneiden die Nägel und selten +wird man, wenn sie miteinander spazieren gehen, sehen, dass Einer dem +anderen gar zu nahe kommt, aus Furcht die Frisur desselben zu verderben."</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_14_14" id="Footnote_14_14"></a><a href="#FNanchor_14_14"><span class="label">[14]</span></a> Werden in Europa zu diesem Gebrauche verfertigt und von Mogador +und anderen Hafenstädten aus importiert.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch7_Ueber_Reiz-_und_Nahrungsmittel_afrikanischer_Volker" id="Ch7_Ueber_Reiz-_und_Nahrungsmittel_afrikanischer_Volker"></a>7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker.</h2> + + +<h3>1. <i>Goro- oder Kola-Nuß</i>.</h3> + +<p>Die Goro- oder Kola-Nuß, <tt>cola acuminata R. Br.</tt> oder +<tt>sterculia acuminata Pal.</tt>, ist eines der verbreitetsten Reizmittel +bei den centralafrikanischen Völkern. Diese Nuß, von der +Größe einer dicken Kastanie, wächst auf einem staudenartigen +Baume, welcher ähnlich dem Kaffeebaume ist. Die Blätter +desselben sind gummibaumartig. Man findet diesen Baum +oder diese Staude an der ganzen Westküste von Afrika, hauptsächlich +auf dem sogenannten Kong-Gebirge, aber nach dem +Innern zu scheint dieselbe nicht weit vorgedrungen zu sein; +auf dem Gora-Gebirge z.B., einem Gebirgsstock, zwischen +Tschad-See, Bénue und Niger gelegen, fehlt die Goro-Staude. +Wild wächst sie in einer Oertlichkeit, Namens Gondja. Oestlich +von Sierra Leone scheint aber die Goro-Staude auch durch +die Neger angebaut zu werden.</p> + +<p>Heinrich Barth sagt, daß die in Timbuktu vorkommende +Goro- oder, wie er schreibt, Guro-Nuß aus den Provinzen +von Tamgrera, von Tente und Koni komme, daß die auf +dem Markte von Kano vorkommende hingegen aus der nördlichen +Provinz Assanti's komme, von einer Stadt, Namens +Sselga.</p> + +<p>Man unterscheidet die echte Goro-Nuß, deren Inneres +dunkelrosenfarbig, von angenehmem bitteren Geschmacke und +nicht schleimartig ist, mit einer Abart derselben, ebenfalls inwendig +roth, aber weniger bitter und einen gummiartigen +Schleim beim Zerkauen abgebend. Diese beiden sind bekannt +unter dem Namen <tt>sterculia acuminata</tt>. Sodann die weiße +oder unechte Goro-Nuß, die nur an der Küste vorkommt und +am wenigsten bitter ist. Es ist dies die <tt>sterculia macrocarpa</tt>.</p> + +<p>Nach Barth unterscheidet man sodann in Kano je nach +der Größe der Frucht vier besondere Arten: <tt>guria</tt>, die größte, +oft 1-1/2 bis zwei Zoll im Durchmesser haltend, die <tt>marssakatu</tt>, +die <tt>soara-n-naga</tt> und die <tt>mena</tt>. Nach ihm (Band V. S. 28) +unterscheidet man in Kano dann die je nach der Jahreszeit +geernteten: die <tt>dja-n-karagu</tt>, die erste, welche Ende Februar, +die <tt>gummaguri</tt>, die später und die <tt>nata</tt>, welche zuletzt gesammelt +wird und die sich am längsten halten soll. In Timbuktu +fand Barth drei verschiedene Arten. Aber alle diese +Unterschiede sind nicht durch wesentliche Verschiedenheiten der +Nuß selbst bedingt, sondern bestehen nur in willkürlich oder +durch Gewohnheit angenommenen Merkmalen der Neger.</p> + +<p>Wird die Goro-Nuß alt und trocken, so wird die +Oberfläche mehr runzlig und das Fleisch erhärtet fast wie +Holz und nimmt eine braunrothe Färbung an. In diesem +Zustande wird sie Kola-Nuß genannt, denn nur frische Nüsse +heißen Goro. Der Geschmack der Nuß ist aromatisch bitter, +etwas adstringirend und zerkaut färbt sie den Speichel gelb-röthlich. +Sie hinterläßt einen süßlichen, süßholzartigen Nachgeschmack. +Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Goro-Nuß +auch tonisch wirkt. Dieser angenehme, bitter-süße Geschmack +ist aber nur bei frischen Nüssen z0u bemerken, getrocknet verlieren +die Kola-Nüsse fast jeden Geschmack, es ist dann fast, +kaut man sie, als ob man ungebrannte Kaffeebohnen kaute. +Aber auch in diesem Zustande müssen sie noch wirksame Bestandtheile +besitzen, denn nur so kann man es sich erklären, +daß die Kola-Nüsse noch eine so große Verbreitung und Anwendung +haben.</p> + +<p>Die Araber, welche mit den Sudanländern Verbindung +haben, schreiben der Goro-Nuß aber auch eine starke erotische +Kraft zu und gerade dieser Eigenschaften wegen kauen sie dieselbe; +außerdem behaupten sie, und dies gewiß mit Recht, daß die +Nuß Appetit erregend sei und namentlich der Tabak besonders +gut darauf schmecke.</p> + +<p>Natürlich kann sich, was räumliche Verbreitung anbetrifft, +die Goro-Nuß keineswegs mit Thee, Kaffee, Tabak, Opium +oder gar alkoholartigen Getränken messen; wenn wir aber +bedenken, daß mehr oder weniger alle Bewohner des nördlichen +und nordcentralafrikanischen Continents von diesem Stimulans +Gebrauch machen, so liegt doch wohl die Frage nahe, <i>weshalb</i> +ist die Goro-Nuß so allgemein in Aufnahme gekommen, +<i>warum</i> ist dieselbe heute gewissen Stämmen centralafrikanischer +Völker ebenso unentbehrlich geworden, wie den meisten +civilisirten Völkern der Thee oder Kaffee?</p> + +<p>Die meisten Individuen, die Gebrauch von Thee oder +Kaffee machen, wissen nichts von den eigentlichen chemischen +Eigenschaften dieser Vegetabilien. Sie haben wohl nie von +Koffein gehört; sie würden gar nicht verstehen, wollte man +ihnen sagen, daß unsere Physiologen und Chemiker dem Thee +und Kaffee directe Wirkungen auf das Gehirn zuschreiben, +und dennoch genießen sie unablässig entweder das eine oder +das andere Getränk oder auch beide; sie würden sich vollkommen +unglücklich fühlen, wollte man sie dieser Genüsse berauben. +Die schon mehr Verständigen versuchen wohl die Ausrede, der +Kaffee wirke tonisch, der Thee adstringirend, aber der große +Haufe nimmt Kaffee und Thee zu sich, weil beide Getränke +ihm <i>unbewußt</i> ein <i>undefinirbares</i> Vergnügen und Wohlbehagen +verschaffen.</p> + +<p>Als ich von meiner Reise nach Centralafrika auf dem +Rückwege Sierra Leone berührte, fand ich in der Hauptstadt +dieser Halbinsel, in Freetown, auf dem dortigen Markte einen +großen Vorrath Goro-Nüsse beider Arten. Ganz auf dieselbe +Art verpackt, wie die Neger sie von den Küstenländern in das +Innere von Afrika forttransportiren, d.h. zwischen feuchtem +Moose gelagert und das Ganze in einem Bastkorbe verpackt, +nahm ich einen solchen Korb voll mit nach Europa; die Nüsse +hielten sich vortrefflich frisch. In Deutschland angekommen, +schickte ich denn auch sogleich an meinen Gönner und Freund, +unseren berühmten Chemiker, Baron Liebig, eine Partie Nüsse. +Eine davon, welche gepflanzt wurde (im botanischen Garten +der Universität), gedieh bis zum Jahre 1869 zu einer kräftigen +Staude mit prächtigen, saftgrünen Blättern. Aber am +interessantesten war für mich, daß v. Liebig mir mittheilte, +daß er in den Goro-Nüssen mehr Koffeïn gefunden habe, als +verhältnismäßig in den Kaffeebohnen selbst vorkomme. Man +kann also dreist sagen, daß auch bei der Goro-Nuß, wie beim +Kaffee oder Thee, das unbewußt Anziehende der Koffeïnstoff ist.</p> + +<p>Der Preis der Goro-Nuß ist sehr verschieden, je nach der +Oertlichkeit und je nach der Größe und Art der Frucht. Weiße +Nüsse gelten an der Küste Westafrika's 3000 Stück einen +M.-Th.-Thaler, also das Stück eine Muschel. Rothe, namentlich +wenn sie groß sind, gelten aber auch hier oder in +der eigentlichen Heimath das Stück fünf Muscheln. Nach +Barth schwankt je nach der Jahreszeit, nach ihrer Größe und +Güte der Preis einer Nuß in Timbuktu zwischen 10 und 1000 +Muscheln. In Kuka steigt der Preis bei schlechten Ernten, +bei mangelhaftem Transport (ein Esel kann circa 6000 Nüsse +transportiren), oder bei gehemmtem Karawanenverkehr, manchmal +auf 500, ja auf 1000 Muscheln für eine einzelne Nuß. +Aber so groß ist die Begierde der Neger nach diesem Artikel, +daß auch dann sich noch Käufer finden. Unter solchen Umständen +theilt man sich gegenseitig die kleinsten Stücke mit, +ja unter den gewöhnlichen Leuten ist so wenig Ekel, daß sie +keineswegs Anstoß daran nehmen, von einem besser Situirten +ein schon halb ausgesogenes und abgekautes Stückchen Nuß +zu empfangen, es in den Mund zu nehmen, um es vollends +seiner bittern und aromatischen Substanz zu berauben.</p> + +<p>In allen Ländern Bornu's, Socoto's, Gando's, Yoruba's &c. +ist die Uebersendung eines mit Goro-Nüssen gefüllten Korbes +Seitens des Sultans oder Fürsten an den Fremden das Zeichen +der Freundschaft und des Willkommens. Je größer die +Nüsse, je gefüllter der Korb ist, eines um so besseren Empfanges +kann man versichert sein. Und wie der Türke jeden Besucher +mit einer Pfeife und einer Tasse Kaffee ehrt, so gehört +es mit zum guten Ton in den civilisirten Negerländern, dem +Fremden mit einer Goro-Nuß aufzuwarten. Sind die Nüsse +selten oder wegen der Jahreszeit oder des Transportes theuer, +so theilt man sie mit seinem Gefährten.</p> + + +<h3>2. <i>Tabak</i>.</h3> + +<p>Von allen betäubenden Mitteln, die zugleich aufregend wirken, +ist wohl keines verbreiteter als Tabak, und wenn man zu +der Annahme berechtigt ist, daß die Tabakpflanze sich <i>nur</i> +von Amerika aus verbreitet hat, Amerika aber erst seit einigen +Jahrhunderten für die übrige Welt erschlossen wurde, so muß +man noch mehr staunen. Afrika, dieser compacte Erdtheil, der +sich allen Culturbestrebungen bis jetzt verschlossen gezeigt hat, +hat die Tabakspflanze bis zu seinem innersten Centrum dringen +lassen. Nicht etwa, daß der Tabak, einmal eingeführt, sich +selbst den Weg gebahnt hätte, wie gewisse Culturpflanzen und +auch Unkraute es thun, indem sie mit unwiderstehlicher Macht +<i>von selbst</i> vorwärts dringen, es sind die Menschen, die Eingeborenen +dieses Erdtheiles selbst die Träger und Verbreiter dieser +Pflanze gewesen. Und es giebt wohl keine Art und Weise, +den Tabak zu nehmen, die nicht in Afrika Anwendung fände; +hier raucht man, dort wird geschnupft, hier kaut man, dort +wird Tabak als medizinisches Heilmittel gebraucht. Ja, Duveyrier<a name="FNanchor_15_15" id="FNanchor_15_15"></a><a href="#Footnote_15_15" class="fnanchor">[15]</a> +behauptet sogar, "daß arabische Frauen, mit elf Jahren +verheirathet, Mütter mit zwölf Jahren, mit zwanzig Jahren +schon Greisinnen, den Tabak als ein Aphrodisiacum gebrauchen, +indem sie sich gewisse Körpertheile mit pulverisirtem Tabak +bestreuen".</p> + +<p>Von verschiedenen Forschern ist die Frage ausgeworfen +worden, ob bei der in Afrika durchgängigen Verbreitung des +Tabaks die Pflanze nicht dort, wie in Amerika, <i>ureinheimisch</i> +gewesen sein könne. Ich wage hierüber kaum eine +Meinung, vielweniger noch eine Entscheidung abzugeben. Am +verbreitetsten in Afrika ist jedenfalls der Bauerntabak, <tt>Nicotiana +rustica</tt>; aber auch der virginische Tabak, <tt>N. tabacum L.</tt>, +findet sich in Afrika. Schweinfurth fand ihn bei den Monbuttos +und im Tell von Algerien wird er durchweg gebaut. +Indeß ist es, meine ich, kaum ein Grund, zu glauben, Nicotiana +rustica dürfe darum ureinheimisch in Afrika sein, weil +einige Völker ein eignes Wort dafür in ihrer Sprache besitzen +und nicht eins, welches von "Tabak" abgeleitet sei oder damit +in Verbindung stehe; auch für andere Gegenstände, von denen +wir bestimmt wissen, daß sie ihnen von Außen zugebracht sind, +haben sie oft genug das Originalwort verworfen und dafür +ein neues, von ihnen erfundenes oder aus ihrer Sprache entlehntes +an die Stelle gesetzt. Sodann kommt noch in Betracht: +kann die <tt>Nicotiana rustica</tt> auf anderem Boden und unter +anderen klimatischen Verhältnissen sich in tabacum veredeln +oder ist eine Rückbildung von einer zur anderen Seite unmöglich? +Verschiedene Tabakbauern haben mir gesagt, daß derartige +Beobachtungen gemacht wären.</p> + +<p>Am allgemeinsten ist unter den verschiedenen Weisen den +Tabak zu nehmen, das Rauchen verbreitet, und wenn es auch +Stämme und Völker giebt, die blos schnupfen oder kauen, so +giebt es andererseits auch Völker in Afrika, bei denen Männer +und Frauen, ohne Ausnahme, der Gewohnheit des Rauchens +huldigen. So z.B. die Kadje- und Bussa-Neger, die +Tuareg. "<tt>Chez les Touareg</tt>," sagt Henry Duoeyrier S. 184, +"<tt>hommes et femmes fument et quoique la fumée du tabac +rustique soit très acre, hommes et femmes la rendent par +le nez</tt>."</p> + +<p>Unsere Damen in Europa könnten also an den afrikanischen +in dieser Beziehung lernen, denn mit Ausnahme der +polnischen Aristokratie rauchen bei den <i>übrigen</i> europäischen +Völkern nur die Damen des <tt>demi monde</tt>.</p> + +<p>Während aber wir Europäer zum größten Theile den Tabaksrauch +nur in die Mundhöhle einziehen, saugen die afrikanischen +Völker den Rauch derart ein, daß die <i>ganze Lunge</i> +davon erfüllt wird: der immer mehr oder weniger mit Nicotin +geschwängerte Tabak tritt also bei ihnen vermittelst der +Lungenbläschen und der Capillarblutgefäße direct ins Blut +über. Natürlich folgt daraus, daß bei diesen Leuten ein +schneller Rausch eintritt. Dieser Tabaksrausch scheint aber aller +angenehmen Eigenschaften zu entbehren, vielmehr nur in einer +Art von Bewußtlosigkeit zu bestehen.</p> + +<p>Für die allgemeine Verbreitung des Tabaks spricht auch +noch der Umstand, daß man in Afrika die einfachsten Gefäße, +um den Tabak "rauchen" zu machen, nebst dem raffinirtesten, +der Narghile, im Gebrauch hat. Ed. Mohr sagt aus, daß die +Matchele-Neger einen Kegel aus Thonerde auf dem Boden +formen, oben eine topfartige Höhlung hineindrücken, diese mit +Kohlen etwas trocken brennen und siehe da, der Pfeifenkopf +ist fertig. Sie füllen Tabakblätter hinein, bohren seitwärts +ein Rohr ein, und nachdem nun das Kraut entzündet, kann +das Rauchen beginnen. Weit complicirter ist das von Fritsch +u.A. beobachtete Rauchen aus Antilopenhörnern, die schon +eine rohe und primitive Narghile-Flaschen andeuten. Ganz +auf ähnliche Art rauchen Abessinier und Galastämme aus +Thonkrügen oder Flaschenkürbissen. Von den Monbutto sagt +Dr. Schweinfurth<a name="FNanchor_16_16" id="FNanchor_16_16"></a><a href="#Footnote_16_16" class="fnanchor">[16]</a>: "Sie rauchen aus einer Pfeife primitivster, +aber durchaus praktischer Art, indem sie als Rohr die Mittelrippe +eines Bananenblattes verwenden. Die vornehmsten unter +ihnen lassen sich indeß von ihren Schmieden ein eisernes Rohr, +gleichfalls von den Dimensionen des aus Bananenlaub geschnittenen +(etwa fünf Fuß lang), herstellen. Das untere Ende +dieses Rohrs ist geschlossen und statt dessen seitlich, kurz vor +dem Ende, ein Einschnitt gemacht, in welchen eine mit Tabak +gefüllte <i>Düte von Bananenlaub</i> gesteckt wird, die als +Pfeifenkopf dient."</p> + +<p>Aber wer wollte alle die Arten und Weisen aufzählen, +auf welche afrikanische Völker Tabak rauchen. Ich führe nur +noch an, daß die an den Ufern des Bénue lebenden Stämme +den Tabak aus Thonköpfen rauchen, ähnlich den unsern, und +daran haben sie so lange Rohre, daß die Pfeife im Stehen +geraucht werden kann. Diese Stämme, namentlich die Bassa-Neger, +sind so verpicht auf's Rauchen, daß sie z.B., gehen sie +zu Boot, eigens im Schiffe ein Feuer unterhalten, um jederzeit +ihre Pfeife wieder anzünden zu können. Die in den Berberstaaten +nomadisirenden oder seßhaften Berber und Araber +bedienen sich ohne Ausnahme eines <i>Röhrenknochens</i> vom +Schafe oder von einer Ziege. In das eine Ende der Knochenröhre +wird der Tabak eingestopft und dann direct durchs +andere Ende der Dampf eingesogen. Die Städtebewohner +Nordafrika's huldigen der Narghile oder den Papiercigaretten. +Die eigentliche Cigarre, also das Tabakrauchen unmittelbar, +hat bei den Eingeborenen Afrika's bis jetzt wenig Anklang +gefunden.</p> + +<p>Weniger gebräuchlich ist in Afrika die Sitte des Tabakkauens. +Ich selbst beobachtete das Tabakkauen nur bei Tebu +und einigen Negerstämmen am Tschad-See. Man nimmt dazu +keinen besonders präparirten Tabak, sondern dieselben Blätter, +welche Andere auch geraucht haben würden. Aber allgemein +ist Brauch, den Saft des zerkauten Tabaks noch dadurch zu +verschärfen, daß man Trona (kohlensaures Natron), welches +in vielen Theilen Afrika's gefunden wird, hinzusetzt. Besondere +Behälter, des Beschreibens werth, um Tabak und Trona +aufzubewahren, haben die Eingeborenen nicht; irgend ein alter +Lappen oder der Zipfel eines Kleides dient dazu.</p> + +<p>Noch weniger gebräuchlich ist das Prisen, es ist gewissermaßen +Privilegium vornehmer Eingeborener. Der zu schnupfende +Tabak wird äußerst fein gestoßen und sodann mischen die +meisten dazu noch ein Achtel kohlensaures Natron. Reiche +und angesehene Leute in Marokko erlauben sich heute auch den +Gebrauch einer europäischen Schnupftabaks-Dose oder sie haben +eine aus Ebenholz gefertigte große Birne, welche den Schnupftabak +birgt. Aber in letzterer ist immer nur ein kleines Loch, +verschlossen durch einen hölzernen Stöpsel. Und hierbei bemerke +ich, daß die frommen mohammedanischen Leute wie bei +uns<a name="FNanchor_17_17" id="FNanchor_17_17"></a><a href="#Footnote_17_17" class="fnanchor">[17]</a> das Rauchen für sündhafter halten, als das Schnupfen. +In Marokko rauchen selten die Schriftgelehrten, aber alle +schnupfen. Zum Aufbewahren des Schnupftabaks haben die +Völker von Mandara eine ausgehöhlte Bohne, Schotensame +eines Baumes. Diese Bohnen haben anderthalb bis zwei +Zoll Durchmesser, sind aber ganz glatt; durch eine kleine +Oeffnung bringt man den Tabak hinein und heraus. Eine +sehr beliebte Methode, den Schnupftabak aufzubewahren, ist, +ihn in ein Stück Zuckerrohr zu schütten, dessen eines Ende mit +einem alten Lappen verschlossen wird.—Afrika hat jedenfalls +eine bedeutende Zukunft für den Anbau des Tabaks. Die in +Algerien gezogenen Tabakssorten sind vortrefflich, aus Centralafrika +von mir mitgebrachte Sorten (auf dem Markte von +Kuka gekauft) wurden in Bremen für ausgezeichnet erklärt. +Und der Tabak scheint in Afrika überall zu gedeihen, denn +selbst in den heißesten Oasen der Sahara findet man Tabaksfelder +und jeder Neger zieht in der Regel seinen Tabaksbedarf +in seinem eigenen Garten.</p> + + +<h3>3. <i>Kaffee und Thee, Lakbi, Tetsch und andere +alcoholartige Getränke</i>.</h3> + +<p>Man kann keineswegs behaupten, daß Kaffee irgendwo in +Afrika ein so nationales Getränk geworden ist, wie bei verschiedenen +Völkern in Europa. Und gerade da, wo er am +billigsten für das Volk herzustellen wäre, scheint er am +wenigsten im Gebrauch zu sein, nämlich in den südabessinischen +Provinzen. Dort, wo die Staude oder der Kaffeebaum überall +wild wachsen und von wo sie erst im Anfange des 15. Jahrhunderts +nach Arabien importirt wurden, scheinen die umwohnenden +Völker kaum die Anwendung der Bohne zu kennen; +die Abessinier aber trinken keinen Kaffee, weil sie dadurch zu +sündigen glauben, sie meinen nämlich, Kaffeetrinken sei nur +den Mohammedanern eigen.</p> + +<p>Der Kaffee wird in Afrika überall ohne Milch genommen, +und die Art ihn durchzuseihen, ihn zu filtriren oder blos durch +einen Aufguß heißen Wassers herzustellen, ist ungebräuchlich. +"Kaffee machen" ist bei allen afrikanischen Völkern nur eine +"<tt>decoctio</tt>"<a name="FNanchor_18_18" id="FNanchor_18_18"></a><a href="#Footnote_18_18" class="fnanchor">[18]</a>. Und zwar wird nur nach augenblicklichem Bedarfe +Kaffee für eine Person, höchstens für drei bis vier Personen, +in kleinen Gefäßen gekocht. Der auf's Feinste zu Mehl +gestoßene Kaffee wird in ein kleines eisernes, mit kochend heißem +Wasser gefülltes Gefäß gethan, dann läßt man diese +Mischung einige Male über Kohlen aufkochen und das Getränk +ist fertig. Diese Kochgefäße sind so klein, daß wenn z.B. für +eine Person Kaffee bereitet wird, dasselbe auch kein größeres +Quantum Wasser aufnehmen kann, als jene bekannten sogenannten +türkischen Tassen fassen.</p> + +<p>In ganz Afrika, von Aegypten bis Marokko, von Tripolis +bis nach Kuka, wird auf <i>diese</i> Art der Kaffee bereitet. Aber +wie Kaffee in allen diesen Ländern nur als eine Leckerei betrachtet +wird, so findet man Kaffeehäuser nur in größeren +Orten; bei nomadisirenden Stämmen erlaubt sich höchstens noch +der Schech oder Kaid einer Tribe den Luxus einer täglichen +Tasse Kaffee; überhaupt kann man sagen, ist Kaffeeverbreitung +nur nördlich vom Atlas. In den Oasen Tafilet, Draa und +Tuat sind die wenigen Kaffeehäuser zu zählen und die Besitzer +müssen meistenteils noch irgend einen anderen Erwerbszweig +nebenbei betreiben, um leben zu können. In Fesan besteht +nur Ein Kaffeehaus in der Hauptstadt Mursuck, und der +Eigentümer ist ein nach diesem Orte verbannter Türke, sonst +würde vielleicht gar keins vorhanden sein. In Kuka, in +Bautschi, in Kano, in Timbuktu sind Kaffeehäuser unbekannt. +Man kann also im Allgemeinen sagen, südlich vom 30° nördlicher +Breite hört in Afrika der Gebrauch des Kaffee's auf; +denn wenn auch behauptet wird<a name="FNanchor_19_19" id="FNanchor_19_19"></a><a href="#Footnote_19_19" class="fnanchor">[19]</a>: "der Sohn der Wüste trinkt +seinen Kaffee ungemischt und den schwarzen, aber wahrhaften +Satz sammt dem Aufguß; zuweilen bringt er es auf 80 Schälchen +am Tage," so ist Ersteres richtig, alle Mohammedaner +trinken den Kaffee mit dem Satze; aber wo wäre der Beduine, +und wäre er selbst Chef einer Tribe, der die Mittel hätte, +80 Tassen Kaffee zu bezahlen? Kaffee ist nur Luxusgetränk +in ganz Afrika, d.h. in dem Sinne, als Kaffee im Allgemeinen +zu theuer ist, um als Volksnahrungs- oder Reizmittel gelten zu +können. Schon der erste Anlaß, wie der Kaffee unter den +Arabern in Yemen Aufnahme gefunden, spricht dafür, wenn +auch das Ganze eine Fabel ist, daß in demselben Etwas enthalten +sein muß, was eine unwiderstehliche Anziehungskraft +ausübt. Man erzählt nämlich, ein armer Derwisch habe bemerkt, +daß seine Schafe und Ziegen jedesmal nach dem Abweiden +einer gewissen Staude äußerst heiter und lustig gewesen +seien, und als er sodann selbst von dieser Staude Blätter +genossen, habe er dieselbe Wirkung verspürt.</p> + +<p>Die Sitte, Gischr, d.h. einen Absud von Kaffeehülsen zu +trinken, wie Hr. v. Maltzan dies in Südarabien beobachtete, +kennt man in Afrika nicht. Es hat dies übrigens gar nichts +zu Verwunderndes. Denn nach Untersuchungen von Stenhouse +enthalten die Blätter des Kaffeebaumes mehr Koffein als die +Bohnen<a name="FNanchor_20_20" id="FNanchor_20_20"></a><a href="#Footnote_20_20" class="fnanchor">[20]</a>, also werden die Hülsen der Bohnen auch wohl das +belebende Princip enthalten. Ebenso fand ich nicht den Gebrauch +des Milchzugießens, den Maltzan auch an einigen Orten +Südarabiens beobachtete. Abeken auf seiner Reise nach Oberägypten +und Nubien fand dort Leute, die eine Abkochung aus +rohen, ungebrannten Bohnen bereiteten. Abeken fand diese Kaffeebereitung +so angenehm und schmackhaft, daß er in seinen letzten +Lebensjahren immer nur eine Decoction aus ungebrannten +Bohnen trank. Mir ist dieser Gebrauch nirgends vorgekommen.</p> + +<p>Noch weniger hat sich der Thee einbürgern können; aber +während der Kaffeegebrauch im Osten von Nordafrika vorwiegend +ist—denn Aegypten allein consumirt mehr Kaffee, als +Tripolitanien, Tunesien, Algerien, Marokko und die Sudanländer +zusammen—ist hingegen der Verbrauch von Thee im +Westen von Nordafrika größer. Marokko bezieht mehr Thee +als alle übrigen Länder Nordafrikas zusammen. Während nach +Marokko jährlich wenigstens 5000 Kisten Thee importirt werden, +bedarf Aegypten, welches doch eine ungefähr gleiche Bevölkerung +hat, so wenig, daß unter den amtlich genannten +Einfuhrartikeln vom Jahre 1868 Thee nicht genannt wird. +Bibra<a name="FNanchor_21_21" id="FNanchor_21_21"></a><a href="#Footnote_21_21" class="fnanchor">[21]</a> in seinem unten citirten Werke hat also vollkommen +Recht, wenn er S. 66 sagt: "Von zweien solcher Aufgußgetränke +mit allen ihren physiologischen Wirkungen auf den +Organismus ist eins aber sicher überflüssig," und hier hat der +Instinct der Menge entschieden. Beide herrschen nirgends neben +einander, sondern eines derselben wird stets als Luxusgetränk +consumirt und erscheint nur ausnahmsweise irgend einem einzelnen +Individuum angemessener, als das allgemein eingeführte. +Im Süden findet man auf allen großen Märkten, so in Kuka, +wie in Kano, Saria und Timbuktu, Thee zu kaufen.</p> + +<p>Thee wird in Afrika nie allein bereitet; der Eingeborene +von Aegypten schüttet ebenso gut wie der Tunesier und Marokkaner +zu den Theeblättern einige Münzblätter oder auch +Absynth, Luisa und andere aromatische Kräuter. Denn +so wie man in Marokko den Thee braut, so wird er in ganz +Afrika bereitet. Marokko ist ja der Religionsstaat schlechtweg, +und wie alle mohammedanischen Afrikaner Malekiten sind wie +die Maghrebiner, so bekommen sie auch vorzugsweise von +Marokko in allen Gebräuchen, namentlich wenn diese irgendwie +mit der Religion in Verbindung stehen, ihre Parole. Thee +ist aber ein religiöses Getränk. Es <i>giebt</i> fromme Schriftgelehrte, +die Kaffee nicht trinken, weil Kaffee <i>gebrannt</i> werden +muß, Mohammed aber an irgend einer Stelle im Koran sagt: +"Alles, was verbrannt ist, ist verboten."</p> + +<p>Die Afrikaner trinken nur grünen Thee, eine ziemlich geringe +Sorte, der ihnen fast ausschließlich von den Engländern +zugeführt wird. Die eigenthümliche Sitte, die Barth in Timbuktu +beobachtete, daß man Thee und Zucker zusammen verkauft, +als ob beide Waaren unzertrennlich wären, beobachtete ich +auch an verschiedenen Orten. Denn wenn man in Afrika bei +den Meisten bemerkt, daß sie den Kaffee bitter trinken, pflegen +sie den Thee jedoch so stark zu süßen, daß an vielen Orten +Thee ohne Zucker und Zucker ohne Thee nicht gedacht oder +verkauft werden kann. Man kennt nirgends die Sitte, Thee +und Milch zusammen zu mischen. In vielen Städten Nordafrika's +genießen statt des Thee's verschiedene Leute einen Aufguß +von Gewürzen. Ingwer, Nelken, Muscatblüthen werden mit heißem +Wasser übergossen und zu dieser Infusion etwas Zucker gesetzt.</p> + +<p>Bedeutend volkstümlicher ist Lakbi, ein aus dem Safte +der Dattelpalme gewonnenes Getränk. Man findet Lakbi in +ganz Nordafrika im Gebrauch vom c.25° ö.L.v.F. an, +dann im Westen von Nun, im Draathal, in Tafilet und Tuat +wird nirgends Lakbi getrunken. Aber in Djerid, in den Oasen +südlich von Konstantine, in ganz Tripolitanien, einschließlich der +großen Oase Fesan bis nach Aegypten hin, findet man in allen +Palmhainen immer Bäume, die angezapft sind. Man zieht +die männliche Palme zum Anzapfen vor, einmal weil dieser +Baum weniger Werth hat, dann auch, weil der Saft der +männlichen Palme kräftiger sein soll. Das Anzapfen wird +derart gemacht, daß oben der jüngste Sproß ausgehoben wird; +dann wird eine Rinne nach dem äußeren Umfange gearbeitet +und darunter ein Krug oder Topf befestigt. Im Frühjahr +kann man in den ersten Tagen des Anzapfens bis zu 5 Liter +erhalten. Die anfangs etwas milchige, fast widerlich süß +schmeckende Flüssigkeit wird nach Verlauf von 24-36 Stunden +säuerlich, fängt an zu gähren und entwickelt nun Alcohol. In +diesem Zustande ist Lakbi berauschender als Bier, aber schon +nach abermals 24 Stunden bildet dies Spiritus haltende +Getränk sich in Essig um. Den von Rüppel erwähnten <i>Dattelwein</i>, +"ein widerlich süßes Getränk, aus halbgegohrenem Datteldecoct +bereitet", habe ich nirgends angetroffen.</p> + +<p>Bedeutend beschränkter ist Meth, Tetsch oder Honigwein. +Man kann sagen, daß dies Getränk eigentlich nur in Abessinien +und den nächst angrenzenden Ländern getrunken wird. Die +Bereitung des Tetsch geschieht in Abessinien ähnlich wie in +England und bei uns, nur daß statt Hefen und Hopfen eine +andere bittere Pflanze, Amdat genannt, hinzu gethan wird. +Das Getränk wird in Abessinien gewöhnlich in großen +Rindshörnern aufbewahrt, auch die Becher zum Trinken bestehen +aus Horn. Tetsch ist sehr berauschend. Ausnahmsweise bereiten +auch centralafrikanische Völker Honigwein, aber meistens +stellen diese ihr bei uns Europäern unter dem Namen Busa +oder auch Merissa bekanntes, berauschendes Getränk aus Getreide +her. Es gehört schon ein guter Magen und ein wenig +wählerischer Geschmack dazu, um das abscheuliche Getränk genießen +zu können. Und da Busa und Merissa wenig alkoholartig +sind, so gehören schon ungeheure Quantitäten dazu, wie +sie eben nur ein Negermagen zu bergen vermag, um nur einigermaßen +Wirkung zu spüren. Dennoch haben verschiedene Reisende<a name="FNanchor_22_22" id="FNanchor_22_22"></a><a href="#Footnote_22_22" class="fnanchor">[22]</a> +sich an dies schon äußerlich so widerlich (chocoladenfarbig) +aussehende Getränk gewöhnen können. Die Maba in +Wadai vertilgen ungeheure Quantitäten von Merissa, ebenso +wird in Bagermi, in Mandala stark Busa getrunken; in Bornu, +namentlich in der Hauptstadt Kuka, weniger.</p> + +<p>Von den Eingeborenen Afrika's wird Wein nur in Marokko +und Tunis bereitet. Die Weinrebe kommt allerdings wohl in +Abessinien vor, aber nur in einzelnen Stauden. Ebenso findet +man in Unterägypten Weinreben, auch im Norden von Tripolitanien, +aber nur Europäer bereiten etwas Wein davon. Es +liegt das eben in den Verhältnissen Nordafrika's, das jetzt +ganz in den Händen der Mohammedaner sich befindet, denen +Wein bekanntlich verboten ist. Aber wie trefflich der Wein in +Nordafrika wird, sieht man aus den Sorten, die jetzt von +Algerien aus auf den Markt kommen; sie stehen an Güte den +spanischen nicht nach. Im Weinlande Marokko aber verlegen +sich trotz des Verbotes ihres Propheten genug Leute auf Weinbereitung +und Weintrinken. Aber der Wein, den die Marokkaner +durch Kochen herstellen, ist, obwohl sehr stark von Geschmack, +herzlich schlecht und von Farbe ebenso abstoßend. +Blume ist gar nicht vorhanden. Der Gebrauch des Weines +in Marokko ist mehr auf dem Lande als in der Stadt zu +Hause. Man nennt den Wein <tt>Ssammed</tt>, <tt>Hammed</tt> oder <tt>Schrab</tt>.</p> + +<p>Die in Nordafrika seßhaften Juden bereiten auch Schnaps +aus Feigen, Rosinen und Datteln. Jeder Jude fast hat seinen +eignen kleinen Destillationsapparat im Hause und macht sich +nach seinen Bedürfnissen seinen Schnaps selbst. Der Schnaps +der Juden ist gut, auch nicht zu stark, besonders rein im Geschmack. +Man würde Unrecht thun, wollte man sagen, die +einzelnen Juden seien Säufer; obschon sie alle Schnaps trinken, +sind sie im Ganzen sehr mäßig darin. Desto mehr haben sie +von der mohammedanischen Geistlichkeit zu leiden; oft dringt +ein Thaleb oder auch ein Scherif in ein jüdisches Hans, bemächtigt +sich des ganzen Schnapsvorrathes, um sich wie eine +Bestie damit vollzusaufen; der arme Jude kann in dem Falle +noch froh sein, wenn er ohne Prügel dabei wegkommt.</p> + +<p>Sonst ist beim eigentlichen Volke in Nordafrika das Schnapstrinken +nicht gebräuchlich, erst wenn man den Niger erreicht +hat, in den Yorubaländern, also der Küste zu, stößt man auf +ganze Karawanen mit Kisten, welche Schnapsflaschen enthalten. +Hier an der ganzen Westküste von Afrika huldigen die Schwarzen +dem Gotte "Schnaps". Und welch' entsetzliches Getränk, das vorzugsweise +in Frankreich und Deutschland fabricirt wird, wird +ihnen zugeführt. Es unterliegt denn auch wohl keinem Zweifel +daß nicht Kriege, wohl aber dieses entsetzliche Gift jene Völker +in kürzester Zeit ausrotten und vertilgen werden. Denn diese +Völker trinken nicht, sondern saufen, wenn sie Schnaps besitzen, +so lange, bis sie wie todt auf dem Platze liegen bleiben. Und +Schnaps können sie ohne Mühe und ohne große Arbeit haben. +Wenn auch der Sclavenhandel früher die Mittel zum Schnaps +für die Großen jener Länder geben mußte, oder die Könige +auch direct ihre Unterthanen gegen Fässer Schnaps weggaben, +so geht dies allerdings jetzt nicht mehr, denn an der Westküste +von Afrika ist dem Sclavenhandel wohl ein Ende gemacht. +Aber dafür tauscht sich gegen Palmöl, gegen Palmnüsse jetzt +Jeder seinen Schnapsbedarf ein und die Wälder sind ja vorläufig +an Oelpalmen so reich, daß an Mangel nicht zu denken +ist. Während also früher nur die Könige und Vornehmen +der Schwarzen Schnaps trinken konnten, kann jetzt Jeder diesen +Artikel bekommen, der das Glück hat, den Europäern Nüsse +oder Oel zu bringen. Der Schnaps wird eher mit den +Schwarzen fertig werden, als es das Schwert oder die Flinte +des Europäers vermöchte.</p> + + +<h3>4. <i>Opium und Haschisch</i>.</h3> + +<p>In Afrika hat Opium nur geringen Anhang gefunden und +wahrscheinlich ist dies Betäubungsmittel erst durch die Türken +den Eingeborenen dieses Continents mitgetheilt worden. Die +Mohnpflanze, dieselbe, wie die bei uns in Europa gezogene, +entwickelt bei anderen klimatischen Verhältnissen in Afrika und +Asien jene Eigenschaften, gute und böse, die in der Heilkunde +so segensreich wirken, aber bei unnützem und übermäßigem +Gebrauche sich als eines der bewährtesten Mittel erweisen, ganze +Völker der Erde ohne Pulver und Blei von derselben verschwinden +zu machen.</p> + +<p>Um Opium zu erzielen, bauen die Eingeborenen Afrika's +die Mohnpflanze nur in Aegypten und zwar heute, nach Schweinfurth, +<i>nur</i> in Oberägypten. Und dem Anbaue des Zuckerrohrs +und der Baumwolle wird der Mohn in Aegypten wohl +bald ganz weichen müssen. Sodann wird aber auch in Marokko, +namentlich in der Oase Tuat dieses Landes, Mohn des +Opiums wegen angebaut, aber immer nur der Art, daß der +Gewinn des Mohnsamens behufs Oelbereitung die Hauptsache +bleibt, indem die Köpfe nur oberflächlich geritzt werden, damit +der Samen seiner Hülsung unberaubt zur Reife kommen kann. +Man kann deshalb auch sagen, daß der Gebrauch des Opiums +sich nur auf die Städtebewohner beschränkt und zwar nur in +Nordafrika.</p> + +<p>Man raucht den Opium oder man nimmt das Extract in +Form von kleinen Stückchen oder Pillen. Aber nicht wie im +Orient raucht man Opium allein, indem man ein Stückchen +in eine kleine Pfeife bringt, eine Flamme darüber streichen +läßt und den heißen Opiumrauch einathmet, sondern man legt +das Extract aus eine Narghile und so vermischt man Tabak- +und Opium-Narcose. In Aegypten, namentlich in Damiette, +sah ich indeß auch Opium allein und direct rauchen.</p> + +<p>Das in Marokko verbrauchte Opium darf in den großen +Städten nur durch von der Regierung bestellte Leute, die +meistens auch den Tabakverkauf haben, verkauft werden. +Früher wurde nur ägyptisches Opium verkauft, welches Pilger +von ihrer Reise in kleinen, 2-3 Zoll großen Kuchen, die einen +Zoll dick waren, mitbrachten. Jetzt wird in Marokko meistens +aus Frankreich importirtes Opium, <tt>opium crú</tt>. d.h. wässeriges +Opiumextract, gebraucht, nur in einzelnen Gegenden stellt man +selbst Opium her. In Tuat, der großen südlich vom Atlas +gelegenen Oase, fand ich die meisten Opiumesser und zwar +Leute, die es so weit gebracht hatten, daß sie ohne Opium +nicht mehr existiren konnten; in dieser Oase waren auch alle +anderen Berauschungsmittel unbekannt. Leider giebt es aber +auch in Afrika Europäer genug, die sich dem Opiumgenusse +hingeben. Einer der gelehrtesten Männer in Keilschriften war +derart dem Opium zugethan, daß er ohne dasselbe zu leben +vollkommen unfähig war, er nahm Opium in roher Form und +rauchte Tabak, den er in Opiumtinctur gelegt und macerirt +hatte. Schon seit Jahren ist er dem Gifte erlegen. Ich selbst +hatte unter Opiumgenuß monatelang zu leiden.</p> + +<p>Erkrankt in Rhadames an einer blutigen Dyssenterie, hatte +ich große Gaben von Opium genommen und konnte ich mich +des Gebrauchs nicht entschlagen, da ein Aufhören im Opiumessen +oder auch nur ein Vermindern der Gaben gleich wieder +heftige Diarrhöen zur Folge hatte, bis plötzlich der Genuß +frischer Datteln (die sonst in der Regel gegenteilig wirken) +Besserung erzielte.</p> + +<p>Keineswegs befand ich mich dabei in einem angenehmen +Zustande; allerdings ist das "Bessersein", das Befreitsein von +einer lästigen Krankheit schon Etwas, allerdings verspürt man +eine Erleichterung, eine Behendigkeit in allen Gliedern, aber +angenehme Empfindungen, sensuelle Erregungen traten nie bei +mir ein. Es ist ja auch vollkommen constatirt, daß beständiger +Opiumgenuß erotisch dämpfend ist. Das Haschen, das +Jagen nach Opium hat wohl nur seinen Grund darin, daß +es ein gewisses Wohlbehagen, eine <i>körperliche</i> und in Folge +davon auch eine geistige Gleichgültigkeit gegen Alles, was +Einen umgiebt, mit sich im Gefolge hat.</p> + +<p>Viel verbreiteter als Opium ist Haschisch in Afrika. Aber +die Angabe v. Bibra's, daß es 300 Millionen Haschischesser +auf der Erde überhaupt gebe, möchte ich doch nicht unterschreiben. +In Afrika z.B., wo von Marokko jedenfalls das +größte Contingent gestellt wird, würde man höchstens sagen +können, daß von der ungefähren Bevölkerung dieses Landes, +die man auf circa 6,500,000 Seelen rechnen kann, höchstens +die Hälfte Haschisch nimmt. Von Westen nach dem Osten +nimmt in Afrika der Hanfgenuß ab, ebenso von Norden nach +Süden. In Tunis, in Algerien giebt es noch viele Haschischkneipen, +weniger schon in Tripolitanien und Aegypten. Schweinfurth +fand Hanfesser nur im Delta, doch kommen sie sporadisch +auch wohl noch weiter nach dem Süden zu vor. In Fesan +baut man Hanf nur an einzelnen Orten, nach Duveyrier besonders +in Tragen. Frauen huldigen sehr selten in Afrika +dem Hanfe. Im Süden wird nur vereinzelt <tt>cannabis indica</tt> +genommen und ist dort wohl von den Arabern importirt +worden, entgegengesetzt der Ansicht von Escayrac de Lauture, +der die cannabis indica aus dem Süden stammen lassen will. +Hervorgerufen war wohl diese Ansicht dadurch, daß man +früher glaubte, die cannabis indica sei unterschieden von der +<tt>cannabis sativa</tt>. Das ist nicht der Fall. Auch hier bringen +die topographischen und klimatischen Einflüsse bei <i>derselben</i> +Pflanze nur andere und zwar im Süden kräftigere Eigenschaften +hervor.</p> + +<p>Aber wie die Eigenschaften des Hanfes je mehr und mehr +nach Norden an Wirksamkeit zu verlieren scheinen, so scheint +auch die Empfänglichkeit für dies Narcoticum im Norden +schwieriger vor sich zu gehen, als in einem südlichen Klima<a name="FNanchor_23_23" id="FNanchor_23_23"></a><a href="#Footnote_23_23" class="fnanchor">[23]</a>. +Professor Preyer in Jena konnte mit guten Haschischblättern, +die ich frisch und direct von Tripolis hatte kommen lassen, +keine besonderen Rauschresultate erzielen; v. Liebig fand in +Blättern derselben Sendung keine anderen wirksamen Bestandtheile, +als in der <tt>cannabis sativa</tt>.</p> + +<p>Man könnte also fast sagen, um eines vollkommenen +Rausches theilhaftig zu werden, muß man in südlichen Ländern +gezogenen Hanf in südlichen Ländern nehmen.</p> + +<p>Ich habe an anderen Orten meine an mir selbst angestellten +Beobachtungen niedergelegt. Und wenn ich diesen +im Jahre 1866 angestellten Versuch mit denen vergleiche, die +Dr. Lay, Dr. Moreau, v. Bibra, Dr. Baierlacher u. A. vorgenommen, +so kann ich nur bestätigen, daß in der Hauptsache +meine Empfindungen mit denen der genannten Beobachter +übereinstimmen.</p> + +<p>Der wirksame Stoff in der cannabis indica ist ein von +Gastinel hergestelltes und von ihm Haschischin genanntes +Alcaloid von schöner grüner, jedoch nicht von Chlorophyll herrührender +Farbe. Genommen wird Hanf in Theeform oder +man pulverisirt die getrockneten Blätter und schluckt sie mit +Wasser hinab, oder man raucht dieselben, oder sie werden zu +einer mit Zucker und Gewürzen verarbeiteten Pastete, "Madjun" +genannt, gegessen<a name="FNanchor_24_24" id="FNanchor_24_24"></a><a href="#Footnote_24_24" class="fnanchor">[24]</a>. Letztere Form findet man nur in den +Städten.</p> + +<p>Fast in ganz Afrika wird vorzugsweise Hanf <i>geraucht</i>, +wenigstens fängt man hiermit an; erst im zweiten Stadium +wird Haschisch gegessen. Das Rauchen hat einfach deshalb +nicht so großen Erfolg, weil selbst geübte Veteranen im Narghilerauchen +es schwer vertragen, den beißenden und ätzenden +Dampf durch die Lunge direct mit dem Blute in Berührung +zu bringen. Es ist deshalb auch übertrieben, wenn einzelne +Reisende berichten, es gebe Hanfraucher, die es bis auf 30 +Pfeifen und mehr täglich bringen könnten. Abgesehen davon, +daß die Haschischpfeifenköpfe nicht größer sind, als das Viertel +eines Fingerhutes einer Dame, so ziehen die auf Hanf erpichtesten +Raucher selten mehr als zwei bis drei Züge aus dem +Pfeifchen, pausiren sodann lange Zeit oder lassen die Pfeife +ausgehen, oder aber, wenn sie reich und großmüthig sind, +reichen sie die Pfeife zum Mitrauchen einem Nebensitzenden.</p> + +<p>Das wirksame Princip des Hanfes sitzt besonders in den +Blättern und den feinsten Stengeln und zwar zu der Zeit, +wenn der Same eben reif geworden ist. Im Samen selbst, +der stark ölartig ist, scheint Haschischin wenig oder gar nicht +enthalten zu sein; die Haschischesser werfen denn auch den +Samen fort, wenn sie die Blätter bereiten. In den Ländern +Afrika's, die ich durchreist habe, habe ich nie von einem Harz, +"Churrus" genannt<a name="FNanchor_25_25" id="FNanchor_25_25"></a><a href="#Footnote_25_25" class="fnanchor">[25]</a>, welches aus den Blättern schwitzt, reden +hören, noch habe ich es selbst zu sehen bekommen.</p> + +<p>Die Wirkungen des Haschisch lassen sich dahin zusammenfassen, +daß im Anfange bei kleinen Dosen die Eßlust stark angeregt +wird, während fortgesetzter Gebrauch und große Dosen +eine Störung aller Lebensprozesse im Körper bewirken. Wem +cannabis indica zur Gewohnheit geworden ist, kann sich davon +schwerer entwöhnen, als der Trunkenbold von alkoholartigen +Getränken, der Opiophage vom Opium. Auf das Nervensystem +wirkt nach den Resultaten der Versuche, die als glaubwürdig +vorliegen, das Haschisch so, daß mit einer Erleichterung im +"Fühlen alles Körperlichen" (man glaubt zu schweben) eine +große momentane <i>Gedächtnißstärke</i> verbunden ist, man +erinnert sich an Ereignisse, welche einem seit Jahren nicht +mehr ins Gedächtniß gekommen sind. Und auch körperlich +scheinen die Gegenstände sich zu <i>vergrößern</i> und zu <i>verlängern</i>: +Straßen werden endlos, Häuser scheinen in den +Himmel hineinzuragen. Dr. Mornau sagt treffend<a name="FNanchor_26_26" id="FNanchor_26_26"></a><a href="#Footnote_26_26" class="fnanchor">[26]</a>: "Die +Grenzen der Möglichkeit, das Maß des Raumes in der Zeit +hören auf, die Secunde ist ein Jahrhundert und mit einem +Schritte überschreitet man die Welt;" und weiter sagt derselbe +Beobachter: "im Gehen sei ihm eine Straße unendlich verlängert +vorgekommen." Ganz dieselben Beobachtungen habe ich +auch gemacht.</p> + +<p>Es kommen sodann schließlich bei geringstem Anlasse Sinnestäuschungen +vor, eine unbemalte Wand erscheint in den schönsten +Farben, das Gquieke einer Thür ertönt wie symphonische Concerte +und wenn einerseits das Gedächtniß neu belebt erscheint, vergißt +man oft bei einem ganz kurzen Redesatze den Anfang +desselben, als ob man seit Stunden geredet hätte.</p> + +<p>So achtungswerth aber auch die Namen gewisser Reisenden +sind, so möchte ich nicht die Ansicht mit vertreten, daß Haschisch +eine Wirkung hervorrufen könnte, einen Menschen, wie Treevelgar +erzählt, in zehntägige Katalepsie zu versetzen. Dagegen +finde ich den von O'Shangnessy<a name="FNanchor_27_27" id="FNanchor_27_27"></a><a href="#Footnote_27_27" class="fnanchor">[27]</a> mitgetheilen Fall von einer +durch Haschisch bewirkten <i>vorübergehenden</i> Katalepsie vollkommen +glaubwürdig. Fallen doch fast alle veralteten Hanfesser +in eine mehr oder weniger lange anhaltende Starrsucht.</p> + +<p>Jedenfalls wird man nicht zu viel sagen, wenn man behauptet, +daß die cannabis indica, eines der heftigsten Reizmittel, +im Stande ist, nicht nur die herrlichsten Empfindungen, +die bezauberndsten Bilder zu schaffen, sondern auch den Menschen +gewissermaßen momentan der Erde zu entrücken, aber +auch andererseits wegen des Giftes, das darin liegt, eines der +gefährlichsten Präparate, das mit unwiderstehlicher Gewalt +den Menschen, der sich ihm hingegeben, festhält und nach Kurzem +tödtet.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_15_15" id="Footnote_15_15"></a><a href="#FNanchor_15_15"><span class="label">[15]</span></a><tt> Les Touareg du Nord, p. 185</tt>.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_16_16" id="Footnote_16_16"></a><a href="#FNanchor_16_16"><span class="label">[16]</span></a> Zeitschr. der Gesellsch. für Erdk. VII. Bd. V. Heft.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_17_17" id="Footnote_17_17"></a><a href="#FNanchor_17_17"><span class="label">[17]</span></a> Papst Urban VIII. erließ 1624 eine Bulle gegen das Tabakschnupfen +in den Kirchen, aber trotz dieses unfehlbaren Edicts schnupfen +heute fast alle Priester in den Kirchen wie <i>außerhalb</i>.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_18_18" id="Footnote_18_18"></a><a href="#FNanchor_18_18"><span class="label">[18]</span></a> Europäische Aerzte verordnen übrigens auch nur eine <tt>decoctio</tt>, +keine <tt>infusio</tt> des Kaffee's</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_19_19" id="Footnote_19_19"></a><a href="#FNanchor_19_19"><span class="label">[19]</span></a> Ausland 1872. S. 948.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_20_20" id="Footnote_20_20"></a><a href="#FNanchor_20_20"><span class="label">[20]</span></a> Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel. Nürnberg 1855.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_21_21" id="Footnote_21_21"></a><a href="#FNanchor_21_21"><span class="label">[21]</span></a> Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_22_22" id="Footnote_22_22"></a><a href="#FNanchor_22_22"><span class="label">[22]</span></a> Auch Schweinfurth sagt, er habe auf seiner letzten Reise ein gutes, +dem deutschen Biere ähnliches Getränk gefunden.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_23_23" id="Footnote_23_23"></a><a href="#FNanchor_23_23"><span class="label">[23]</span></a> Globus 1866 und Land und Leute in Afrika, Rüthmann, Bremen 1870</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_24_24" id="Footnote_24_24"></a><a href="#FNanchor_24_24"><span class="label">[24]</span></a> Ich führe hier an, daß wenn Europäer mit Hanf Versuche anstellen +wollen, sie sich mit größter Vorsicht dabei des Madjun bedienen +mögen, da in der Regel auch Cantharibenpulver dazwischen gemischt ist.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_25_25" id="Footnote_25_25"></a><a href="#FNanchor_25_25"><span class="label">[25]</span></a> v. Bibra, S. 266.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_26_26" id="Footnote_26_26"></a><a href="#FNanchor_26_26"><span class="label">[26]</span></a> v. Bibra, S. 272.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_27_27" id="Footnote_27_27"></a><a href="#FNanchor_27_27"><span class="label">[27]</span></a> v. Bibra, S. 284.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch8_Aufbruch_zur_Libyschen_Wuste" id="Ch8_Aufbruch_zur_Libyschen_Wuste"></a>8. Aufbruch zur Libyschen Wüste.</h2> + + +<p>"Wie ein Afrikareisender mit einer Schlittenpartie seine +Reise in die Libysche Wüste antritt", hätte ich dieses Mal +mein Tagebuch überschreiben können. Das ist auch wohl noch +nicht dagewesen, und doch,—denn als ich meine zweite Reise +antrat, mußte ich ja auch nach einigen Tagemärschen, wenn +auch nicht durch oder über Schnee, so doch daran vorbei und +noch dazu in Afrika selbst, auf dem großen Atlas.</p> + +<p>Diesmal galt es nun zwar nicht, den mit Schnee bedeckten +Atlas zu übersteigen, sondern auf angenehmste Weise über den +herrlichsten aller Alpenpässe zu kutschiren, über den Splügen. +Am Morgen in der Frühe sollte es weiter gehen, und so geschah +es auch. Eine ziemlich zahlreiche Reisegesellschaft, drei +große Postwagen voll Menschen beiderlei Geschlechts, von jeglichem +Alter, von jedem Stande. Ich hatte für mich einen +Coupéplatz bekommen und Noël<a name="FNanchor_28_28" id="FNanchor_28_28"></a><a href="#Footnote_28_28" class="fnanchor">[28]</a> im selben Wagen einen +Interieurplatz. Neben mir (die Coupés haben nur zwei Plätze) +saß noch eine junge Dame, ein Mädchen, ein Backfisch, ein +Kind—eine jede dieser Bezeichnungen würde auf sie gepaßt +haben—nicht hübsch, nicht häßlich, Schweizern, mit einer +entsetzlichen Aussprache des Deutschen und ungemein schüchtern, +verlegen und blöde. Der Backfisch, nennen wir sie so, war in +Belfort in Pension gewesen, um Französisch zu lernen; unter +der Zeit waren seine Eltern von der Schweiz, wo sie ansässig +gewesen waren, nach Bergamo gezogen und jetzt, nach beendigtem +Cursus, sollte der Backfisch wieder heim zu den Eltern. +Und das ging ganz gut, wie ein Packet wurde er befördert. +In Chur logirten wir z.B. im "Luckmanier" zusammen, der +Backfisch wurde von der Wirthin empfangen u. Abends, als +der Wirth gehört hatte, ich reise nach Italien, kam er zu mir, +ob ich nicht den Backfisch unter meine Obhut bis Como oder +Lecco nehmen wolle, dort würde er von verwandten Fischern +in Empfang genommen werden. Natürlich sagte ich nicht "nein" +und merkwürdig genug traf es sich, daß im Interieur eine +nach—der Türkei, nach Trapezunt reisende Dame sich unter +Noël's Schutz begab.</p> + +<p>Ich unterlasse es, von den Schönheiten der <tt>Via mala</tt> zu +sprechen, offenbar der schönste und großartigste Paß, der über +die Alpen führt und welcher, da der Baumbestand aus Nadelhölzern +besteht, zu jeder Zeit grün ist. Ja, ich möchte sagen, +der naturschönheitliche Reiz wird im Winter eher erhöht, als +vermindert durch die starken Contraste des blendendweißen +Schnees und des tiefen, fast schwarzen Grüns der Fichten und +Kiefern. Als sämmtliche Passagiere obligaterweise an der +Stelle ausgestiegen waren, wo die Via mala am engsten ist +und wo eine Brücke über den Schlund führt, die man auch +Teufelsbrücke hätte nennen können, ging es weiter und Mittags +erreichten wir Splügen.</p> + +<p>Eine gemeinschaftliche <tt>Table d'hôte</tt> brachte alle Reisenden +zusammen und der gute Veltliner Wein, wie das warme +Zimmer führten eine recht animirte Unterhaltung herbei, denn +zur Hälfte waren die Reisenden Italiener, welche, froh, bald +die Grenze ihrer <tt>cara Italia</tt> erreicht zu haben, nicht verfehlten, +ein Glas mehr, als gewöhnlich, zu trinken. Mit dem +Orte Splügen hat man aber keineswegs die Paßhöhe erreicht. +Im Gegentheil, jetzt beginnt erst das <i>steile</i> Steigen und eine +Viertelstunde oberhalb des Dorfes fanden wir ein ganzes +Schlittendepôt. Die Postkutschen wurden verlassen und je +Zwei wurden in einen eleganten Schlitten gepackt; wir hatten +die Schneegrenze erreicht. Natürlich geht dieselbe im December +noch tiefer, bis Chur selbst, hinunter und fängt im Januar +und Februar gar unterhalb Chur an, aber im November +und October fällt Schnee nur bis Splügen und etwas +oberhalb.</p> + +<p>Hatten wir am Tage vorher abscheulich nebliges Wetter +gehabt, so war unsere <tt>Via-mala</tt>-Tour, unsere Schlittenpartie +über den Splügen, durch den sonnigsten, italienischen Himmel +verherrlicht. Aber kalt war es. Trotz des Südwindes, der +allerdings stundenlang über Gletscher und Schneefelder fegte, +fror man bis auf's Innerste. Wie froh war ich, daß ich +meinen grauen Mantel und die Pelzdecke mitgenommen hatte. +Drei Stunden brauchten wir zu dieser Schlittenfahrt und man +kann sich einen Begriff machen, welche Schneemassen im Laufe +des Winters auf den Alpen angehäuft werden, wenn ich sage, +daß wir manchmal Stellen passirten, wo der Schnee schon +(durch Anwehen) 10-12' hoch lag. Auf der Südseite, noch +mitten im Schnee, liegt die italienische Douane, während +man die Grenze schon früher auf der Kante des Passes selbst +passirt hat.</p> + +<p>Die Zollbeamten waren diesmal äußerst milde; hielten sie +mich für irgend eine besondere Persönlichkeit (denn in den Augen +aller dieser Leute passirte Noël immer als mein Diener), oder +ist die Praxis überhaupt milder geworden, genug, es wurde +nur ein Koffer pro forma geöffnet und damit war Alles +fertig. Ich war namentlich froh wegen meiner Patronen, die +ich ja gern versteuert hätte, von denen ich aber fürchten mußte, +sie würden confiscirt werden.</p> + +<p>Bald darauf erreichten wir die südliche Schneegrenze und +in ebenso guten Postkutschen ging es weiter. Den herrlichen +Punkt, wo ein Gießbach ins Thal hinab braust und wo man +der Fernsicht halber eigens eine Kanzel erbaut hat, von der +man die schönste Aussicht genießen kann, passirten wir noch +eben bei Licht, dann noch eine halbe Stunde das schönste +Alpenglühen, wie ich es nie leuchtender und intensiver gesehen +habe, und tiefe Nacht senkte sich rasch auf uns herab. Nach +zwei Stunden, d.h. um 6-1/2 Uhr Abends, waren wir in +Chiavenna.</p> + +<p>Das Hotel zur Post, von dem Herrn Schreiber gehalten, +ist berühmt in ganz Italien und auch wir konnten mit dem +Nachtmahl, welches uns aufgetischt wurde, nur zufrieden sein; +ja, das Lob seines Valtelliner machte, daß er uns noch eine +Flasche, natürlich für unser Geld, heraufholte. Wir schieden +um 10 Uhr als gute Freunde (im ganzen Hôtel ist nur +deutsche Bedienung) und weiter ging's bis Colico, welchen Ort +wir um 1 Uhr Nachts erreichten. In Colico selbst wurde +nur umgeladen in einen anderen Wagen, der nach Lecco bestimmt +war.</p> + +<p>Aus dieser schönen Tour längs des Lago di Como, die ich +übrigens zu Lande schon einmal, zur See schon mehreremal +gemacht habe, merkten wir nun zwar nichts von den Reizen +der Natur, aber die milderen Lüfte und zur Seite des Wagens +die belaubten Olivenbäume bekundeten auch so genug, daß wir +uns auf der anderen Seite der Alpen befänden.</p> + +<p>In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Backfisches +ledig. Als wir uns aus dem Omnibus Einer nach dem +Anderen entwickelten, stand ein Herr bereit: "Sind Sie +Fräulein Müller?" (Meier, Schulze oder Schmidt, so ungefähr +klingt der Name). "Ja, ich bin es." Und damit fiel die +junge Dame in verwandtschaftliche Arme.</p> + +<p>Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der Bahn bis +Mailand weiter und direct ins Hôtel Reichmann, nächtigten +daselbst und fuhren ohne Unterbrechung nach Brindisi, wo wir +Abends um 10 Uhr anlangten. Von den anderen Herren +war noch Niemand hier, ich vermuthete, Alle seien wegen des +Choleragerüchtes über Triest gegangen. Zu meiner Freude +hörte ich aber bald darauf, daß die Cholera erloschen sei.</p> + +<p>In Brindisi ist ein vorzügliches Hôtel, das des <tt>Indes +orientales</tt>. Die Absicht, in eine Locomda zu gehen, gab ich +auf, da ein italienischer Reisegefährte mir unterwegs sagte, +man bekäme dort unfehlbar <tt>pedocchi</tt> d.h. die Thierchen, +welche die Franzosen im Gegensatze zu den Flöhen, der leichten +Cavallerie, die schwere nennen. Näher brauche ich diese +menschenfreundlichen Thierchen wohl nicht zu bezeichnen. Ich +dachte aber, es ist noch früh genug; wenn man sich ihrer in +Afrika nicht wird erwehren <i>können</i>, dann muß man mit +ihnen haushalten.</p> + +<p>Komisch erschien mir die Extravaganz der italienischen Damen +in den neuesten Moden: fußhohe Chignons aller möglichen +Formen, selbst die Hörner der Pullo-Frauen<a name="FNanchor_29_29" id="FNanchor_29_29"></a><a href="#Footnote_29_29" class="fnanchor">[29]</a>, die +Wulste der Mandara-Damen<a name="FNanchor_30_30" id="FNanchor_30_30"></a><a href="#Footnote_30_30" class="fnanchor">[30]</a> sind nicht ausgeschlossen; ich +glaube, keine Damen der Welt entwickeln so viel Phantasie in +der Herstellung aller nur möglichen Haartouren, als die schönen +Milaneserinnen. Sehr häufig sieht man vorn auf der Stirn +kleine Löckchen glatt angeklebt mit Pomade, ein entsetzlich +schlechter Geschmack. Alles dies gilt nur von der vornehmen +Welt, das Volk ist in dieser Beziehung vernünftiger.</p> + +<p>Mein Zimmer in der Bel-Etage des Hôtels von Brindisi +ging auf den Hafen, und wenn auch keine großartige Aussicht +geboten ist, so hat man doch immer ein belebtes Bild.</p> + +<p>Ich verbrachte meine Zeit damit, daß ich dem englischen +Consul einen Besuch machte, um seine herrliche Sammlung +von Antiken u.s.w. zu besehen. Er empfing mich sehr freundlich +und hatte, wie er sagte, aus der "Times" schon mein +Kommen über Brindisi erfahren. Sodann suchte ich den Archidiakon +Farentini auf, der die Bibliothek unter sich hat, in der +sich nebenbei ebenfalls ein kleines archäologisches Museum befindet, +welches einzelne hübsche Sachen, z.B. ein prachtvolles +Lacrimale<a name="FNanchor_31_31" id="FNanchor_31_31"></a><a href="#Footnote_31_31" class="fnanchor">[31]</a> und interessante Broncestatuetten enthält. Bei +der Gelegenheit zeigte er mir auch eine höchst merkwürdige +Vase, welche sich im Reliquien-Schreine des Doms befindet, +von so feinkörnigem Granit, wie ich ihn nie gesehen. Sie soll +durch Kreuzfahrer aus Palästina gekommen sein, so sagen die +ältesten Chroniken. Ob sie, wie Pater Farentini behauptet, +phönicischen Ursprunges ist, wage ich nicht zu bestätigen. Nach +dem Volksglauben ältester Zeit soll dies dieselbe Vase sein, +in der Jesus Wasser in Wein verwandelt hat. Pater Giov. +Farentini fügte aber hinzu: "Ich für meinen Theil halte sie +nur werth als ein höchst interessantes Kunstwerk, die damit +verknüpfte heilige Legende überlassen wir dem Volke." Ein +liebenswürdiger alter Mann, dieser Domherr, der sich ein über +das andere Mal selbst besegnete (<tt>benedetto io</tt>), daß er meine +Bekanntschaft gemacht habe. Am nächsten Tage wollte er mir +noch einige Merkwürdigkeiten in der Stadt und Umgegend +zeigen, obschon Brindisi in dieser Beziehung sehr arm ist.</p> + +<p>Nur langsam erholt sich diese einst so wichtige Stadt, +welche im Alterthum über 100,000 Einwohner, jetzt kaum +10,000 Seelen hat.</p> + +<p>Strabo, welcher ausführlich von dieser alten Stadt handelt, +sagt<a name="FNanchor_32_32" id="FNanchor_32_32"></a><a href="#Footnote_32_32" class="fnanchor">[32]</a>. Brundusium soll, wie gesagt wird, eine Colonie der +Kreter sein, die mit dem Theseus aus Knossus dahin kamen. +Sodann lobt Strabo den Hafen der Stadt, nach ihm ungleich +besser als der Tarents, und fügt hinzu, dieser, wie es dem +Anscheine nach aussieht, einzige Hafen theilt sich inwendig in +eine Menge kleinerer Busen, so daß der gesammte Hafen die +Gestalt eines Hirschkopfes bekommt, daher die Stadt auch ihren +Namen erhalten haben soll, denn in der Sprache der Messapier +heißt ein Hirschkopf Brundusium.</p> + +<p>Brundusium ist auch nach Strabo der gewöhnliche Hafen, +aus dem man ausfährt, wenn man nach Griechenland oder +Asien übersetzen will, und alle Griechen und Asiaten landen +auch hier, wenn sie Rom sehen wollen. Brundusium gilt als +Geburtsstätte des Tragödiendichters Pacuvius, und Virgil ist +hier gestorben.</p> + +<p>Mit dem Zusammensinken des römischen Reiches hörte die +Blüthe der Stadt aus, natürlich weil der Verkehr zwischen +Morgenland und Abendland stockte. Und als dann zur Zeit +der Kreuzzüge auf einmal wieder ein lebhafter, wenn auch +feindlicher Zusammenstoß zwischen Occident und Orient stattfand, +hob sich Brundusium rasch wieder und erlangte eine Einwohnerzahl, +die auf 60,000 Seelen veranschlagt wird. Kaiser +Barbarossa bevorzugte namentlich den Hafen und er ist auch +der Erbauer des Castells. Mit dem Falle Jerusalems, mit +der Beendigung der Kreuzzüge hing auch der Verfall Brundusiums +zusammen.</p> + +<p>Erst jetzt, wo Brindisi wieder Hauptausgangspunkt und +Ankunftsort für Abendland und Morgenland geworden ist, +hebt sich die Stadt wieder. Da aber jetzt die diese Straße +Ziehenden bei Weitem nicht so lange im Hafen weilen wie im +Alterthum, so ist der Aufschwung der Stadt ein viel langsamerer. +Aber Brindisi wird jedenfalls, wird diese Linie beibehalten, +immer eine gewisse Wichtigkeit bewahren.</p> + +<p>Die Stadt selbst macht auch nur einen sehr dürftigen Eindruck; +zwar sind die Straßen mit herrlichen Quadern gepflastert, +aber meist sehr schmal, die Häuser zum größten Theile einstöckig, +und dann macht es einen höchst traurigen Eindruck, +daß so viele Bauten unvollendet gelassen, zum Theil schon +wieder Ruine geworden sind. Was war die Ursache davon? +Hatte man kein Geld, keine Lust zum Weiterbauen? Aber wie +erquickt Einen das herrliche Grün, wie lächeln Einem die +allbekannten Opuntien und langblätterigen Aloës zu, wie bekannt +und heimisch winkt der hohe Palmbaum! Dazu das +lebendige Treiben auf der Straße. Die wirklich madonnenhaften +Antlitze der jungen Mädchen, denn eine durchweg schöne +Bevölkerung ist in Apulien und namentlich der weibliche Theil, +ist fast durchaus schön zu nennen.</p> + +<p>Und so wie es ist muß es auch sein; ich möchte nichts +von dem wissen, wie wir uns Italien seit jeher vorgestellt +haben und wie es in der That ist. Da scandalirt man über +den Schmutz<a name="FNanchor_33_33" id="FNanchor_33_33"></a><a href="#Footnote_33_33" class="fnanchor">[33]</a> der neapolitanischen Bevölkerung, über die +<tt>shocking</tt> Nacktheit der dort herumlaufenden, herumkriechenden +Kinder, aber man mache einmal aus Neapel eine nach holländischer +Art abgewaschene Stadt—und Neapel ist nicht +mehr Neapel.</p> + +<p>Ein ununterbrochener Regen goß herab, auf der Post fand +ich einen Brief von Ernst<a name="FNanchor_34_34" id="FNanchor_34_34"></a><a href="#Footnote_34_34" class="fnanchor">[34]</a>, dem an der Grenze die Patronen +confiscirt waren, der sonst aber wohlbehalten mit Taubert<a name="FNanchor_35_35" id="FNanchor_35_35"></a><a href="#Footnote_35_35" class="fnanchor">[35]</a> +in Triest angekommen war. Auch Jordan<a name="FNanchor_36_36" id="FNanchor_36_36"></a><a href="#Footnote_36_36" class="fnanchor">[36]</a> schrieb +von dort vom 20.: er sei mit Remelé<a name="FNanchor_37_37" id="FNanchor_37_37"></a><a href="#Footnote_37_37" class="fnanchor">[37]</a> und drei Dienern +in Triest angekommen, habe meine beiden Diener gefunden +und Freitag Nachts hätten sie sich an Bord begeben. Zittel<a name="FNanchor_38_38" id="FNanchor_38_38"></a><a href="#Footnote_38_38" class="fnanchor">[38]</a> +und Schweinfurth<a name="FNanchor_39_39" id="FNanchor_39_39"></a><a href="#Footnote_39_39" class="fnanchor">[39]</a> könnten nun möglicherweise am selben +Abend noch hierher kommen, wenn sie nicht auch die Route +Triest genommen hätten; am Abend vorher hatte ich sie vergebens +erwartet.</p> + +<p>Als ich meine Briefe postirt hatte, legte sich der Platzregen, +welcher den ganzen Morgen mit ununterbrochener Wuth herabgeströmt +war, und bald darauf erschien der Archidiakon Farentini, +um mich abzuholen. Er zeigte mir zuerst eine höchst +merkwürdige Kirche, eine sehr alte Baute, die ursprünglich frei +angelegt, später durch den Ueberbau einer anderen Kirche zu +einer Krypta gemacht und jetzt wieder durch Hinwegräumung +des umgebenden Terrains eine überirdische Kirche geworden +ist. Sie rührt aus dem 5. oder 6. Jahrhundert her. Sodann +gingen wir nach einer Rotunde, einer Ruine, von der +die Reisebücher behaupten, sie sei als christliche Kirche gebaut, +was indeß keineswegs erwiesen ist. Jedenfalls rühren die +Säulen, die Capitäler von verschiedener Ordnung von alten +römischen oder griechischen Tempeln her. Es war mittlerweile +dunkel geworden und wir verabschiedeten uns von einander.</p> + +<p>Bei meiner Nachhausekunft fand ich Zittel und Ascherson +vor. Sie waren beide über Rom und Neapel Nachmittags +in Brindisi eingetroffen und Ascherson hatte den kurzen Aufenthalt +schon benutzt, um zu botanisiren; ganz mit Pflanzen beladen +kam er nach Hause. Wir dinirten noch gemeinschaftlich +und gingen dann um 7 Uhr an Bord. Zuerst hatten Noël +und ich, Ascherson und Zittel je eine Cajüte für uns, als aber +dann in unsere Cabinen noch fremde Leute hineingesteckt wurden, +tauschten wir derart, daß wir Vier zusammenkamen. Ich +konnte die Nacht gar nicht schlafen, die Betten waren sehr +hart und schmal und gegen Morgen entstand ein Höllenlärm, +denn um 3 Uhr kam ein Londoner Expreßtrain, den auch +Schweinfurth benutzt hatte, von Bologna und um 8 Uhr +Morgens kurz vor Frühstückszeit, als wir auf dem Deck erschienen, +waren wir schon <tt>en route</tt>; es war köstliches Wetter, +das Meer leicht gewellt, was aber dem sehr großen Dampfer +keine Bewegung verursachte.</p> + +<p>Um 10 Uhr Morgens fuhren wir bei der griechischen +Stadt Navarin vorbei; auch an dem Tage herrliches Wetter, +wenn auch etwas trüber. Je mehr wir nach dem Süden +kamen, desto milder wurde die Lufttemperatur und Abends +hatten wir immer das schönste Meerleuchten, und die Zeit +wäre gewiß so angenehm wie möglich vergangen, wenn nicht +Regenwetter eingetreten wäre, welches uns nöthigte unter +Deck zu bleiben. Die letzten beiden Tage hatten wir sogar +Sturm; Zittel und Ascherson waren seekrank, Schweinfurth, +Noël und ich hielten uns vortrefflich; aber Zittel mußte einen +ganzen Tag im Bette liegen, da er sich stark erkältet hatte und +heftige Halsschmerzen bekam. Und doch war es so warm. +20 Grad im Schatten.</p> + +<p>Um 12 Uhr Mittags kamen wir in den Hafen von Alexandrien; +wir mußten die Quarantäne am Bord des Schiffes +bis übermorgen Mittag halten. Alle Sachen waren angekommen +und alles Andere war von Menshausen, einem deutschen +Kaufmanne, besorgt. Der Vicekönig war in Kairo und +v. Jasmund auch, der dort sich augenblicklich mit dem Prinzen +von Hohenzollern aufhielt. In Alexandria war projectirt, +nur einen Tag zu bleiben, in Kairo drei bis vier, um dann +gleich bis Minieh oder Siut (Hauptstadt von Oberägypten am +Nil) vorwärts zu gehen.</p> + +<p>Welch' bewegtes Leben hier in Skendria oder Alexandria! +Wir lagen am Eingange des Hafens auf der Rhede. Rechts +der schöne Mex-Palast von Said Pascha, links der Leuchtthurm +und der schneeweiße Palast von Mehemed Ali, der Mastenwald, +mit der Stadt im Hintergrunde vor uns. In der +Ferne ein üppiger Palmenwald: dies das Panorama von +unserem Schiffe. Auf dem Schiffe selbst zerlumpte Soldaten +mit gelber Schärpe, Abzeichen der Quarantäne. Dafür, daß +ich mit Menshausen sprach, kam der wie ein Bänkelsänger +aussehende Soldat gleich mit offener Hand auf mich los: +"<tt>nrid backschisch</tt>", "ich möchte Trinkgeld." Er war sehr bedonnert, +als ich ihn in arabischer Sprache fragte, wie er dazu +käme und mit welchem Rechte er bettele. Natürlich gab ich +ihm trotzdem sein Backschisch.</p> + +<p>Schweinfurth war wieder hergestellt und Zittel und Ascherson +natürlich wie durch Zauber ihrer Krankheit hier im sicheren +Hafen überhoben. Mit den übrigen Herren auf dem Lloydschiffe, +welches auch gekommen war und einen Flintenschuß +weit von uns lag, tauschten wir, sobald wir uns durchs Fernrohr +erkannten, laute Hurrahrufe aus und später kamen Jordan +und Remelé herüber, um uns (natürlich immer in respectvoller +Distance, da sie fünf, wir aber nur zwei Tage Quarantäne +halten sollten) zu begrüßen. Die Armen mußten darauf +aber das Schiff verlassen, um am Lande die Quarantäne abzuhalten. +Das ist langweilig und kostspielig für sie; aber +amüsant mußte es ihnen sein, die zahlreichen Pilger zu beobachten, +welche, an dem Tage von Marokko kommend, ein +englischer Dampfer gebracht hatte, etwa 1000 an der Zahl. +Das war ein sonderbarer Anblick; ein bunteres Bild konnte man +kaum sehen, als sie in kleinen Barken zu 8-10 Mann nach dem +Quarantäne-Gebäude geschafft wurden. Aber bunt kann man +eigentlich nicht sagen, weil alle entweder in einem schmutziggrauen, +schmutzigbraunen oder schwarzen Burnus eingewickelt +waren und offenbar die schlechtesten Gewänder trugen, die sie +überhaupt in ihrer Heimath von ihren Angehörigen hatten +auftreiben können. Wie merkwürdig, daß sich dieser Pilgerzug +mitten durch die civilisirtesten Länder und Völker hindurch +immer noch erhält, denn eine Abnahme des Pilgerns ist wohl +kaum zu spüren. Und wie merkwürdig, daß die christlichen +Engländer es heute unternehmen, die fanatischen Gläubigen +zu ihrer heiligen Stätte zu führen. Auf der einen Seite geben +sie jährlich Hunderttausende von Pfund Sterling aus, um dem +Umsichgreifen des Islam durch christliche Missionen ein Ziel +zu setzen, auf der anderen Seite leisten sie demselben Vorschub +dadurch, daß sie das Pilgern erleichtern, denn es kann nicht +geläugnet werden, daß die jährlichen Zusammenkünfte am +Berge Ararat und beim schwarzen Steine in Mekka die Mohammedaner +zu immer neuem Fanatismus anfachen. Das ist +bei den mohammedanischen Pilgerfahrten so gut der Fall, wie +bei den katholischen. Uebrigens Angesichts unserer eigenen +Pilgerreisen inmitten des civilisirten Europa ist es kaum erlaubt, +darüber zu staunen; denn dem Unparteiischen muß es +schließlich einerlei sein, ob er in Nordafrika dumme Schafheerden +nach Mekka strömen sieht, oder solche von Frankreich, +von Belgien, vom Rhein aus auf dem Wege nach Rom erblickt. +Hier sowohl wie dort wird Dasselbe erstrebt: In +Mekka wie in Rom ist für den Hohenpriester die Hauptsache, +Geld zu bekommen, für die Pilger, sich Verdienste und Vergebung +der Sünden zu erwerben. Einen Unterschied vermögen +wir absolut nicht zu finden. Dummheit und Aberglaube sind +bei den Mohammedanern wie Christen die Triebfedern.</p> + +<p>Langeweile hatten wir an Bord nicht; die Passagiere waren +noch fast alle geblieben, nur die India-Reisenden gingen am +selben Tage mit einem direct nach Suez gehenden Zuge ab. +Ein solcher Quarantäne-Zug wird verschlossen, darf nirgends +halten und ohne Aufenthalt geht es in Suez wieder an Bord. +Der Hafen ist ungemein belebt; Dampfer kommen und gehen; +einige, die von inficirten Häfen kommen, werden mit der gelben +Flagge, dem Abzeichen, daß sie in Quarantäne sind, geschmückt; +andere, die aus gesunden Häfen ausgelaufen sind, +bleiben ohne gelbes Abzeichen und dürfen gleich mit der Stadt +communiciren.</p> + +<p>Endlich schlug die ersehnte Stunde: zwei Cavassen vom +Generalconsulat kamen an Bord, und uns und unsere Sachen +einladend ging es fort und bald darauf hielten wir vor Abbat's +Hôtel, an einem der schönsten Plätze Alexandriens gelegen. +Ich ging zuerst zu Menshausen und dann auf's Consulat. +Herr v. Jasmund empfing mich sehr freundlich. Für den +Abend war ich mit allen meinen Begleitern zum Essen auf's +Consulat geladen.</p> + +<p>Jordan und Remelé waren gestern Abend auch noch aus +der Quarantäne befreit werden, welche also keineswegs so +streng beobachtet und gehalten wurde, wie ursprünglich war +angeordnet worden, und so waren wir denn Alle vereint im +Hôtel Abbat, wo wir zum ersten Male erfahren sollten, mit +ägyptischen Preisen zu rechnen. Allein für die Diener mußte +ich täglich 40 Frcs. ausgeben. Im Uebrigen konnte man mit +den Zimmern, dem Essen und der Bedienung zufrieden sein, +obschon die Hôtels in Alexandrien nicht so gut sind, wie die +in Kairo, da in der Hafenstadt die Passagiere nur ein bis +zwei Tage zu bleiben pflegen, wogegen sie in Kairo manchmal +Monate lang weilen.</p> + +<p>In Alexandria wurde meine ganze Zeit durch geschäftliche +Angelegenheiten in Anspruch genommen. Nur Abends hatten +wir Ruhe, uns an einem Glase Bier zu erlaben.</p> + +<p>Bei unserer demnächstigen Abreise von Alexandrien war +am Schalter wieder eine entsetzliche Wirthschaft: Es ist unglaublich, +mit welcher Gemüthsruhe der Billeteur die sich drängenden +und ungeduldigen Reisenden am Schalter abfertigt. +Werden sie gar zu lästig, hört er einige "<tt>goddam</tt>" oder "<tt>au +sacre nom de Dieu</tt>" oder Kreuz-Millionen-Donnerwetter, +dann entfernt er sich für fünf Minuten, nimmt eine Tasse +Kaffee, um mit neuen Kräften dem Publicum entgegentreten +zu können. Endlich war an mich die Reihe gekommen, ich +hatte meine Billets, die Bagage wurde eingeschrieben und bald +darauf ging's fort. Da Ascherson, Jordan und Remelé noch +zurückblieben, um mit einem anderen Zuge nachzufahren, so +lud Herr v. Jasmund uns ein, in sein Coupé zu steigen. Die +Generalkonsuln in Alexandrien bekommen jedesmal ein eigenes +Coupé, wenn sie reisen.</p> + +<p>Ich unterlasse es, über die Fahrt auch nur ein Wort zu +sagen, doch muß ich erwähnen, daß wir in Kassar Sayet, +beim Uebergange des linken Nilarmes, mit Nubar Pascha, +der von Kairo nach Alexandria fuhr, zusammenkamen und +demselben vorgestellt wurden. Eigenthümlich, ich hatte mir den +Mann ganz anders gedacht, mehr diplomatenmäßig, d.h. wie +bei uns die Staatsmänner auszusehen pflegen. Damit will +ich aber keineswegs sagen, daß Nubar eine gewöhnliche Physiognomie +habe, im Gegentheil, namentlich sein Auge ist wunderschön. +Im Französischen drückt er sich gewandt aus. Er +theilte uns mit, der Vicekönig wünsche der Expedition einen +so wenig officiellen Anstrich wie möglich zu geben und deshalb +müßten wir von einer militärischen Escorte abstehen. Dahingegen +garantire er absolute Sicherheit der Gegend zwischen +dem Nil und den Uah-Oasen. Die Unterredung dauerte nur +kurze Zeit, da die Züge bald darauf wieder abfuhren. Mir +war nichts angenehmer, aus der lästigen Escorte ledig zu sein. +Wie ich denn überhaupt bemerken muß, daß der Gedanke einer +militärischen Begleitung keineswegs von mir, sondern ursprünglich +vom Chedive selbst ausging und zwar so gestellt +wurde, daß ich glauben mußte, dem Chedive sei daran gelegen, +eine militärische Bedeckung mitzugeben.</p> + +<p>Mit dem Zuge, den wir benutzten, erreicht man Kairo in +fünftehalb Stunden. Um 1 Uhr waren wir denn auch angelangt, +nachdem schon längere Zeit vorher die Pyramiden, +die Gräber der Chalifen, die schlanken Minarets der Mohammed-Ali-Moschee +ihren Willkommengruß uns entgegen gesandt +hatten.</p> + +<p>Angekommen, begaben wir uns sogleich ins Nil-Hôtel, +nachdem ich vorher vergeblich versucht hatte, die Diener in +einem billigeren Hôtel unterzubringen. Nachmittags besuchten +wir das Consulat, fanden aber, daß unser deutscher Viceconsul +Travers auf einer Tour nach Minieh war, um den Prinzen +von Hohenzollern dorthin zu begleiten. Abends waren wir +im Theater und hörten die "Aida" von Verdi, welche in +dieser Saison zum ersten Male aufgeführt wurde. Wer hätte +nicht von den Wundern gehört, welche der Chedive durch +Zaubergewalt in seiner Hauptstadt seit Jahren entstehen +läßt? Wenn auch nicht alle gleich an Pracht, wie solche bei +Eröffnung des Suez-Kanals dem Auge sich darbot, zeigen doch +die Werke, welche der Vicekönig seitdem nach und nach ins +Leben rief, um die Freuden des Lebens durch Kunstgenüsse zu +erhöhen, einen derartig großen Anstrich, daß es sich wohl verlohnt, +dabei zu verweilen.</p> + +<p>Einen Lieblingsgedanken, eine Oper zu besitzen, verwirklichte +Ismael Pascha bald, nachdem die Feierlichkeiten der Kanaleröffnung +vorüber waren, indem er auf dem prächtigen Esbekieh-Platze +ein Gebäude mit Allem, was dazu gehört, für eine +italienische Oper herrichten ließ. Um dasselbe würdig einzuweihen, +veranlaßte er den Maëstro Verdi, eigens eine Oper +dafür zu componiren. Den geschichtlichen Stoff lieferte Mariette, +die literarische Redaction besorgte Ghislanzoni.</p> + +<p>Präcis 8 Uhr begann man mit der Ouverture, welche von +einem vollkommen eingeübten Orchester meisterhaft vorgetragen +wurde. Ebenso tadellos war die ganze Aufführung. Sänger +und Sängerinnen sind durchweg ersten Ranges, namentlich der +Tenor (Radames) Sigr. Fancelli, von einer Stärke und Höhe +der Stimme, wie man ihn gewiß selten an einer der größten +Bühnen Deutschlands findet. Was die Sängerinnen anbetrifft, +so waren dieselben in der Saison nur aus Deutschland +recrutirt, die Aida wurde von Fräulein Stolz, Amneris von +Fräulein Waldmann repräsentirt. Beide waren in ihrer Art +vorzüglich.</p> + +<p>Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß man bei +der Costümirung auf größte Genauigkeit gesehen hat, um +Kleidung und alte Gegenstände so herzustellen, wie sie durch +die Aegyptologen uns bekannt und wie sie uns in den Museen +aufbewahrt sind. Dazu ist Alles mit einer Pracht hergerichtet, +wie es eben nur ein Fürst zu leisten vermag, dessen Mittel +fast unbeschränkt sind.</p> + +<p>Was das Sujet anbetrifft, so ist es der ägyptischen Geschichte +entnommen. Aegypten und Abessinien liegen seit +Jahren in Krieg miteinander. Der Feldherr des Königs von +Aegypten, Namens Radames hat die Tochter des äthiopischen +Königs Amonasro, Namens Aida, gefangen genommen, er +giebt sie der Tochter seines ägyptischen Königs, Namens Amneris, +zur Sclavin. Radames verliebt sich aber in Aida und +wird von Aida wieder geliebt. Später wird der äthiopische +König Amonasro auch noch gefangen genommen. Amonasro +und Aida finden sich wieder, Beide, Vater und Tochter, Gefangene +am ägyptischen Hofe. Man begnadigt Beide und will sie ziehen +lassen. Amonasro aber überredet seine Tochter, die Liebe Radames' +zubenutzen, um ihn über einen Kriegsplan auszuforschen; +sie weicht endlich den Bitten des Vaters und Radames widersteht +nicht dem Flehen der Aida. Er fängt an, den Plan zu verrathen, +aber gerade in dem Momente kommt Amneris hinzu. +Radames flieht nicht, er klagt sich selbst an, die Königstochter +überliefert ihn aus Eifersucht den Priestern, er wird zum Tode +verurtheilt und kann dann trotz der bitteren Reue der Amneris +nicht gerettet werden. Lebendig in einem Grabe eingemauert, +theilt Aida freiwillig sein Loos.</p> + +<p>Eine solche Aufführung, wie sie in Kairo Statt hatte, +muß selbst den verwöhntesten Geschmack befriedigen. Die +Musik freilich wird wohl nicht überall Beifall finden. Die +Freunde der Harmonie werden sagen, es sind zu viel Wagner'sche +Anklänge vorhanden, die Wagnerianer werden die +Musik zu dünn und zu wenig überwältigend finden. In der +That ist Verdi bei dieser Composition ganz aus seiner Rolle +gefallen. Der Componist des "Ernani", des "Trovatore" hat +sich im Wagnerianismus versuchen wollen, aber nichts als +zwangvolle Sätze sind entstanden, welche das Publicum kalt lassen.</p> + +<p>Die innere Einrichtung des Opernhauses ist reizend. Die +Bühne ist verhältnißmäßig groß, ebenso der Orchesterraum. +Links hat der Chedive eine Prosceniumsloge, die gleich hoch +<i>allen</i> Logenreihen ist, darunter eine kleine dicht am Orchester. +Rechts ist die chedivische Haremsloge, durch ein so feines +Eisengitter verschleiert, daß die Meisten glauben, dies weiße +Gewebe seien Tüllgardinen, aber in der That besteht es aus +dem feinsten Eisendraht. Daran schließen sich vier andere, ähnlich +verschleierte Logen, für andere Haremsdamen hoher Würdenträger.</p> + +<p>Das Opernhaus hat vier Logenreihen übereinander. Im +ersten Stock, also parallel mit den Logen ersten Ranges, befindet +sich ein großes und fürstlich eingerichtetes Foyer, zugänglich +für Jedermann. Daneben sind Restaurationslocale, +die man übrigens auch unten findet.</p> + +<p>Zu der Zeit wurde das Opernhaus erheblich vergrößert, +weil die damaligen Räume zur Aufbewahrung der Decorationen +keineswegs genügten.</p> + +<p>Am folgenden Tage wurden wir um 10-1/2 Uhr zum Vicekönige +befohlen; wir holten Herrn v. Jasmund ab. Der +Vicekönig residirt in einem neuen Palais im neuen Stadttheile +Ismaelia. Nach wenigen Vorstellungen, die zwischen Ali +Pascha, dem Ceremonienmeister und dann einem Anderen, der +der Großsiegelbewahrer ist, stattfanden, führte man uns die +Treppe hinauf, wo wir oben vom Vicekönige empfangen wurden. +Aus dem großen Saale führte er uns in ein kleines +Zimmer. Die Unterhaltnng drehte sich natürlich nur um die +Expedition. Zuerst aber, nachdem wir vorgestellt waren, hielt +Herr v. Jasmund einen kleinen <tt>speech</tt>, worin er dem Vicekönige +dankte für das, was er für die wissenschaftliche Expedition +gethan. Dann erwiderte der Vicekönig, wie glücklich +er sich schätze, mit solchen Leuten eine solche Expedition organisiren +zu können, und dann stattete ich meine Grüße ab und +dankte im Namen des Kaisers und Königs. Als ich dies +sagte, erhob sich der Chedive von seinem Platze, aus Ehrfurcht +vor dem Namen Sr. Majestät und Sr. Kaiserlichen Hoheit +des Kronprinzen.</p> + +<p>Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte +3/4 Stunden) über die Expedition und hierbei beklagte sich der +Vicekönig bitter über Bakers Expedition, der unnütz Menschenblut +vergossen und für Abschaffung des Sclavenhandels nichts +gethan habe. Diese vom Vicekönige gesprochenen Worte bekräftigten +also in der That, daß Sir Samuel gar nichts erreicht +hat, daß seine Expedition vielmehr nach der Aussage des +Chedive nur unheilvoll wirkte. Ich begriff nun auch, warum +die ägyptische Regierung meiner Expedition so wenig officiellen +Charakter, wie möglich, geben wollte. Gegen Samuel Baker +scheint der Chedive jedoch sich ganz anders geäußert zu haben; +wenigstens lesen wir in Bakers "Ismailia", daß der Chedive +seine Dienste durch die Verleihung des Osmanieh-Orden belohnte, +und daß Baker selbst meint, sein fester Glaube auf +die Unterstützung der Vorsehung sei nicht unbelohnt geblieben, +also seine Aufgaben für gelöst hielt. Das kann ich bestätigen, +daß der Chedive keineswegs gesonnen schien, die Baker'sche +Expedition aufzugeben, sondern in Colonel Gordon einen würdigen +Mann fand, der da wieder anknüpfte, wo Baker sein +Unternehmen abgebrochen hatte.</p> + +<p>Der Vicekönig, 1830 geboren, also jetzt 45 Jahre alt, hat +eine gedrungene Gestalt, ein sympathisches Gesicht, freundliche +Augen, im Ganzen ein sehr intelligentes Aeußere. Jedenfalls, +nach seiner Physiognomie zu schließen, ein Mann, der mehr +liebt, das Gute zu thun, als das Böse.</p> + +<p>Als wir uns verabschiedet hatten, begab ich mich mit v. +Jasmund nach seinem Hôtel, um noch einige Punkte wegen +des Dampfers, der Kamele &c. zu präcisiren und zu Papier +zu bringen.</p> + +<p>Darüber war es Mittag geworden. Nach Tische kam Jasmund, +mich abzuholen zu einem Besuche bei Hussein Pascha, +dem zweiten Sohne des Vicekönigs, der den öffentlichen Arbeiten +vorsteht. Es handelte sich nämlich darum, die Papiere +bezüglich des Nivellements der Eisenbahnstrecke von Siut zu +bekommen, damit wir bei unserem Vorgehen von diesem +Punkte eine bestimmte Basis hätten. Hussein wohnt auf der +Kasbah und im selben Palais oder Harem, in welchem der +große Mohammed Ali sein Leben ausgehaucht hat. Ein großartiges +Gebäude von colossalen Dimensionen, dessen Bel-Etage +ein immenses Kreuz bildet, derart, daß 1 das Audienzzimmer, +2 den Saal und 3, 3, 3 noch andere +Zimmer umfassen. Wie im chedivischen +Palaste, war auch hier Alles auf's Geschmachvollste, +auf's Reichste und ohne +Ueberladung decorirt. Aber die Kasbah +hat nicht nur diesen einen Palast, sondern +es ist dies ein Complex von Forts, Schlössern und +Moscheen. Da ist z.B. das Palais, in dem der Vicekönig +die Beiramsfestlichkeiten abhält, da ist vor Allem die ganz aus +Alabaster, oder besser gesagt, aus ägyptischem Marmor erbaute +Moschee Mehemed Ali's.</p> + +<div class='center'> +<table border="1" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""> +<tr><td> +<table border="0" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""> +<tr> +<td><table border="1" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px">1</td></tr></table></td> +<td><table border="0" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px"></td></tr></table></td> +<td><table border="1" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px">3</td></tr></table></td> +</tr> +<tr> +<td colspan="3" align="center"><table border="0" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td style="height: 100px">2</td></tr></table></td> +</tr> +<tr> +<td><table border="1" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px">3</td></tr></table></td> +<td><table border="0" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px"></td></tr></table></td> +<td><table border="1" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px">3</td></tr></table></td> +</tr> +</table> +</td></tr> +</table></div> + +<p>Mögen nun auch die Architekten sagen, was sie wollen, +mögen sie behaupten, diese Bauten zeigen keinen bestimmten +Stil, mögen sie glauben, die Minarets seien im Verhältnis +zu ihrer bedeutenden Höhe zu dünn oder zu wenig umfangreich, +es steht fest, daß gerade diese Moschee eine der Hauptzierden +Kairos ist, daß man ohne sie sich Kairo nicht mehr +vorstellen könnte. Und in ihren einzelnen Theilen wie im +Ganzen kann man sie nur schön nennen, im Innern, wie im +Aeußern. Nur der häßliche Uhrthurm auf der Westfaçade +des Hofes, aus Holz erbaut, paßt nicht zum Ensemble. Wir +besuchten natürlich auch das Innere, es wurden uns die obligaten +Schuhe übergezogen, aber ich merkte einen Fortschritt, +sie waren nicht wie früher aus Stroh, sondern aus Tuch und +wurden festgebunden durch Bänder.</p> + +<p>Eine stark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt und +gesagt, es sei das der Ort, wo eventuell der türkische Sultan +seinen Sitz nähme; dies scheint mir problematisch, ich glaube +vielmehr, es ist eine Einrichtung für den Harem.</p> + +<p>Nachdem wir dann die unvergleichlich schöne Aussicht von +dem Punkte aus genossen hatten, wo beim Massacre der +Mameluken einer derselben sich durch einen kühnen Sprung +in die Tiefe gerettet haben soll, ein Punkt, von welchem aus +man die Stadt, die Gräber der Chalifen, das rothe Gebirge +(<tt>Gebel ahmer</tt>), das Mokhatan-Gebirge, die Pyramiden, den +Nil, ein großes Stück des üppigen Nil-Delta und die unendliche +Sahara überblickt, ein Punkt, von dem aus man das +vollkommenste Bild über Aegypten gewinnt, wo man den +Charakter dieses Landes mit einem Blick überschauen kann—nachdem +wir dies in uns aufgenommen, stiegen wir zur +Hassan-Moschee, am Fuße der Kasbah gelegen, hinab.</p> + +<p>Die Hassan- Moschee gilt überall als die schönste Moschee +von Kairo und doch keineswegs mit Recht. Die Großartigkeit +der Steinmauern bestreite ich nicht, aber die schon zugeschnittenen +Quadern wurden von den Pyramiden entnommen. Die +Zartheit, das Kühne des Tropfsteingewölbes, das Unglaubliche +der Stalaktiten-Kuppeln gebe ich gern zu, aber das Material +dazu ist von Holz, und mit Widerwillen fast wird man hier +an das Vergängliche, an das Unsolide aller maurischen Bauten +erinnert. Dazu kommt, daß diese Holz-Stalaktiten-Bauten +derart vernachlässigt und zerfallen sind, daß alle Schönheit +schon zu Grunde gegangen ist.</p> + +<p>Was aber für den mit der religiösen Geschichte der Mohammedaner +Vertrauten ungleich mehr auffällt, ist der Grundriß +der Moschee. Bis jetzt hat noch kein Architekt darauf aufmerksam +gemacht. Im gewöhnlichen Stil besteht nämlich jede +Moschee aus zwei Körpern: dem bedeckten, nach Osten gerichteten +Theile, aus manchmal vielen Säulenhallen bestehend, und +dem unbedeckten Hofe im Westen, beide in der Regel viereckig. +Die Hassan-Moschee aber hat im Hofe als Grundriß ein vollkommenes +<i>Kreuz</i>. Wenn man weiß, wie furchtbar der Moslim +Alles haßt, was nur irgendwie an die Form des Kreuzes erinnert, +so muß man sich wundern, daß dies hier so prägnant +zum Ausdruck gekommen ist. Jedenfalls ist es unbewußt geschehen, +denn der uns begleitende Priester gab mir den Schlüssel +dazu folgendermaßen: Jeder der Kreuzflügel, welche, beiläufig +gesagt, überwölbt sind, dient zur Aufnahme der Anhänger der +vier rechtgläubigen Bekenner, so daß in dem einen die Malekiten, +im anderen die Schaffeïten, im dritten die Hambaliten, +im vierten die Hanesiten Platz finden. Sultan Hassan liegt +in der Moschee begraben und rund um sein Grab sieht man +die unvertilgbaren Spuren von Blutlachen, Zeugen der Ermordung +von Mameluken, welche sich beim Massacre in die +Moschee geflüchtet hatten.</p> + +<p>Hiernach begleiteten wir v. Jasmund nach Hause und +fuhren, Zittel und ich, sodann zu Mariette Bei, dem Director +des Bulac-Museums, fanden ihn aber nicht zu Hause. Das +Museum konnten wir auch nur sehr flüchtig besehen, da es +dunkel wurde.</p> + +<p>Nach dem Essen gingen die Anderen noch etwas spazieren, +ich schrieb, machte auch einen Gang auf die Esbekieh und hiernach +trafen Zittel und ich uns wieder im Nil-Hôtel. Wir +saßen Abends noch lange im Mondschein, der Mond stand hoch, +fast im Zenith über uns. Die blühenden, wie Heliotrop duftenden +Akazien, die milden Lüfte, Alles war zauberisch schön. +Solche duftende ruhige Nächte giebt es nur in Nordafrika, +wo die Nächte Winters und Sommers sich fast stets durch +absolute Windlosigkeit der Atmosphäre auszeichnen.</p> + +<p>Ein wichtiges Geschäft war dann noch abzuwickeln, nämlich +gute Diener zu engagiren. Eine gewisse Erleichterung gewährte +Kairo in sofern, als alle unbeschäftigten fremden Leute, alte +und junge, in der Stadt einem Schich unterstehen, der, so +lange sie in Kairo sind, für ihr Betragen der Polizei haftbar +ist. Dieser Schich besorgte mir sodann Leute, so viel ich +brauchte, und da außerdem die Polizei sich noch drein mischte, +konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, gute und brave +Leute engagirt zu haben. Gleich von vornherein kann ich dies +auch hier bestätigen, denn im Ganzen hatten wir recht treue +Diener; und wenn selbst der fromme Doctor der Theologie, +welcher Prof. Ascherson's Diener war, diesen so unverschämt +betrog, so folgte er wohl nur religiösen Motiven oder glaubte +vielmehr seine Betrügereien durch den Mantel der Religion +bedecken zu können. Ein alter Diener, den ich in Tripolis +aus der Sclaverei befreit und über Cyrenaica und Siuah +hierher gebracht hatte, fand mich hier wieder. Es war rührend, +als er kam, mir die Hand küßte, weinte und mir das +Certificat zurückstellte mit den Worten: "Jetzt brauche ich es +nicht mehr, jetzt habe ich Dich wiedergefunden."</p> + +<p>Nachdem viele Einkäufe besorgt waren, gingen wir sodann +zur Sitzung des <tt>Institut d'Égypte</tt>, wo man uns zu Ehren +eine Versammlung anberaumt hatte. Da waren alle Notabilitäten +der Wissenschaft Aegyptens vertreten. Mariette Bei, +der berühmte Aegyptolog, präsidirte. Die Sitzung war in +einem Saale des Ministeriums des Innern. Nach einer einleitenden +Rede und nach Verlesung des <tt>procès verbal</tt> der +letzten Verhandlung verlas ich eine Rede in französischer +Sprache. Es war recht feierlich, v. Jasmund war auch da +und Schweinfurth von Alexandrien herüber gekommen.</p> + +<p>Nach diesem kurzen Aufenthalte in Alexandrien und Kairo +wurde Siut erreicht, von wo die eigentliche Expedition beginnen +sollte. Aber gleich beim Beginne stellten sich die Schwierigkeiten +bedeutend größer heraus, als man vermuthet hatte, +denn es galt, die Kamele mit Futter zu beladen, da man sich +Angesichts einer absolut vegetationslosen Wüste befand. Nachdem +die Bohnen, welche zu einer Reise von zwanzig Tagen +nothwendig wurden, an Ort und Stelle waren, traten wir +am 18. December den Marsch in die Wüste an. Dieselbe +offenbarte denn auch gleich an den ersten Tagen ihre ganzen +Schrecken und Gefahren, denn man befand sich in der trostlosesten +Einöde. Allerdings nicht so vegetationslos, daß nicht +hier und da noch einige Kräuter gesproßt hätten, aber keineswegs +so krautreich, daß man darin hätte Kamele weiden +können.</p> + +<p>Nur dieser Theil der Sahara, die sogenannte Libysche +Wüste, kennzeichnet sich durch eine so außerordentliche Armuth +an Pflanzen, denn in der ganzen übrigen Sahara nehmen +Karawanen nie Futter für die Kamele mit, sondern die Thiere +begnügen sich mit dem, was sie unterwegs finden. Nur südlich +von Tedjerri in Fessan hat man auch ein Terrain zu +durchziehen, wo man für einige Tage Datteln als Kamelfutter +mitzunehmen pflegt.</p> + +<p>Wir erreichten dann zunächst die kleine Oase Farafrah, +keineswegs dem Nil zunächst gelegen, im Gegentheil, sie ist +von Sinah am Nil die entfernteste. Aber ich hatte diesen +Weg vorgezogen, weil er ein vollkommen neuer, <i>noch nie +von Europäern begangener</i> war. Das Erscheinen einer +so großen Karavane, 100 Kamele und circa 80 Mann, rief +natürlich die größte Angst, der alsbald das Staunen folgte, +bei den Eingeborenen hervor, aber als sie schnell gewahr wurden, +daß wir in friedlicher Absicht gekommen waren, etablirte sich +ein leidliches Verhältniß zwischen uns, soweit der Fanatismus +der Bewohner es gestattete.</p> + +<p>Sodann mußten wir nach einigen Tagen uns nach Dachel +wenden, da wir in Farafrah weder für uns noch für unsere +Kamele Vorräthe auftreiben konnten. Wir folgten derselben +Route, welche vor uns Cailliaud gezogen war, und erreichten +nach einer Woche diese freundlichste aller Uah-Oasen. Und so +freundlich uns die Landschaft und der Hauptort Gasr entgegenlachten, +so zuvorkommend wurden wir hier auch empfangen +von der Behörde und der ganzen Bevölkerung. Erwähnen +muß ich allerdings, daß die Farafrenser über unsere Ankunft +noch nicht unterrichtet waren, als wir dort eintrafen, in Dachel +hingegen die Behörde von Siut aus schon instruirt war, uns +freundlich aufzunehmen.</p> + +<p>Aber auch hier in Dachel waren die Vorräthe nicht so +reichlich, wie man uns es vorgespiegelt hatte, und ich war gezwungen, +nach Siut zurückzusenden, um sechzig neue Kamelladungen +Bohnen kommen zu lassen. Aber ehe dieselben eintrafen, +vermochte ich Prof. Jordan, vorauszugehen. Freilich +hatte er mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber als dann +Zittel auch bald nachrücken konnte, wurde abermals weiter +vorgegangen und die Expedition erreichte fast den 27° O.L. +v. Gr. und blieb vor einer mächtigen, von Norden nach Süden +streichenden Düne liegen. Hier fand ich dieselbe lagern, als +ich selbst nach einiger Zeit dort eintraf.</p> + +<p>Eine Recognoscirung, die Zittel zu Fuße schon vorher gemacht +hatte, eine andere, die ich selbst mit Prof. Jordan +unternahm, stellte nun zur Evidenz heraus, daß an ein weiteres +Vorgehen nach Westen nicht zu denken sei. Wir befanden uns +Angesichts eines Sandmeeres, welches aus 100-150 Meter +hohen Sandketten mit steilen Böschungen bestand. Die +Zwischenräume zwischen diesen Sandketten waren ebenfalls +mit Sand bedeckt, zeigten <i>kein nacktes Gestein</i>. Es traten +nun zwei entscheidende Gründe ein, die uns zwangen, von +weiterem Vorgehen nach Westen abzustehen. Erstens waren +es die hohen, von <i>Norden nach Süden</i> ziehenden Dünen, +welche zu <i>jeder Uebersteigung</i> mehrere Stunden nöthig +machten und wodurch wir sodann höchstens per Tag 20 Kilometer +hätten vordringen können mit der <i>gewissen</i> Aussicht, +nach acht Tagen sämmtliche Kamele todt oder "<tt>batal</tt>"<a name="FNanchor_40_40" id="FNanchor_40_40"></a><a href="#Footnote_40_40" class="fnanchor">[40]</a> gehabt +zu haben. Zweitens war es unmöglich, im Sandmeer +Wegzeichen zu errichten; der geringste Samum würde sie umgeweht +haben; mithin war eine weitere Depôtbildung, die +unumgänglich nothwendig war, sowie eine constante Verbindung +mit dem Hauptdepôt Dachel nicht zu ermöglichen.</p> + +<p>Sobald daher das Unausführbare, Kufra von Westen aus +mit den uns zu Gebote stehenden Locomobilen zu erreichen, +constatirt war, beschlossen wir, mit den Dünen nach Norden +zu gehen, um womöglich einen Durchgang, ein Aufhören der +Dünen zu finden oder Siuah zu erreichen. Die Dünen hörten +nicht auf, wir waren während 14 Tagen stets zwischen hohen +Ketten von Sandbergen und legten einen der sonderbarsten +Märsche zurück, welche je in Afrika gemacht worden sind. +<i>Ohne Führer</i> waren wir, wie das Schiff auf dem Meere, +nur dem Compaß vertrauend, angewiesen, der einmal angenommenen +Richtung zu folgen. War diese falsch oder wären +wir durch die öftere nothwendig werdende Uebersteigung der +Dünen zu weit abgekommen, so mußte voraussichtlich Siuah +verfehlt werden<a name="FNanchor_41_41" id="FNanchor_41_41"></a><a href="#Footnote_41_41" class="fnanchor">[41]</a>. Oder wären wir von einem <i>mehrtägigen</i> +Samum überrascht worden, so wäre voraussichtlich unser Loos +ein noch schlimmeres gewesen, indem wir nur für eine bestimmte +Zahl von Tagen Wasser hatten. Ich konnte es überhaupt +nur übernehmen, die Karavane nach Siuah zu führen, +weil ich dort bekannt war und die Formation der Ufer und +die Lage der Seen östlich und westlich von Siuah mir noch +vor Augen stand. Ich brauchte deshalb nicht zu fürchten, +falls ich zu weit westlich oder östlich herauskäme, unorientirt +zu bleiben.</p> + +<p>Und glücklich erreichten wir denn auch die Oase des Jupiter +Ammon, wo wir bei der Behörde den freundlichsten Empfang +fanden. Schon nach wenigen Tagen brachen wir wieder auf, +gingen bis Setra zusammen in östlicher Richtung und sodann +trennten Zittel und ich uns von Jordan, um wiederum <i>ohne +Führer und auf nie begangenem</i> Wege direct nach +Farafrah zu gehen, während Jordan mit einem in Siuah gemietheten +Führer nach Uah-el-behari ging, um die auf den +Karten verzeichneten Behar-bela-ma zu untersuchen.</p> + +<p>Farafrah wurde glücklich von uns erreicht, vonwo Zittel +sogleich nach Dachel weiter ging, um unseren dortigen um +uns in Sorge lebenden Gefährten die Nachricht unserer glücklichen +Rückkehr zu übermitteln. Ich selbst blieb noch einen +Tag länger in Farafrah und ging dann auf <i>neuem</i>, noch +nie begangenem Wege nach Dachel, hauptsächlich um die Gebirgszüge +zu durchschneiden, welche wir früher im Westen von +unserem ersten Marsche von Farafrah nach Dachel erblickt +hatten. In Dachel vereinten wir uns dann nach einigen +Tagen zu gemeinsamem Vorgehen über Chargeh nach Esneh, +welches wir am 1. April ohne Unfall erreichten.</p> + +<p>Ich komme nun auf die Resultate zu sprechen und hebe +hervor, daß uns außer der allgemeinen Erforschung der Libyschen +Wüste hauptsächlich zwei Punkte als beachtenswerth +waren bezeichnet worden: die Untersuchung der verschiedenen +Behar-bela-ma und die Depression der Libyschen Wüste.</p> + +<p>Ein Bahr-bela-ma von Dachel ausgehend und nordöstlich +von Beharieh in das von Ost nach West gerichtete Bahr-bela-ma +von Pacho und Belzoni mündend existirt nicht. Es breitet +sich zwischen ihnen ein einzig Kalksteinplateau über 300 +Meter hoch aus. In der Sitzung des <tt>Institut Égyptien</tt> +hatte ich schon darauf aufmerksam gemacht, daß Bahr-bela-ma +in der Sahara nichts ist, als das gleichbedeutende Wort +Wadi, das hundertmal vorkommt. Wenn es sich aber durch +die geographischen Verhältnisse bestimmt erweisen läßt, daß +ein Bahr-bela-ma als eine Längseinsenkung nicht existirt, so +ist andererseits durch die geologische Untersuchung des Bodens +auf das Schlagendste nachgewiesen, daß der Nil nie in dieser +Richtung hat fließen können. Nirgends wurden von unserer +Expedition fluviatile Niederschläge, sondern überall nur maritime +Bildungen constatirt. Das Bahr-bela-ma als ein continuirliches +Thal, oder gar als ein westliches Flußbett des +Nil muß daher definitiv aus der Welt geschafft und von den +Karten gestrichen werden.</p> + +<p>Die zweite zu lösende Aufgabe betraf die Depressionsfrage, +ob nämlich die von mir 1869 entdeckte Depression sich über +die ganze Libysche Wüste erstreckt, oder vielmehr von dem +Libyschen Küstenplateau (diesen Ausdruck möchte ich vorschlagen +für den jetzt gebräuchlichen "Libysches Wüstenplateau") sich +bedeutend nach Süden zu ausdehnt. Hierin lag zugleich die +Aufgabe einer Erforschung der ganzen Libyschen Wüste; denn +als Endziel war die Erreichung der Oase Kufra in Aussicht +genommen.</p> + +<p>Gleich beim Verlassen der Oase Dachel konnten wir eine +merkliche Steigerung beobachten, wie ja überhaupt, mit Ausnahme +von Siuah, alle Uah-Oasen höher als der Ocean gelegen +sind und nur relativ Depressionen bilden. In Regenfeld +waren wir schon über 300 M. gestiegen, und als wir dann +nach Nord einige Grade zu West den Weg fortsetzten, fanden +wir zwar eine allmälige Absenkung aber erst in Siuah konnten +wir eine eigentliche absolute Depression constatiren. Die +Producte des Meeres, die hier gefunden wurden, die Abwesenheit +von Süßwasserbildungen oder gar von Nilschlamm +schließen aber auch hier jeden Gedanken aus, daß der Nil sich +durch diese Depression in die Syrte ergossen habe.</p> + +<p>Unser Vormarsch in Regenfeld war verhindert worden +durch hohe Sanddünen, welche von NNW. zu SSO. Richtung +hatten und 100-150 M. hoch waren. Ein Vormarsch in +westlicher Richtung war somit unmöglich geworden, theils wegen +der Kamele und theils weil aus Mangel an Wegweisern keine +Depositorien mehr angelegt werden konnten. Denn zwischen +den Dünen war nicht etwa bloses Gestein, sondern tiefer +Sand, welcher das Errichten von Wegzeichen unmöglich machte. +Wir hatten also Ein einziges Sandmeer vor uns, nur unterbrochen +durch 1—1-1/2 Kilometer auseinanderstehende Sandketten.</p> + +<p>Die Sanddünen sind Meeresprodukt; ihre Formenveränderungen +sind im Allgemeinen constant. Daß die Winde, die +hier meist von NNW. nach SSO. wehen, während der +Chamsin gleiche Richtung, aber aus entgegengesetztem Pole hat, +sie verursachen, glaube ich nicht; denn dann müßten sie in +der Grundform in der dem Winde entgegengesetzten Richtung +laufen, sie verlaufen aber mit dem Winde.</p> + +<p>Was die Wärmeverhältnisse anbetrifft, so hatten wir +diesmal sehr geringe Schwankungen. Während auf früheren +Reisen in der Wüste im Winter eine Differenz von 30º beobachtet +wurde, hatten wir diesmal im Februar, welcher sich +als der kälteste Monat herausstellte, einen Unterschied, der +bedeutend geringer war, wenig mehr als die Hälfte. Eine +mittlere Zahl kann ich noch nicht aus meinen viermal täglich +angestellten Beobachtungen geben. Aber im Februar hatten +wir sieben Tage, wo das Thermometer unter Null war, und +am 16. zeigte das Thermometer sogar -5°. Die größte +Wärme, welche im Februar beobachtet wurde, betrug nicht +mehr als 24° und dies nur an zwei Tagen. Auffallend war +die Erscheinung eines dreitägigen Regens in der Libyschen +Wüste, und zwar erstreckte sich dieser Regenfall über ein ziemlich +großes Terrain: denn in Dachel und Farafrah hatte es +an denselben Tagen auch geregnet, während man aber in dem +dem Mittelmeere näher gelegenen Siuah keinen feuchten Niederschlag +gehabt hatte. So war denn auch der Feuchtigkeitsgehalt +der Wüste ein ungemein bedeutender und nur, wenn +Südwind eintrat, zeigte sich plötzlich eine auffallende Trockenheit +in der Atmosphäre. Leider mußten Untersuchungen über +den Electricitätgehalt der Luft ausgesetzt werden, weil die +magnetische Nadel des mitgenommenen Electrometers sich als +zu schwach erwies; sie reagirte gar nicht. Aeußerst interessant +waren die Untersuchungen über Ozongehalt, wie man sich aus +den demnächst zur Veröffentlichung kommenden Beobachtungen +Zittels wird überzeugen können. Je offener der Himmel war, +und je entfernter wir von bewohnten Plätzen waren, desto +mehr Ozon wurde bemerkt. Bei herrschendem Samum war +äußerst wenig Ozon vorhanden.</p> + +<p>Ich unterlasse es hier, ausführlich über die von uns angetroffenen +Völker in den Oasen zu reden. Bekannt ist, daß +die Bevölkerung von Siuah berberischer Herkunft ist. In Uah-el-Beharieh, +Farafrah und Dachel ist zweifelsohne die Abstammung +der Bewohner dieselbe, wie die der Fellahin im Nilthale; +doch haben sich in Uah-el-Beharieh und Dachel einzelne Araber +früher seßhaft gemacht. Hervorheben müßte ich noch, daß es +Prof. Ascherson gelungen ist, nachzuweisen, daß nicht Farafrah +die Oase Trinythis der Alten ist, sondern daß dieser Name +mit der <tt>Oasis magna</tt> in Verbindung gebracht werden muß.</p> + +<p>Was die archäologischen Ergebnisse anbetrifft, so beruhen +dieselben auf genauen photographischen Bildern, welche die +Expedition von den Tempeln in Chargeh und Dachel gemacht +hat. Zu diesem Behufe mußte der Tempel in Dachel erst +ganz vom Schutte und Sand ausgeräumt und zum Theil +50 Centner schwere Blöcke entfernt werden. Prof. Ebers in +Leipzig, der die Güte hatte, die Bilder durchzusehen, hat auf +den Tempelwänden von Dachel den Namen des Kaisers Vespasian +gelesen und der berühmte Aegyptologe ist der Ansicht, +daß die feineren Skulpturen von allgemeinen Künstlern hergestellt +seien, während die gröberen von Dachelaner Steinhauern +selbst ausgeführt worden wären. Viel ergiebiger und +interessanter zeigten sich die Inschriften des Tempels von +Chargeh. Wir sehen dort den opfernden König Darius, dem +Ammon Libationen und Rauchopfer anbietend. Darius wird +als Liebling des Ammon von "Heb" (dies der alte Name für +Chargeh) bezeichnet, auch ein bisher Ebers unbekannter Vorname +des Darius, "Basetut", ist angeführt. Nach Ebers wurde +der Tempel von Chargeh erst nach dem Tode Darius vollendet; +daher die vielen leeren Königsschilder, welche ursprünglich für +den Namen des Darius bestimmt waren. Die sehr interessanten +Inschriften, schrieb mir Ebers, beweisen, daß das ganze +ägyptische Pantheon, Ammon an der Spitze, in der Oase verehrt +wurde, daß dort eine ägyptische Priesterschaft mit reichlicher +Versorgung dem Cultus vorstand, daß Chargeh Heb +hieß, daß Darius als König Aegypten und wahrscheinlich auch +die Oasen besucht hat. Daß auf einer der Platten, welche in +Kairo Brugsch vorgelegt wurde, dieser Gelehrte den alten +Namen der Hauptstadt der Oase Dachel als "Mondstadt" bezeichnet +fand, glaube ich schon mitgetheilt zu haben.</p> + +<p>In Betreff der Ausbeute der mich begleitenden Fachgelehrten +kann ich noch nichts Detaillirtes mittheilen. Indeß gereicht +es mir zur Freude, sagen zu können, daß die botanischen Ergebnisse +des Prof. Ascherson keineswegs so gering gewesen ist, +wie wir fürchteten. Gab es auch manchmal ganz vegetationslose +Strecken, so boten aber gerade die Oasen in der Zeit, als +wir dort waren, ein um so reicheres Pflanzenleben. Prof. +Jordan hat alle wichtigen Punkte astronomisch bestimmt. +Täglich wurden Breitenbestimmungen gemacht und die Declination +der Magnetnadel notirt. Und was Zittel anbetrifft, +so sind dessen Funde in paläontologischer Beziehung wahrhaft +überraschend gewesen. Der Wahn der einförmigen Numinulitenformation, +welche man früher für die ganze Libysche +Wüste annahm, ist somit gründlich zerstört.</p> + +<p>Dies die wissenschaftlichen Resultate der Expedition. Praktische +hat dieselbe keine aufzuweisen, wenn nicht das bewiesen +wäre, daß der Europäer in Afrika auch ohne Führer reisen +kann, daß durch Mitnahme von eisernen Wasserbehältern man +in der Wüste nicht blos Wege, wo Brunnen oder Wasserlöcher +sind, zu nehmen braucht, sondern monatelang ohne solche +existieren kann. Selbst die ausgedehnten Eisensrunde werden +nie zu verwerthen sein, weil es in der Libyschen Wüste an +zwei Bedingungen, sie zu verarbeiten, fehlt: Kohlen und Wasser. +Aber praktische Resultate hat die Expedition auch nie erzielen +wollen, und obschon dieselbe Kufra aus unüberwindlichen Hindernissen +nicht erreichen konnte, wird nicht bestritten werden +können, daß sie der Hauptsache nach ihre Aufgaben gelöst und +auf alle Fälle in Anstrebung des vorgesteckten Zieles ihre +Pflicht gethan hat.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_28_28" id="Footnote_28_28"></a><a href="#FNanchor_28_28"><span class="label">[28]</span></a> Noël ist der junge stattliche Afrikaner, welcher in Folge der Bestimmung +Sr. Maj. des Kaisers von Deutschland in Lichtenfelde bei Berlin +eine deutschen Begriffen entsprechende Bildung genoß, nun aber, da +ihm das nördliche Klima nicht bekam, auf Befehl des Kaisers mit nach +Aegypten ging, um dort noch eine weitere Ausbildung zu erhalten.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_29_29" id="Footnote_29_29"></a><a href="#FNanchor_29_29"><span class="label">[29]</span></a> Centralafrikanischer Volksstamm.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_30_30" id="Footnote_30_30"></a><a href="#FNanchor_30_30"><span class="label">[30]</span></a> Mandara ist eine Landschaft in Nordafrika, welche von einem +eigenthümlichen Negervolke von übrigens ausgezeichneter Körperbildung +bewohnt wird.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_31_31" id="Footnote_31_31"></a><a href="#FNanchor_31_31"><span class="label">[31]</span></a> Das ist eines jener Thränengläser, die sich oft in Gräbern der +Alten bei Todtenurnen finden und worin angeblich die Hinterbliebenen +den Verstorbenen ihre Thränen mitgaben.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_32_32" id="Footnote_32_32"></a><a href="#FNanchor_32_32"><span class="label">[32]</span></a> Buch VI, S.10, deutsche Uebersetzung von Penzel.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_33_33" id="Footnote_33_33"></a><a href="#FNanchor_33_33"><span class="label">[33]</span></a> Den Schmutz der internationalen Waggons verdamme ich trotzdem.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_34_34" id="Footnote_34_34"></a><a href="#FNanchor_34_34"><span class="label">[34]</span></a> Mein deutscher Diener.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_35_35" id="Footnote_35_35"></a><a href="#FNanchor_35_35"><span class="label">[35]</span></a> Herrn Remelé's Diener.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_36_36" id="Footnote_36_36"></a><a href="#FNanchor_36_36"><span class="label">[36]</span></a> Der Astronom der Expedition.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_37_37" id="Footnote_37_37"></a><a href="#FNanchor_37_37"><span class="label">[37]</span></a> Photograph.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_38_38" id="Footnote_38_38"></a><a href="#FNanchor_38_38"><span class="label">[38]</span></a> Archäeolog und Geodät.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_39_39" id="Footnote_39_39"></a><a href="#FNanchor_39_39"><span class="label">[39]</span></a> Schweinfurth reiste im selben Winter nach Chargeh, aber +unabhaengig von der Expedition.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_40_40" id="Footnote_40_40"></a><a href="#FNanchor_40_40"><span class="label">[40]</span></a> <tt>Batal</tt> = tragunfähig.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_41_41" id="Footnote_41_41"></a><a href="#FNanchor_41_41"><span class="label">[41]</span></a> Eine Breitenbeobachtung konnte Jordan freilich Abends machen, aber +zu einer Längen-Nahme fehlte die Zeit.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch9_Das_jetzige_Alexandrien" id="Ch9_Das_jetzige_Alexandrien"></a>9. Das jetzige Alexandrien.</h2> + + +<p>Mehr als zweiundzwanzig Hundert Jahre steht die Stadt, +welche den Namen des großen Mannes trägt, der nach Aegypten +gekommen war, um im weltberühmten Orakelheiligthum +des Ammonium die Frage zu stellen, ob er wirklich ein Sohn +des Zeus sei. Gewaltig sind die Stürme der menschlichen Geschichte +über die Stadt dahingebraust, welche einst der Glanzpunkt +der Welt in wissenschaftlicher und commerzieller Beziehung +war. Alexandrien, die Stadt des Museum und Serapeum, +war aber trotz seiner Weltlage im Jahre 1790 so herabgekommen, +daß, als die Franzosen unter Bonaparte landeten, es nur +mehr circa 6000 Einwohner hatte. Es gehörte aber auch die +ganze Wirtschaft knechtischer Beys dazu, um ein Land und +die Städte so ruiniren zu können, wie wir Aegypten und seine +Oerter am Anfang dieses Jahrhunderts sehen. Verwundert +fragt man sich: wie war es möglich, daß eine Stadt, so ungemein +günstig gelegen, so tief hatte sinken können?</p> + +<p>In der That hat Alexandrien, wie keine andere Stadt am +Mittelmeere, eine vorteilhafte Lage. Wegen des ausgezeichneten +Hafens braucht es nicht zu befürchten, von Port Said, das +allerdings an der Mündung des Kanals von Suez liegt, überflügelt +zu werden, und mittelst der Eisenbahnen und Dampfschiffe +auf den Kanälen ist es ohnedieß mit dem großen Kanal +in intimster Beziehung. Alexandrien liegt an einer der größten +Verkehrsadern unserer Zeit, einer Verkehrsstraße, welche +voraussichtlich immer als eine der am lebhaftesten pulsirenden +Handelswege fortbestehen wird. Aber nicht allein das ist es, +gleichsam als Etape zwischen Ostindien und Oceanien einerseits +und Europa andererseits zu dienen; die Stadt Alexander des +Großen liegt an der Mündung des einzigen schiffbaren Flusses +von Nordafrika, welcher mit seiner mächtigen Verästelung ein +ungeheures Gebiet beherrscht. Welche Zukunft erschließt sich +der Stadt, wenn die Producte aus Centralafrika nilabwärts +ihr zugeführt werden. Denn jetzt vermittelt der Nil blos Das, +was an Erzeugnissen längs seines 300 Meilen langen Stammes +producirt wird. Welche Zukunft wird aber Alexandrien +haben, wenn die Felsen der Katarakte gesprengt und man mit +Dampfschiffen direct vom Mittelmeere bis zu den See'n Innerafrikas, +den großen Wasserreservoirs des Nils, wird fahren +können!</p> + +<p>Aber wenn man auch Alexandrien ein immer mehr günstig sich +gestaltendes Prognostikon stellen kann, so hat die Stadt keineswegs +Ursache, mit ihrer heutigen Entwickelung unzufrieden zu +sein. Es ist der Großvater des jetzigen Chedive, Mohammed +Ali, dem die Stadt ihren jetzigen Aufschwung verdankt. Dadurch, +daß er der Stadt den Kanal herstellte, wurde ihr nicht nur +gutes Trinkwasser, sondern auch ein leichter Verkehrsweg mit +dem Innern geschaffen. Mohammed Ali war auch der Erste, +welcher den Schiffen der christlichen Nationen den Eingang in +den alten Hafen eröffnete; bis vor seiner Regierung mußten sie +den neuen, wenig sicheren Hafen benutzen.</p> + +<p>Alexandrien mit etwa 200,000 Einwohnern zerfällt in zwei +Stadttheile, von denen der eine von der europäischen Bevölkerung +der andere von den Eingeborenen bewohnt wird. Der arabische<a name="FNanchor_42_42" id="FNanchor_42_42"></a><a href="#Footnote_42_42" class="fnanchor">[42]</a> +Stadttheil ist im Nordwesten und Westen gelegen; die +Straßen sind eng, unregelmäßig, im Sommer staubig, im +Winter mit undurchdringlichem Schmutz erfüllt; die Häuser sind +meist einstöckig und höchst launenhaft gebaut. Hier steht eins +mit halber Front, diagonalartig zur Straße, dort hängt eins +mit dem oberen Stockwerk über; hier ist eins in die Straße +selbst hineingebaut, dort ist eins, welches einen weiten Hof +vor sich hat. Fenster sind spärlich vorhanden, namentlich im +Erdgeschosse; ist eine Bel-Etage vorhanden, so findet man häufig +sehr viele, mit feinem Holzgitter verschlossene Fenster. Sehr +praktisch ist der zickzackartige Bau des oberen Geschosses, der +Art, daß regelmäßig vorspringende Winkel, mit Fenstern versehen, +angelegt sind. Alte Gebäude findet man in der Alexandrinischen +Araberstadt fast gar nicht, so daß sie keineswegs ein +interessantes Aussehen hat, sich höchstens gut bei Mondscheinbeleuchtung +ausnimmt. So durchzogen wir sie denn auch eines +Abends, ehe wir die libysche Expedition antraten, und besuchten +sodann ein Kaffeehaus der Eingeborenen, um eine Mokka zu +schlürfen und einen Tschibuk zu saugen. Aber auch hier fängt +die Civilisation an, mit mächtiger Gewalt einzudringen. Im +ganzen arabischen Viertel ist jetzt Gasbeleuchtung. Wie lange +wird es dauern und die Straßen werden gepflastert, sie werden +gerade gemacht, besprengt, mit schattigen Bäumen bepflanzt +und statt der kleinen Gewölbe und Boutiken mit prächtigen +Verkaufsläden geschmückt werden. Das Letztere wäre namentlich +wünschenswert; denn gezwungen durch die Kleinheit ihrer Verkaufsbuden, +rücken die Kaufleute ihre Waaren weit in die Straßen +hinein, verengern so die Passage und füllen die Luft mit den +sich mischenden Gerüchen gekochter Speisen, frischen Gemüsen, +rohen Fleisches, kurz aller Gegenstände, die sie feil haben.</p> + +<p>Das muselmännische Alexandrien hat hundert Moscheen, von +denen jedoch keine einzige ausgezeichnet und berühmt ist, verschiedene +Sauya<a name="FNanchor_43_43" id="FNanchor_43_43"></a><a href="#Footnote_43_43" class="fnanchor">[43]</a> und Medressen<a name="FNanchor_44_44" id="FNanchor_44_44"></a><a href="#Footnote_44_44" class="fnanchor">[44]</a> und eine Menge Funduks und +Karawanseraien, um Menschen und Thiere zu beherbergen. +Es versteht sich von selbst, daß in diesen Funduks nur die Eingeborenen +logiren. Die Bevölkerung des arabischen Theiles +von Alexandrien beträgt etwa 100,000 Einwohner, also die +Hälfte der Gesammtbevölkerung.</p> + +<p>Ganz anders erscheint das europäische Quartier, welches, +wie aus dem früher Gesagten hervorgeht, eine eigentliche +Schöpfung der Neuzeit ist. Breite und gerade Straßen, zum +Theil mit schönen Baumreihen bestanden, hier und da ein +reizender Platz mit immergrünen Pflanzen und duftigen Blumen, +an den Seiten prächtige, mehrstöckige Häuser, massive Bauten +mit den elegantesten Läden, herrliches Pflaster (die Steine dazu +hat man von Triest kommen lassen, <i>jedes Stück</i> hat circa 5 +Francs gekostet bei einer Größe von 15 Zentimeter quadratischer +Oberfläche auf 20 Centimeter Tiefe), mit schönem Trottoir für +Fußgänger, machen das europäische Alexandrien zu einer der +schönsten Städte am Mittelmeere. Dazu kommt eine ausreichende +Gasbeleuchtung und eine künstliche Wasseranstalt (auch die +arabische Stadt wird mit Wasser aus derselben versorgt), welche +bei Moharrem-Bai Nilwasser in ein Reservoir pumpt, aus der +die ganze Stadt mit dem besten Trinkwasser der Welt versorgt +wird<a name="FNanchor_45_45" id="FNanchor_45_45"></a><a href="#Footnote_45_45" class="fnanchor">[45]</a>. Der mittlere Verbrauch von Wasser beläuft sich auf +8000 kubische Meter täglich.</p> + +<p>Auf dem Platze Mohammed Ali's, auch <tt>Place des consuls</tt> +genannt, concentrirt sich am meisten das europäische Leben; +hier sieht man die glänzendsten Läden, hier ist das französische +Generalconsulat, das Stadthaus, mehrere große Hotels und +seit zwei Jahren—Allah und Mohammed verzeihe dem Chedive +und seinen Räthen diese christliche oder vielmehr heidnische +Ketzerei—erhebt sich inmitten der breiten Allee die über lebensgroße +Statue des Begründers der jetzigen Dynastie. Die Statue +Mohammed Alis ist aus Bronce und im Ganzen 11,50 Meter +hoch, wovon 6,50 Meter auf das aus toscanischem Marmor +gemeißelte Piedestal kommen, während die Reiterstatue selbst +5 Meter hoch ist. Die Statue ist von prachtvoller Wirkung. +Mohammed Ali in orientalischer Tracht, den Kopf beturbant, +sitzt in gebietender Stellung zu Roß, seinem energischen +Gesichtsausdruck sieht man es an, daß er der Mann ist, welcher +das türkische Joch abschüttelte, der, hätten nicht die Großmächte +ihr Veto dazwischen gerufen, sein Schwert bis nach Stambul +selbst hineingetragen haben würde. Furchtsam umstehen die +Fellahin das Denkmal, fromme Flüche und Verwünschungen +murmelt der scheinheilige Taleb oder Faki beim Anblick dieses +gewaltigen Mannes; am liebsten würde er gleich das "Bild" +vernichten. Aber der Preis und die Belohnung, welche er sich +dafür im Paradies unfehlbar erwerben würde, scheint doch +nicht so sicher zu sein, als die irdische Strafe, welche einem +solchen Versuche auf der Stelle folgen würde. Ismael, der +jetzige Regent von Aegypten, kennt seine Leute, er weiß, was +er ihnen bieten kann und er weiß, daß der einigermaßen denkende +Mohammedaner heute der irdischen Belohnung und der +irdischen Strafe vor den unsicheren zukünftigen Versprechungen +oder den jenseitigen Qualen den Vorzug giebt. <tt>Tout comme +chez nous</tt>. Wer fürchtet sich heute bei uns vor den Flammen der +Hölle und vor der Aussicht, Milliarden von Jahren dem Allerhöchsten +ein Hallelujah zu singen!—Aber das irdische Gesetz +und das eigne Pflichtgefühl, die Liebe zum Guten und Schönen, +der Haß des Bösen und Häßlichen, welche uns <i>jetzt</i> schon +erblich, möchte ich sagen, überliefert werden, das sind heute +die großen Triebfedern, welche die menschliche Ordnung und +Gesellschaft zusammenhalten müssen.</p> + +<p>Daß für die religiösen Bedürfnisse der Europäer reichlich +gesorgt ist, versteht sich von selbst in einer orientalischen Stadt, +wo die meisten Europäer Katholiken sind oder der griechischen +Kirche angehören. Es giebt 3 katholische Kirchen, 4 für den +griechischen Ritus, 3 protestantische, 1 koptische und 1 maronitische +Kirche. Die Juden haben 3 Synagogen. Daß Mönche +und Klöster nicht fehlen in einer so großen Stadt am Mittelmeere, +der Geburtsstätte so vieler Religionen, braucht wohl +kaum gesagt zu werden. Der koptische Patriarch residirt auch +in der Regel in Alexandrien.—An Wohlthätigkeitsanstalten +besitzt die Stadt 4 Hospitäler, das für Militär und Civilpersonen +eingerichtete Gouvernementshospital, das allgemeine +europäische Hospital, das Diaconissenhospital und ein griechisches. +Von den barmherzigen Schwestern wird auch ein Findlinghaus +geleitet.—Die Schulen sind alle in den Händen der +Geistlichkeit, aber es dürfte, seit Herr Dor, ein Schweizer, +die Leitung des Unterrichts in Aegypten übernommen hat, bald +eine günstige Veränderung eintreten; auch eine deutsche Schule +ist unter den Auspicien des deutschen Generalconsulats gegründet +worden. Von den übrigen europäischen Schulen nenne ich das +Institut der Lazaristen (<tt>collège des Lazaristes</tt>), ähnlich eingerichtet, +wie ein französisches Lyceum: man unterrichtet in +französischer Sprache Lateinisch und Griechisch. Das Arabische, +Neugriechische, Italienische ist facultativ. Englisch und Zeichnen +und Musikunterricht werden besonders bezahlt, der Pensionpreis +beträgt 1000 Francs jährlich. Die 12 Lehrer sind sämmtlich +Geistliche. Die Schule wurde 1873 von 60 Schülern besucht. +Das italienische Lyceum steht unter italienischer Regierungscontrole; +die Zahl der Schüler betrug 255 im selben Jahre. +Die Schule der schottischen Kirche, die der apostolischen Amerikaner, +die der Griechen, die allgemeine, unter dem Protectorat +des ägyptischen Erbprinzen stehende Schule mit unentgeltlichem +Unterricht sind alle mehr oder weniger stark frequentirt. Auch die +Juden haben eine von etwa 120 Schülern besuchte Anstalt. Außerdem +giebt es 6 Mädchenschulen. Sowohl von den Kirchen, wie auch +von den Schulen haben mehrere ein monumentales Aeußere.</p> + +<p>Die Vereinigung der ersten Gelehrten, welche jedoch kein +eignes Gebäude besitzen, ich meine <tt>l'Institut Égyptien</tt> ist +seit Anfang dieses Jahres nach Kairo verlegt worden. Es +giebt sodann viele Wohlthätigkeitsvereine und auch gesellige; +von den letzteren sind die bedeutendsten der Börsencirkel, der +philharmonische Gesellschaftskreis, vorwiegend aus Franzosen +bestehend, und der Club der Deutschen. Für das geistige Leben ist +durch eine öffentliche Bibliothek und durch das Erscheinen von 9 +Zeitungen gesorgt, von denen 3 in italienischer, 1 in englischer, 2 +in griechischer und die übrigen in französischer Sprache erscheinen.</p> + +<p>Im hübsch gelegenen und elegant erbauten Siziniatheater +werden italienische Opern aufgeführt, außerdem giebt es noch +ein kleines Theater, Namens Alsieri. Erwähnen wir schließlich +noch, daß französische, englische, italienische und griechische +Freimaurerlogen in Alexandrien sind, im Ganzen 8, an der +Zahl, so glauben wir aller Anstalten Erwähnung gethan zu +haben. Nur möchte ich für etwaige nach Aegypten Reisende +hervorheben, daß es dort eine Reihe guter Hôtels giebt, von +denen 2 ersten Ranges, daß Kaffeehäuser und Restaurationen +in großer Anzahl vorhanden sind, ja daß es sogar viele deutsche +Bierstuben giebt, wo Wiener Bier verzapft wird. In der +Stadt Alexander des Großen, des Ptolemäus Philadelphus, +deutsches Bier von deutschen Jungfrauen geschenkt! In der Stadt +des Pompejus, der Cleopatra Gas- und Dampffabriken! +Welche Gegensätze und doch so groß nicht, wie man denkt! +Denn in der Stadt, wo das weltberühmte Museum mit 700,000 +Büchern oder vielmehr Schriftrollen war und die im Serapeum +eine zweite Bibliothek mit 200,000 Bänden besaß und deren +Straßen eben so wohl und gerade angelegt waren, wie +jetzt die des europäischen Viertels<a name="FNanchor_46_46" id="FNanchor_46_46"></a><a href="#Footnote_46_46" class="fnanchor">[46]</a>, in der zur Zeit, als +die Römer die Herrschaft antraten, nach Diodorus Siculus +fast eine Million Einwohner sich befanden, soll die Zukunft +erst wieder eine gleiche Blüthe und Bevölkerung hervorbringen, +wie wir solche zu Zeiten der Ptolemäer dort vorfanden.</p> + +<p>Von den 200,000 Einwohnern kommen auf die europäische +Bevölkerung von Alexandrien circa 100,000 Seelen<a name="FNanchor_47_47" id="FNanchor_47_47"></a><a href="#Footnote_47_47" class="fnanchor">[47]</a> und sind +dahin auch die Türken und ihre Descendenz zu rechnen, mit +einem ziemlich zahlreichen Contingent. Sie bewohnen die Halbinsel, +welche, ehedem als selbe nur durch einen steinernen Damm +mit dem Festlande verbunden war, Insel Pharos hieß. +Die Straßen dieses Viertels sind auch ziemlich breit und gerade, +und besser im Stande gehalten als im arabischen Viertel. Hier +wohnen die Paschas, Beys, Effendis und hohen Würdenträger des +Königreichs. An der westlichen, äußersten Spitze des Vorgebirges +<tt>Ras es Tin</tt> oder Feigenvorgebirge genannt, ließ +Mohammed Ali ein nach dem Plane des Serail in Konstantinopel +erbautes Schloß errichten. Dasselbe wird noch von dem +Vicekönig benutzt; auch Harem und Dienstzimmer für die Minister +befinden sich in demselben. Das Harem steht ganz isolirt +inmitten des schönen Gartens. Dicht daneben ist auch das Arsenal.</p> + +<p>Der alte Hafen von Alexandrien hat seit 1870 eine vollkommene +Umwandlung erlitten, indem die großartigsten Molenbauten<a name="FNanchor_48_48" id="FNanchor_48_48"></a><a href="#Footnote_48_48" class="fnanchor">[48]</a> +ganz neue Bassins schufen. Im Jahre 1876 wird +Alexandrien ein äußeres Hafenbecken besitzen mit einer Oberfläche +von 350 Hektaren und einer Tiefe von wenigstens 10 Meter. +Dieser Vorhafen wird nach der offenen Seite durch einen +Wellenbrecher geschützt sein, welcher 2340 Meter lang und 8 +Meter hoch sein soll. Die Blöcke dazu werden zum Theil +künstlich hergestellt und werden 20,000 benöthigt, jeder 10 +Kubikmeter groß und 20 Tonnen<a name="FNanchor_49_49" id="FNanchor_49_49"></a><a href="#Footnote_49_49" class="fnanchor">[49]</a> wiegend. Dieser Wogenbrecher +hat zwei Eingänge, einer zwischen dem Nordende und +<tt>Ras el Tin</tt>, 600 Meter breit, für kleinere Schiffe, ein anderer +am südlichen Ende, 800 Meter breit, für große Fahrzeuge.</p> + +<p>Das innere Hafenbecken wird 72 Hektaren Oberfläche haben +und wenigstens 8,50 Meter tief sein. Auch dieser Hafen wird +durch besondere Molen geschützt sein und hydraulische Kräne zur +Leichterung der Schiffe erhalten. Die jährliche Schiffsbewegung +beläuft sich jetzt auf circa 3000 einkommende und ebenso viel ausfahrende +Schiffe mit einem Gehalt von circa 1,500,000 Tonnen.</p> + +<p>Der "Guide" von François Levernay, dem wir die Zahlen +für diesen Aufsatz entnommen, giebt die mittlere Jahrestemperatur +von Alexandrien zu +20º C. an, mit einem Maximum +von 27º und einem Minimum von 7º. Ich glaube, sorgfältiger +angestellte Beobachtungen würden eine um einige Grad wärmere +Temperatur ergeben. In Alexandrien ist noch nie Frost beobachtet +worden; in der Libyschen Wüste, obschon sich dieselbe +bedeutend weiter nach Süden erstreckt, fällt das Thermometer +jeden Winter unter Null. Der kälteste Monat in Alexandrien +ist der Januar, Juli und August sind die heißeste Zeit. Der +Nord und Nord-Nord-West-Wind sind, wie in ganz Unterägypten, +die vorherrschenden, erst Ende April und im Mai weht der +Chamsin (d.h. der während 50 Tagen wehende Süd-Süd-Ost-Wind) +und bringt oft eine unerträgliche Hitze, die jedoch nur +während des Windes selbst anhält. Während des Chamsin ist +selbst am Meeresstrande die Luft kaum mit Feuchtigkeit geschwängert, +während der übrigen Monate ist aber gerade in +Alexandrien ein ungemein hoher Feuchtigkeitsgehalt, was den +Aufenthalt in den Spätsommerwochen so unangenehm macht. +Die Quantität des Regenfalls variirt zwischen 100 und 335 +Mm. jährlich; doch macht man auch hier die Wahrnehmung, +daß mit der steigenden Baumcultur auch die Menge des Regenfalles +sich jährlich in Alexandrien vermehrt. Stürme sind in +Alexandrien selten, Hagel fällt durchschnittlich ein- oder zweimal +des Jahres, im März oder April; Nebel, aber von kurzer +Dauer, treten im März, November und December auf.</p> + +<p>Wie der Chedive, der Hof und die ganze Regierung im +Sommer von Kairo nach Alexandrien übersiedeln, der frischen +Meeresbrisen wegen, so folgen auch die meisten Europäer diesem +Beispiel. Aber sie wohnen dann weniger in Alexandrien selbst, +als im nahe gelegenen Ramleh, einem Orte, welcher vor wenigen +Jahren seinen Namen (Sand) noch verdiente, jetzt aber +ein reizender Villencomplex geworden ist. Ramleh hat im +Sommer 6500, im Winter 3200 Einwohner und man findet +dort alle Annehmlichkeiten einer Villegiatur. Griechische, französische +und italienische Schulen, Schauspiele, Restaurants und +ein Hôtel deutet darauf hin, daß Ramleh binnen Kurzem das +Scheveningen Alexandriens sein wird.</p> + +<p>Aber auch an reizenden Spaziergängen fehlt es den Alexandrinern +nicht. Längs des Mahmudie-Kanals findet man an +den Seiten schattiger Alleen die herrlichsten Gärten und darin +versteckt die geschmackvollsten Villen. Keine herrlichere Spazierfahrt +kann man sich denken, als längs dieses von Hunderten +von größeren und kleineren Schiffen, sowie von eleganten Dahabien +belebten Kanals. Auch der öffentliche Garten ist hier gelegen, +wo tägliche Militärmusik die elegante Welt anzieht. +Wenn man Abends die Hunderte von feinen Landauern mit +den schönen griechischen Damen in elegantester Toilette daherfahren +sieht, dann glaubt man nicht in Afrika zu sein, sondern +man denkt unwillkürlich an die wagenbelebte Chiaja in Neapel. +Aber es ist Alles erst im Werden, denn mit Sicherheit fast +läßt sich voraussagen, daß Alexandrien wieder werden wird, +was es war, ein Emporium für den Welthandel, die bedeutendste +Handelsstadt des Mittelmeeres.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_42_42" id="Footnote_42_42"></a><a href="#FNanchor_42_42"><span class="label">[42]</span></a> Wenn ich "arabisch" sage, so ist damit die eingeborne Bevölkerung +von Aegypten gemeint, welche aber keineswegs arabisch ist. Ich folge in +dieser Bezeichnung nur einen angenommenen Gebrauche.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_43_43" id="Footnote_43_43"></a><a href="#FNanchor_43_43"><span class="label">[43]</span></a> Sauha ist Kloster, Hochschule und Asyl; letzteres hat aber in +Aegypten heute keine Bedeutung mehr.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_44_44" id="Footnote_44_44"></a><a href="#FNanchor_44_44"><span class="label">[44]</span></a> Medressa ist Schule.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_45_45" id="Footnote_45_45"></a><a href="#FNanchor_45_45"><span class="label">[45]</span></a> Die Eingeborenen und auch fremde Araber und Berber behaupten, +daß das Nilwasser das süßeste und beste Wasser der Welt sei und +sagen wie die Römer von ihrer Fontana Trevi, wer einmal aus dem Nil +getrunken habe, den zöge es immer wieder nach Aegypten hin.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_46_46" id="Footnote_46_46"></a><a href="#FNanchor_46_46"><span class="label">[46]</span></a> Siehe Tafel 5, Zeitschrift für Erdkunde 1872. Kiepert, Zur Topographie +des alten Alexandrien.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_47_47" id="Footnote_47_47"></a><a href="#FNanchor_47_47"><span class="label">[47]</span></a> Der Zahl nach kommen zuerst Griechen, dann Italiener, dann +Engländer (Maltheser), dann Franzosen, endlich Deutsche; die übrigen +Nationen sind in geringer Zahl vorhanden.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_48_48" id="Footnote_48_48"></a><a href="#FNanchor_48_48"><span class="label">[48]</span></a> Die Kosten dieser Bauten, mit deren Ausführung das Haus Greenfield +u. Comp. betraut ist, sind auf 50,000,000 Francs veranschlagt. +(<tt>Guide annuaire d'Égypte 1873</tt>.)</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_49_49" id="Footnote_49_49"></a><a href="#FNanchor_49_49"><span class="label">[49]</span></a> Eine Tonne gleich 2240 Pfund.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch10_Kairo_Hauptstadt_von_Aegypten" id="Ch10_Kairo_Hauptstadt_von_Aegypten"></a>10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten.</h2> + + +<p>Ehe wir die Beschreibung von Aegyptens Hauptstadt unternehmen, +kehren wir zur Vergangenheit zurück und besonders +auch kümmern wir uns um die Etymologie des Namens der +Stadt selbst. Die modernen Völker haben alle mehr oder +weniger eine gleiche Benennung. Wir Deutsche schreiben Cairo +und Kairo und sprechen Kairo oder Kaïro; die Franzosen +sagen und schreiben. <tt>Caire</tt> oder <tt>le grand Caire</tt>; die Engländer +schreiben Cairo, ebenso die Italiener, welche aber Kaïro +sprechen. Der gemeine Mann Aegyptens weiß aber von +"Kairo" nichts, denn selbst das Wort "<tt>el Kâhira</tt>", die Unterjocherin<a name="FNanchor_50_50" id="FNanchor_50_50"></a><a href="#Footnote_50_50" class="fnanchor">[50]</a>, +welche Veranlassung zur Bildung des Wortes +Kaïro gewesen, ist nur den Gebildeten bekannt. Das Volk +der Hauptstadt, sowie die Eingeborenen des Landes nennen +die Stadt Masr. Auch dieses Wort finden wir von den +Europäern auf die verschiedenste Art geschrieben: Masr, Misr, +Messr, Masser, Messer und noch einige andere Schreibarten.</p> + +<p>In der nachfolgenden Erklärung dieses Namens folge ich +durchaus der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalisten +Wetzstein in Berlin, der die Güte hatte, mir seine bezüglichen +Forschungen hierüber mitzutheilen, die um so werthvoller sind, +weil sie zum Theil neue Gesichtspunkte eröffnen und vollkommen +originell sind.</p> + +<p>Wetzstein sagt: Die Hauptstadt Aegyptens heißt bekanntlich +im Lande selbst Misr<a name="FNanchor_51_51" id="FNanchor_51_51"></a><a href="#Footnote_51_51" class="fnanchor">[51]</a>. Da nun dieser Name ursprünglich der +Name des ganzen Landes ist, denn schon im alten Testamente +hieß Aegypten Misraim, so hat man hier eine Uebertragung +des Landnamens auf die Landeshauptstadt zu constatiren; +<tt>medinat Misr</tt>, die Hauptstadt Aegyptens, ist also zur Stadt +Misr geworden. Für eine solche Uebertragung bietet die geographische +Nomenclatur der Araber viele Beispiele. Hier nur +einige: Syrien hieß bei den Arabern der Halbinsel schon in +den ältesten Zeiten Schâm, d.h. das Nordland, und sein +Hauptmarkt, bis wohin die arabischen Karavanen gingen, war +in vormohammedanischer Zeit Bosrâ, die Hauptstadt Haurân's; +eine Reise nach Syrien war also in der Regel für die Araber +gleichbedeutend mit der Reise nach Bosrâ. Daher heißt bei +ihnen in jener Zeit Bosrâ immer Schâm im Sinne von +"Markt" von Schâm (Syrien). Als nun in den ersten Jahrhunderten +des Islam Bosrâ verödete und die Karavanen bis +Damask gehen mußten, ging die Benennung Schâm naturgemäß +auf die Stadt über, so daß der Name Damaskus +vollständig unterging<a name="FNanchor_52_52" id="FNanchor_52_52"></a><a href="#Footnote_52_52" class="fnanchor">[52]</a> und Schâm seitdem zugleich Syrien und +Damask bedeutet. Nur blieb an den Ruinen von Bosrâ noch +der Name Alt-Schâm (türkisch: Eski-Schâm) haften.</p> + +<p>Ein anderes Beispiel: Die Hauptstadt von Bahrein, d.h. +von dem nordöstlichen Küstenstriche der arabischen Halbinsel, +war im Alterthum der berühmte Handelsplatz Gerrha (arabisch +H'gér), der Ausgangs- und Zielpunkt der aus und nach Bahrein +expedirten Karawanen. Auch dieses Emporium verlor +unter den Arabern seinen Eigennamen und nahm den des +Landes Bahrein an.</p> + +<p>Dasselbe geschah mit der alten Hauptstadt Jemâma, dem +heutigen Wahabiten-Reiche, westlich von Bahrein. Sie hieß +Hagr; aber die arabischen Geographen erwähnen selten diesen +Namen. Meistens nennen sie die Stadt entweder Medinat-el-Jemâma +oder geradezu Jemâma, wie das Land selbst. Diesen +Beispielen fügen wir noch die Stadt Ramla (bei Lydda) bei, +welche bis zum Beginn der Kreuzzüge von großem Umfange +und Hauptstadt der Provinz Felistin (damals Westpalästina) +war; sie wird in den arabischen Schriften jener Zeit geradezu +Felistin im Sinne von "Hauptstadt Palästina's" genannt. +Liest man, Jemand habe in Felistin übernachtet, oder von +Felistin nach Jâhâ oder Jerusalem sei eine Tagereise, so ist +immer Ramla gemeint.</p> + +<p>Diese Bezeichnungsweise ist oft verwirrend und kann das +Verständniß einer geographischen oder historischen Angabe +erschweren. Entstanden wird sie sein durch die Redeweise der +Karawanen, insofern z.B. die aus Arabien abgehende Kâfilat-Misr, +Karawane von Misr, immer zugleich die nach dessen +Hauptstadt dirigirte war, und man darf annehmen, daß Misr +schon Jahrhunderte lang <i>vor dem Islam</i> bei den Arabern +jene doppelte Bedeutung hatte.</p> + +<p>Uebrigens wäre auch folgende Erklärung denkbar: Unter +den Ptolemäern entstand zwischen Heliopolis und Memphis +ein Waffenplatz, der wahrscheinlich das volkreiche Memphis im +Zaume halten sollte und zur Erinnerung an Alexander's Feldzug +in Asien Babylon genannt wurde. Nach und nach verödete +Memphis, indem es einen kleinen Theil seiner Bevölkerung +und seines Baumaterials an dieses Babylon abgab, +welches in den ersten Jahrhunderten der christlichen Aera +(abgesehen von Alexandrien) der Hauptort Aegyptens geworden +zu sein scheint. Denn als des Chalifen Omar's Feldherr +<tt>'Amr-ibn-el-'Àşî</tt> im Jahre 19 der Higra Babylon erobert +hatte, befand er sich thatsächlich im Besitze des ganzen Landes +und brauchte nur noch Alexandrien zu erobern. Dieses Babylon +hieß nun zum Unterschiede von der berühmten gleichnamigen +Stadt am Euphrat "das ägyptische Babylon", Bâbeliûn +Misr, welche Bezeichnung sich, da die Araber lange Ortsnamen +hassen, in Misr verkürzte, so daß Land und Landeshauptstadt +gleichnamig wurden. Doch ist die <tt>primo loco</tt> gegebene Erklärung +dieser unbedingt vorzuziehen.</p> + +<p>Die übrigen Namen der Hauptstadt Aegyptens anlangend, +so hieß dieselbe in den ersten Jahrhunderten des Islam el +Fostât aus folgender Veranlassung. Als der vorerwähnte +<tt>'Amr-ibn-el-'Àşî</tt> Babylon belagerte, stand sein Lager an der +Nordseite der Stadt, und um sein Zelt, welches el Fostât hieß, +bildete sich nach und nach eine Baracken- und Hüttenstadt, die +sich erhielt und vergrößerte, da ein Theil des Lagers auch +nach Eroberung der Stadt stehen blieb. Diese nomadische +Niederlassung verwandelte sich nach und nach in eine Vorstadt +Babylons, die nach ihrem Mittelpunkte dem ehemaligen Feldherrn-Zelte, +el Fostât genannt und deren Name allmälig auf +die ganze Stadt angewendet wurde, so daß die alte Benennung +Babylon außer Brauch kam. Doch findet man sie noch bei +den Geographen, welche sie bald Babeljûn, bald Hisn-el-Iûn +(Festung des Iûn) schreiben, indem die erste Silbe, welche +man für das arabische <tt>Bab</tt> Thor hielt, wegfiel.</p> + +<p>Der Name el Fostât wurde seit der Occupation Aegyptens +durch den Fatimiten <tt>el Moizz li-din-Allah</tt> (369 d.H.) verdrängt. +Als Ganhal, sein Feldherr, mit dem westafrikanischen +Heere vor die Hauptstadt rückte, ging er mit der Bevölkerung +den Vertrag ein, daß seine Soldaten die Stadt selbst nicht +betreten, sondern außerhalb derselben in Baracken und Zelten +untergebracht werden sollten. Dieses Lager, welches sich wie +350 Jahre früher dasjenige des <tt>'Amr-ibn-el-'Àşî</tt> allmälig in +eine militärische Colonie verwandelte und zugleich die Unterwürfigkeit +der Stadt gewährleistete, erhielt den Namen el Kâhira +"die Unterjocherin", der sich gerade wie früher el Fostât der +ganzen Stadt mittheilte.</p> + +<p>Man unterscheidet bis auf den heutigen Tag die Stadttheile +el Kâhira, el Fostât und das ursprüngliche Misr. In +amtlichen Acten, bei denen es auf Genauigkeit der Ortsangaben +ankommt, heißt die Stadt Kâhirat Misr "Kairo in Aegypten", +oder auch Misr el Kâhira, was der gewöhnliche Mann als +die "siegreiche Stadt Misr" deutet.</p> + +<p>Indem wir so der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalen +folgten, fügen wir noch hinzu, daß Wetzstein etymologisch +das Wort Misr simitischen Ursprungs erklärt und sich der +Ansicht zuneigt, es bedeute "die beiden eingeschlossenen Länder", +nämlich Ober- und Unter-Aegypten. Wetzstein meint nämlich: +"gehöre diese Benennung ursprünglich einer altägyptischen, d.h. +einer Ruschitischen Sprache an, so ließe sich nichts über ihre +Bedeutung sagen, denn das Koptische sei ein zu verkommenes +Idiom und das Hieroglyphische mit seinen Schwestern eine zu +unbekannte Sprachform, als daß sie Aufschlüsse geben könnten."</p> + +<p>Genug! Wenn auch nicht an derselben Stelle gelegen, +wissen wir und müssen das festhalten, daß die heutige Hauptstadt +der Aegypter bei den Alten Babylon (bei den lateinischen +Schriftstellern Babylonia), bei den ersten Arabern Fostât hieß +und daß sie heute bei den Europäern mit den verschiedenen +Variationen Kairo, bei den Aegyptern selbst Masr genannt +wird. Die Namen Masr el-kahirah als Neustadt oder Masr +el-attica als Altstadt haben nur officiellen Sprachgebrauch +erlangt.</p> + +<p>Man hat behaupten wollen, die Vorgängerin Kairo's, die +Stadt Memphis, sei günstiger gelegen gewesen, als die +jetzige Hauptstadt Aegyptens. Ich wüßte nicht, worauf man +dieses Urtheil stützen wollte. Der natürlich vortheilhafteste +Platz wäre wohl an der Spitze des Delta's selbst gewesen, +aber die Entwicklung der Stadt selbst zeugt, daß man keineswegs +eine ungünstige Position zur Anlage einer Stadt gewählt +habe. Es ist heute freilich leicht zu sagen, die und die Stadt +hat eine äußerst günstige geographische Lage. In unserer Zeit +der Eisenbahnen, der Kunststraßen, der Kanäle &c. überläßt +man sich gar zu leicht der Ansicht, die natürliche Lage der +Stadt habe das Blühen und Gedeihen derselben verursacht, +wenn es doch nichts Anderes war als eben jene modernen +Kunstmittel.</p> + +<p>Kairo liegt auf dem 30º 2' 4'' N.B. und auf dem 28º +58' 30'' O.L. von Paris. Die Erhebung der Stadt über +dem Meere beträgt durchschnittlich 13 Meter; obschon einzelne +Stadtteile höher sind, so liegt die Hassan-Moschee 30 Meter +höher, als der Spiegel des Mittelmeeres.</p> + +<p>Die mittlere Jahrestemperatur ist 23º C. Selten fällt im +Winter der Thermometer unter 10º und steigt nur während +der Zeit der Chamsinwinde auf über 40º. Während früher +feuchter Niederschlag zu den Seltenheiten gehörte, hat man +die Beobachtung gemacht, daß jetzt mit jedem Jahre die Regenfälle +im Zunehmen begriffen sind; offenbar Folge der so sehr +vermehrten Baumpflanzungen in der Stadt selbst und in der +nächsten Umgebung derselben. Aber es liegen noch keine bestimmten +Daten hierüber vor und so heben wir eben nur die +allgemeine Thatsache hervor.</p> + +<p>Obschon man wegen der immerhin bedeutenden Hitze nicht +sagen kann, daß Kairo ein angenehmes Klima habe, so kann +man doch auch keineswegs behaupten, es sei eine ungesunde +Stadt. Im Sommer pflegen wegen der unerträglichen Hitze +die dort wohnenden Europäer, auch der Hof, die ersten Würdenträger +und reiche Eingeborene die Stadt zu meiden. Im +Winter hingegen ist sie Aufenthaltsort zahlreicher Reisender +und noch zahlreicherer Kranker, welche dort Herstellung ihrer +Gesundheit zu finden hoffen. Namentlich für Schwindsüchtige +wird die Luft Kairo's und, wie es scheint, mit Recht, empfohlen. +Die sogenannte ägyptische Augenkrankheit eine Entzündung +der Schleimhaut, der Conjunctiva des Auges, sowohl des +Augapfels, als auch der Augenlider, welche ansteckend und in +Aegypten endemisch ist, eine seit Hippokrates Zeit bekannte +Krankheit, wurde durch die französische Invasion unter +Napoleon I. und durch die Engländer nach Europa gebracht; +indeß befällt sie erwiesenermaßen Europäer weniger, als die +Eingeborenen und Letztere werden besonders davon afficirt, weil +sie nicht durch größte Reinlichkeit die fortwährenden schädlichen +Einwirkungen des Staubes, von dem die Luft stets geschwängert +ist, unwirksam machen. Und zwar wirkt der Staub, der +unmittelbar in den Straßen aufgewirbelt wird und aus den +kleinsten Partikeln zersetzter organischer Stoffe besteht, ebenso +schädlich, als der kaum sichtbare Staub der Samum-Winde. +Woran die Europäer am meisten leiden, das sind Krankheiten +der Leber und der Milz, letztere zum Theil hervorgerufen +durch tertiäre Wechselfieber, und sind erstere radical nur zu heilen +durch Ortsveränderung, durch Rückkehr nach Europa. Die +Pest kommt seit Jahren nicht mehr in Kairo vor und die +Cholera eben auch nicht häufiger, als in Europa.</p> + +<p>Kairo ist eine unbefestigte Stadt, denn was die Kâsbah +betrifft, welche ursprünglich zur Verteidigung der Chalifenstadt +diente, nebst hohen Mauern, welche im Mittelalter die Stadt +umfriedigten, so ist erstere längst ihres Festungscharakters beraubt, +letztere aber sind geschleift und abgetragen worden, oder +in Ruinen zerfallen. Jedoch zahlreiche Mauern im Innern +der Stadt, ehemals äußere Stadtmauern, zeugen von der beständigen +Umwandlung und Vergrößerung der Stadt, sowie +die jetzige äußere Mauer ebenfalls schon inmitten der Hauptstadt +sich befindet. Heute ist es kaum noch gestattet, von Masr +el Kâhirah, von Masr el Attika, von Bulak u.s.w. als unterschiedlichen +Städten zu reden, namentlich wird es ebenso falsch +sein, zu sagen, Bulak sei als <i>Hafen</i> Kairo's von dieser <i>Stadt</i> +zu unterscheiden, sowie man Unrecht hätte, Moabit nicht zu +Berlin zu rechnen. Heute liegt in der That Kairo am Nil: +Bulak ist ein Stadttheil der Hauptstadt geworden. Höchstens +darf man jetzt noch den Unterschied zwischen <i>dem</i> Stadttheile +machen, der seinen <i>morgenländischen</i> Charakter bewahrt +hat und dem, der ganz <i>europäisch</i> ist.</p> + +<p>Der erste Stadttheil, der sich an die Citadelle lehnt, welche +selbst auf einem der äußersten Ausläufer des Mokattam-Gebirges +gelegen ist, den man unter dem Namen Chalifenstadt +begreifen kann, ist ein großes Labyrinth krummer und enger +Straßen, oft durch Ueberbauten dunkel und so unscheinbar, +daß man meinen sollte, man befände sich in einer Gasse des +Hauptortes der Oase des Jupiter Ammon. Hier kennt man +kein Pflaster, hier giebt es Abends keine Beleuchtung, geschweige +denn von Gas zu reden; zahlreiche Sackgassen nötigen den +nicht Eingeweihten, stets auf seine Schritte zurückzukommen, +vom Eintritt eines bestimmten Platzes an bis zu einer bestimmten +Grenze wird der Fremde, passirt er Nachts diesen +Stadttheil, von einer klaffenden Meute hungriger Hunde verfolgt, +welche wild und herrenlos, wie sie sind, doch unter sich +eine genaue Besitzeintheilung hergestellt haben der Art, daß +immer ein Theil eines Quartiers oder einer Straße von einer +Meute besetzt gehalten wird, die auf's Eifrigste über die Unverletzlichkeit +ihres Territoriums wacht. Wehe dem Fremden, der +Nachts ohne Stock durch eine von diesen wilden Bestien bewachte +Straße geht, namentlich wenn er ein Ungläubiger und +in europäischer Tracht ist; aber noch mehr wehe, wenn einer +ihres Gleichen, ein fremder Hund, sich unter sie verirren sollte, +er ist unrettbar verloren, gelingt es ihm nicht, auf sein eignes +Gebiet zurückzuflüchten.</p> + +<p>Aber nicht immer haben wir enge und unscheinbare +Gassen, in diesem Ur-Kairo ist Alles Ueberraschung. Hier +giebt es auch Moscheen von allen Formen und allen Farben, +einfache und prachtvolle, reich mit Arabesken und Sculpturen +geschmückte und solche, welche äußerlich nur eine nackte Wand +zeigen. Hier bemerkt man auch jene reich sculptirten Brunnen, +meistens fromme Stiftungen, welche bis vor Kurzem, wo das +Trinkwasser in Kairo so spärlich war, zu den größten Wohlthaten +zählten, die ein frommer Moslim seiner Vaterstadt vermachen +konnte. Hier findet man auch jene reizenden Muscharabiehen +aus Holz geschnitzt, welche die Eifersucht des gestrengen +Haremgebieters erfand. Muscharabiehen sind Jalousien, welche +sich stark ausgebuchtet vor den Fenstern befinden. Sie sind +auf's Kunstvollste aus Holz geschnitzt, oft so fein und zierlich, +daß es sich von Weitem wie Filigran-Arbeit ausnimmt. +Geheimnisvoll ragen sie im Halbdunkel der Straßen aus den +Häusern hervor; manchmal scheinen sie sich bei den überhängenden +Etagen der Häuser zu berühren. Dahinter lauert die +junge Frau des Hausherrn, verlangende Blicke wirft sie auf +das Leben zu ihren Füßen, sie hört es, sie sieht auch Alles, +ohne selbst bemerkt zu werden; glühend erröthet sie, wenn ein +jugendlicher Frangi vorübergeht, der ihr viel vorteilhafter +dünkt, als jener alte, weißbärtige Mann, dem sie gezwungen +war, ihr Leben zu opfern. Da erblickt sie gar in einer Carrosse +dahersausend zwei hübsche Christendamen, sie sind unverschleiert. +Sie lächeln, sie freuen sich des Lebens, während sie selbst, die +Aermste, hinter ihrer Muscharabieh eine Thräne im Auge zerdrückt +und ihr freudenloses Leben beklagt! Aber was ist das? +Da biegt um die Ecke ein eleganter Phaëton, laut schreiend +vor ihm rufen die Läufer ihr ewiges "<tt>Guarda, Guarda</tt>" +oder <tt>schemalak ia chodja, l'iminak</tt><a name="FNanchor_53_53" id="FNanchor_53_53"></a><a href="#Footnote_53_53" class="fnanchor">[53]</a>. Darin sitzen im +Wagen zwei reizende Moslemata<a name="FNanchor_54_54" id="FNanchor_54_54"></a><a href="#Footnote_54_54" class="fnanchor">[54]</a>, kaum verschleiert die +dünne Tüllspitze ihr fröhlich lächelndes Gesicht; sie scheinen aber +auch gar keine Lust zu haben, ihr Antlitz verbergen zu wollen, +im Gegentheil, man sieht, daß sie nur scheinbar diesen Zwang +mitmachen. Es sind Prinzessinnen, Töchter oder Nichten des +Chedive; ahnungsvoll zieht sich unsere Schöne aus ihrer +Muscharabieh zurück; ein dunkles Gefühl sagt ihr, daß auch +für ihres Gleichen bald die Stunde der Befreiung schlagen +wird.</p> + +<p>Hier finden wir auch jene großen Bazarstraßen, wo die +Produkte der drei Erdtheile sich einander begegnen und wo in +immer geschäftiger Weise während des ganzen Tages das regste +Leben und Treiben herrscht und Groß- und Kleinhandel getrieben +wird. Von einigen dieser Bazars soll später noch die +Rede sein.</p> + +<p>Der andere Stadttheil, ganz neu und vorzugsweise eine +Schöpfung des jetzigen Chedive, daher auch Ismaelia genannt, +mit seinen seenartigen Gärten, seinen breiten wohlgepflasterten +und täglich besprengten Straßen, seinen Palästen und Theatern, +seinen Gascandelabern und prachtvollen Läden ist vollkommen +europäisch. Dies moderne Kairo, welches heute schon +von den Fluthen des Nils berührt wird, steht in Nichts den +schönsten Städten Europas nach. Was luxuriöse Ausstattung +der Gebäude und ihrer Fanden anbetrifft, so können sich die +der ägyptischen Hauptstadt ganz messen mit denen am Ring in +Wien oder denen der Boulevards von Paris.</p> + +<p>Mit Recht sagt Levernay (<tt>guide annuaire d'Égypte 1873 +p. 254</tt>): Hier ist die Vereinigung des Orients mit dem Occident, +hier ist das Symbol der religiösen Freiheit; hier ist das +Bündniß der Handelsfreiheit (?)<a name="FNanchor_55_55" id="FNanchor_55_55"></a><a href="#Footnote_55_55" class="fnanchor">[55]</a> und der Völkergemeinschaft; +findet man nicht in dieser Stadt zusammenlebend den flachshaarigen +Scandinavier an der Seite des wollhaarigen Furer, +den fanatischen Magrebiner von der Küste des atlantischen +Oceans an der Seite des gelbhäutigen Indiers oder den südlichen +Araber mit kaffeebrauner Haut an der Seite des halbeuropäischen +Türken? Und dazwischen Tartaren, Perser, +Turkomannen, Kurden und Chinesen. Ja, hier sieht man +Hand in Hand gehend den gelehrtesten Professor aus der +Hauptstadt der Denker mit dem von Steppe zu Steppe vagabondirenden +Nomaden, welcher, ohne Gesetze lebend, nur seinem +eigenen Willen folgt. Ja, es ist ein eigenthümliches Leben +in Kairo und glücklich Der, welcher Empfängnis hat für die +Sitten fremder Völker oder der gar die Gabe besitzt, dem +Gedankengange der Eingeborenen momentan folgen zu können. +Hier an der ältesten Wiege menschlicher Cultur reichen sich +Tag für Tag Asiaten, Europäer und Afrikaner die Hand, und +wie schon zu verschiedenen Malen von hier aus die menschliche +Entwickelung zu ihren jeweiligen höchstem Triumphen gelangte, +so scheint auch jetzt ein neues Leben, ein neues +gewaltiges Ringen zum Vorwärtskommen erwacht zu sein.</p> + +<p>Die Zahl der Bevölkerung von Kairo dürfte man auf +circa 400,000 Seelen für das Jahr 1875 beziffern. Genaue +statistische Erhebungen sind in mohammedanischen Städten zur +Zeit noch nicht auszuführen. Denn selbst wenn eine amtliche +Zählung vorgenommen wird, so stößt diese immer auf unüberwindliche +Hindernisse wegen der Haremverhältnisse und +der weiblichen Sclaven.</p> + +<p>Von diesen 400,000 Einwohnern dürften incl. 800 Perser +etwa 20,000 Europäer sein. Aber man denke nicht, daß etwa +die 380,000 verbleibenden Menschen alle einer Nationalität +angehören. Da sind die verschiedensten schwarzen Stämme, +da sind Syrier, ächte Araber, seit Jahrhunderten in Aegypten +lebende Araber, Inder, Chinesen, endlich Fellahin und Kopten +und eine große Anzahl von Türken. Alle diese stellt man, +obschon sie es keineswegs sind, als "Eingeborene" oder "Rechtgläubige" +den fremden Europäern gegenüber. Daß man die +Perser ebenfalls als besondere Nationalität trennt, verdanken +sie dem Umstande, weil sie in Aegypten besondere Consuln +haben.</p> + +<p>Man zählte im Jahre 1873 in Kairo 4200 Griechen, +7000 Italiener, 4000 Franzosen, 1600 Engländer, 1200 +Oestreicher und Ungarn, 800 Deutsche, 500 Perser, 120 Spanier, +50 Russen, 25 Belgier, 9 Brasilianer, 5 Portugiesen, +2 Schweden und 1 Nordamerikaner. Was die letzte Zahl +anbetrifft, so scheint sie uns nicht richtig zu sein, da allein in +der chedivischen Armee an hundert nordamerikanische Officiere +dienen, von denen wir bei den eigenen Verhältnissen in Aegypten +kaum glauben können, daß sie ihre Nationalität aufgegeben +haben. Wenn wir überhaupt zu diesen Zahlen größere Zuversicht +haben dürfen, weil sie eben auf amtliche Ermittelung +der bezüglichen Consulate fußen, so sind sie doch auch noch +fern davon, eine so absolute Sicherheit zu gewähren, wie wir +gewohnt sind, von unseren amtlichen, statistischen Erhebungen +zu erwarten.</p> + +<p>Kairo hat wenigstens 300 Moscheen, wenn man alle kleinen +Kapellen und Bethäuser mitrechnet, also ein Gotteshaus auf +circa 1200 Individuen; denn von den 400,000 Einwohnern +sind, wenn wir die Kopten mitrechnen, wenigstens 50,000 +Christen. Diese letzteren haben 44 Kirchen, was ohngefähr +dasselbe Verhältniß ergiebt, und rechnet man in Kairo 7000 +Juden und für dieselben 13 Synagogen, so erhält man das +Resultat, daß diese am günstigsten daran sind, denn es beziffert +sich für sie die Zahl der zu einem Tempel Gehörigen auf +einige mehr als 500.</p> + +<p>In der Hauptstadt des Chedive herrscht natürlich die vollste +religiöse Freiheit, aber erst seit einigen Jahren. Wie aber +Alles, was maßlos ist, zu Unzuträglichkeiten führt, so auch +diese vollkommene religiöse Freiheit. Es offenbart sich dies +am meisten bei jenen großen mohammedanischen Prozessionen, +welche oft stundenlang den Verkehr auf den Straßen hemmen. +Die Zeiten sind allerdings längst vorüber, wo ein Andersdenkender +beim Zuschauen einer solchen mohammedanischen +Prozession sein Leben gefährdet sah, und da die Muselmanen +ja überhaupt nicht die Sitte des Hutabnehmens haben, so ist +vom "Huteintreiben" oder "Hutabschlagen", wie das in unseren +toleranten und civilisirten Ländern vorkommt, nie die Rede.</p> + +<p>Unerwähnt darf man auch nicht lassen, daß dies die einzigen +Ausschreitungen sind, welche sich der Cult dem staatlichen +Gemeinwesen gegenüber erlaubt, denn nicht würde der unbestraft +bleiben, wäre er ein auch noch so hoher Geistlicher, der +sich dem Staats-Gesetze widersetzen wollte.</p> + +<p>Ueberhaupt lebt man in keinem Lande der Welt so sicher +als in Aegypten und speciell in Kairo. Es ist wahr, daß auch +hier manchmal große Diebstähle verübt werden, und ich erinnere +nur an den berühmten Diamantendiebstahl Ende des Jahres +1874; aber er wurde in dem europäischen Viertel und von +Europäern vollzogen. Von Mordtaten, Raubanfällen und +größeren Verbrechen hört man fast nie.</p> + +<p>Wenden wir uns zu einzelnen großen Bauten und Anlagen, +so zieht vor allen im alten Stadttheile die Citadelle unsere +Aufmerksamkeit auf sich. Schon von Weitem, wenn man mit +der Bahn sich nähert, sieht man die hohe Kuppel und die +eleganten schlanken Minarets der Moschee des Mohammed +Ali, welche die Citadelle als krönendes Werk überragt. Denn +die Citadelle ist keineswegs <i>eine</i> Baute, sondern besteht aus +verschiedenen fortifikatorischen Gebäuden, aus Palästen, Kasernen +und kleineren Gebäuden. Aber der aus Alabaster errichtete +Dom, unter dem die Gebeine des großen Begründers der +beutigen Dynastie ruhen, mit seinen imposanten Formen, in +seiner dominirenden Lage, ist doch das Gebäude, welches den +Fremden am meisten fesselt.</p> + +<p>Hier auf der Citadelle ist auch der berühmte Brunnen in +den Fels hinabgehauen; er ist fast 100 Meter tief und so +breit, daß man bis zur Quelle mittelst Stufen hinabsteigen +kann. Er heißt Josephs-Brunnen, hat aber nichts mit dem +biblischen Joseph gemein, sondern wurde von Joseph ben Agub +oder Saladin, dem ersten aglubitischen Sultan, erbaut, damit +im Falle einer Belagerung die Citadelle nicht des Wassers +ermangele. Mittelst zweier Schöpfräder (<tt>Norias oder Sakias</tt>) +wird das Wasser an die Oberfläche gehoben. Der Anblick von +der Plattform der Citadelle auf die große Stadt zu ihren +Füßen, auf Bulak, Rodha und den gewaltigen Nil, auf die +Pyramiden und im Hintergrunde die mit dem Himmel verschwimmende +Sahara gehört zu dem Großartigsten, was man +sich denken kann; die kühnste Phantasie findet hier ihre Befriedigung. +Und wenn man das Glück hat, bei der Betrachtung +dieses Bildes die über dem Mokattam-Gebirge heraufsteigende +Sonne als Frühbeleuchtung zu haben, so spottet das +Ganze jeder Beschreibung, und selbst der eingebildetste Pedant, +der nörgelndste Philister wird von der Großartigkeit dieses +Panoramas überwältigt werden.</p> + +<p>Von den übrigen Moscheen nennen wir zuerst die des +Amru, die älteste, ungefähr um 640 errichtete, aber von ihrer +ehemaligen Pracht ist wenig mehr übrig. Bei allen mohammedanischen +Gotteshäusern, wie auch bei ihren Profanbauten +kann man die Bemerkung machen, daß die Mohammedaner +mit großer Vorliebe Bauten unternehmen, aber nie daran +denken, ihre Bauten zu <i>erhalten</i>. Die Amru-Moschee ist +ein Rechteck von 120 Meter zu 75 Meter. Der Säulenwald +an der Ostseite des Hofes aus 21 Säulenreihen, in jeder +Reihe 6 Säulen, ist imposant.</p> + +<p>Interessant für die Geschichte der Architektur ist die im +Jahre 877 von Ahmed ebn Tulun erbaute Moschee, 80 M. +lang aus 76 M. Breite. Man findet schon ogivische Bogen +in Anwendung und außerdem die Wände mit Kusischen Legenden +geschmückt. Nach arabischen Inschriften soll der das Gebäude +umgebende Karnies aus zusammengestampftem Amber +gemacht gewesen sein, um den Eintretenden Wohlgerüche zuzuführen. +Jetzt ist nichts mehr davon zu bemerken und auch +diese Moschee zeigt Verfall.</p> + +<p>Die große und glänzende el Asar-Moschee ist insofern von +Wichtigkeit, als mit ihr die Hochschule verknüpft ist, die bedeutendste +der ganzen mohammedanischen Welt. Fast 10,000 +Studenten folgen hier dem Unterrichte von über 300 Professoren. +Es wird aber fast nichts, als Religion gelehrt und +besonders sind es die vier rechtgläubigen Riten, die Hambaliten, +Schaffeïten, Hanesiten und Malekiten, welche hier ihre +Vorlesungen halten. Schaffeïten und Malekiten haben die +meisten Zuhörer: erstere über 4500, letztere 3700. Die Hanesiten, +wozu sich alle Türken rechnen, haben ca. 1000, die +Hambaliten nur ca. 50 Studenten. Alle diese Schüler haben +freien Unterricht und freie Kost nebst Bekleidung, ebenso sind +auch die Professoren vom Staate besoldet. Außer Religion +wird etwas Poesie, Grammatik und Gesetzgebung, letztere +natürlich auf Koran und Sunnah basirt, getrieben. Mit dieser +Moschee ist verbunden ein großes Blinden-Hospital, eine Sauya +für Pilger, deren Asylrecht heute aber im Strome der Civilisation +untergegangen ist.</p> + +<p>Eine merkwürdige Universität, wo man weiter nichts treibt, +als religiöse Forschungen, über nichts Anderes nachdenkt, als +über Dinge, die außerhalb dem Bereiche des Wirklichen liegen +und deren Resultate deshalb für das Land, für die Menschheit +von gar keinem Nutzen sind.</p> + +<p>Die Moschee, welche am meisten die Bewunderung der +Europäer auf sich zieht, die Hassan-Moschee, hat mich immer +ziemlich kalt gelassen. Zum Theil kommt das wohl daher, +daß ich nie Vorliebe für jenen <i>unmöglichen</i> Stalactitenbau +habe gewinnen können, zum Theil, daß einen die Quadern zu +sehr an die Bauten der alten Aegypter erinnern. Solche Vandalen, +die nicht die Energie besitzen, zu einem so großartigen +Gebäude eigenes Material zu nehmen, sondern andere Bauten +<i>zerstören</i>, um sie zu den ihrigen zu benutzen, soll man die +wohl achten? Und sieht man nun gar, wie die famosen +Stalactiten-Nischen in der Hassan-Moschee nicht aus Stucco +oder Stein bestehen, sondern elende Holznachbildung sind, so +schwindet vollends alle Sympathie. Die Moschee wurde 1356 +vom Sultan Hassan erbaut. Das danebenstehende Minaret +hat 80 Meter Höhe; fügt man die Höhe des Bodens, auf dem +die Moschee erbaut ist—30 Meter—hinzu, so hat man die +Höhe von Assuan.</p> + +<p>Ich übergehe die übrigen Moscheen, welche alle, wie z.B. +die von Kalaum auch el Barkuk genannt, oder die von Sitti +Seinab oder die der Hassanein oder die von el Moged für +diejenigen, welche sich für ägyptisch-mohammedanische Architektur +interessieren, sehenswerth sind, deren Besuch man sich aber sonst +ersparen kann.</p> + +<p>In der Stadt selbst hat der Chedive merkwürdiger Weise +keinen einzigen Palast, der von Außen irgendwie Anspruch auf +architektonische Schönheit machen könnte.</p> + +<p>Wie alle gouvernementalen Gebäude ist seine dermalige +Wohnung ein äußerst fensterreiches Gebäude, <i>ganz ohne +Styl</i>. Inwendig lassen diese chedivischen Paläste allerdings +nichts zu wünschen übrig, weder an Eleganz noch an Pracht, +noch auch an Geschmack der Decoration oder an zweckmäßiger +Raumvertheilung.</p> + +<p>Die neue Börse, die Bibliothek, die Wohnungen der ersten +Beamten zeichnen sich durch nichts Besonderes aus. Was die +Bibliothek anbetrifft, so besitzt dieselbe ca. 30,000 arabische +Bände, fast nur Handschriften, darunter viele äußerst kostbare. +Da sieht man vor allen anderen jene Bücher von außerordentlicher +Größe, deren Buchstaben von Gold mit so großer +Regelmäßigkeit gemalt erscheinen, daß man meinen sollte, sie +seien gedruckt. Natürlich ist der Inhalt weiter nichts als der +Text des Koran.</p> + +<p>Will man schöne Gebäude modernsten Styls, villenartig +gebaut, von reizenden Gärten umgeben sehen, so wandere man +durch den neuen Stadttheil. Hier liegt auch die schmucke +deutsche protestantische Kirche, hier hat der Minister der Justiz, +jetzt Scherif Pascha, sein von feenhaften Gärten umgebenes +Palais.</p> + +<p>Was die Theatergebäude betrifft, so läßt sich bezüglich der +Bauten selbst nichts sagen, als daß es provisorische Gebäude +sind, bestimmt, mit der Zeit anderen monumentalen Platz zu +machen. Was aber innere Ausstattung, Inscenirung, Personal +und Leitung betrifft, so stehen sowohl die chedivische italienische +Oper, als auch das französische Schauspiel unseren ersten und +besten Bühnen würdig zur Seite. Hierüber herrscht nur eine +Stimme.</p> + +<p>Den größten Zauber und Reiz besitzt Neu-Kairo heute in +jenem Esbekieh-Garten, mitten in der Stadt gelegen, den ich +selbst noch bis zum Jahre 1868 als einen großen pfützenreichen +Platz von hohen Sykomoren beschattet gekannt habe. +Umfriedigt von Prachtbauten, ähnlich wie die der Rue Rivoli +zu Paris, ist der harten von einem hohen eisernen Gitter +umgeben. Zahlreiche Thore, deren Eingänge mit Selbstzählern +versehen sind, geben Einlaß. Bei dem sonderbaren Hange der +Orientalen, stunden-, ja tagelang faulenzend auf irgend einem +einladenden Platze sich dem <tt>Dolce far niente</tt> hinzugeben, war +die Vorschrift, ein unbedeutendes Entrée zu erheben, unerläßlich, +denn nur durch eine solche Maßregel konnte der prächtige +Park rein gehalten werden von jenem ungemein stark in Kairo +vertretenen Contingent, das seine Sache auf nichts gestellt hat +und höchstens vom bequemsten Betteln lebt und sicherlich mit +angeborener Frechheit die schönsten und anziehendsten Punkte +des großen Gartens in Besitz genommen haben würde.</p> + +<p>Es ist wunderbar, wenn man die Beschreibungen früherer +Reisender durchgeht und liest, was die Esbekieh <i>war</i> und +nun staunt, was sie jetzt ist.</p> + +<p>Die ganze Esbekieh-Anlage von achteckiger Form mit +einem Umfange von 940 Meter nimmt ein Areal von ca. +82,500 Quadratmetern ein. Die Länge der Wege beträgt +2 Kilometer 300 Meter. Das Flüßchen und die von ihm gebildeten +Teiche, Alles durch Kunst geschaffen, bedecken eine +Oberfläche von fast 5000 Quadratmeter. Die Teiche sind +2 Meter tief.</p> + +<p>Außer den kostbarsten Gewächsen aller Länder und Zonen, +welche trotz des kurzen Zeitraumes ihres jetzigen Bestandes +dort seit 20 Jahren gegrünt zu haben scheinen, findet der +Spaziergänger in diesem Garten Alles vereint, was nur das +Leben angenehm macht. Da sind reizende Buden, wo Liqueure, +Eis und Scherbets verkauft werden. Hier ist eine Bierhalle, +wo das beste Drehersche oder Münchener Bier in Eis dem +durstigen Nordländer Labung bietet, Kaffeehäuser mit reizenden +Kiosken gut eingerichtete Restaurationen, ein kleines Theater-Concert, +ein arabisches Kaffeehaus, Schaukeln, Carroussels, verschiedene +andere Kioske und Sammelplätze, endlich <tt>last not +least</tt> eine Grotte<a name="FNanchor_56_56" id="FNanchor_56_56"></a><a href="#Footnote_56_56" class="fnanchor">[56]</a> aus Tuffsteinen, die ganz und gar auf's +Treueste die Natur nachahmt und aus der das Wasser in +Cascaden hervorsprudelt, welches die See'n und den Bach speist.</p> + +<p>Diese Grotte ist von einem künstlich aufgebauten Pic überragt, +aus großen Tropfsteinblöcken und Steinen errichtet. Man +gelangt hinauf mittelst eines schattigen Weges oder auch auf +äußeren und inneren Pfaden, die man durch den künstlich +geschaffenen Fels gearbeitet hat. Ans der obersten Spitze hat +man ein Belvedere angebracht, von wo aus man nicht nur +den ganzen Garten übersehen kann, sondern von dem aus +auch das ganze Panorama von Kairo zu den Füßen des entzückten +Beschauers liegt.—Die Eisenarbeiten sind alle in +Paris gefertigt.</p> + +<p>Der Esbekieh-Garten bedarf zur Speisung seiner Springbrunnen, +zum Besprengen der Wege, zum Unterhalten der +Teiche eines täglichen Wasserquantums von 800 Kubikmeter; +die Erleuchtung bei Abend, welche feenhaft ist, wird durch +106 Candelaber bewerkstelligt; alle diese Candelaber haben +Blumenform, 5 Zweige mit je 5 Tulpen, so daß im Ganzen +allabendlich 2500 Flammen brennen. Dazu spielt jeden Tag, +sobald die Sonne sich unter den Horizont senkt, ein ausgezeichnetes +Militärorchester europäische Symphonien und Stücke, +auch wohl arabische Weisen, welch' letztere ungemein an +Wagner'sche Compositionen erinnern.</p> + +<p>Leider ist der Esbekieh-Garten lange nicht so besucht, wie +er es verdiente, es ist eine für Kairo zu vornehme Anstalt; +nicht etwa, weil das niedrige Entrée von den Besuchern als +unerschwinglich bezeichnet würde; es sind auch die Genüsse +innerhalb desselben dem Publicum zu theuer. Dazu kommt, +daß das vornehme europäische Publicum, an der Spitze die +Vertreter der europäischen Länder, blasirt, das vornehme +mohammedanische apathisch und unempfänglich für solche Genüsse +sich verhält, der gewöhnliche Mittelstand der Eingeborenen +aber in diesem Entrée gleich eine Steuer des Chedive wittert +und der gemeine europäische Mann lieber in den übrigen +Vergnügungslocalen Kairo's seine Unterhaltung sucht.</p> + +<p>Diese sind keineswegs in geringer Anzahl vorhanden. Der +Deutsche findet in zahllosen Bierhäusern längs der Esbekieh +nicht nur Drehersches, sondern auch bairisches Bier und zwar +wohlgekühlt in Eis; der Franzose findet überall seine Café's; +der Italiener findet in den Conditoreien und auf der Straße +seine Sorbetti und in zahlreichen Restaurants kann der Engländer, +von Engländern bedient, sein Beefsteak und sein Glas +"<tt>half and half</tt>" trinken. Nur der russische Traktir fehlt noch, +aber wie lange wird es dauern und irgend ein speculativer +Kopf erbaut ein solches mit einer mächtigen Orgel versehen +an der Seite einer Fonda, wo man <tt>Polenta</tt> und <tt>Olla potrida</tt> +verkauft.</p> + +<p>Denn wenn man Abends durch die auf's Glänzendste von +Gas beleuchteten Straßen geht und hört, wie einem allerorts +Musik entgegenschallt, hier des Italieners "<tt>o che la morte +honora</tt>" oder "<tt>madre in felice corro a salvarti</tt>" dort des +Deutschen "Wacht am Rhein"; hier des Franzosen "<tt>partant +pour la Syrie</tt>" dort des Engländers "<tt>god save the queen</tt>", +wenn man sieht, daß alle diese Musikbanden aus nationalen +Kräften bestehen (Kaffee- und Weinhäuser mit deutschen und +deutsch-böhmischen Musikbanden, Sängern und Sängerinnen +giebt es ein Dutzend in Kairo), so sollte man nicht glauben, +in der Stadt zu sein, welche noch bis vor wenigen Jahren +als das ächteste Bild einer orientalischen Stadt hingestellt +wurde.</p> + +<p>Und geht man gar in die elegant eingerichteten Spielsalons, +wo hier eine Roulette, dort König Pharao den Gästen +das Geld aus der Tasche lockt und die meistens als Aushängeschild +die elegantesten <tt>Cafés chantants</tt> oder auch kleine +Theater mit Ballerinen zeigen, so sollte man nicht meinen, daß +man nur einige Stunden weit von den Pyramiden des Cheops +und des Cephren sich befände.</p> + +<p>Aber trotz dieses modernen Kairo ist noch ein gut Stück +Alt-Kairo, d.h. orientalischer Stadt übrig. Jedoch verschwindet +es allmälig schneller und schneller, und vielleicht schon nach +einem Menschenalter wird jene alte orientalische Stadt, jene +Stadt mit den maurischen Hufeisenbauten, mit den schlanken +Minarets, mit den engen überdachten Gassen und ihren noch +engeren Kaufläden—sie wird verschwunden sein, und finden +können wir sie dann nur noch in den Büchern und Reiseberichten +Derer, welche sie zu der Zeit besuchten. Und um so +spurloser wird das alte Kairo vom Erdboden verschwinden, +als die Wohnungen der Eingeborenen aus losem, schlechtem +Material errichtet und selbst die Moscheen und Paläste aus +Quadern erbaut sind, welche man von alten Monumentalbauten +zusammengeschleppt hat; sind doch jetzt schon <i>alle</i> +Moscheen und die Mehrzahl der Paläste früherer Vicekönige +halbe Ruinen.</p> + +<p>Wenn man aber sieht, mit welcher Rücksichtslosigkeit mitten +durch die Quartiere der Eingeborenen eine gerade breite Straße +gezogen wird, wie man weder die Medressen (Schulen) noch +die Moscheen schont, wie man Untiefen auffüllt, Hügel abträgt, +dann muß man staunen ob der Energie des Chedive. +Aber "Gott soll ihn ewig mit den ungläubigen Christenhunden +brennen lassen!" murmelt der fromme Mohammedaner, der +aus seinem Heim vertrieben wird, welches seine Vorfahren +inne gehabt hatten und wo er selbst schon seit Jahren wohnte. +Aber er "murmelt" es nur, offen es auszusprechen, wagt er +nicht. Ja er preist sich glücklich, wenn die chedivische Regierung +ihm <i>umsonst</i> ein Stück Land anweist in einem ganz +anderen Viertel der Stadt, mit der Erlaubnis, ein Haus zu +bauen nach europäischem Style.</p> + +<p>So vollziehen sich die Expropriationen in Aegypten und +speciell in Kairo. Von Entschädigungen ist nirgends eine +Rede. Sobald der Chedive beschlossen hat, eine Straße durch +den orientalischen Stadttheil zu legen, wie er sich solche auf +dem Plane der Stadt vorzeichnet, erhalten die betreffenden +Anwohner des Viertels Befehl, innerhalb einiger Tage ihre +Immobilien zu räumen. Von Entschädigung wird nicht gesprochen; +nur wenn europäische Unterthanen von einer solchen +Maßregel betroffen werden, dann bekommen sie vollen Ersatz +für ihr genommenes Grundeigentum.</p> + +<p>Die Straße, welche früher als Glanzpunkt des europäischen +Lebens galt, die Muski, ist heute entthront; zwar findet man +immer noch elegante Läden, aber elegantere giebt es in der +Ismaelia (der neue Stadttheil von Kairo) und die Straße ist +viel zu eng, als daß sie jemals ihren Rang wieder einnehmen +könnte, nämlich die "Unter den Linden" Kairo's zu sein. Dazu +kommt noch, daß man aus Utilitätsrücksichten geglaubt hat, +davon abstehen zu müssen, sie mit Pflasterung zu versehen. +Aber die Muski ist noch immer das Herz von Kairo, hier +pulsirt das größte Leben, welches in seinem Dahinfluthen Aehnliches +zeigt mit den Wogen des Strand von London. Hier ist +auch die Vermittelungsstraße vom modernen europäischen zum +alten orientalischen Kairo.</p> + +<p>Wandern wir rasch durch die verschiedenen orientalischen +Quartiere, durch die Bazars, ehe sie für immer verschwinden, +um einer modernen "<tt>Avenue</tt>" oder einem "<tt>Boulevard</tt>" Platz +zu machen.</p> + +<p>Da ist der Khan el Khalil im Gammeliah-Quartier; der +Name rührt daher, weil hier die Kamele (Gammel, Gemmel +oder Djemel) ihre Waaren aufnehmen und abladen. Hier sind +alle orientalischen Artikel zu haben. An endlosen, nicht sehr +breiten überdachten Straßen hocken in engen Verkaufsläden +die Eigentümer. Die Läden sind meistens so eng, daß Alles +und Jedes im Bereiche des Hockenden ist. Hier finden wir +alle Requisiten des orientalischen Rauchers. Hier sieht man +jene reichen Teppiche aus Persien oder Damask, elegante +orientalische Stoffe, Elfenbein und Straußenfedern und im +Allgemeinen alle Artikel aus dem Sudan und Asien; reich +eingelegte Waffen, Schmucksachen, unverarbeitete Edelsteine, +Vasen etc. Die Hauptmarkttage von Khan el Khalil sind Montags +und Donnerstags.</p> + +<p>Diese große Markthalle, wo fast ausschließlich eingeborene +Kaufleute ihre Buden haben, wo aber manches europäische +Haus mit großen Summen betheiligt ist, hat natürlich an +allen Ecken und Enden feste und "fliegende" Café's. Erstere +sind solche, wo der Kauadji eine größere oder kleinere Räumlichkeit +besitzt, welche von seinen Gästen besucht wird, in denen +man mitunter auch Musik findet. Letztere bestehen auf der +Straße selbst einfach aus einem kleinen Kochapparat, wo Kaffee +bereitet wird, den der Cafétier seinen bestimmten Kunden zuträgt. +Jeder Budenbesitzer schlürft mehrere Male des Tages +seinen Mokka, und da größere Käufe, welche natürlich längere +Zeit in Anspruch nehmen, nur mit einer Tasse Kaffee in der +Hand abgemacht werden, so haben solche fliegende Cafetiers +auch eine ganz gute Kundschaft.</p> + +<p>Hier findet man vereinzelt auch jene Haschisch-Buden, d.h. +Kaffeehäuser, wo neben dem Tabaksrauchapparat, der in +Narghileh, Tschibuck und Cigaretten besteht, vorzugsweise +Haschisch geraucht und gegessen wird.</p> + +<p>Gehen wir weiter, so kommen wir zum Hamsani-Bazar, +wo man hauptsächlich Parfümerien, Papier, Porzellan, Krystallsachen, +Kattunstoffe, Kramwaaren und Arzneien kaufen kann. +Erstere, die Parfümerien, sind bei den Orientalen ein stark +begehrter Gegenstand. Im Allgemeinen haben sie auch Vorliebe +für dieselben Wohlgerüche, wie wir Europäer, aber bei einzelnen, +welche bei uns die seine Gesellschaft schon zu "<tt>mauvais +odeur</tt>" rechnet und welcher sich bei uns nur der <tt>demi monde</tt> +bedient, nämlich Moschus und Patschuli—diese erklärt der +Orientale als den Inbegrif des Vollkommensten, was man +dem Geruchsorgan bieten könne.</p> + +<p>Auch in vergangenen Jahrhunderten war dies so, die Liebhaberei +für derartige Düfte ist nicht neu. Als Beweis führe +ich Leo<a name="FNanchor_57_57" id="FNanchor_57_57"></a><a href="#Footnote_57_57" class="fnanchor">[57]</a> an, der in seiner Beschreibung "von der sehr großen +und bewunderungswürdigen Stadt Kairo" sagt: "Auf einer +anderen Seite (er hatte soeben das auch zu seiner Zeit so +heißende Can el Halili beschrieben) der erwähnten Straße ist +eine Gegend für Diejenigen, die mit Räucherwerken, z.B. Zibeth, +Moschus, Ambra und Benzoin handeln; diese Wohlgerüche sind +in solcher Menge vorhanden, daß wenn Jemand 25 Pfund +verlangt, man ihm wohl 100 Pfund zeigen kann."</p> + +<p>Hieran reihen sich noch andere Bazars, der von Gurich, +wo hauptsächlich Seidenstoffe, Wollfabrikate und Tuche verkauft +werden; ein eigener Zuckerbazar fehlt auch nicht und auch ein +Waffenbazar dicht bei der berühmten Hassan-Moschee existirt +noch immer. Man findet hier europäische und ägyptische +Waffen, das Material indeß, die Klingen, Läufe und Schlösser +kommen vom Abendlande, nur die Zusammensetzung und die +Ausbesserungen werden hier vorgenommen.</p> + +<p>Der Waffenmarkt hat übrigens bedeutend abgenommen, +seitdem das Faustrecht in Aegypten aufgehört hat, an der +Tagesordnung zu sein. Jeder Eingeborene sucht allerdings +auch heute noch seinen Stolz darin, dermaleinst eine Flinte zu +besitzen, um der Jagd, die ja in Aegypten frei ist, fröhnen zu +können; aber eine <i>Notwendigkeit</i>, eine Waffe zu haben +und zu tragen, wie das früher der Fall war, namentlich vor +Mohammed-Alis Zeiten, die liegt heute nicht mehr vor.</p> + +<p>Wenn nun auch Kairo nicht die erste Handelsstadt des +Pharaonenreiches ist, das ist heute Alexandrien, so ist der +Warenumsatz und geschäftliche Verkehr doch immerhin ein bedeutender +und durchaus der Einwohnerzahl Kairos gemäß.</p> + +<p>Der Haupthandel, namentlich der Engros-Handel, befindet +sich in den Händen der Griechen, nach ihnen kommen die Engländer, +Italiener, Franzosen und Deutschen; aber der größte +Kaufmann, der, welcher allein mehr Geschäfte macht, als alle +Eingeborenen und Ausländer zusammengenommen, das ist der +Chedive. Noch größer, denn als Regent, zeigt sich Ismael +als Geschäftsmann.</p> + +<p>Die kaufmännischen Geschäfte werden zwischen den Eingeborenen +und europäischen Handelsleuten mittelst Makler (arab. +<tt>samsar</tt>, italienisch <tt>sensale</tt>) abgemacht. Meist wird der Verkauf +mittelst Credit abgeschlossen, selten gleich baare Zahlung +geleistet. Gewöhnlich sind die Eingeborenen die pünktlichsten +Zahler, obschon sie es auch an der knauserigsten Feilscherei +nicht fehlen lassen und um einen Para mehr oder weniger +Himmel und Hölle in Bewegung setzen möchten.</p> + +<p>Unter den Ausfuhrartikeln, welche stets in Kairo lagern, +nennen wir als wichtig: Gummi, Elfenbein, Sennesblätter, +Datteln, Weihrauch, Perlmutter, sogenannter Mokkakaffee, der +aber zum größten Theil aus den Landstrichen südlich von +Abessynien kommt, Straußenfedern, Felle, Opium, Schildpatt, +Tamarinden, Wachs, Knochen, Hörner, Lumpen.</p> + +<p>In industrieller Beziehung steht die Fabrikation von halbseidenen +Stoffen oben an. Es giebt in Kairo augenblicklich +500 Webestühle, welche jenen unter dem Namen Kutnieh oder +Alagieh bekannten halbseidenen Stoff fabriciren. Ferner ist +die Zahl der Indigofärbereien nicht unbedeutend; fast alle +Kattunstoffe werden ungefärbt importirt, aber die Eingeborenen +tragen sie nur indigogefärbt.</p> + +<p>Auch die Gerbereien werden <tt>en gros</tt> betrieben. Die Bewohner +von Kairo verstehen ebenso gut das Leder zu gerben +und zuzubereiten, wie die von Cordova, von Marokko oder +Saffi, von welchen Städten die feinen Leder ihre speciellen +Namen als Corduan, Maroccain oder Saffian erhalten haben. +Auch Posamentirarbeiten, Mattenflechterei und Korbmacherei +erfreut sich in der Hauptstadt eines großen Aufschwunges.</p> + +<p>Wollstoffe, grobe Leinwand, welche vorzüglich in Fayum +gewebt wird, haben in Kairo ihren hauptsächlichsten Umsatz für +das ganze Land. In Bulak giebt es eine Papierfabrik, eine +Kanonengießerei und eine bedeutende Schiffswerft. Bulak muß +jetzt überhaupt schon als ein integrirender Stadttheil Kairo's +betrachtet werden, und da wollen wir nicht unerwähnt lassen, +daß das Sehenswertheste in diesem Stadttheile das von Herrn +<i>Mariette</i> gegründete ägyptologische Museum ist.</p> + +<p>Auch ein Irrenhaus, ein Bagno für weibliche Verbrecher, +eine Kunst- und Gewerbeschule, das Arsenal, eine arabische +und persische Druckerei befinden sich in Bulak.</p> + +<p>Und <tt>vis-à-vis</tt> von Bulak ist die Perle des Nils, der Palast +und Garten von Gesirah. Wer je einmal die Wundermärchen von +"Tausend und Eine Nacht" gelesen hat, der glaubt, daß hier diese +Zaubereien Wirklichkeit geworden sind. Der Palast selbst erinnert +an das Meisterstück der Alhambra, den Löwenhof. Der Garten +aber übertrifft an Ueppigkeit der Pflanzen, an prachtvollen +Anlagen, an seltenen exotischen Gewächsen selbst noch den der +Esbekieh inmitten der Hauptstadt.</p> + +<p>Die Grasplätze, Stauden und Blumen, die Statuetten, +Grotten, Felspartien, Bäche, Brücken, Candelaber, Springbrunnen +&c., alles dies belebt von Thieren aller Art und +Größe, machen diesen Garten zu einer Zauberei eigner Art. +Namentlich Abends und Nachts, wenn einer jener officiellen +chedivischen Bälle abgehalten wird, glaubt man beim Lichte +jener 1000 Gasflammen der Wirklichkeit entrückt zu sein.</p> + +<p>In der Mitte des Gartens ist jener herrliche Salamlik, +ein Sommerpalast des Chedive, von einem Walde von Säulen +getragen.</p> + +<p>Eine Zierde dieses Wundergartens wird das Aquarium +sein, welches von eben jenem fähigen Baumeister errichtet wird, +Herrn <i>Combay</i>, welcher die prachtvolle Grotte im +Esbekieh-Garten erbaut hat. Dasselbe erhält eine Grundfläche von +4800 Quadratmetern und besteht aus zwei Etagen. Die Idee +ist ebenso großartig, wie kühn. Die prächtig nachgebildeten +Stalaktiten, welche vom Gewölbe herab sich in die Grotten +senken, die Korallen und Seegewächse, welche vom Boden aufsteigen, +wirken wunderbar, und hier auf der Grenze zweier +Meere, des rothen und des mittelländischen, inmitten eines der +mächtigsten Ströme der Erde werden wir bald ein Aquarium +besitzen, wie kein zweites auf der Welt, welches jedenfalls an +Reichhaltigkeit lebender Bewohner von Salz- und Süßwasser +selbst die Aquarien von Brighton und Neapel aus dem Felde +schlagen wird.</p> + +<p>Wie Bulak heute nur ein Theil Kairo's ist, so ist Masr +el Attikah (Alt-Kairo, früher officiell so unterschieden als abgetrennte +Stadt vom eigentlichen Masr, während wir im Verlaufe +dieser Abhandlung mit Alt-Kairo das bezeichnen, was +orientalisch ist, und Neu-Kairo das nennen, was neu ist, also +vorzüglich den Stadttheil Ismaelia) es ebenfalls.</p> + +<p>Geht man von der Esbekieh aus über den Abdin-Platz bei +der Sitti Seinab vorbei, so befindet man sich angesichts des +protestantischen und katholischen Kirchhofs und angesichts jenes +Riesen-Aquaducts, den Saladin herstellen ließ, um dadurch die +Befestigungen der Citadelle zu vervollständigen. Diese Wasserleitung +ruht auf 289 Bogen und hat eine Länge von etwas +über 2 Quadrat-Meilen. Eine schattige Alle führt, sobald man +unter der Wasserleitung durch ist, nach Masr el Attikah.</p> + +<p>Von den 8 christlichen Kirchen, welche hier sind, ist für den +Fremden die am interessantesten, in welcher das Häuschen sich +befindet, worin nach der Legende die heilige Familie geweilt +haben soll; sie gehört den nichtunirten Griechen.</p> + +<p>Gegenüber liegt die Insel Rhoda, welche zwar nicht zur +Stadt Kairo gehört, aber wegen des hier befindlichen Nilmessers, +Mekias von den Eingeborenen<a name="FNanchor_58_58" id="FNanchor_58_58"></a><a href="#Footnote_58_58" class="fnanchor">[58]</a> genannt, welcher sich +ursprünglich in Memphis befand, wird gewiß jeder Europäer, +der als Reisender nach Aegypten kommt, zur Insel hinüberfahren.</p> + +<p>Aber auch auf dieser Insel giebt es prächtige Paläste und +Gärten, namentlich der Palast von Ibrahim Pascha ist eines +Besuches werth. Auf dem südlichsten Ende der Insel befindet +sich eine Pulvermühle.</p> + +<p>Masr el Attikah ist mit Bulak durch eine Reihe schöner +Paläste, Villen und Gärten verbunden. Das Palais von +Soliman Pascha, unmittelbar am Nil gelegen, der Khalig-Kanal, +bei dem alljährlich die Festlichkeiten stattfinden, welche +bei der Nilüberschwemmung seit Tausenden von Jahren gefeiert +werden, eine große Salpeterfabrik, das große Hospital +Gasr el Ain, welches sowohl für Militär- als Civilpersonen +eingerichtet ist, endlich das große Schloß Gasr el Nil, ein +Hospital und eine ungeheure Kaserne, alle diese Bauten bereiten +den Wanderer gewissermaßen auf eine der kolossalsten +Thaten des Chedive vor, welche derselbe im Verlaufe seiner +so wirksamen und ruhmgekrönten Regierung hat ausführen +lassen. Wir meinen die feste Nilbrücke, im Februar 1872 +eingeweiht; sie hat eine Länge von 406 Meter, hat auf dem +rechten Nilufer eine Drehscheibe von 30 Meter Durchschnitt auf +einem Thurme ruhend, der 50 Fuß tief in das Nilbett eingesenkt +ist. Die Brücke hat 2,300,000 Frcs. gekostet. Ebenbürtig +stellt sie sich den besten Brückenbauten der civilisirten +Staaten an die Seite.</p> + +<p>Aber wir halten, am anderen Ufer des Nils angekommen, +an, denn die Beschreibung von Giseh, welches jetzt die +Abfahrtsstation für Ober-Aegypten mit der Bahn geworden ist, +die Pyramiden, auf der anderen Seite der versteinerten Welt +Matarieh und Heliopolis, die Abassieh und die heißen Bäder +von Hamman Heluan gehören nicht in den Rahmen dieses +Bildes, der ja nur eine Uebersicht von Kairo, wie es jetzt ist, +entwerfen sollte.</p> + +<p>Eigenthümlich genug, daß die Generalconsulate und politischen +Agenturen nicht in der Hauptstadt Aegyptens, sondern +in Alexandrien sind. Dasselbe sehen wir sich wiederholen am +westlichsten Punkte von Afrika, in Marokko, mit dem Unterschiede, +daß im Innern von Marokko überhaupt noch keine +Vertreter christlicher Mächte zu finden sind, während Tanger +von den Staaten, die sich am meisten für das Land interessiren. +Generalconsulate und Viceconsulate, beide von <i>einer</i> Macht, +beherbergt. Kairo hat blos Consulate.</p> + +<p>Der Grund dieser Abnormität, dieser stiefmütterlichen Behandlung +der Hauptstadt schreibt sich aus den alten Zeiten +her, wo der Christ sich jede Art roher Behandlung gefallen +lassen mußte. Wurde nun einmal ein einfacher Consul geohrfeigt +von einem Mameluk oder ägyptischen Pascha, so konnte +das eher verschmerzt werden; wurde aber ein Generalconsul +mit Füßen getreten, so mußte man schon Notiz davon nehmen<a name="FNanchor_59_59" id="FNanchor_59_59"></a><a href="#Footnote_59_59" class="fnanchor">[59]</a>. +Zudem konnte ein Generalconsul eher in einer Hafenstadt geschützt +werden, als im Innern des Landes.</p> + +<p>Da aber alle diese Ursachen längst aufgehört haben, so +sollte auch jener abnorme Zustand aufhören. Oder denkt man +vielleicht, mit der Souveränität von Aegypten müßten ohnedies +neue diplomatische Verbindungen eintreten und die Unabhängigkeit +des Landes werde wohl nicht lange mehr auf sich warten +lassen? Das einzige Land Persien hat sein Viceconsulat in +Alexandrien, sein Generalconsulat aber in Kairo, und auch dies +bestätigt meine vorhin ausgesprochene Ursache.</p> + +<p>Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften in Kairo haben +fast alle ihre eigenen Kirchen, so die katholische der Väter des +heiligen Grabes, die unirten Griechen, die orthodoxen Griechen, +die katholischen Armenier, die nichtkatholischen Armenier, die +unirten Syrier, die katholischen Maroniten, die reformirten +deutsch-französischen Christen, die amerikanischen Protestanten, +die katholischen Kopten und die Jesuiten.</p> + +<p>Auch die Juden theilen sich in Talmudisten und Thoraimisten, +d.h. solche, welche nur das Gesetz Moses anerkennen.</p> + +<p>Das Schulwesen in Kairo hat einen ganz neuen Aufschwung +genommen unter der umsichtigen Leitung des Schweizers, Herrn +Dohr. Sein Hauptstreben ist dahin gerichtet, die weibliche +mohammedanische Jugend der Bildung theilhaftig werden zu +lassen, derer sie bedarf, und wenn dies gelingt, so ist damit +ein Hauptfactor zur wirklichen Civilisation des ganzen Volkes +gegeben.</p> + +<p>Hospitäler giebt es zwei, das schon genannte in Gasr el +Nil, welches jährlich an 5000 Kranke aufnimmt, und das +europäische, dessen Kranke in den Flügeln des großen Gasr +el Ain untergebracht werden. Die Aufnahme der Kranken +ist hier nicht gratis, sondern der Patient zahlt je 12, 6 und +3 Frcs. für den Tag. Dies Hospital steht unter Aufsicht eines +der Consuln, welche zu diesem Zwecke einen der Ihrigen alljährlich +hierzu auserwählen.</p> + +<p>Sollen wir schließlich noch ein Wort über die Absteigequartiere +der Europäer sagen, so beginnen wir mit dem sowohl +äußerlich, wie innerlich gleich großartig ausgestatteten +New-Hôtel, an der Esbekieh gelegen; es ist Eigenthum des +Chedive und wird besonders von nach Indien reisenden Engländern +besucht.</p> + +<p>Schaper's Hôtel, jetzt Herrn Zech, einem Schwaben, gehörig, +ebenfalls am Esbekieh-Platz gelegen, besonders von vornehmen +Reisenden frequentirt; Art und Weise durchaus englisch.</p> + +<p>Nil-Hôtel am Ende einer von der Muskistraße ausgehenden +Sackgasse, besonders von Deutschen und Nordamerikanern besucht, +mit reizendem Garten und trefflicher deutscher Bedienung +bei vorzüglicher französischer Küche.</p> + +<p>Andere Hôtels ersten Ranges, wie <tt>Hôtel d'Orient</tt>, <tt>Hôtel +des Ambassadeurs</tt>, <tt>Hôtel Royal</tt> sind gleichfalls zu empfehlen. +Auch gute Hôtels zweiten Ranges fehlen nicht, z.B. <tt>Hôtel +des Colonies, de France, des Princes, du Commerce</tt> u.a.</p> + +<p>Mit allen Hotels sind europäische Bäder verknüpft; von +den zahlreichen maurischen Bädern ist das den Europäern +am meisten zu empfehlende das Bad Tombaly nahe dem +Scharieh-Thore.</p> + +<p>Das ist das Kairo im Jahre 1875; heute schon halb eine +europäische Stadt, wird diese Stätte uralter ägyptischer Cultur—denn +Kairo ist doch eigentlich weiter nichts, als ein verjüngtes +Memphis—bald wieder ein neues, ganz der neuesten Civilisation +und Cultur sich anpassendes Kleid angelegt haben und +nach Abschüttelung des Staubes und der Asche wie ein Phönix +aus derselben emporsteigen.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_50_50" id="Footnote_50_50"></a><a href="#FNanchor_50_50"><span class="label">[50]</span></a> Uebersetzung nach Wetzstein; andere übersetzen auch "die Siegerin".</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_51_51" id="Footnote_51_51"></a><a href="#FNanchor_51_51"><span class="label">[51]</span></a> Ich folge <i>hier</i> der Schreibweise Wetzsteins.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_52_52" id="Footnote_52_52"></a><a href="#FNanchor_52_52"><span class="label">[52]</span></a> Es ist dies in sofern interessant, als das Umgekehrte Regel ist, wenigstens +in der Neuzeit. Von verschiedenen Völkern wird das türkische Reich +nach seiner Hauptstadt Stambul genannt, also das Land nach der Hauptstadt. +Im ganzen Orient benennt man das Kaiserreich der Preußen nach +seiner alten Hauptstadt Muscu. Wir selbst nennen die Berberstaaten +Tripolis, Tunis, Algier nach ihren Hauptstädten. In Deutschland haben +die kleinen Länder fast alle ihre Benennung nach den Hauptstädten.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_53_53" id="Footnote_53_53"></a><a href="#FNanchor_53_53"><span class="label">[53]</span></a> Aufgepaßt, aufgepaßt, rechts Herr, links!</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_54_54" id="Footnote_54_54"></a><a href="#FNanchor_54_54"><span class="label">[54]</span></a> Weiblicher Plural von Moslim.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_55_55" id="Footnote_55_55"></a><a href="#FNanchor_55_55"><span class="label">[55]</span></a> Was das anbetrifft, so müssen wir doch anderer Meinung sein. +In einem Lande, wo eigentlich nur <i>ein</i> Kaufmann ist, nämlich der +Chedive, kann von Handelsfreiheit nicht wohl die Rede sein.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_56_56" id="Footnote_56_56"></a><a href="#FNanchor_56_56"><span class="label">[56]</span></a> Siehe p. 275: <tt>guide annuaire par Fr. Levernay</tt>.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_57_57" id="Footnote_57_57"></a><a href="#FNanchor_57_57"><span class="label">[57]</span></a> Uebersetzung von Lorsbach p. 519.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_58_58" id="Footnote_58_58"></a><a href="#FNanchor_58_58"><span class="label">[58]</span></a> [Greek: neiloschopion] der Griechen.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_59_59" id="Footnote_59_59"></a><a href="#FNanchor_59_59"><span class="label">[59]</span></a> Der Schlag mit dem Fliegenwedel ins Gesicht des französischen +Consuls in Algier führte zur Unterwerfung der Regentschaft; leider wurden +ähnliche Insulten von anderen Mächten nicht so energisch geahndet, sonst +hätte das Piratenwesen etc. nicht aufkommen, wenigstens nie eine solche +Macht werden können und die schändliche Menschenräuberei, welche bis +1830 trotz der europäischen Mächte von den muselmanischen Beys und +Deys betrieben wurde, wäre viel eher unterdrückt und ausgerottet worden.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch11_Meine_Heimkehr_aus_der_Libyschen_Wuste" id="Ch11_Meine_Heimkehr_aus_der_Libyschen_Wuste"></a>11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste.</h2> + + +<p>Schon einen halben Tag vorher, als wir noch inmitten der +ödesten Steinwüste waren, bemerkten wir die Nähe des lebenspendenden +Nilthales. Es war gegen 2 Uhr Nachmittags, und +in verschiedenen Gruppen zu Fuß gehend waren wir den langsamen +Kamelen vorausgeeilt; wir unterhielten uns gerade +über die Möglichkeit, noch am selben Abende oder früh am +Morgen an's Nilthal zu kommen, als lautes Gejodel hinter +uns ausbrach. Es waren unsere Diener, die nun heranstürmten +und uns auf eine hohe Dampfsäule aufmerksam machten, +die gerade vor uns im Osten majestätisch gen Himmel aufwirbelte. +Sie konnte nur aus einem jener Fabrikschornsteine +herrühren, welche man jetzt in Aegypten, vom Delta an bis +nach Assuom hinauf, als Zeugen einer höheren Kultur antrifft.</p> + +<p>Mit erneuertem Eifer eilten wir voran und eine Stunde +vor Sonnenuntergang hatten wir den Rand der Sahara, das +felsige Steil-Ufer des Nil, erreicht. Ja, auf einem erhöhten +Vorsprunge konnten wir, in weiter Entfernung allerdings, den +Nil selbst und seinen grünen Rahmen, die schlanken Palmen, +erkennen. Sobald die Kamele herangekommen waren, wurde +dann noch mit Vorsicht der Abstieg ausgeführt, wollten wir +doch vor allen Dingen noch am selben Abende der traurigen +Hammada (steinigen Hochebene) entfliehen und der Wüste für +immer Lebewohl sagen.</p> + +<p>Aber wenn wir auch die Genugthuung hatten, am Fuße +des felsigen Ufers unsere Zelte aufschlagen zu können, so war +es doch zu spät geworden, um das eigentliche Nilthal, das, +welches unter der unmittelbaren Einwirkung des belebenden +Wassers steht, erreichen zu können. Die Schwierigkeiten, die +beladenen Kamele durch die enge, abschüssige Felsspalte hinabzutreiben, +waren so groß, daß es schon dunkelte, als wir +unten am Ausgange der majestätischen Schlucht ankamen. +Aber ein prachtvoller Lagerplatz war es. Da standen unsere +Zelte am Fuße der jäh abfallenden Kalkwände, vor uns öffneten +sie sich, der Ausgang winkte uns Leben entgegen, hinter +uns thürmten sie sich himmelhoch auf, eine riesige Mauer als +Scheidewand der ewig todten Sahara vom fruchtbarsten Thale +der Welt. Und nun ging der Mond auf und ergoß sein +Licht über unser malerisches Lager; die Feuer prasselten, behaglich +hatten sich die müden Kamele in den weichen Sand +gestreckt und zermalmten langsam ihr wohlverdientes Futter; +die deutschen Diener provocirten jubelnd durch Revolver und +Gewehrschüsse das vielfache Echo, während wir Anderen uns +vor unsere Zelte gesetzt hatten und die Freuden der Nilreise +erwogen, welche wir sicher schon am andern Tage antreten zu +können hofften.</p> + +<p>Das war unser letztes Lager, unsere letzte Wüstennacht, +die gewiß Jedem von uns unvergeßlich sein wird.</p> + +<p>Früher als sonst waren wir am anderen Morgen bereit. +Schnell wurden die Zelte gerollt, die Kamele beladen und +vorwärts ging es. Aber so schnell war dennoch Esneh, wo +wir uns einzuschiffen hoffen konnten, nicht erreicht. Wir waren +allerdings im Nilthale, aber noch weit von Esneh, dessen +Palmen noch nicht einmal zu sehen waren. Ein regelrechter +Tagemarsch mußte noch zurückgelegt werden und zwar kein +angenehmer, denn das Thermometer zeigte im Schatten über +30 Grad. Indeß zogen wir immer längs der fruchtbaren +Nilfelder nach Süden und rechts das hohe Ufer bot in seiner +wechselvollen Form Unterhaltung genug, um die Zeit rasch +schwinden zu machen.</p> + +<p>Nachmittags erreichten wir denn auch die ersten menschlichen +Bauten, zwar nur Ruinen, aber interessanter Art. Es +waren die Reste eines ehemaligen bedeutenden koptischen Klosters, +welches auch heute noch für die ägyptischen Christen ein berühmter +Wallfahrtsort ist. Hierher kam in der Mitte des +vierten Jahrhunderts der Pater Pachomius, ein Held der +koptischen Kirche. Die Kirche des Klosters, eine Rotunde, ist +noch gut erhalten, ja einige Zellen, mit Matten belegt, geben +Zeugniß, daß manchmal Tage lang noch Gottesdienst hier +verrichtet wird. Einige in Stein gehauene griechische Inschriften +deuten auf das hohe Alter des merkwürdigen Klosters +hin. Am interessantesten sind aber die hübschen Mausoleen in +der Nähe des Klosters; hier ruhen die Gebeine der christlichen +Märtyrer, welche im Jahre 303 n. Chr. auf Befehl vom +Kaiser Diocletian hingerichtet wurden. Reizende Grabkapellen, +deren hübsche architektonische Formen sich nur vergleichen +lassen mit der berühmten Nekropolis in Chargeh und die um +so bemerkenswerter sind, weil sie zu den wenigen Bauüberresten +gehören, welche aus <i>ungebrannten</i> Thonziegeln errichtet +sind.</p> + +<p>Jetzt tauchten auch die Gärten von Esneh auf und bald +darauf erblickte man die größeren Gebäude und die schlanken +Minarets der Moscheen. Unser Factotum, Mohammed Daud, +hatte ich vorausgeschickt, um uns beim Mudir anzumelden, und +eine halbe Stunde vor der Stadt kam uns auf einem prächtigen +weißen Berberhengste der Unter-Mudir entgegen, um uns +willkommen zu heißen. Zittel und ich waren vorausgegangen +und betraten bald darauf das hübsche Lustschloß des Chedive, +unmittelbar am Nil gelegen.</p> + +<p>Sobald wir im Schlosse, welches der Chedive ganz zu +unserer Verfügung gestellt hatte, eingerichtet waren, namentlich +Jeder von uns sein Zimmer in Besitz genommen hatte, stellten +sich die Honoratioren der Stadt ein und im großen Saale +wurde Empfang gehalten. Wir aber forschten vor Allem, ob +in Esneh ein Trunk Bier zu haben sei, und siehe da, die Stadt +erwies sich in dieser Beziehung sehr civilisirt, denn bald darauf +standen vermiedene Flaschen Ale auf dem Tische. Seltsames +Verlangen, welches wohl nur der Deutsche, vielleicht auch der +Engländer besitzt—ich glaube, in Esneh ist während der +kurzen Zeit unseres Aufenthalts so viel Bier wie nie vorher +verkauft worden.</p> + +<p>Das Schloß des Vicekönigs war reizend gelegen, obschon +es sich sonst keineswegs durch architektonische Schönheit auszeichnete. +Von Mohammed Ali erbaut, der fast jeden Winter +einige Monate in Esneh zuzubringen pflegte, zeigt es im Allgemeinen +dieselbe Anordnung der viceköniglichen Palais aus +jener Periode, d.h. länglich viereckig ist das innere Parterre +durch ein großes Kreuz getheilt. Sonderbare Vorliebe, welche +die Aegypter für's Kreuz besitzen, denn sogar die berühmte +Mulei-Hassan-Moschee in Kairo zeigt ja, wie ich früher schon +erwähnte, in der Grundform ein Kreuz. In der Bel-Etage war +ein großer Saal mit verschiedenen Zimmern daneben; letztere +hatten wir unter uns vertheilt; der Salon, nach türkischer +Sitte nur mit einem Divan, der sich rund um die Wände +zog, möblirt, diente als gemeinsames Speisezimmer und als +Empfangszimmer. Die Teppiche waren überaus schön und +auch die Möbelstoffe, Gardinen etc. waren einst schön gewesen, +aber vom Zahne der Zeit etwas angegriffen.</p> + +<p>Ich schlief in der ersten Nacht im Bette Mohammed Ali's, +aber in den folgenden Nächten zog ich mein Feldbett doch +vor. In den Wandschränken der Zimmer fand sich überdies +der reichste Vorrath von Leinenzeug, seidenen und wollenen +Decken, Kissen etc., vielleicht seit zwanzig Jahren unberührt +liegend, denn der jetzige Chedive und seine beiden Vorgänger +haben nie in diesem Palaste genächtigt.</p> + +<p>Ringsum ist ein reizender Garten, da wetteifern Palmen +mit Oliven, Feigen mit Agaven, Granaten mit Orangen in +ewig grüner Pracht, wer am ersten seine duftenden Blüthen +offenbaren soll. Und vor dem Palais selbst ist, ehe man zu +den Fluthen des Nils kommt, ein zweiter schöner Platz, stets +schattig, denn herrliche Lebek-Akazien überwölben ihn.</p> + +<p>Unsere Freude, den Nil erreicht zu haben, wieder in civilisirter +Umgebung sein zu können, wurde aber etwas getrübt, +weil kein Dampfer, um uns zu holen, gekommen war. Leider +war der Brief, den ich von der Jupiter-Ammons-Oase aus +an unseren Generalconsul in Alexandrien geschickt hatte, acht +Tage später angekommen, durch die unverzeihliche Nachlässigkeit +des arabischen Boten, welcher geglaubt hatte. "Acht Tage +früher oder acht Tage später, was macht das aus?" So +fanden wir nur ein Telegramm vor, welches besagte, es sei +Befehl gegeben, uns von Assuan her eine Dahabieh zu besorgen, +da Dampfer des niedrigen Wasserstandes wegen nicht +mehr fahren könnten. Letzteres war nun allerdings eine Unwahrheit, +aber jedenfalls war die Zeit zu kurz geworden, um +jetzt noch einen Dampfer von Kairo zu erwarten.</p> + +<p>Wir mußten uns also mit Geduld in unser Schicksal ergeben +und Jeder nutzte die Zeit aus, so gut es ging. Zittel +durchforschte noch einmal die interessanten Schichten des Nilufers, +Jordan operirte mit dem Theodolit, Ascherson suchte +mit seinem Diener Korb Pflanzen und Herr Remelé photographirte +im Tempel; nur ich selbst hatte meine Thätigkeit geschlossen, +denn mit der Erreichung des Nils hatte die Reise +ihr Ende erreicht. Aber ganz unthätig war ich auch nicht, +lag mir doch ob, unsere ganze Expedition noch stromabwärts +bis zum Mittelmeere zu führen, und da gab es noch Mancherlei +zu besorgen und anzuordnen.</p> + +<p>Esneh mit circa 7000 Einwohnern ist günstiger gelegen, +als Siut, insofern als es unmittelbar am Nil liegt, aber +dennoch ist letztere Stadt bedeutend wichtiger für Handel und +Wandel. Der jetzige Name Esneh ist der alte, ursprünglich +ägyptische, wie Quatremère und Champollion aus koptischen +Urkunden nachgewiesen haben. Letzterer bringt das Wort mit +<tt>Sna</tt> was auf koptisch Garten bedeutet, in Verbindung. Der +griechische Name Latopolis kommt, wie Strabo (Bd. XVII, +S. 817) sagt, von der Verehrung des Fisches Latos her, dem +hier mit Minerva göttliche Ehre erwiesen wurde. Dies bezeugt +der prächtige Tempel, dessen Vorhalle, unter Mohammed Ali's +Regierung bloßgelegt, zu den wohlerhaltensten Denkmälern +gehört, welche Aegypten besitzt.</p> + +<p>Im Ganzen genommen liegt Esneh äußerst malerisch auf +circa 25-30 Fuß hohem Nilufer. Der Palast des Chedive, die +große Cavallerie-Caserne, welche jetzt allerdings leer steht und +welcher der Verfall droht, das Mudirats-Gebäude, die Wohnung +des Schich el Bled, alle am Nil gelegen, dann die +große Zahl der imposanten und bunt bekalkten Taubenschläge +verleihen der Stadt ein größeres Aussehen, als sie in Wirklichkeit +hat. Ich habe früher schon dieser colossalen Taubenschläge +erwähnt; ein einziger solcher Thurm, viel luxuriöser +gebaut, als die danebenstehende menschliche Wohnung, beherbergt +oft 500 und mehr Tauben. Hauptzweck der Taubenzucht +ist die Erzielung von Guano, und Leute in Esneh gaben +mir die Versicherung, daß der Jahresbetrag eines großen +Taubenschlags oft für 40 bis 50 Ducaten Guano betrage. +Man sieht also, daß nicht allein die Gewässer des Nils es +sind, welche die fruchtbaren Fluren erzeugen, sondern daß auch +noch durch Dünger nachgeholfen werden muß.</p> + +<p>Und da ich doch einmal bei den Tauben verweile, möchte +ich hier die interessante, schon von Darwin mitgeteilte Thatsache +hervorheben, daß die Tauben, um zu trinken, direct in +den Nil fliegen; natürlich gehen sie in so seichtes Wasser, daß +sie Grund finden. Aber wie lange wird es dauern und Gewohnheit, +Notwendigkeit und Zuchtwahl werden zusammenwirken, +es werden sich Schwimmhäutchen an den Füßen bilden +und nach 10,000 Jahren oder mehr hat Aegypten vielleicht +schwimmende Tauben.</p> + +<p>Eine Eigenthümlichkeit hat Esneh noch, welche sich vielleicht +in den anderen ägyptischen Städten auch findet, aber nicht so +hervortritt, nämlich ein ganzes Viertel, wo nur Hetären wohnen. +In der Nähe sind türkische Kaffeehäuser und von da +konnten wir die interessantesten Beobachtungen anstellen. Da +sah man eine ganze ethnographische Musterkarte weiblicher +Geschöpfe: hier eine blendend weiße Deltabewohnerin, vielleicht +mit tscherkessischem Blute in ihren Adern, dort eine pechschwarze +Dame aus Fur, hier eine rothe Dongolanerin, dort eine Fellahin +aus dem Nilthal mit goldgelber Haut und großen schwarzen +Augen, hier eine Jüdin, dort eine Christin, hier eine +Mohammedanerin, dort eine Schwarze, welche vielleicht noch +Heidin war, kurz, fast alle Racen, jedes Alter und jede Religion +war vertreten.</p> + +<p>Wir luden diese zuvorkommenden Wesen ein, uns im +Palais einen Besuch zu machen, aber da erfuhren wir, daß +sie aus der Grenze ihres Stadtviertels ohne besondere Erlaubniß +des Gouverneurs nicht herausgehen durften. Unser Photograph, +Herr Remelé, wollte nämlich ein Gesammtbild dieser +ethnographisch interessanten Frauen herstellen. Die Erlaubniß +war indeß schnell erwirkt. Unter Führung des Unter-Mudir +und verschiedener Polizisten erschienen sie Nachmittags, gewiß +30 an der Zahl, im Garten des chedivischen Palais. Alle +waren im höchsten Putze und die Aermste hatte mindestens +40-50 Goldstücke zu einer Kette vereint um den Hals. +Große goldene und silberne Armbänder, Fußspangen, bunte +Kleider, goldgestickte Schuhe, Alles hatten sie angethan, um +möglichst vorteilhaft zu erscheinen. Natürlich mußte die +Sitzung bezahlt werden, aber es gelang Herrn Remelé doch, +zwei höchst gelungene Aufnahmen zu machen.</p> + +<p>Sonst hat die Stadt nichts von Interesse; der Marktplatz, +die Buden, die Straßen sind eng und klein, aber es ist Alles +zu haben. Mehrere von Griechen gehaltene Schenken sind mit +leiblichen Bedürfnissen aller Art wohl versehen.</p> + +<p>Doch noch einmal kehren wir zurück zu dem Tempel, der +gleich hinter dem Marktplatze gelegen ist und sicher zu den +staunenswertesten Denkmälern Aegyptens gehört. Dabei kam +mir der Gedanke, wie angenehm es für uns gewesen war, diese +alten ägyptischen Bauten immer in aufsteigender Weise kennen +gelernt zu haben. Nachdem wir zuerst auf unserer Hinreise die +ziemlich kunstlos gearbeiteten Hypogeen (Katakomben) von +Beni Hassan, die Grüfte von Siut, gesehen, waren wir zum +kleinen Tempel in Dachel, dann aber zum viel prächtigeren +großen von Chargeh gekommen und nun hatten wir hier ein +Werk vor uns, das uns die Pracht und die Herrlichkeit der +ägyptischen Baukunst auf's Vollkommenste vergegenwärtigte. +Leider ist der größte Theil des Tempels noch unter Schutt, +nur der Porticus ist zugänglich. Aber seine gewaltigen Dimensionen +deuten genugsam auf die bedeutenden Bauten hin, +welche uns augenblicklich der neidische Boden zusammengefallener +Hütten und Häuser verbirgt.</p> + +<p>24 Säulen, über 33 Fuß hoch, in vier Reihen stehend, mit +einer Peripherie von 16 Fuß jede Säule, lassen in diesem +Vortempel nur ahnen, welche großartige Verhältnisse dahinter +liegen. Die französische Expedition schätzt die Grundfläche des +ganzen Tempels auf 5000 Quadratmeter, und Alles ist mit +Hieroglyphen und bildlichen Darstellungen bedeckt. "Könnte +ein Steinmetz auch ein Zehntel Quadratmeter in <i>einem</i> +Tage mit solchen Hieroglyphen bedecken, so wären doch +50,000 Tage zur Beendigung der ganzen Decoration nöthig<a name="FNanchor_60_60" id="FNanchor_60_60"></a><a href="#Footnote_60_60" class="fnanchor">[60]</a>."</p> + +<p>Man sieht überall den Widderkopf des Jupiter Ammon; +auch über der Thür, welche ins Innere des Tempels führt +und die vermauert ist, sieht man ein widderköpfiges Bild. +Die Säulen, deren Architrav, die Decke des Tempels sind alle +wohl erhalten und die <i>erhaben</i> gearbeiteten Hieroglyphen im +Innern des Porticus sind von einer Genauigkeit der Arbeit, +als ob sie erst gestern aus der Hand des Künstlers hervorgegangen +wären. Warum sind in dem Innern der Tempel +die Hieroglyphen erhaben, an der äußeren Seite aber meist +vertieft gearbeitet? Das sind Fragen, die Einem einfallen; +vielleicht hat ein Brugsch oder Lepsius, oder gar schon Champollion +darauf geantwortet. Ich weiß es nicht, ich verweise +daher den, der sich mit diesen Gegenständen eingehend beschäftigen +will, auf die dahin einschlägige Literatur. Interesse +hat eine solche Baute gewiß für Jedermann; auch der Gleichgültigste +muß bewundern und selbst der blasirteste Mensch +muß verstummen unter dem mächtigen Eindrucke dieses Menschenwerks. +Schade, daß die Dunkelheit nicht erlaubt, die +Deckengemälde genauer zu betrachten, wo namentlich ein +Thierkreis, durch die Sauberkeit seiner Arbeit ausgezeichnet, +von großem Interesse sein soll. Ich habe ihn nicht gesehen; +die Dunkelheit wird hervorgebracht durch Schutt, der, fast so +hoch wie der Tempel selbst, davor liegt; man muß mittelst +einer Treppe hinabsteigen.</p> + +<p>Fünf Tage waren wir in Esneh, von Assuan kam immer +noch kein Schiff. Am vierten Tage aber hatten wir schon +einen Entschluß gefaßt. Vertraut mit den Versprechungen, +welche ägyptische Beamte zu machen, aber nicht zu halten +pflegen, hatten wir eingesehen, daß auf eine Dahabieh nicht +zu rechnen sei. "Kairo ist weit und der Chedive thront hoch", +denken auch die ägyptischen Mudire in Oberägypten. Möglich, +daß keine Dahabieh in Assuan zu haben war, möglich, daß +man dahin noch gar nicht um eine solche telegraphirt hatte; +genug, es kam keine.</p> + +<p>Aber in Esneh selbst fanden sich zwei allerdings kleine, +aber doch taugliche Schiffe, und mit Hülfe des Mudir wurden +sie gemiethet. Der Mudir verstand etwas Englisch und war +einer der besten ägyptischen Provinzialbeamten, den ich noch +gesehen hatte: Wie fein und "<tt>gentlemanlike</tt>" war sein Benehmen +gegen das des Siuter Mudir, der ein ehemaliger +Sclave von Abbas Pascha war! Der Mudir von Esneh +hatte aber auch früher an der Spitze der Asisieh-Dampfer-Compagnie +gestanden, er war noch früher See-Capitain gewesen +und hatte als solcher die Welt kennen gelernt.</p> + +<p>Auch die anderen Honoratioren der Stadt waren ordentliche +Leute. Da war der Unter-Mudir, ein sehr gefälliger +Mann; da war der Medicinalrath, der etwas Französisch redete, +sich auch eine ägyptische Zeitung, die in französischer Sprache +erschien, hielt, sie nur nie las. Er war so liebenswürdig, sie +mir täglich zu schicken, aber ich gestehe, nachdem ich einige +Mal dies Blatt, "<tt>l'Egypte</tt>" genannt, durchgesehen hatte, stand +ich ebenfalls davon ab, es zu lesen. Kann man sich einen +langweiligeren Inhalt denken: einige amtliche Bekanntmachungen, +Auszüge aus den Verhandlungen irgend welcher obscurer +französischer Gesellschaften, irgend ein französischer Sensationsroman +und einige Annoncen. Selbst telegraphische Berichte +waren nicht einmal vorhanden und politische Nachrichten, Leitartikel +oder sonstige Raisonnements fehlten gänzlich. Glückliche +ägyptische Beamte, die mit einem solchen officiellen Blatte abgespeist +werden, "<tt>l'Egypte</tt>" ist das Organ der Regierung.</p> + +<p>Da war dann noch der Mufti, der Kadhi, der Schich el +Midjelis<a name="FNanchor_61_61" id="FNanchor_61_61"></a><a href="#Footnote_61_61" class="fnanchor">[61]</a>, der Ukil<a name="FNanchor_62_62" id="FNanchor_62_62"></a><a href="#Footnote_62_62" class="fnanchor">[62]</a> des Palais des Vicekönigs und einige +andere Notablen, die uns alle Abende einen Besuch machten; +aber einen kurzen, das muß ich zu ihrer Ehre nachrühmen; +die langen Sitzungen, wie sie uns von der Behörde in Dachel +täglich aufoctroyirt wurden, hatten wir hier nicht mehr zu +erdulden.</p> + +<p>Bezaubernd in gewisser Weise waren auch die Tage in +Esneh, so recht für's <tt>Dolce far niente</tt> angethan. Wenn des +Morgens in die offenen Fenster hinein die sich mischenden +Düfte des Jasmin und Orangenbaumes zogen, wenn die +Schwalben ihr jubelndes Zwitschern erschallen ließen und wir +selbst, Zittel und ich, uns auf die Terrasse begaben, um in +aller Ruhe Kaffee zu schlürfen, zu schreiben oder zu lesen,—oder +aber, wenn Abends die Sonne sich hinter die Nilufer +gesenkt hatte und nun die gegenüberliegenden weißlichen Kalkberge +in den herrlichsten Farben geschmückt prangten, der +Himmel und der Nil selbst von ganz anderen Tinten übergossen +erschien, als man es je anderswo schauen mag—so +ließen alle diese Bilder Eindrücke zurück, welche nur Der zu +würdigen weiß, der selbst Aehnliches erlebt und gesehen hat.</p> + +<p>Mittags hatten wir die Dahabiehen gemiethet, Nachmittags +um 5 Uhr konnten wir schon abfahren. Aber die Dahabiehen +sind keineswegs alle von gleicher Beschaffenheit. Man hat sehr +große und schöne, so wie die europäischen Nilreisenden sich +dieselben in Kairo zu einer Reise auf dem Nil miethen; man +hat kleinere für eingeborene Reisende und solche, die gleichsam +für den Waarentransport eingerichtet sind.</p> + +<p>Uns standen zwei kleinere zu Gebote, die mit vielen Nachtheilen +den Vortheil verbanden, daß sie schneller fortzubewegen +und besonders, daß sie bedeutend billiger waren, als die großen +Dahabiehen. Wir verteilten uns also in die zwei Schiffchen +und zwar so, daß Zittel, Ascherson und ich mit zwei +europäischen Dienern das eine, Herr Remelé und Jordan +mit drei ebenfalls europäischen Dienern das andere Schiff +einnahmen. Räumlich waren letztere besser daran, als wir, +denn bei gleich großen Cajüten waren sie zu Zweien, wir aber +zu Dreien. Jedes Schiff hatte nämlich an seinem hinteren +Theile zwei kleine Cabinen; in unserem bezogen Zittel und ich +die eine, Ascherson die andere; letztere diente zugleich als +Speisesaal und als Ort, wo unsere Kisten standen; beide Cajüten +waren durch einen nicht näher zu bezeichnenden Ort getrennt, +dessen unangenehme Einschaltung wir aber dadurch +unschädlich machten, daß wir uns Allen den Zutritt verboten.</p> + +<p>Oben auf den beiden Cajüten wurde gesteuert, dort schliefen +der Rais, unsere beiden europäischen Diener und der Schich +unserer eingeborenen Leute. Die Mitte des Schiffes hatte +Raum für den Mastbaum, für drei improvisirte Bänke, welche +die sechs Ruderer inne hatten, und unter Deck war unsere +Bagage; ganz am Vordertheile des Schiffes befand sich eine +Art von Küche. Das war die Einrichtung des Schiffes. An +Möbeln hatten wir Feldtische und Stühle von einem Dampfschiffe +des Chedive, welches vor Kurzem bei den Ssilsilla-Bergen +oberhalb Esneh gescheitert war. Unsere eignen Feldstühle +waren durch die Reise ganz unbrauchbar geworden.</p> + +<p>An Proviant hatten wir drei Schafe, mehrere Puter, Eier, +Mehl, Butter, Reis, Linsen, Brod, Kaffee, Wein und Bier; in +dieser Beziehung waren wir also wohl versorgt, und um ja zu +vermeiden, daß an Bord des anderen Schiffes nicht Unzufriedenheit +ausbräche, theilte ich die Lebensmittel und Getränke +stets so, daß jedes Schiff die Hälfte bekam, trotzdem wir zu +drei Herren, das andere Fahrzeug aber nur mit zweien besetzt +war.</p> + +<p>Langsam entschwand Esneh unseren Blicken. Es war der +erste Abend, den wir wieder auf dem Nil verlebten, ein herrlicher +in jeder Art, und nun konnten wir auch schon mit ziemlicher +Gewißheit vorher berechnen, wann wir in Kairo, wann +wir in Alexandria und wann wir in Neapel sein würden, +besonders Zittel und ich, die wir gemeinsam zurückreisen wollten, +wir gaben uns oft diesem frohen Gedanken hin. Da +saßen wir nun oben auf der Cabine, ein Glas Bier vor uns, +schauten auf die in prächtigen Farben schimmernden Berge, +auf die ruhigen Fluthen des Nil, auf die Barken, die leise +darüber hinglitten, auf die friedlichen Ufer, wo hier ein Schäfer +seine Heerde heimtrieb, dort Büffel, die das steile Gehänge +hinanklommen, hier Männer mit Sicheln bewaffnet, Heubündel +einheimsend, hier die jungen Fellahmädchen, die Kühe zum +Melken herantreibend,—ein Bild der Ruhe und des Friedens. +Und diese Leute sollen so bedrückt sein, daß sie kaum mehr +das Geld erschwingen können? So fragte ich mich beim Anblick +dieses Bildes. Es leuchtete doch nur Zufriedenheit und +Frohsinn aus aller Leute Gesicht. Hier wurde laut gelacht, +dort wurde gesungen. Wie stimmt das mit den Klagen über +unerschwingliche Steuern?</p> + +<p>Ach, es ist leider nur zu wahr, in Aegypten giebt es wohl +gar keine Gegenstände mehr, die unbesteuert sind und die +Steuern sind wirklich für das Volk fast unerschwinglich. Die +Zufriedenheit und der frohe Sinn, die ewige Heiterkeit der +armen Fellahin erklärt sich nur daraus, daß sie es nie besser +gewohnt waren. Seit mehr als 4000 Jahren immer im +Sclavenjoch, ist es einer Generation am Ende einerlei, ob sie +mehr bezahlen muß, als die andern früher bezahlten. Auch +die Väter haben keine Reichthümer gesammelt und haben, trotzdem +sie vielleicht weniger steuerten, auch nichts hinterlassen.</p> + +<p>Was war das? Da tönte von der anderen Barke mit +einem Male "Ein lustiger Musikante marschirte einst am Nil" &c. +herüber und hernach noch andere Lieder. Das Singen ist ansteckend; +wir antworteten und so etablirten sich Wechselgesänge +oder auch, wenn die beiden Barken ganz nahe waren, sangen +wir zusammen. Zittel mit seiner wirklich schönen Stimme +mußte die Palme zuerkannt werden,—doch nein, ich übertraf +ihn. Denn wenn ich mit der Kraft meines ganzen Körpers +und mit unbeschreiblichem Ausdruck mein Schnadahüpfln sang, +dann folgte immer ein allgemeines "bis, bis, noch ein Mal!" +Ja, wie von einem Niemann oder Betz, wie von einer Lucca +oder Patti (ich vereinige den Zauber und den Schmelz der +verschiedensten Stimmen, einerlei, ob aus männlichen oder +weiblichen Kehlen) wurde stets mein Lied drei oder vier Mal +zu hören verlangt.</p> + +<p>Die Nächte auf dem Schiffe waren nicht allzu angenehm. +Daß Ungeziefer der verschiedensten Art einheimisch war, sollten +wir bald genug erfahren, aber in unserem Fahrzeuge waren +außerdem noch Wasserratten, die auf lästige Art oft unseren +ohnedies nicht festen Schlaf störten. Ja, eines Nachts sprang +eine freche Ratte durch das kleine Fenster gerade auf mein +Gesicht und als ich erschreckt in die Höhe fuhr, mit einem Satze +auf Zittels Kopf, der dicht an meiner Seite schlief. Als sie +auch hier keinen angenehmen Empfang fand, verschwand sie in +unserem Brodkorbe, den sie sich als Lieblingsaufenthalt ausersehen +hatte.</p> + +<p>Das war die erste Nacht, aber man gewöhnte sich an derartige +Unannehmlichkeiten, und die mächtig wirkende Sonnengluth +bei Tage suchte man durch leichtere Kleidung zu dämpfen, oder +es wurde an seichten Stellen ein Bad genommen, das freilich +nur eine momentane Abkühlung bewirkte.</p> + +<p>Wir näherten uns Theben, wo reich die Wohnungen sind +an Besitzthum:</p> + +<div class="blockquot"><p>"Hundert hat sie der Thor', und es ziehen zweihundert aus jedem, +Rüstige Männer zum Streit mit Rossen daher und Geschirren."</p></div> + +<p>So singt Homer, aber ach!—nur Ruinen deuten heute noch +auf die einstige Größe der Stadt, nach der im grauesten Alterthume, +wie Herodot uns sagt, ganz Aegypten genannt wurde.</p> + +<p>Pocht nur, ihr modernen Städte und Staaten, auf eure +Unvergänglichkeit, du prahlerisches Rom mit deinen paar Tausend +Jahren nennst dich die "ewige Stadt". Blicke auf Theben +zurück, dem nicht einmal der Name geblieben ist. Ja, es ist +traurig, die heutigen Bewohner des Ortes kennen den Namen +Theben nicht. Angesichts der colossalen Ruinen, Angesichts +eines Tempels, in welchem der Dom von St. Peter fünfmal +stehen kann, ahnen sie nicht einmal die Bedeutung und die +Macht, die früher diese Stätte hatte.</p> + +<p>Man hätte es sich selbst nie verzeihen können, bei Theben +vorbeizufahren, ohne wenigstens die hauptsächlichsten Denkmäler +gesehen zu haben. "Auf Luxor zu halten!" riefen wir, und +siehe da: auf einem stattlichen Hause unmittelbar am Nil flatterte +eine große deutsche Fahne empor. Auf dem deutschen +Consulate hatte man zwei mit deutschen Flaggen versehene +Dahabiehen bemerkt, und da man ohnedies von unserer Ankunft +unterrichtet war, wollte uns der Consul dadurch eine Aufmerksamkeit +beweisen. Des Consuls Salutschüsse wurden von +unseren Schiffen sogleich erwidert und bald darauf legten wir +dicht bei seinem Hause vor Anker und begaben uns hinauf. +Ein liebenswürdiger Mann, dieser Vertreter Deutschlands, dem +nur Eins fehlt, nämlich Gehalt, was doch immerhin nothwendig +wäre bei der öfteren Repräsentation und der Gastfreundschaft, +welche dieser freundliche Kopte allen Deutschen erweist. Es +wäre dies um so wünschenswerther, als die Vertreter der +übrigen Mächte in Theben, z.B. die von England, Frankreich +und Oesterreich, auch Gehalt beziehen. Allerdings sind dort +keine Deutschen zu beschützen oder sonst irgendwie deutsche +Interessen wahrzunehmen, aber wenn man schon einmal die +Nothwendigkeit eines deutschen Consuls für einen Ort anerkannt +hat, dann soll man ihn auch honoriren.</p> + +<p>Es macht einen angenehmen Eindruck, im Hause des Consuls +einen europäisch eingerichteten Salon zu finden, an den +Wänden: unseren Kaiser, den Kronprinzen, die Schlachten mit +den Franzosen und verschiedene Photographien von Deutschen, +die Luxor, so heißt dieser Theil von Theben, wo die Consulate +sich befinden, besucht haben.</p> + +<p>Hier befindet sich auch das berühmte Fremdenbuch, worin +Engländer und Franzosen unsern Lepsius so begeiferten, indem +sie unkluger Weise ihm die Zerstörung der Ruinen schuld +gaben. Kindischere Bemerkungen über die Trümmerfelder von +Theben sind wohl nie geschrieben worden. Sie bedachten wohl +nicht, daß Theben schon zur Zeit Strabo's zerstört war. Strabo +(Bd. XVII, S. 816) sagt ausdrücklich: "Es ist mit Tempeln, +die größtenteils von Chambyses zerstört worden sind, erfüllet +und wird gegenwärtig als kleiner Flecken bewohnt &c." Also +schon vor ca. 1900 Jahren war Theben, so wie es heute ist, +aber vor ca. 3500 Jahren war es in seiner Glanzperiode, an +Rom dachte man damals noch nicht. Dies Fremdenbuch wurde +von Dümichen, als er unseren Kronprinzen auf seiner ägyptischen +Reise begleitete, an Lepsius geschickt, der es zurücksandte +mit der einfachen Bemerkung, er habe Kenntniß davon genommen. +Auf dem Consulate sind übrigens zwei Fremdenbücher, +ein allgemeines und ein nur für Deutsche bestimmtes. +Das allgemeine Album rührt noch aus der Zeit her, wo der +Consul verschiedene andere Nationen gleichzeitig mit vertrat.</p> + +<p>Das Verbrechen von Lepsius bestand in Wirklichkeit darin, +daß er viele der Tempel von Schutt reinigen ließ und zu der +Zeit die Erlaubniß erhielt, gefundene Kunstgegenstände nach +Berlin bringen zu dürfen; aber zerbrochen hat Lepsius nichts. +Eine solche Barbarei z.B., wie das Ausbrechen des Thierkreises +aus dem Tempel zu Dendera ist, ist nie von Deutschen +begangen worden. Derselbe ist jetzt im Louvre.</p> + +<p>Nach einem kurzen Besuche auf dem Consulate, wo der +übliche Kaffee, Scherbet und Araki geschlürft und ein Tschibuk +geraucht wurde, gingen wir sodann, den Tempel von Luxor zu +sehen und ritten darauf nach dem Heiligthum von Karnak, +dem größten Gebäude der Erde, welches jemals einer Gottheit +geweiht war. Da eine Beschreibung dieser Bauten mit ihren +Obelisken, Pylonen und Sphinxen nicht in meiner Absicht liegt, +so fahre ich gleich fort im Berichten unserer Erlebnisse.</p> + +<p>Wir waren Abends am Bord unseres Schiffes, schwelgend +in der Erinnerung an jene staunenswerten Kunstwerke längst +vergangener Generationen, nicht vergangener Völker, denn die +heutigen Nilthalbewohner sind doch am Ende nur die Abkömmlinge +jener Titanen, welche diese Riesenwerke aufbauten, +deren Kraft und Schönheit wir jetzt täglich zu bewundern Gelegenheit +hatten.</p> + +<p>Und der folgende Tag sollte fast einen noch größeren Genuß +gewähren: wir setzten hinüber auf die andere Seite des +Nils, auf die linke, um die Königsgräber, die Memnon-Colosse, +das Rameseum mit seinen herrlichen Bildwerken &c. in Augenschein +zu nehmen. Ein ganzer Tag ging damit hin und dennoch +sahen wir keineswegs alle Denkmäler, sondern nur die +bemerkenswerthesten. Dankend muß ich erwähnen, daß uns +vom Consulate ein sehr intelligenter Führer mitgegeben war, +ein geborener Schlauberger, der dadurch die Backschische der +Deutschen reichlicher zu fließen machen hoffte, daß er bei jeder +Gelegenheit, und wenn diese auch von einem Steingemäuer +(in Ermangelung eines Zaunes) gebrochen werden mußte, auf +die Franzosen schimpfte, wie er andererseits muthmaßlich nicht +verfehlte, auf die Deutschen zu schimpfen, wenn er Franzosen +zu führen hatte.</p> + +<p>Abends vereinigte uns ein solennes Souper auf dem Consulate. +Man muß aber ein solches Essen mitgemacht haben, +um über die Zahl der Gänge und Gerichte einen Begriff zu +erhalten. Einigermaßen wird man sich eine Idee machen +können, wenn ich sage, daß drei unserer complicirtesten Diners +zusammengesetzt etwa ein koptisches bilden würden. Um uns +besonders zu ehren und uns ganz in die koptische Sitte einzuführen, +hatte der Consul es auf einer messingenen Riesenschüssel +auftragen lassen, und während er selbst die Honneurs +machte, ohne am Essen Theil zu nehmen, bat er uns, mit den +Fingern zuzugreifen. Sein Sohn aber, ein liebenswürdiger +junger Mann, der gut Englisch und etwas Deutsch sprach, +nahm Theil an unserem Mahle. Als ich aber sah, daß einige +von unserer Gesellschaft über das adamitische Essen ungeduldig +zu werden anfingen (der Gang nach den Königsgrüften war +ganz danach gewesen, den Appetit mehr als gewöhnlich zu +reizen), bat ich den Consul, Messer und Gabeln bringen zu lassen, +und nun ging es rascher von Statten. Aber fast hätte man +sich diese wieder weggewünscht, denn es folgten so viele Gerichte, +so viele Speisen, daß es kaum möglich war, von allen +auch nur zu kosten. Rothwein, Champagner, dann und wann +ein Gläschen Araki, um den Magen zu schnellerer Bewältigung +der Speisen zu reizen, bildeten das Getränk und am Schlusse +selbstverständlich eine Tasse Mokka mit dem Tschibuk.</p> + +<p>Es war schon dunkel, als wir dankend vom Consul Abschied +nahmen, uns an Bord begaben und noch am selbigen +Abend abfuhren. Da erleuchteten, als wir dem Consulate +gegenüber waren, bengalische Flammen sein Haus und gluthübergossen +zeigte sich daneben der Tempel von Luxor mit +seinem hohen Obelisk, dessen Bruder jetzt auf dem Concordienplatze +in Paris steht. Flinten- und Revolverschüsse tönten +dazwischen als Gruß für uns in die Heimath. Aber diesmal +konnten wir den liebenswürdigen Consul überbieten, denn wir +hatten noch viel Magnesiumdraht übrig behalten: wie durch +Zauber erhellten wir die ganze Gegend mit sonnengleichem +Lichte, noch einmal sahen wir den Karnaktempel, Medinet Abu, +die Memnonssäulen, das Rameseum und alle die Herrlichkeiten +der alten hundertthorigen Stadt und dann war lautlose Stille +und tiefschwarze Nacht hüllte uns ein, selbst die Ruderer sangen +nicht, sondern trieben durch leise Ruderschläge die Schiffe gen +Norden.</p> + +<p>Nachts kamen die Schiffe meistens auseinander; das, worauf +Jordan war, hatte, weil es kleiner war, zwei Ruderer weniger; +der Rais (Capitain) schlief gern, das Fahrwasser schien er nicht +zu kennen, so daß es häufig aufrannte, aber des Morgens +kamen wir doch immer wieder zusammen.</p> + +<p>Unser Botaniker Abu Haschisch erwarb sich, wie überall in +den Oasen, so auch bei unseren Matrosen, schnell die Sympathie +derselben; sie hatten ein Gedicht auf ihn gemacht und +unterließen nicht, ihn mehrere Male täglich zu besingen. Da war +in ihrer Poesie von einem Garten, von Granatblüthen, von +Pflanzen, von einem Quell die Rede, und namentlich wurde in +gebundenen Worten sein Hemd besungen, welches diese Ehre +durch einen ungeheuren Tintenklecks erworben hatte. Am +Tage war nämlich die Hitze so groß, daß wir Alle, wie schon +erwähnt, in einem möglichst leichten Costüm auftraten.</p> + +<p>Hatten wir in Theben das großartigste der ägyptischen +Baukunst betrachten können, so bot uns Dendera Gelegenheit, +den Triumph der griechischen und ägyptischen Architektur zu +bewundern; denn der Denderatempel, vollkommen von Schutt +befreit und in allen Theilen erhalten, ist das Vollendetste, +was von den neueren ägyptischen Bauwerken noch erhalten +ist.</p> + +<p>Sodann fuhren wir ohne weiteren Aufenthalt (nur in +Girgeh wurde eine Stunde angehalten, um Proviant einzunehmen) +nach Siut, von wo aus unsere Expedition abgegangen +war. Obgleich wir in früher Morgenstunde, um 6 Uhr, landeten, +war Herr Khaiat, des deutschen Consuls Sohn, schon +in Homra, dem Hasenplatze von Sint. In der Erwartung, +daß wir kommen würden, hatte er die ganze Nacht dort zugebracht. +Hier hatten wir einen längeren Anfenthalt, Jordan +hatte noch eine astronomische Messung zu machen, sodann +waren noch sämmtliche Kisten, unsere Sammlungen enthaltend, +an Bord zu nehmen. Während der Zeit ließ es sich das Consulat +nicht nehmen, ein Frühstück zu arrangiren. Dem Consul +und seinem Sohne, welche von der koptischen zur reformirt-koptischen +Kirche übergetreten sind, pflichten wir den größten +Dank. Während der ganzen Expedition haben Beide mit +unermüdlicher Sorgfalt mit uns Verbindung gehalten, unsere +Post besorgt, uns Lebensmittel und Alles, was sonst nöthig +war, nachgeschickt. Ohne sie wäre der Verlauf der ganzen +Expedition keineswegs so zusammenhängend und ohne Störung +von Statten gegangen.</p> + +<p>Durch ihre Vermittlung gelang es uns auch, die Erlaubniß +zu bekommen, uns einem Dampfer eines Pascha's anhängen +zu dürfen, zwar nur bis Monfalut, aber wir gewannen +dadurch doch bedeutend an Zeit. Und dann erreichten +wir bald mit günstigem Chamsin-Winde<a name="FNanchor_63_63" id="FNanchor_63_63"></a><a href="#Footnote_63_63" class="fnanchor">[63]</a> Rhoda, die südlichste +Eisenbahnstation. Abends dort angekommen, gelang es uns +noch am selben Tage, alle unsere Bagage auszuladen und in +einem Gepäckwagen der Eisenbahn zu verpacken. Der Chedive +hatte uns bereitwilligst freie Fahrt bis Kairo bewilligt. Die +Nacht, welche wir in zwei Zimmern des Stationsgebäudes zubrachten, +gehörte allerdings nicht zu den angenehmsten: Schnaken +und tausend Insecten plagten uns derart, daß an Schlaf +nicht zu denken war.</p> + +<p>Anderen Tages fühlte man sich fast wie in Europa; die +Eisenbahn hat etwas eigenthümlich Heimisches; da, wo das +Dampfroß schnaubt, glaubt man schon mit einem Fuße wieder +in der Heimath zu sein, und in der That, von Rhoda aus +steht man ja mit jedem größeren Orte Europas, ja der ganzen +Welt in ununterbrochener Dampffahrt-Verbindung. Vorsorglich +hatte ich Herrn Friedmann, dem Besitzer des Nil-Hôtel, +telegraphirt, uns Wagen an der Station Giseh bei Kairo +bereit zu halten; wir fanden solche auch und im Trapp ging's +dann nach der Chalifenstadt hinein, durch die schöne neue Allee +von Lebeckbäumen, die, wie durch Zauber entstanden, von Kairo +bis zu den Pyramiden führt, über die neue Brücke und dann +direct ins Nilhôtel, den sichersten Hafen für Reisende, welche, +wie wir, so lange den civilisirten Genüssen fern gestanden +hatten.</p> + +<p>Und wie sahen wir aus! Als wir das Hôtel betraten, +riefen mir zwei Amerikanerinnen "<tt>shocking, shocking</tt>" entgegen +und flohen in den Gartenpavillon. Vor einem Spiegel sah ich +denn auch, daß ich keineswegs ein gesellschaftsmäßiges Aussehen +hatte; Schweiß, Staub und Hitze von der Eisenbahnfahrt hatten +mein Gesicht, das ohnehin verbrannt war, zu einem Mohrenantlitz +gestempelt, in allen möglichen dunkeln Farben schillernd. Ein +Bad brachte jedoch Alles in Ordnung und Abends bei der +<tt>Table d'hôte</tt> fand unsere ganze Reisegesellschaft einen freundlichen +Empfang.</p> + +<p>Ueber meinen Aufenthalt in Kairo habe ich diesmal nicht +viel zu sagen. Natürlich wurden wir vom Chedive wieder in +Audienz empfangen, auch war abermals eine Sitzung des Institut +<tt>Égyptien</tt> und Gesellschaften bei unseren Freunden—uns +aber zog es, je näher wir Europa kamen, desto mächtiger +der Heimath entgegen.</p> + +<p>Zittel's und mein ursprünglicher Plan, unsere resp. Frauen +nach Cairo kommen zu lassen, mußte aufgegeben werden. Die +Hitze und der Staub waren nun schon so unerträglich, daß +die Damen von einer solchen Reise keine Annehmlichkeit und +keinen Genuß gehabt hätten, aber dafür gaben wir uns in +Neapel Rendezvous. Und nachdem alles Geschäftliche abgewickelt +war, ging es in Alexandria an Bord. Zittel und ich +hatten uns für das französische Boot entschieden, aber es war +so übervoll, daß wir keine Cabine bekommen konnten, sondern +uns blos mit einem Platze erster Classe ohne Bett begnügen +mußten. Das war freilich schlimm, denn es standen uns noch +immerhin vier Nächte bevor. Zittel eroberte sich indeß eines +der zwei Sophas und ich begnügte mich mit einem Seitentische +oberhalb seines Lagers. Eine eigenthümliche Gesellschaft war +am Bord dieses Dampfers, ein Abbild des heutigen Franzosenthums. +Mit Ausnahme von einigen Amerikanern und uns +bestand die ganze Passagiergesellschaft aus Schauspielern, +Pfaffen und Pfäffinnen—Kirche und Theater.</p> + +<p>Da war ein Kapuzinermönch, da waren Augustiner, Dominikaner +und einige Weltgeistliche, im Ganzen, mit einem +protestantischen Reverend, vierzehn heilige Leute; da waren +Schwestern vom heiligen Herzen Jesu und andere auffallend +gekleidete Nonnen; den ganzen Tag hatten sie ein kleines +Brevier in der Hand und den unvermeidlichen Rosenkranz, +welchen Buddhisten, Mohammedaner und Katholiken in brüderlicher +Liebe gleichmäßig als Gebetzähler adoptirt haben.</p> + +<p>Nicht so langweilig wie diese augenverdrehende Gesellschaft +war das lustige Theatervölkchen, ja eines Abends hatten wir +sogar den Genuß, von einer der Damen, mit Begleitung des +am Bord befindlichen Pianos, hübsche Lieder vorgetragen zu +hören. Nirgends ist man auf dem Mittelmeere besser aufgehoben, +als an Bord der französischen Messagerie nationale<a name="FNanchor_64_64" id="FNanchor_64_64"></a><a href="#Footnote_64_64" class="fnanchor">[64]</a>. +Die Officiere wie der Capitain sind meist gebildete, liebenswürdige +Leute und, bei der weltverbreiteten Bedeutung dieser +französischen Dampfer, sind sie frei von jener krankhaften Neigung, +in jedem Deutschen einen Feind zu sehen. Die Cabinen sind vortrefflich +und jede nur zu zwei Betten eingerichtet. Die Küche +vorzüglich, ebenso die Getränke.</p> + +<p>Wir hatten die Annehmlichkeit, an einem kleinen Tische +allein zu speisen, nur zwei Yankees, die Erbauer der Pacific-Bahn, +ein ägyptisch-arabischer Kaufmann, ein Jude und der +katholische Patriarch von Jerusalem waren unsere Genossen. +Man kann sich denken, daß da die Unterhaltung eine äußerst +mannigfaltige war, wenngleich die Verschiedenartigkeit der +Sprachen bisweilen wohl etwas hindernd erschien.</p> + +<p>Die Fahrt durch die unvergleichlich schöne Meerenge von +Messina, die Einfahrt in den Busen von Neapel werden für +Jeden von uns gewiß unvergeßlich sei. Da ankerten wir nun +im Angesichte der stolzen Königin des Mittelmeeres, ungeduldig +des Zeichens gewärtig, das Schiff verlassen zu dürfen. Eifrig +suchten wir unter den hundert kleinen Booten, die den Dampfer +umkreisten, ob nicht in einem unsere Frauen sein könnten. +Aber vergebens, keine blonde Dame war unter ihnen. Hier war +ein Boot mit hübschen schwarzen Damen, auf Verwandte wartend, +dort waren Hôteldiener, um Fremde zu angeln; hier +hatte ein Policinello in schaukelnder Jolle sein Theater aufgestellt, +hier trillerte ein Leierkasten, dort kam ein Schiff mit +Mönchen, ja es drängte sich sogar eine ganze Musikbande +heran; aber so sehr wir auch suchten, unsere Frauen waren +nicht erschienen.</p> + +<p>Endlich erlaubte man uns, an's Land zu gehen. Die +italienische Douane war höflich und nachsichtig, und in schneller +Fahrt eilten wir zum <tt>Hôtel de Russie</tt>, <tt>vis-à-vis</tt> von St. Lucia +unmittelbar am Golf gelegen. Aber eine neue Enttäuschung +erwartete uns: "Zwei Damen logiren hier nicht," sagte uns +der Portier.—Aber eine genauere Nachforschung Zittel's +brachte uns die Gewißheit, daß am Abend vorher unsere Frauen +angekommen, doch momentan spazieren gefahren seien. Man +kann sich unsere Ungeduld denken, die indeß eine nicht zu lange +Probe zu bestehen hatte; denn kaum hatten wir Jeder unser +Zimmer bezogen, als mächtig große Camelien-Bouquets hineingeworfen +wurden und gleich mit ihnen die Frauen hereinstürmten. +Ein Wiedersehen nach fünfmonatlicher Trennung +kann Jeder, der verheirathet ist, sich ausmalen, zumal wenn +so weite Räume, so beschwerlich zu durchziehende Gegenden +von der Heimath einen entfernten.</p> + +<p>Ich verweile nicht bei Neapel, wo an einigen angenehm +verlebten Tagen die Reize dieser bevorzugten Stadt uns den +freundlichsten Empfang auf europäischem Boden bereiteten. +Die Chiaja, das neue zoologische Institut unter der Direction +des Deutschen Dorn<a name="FNanchor_65_65" id="FNanchor_65_65"></a><a href="#Footnote_65_65" class="fnanchor">[65]</a>, eines hervorragenden Gelehrten, Sorrent, +Capri und Abends unter den Fischerhallen von St. Lucia +bilden unverwischliche Glanzpunkte Neapels. In Pompeji war +ich mit Baron v. Keudell, einer alten Bekanntschaft von mir, +zusammengetroffen; Se. Excellenz lud mich freundlich ein, ihn +in Rom zu besuchen. Der Einladung folgend, traf es sich +aber so unglücklich, daß wir an dem Abende, wo meine Frau +und ich den Vorzug haben sollten, bei ihm zuzubringen, nicht +zu Hause waren, da wir die Einladung zu spät erhalten hatten; +am anderen Morgen vor der Abreise hatte ich indeß Gelegenheit, +die prachtvolle Wohnung der deutschen Gesandtschaft auf dem +Capitol zu bewundern. Herr v. Keudell zeigte mir selbst die +Räumlichkeiten, den Garten und die köstliche Aussicht.</p> + +<p>"<i>Nach Deutschland</i>" drängte es immer lebhafter in +mir, und nur in Mailand, der Stadt des Marmor-Doms, +hatten wir dann noch einen eintägigen Aufenthalt. Im Hôtel +Reichmann fanden wir eine ganz freundliche Aufnahme, und +wenn dies Hotel eine kleine Weile seinen Nimbus einbüßen +konnte, so ist derselbe seit Kurzem wieder hergestellt. Herr +Reichmann <tt>jun.</tt> verwaltet jetzt auf's Ausgezeichnetste dies von +den Deutschen am liebsten besuchte Hôtel.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_60_60" id="Footnote_60_60"></a><a href="#FNanchor_60_60"><span class="label">[60]</span></a> <tt>Jollois description p. 14</tt>.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_61_61" id="Footnote_61_61"></a><a href="#FNanchor_61_61"><span class="label">[61]</span></a> Präsident des Gemeinderathes.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_62_62" id="Footnote_62_62"></a><a href="#FNanchor_62_62"><span class="label">[62]</span></a> Verwalter.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_63_63" id="Footnote_63_63"></a><a href="#FNanchor_63_63"><span class="label">[63]</span></a> Chamsin heißt fünfzig, die Eingeborenen nennen diesen Wind so, +weil er 50 Tage lang wehen soll aus SSO.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_64_64" id="Footnote_64_64"></a><a href="#FNanchor_64_64"><span class="label">[64]</span></a> <tt>Messagerie nationale</tt> hat, wenn Frankreich Kaiserreich oder +Königreich ist, den Titel <tt>m. impériale</tt> oder <tt>m. royale</tt>.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_65_65" id="Footnote_65_65"></a><a href="#FNanchor_65_65"><span class="label">[65]</span></a> Kein Deutscher, der Neapel besucht, sollte versäumen, das Gebäude +des zoologischen Instituts, an der Chiaja gelegen, zu besuchen. Dort +bekommt man den besten Begriff eines reichen Aquariums, wie ein solches +weder in Brighton, noch Hamburg oder Berlin vorhanden ist.</p></div> +</div> + + +<hr style="width: 65%;" /> +<h2><a name="Ch12_Bei_den_Zeltbewohnern_in_Marokko" id="Ch12_Bei_den_Zeltbewohnern_in_Marokko"></a>12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko,</h2> + +<h3>eine ethnographische Schilderung.</h3> + + +<h3><i>Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Begräbniß.</i></h3> + +<p>Wie geschäftig die Frauen seit dem Morgen schon die +Esel zusammentreiben! Unter Lachen und Schreien haben die +Knaben und Jünglinge dabei geholfen, die Langohren vor +einem großen Zelte (es gehört dem Kaid Abu Ssalam) zusammenzuhalten.</p> + +<p>Heute wird eine große Festlichkeit vor sich gehen; man +erwartet stündlich die Entbindung der zweiten Frau des Kaids, +der Lella Mariam, einer jungen, reizenden Frau von vornehmstem +Zelte. Kaid Abu Ssalam, der selbst nicht aus dem +Geschlechte Mohammed's ist, sonst aber auch aus einem großen +Zelte<a name="FNanchor_66_66" id="FNanchor_66_66"></a><a href="#Footnote_66_66" class="fnanchor">[66]</a> stammt, hat durch seinen Reichthum es möglich gemacht, +eine Scherifa zur Frau zu bekommen, d.h. eine Dame +vom Stamme des Propheten. Um so mehr ist das zu bewundern, +als Abu Ssalam schon eine Frau besitzt und Lella +Mariam nicht nur jung und schön, ihr Alter betrug 15 Jahre, +sondern auch reich ist. Aber welch' stattlicher Mann ist auch +Kaid Abu Ssalam und wie geachtet und unabhängig im ganzen +Lande! Selbst der Sultan liebt ihn.</p> + +<p>Vom Stamme der Beni-Amer hatte er vor etwa 30 Jahren, +als die Ungläubigen das Gebiet von Tlemßen besetzten, +die dortige Gegend verlassen und nach einer dreijährigen +Wanderung, immer nach Westen ziehend und oft genug mit +der langen Flinte sich einen Weg bahnend, hat er den eigentlichen +Westen erreicht, den Rharb el djoani, das gelobte Land +der Gläubigen. Der Sultan ertheilte gern die Erlaubnis +zum Bleiben, und nachdem die üblichen Abgaben geregelt +waren, erhielt Abu Ssalam, es war das schon zu Lebzeiten +des Sultans Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam, die Erlaubniß, +seinen Stamm an die Ufer des Ued Ssebu zu +führen.</p> + +<p>Abu Ssalam herrschte über drei Duar (Zeltdörfer), von +denen das größere sich aus circa 30 Zelten zusammensetzte +und dem er selbst vorstand; die beiden kleineren, aus je 20 +und 24 Zelten aufgeschlagen, waren von seinen jüngeren +Brüdern beherrscht. Bei dem Jüngsten lebte außerdem noch +ihr gemeinschaftlicher Vater, der Hadj Omar-ben-Edris, der +aber schon lange die Kaidschaft an seinen ältesten Sohn abgetreten +hatte.</p> + +<p>Die drei Duar, so ziemlich in einer Linie gelegen, machten +Front nach Westen und lehnten sich an einen Bergrücken; +hier bestand derselbe aus herrlichen Wiesen, während nach dem +Gipfel zu immergrüne Bäume, aus Korkeichen, Lentisken und +Juniperen bestehend, den Berg bedeckten. Etwa eine Viertelstunde +unterhalb der drei Zeltdörfer schlängelte sich der Ued +Ssebu vorbei und ganz in der Ferne erglänzte der blaue +Ocean. Der Raum zwischen den Dörfern und dem Flusse +war durchweg beackert, aber unmittelbar neben den Zeltdörfern +befanden sich auch kleine Gemüsegärtchen, eingezäunt von großen +Dorngebüschen des stacheligen Lotusstrauches, das, obschon +todt, dennoch hinlänglichen Schutz gewährte gegen weidende +Thiere.</p> + +<p>Von dem großen Zelte Abu Ssalam's also zogen sie ab, +eine ganze Karawane lachender Frauen und Mädchen, einige +zwanzig Esel mit leeren ledernen Schläuchen beladen vor sich +hertreibend. Wohl manche mochte hoffen, heute bei der Festlichkeit +das Herz eines Jünglings zu fesseln; die jungen +Mädchen erzählten sich, wie viele Armbänder sie anlegen würden. +Da sagte eine Andere, sie würde ihr Haar frisch machen +lassen<a name="FNanchor_67_67" id="FNanchor_67_67"></a><a href="#Footnote_67_67" class="fnanchor">[67]</a>, und unter Jubeln und Lachen war der Ssebu +erreicht.</p> + +<p>Das Füllen der Schläuche aus einem mächtigen Strome +ist leichte Arbeit. Die jungen Mädchen gingen bis an die +Knie in den Strom, ließen das Wasser hineinlaufen und nachdem +sodann noch Einige die Zeit benutzten, ein Bad zu nehmen, +wurden die Schläuche, je zwei, einem Esel aufgeladen +und zurück ging es zum Duar.</p> + +<p>Unter der Zeit war die Geburt vor sich gegangen und +Abu Ssalam's größter Wunsch war erfüllt, seine junge Frau +hatte ihm einen kräftigen Knaben geschenkt. Zu Ehren seines +Vaters erhielt derselbe noch <i>am selben Tage</i> den Namen +Omar. Es ist Sitte, daß das Namengeben noch am Tage +der Geburt geschieht. Wie war nun die Geburt vor sich gegangen? +Wir können nur nach Hörensagen berichten, denn +nie, und wenn auch die Frau dadurch vom Tode hätte gerettet +werden können, darf ein Mann, ein Arzt oder Geburtshelfer +bei einem solchen Acte zugegen sein.</p> + +<p>Es scheint, daß bei Lella Mariam die Geburt leicht von +Statten ging; Abends vorher waren Hülfsweiber gekommen, +und als am anderen Morgen die Frauen vom Wasserholen +zurückkamen, ertönte durch die Duar der Ruf: "<tt>El Hamd ul +Lahi mabruck uldo</tt>", "Gott sei gelobt, der Sohn sei ihm zum +Segen". Und vor dem Zelte, aus einem Arbater Teppiche, +saß Abu Ssalam und empfing die Glückwünsche der männlichen +Bevölkerung der drei Zeltdörfer. Auch manche alte Frau, ja +manches junge Mädchen kam herbei, beugte rasch ein Knie und +küßte Abu Ssalam's Hand den Gruß flüsternd: "<tt>Rbi ithol +amru</tt>", Gott verlängere seine Existenz. Und er konnte recht +stolz sein, unser Abu Ssalam; sein heißer Wunsch, einen Nachfolger, +einen Sohn zu haben, war erfüllt. Zwar sein Stamm +konnte so leicht nicht aussterben; den Stammbaum direct bis +zum Chalifen Omar zurückführend, waren die Beni-Amer jetzt +einer der mächtigsten Stämme unter den Arabern, ihre Duar +zogen sich durch ganz Nordafrika. Seine eignen Leute näherer +Verwandtschaft, die er nach dem Rharb (Marokko) geführt +hatte, zählten über 100 Leute männlichen Geschlechts. Genau +hatte Abu Ssalam sie nie gezählt, denn ein rechter Gläubiger +zählt die Seinigen nicht. Aber er selbst hatte von seiner +zuerst angeheirateten Frau Minana nur zwei Töchter, und +Minana mit ihren 21 Jahren schien ihm wenig Hoffnung zu +machen, ihm noch einen Sohn zu geben. Daher hatte er denn +auch vor etwa neun Monaten die liebliche Lella Mariam geheirathet.</p> + +<p>Jede Vorkehrung war aber auch diesmal getroffen worden, +damit Abu Ssalam einen Sohn bekäme. Er selbst war nicht +nur vor mehreren Monaten nach Uesan gepilgert, um die +Intervention Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's anzurufen, er +hatte sogar das feste Versprechen Sidi's<a name="FNanchor_68_68" id="FNanchor_68_68"></a><a href="#Footnote_68_68" class="fnanchor">[68]</a> erlangt, daß der +Allerhöchste ihm einen Sohn schenken würde, und der Großscherif +hatte freundlich dafür ein Pferd als Geschenk anzunehmen +geruht; ja, um ganz sicher zu gehen, war er nach Fes +zum Grabmal Mulei Edris gepilgert und hatte den Tholba +(Schriftgelehrten) der Djemma (Gotteshaus) des Mulei Edris +fünfzig Duros geopfert; mußte da Allah ihm nicht einen +Sohn schenken?</p> + +<p>"Gott segne den Großscherif!" rief Abu Ssalam, "Gott +gewähre Mulei Edris alle Freuden des Paradieses," fügte er +hinzu, "denn sie waren es, die mir den Knaben schenkten." +Und da kam auch schon Lella Mariam aus dem kleinen Zelte, +welches neben dem Zelte ihres Mannes war, nicht in Festgewändern, +aber doch in einen neuen Haik gehüllt. Sie hatte +vor sich das Knäblein und niederknieend legte sie den neuen +Familienstammhalter vor ihren Gatten hin. Sie selbst in +aufgelöstem Haare<a name="FNanchor_69_69" id="FNanchor_69_69"></a><a href="#Footnote_69_69" class="fnanchor">[69]</a>, da sie genau nach den Vorschriften des +Gesandten Gottes lebte, hielt sich knieend abseits, da ihr +Mann sie doch nicht, weil sie unrein war, berühren durfte. +Nachdem die junge Mutter und das Knäblein den Segen vom +Manne und Vater erhalten und der daneben sitzende Fakih +(Doctor der Theologie) der Zeltdörfer das Fötah (erstes Capitel +des Koran) gebetet hatte, ging sie ins Zelt zurück; schon +am anderen Morgen machte sich die junge Frau an ihre gewöhnlichen +Beschäftigungen, denn ein Wochenbett abhalten, wie +bei uns die Frauen in Europa es zu thun gewohnt sind, +kennt man in Marokko nicht.</p> + +<p>Am selben Abend aber war großes Festessen vor dem Zelte +Abu Ssalam's. Er hatte viele Hammel und Ziegen schlachten +lassen zu Ehren des Tages und die Frauen des Duars hatten +den ganzen Tag Kuskussu bereiten müssen, der in größeren +hölzernen Schüsseln für die Gäste hingesetzt wurde.</p> + +<p>Was mich anbetrifft, so wollte ich gern Näheres über den +Geburtsact erfahren. Auf mein Befragen erzählte man mir, +es sei Sitte, wenn eine Frau in Nöthen sei, so lasse man +zuerst einen Fakih kommen, der durch Weihrauch und fromme +Sprüche den Teufel zu bannen versuche, denn der Teufel ist +auch in Marokko die Ursache allen Uebels. Hilft das nicht, +so bekommt die Frau Koransprüche, die auf eine hölzerne +Tafel geschrieben werden, zu trinken, indem die Sprüche von +der Tafel abgewaschen werden; hilft auch das Verfahren noch +nicht, so werden Koransprüche auf Papier geschrieben, zerstampft +und mit Wasser gemischt der Leidenden eingegeben. +Aber manchmal hat der Satan das Weib derart in Besitz genommen, +daß er selbst durch das heilige Buch nicht ausgetrieben +wird. Dann werden allerlei Amulete angewandt, z.B. die +in ein Ledersäckchen eingenähten Haare eines großen Heiligen, +die man der Kreißenden auf die Brust legt, oder Wasser vom +Brunnen Semsem, welches man ihr zu trinken giebt, oder +Staub aus dem Tempel von Mekka<a name="FNanchor_70_70" id="FNanchor_70_70"></a><a href="#Footnote_70_70" class="fnanchor">[70]</a>, welchen man auf ihr +Ruhebett legt. In einigen Fällen läßt sodann der Teufel +seine Beute los und der Vorgang erfolgt für die Mutter auf +glückliche Weise. Es kommen jedoch genug Fälle vor, wo der +Iblis (Teufel) derart sich des Weibes bemächtigt, daß er +keinem Mittel weichen will; die Hülfsweiber nehmen dann +selbst den Kampf mit ihm auf. Unter Beschwörungen und +fortwährend rufend: <tt>Rham-ek-Lab</tt>! (Gott erbarme sich +Deiner!) wird die Frau ergriffen, ein starkes Band um den +Rücken und unter die Achsel durchgeschlungen und so in die +Luft gezogen. Dadurch wollen sie die Wehen beschleunigen, +und zeigt sich möglicherweise ein Theil des Kindes, entweder +der Kopf oder die Füße, so versuchen sie, diese Theile zu ergreifen +und durch starkes Reißen und Ziehen das Kind zu +Tage zu befördern. Nur selten gelingt das, meist wird das +Kind zerrissen und fast immer ist der Tod der Mutter Folge +dieses barbarischen Verfahrens: Gott verfluche den Teufel!</p> + +<p>Der kleine Omar wuchs kräftig heran; wie sollte er auch +nicht! Zwei Jahre hatte ihn seine Mutter Lella Mariam selbst +gesäugt und nur wenig war er während dieser Zeit Tags +vom Rücken seiner Mutter gekommen und Nachts aus dem +Schooße derselben. Denn die Frauen pflegen ihre Kinder so +aufzuziehen, daß sie mit Ausnahme der Augenblicke, wo dem +Kleinen die Brust gereicht wird, Tags über in einer Falte +des Haiks (großes Umschlagetuch) auf dem Rücken der Mutter +in <i>reitender</i> Stellung sich befinden. Es hat das zur Folge, +daß die meisten Marokkaner sowohl männlichen wie weiblichen +Geschlechtes Säbelbeine haben. Nachts aber ruht das Kindchen +vor seiner Mutter, die während der zwei Jahre beständig +allein lebt, obschon es ihrem Manne nach Ablauf von drei +Perioden gestattet ist, sie wieder zu besuchen und mit ihr Umgang +zu pflegen. Nachdem die zwei Jahre vorbei waren und +Omar statt der süßen Muttermilch jetzt saure Buttermilch und +Abends Kuskussu zu essen bekam, wurde ihm auch zum ersten +Male das Kopfhaar geschoren; aber sein Vater Abu Ssalam +gab wohl Acht, daß am Scheitel des Kopfes eine Locke, +Gotaya, sowie an der rechten Seite des Kopfes außerdem ein +Streifen von Haaren in der Form eines Halbmondes stehen +blieb, denn die Kinder der Beni-Amer hatten seit undenklichen +Zeiten einen solchen Schmuck getragen. Am selben Tage gab +er seinem Zelte<a name="FNanchor_71_71" id="FNanchor_71_71"></a><a href="#Footnote_71_71" class="fnanchor">[71]</a> einen Hammel zum Besten, sonstige Festlichkeiten +fanden nicht statt.</p> + +<p>Dafür wurde aber die Beschneidung Omar's in seinem +achten Jahre desto festlicher begangen. Omar war jetzt ein +kräftiger Bursche geworden; fortwährend in der freien Natur +hatte er tagelang die Schafe und Ziegen seines Vaters mit +hüten helfen und gewöhnlich auch das Pferd mit zur Schwemme +reiten müssen; er verstand es schon, die eignen Kamele oder +die der etwa ankommenden Fremden mit niederknien zu machen +und der Thaleb<a name="FNanchor_72_72" id="FNanchor_72_72"></a><a href="#Footnote_72_72" class="fnanchor">[72]</a> der Zeltdörfer hatte ihn das erste Capitel +des Koran gelehrt.</p> + +<p>Der feierliche Augenblick war gekommen, wodurch der kleine +Omar jetzt in die Gemeinschaft der Muselmanen aufgenommen +werden sollte. Um den Glanz des Festes noch mehr zu erhöhen, +hatte Abu Ssalam es übernommen, sämmtliche gleichalterige +Knaben der drei Zeltdörfer der Beni-Amer, und es +waren deren noch sieben, auf seine Kosten beschneiden zu +lassen. Ja, ohne den Neid und die Mißgunst seines eignen +Fakih's (Doctor der Theologie) und der Tholba<a name="FNanchor_73_73" id="FNanchor_73_73"></a><a href="#Footnote_73_73" class="fnanchor">[73]</a> der Duars +zu erregen, weil sie auch ihre Gebühren bekamen, hatte er +einen in hohem Ansehen stehenden Schriftgelehrten aus Fes +kommen lassen. Die Gebühr für die Beschneidung, 3 Metkal, +erlegte er im Voraus. Wie reich aber mußte Abu Ssalam +sein, daß er so große Summen zahlen konnte, denn zahlte er +doch, wie schon gesagt, seinen eignen Schriftgelehrten die nämliche +Summe. Und wenn man bedenkt, daß man in Marokko +für die Beschneidung sonst nichts zu bezahlen braucht, der bemittelte +Mann höchstens eine Maß Korn oder ein Huhn oder +einige Eier dem Schriftgelehrten für seine Bemühung giebt, +so kann man ermessen, wie freudig die Eltern ihre Söhne +herbeibrachten. Das Glück, vom heiligen Sidi Mussa aus +Fes beschnitten zu werden, war zu groß. Abu Ssalam aber +hatte es von jeher als eine Regel der Klugheit betrachtet, +mit den heiligen Leuten, mit der Geistlichkeit, auf gutem Fuße +zu leben und er hatte längst eingesehen, daß man mit der +Geistlichkeit nur dann auf gutem Fuße lebt, <i>wenn man sie +tüchtig zahlt</i>. Aber dafür war er auch des Paradieses +sicher; der Segen, den sie ihm ertheilten, war <i>länger</i> als +der für die übrigen Gläubigen, und durch die vielen Wohlthaten, +die er den Fakih's und Tholba erwiesen hatte und +noch immer erwies, war Abu Ssalam selbst in den Ruf großer +Frömmigkeit gekommen.</p> + +<p>Die acht Knaben wurden vor das Djemmazelt<a name="FNanchor_74_74" id="FNanchor_74_74"></a><a href="#Footnote_74_74" class="fnanchor">[74]</a> in einer +Reihe aufgestellt, und nachdem vom Fakih Sidi Mussa ein +langes Gebet war gesprochen worden, ging er auf Omar zu, +der von seinem Vater gehalten und ermahnt wurde, standhaft +zu sein, ergriff sodann das Präputium und trennte es mit +einem raschen Schnitte von der übrigen Haut; das noch übrig +gebliebene Frenulum wurde mit einem zweiten Schnitte getrennt +und sodann kam ein anderer Thaleb und streuete pulverisirten +Schöb (Alaun) auf die blutenden Ränder. Standhaft +hatte der Knabe Omar ausgehalten, seine Zähne zusammenbeißend +murmelte er fortwährend: "Gott ist der größte, es +giebt nur einen Gott." Sein Vater trug ihn, Omar war fast +ohnmächtig geworden, nun gleich ins väterliche Haus zurück, +während ein Sclave ein ganz neues Hemd und eine neue +weißwollene Djilaba<a name="FNanchor_75_75" id="FNanchor_75_75"></a><a href="#Footnote_75_75" class="fnanchor">[75]</a> vor ihm hertrug, Festgeschenke seines +Vaters, welche aber erst angelegt werden durften, wenn der +Kranke vollkommen genesen war. Die Beschneidung der +übrigen Knaben erfolgte auf dieselbe Weise, nur daß einige +von ihnen ein entsetzliches Geschrei ausstießen, und merkwürdiger +Weise war einer unter ihnen ohne Präputium, oder doch nur +mit einer Andeutung davon. Natürlich wurde er gleich für +heilig erklärt, denn wie selten trifft es sich, daß ein Mensch +beschnitten zur Welt kommt. Die Geschichte (d.h. nach der +Auffassung der Marokkaner) nennt nur Mulei Edris, Sidna +Mohammed, Sidna Brahim, Sidna Daud und Sidna Mussa +als von Gott beschnittene Leute, d.h. ohne Präputium zur +Welt gekommen. Der so ausgezeichnete Knabe, Namens +Hamd-Allahi, hat denn auch später eine wichtige Rolle gespielt; +er war von Gott beschnitten, er war ein Heiliger vor Gott +und wer weiß, ob er nicht einst berufen ist, alle Menschen +zum Islam zurückzuführen, damit alle Menschen des Paradieses +teilhaftig werden, das Gott ihnen durch seinen Liebling +Mohammed verheißen hat.</p> + +<p>Aber wie segensreich sollte überhaupt diese Beschneidung +für die acht Knaben werden, wie überhaupt für den ganzen +Stamm der Beni-Amer! Die Beschneidung nämlich war vollzogen +worden mit einem Mus min Hedjr<a name="FNanchor_76_76" id="FNanchor_76_76"></a><a href="#Footnote_76_76" class="fnanchor">[76]</a> (Steinmesser). +Seit undenklichen Zeiten vererbte sich ein Steinmesser vom +Vater auf den Sohn in diesem Stamme der Beni-Amer, und +einer schriftlichen Tradition zu Folge soll die Beschneiduug +Sidni Omar's, des Stammvaters der Beni-Amer und zweiten +Chalifen, mit diesem selben Messer vorgenommen worden sein. +Wie ein Heiligthum wurde dasselbe in der Familie bewahrt, +und selbst als es bei der Eroberung der Provinz Tlemsen +durch die Ungläubigen, bei der Plünderung des Duars durch +die Christenhunde, verloren gegangen war, kam es durch ein +Wunder wieder in den Besitz des Kaids Abu Ssalam. Der Chalif +Sidni Omar hatte es ihm selbst eines Nachts zurückgebracht, er +fand es unter seinem Kopfkissen. Alle umliegenden Stämme beneideten +die Beni-Amer um einen so köstlichen Schatz. Die +meisten Marokkaner lassen sich mit gewöhnlichen Rasirmessern +beschneiden, d.h. diese haben den Namen Rasirmesser, sind +aber weiter nichts, als die elendesten Klingen dieser Art.</p> + +<p>Omar verbrachte nun die nächsten Jahre damit, den Koran +zu lernen, d.h. schriftlich und auswendig; denn heute gilt es +in Marokko für einen Mann, der einst Kaid seines Stammes +sein will, für unerläßlich, <i>selbst</i> lesen und schreiben zu +können. Nicht, als ob er jemals diese Wissenschaften praktisch +verwerthen würde, aber es gehört zum guten Ton, und wie +auch in Marokko in dieser Beziehung die Mode anfängt, unerbittlich +zu sein, so mußte sich Omar den langweiligen Unterrichtsstunden +im Koranlesen und Buchstabenmalen unterwerfen. +Sein Vater war glücklicher gewesen; zu seiner Zeit erheischte +man noch nicht von den jungen Leuten, Lesen und Schreiben +zu lernen. Omar machte dann in Gemeinsamkeit mit seinem +Vater mehrere Reisen in Marokko, denn Kaid Abu Ssalam +hatte den Entschluß gefaßt, die Pilgerfahrt nach Mekka erst +dann zu machen, wenn sein Sohn eine Frau habe: dann solle +die ganze Familie das Haus Gottes besuchen. Aber er lernte +doch Fes kennen, er sah in Mikenes den Sultan, er unternahm +eine Siara (Pilgerreise) nach der heiligen Stadt Uesan, +er kam nach Tanger, um dort die Feuerschiffe der ungläubigen +Hunde zu bewundern, und hatte das achtzehnte Jahr erreicht, +um daran denken zu können, eine Frau zu nehmen.</p> + +<p>Bei den freien Zeltbewohnern Marokko's ist es keineswegs +Sitte, daß die Frauen sich verschleiern, wie in den Städten; +Jünglinge und Jungfrauen haben daher auch Gelegenheit, sich +zu sehen, kennen zu lernen und zu lieben. Auf dem Lande +werden daher auch häufig genug Heirathen aus wahrer Neigung +geschlossen. Omar hatte seit längerer Zeit Gelegenheit +gehabt, die Reize und Vorzüge eines jungen Mädchens kennen +zu lernen, welches nur einige Stunden von seinem Duar entfernt +lebte. Es war das Aischa bent Abu Thaleb vom Stamme +der Uled Hassan. Die beiden Väter waren seit Langem durch +Freundschaft verbunden; der Duar der Uled Hassan lag auf +dem Wege vom Ssebu nach Fes. Wenn nun Abu Ssalam +nach der Hauptstadt reiste, was häufig genug vorkam, so +nächtigte er nicht im allgemeinen Dar diaf (Fremdenzelt) der +Uled Hassan, sondern ging zum Zeltendes Abu Thaleb selbst, +und umgekehrt machte es dieser so, wenn sein Weg ihn in die +Nähe des Ued Ssebu führte.</p> + +<p>Omar war dann mehrere Male in Begleitung seines Vaters +gewesen und seit vier Jahren war ihm die wunderbare Schönheit +Aischa's aufgefallen; Aischa selbst mochte, als er sie zum +ersten Male sah, 10 Jahre alt sein, jetzt hatte sie 14. Kein +Mädchen hatte seiner Meinung nach so feurige Gazellenaugen, +keine hatte einen kleineren Granatmund und längeres schwarzes +Haar, keine hatte so volle Formen und kleinere Hände +und Füße.</p> + +<p>In seinen Augen verstand kein anderes Mädchen so gut +die Ziegen zu melken wie Aischa, oder mit gleich lieblicher +Anmuth einen Teller Brod anzubieten oder eine Schale mit +Milch zu credenzen. Aber was war Alles dies gegen den +Zauber ihrer Stimme? Zwar hatte Omar selbst nur einmal +mit ihr gesprochen, als er ermüdet das Zelt ihres Vaters erreichte +und um einen Trunk Wasser bat. Da schoß Aischa +wie ein Reh davon, und aus dem Schlauche eine Tasse füllend, +überreichte sie dieselbe mit den Worten: "<tt>Bism Allah</tt>!" +(im Namen Gottes). Das war Alles, was Aischa direct zu +ihm gesprochen hatte. Aber von dem Augenblicke sagte Omar +zu sich: "Du kannst nur Aischa zum Weibe nehmen und keine +andere." Er glaubte nun auch zu wissen, daß Aischa gern +seine Frau werden würde, er schien bei ihr eine gewisse Sympathie +für sich bemerkt zu haben, und ohne daß man mit +Worten seine Gedanken auszutauschen braucht, merken die +jungen Leute in Marokko ebenso leicht wie bei uns, was +Liebe ist.</p> + +<p>Omar war im Frühling, nur von Gefährten und Sclaven +begleitet, von Fes zurückgekommen, er hatte wieder bei Abu +Thaleb die Nacht zugebracht, er hatte die großen Augen Aischa's +wiedergesehen, er hatte sie plaudern hören mit ihren Gespielinnen +und von dem Augenblicke war sein Entschluß gefaßt. +Als er am anderen Abend den eignen elterlichen Duar erreichte, +rief er seine Mutter bei Seite; er gestand ihr seine +Liebe zu Aischa und bat sie, mit dem Vater deshalb zu sprechen.</p> + +<p>Obschon seine Mutter, Lella Mariam, eigentlich ein anderes +junges Mädchen für ihren Sohn im Auge hatte, er sollte eine +weitläufige Verwandte, die ebenfalls Scherifa (aus dem Stamme +des Propheten) war, heirathen, so lag ihr das Glück ihres +einzigen Sohnes doch viel zu sehr am Herzen, als daß sie +hätte Schwierigkeiten erheben wollen. Zudem wußte sie wohl, +daß, obwohl sie großen Einfluß auf ihren Mann hatte, die +Entscheidung einer so wichtigen Angelegenheit von ihm abhing. +Sie beeilte sich daher, ihrem Manne Mittheilung davon zu +machen, und wunderte sich, daß derselbe ihres Sohnes Liebe +ziemlich gleichgültig, fast kalt aufnahm.</p> + +<p>Kaid Abu Ssalam war ein praktischer Mann, auch er hatte +längst eine Schwiegertochter im Auge; das war aber keineswegs +Aischa, die Tochter seines armen Freundes, sondern Sasia, die +Tochter eines reichen Kaids der Uled Sidi Schich, deren Zelte +in der Nähe von Udjda standen. Seit Jahren hatten die +Väter dieses Project genährt. Die Uled Sidi Schich waren +ebenfalls aus der Provinz Tlemsen vertrieben, aber sie waren +nur über die Grenze gegangen. Safia mußte um diese Zeit +etwa 13 Jahre alt sein und noch vor Kurzem hatte ihr Vater +an Abu Ssalam geschrieben, nach Udjda zu kommen und seinen +Sohn mitzubringen und dieser hatte es versprochen.—Jetzt +sollte aus dieser Heirath, die Abu Ssalam fast schon als abgemacht +fand, nichts werden, er sollte sein Wort brechen.—Aber +Omar, der einzige Sohn, kam selbst, er beschwor den +Vater, ihm Aischa zu verschaffen, er würde sterben, wenn Aischa +nicht sein Weib würde, und dann flehte die Mutter, Lella +Mariam, zu Gunsten des Sohnes; wie konnte da der Vater, +der Gatte widerstehen?</p> + +<p>Vor allen Dingen schickte er daher Leute ab an den Kaid +der Uled Sidi Schichs, um ihm anzuzeigen, er könne und +wolle sein Versprechen nicht halten, sein Sohn Omar habe sich +eine andere Frau genommen. Sodann ging man gleich an +die Brautwerbung, um jetzt die Hochzeit so rasch wie möglich +zum Abschluß zu bringen.</p> + +<p>Unter dem Vorwande, nach Fes reisen zu wollen, brach +Abu Ssalam, von seiner Frau Mariam begleitet, auf und +erreichte Nachmittags den Duar der Uled Hassen, um bei +seinem Freunde Abu Thaleb abzusteigen. Die Begleitung der +Lella Mariam erregte natürlich das größte Aufsehen und im +ganzen Zeltdorfe flüsterten die Frauen und jungen Mädchen +über dieses Ereigniß und prophezeiheten eine baldige Hochzeit. +Abu Thaleb, der, wie schon gesagt, nicht begütert war, besaß +nur ein Zelt, aber durch eine Scheidewand von wollenen +Stoffen war eine Abtheilung für seine Frau hergestellt und in +diese begab sich sogleich Lella Mariam zur Mutter Aischa's.</p> + +<p>Sie fing damit an, von gleichgültigen Sachen zu sprechen +und kam dann allmälig auf die Vorzüge ihres Sohnes; sie +pries dessen Kraft und Schönheit, sie deutete an, daß er dereinst +Kaid seiner Stämme werden würde, sie betonte, daß er +von väterlicher Seite das Blut des Chalifen Omar, von mütterlicher +das des Propheten habe und meinte schließlich, daß jedes +Mädchen glücklich sein müsse, das er sich als Frau auserwählen +würde. Sodann fügte sie noch hinzu, daß Aischa ein hübsches +und tugendhaftes Mädchen sei, die wohl für Omar passen +möchte. Aischa, wohl ahnend was kommen würde, war gleich +im Anfange dem Zelte entschlüpft und hatte sich draußen etwas +zu thun gemacht. Die Mutter Aischa's hingegen hatte nicht +genug Lob für ihre Tochter, keine sei so schlau wie sie, keine +verstehe so dauerhafte Haiks (Umschlagetücher) zu weben wie +sie, keine verstehe die Kügelchen zum Kuskussu so fein zu reiben +wie sie und ihre Keuschheit und Sittsamkeit sei über alles Lob +erhaben; aber schließlich meinte auch sie, daß Aischa wohl für +Omar passen würde.</p> + +<p>Als nach dem Abendessen, welches die beiden Männer gemeinsam +eingenommen hatten, ein jeder sich mit seiner Frau +allein befand,—Aischa selbst war für die Nacht zu einer Freundin +gegangen,—erfuhren sie von ihren Frauen den Gedankenaustausch +und Abu Ssalam beschloß nun, am anderen Morgen +von Aischa's Vater ihre Hand für seinen Sohn zu verlangen. +Ob Aischa einwilligen würde, daran dachte er wenig, zumal +er nach seines Sohnes Worten vermuthen durfte, daß eine +gegenseitige Neigung vorhanden sei.</p> + +<p>Da Kaid Abu Ssalam entschlossen, seinem Sohne (er hatte +ja nur den einzigen) schon bei Lebzeiten einen Theil seiner +Heerden abzutreten, so war er bald mit Aischa's Vater, dem +Abu Thaleb, einig, er bezahlte ihm 200 Duoros, also einen +bedeutend höheren Preis<a name="FNanchor_77_77" id="FNanchor_77_77"></a><a href="#Footnote_77_77" class="fnanchor">[77]</a>, als sonst üblich ist. Es wurde +außerdem festgesetzt, daß Aischa drei neue silberne Spangen +(um das Gewand festzustecken), zwei silberne Armbänder, zwei +silberne Fußringe, im Ganzen im Gewichte von fünf Pfund +Silber, bekäme, daß sie zwei Sack Korn, eine neue große +kupferne Gidra<a name="FNanchor_78_78" id="FNanchor_78_78"></a><a href="#Footnote_78_78" class="fnanchor">[78]</a>, einen Teppich von Arbat, im Werthe von +20 Duoros, ein neues Hemd, einen neuen Haik, ein neues +seidenes Kopftuch und eine neue seidene Schürze als Aussteuer +bekäme, daß endlich das Maulthier, auf dem sie hergeleitet +würde, Eigenthum ihres Mannes bliebe. Es war also genau +so viel der Braut an Gegenständen mitzugeben, als der +Schwiegervater dem Abu Thaleb an Geld gezahlt hatte; einer +alten Sitte gemäß hatte überdies Aischa noch für ihren Zukünftigen +das Hemd selbst zu nähen, welches er am Hochzeitstage +zu tragen hatte, auch eine rothe Mütze mußte sie ihm +mitbringen, wofür der Bräutigam am Festtage der Braut +einen silbernen Ring und eine Halsschnur von Bernstein +überreichte.</p> + +<p>Nachdem die beiden Väter dieses unter sich abgemacht +hatten, begaben sie sich zum Kadhi der Uled Hassan, wo alle +diese Bestimmungen zu Papier gebracht und von Beiden unterzeichnet +wurden; auch wurde der Tag der Heimführung der +Braut, der Hochzeitstag, bestimmt und Alles dies durch ein +gemeinsames Fötah (Segen, d.h. das erste Capitel des Koran +wird gesprochen) besiegelt.</p> + +<p>Abu Ssalam mit seiner Ehehälfte zog sodann eiligst nach +Hause, denn da die Hochzeit schon nach acht Tagen stattfinden +sollte, mußten jetzt rasch die Vorbereitungen zur Festlichkeit +gemacht werden. Es mußten die Einladungen ergehen an +nahe wohnende Freunde, Geschenke für die Geistlichkeit mußten +gemacht werden, damit diese den Segen Gottes auf das neue +Ehepaar herabflehe, Lämmer und Ziegen mußten ausgesucht +werden zum Schlachten, und Tag für Tag waren die Frauen +der drei Duar beschäftigt, Kuskussukügelchen<a name="FNanchor_79_79" id="FNanchor_79_79"></a><a href="#Footnote_79_79" class="fnanchor">[79]</a> zu rollen, denn +Hunderte von Personen waren am Hochzeitstage zu bewirthen.</p> + +<p>So nahete der Tag. Einige Tage vorher saß Aischa schon +mit umwickelten Händen und Füßen; denn während sonst die+ +Frauen es für genügend halten, während einer Nacht, um eine +rothe Färbung hervorzubringen, ihre Gliedmaßen in zerstampftes +Hennahkraut einzuwickeln, hatte Aischa's Mutter, um eine +recht rothe Farbe hervorzurufen, es für nothwendig gehalten, +dies während mehrerer Tage hindurch zu thun. Ihre Augenlider +wurden mit Kohöl geschwärzt, ebenso die Brauen, und +auf ihre Stirn hatte ihre Mutter ihr ein reizendes Blümchen +gezeichnet, während auf die Außenfläche der rothen Hand +verschiedene schwarze Zickzacklinien gemalt wurden. Ihre +Freundinnen und Gespielinnen waren alsdann behülflich, sie +anzukleiden, nachdem Aischa im nahen Flusse ein Bad mit +ihnen genommen hatte. Aber weniger prunkvoll, wie dies die +Städterinnen zu thun pflegen, war das bald geschehen: ein +seidenes Tuch um den Kopf geschlungen, nur mit Mühe das +lange hervorquellende Haar zurückhaltend, welches sorgfältig +gekämmt, geölt und geflochten war, ein neues Hemd, ein +neuer weißer Haik, der über den Kopf und um den ganzen +Leib geschlungen wurde, eine seidene Schürze von Fes, das +war nebst rothen Pantöffelchen an den Füßen der ganze Anzug; +denn Hosen, Westen, Kaftane und dergleichen Kleider, wie +sie die Städterinnen in Fes, Mikenes oder einer anderen +Stadt tragen, kennen die Töchter eines Zeltes nicht. Sodann +wurde Aischa mit Rosenwasser übersprengt, mit Bochor und +Djaui (Sandelholz und Weihrauch) durchräuchert und in die +Kubba auf's Maulthier gesetzt.</p> + +<p>Unter Thränen hatte sie Abschied von ihrer Mutter und +von ihren Freundinnen genommen, denn die Sitte erheischte, +daß diese daheim blieben; nur die männliche Bevölkerung der +Uled Hassan und zu beiden Seiten des Maulthieres zwei ehrwürdige +Greise, ihr Vater und ihr Oheim väterlicher Seits, +begleiteten sie. Früh aufgebrochen, waren sie schon Mittags +Angesichts der drei Duar der Beni-Amer, und sobald der Zug +sichtbar war, kamen sämmtliche Leute der Beni-Amer und +viele Fremde der Umgegend, die Pferde hatten, auf sie losgesprengt +und bewillkommneten die Braut durch Flintenschüsse. +Der Bräutigam war aber nicht dabei.</p> + +<p>Im Duar des Bräutigams selbst angekommen, wurde sie +sogleich nach dem Zelte ihrer Schwiegermutter geführt, und +jetzt, unter lauter ihr fremden Frauen, zeigte sie sich zum ersten +Male ihren neuen weiblichen Verwandten; denn wenn die +Frauen des Zeltes auch nicht verschleiert sind, so war Aischa +doch in der Kubba, d.h. in einer Art Käfig, der auf dem +Maulthiere ruhte, hergekommen und war somit allen Blicken +entzogen. Die Frauen verbringen jetzt die Zeit mit Essen und +Trinken. Unterdeß haben sich aber auch die Männer versammelt, +sie ziehen vor das Zelt des Bräutigams, der, in neue +Gewänder gehüllt, heraustritt. Sein Kopf ist vollkommen mit +einem Turban umwickelt, nur ein schmaler Spalt für die Augen +ist gelassen. Man heißt ihn ein Pferd besteigen und sodann +reiten Alle aus dem Duar heraus, um ein Lab, d.h. ein +Wettrennen mit Schießen, abzuhalten. Der Bräutigam allein +nimmt nicht Theil. Er hält gegenüber dem Zelte, wo man +weiß, daß die Braut mit den übrigen alten und jungen +Frauen sich aufhält, und nimmt so gewissermaßen Angesichts +seiner Braut eine Parade ab. Weder kann er sie sehen, noch +sie ihn, denn das Zelt ist bis auf einige Schlitze dicht zusammengezogen +und sein Kopf ist verhüllt. Endlich ergreift, +nachdem Alle schon mehrere Male das Pulver haben sprechen +lassen, Omar ebenfalls eine Flinte, er schwingt sie um seinen +Kopf, er saust davon, macht Kehrt, um im rasendsten Ritte +auf's Zelt seiner Braut loszugehen, und angekommen, drückt +er seine Flinte ab, schwenkt seitwärts, nachdem er noch die +Flinte hoch in die Luft geschleudert und geschickt wieder aufgefangen +hat.</p> + +<p>Es wird Abend und der Bräutigam wird nach seinem +Zelte zurückgeführt. Nun beginnen allgemeine Schmausereien; +aber die Frauen, immer in ihrer Mitte noch die Braut Aischa +behaltend, setzen den Kampf gegen die Kuskussuschüsseln allein +fort, frischen Muth dazu dann und wann durch eine Tasse +stark mit Münze aromatisirten Thee's schlürfend. Die meisten +Männer und Jünglinge essen im Freien, denn die Zelte bieten +weder Raum noch Helligkeit, nur der Bräutigam bleibt allein. +Es scheint sich ein wahrer Wettstreit unter den Gästen im +Essen zu entwickeln; aber wenn man weiß, wie ausnahmsweise +und selten in Marokko den Leuten die Gelegenheit geboten +wird, Fleisch zu essen, so kann man sich vorstellen, wie es +dann bei einem Mahle hergeht, wo Fleisch in Hülle und Fülle +vorhanden ist und man seine Höflichkeit und Freude am besten +dadurch kund zu geben meint, wenn man so viel ißt, als man +überhaupt nur essen kann.</p> + +<p>Die Dunkelheit ist nun völlig hereingebrochen. Da sieht +man plötzlich aus dem Zelte der Frauen einen Zug herauskommen, +voran die Braut, sie allein verschleiert; ihr zur Seite +gehen andere junge Mädchen, in der einen Hand eine Papierlaterne +tragend, in der anderen ein mit Rosenwasser geschwängertes +Tuch, womit sie der Braut wohlriechende Luft +zuwehen; andere Frauen, und zwar zunächst die Schwiegermutter +Lella Mariam, folgen, alle haben Laternen. Sie gehen +auf das Zelt Omars zu, der fortwährend allein geblieben war, +und da von der anderen Seite auch die Männer herbeigekommen +waren, so ruft Abu Thaleb: "Omar ben Abu +Ssalam, bist Du im Zelte, so erscheine und bezeuge im Namen +des einigen Gottes, daß Du meine Tochter Aischa als Deine +Frau aufnehmen und ernähren willst." Omar erschien und +bezeugte es im Namen Gottes. Sodann ruft sein Vater: +"Ich bezeuge im Namen des Höchsten, daß ich an Abu Thaleb +200 Duro gezahlt habe; hast Du sie bekommen, o Freund?"—"Mit +Hülfe Gottes habe ich das Geld empfangen und laß +Deinen Sohn morgen zeugen, ob die Morgengabe Aischa's +richtig ist."—Darauf wurde das Fötah gebetet und die +Mutter Omars, die Braut ihm zuschiebend, schlug das Zelt +über Beide herab, und Omar und Aischa lagen einander in +den Armen.</p> + +<p>Draußen wurden aber die Schwelgereien im Essen fortgesetzt. +Kaid Abu Ssalam hatte Sänger und Lautenspieler +kommen lassen, Tänzerinnen hatten sich eingestellt, kurz, es +fehlte nichts einer, einem so reichen und mächtigen Kaid würdigen +Hochzeitsfeier. Aber stürmischer Jubel brach los, als +einige Zeit nachher Lella Mariam, die Mutter Omar's, die +vor dem Zelte Platz genommen hatte, aufstand und ein +Hemd, das der gewesenen Braut Aischa, durch die Luft +schwenkte. Das Hemd enthielt Blutstropfen, Omar konnte +also den sichtbaren Beweis der Jungfräulichkeit seiner Braut +liefern und dieser mußte Allen, die an der Hochzeitsfeier Theil +nahmen, gezeigt werden. Kann dieser nicht beigebracht werden, +so ist überhaupt die Heirath, <i>wenn der Gatte will</i>, +als nicht geschehen zu betrachten.</p> + +<p>Drei Tage dauerten diese Schmausereien, während welcher +Zeit aber das junge Paar meistens allein blieb, um ganz das +Glück der ersten Liebe zu genießen; vielleicht hätte auch Kaid +Abu Ssalam die Festlichkeit noch länger ausgedehnt, da bei +sehr reichen Familien acht Tage lang festirt wird, wenn nicht +ein Ereigniß eingetreten wäre, das den Lustbarkeiten ein jähes +Ende setzte.</p> + +<p>Wohl durch zu viele Arbeit, die der alte Omar, Vater +Abu Thalebs, seinem Magen aufgebürdet hatte, vielleicht auch +durch Uebermaß des sonst ungewohnten Fleischgenusses, erkrankte +er und schon nach einigen Stunden hatte er aufgehört zu leben.</p> + +<p>Sobald man den Tod des alten Omar als sicher constatirt +hatte, wurden alle alten Weiber vor sein Zelt beordert, um +das Klagen und Weinen zu besorgen, während die Männer +den noch warmen Leichnam wuschen, räucherten und in ein +neues Stück Kattun einwickelten. Dies dauerte einige Stunden, +sodann wurde eine Tragbahre geholt und der Verstorbene +hinaufgelegt, denn bei den Zeltbewohnern herrscht die Sitte, +den Todten in einen Sarg oder eine Truhe zu legen, nicht. +Vier Männer bemächtigten sich der Bahre und sodann ging es +fort in so schnellem Schritte, als man, ohne zu laufen, nur +gehen konnte. Beständig wurde nach einförmiger Melodie +gesungen: <tt>Lah illaha Il Allaha</tt>, und wenn dies etwa hundert +Mal wiederholt worden war, bildete der Satz: <tt>Mohammed +ressul ul Lah</tt> den Schluß, um aber gleich wieder von vorn +anzufangen. Alle zwanzig Schritte lösten sich die Leute im +Tragen ab, damit Jeder der Ehre, den Todten zur letzten +Stätte zu tragen, theilhaftig werden könne. Nach dem Gottesacker +der Beni-Amer, der ziemlich entfernt vom Duar gelegen +war, waren aber schon vorher einige Leute geschickt worden, +um die Gruft zu bereiten, und als der Trauerzug ankam, war +Alles in Ordnung.</p> + +<p>Ein letztes Fötah wurde gebetet und die Sure: "Sag', +Gott ist der Einzige und Ewige. Gott zeugt nicht und ist +nicht gezeugt und kein Geschöpf gleicht ihm," wurde von allen +Anwesenden gelesen<a name="FNanchor_80_80" id="FNanchor_80_80"></a><a href="#Footnote_80_80" class="fnanchor">[80]</a> und darauf unter dem Ausrufe: "<tt>Bism +Allah</tt>!" (im Namen Gottes) der Leichnam in die Gruft gelegt. +Ein Jeder der Anwesenden warf eine Hand voll Sand +auf den Körper und hierauf wurde durch Hacken die Grube +schnell mit Erde gefüllt. Damit nicht etwa Hyänen das Grab +eröffnen könnten, wurden sodann zum Schlusse schwere Steine +über das Ganze gelegt. Zurück wurde der Weg eben so rasch +und ebenfalls unter dem Gesange: "<tt>Lah illaha Il Allaha</tt>" +gemacht. Acht Tage lang mußten außerdem Trauerweiber, die +zum Theil bezahlt waren, klagen und weinen, die Männer +aber gingen ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nach, pflegten +sich aber auch Abends beim Trauerzelte einzufinden, weniger +um der Vorzüge und Tugenden zu gedenken, die der verstorbene +Omar ben Edris gehabt haben sollte, als um an der Mahlzeit +Theil zu nehmen, die sein Sohn während der achttägigen +Klagezeit allen Mittrauernden spenden mußte. Die Trauer +durch besondere Kleider, z.B. schwarze Gewänder, auszudrücken, +ist aber bei den Zeltbewohnern so wenig Sitte, wie bei den +mohammedanischen Städtern.</p> + +<p>Daß der Kaid der Uled Sidi Schich die Kränkung nicht +ruhig hinnahm, weil man seine Tochter verschmäht hatte, versteht +sich von selbst. Und so erschien er denn eines Tages +mit zwanzig Reitern nach gefahrvollen Märschen; es gelang +ihm auch, eine Nachts außengebliebene Heerde fortzutreiben. +Doch die schnell aufgebotenen Beni-Amer, im Verein mit einigen +Uled Hassan, ereilten die Räuber, ein kurzes Gefecht entspann +sich, einige Kugeln wurden gewechselt. Die Uled Sidi Schich +zogen natürlich den Kürzeren, im Triumphe wurde die geraubte +Heerde zurückgebracht und seit der Zeit lebt Omar zufrieden +und ruhig am Ued Ssebu, lebt wie sein Vater und seine Vorfahren +gelebt hatten und wie seine Söhne und Nachkommen +unwandelbar nach denselben Sitten und Gebräuchen weiter +leben werden.</p> + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_66_66" id="Footnote_66_66"></a><a href="#FNanchor_66_66"><span class="label">[66]</span></a> Wie man bei uns sagt, er stammt aus einem großen Hause, so +sagt man in Marokko min cheima kebira ("von einem großen Zelte").</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_67_67" id="Footnote_67_67"></a><a href="#FNanchor_67_67"><span class="label">[67]</span></a> In Marokko flechten und kämmen die Frauen und Mädchen ihr +Haar keineswegs alle Tage, sondern nur bei festlichen Gelegenheiten.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_68_68" id="Footnote_68_68"></a><a href="#FNanchor_68_68"><span class="label">[68]</span></a> Sidi ist der Titel des Großscherifs der heiligen Stadt Uesan.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_69_69" id="Footnote_69_69"></a><a href="#FNanchor_69_69"><span class="label">[69]</span></a> Mohammed sagt im Koran: "Niemand trage seine Haare in Flechten +bis zu den Schultern herab." Weil, S. 251.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_70_70" id="Footnote_70_70"></a><a href="#FNanchor_70_70"><span class="label">[70]</span></a> Obschon es Mohammed ausdrücklich verboten ist, Staub aus +dem Tempel von Mekka als Reliquie mitzunehmen, thun es die meisten +marokkanischen Pilger doch.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_71_71" id="Footnote_71_71"></a><a href="#FNanchor_71_71"><span class="label">[71]</span></a> Man sagt so, natürlich sind die Insassen des Zeltes gemeint.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_72_72" id="Footnote_72_72"></a><a href="#FNanchor_72_72"><span class="label">[72]</span></a> Schreiber.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_73_73" id="Footnote_73_73"></a><a href="#FNanchor_73_73"><span class="label">[73]</span></a> Plural von Thaleb.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_74_74" id="Footnote_74_74"></a><a href="#FNanchor_74_74"><span class="label">[74]</span></a> In jedem marokkanischen Duar befindet sich ein Zelt, das zum +Abhalten des freitäglichen Chothagebetes bestimmt ist und Situn el +Djemma heißt; in der Regel dient es auch als Herberge für Fremde und +heißt dann Situn el Diaf.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_75_75" id="Footnote_75_75"></a><a href="#FNanchor_75_75"><span class="label">[75]</span></a> Wollenes Uebergewand.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_76_76" id="Footnote_76_76"></a><a href="#FNanchor_76_76"><span class="label">[76]</span></a> In einzelnen Familien haben sich behufs der Beschneidung Steinmesser +oder vielmehr scharfe Steinscherben vom Vater auf den Sohn +vererbt und wahrscheinlich sind sie aus Arabien mit herübergebracht +worden.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_77_77" id="Footnote_77_77"></a><a href="#FNanchor_77_77"><span class="label">[77]</span></a> Der gewöhnliche Preis ist auf 60 französische Thaler, in Marokko +Doro oder Duoro genannt, fixiert.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_78_78" id="Footnote_78_78"></a><a href="#FNanchor_78_78"><span class="label">[78]</span></a> Kupferner Kessel.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_79_79" id="Footnote_79_79"></a><a href="#FNanchor_79_79"><span class="label">[79]</span></a> Die Kuskussukügelchen aus Weizen- oder Gerstenmehl, auf einem +Palm- oder Strohteller gerieben, sind von der Größe unserer Perlgrütze. +Getrocknet halten sie sich monatelang, ja über ein Jahr. Man nimmt sie +auch als Provision auf Reisen mit.</p></div> + +<div class="footnote"><p><a name="Footnote_80_80" id="Footnote_80_80"></a><a href="#FNanchor_80_80"><span class="label">[80]</span></a> Der Araber braucht das Wort "ikra" er liest, nicht blos von der +Handlung in unserem Sinne, d.h. wenn man aus einem Buche etwas +abliest, sondern auch, wenn Jemand aus dem Koran oder sonst einem +Buche ein Capitel hersagt.</p></div> +</div> + + +<p>Leipzig,</p> + +<p>Druck von Alexander Edelmann.</p> + + + + + + + + +<pre> + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und +Erforschung Africa's., by Gerhard Rohlfs + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITR„GE ZUR ENTDECKUNG *** + +***** This file should be named 16280-h.htm or 16280-h.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/1/6/2/8/16280/ + +Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. 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You may copy it, give it away or +re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included +with this eBook or online at www.gutenberg.org + + +Title: Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Africa's. + Berichte aus den Jahren 1870-1875 + +Author: Gerhard Rohlfs + +Release Date: July 13, 2005 [EBook #16280] + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITR„GE ZUR ENTDECKUNG *** + + + + +Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This +file was produced from images generously made available +by the Bibliotheque nationale de France (BnF/Gallica) at +http://gallica.bnf.fr. + + + + + + +Beiträge + +zur Entdeckung und Erforschung + +Africa's. + +Berichte aus den Jahren 1870-1875 + +von + +Gerhard Rohlfs. + + * * * * * + +Leipzig, + +Verlag der Dürr'schen Buchhandlung + +1876 + +Mit dem Stahlstich-Portrait des Verfassers + + +Beiträge + +zur + +Entdeckung und Erforschung Afrika's. + +[Illustration: Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs] + +[Illustration: Handwriting] + +Contributions + +à la découverte cf á l'exploration + +de l'Afrique + +Récite des anneés 1870-1875 + +Herr Gerhard Rohlfs + +Leipzig + +Dürr + +1876 + + +Beiträge + +zur Entdeckung und Erforschung + +Afrika's. + +Berichte aus den Jahren 1870-1875 + +von + +Gerhard Rohlfs. + + * * * * * + +Leipzig, + +Verlag der Dürr'schen Buchhandlung + +1876 + + + + + + + +INHALT + + +1. Der Kanal von Suez +2. Bauten in Afrika +3. Lagos an der Westküste von Afrika +4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika +5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern +6. Beitrag zur Kenntnis der Sitten der Berber in Marokko +7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker +8. Aufbruch zur Libyschen Wüste +9. Das jetzige Alexandrien +10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten +11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste +12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnografische Schilderung + + + + + + +1. Der Kanal von Suez. + + +Es hat kaum ein großartigeres Unternehmen mehr das Interesse der +gebildeten Welt in Anspruch genommen, als der Durchstich des Isthmus von +Suez, eine Unternehmung, wie sie eben nur der vor nichts +zurückschreckende Geist des 19. Jahrhunderts erdenken konnte. Und keine +Arbeit ist mehr besprochen und beschrieben worden, als gerade dieser +Kanal, Stimmen haben sich dafür und dagegen erhoben; Enthusiasten +wollten den Kanal in ein paar Jahren vollenden, unterschätzten die +Schwierigkeiten, setzten die Kosten zu gering an; ihre Gegner sprachen +von unüberwindlichen Hindernissen, vom Niveauunterschiede der beiden zu +verbindenden Meere, von nicht zu besiegenden Sandstürmen der Wüste, vom +Mangel an Geld und endlich, falls der Kanal zu Stande käme, von den zu +großen Kosten, welche die Rheder für ihre durchgehenden Fahrzeuge zu +entrichten haben würden. + +Im Jahre 1854, als Hr. von Lesseps vom Vicekönig die Autorisation bekam +zur Anlegung eines maritimen Kanals durch die Landenge, constituirte +sich infolge dessen eine internationale Commission, bestehend aus +Ingenieuren von England, Oesterreich, Spanien, Frankreich, den +Niederlanden und Preußen, um einen Plan auszuarbeiten, und nachdem diese +Commission festgestellt hatte, daß kein Niveauunterschied zwischen den +beiden getrennten Meeren vorhanden sei, hatte sie die Bildung des Kanals +von Suez und eine Subscription zur Folge. Die auszuführenden Arbeiten +waren auf 200 Mill. Frs. veranschlagt worden, welche Summe aufgebracht +wurde. Im Jahre 1859 begannen die ersten Arbeiten unter der +unmittelbaren Direction der Compagnie selbst. + +Diese bestanden hauptsächlich in Menschenwerk; das ägyptische +Gouvernement hatte contractlich 20,000 Fellahin oder Leibeigene zu +liefern, welche eine monatliche Dienstzeit hatten, wobei sie auf Kosten +der Compagnie ernährt und abgelohnt wurden. Jeden Monat löste ein Haufen +anderer Zwangsarbeiter den alten ab. + +Als nun Ende 1865 die Unzulänglichkeit dieser Arbeiten sich +herausstellte, schloß die Compagnie mit dem Hause Borrel und Lavaley +einen Contract, demzufolge das genannte Haus es übernahm, sämmtliche +Erdarbeiten, die Ausgrabung und Ausbaggerung des Kanals durch Maschinen +bewerkstelligen zu wollen. Zugleich wurde der Firma Dussaud Frères die +Vollendung der großen Molen von Port-Said überwiesen und die Arbeiten, +welche dieses Haus durch seine colossalen künstlichen Steinblockbauten +in Algier, Cherbourg u.s.w. ausgeführt und dem man neuerdings noch die +Construction des Hafens von Smyrna übergeben hatte, waren hinlänglich +Bürge, daß ihnen die Molen von Port-Said würden ebenbürtig zur Seite +gestellt werden können. + +Es handelte sich nun aber darum, das ägyptische Gouvernement, welches +sich verpflichtet hatte, während des Kanalbaues so und so viele Arbeiter +zu liefern, dahin zu bringen, daß es für die jetzt unnöthig gewordenen +Menschenkräfte einen äquivalenten Theil an Geld gewährte und die +ägyptische Regierung, immer bei der Hand, das Unternehmen auf's +Großmütigste zu fördern, ging auf's Bereitwilligste daraus ein. Indeß +stellte es sich heraus, daß die Ablösungssumme, welche die Compagnie +verlangte, 54 Mill. Frs. dem Vicekönig zu hoch gegriffen schien und man +kam nun überein, sich einem Schiedsrichter zu unterwerfen, wozu beide +Parteien den Kaiser Napoleon wählten. Aber nicht für 54 Millionen +entschied sich der Kaiser der Franzosen, sondern für 84 Millionen, +welche die ägyptische Regierung der Compagnie zu zahlen habe. Die +anfängliche Schätzung der Compagnie war also bedeutend durch den +Ausspruch des Kaisers Napoleon überboten worden. Man hat behaupten +wollen, der Umstand, daß Herr von Lesseps ein Verwandter der Kaiserin +Eugenie ist, habe nicht wenig dazu beigetragen, eine für die Compagnie +so außerordentlich günstige Entscheidung herbeizuführen. Außerdem hatte +die Compagnie einen neuen Geldzuschuß von 10 Mill. Frs. als +Entschädigung für die Domäne Tel-el-kebir vom Vicekönig erhalten. +Trotzdem daß nun die ursprünglich veranschlagte Summe von 200 Mill. Frs. +sich so um fast 100 Millionen erhöht fand, stellte es sich schon im +kommenden Jahre heraus, daß zur Beendigung des Kanals noch wenigstens +100 Millionen erforderlich seien. Deshalb ging Anfang 1868 Herr Lesseps +nach Paris, um eine neue Anleihe zu negociiren. Eine Anleihe als solche +scheiterte indeß, es gelang aber Herrn Lesseps eine Lotterie mit +Bewilligung der französischen Kammer zu Stande zu bringen, welche bis +Anfang Juni 1868 40-45 Millionen ergab und endlich wurden durch +verschiedene Operationen die finanziellen Schwierigkeiten des Kanalbaues +überwunden. + +Nach der damaligen Abmachung sollten die Arbeiten bis zum 1. October +1869 fertig sein und nach den Arbeiten des Hauses Borrel und Lavaley zu +schließen, konnte dies auch geschehen. Denn um von dem Augenblicke an +den Kanal so herzustellen, daß er überall an der Wasserlinie eine Breite +von 100 Meter, an der Basis 22 Meter (an einigen Stellen indeß oben 75 +Meter und unten blos 12 Meter) mit einer Tiefe von überall 8 Metern +habe, blieben vom Juni 1868 an noch 34 Millionen Kubikmeter Terrain +wegzuräumen übrig. Mit der Arbeitsfähigkeit, welche Borrel und Lavaley +zu ihrer Disposition hatten und wodurch bis Mai 1868 circa 18 Millionen +Kubikmeter Erdreich weggeschafft wurde und welche im Juli 1868 bis auf +20 Millionen Kubikmeter gesteigert werden konnte, stellte es sich +heraus, daß in der That bis Ende des Jahres 1869 der Kanal fertig sein +würde. Ob aber derselbe dann schon für die größten Fahrzeuge passirbar +sein würde, war eine andere Frage; jedenfalls aber konnten Borrel und +Lavaley, die mit der Compagnie übereingekommen waren, eine so und so +große Menge von Erdreich aus der vorgeschriebenen Linie des Kanals +hinwegzuräumen, ihren Verpflichtungen nachkommen. Zur Ausführung dieser +großartigen Arbeit hatten Borrel und Lavaley folgende Maschinen, welche +sämmtlich entweder in England oder Frankreich und Belgien angefertigt +sind, zur Disposition: a) 10 mechanische Zermalmer; b) 4 +Handbaggermaschinen; c) 19 kleine Baggermaschinen; d) 58 große +Baggermaschinen, von denen 20 mit langen Abgüssen; e) 30 Dampfschiffe, +um Schutt wegzufahren, mit Seitenklappen; f) 79 Schuttdampfschiffe mit +Grundklappen, 37 von diesen hielten das Meer; g) 18 Elevateurs; h) 90 +schwimmende Chalands mit Schuttkisten; i) 30 Dampfwidder; k) 15 +Dampfchalands; l) 60 Locomobilen; m) 15 Locomotiven; n) 20 +Dampferdhöhler theils für trockenen, theils nassen Boden; o) 1800 +Erdwagen; p) 25 Dampfcanots oder Remorqueurs; q) 200 eiserne Chalands. + +Wir brauchen nicht zu erwähnen, daß auch noch ein genügendes und +massenhaftes Material von kleinen Geräthen, als Schaufeln, Hacken, +Schiebkarren u.s.w. vorhanden war. Borrel und Lavaley hatten außerdem +eine Arbeitskraft von circa 12,000 Menschen auf dem Platze, welche +theils aus Eingeborenen, die sich freiwillig zum Arbeiten gemeldet +hatten, theils aus Europäern bestand. Alle Arbeiten waren contractlich; +erstere bekamen für 1 Meter Kubikfuß 1 Fr. 95 Cent., wo das Terrain +leicht zu bearbeiten war; wo es hingegen, wie in Chalouf, schwierig war, +bis 2 Frs. 45 Cent., die Handwerker und Europäer hatten nicht unter 5 +Frs. per Tag. + +Bald darauf wurden aber wieder viele Stimmen laut, daß nach vollendetem +Kanalbaue zwei große Schiffe neben einander nicht würden passiren +können; indeß bei den geringsten Dimensionen von 75 Meter an der +Wasserlinie und 12 Meter an der Basis waren wir berechtigt, anzunehmen, +daß dies der Fall sein würde oder daß man dem würde abhelfen können. +Man wollte ferner behaupten, daß die Ausfüllung der Bitterseen vom +Mittelmeere aus zu rasch vor sich gehen würde und so durch den +hereinbrechenden Strom der Kanalbau beschädigt, wenn nicht ganz zerstört +werden könnte. Die Anfüllung des Timsahsees im Jahre 1861, wozu nicht +weniger als circa 100 Mill. Kubikmeter Wasser erforderlich waren, welche +dem mittelländischen Meere entzogen wurden, hatte jedoch gezeigt, daß +bei so großen Quantitäten mit verhältnißmäßig so geringem Falle die +Strömung mit großer Langsamkeit vor sich geht; und so konnte man genau +berechnen, daß zur Ausfüllung des großen und kleinen Beckens des +Bittersees, welcher wenigstens 20 Mal so viel Volumen Wasser +verschlingen würde, als der Timsahsee, fast zwei Monate erforderlich +sein müßten. + +So war, als wir Mitte Juni 1868 den Kanal besuchten, die Sachlage; und +wenn wir auch nicht der Meinung der Pessimisten waren, welche +behaupteten, der Kanal würde nie fertig, würde stets wieder versanden +oder auch diese Compagnie würde nicht die erforderlichen Mittel +aufbringen können, um die Bauten zu Ende zu führen, und es würde so +selbstverständlich der Kanal in die Hände der Engländer übergehen +(beiläufig gesagt wäre dies gar kein Schaden für die kommerzielle Welt), +so waren uns doch auch andererseits starke Zweifel aufgestoßen, ob der +Kanal schon Ende 1869 der allgemeinen Benutzung würde übergeben werden +können. Denn wenn auch die Firma Borrel und Lavaley die vorgeschriebenen +34 Mill. Kubikmeter Terrain bis Ende 1869 herausgeschafft haben konnte, +so war damit lange noch nicht der Kanal fertig. Vor Allem wäre überdies +der Compagnie eine weise Sparsamkeit anzuempfehlen gewesen. Wozu nützte +es damals, nachdem sie alle Privatarbeiten abgegeben hatte an +Privatunternehmer (Borrel und Lavaley, Dussaud Frères, Couvreur in El +Guisr u.a.m.), einen so großen Stab zu unterhalten? Seitdem die +Compagnie sich nicht mehr direct bei den Arbeiten betheiligte, wie im +Anfange, war es da nicht eine eitle Geldverschleuderung, noch immer +denselben Personalbestand zu haben, welcher unter den hochtönenden Namen +Agence supérieure und Direction générale des travaux ein Personal von +über 200 Leuten (officiell) aufwies, von denen der geringste Beamte +sicher nicht unter 5000 Frs., der Director Herr Voisin 50,000 Frs. +Gehalt bezog? + +Man kann von drei Seiten hinkommen, um den Kanal zu besuchen: von +Port-Said, von Ismaïlia und Suez. Wir gingen im Jahre 1868 von letzterem +Platze aus, uns auf dem Süßwasserkanal einschiffend, welcher von +Ismaïlia kommt und in Suez sein Ende hat. Von diesem Orte an bis nach +Ismaïlia hatte der Kanal eine Länge von 90 Kilometern, war an der +Wasserlinie überall 14 Meter breit und hatte eine durchschnittliche +Tiefe von 1,20 Meter. Es bestand eine regelmäßige Post, jedoch konnte +man auch Extradahabien haben, welche von Maulthieren, die immer im +schnellen Trabe oder Galop gehen, gezogen wurden. Der Verkehr war schon +sehr belebt durch kleine Privatschiffe; so bezogen schon damals die +indischen Schiffe und ganz Suez alle Kohlen mittelst des Kanals. Um die +Fähigkeit zu haben, überall halten und aussteigen zu können, zogen wir +eine Extradahabie vor, zumal die Posten sehr schmutzig und voller +Ungeziefer waren. Jede Dahabie hat einen Vorraum und einen kleinen +Salon, der für vier Personen geräumig ist, sogar ein kleines +Ankleidezimmer und Accessoir fehlen nicht. Die unvermeidlichen +Hausthiere mohamedanischer Länder, lästige kleine Insecten, fehlen aber +auch in den Extradahabien nicht, was auch ganz natürlich ist, da der +Reïs oder Capitain in Abwesenheit von Passagieren sich sicher nicht zum +Schlafen auf das Dach der Dahabie, sondern aus die Sophas in derselben +legt und seine beiden Leute sicher seinem Beispiel folgen. Man kann, +falls man sich gar nicht aufhält, die Fahrt von Suez nach Ismaïlia in +10-12 Stunden machen, indeß war es sehr gerathen, einige Stunden in +Chalouf zu bleiben, um die dortigen Arbeiten zu besichtigen. Hier ist +der einzige Ort, wo man auf felsiges Terrain, jedoch von lockerer +Beschaffenheit, stieß. Tagtäglich fand man hier die schönsten +Versteinerungen, Fische, Säugethiere und Pflanzen. Als wir den tiefen +Graben besuchten, wurde gerade ein ausgezeichnet schöner Rückenwirbel +eines Elephanten ausgegraben. Es herrschte in Chalouf ein reges Lebens, +große Dampfpumpen waren fortwährend in Thätigkeit, um das eindringende +Wasser, welches der nahe Süßwasserkanal durchsickern ließ, +herauszuschaffen, während andere mächtige Maschinen die Erde selbst +angriffen. Nur in Chalouf hatte man jetzt noch das Bild und Profil des +Kanals, da die anderen Strecken zwischen Port-Said und Ismaïlia alle +angefüllt waren. Aber gerade vor Thoresschluß den Kanal entstehen sehen +die riesigen Arbeiten bewundern zu können, gerade das hatte einen +besonderen Reiz. Wenn man jetzt nach Vollendung des Durchstiches über +den Kanal dahinfährt, kann man sich kaum eine richtige Idee machen von +den Schwierigkeiten, welche besiegt werden mußten. + +Nebenbei war hier eine ganze Stadt entstanden; es gab Kirchen, Moscheen, +Wirtshäuser, Spitäler, Cafés u.s.w. Von hier nun wendet sich der +Süßwasserkanal ab, um die Bitterseen, deren Bassin tiefer ist, als die +Basis des Süßwasserkanals, zu vermeiden, und bei der großen Hitze, die +im Sommer hier herrscht, zogen wir es vor, diesen Theil des Weges Nachts +zu machen, wo wir dann am anderen Morgen früh in Serapeum eintrafen; +dies liegt am Nordrande der Bitterseen. Vom Süßwassercanal führt eine +Zweigbahn nach Serapeum. Auch hier konnte man die Arbeiten in ihrer +ganzen Großartigkeit bewundern und auch hier hatte sich rasch ein Ort +entwickelt, wie es übrigens das Zusammensein so großer Arbeitermassen +von selbst mit sich bringt. + +Von Serapeum bis Ismaïlia sind nur noch 20 Kilometer und bald landete +die Dahabie an dem schönen steinernen Kai; vorbeifahrende Wagen, die +Menge der Schiffe (unter denen manche Dreimaster und stattliche +Mittelmeerdampfer), Kirchthürme, Häuser und Hotels, wie man sie nur in +den großen Seestädten findet, überraschen den Reisenden, so daß er +glaubt in Europa zu sein. + +Ismaïlia ist eine Stadt von circa 8000 Einwohnern. Nach einem vollkommen +regelmäßigen Plane gebaut, ist es weit hinaus im Halbkreise von einem +Süßwasserkanale umgeben, welcher von üppigen Weiden bordirt ist. Man hat +eine katholische und zwei griechische Kirchen, eine Moschee, zwei +Hospitäler, von denen eins für die arabische Bevölkerung bestimmt ist. +Es befinden sich hier die Gebäude der Directoren, welche an Pracht und +Bequemlichkeit in nichts den Sommerwohnungen der Fürsten nachstehen. +Die Straßen sind breit und vor allen Privathäusern breite Blumenbeete +und Baumanlagen, was einen reizenden Anblick gewährt. Namentlich der +Hauptcentralplatz ist eine allerliebste Anlage und obgleich erst seit +zwei Jahren geschaffen, so üppig, als ob sie seit zehn Jahren bestände. +In Ismaïlia ist das beste Hôtel das Hôtel des voyageurs; es giebt aber +noch fünf oder sechs andere. Natürlich wo Franzosen sind, fehlen nicht +die Cafés chantants und die Roulette; diese ist jetzt in Aegypten so +verbreitet, wie in Californien und namentlich zur Zeit der +Baumwollenperiode wurden oft in den schmutzigsten Winkelbuden Summen +umgesetzt, um die sie die Banken von Homburg, Wiesbaden und Ems hätten +beneiden können. Aber auch das deutsche Bier hat seinen Weg zum Kanal +gefunden und in Ismaïlia wie in allen anderen Städten Aegyptens giebt es +deutsche Bierbrauer, welche ihr Bier von Wien beziehen. Es hatte den +Anschein, als ob Ismaïlia nach Vollendung des Kanals sein Aufblühen, +welches es den Arbeiten hauptsächlich verdankt hatte, einbüßen würde, +aber jetzt im Bereiche des Eisenbahnnetzes, wird die Stadt doch immer +eine gewisse Wichtigkeit behalten, wenngleich es sich wohl nie zu einer +bedeutenden Stadt hinaufschwingen wird. + +Der Timsahsee war jetzt vollkommen angefüllt, er ist südlich von der +Stadt und circa einen halben Kilometer entfernt und hat eine Oberfläche +von 60 Hectaren. Der Canal maritime geht an der östlichen Seite +hindurch. Obgleich das auf dem Boden stark aufgehäufte Salz, welches +sich beim Hereinlassen des Mittelmeerwassers natürlich auflöste, +anfänglich keine Fische leben ließ, so ist doch durch die constante +Erneuerung des Wassers, durch den Abfluß vom Süßwasserkanal her, der +Salzgehalt so vermindert, daß eine Menge Fische jetzt darin leben, +obgleich der Salzgehalt des Wassers noch bedeutend größer ist, als der +des mittelländischen Meeres. Das Wasser ist übrigens hell, wie Krystall, +und ladet Jeden zum Baden ein. Krocodile sind heute nicht mehr zu +fürchten (behar el timssah heißt Krocodilsee) und eine gute Badeanstalt +am Ufer des Sees sorgt für alle Bedürfnisse ihrer Clienten. + +Von Ismaïlia bis Port-Said benutzte man damals schon den Canal maritime +der von Port-Said an gerechnet 75 Kilometer lang ist (die Länge des +ganzen Kanals beträgt bis Suez 160 Kilometer). Es war hier schon +tägliche Dampfverbindung und man legte die Fahrt gewöhnlich in acht +Stunden zurück. Die Dampfer, kleine Boote, waren übrigens zweckmäßig +eingerichtet und hatten eine erste und zweite Classe. Der Kanal hatte +hier überall die planmäßige Breite, aber noch nicht die gehörige Tiefe +zwischen diesen beiden Plätzen. Durch den Balahsee kam man zuerst nach +El Guisr, einem Punkte, der Interesse erregte durch die Ausstellung der +Maschinen des Herrn Couvreux. Diese Maschinen, Excavateurs genannt, +griffen mittelst Dampf das trockene Erdreich an, sind also +Trockenbaggerer; das Süßwasser wurde nach diesem Orte durch +Dampfdruckmaschinen befördert. Nichts war eigenthümlicher als der +Anblick der colossalen Dampfbaggerer und der Elevateurs, die man nun von +hier an auf Schritt und Tritt bis Port-Said fand. Es gab Baggerer, die +in _einem_ Tage bis 2000 Kubikmeter heraufholen konnten. + +Man passirt dann noch den Ort El Kántara (die Brücke) von circa 2000 +Einwohnern, schon früher wichtig als ein Halteplatz von Karavanen, die +nach und von Syrien ziehen. In El Kántara ist eine Kirche, ein Spital +und eine Moschee, dann die sehr sehenswerten Etablissements von Borrel +und Lavaley, welche denen dieser Herren in Chalouf um nichts nachstehen; +natürlich sind diese Werkstätten seitdem geschlossen worden. + +Der einzige Ort von Wichtigkeit ist nun nur noch El Aech (sprich Aisch), +ein kleines Etablissement circa 15 Kilometer von Port-Said entfernt. +Bald sah man nun schon die hohen Masten der Seefahrer und nach einer +Weile fuhr unser kleiner Dampfer hindurch zwischen seinen großen +Seebrüdern aus der Familie der Lloyd, der Messagerie impériale und +anderer Gesellschaften, die wie Riesen auf einen Zwerg, so auch auf +unsere kleine Dampfnußschale herabschauten. + +Port-Said ist eine vollkommen europäische Stadt und hat jetzt circa +12,000 Einwohner, welche Bevölkerung außer aus Aegyptern hauptsächlich +aus Oesterreichern (Dalmatinern), Franzosen, Italienern und Griechen +besteht. Letztere, der Auswurf ihres Landes, machen indeß das Leben in +Port-Said ebenso unsicher, wie in Suez und Alexandria. In allen diesen +Städten konnte man zur Zeit des Kanalbaues täglich einen Mord rechnen; +zum Glück für die übrigen Europäer, von denen sie wie die Pest gemieden +werden, schlachteten sie sich meist unter einander selbst ab. Die Stadt +hat einen ägyptischen Gouverneur und einen von der Regierung gepflegten +Gesundheitsdienst, fast alle maritimen Staaten sind durch Consuln +vertreten, Deutschland durch Herrn Bronn, welcher früher ebendaselbst +schon Consul von Preußen war. Es giebt Kirchen für den katholischen und +griechischen Cultus, eine Moschee für die Mohamedaner, Hospitäler und +Klöster, in denen nichtsthuende griechische oder katholische Mönche auf +Kosten der Bewohner Port-Saids ihre Bäuche mästen, eine Menge Hotels +(von denen das Hôtel Pagnon das beste sein soll; wir selbst hatten +unsere Wohnung auf Sr. Majestät Consulat). Cafés mit und ohne Musik, +öffentliche Bäder, Clubs, kurz nichts fehlte, um Port-Said als eine +kleine Großstadt bezeichnen zu können. Aber auch die Voraussicht, daß +Port-Said eine bedeutende Concurrenz Alexandrien machen würde, hat sich +nicht bewahrheitet. Jetzt nach einem Bestande des Canals von 5 Jahren +können wir nur constatiren, daß dieser Hafen nicht die Entwicklung +genommen hat, welche man seiner Lage zu Folge berechtigt zu sein +glaubte, voraussetzen zu dürfen. + +Zum Theil ist der Hafen nicht sicher, trotz der enormen Molen, welche +man construirt hat, zum Theil passiren die Schiffe, welche nach Indien +gehen, rasch ohne sich hier aufzuhalten. Der eigentliche Hafen für +Aegypten ist eben Alexandria geblieben. Wenn der jetzige Chedive, der ja +so große Dinge schon geschaffen hat, eines Tages dazu schreiten würde, +den in unmittelbarer Nähe gelegenen Mensaleh-See auszutrocknen, dann +würde sich allerdings in der Entwicklung Port-Saids eine wesentliche +Aenderung zu Gunsten der Stadt ergeben. + +Sehr sehenswerth war die Fabrikation der großen Steinblöcke zur +Construction der beiden Hafenmolen. Wie schon erwähnt, waren es die +Herren Dussaud Frères, welche diese Arbeit übernommen hatten. Jeder +Block hat 10 Kubikmeter Gehalt und wiegt 40,000 Pfund. Das Verfahren, +sie herzustellen, war so einfach wie möglich: Mittelst Sand, welcher aus +dem Hafen gebaggert und mit der vorgeschriebenen Partie Süßwasser +gemischt wurde, brachte man dieses Gemenge unter eine Zerreibemühle und +that es dann mit Kalk und Cement in gewollter Menge zusammen. Wenn alles +ordentlich durcheinander gemischt war, kam diese Masse in hölzerne +Formen und mußte dann zwei Monate trocknen, nach welcher Zeit eine +felsenartige Härte eintrat. + +Seitdem ist in der That der Kanal von Suez am 16. November 1869 eröffnet +worden und alle die bösen Conjuncturen, welche man an die +Lebensfähigkeit dieses gigantischen Unternehmens geknüpft hatte, haben +sich als eitel Dunst erwiesen. + +Ein riesiges Unternehmen, wozu man fünf Jahre Studien, wie Stephan sagt, +und elf Jahre Ausführung gebraucht hatte. + +Alle seefahrenden Nationen hatten sich bei dieser großartigen Feier +durch ihre Flotten vertreten lassen und von Fürstlichkeiten waren der +Kaiser von Oesterreich, der deutsche Kronprinz (damals noch Kronprinz +von Preußen), die Kaiserin Eugenie und Prinz Heinrich der Niederlande +erschienen. Alle waren Gäste des Chedive, aber nicht sie allein, sondern +Tausend andere. Ja der Schreiber dieser Zeilen, welcher ebenfalls eine +Einladung erhalten hatte, der er leider eingetretener Umstände halber +nicht Folge geben konnte, weiß aus späterem Besuche in Aegypten, daß +eine Menge _ungeladener_ Gäste flott sich unter die Geladenen drängte +und auf Kosten des Chedive den Festlichkeiten anwohnte. Man berechnet +die Zahl der damals anwesenden Fremden auf 30,000 Personen. + +Der dabei entwickelte Pomp, die Verschwendung, welche ostensibel zur +Schau getragen wurde, sind unbeschreiblich; aber für den Orient, wo +Alles auf Aeußerlichkeit berechnet ist, kann man sie kaum übertrieben +nennen. + +Wenn nun auch der Kanal bei der Eröffnung vollständig planmäßig +hergestellt war, so war doch im Mai 1871 erst die Ausbaggerung des +Kanals soweit vollendet, daß er in seiner ganzen Länge eine mittlere +Tiefe von 8,50 Meter hatte, so daß Schiffe mit 7 Meter Tiefgang +ungehindert den Kanal passiren konnten. + +Im ersten Jahre hat man noch, eingeschlossen die Ausbaggerung des +Außenhafens bei Port-Said, 563,060 Kubikmeter ausgeräumt, aber eine im +December 1871 vorgenommene Sondirung in einer Entfernung von je 18,50 +Meter vorgenommen ergab überall die Tiefe als normal. Es bestätigte sich +denn auch, daß der Kanal keineswegs so viel zu leiden hatte von den +Sandwehen der Dünen oder vom Abschwemmen der Ufer durch den Wellenschlag +vorbeifahrender Dampfer. Ebenso haben die in Port-Said errichteten Molen +vollkommen gut dem schlechtesten Wetter getrotzt, denn einige Senkungen, +welche man übrigens vorausgesehen hatte, haben auf die allgemeine +Sicherheit keinen Einfluß gehabt. + +Die Leichtigkeit, mit welcher der Verkehr vor sich geht, hat überhaupt +alle die bösartigen Voraussetzungen und Meinungen, die man anfangs mit +der Lebensfähigkeit des Kanals in Verbindung brachte, zu nichte gemacht. + + + +Im Jahre 1870 passirten 486 Schiffe. + " " 1871 " 765 " + " " 1872 " 1082 " + " " 1873 " 1173 " + " " 1874 " 1264 " + +Seit der Einweihung haben bis Ende 1874 4770 Schiffe den Kanal passirt +mit einem Gesammttonnengehalt von 8,050,338; davon waren circa vier +Fünftel Dampfer und nur ein Fünftel Segler. Die Einnahmen betrugen vom +Beginn der Eröffnung bis Ende 1874 78,317,352 Frs. Am besten wird das +stete Wachsen der Einnahme veranschaulicht, wenn wir die des ersten +Jahres mit 5,159,327 Frs. gegen die des Jahres 1874 mit 24,859,383 Frs. +halten. + +Wir sehen aber, daß bei Weitem der größte Theil der Schiffe den +Engländern gehört, ihr Land also in Wirklichkeit den größten Nutzen vom +Durchstich der Landenge von Suez gehabt hat. Was würde Lord Palmerston, +dieser eifrigste Gegner des Suezkanales, gesagt haben, hätte er ein +solches Resultat noch erleben können. + +Die jährlichen Ausgaben des Kanals waren auf circa 5,000,000 Frs. +veranschlagt, da aber im ersten Semester 1872 die Einnahmen sich schon +auf mehr als eine gleiche Summe bezifferte und da der Transit +fortwährend im Steigen begriffen ist, so kann man mit Zuversicht der +Zukunft entgegensehen. + +Seit dem Juli 1872 hat die Umwandlung des officiellen Tonnengehaltes in +die des sogenannten "gross tonnage" die Einnahmen um 40 bis 50% +gesteigert. + +Längs des ganzen Kanals hatte man von Mitte 1871 Fluthmesser angebracht +auf sechszehn verschiedenen Stationen. Von sechs Uhr Morgens bis sechs +Uhr Abends wird viertelstündlich die Höhe des Wassers, die Schnelligkeit +der Strömung des Wassers und die Windrichtung gemessen, so daß man jeden +Augenblick am Tage die Fluthwelle von Port-Said bis Suez in Erfahrung +bringen kann. Das aus dem rothen Meere kommende Wasser fließt gegen das +Mittelmeer mit einer intermittirenden Geschwindigkeit, welches von der +ungleichen Gezeitung beider Meere verursacht wird. + +Zu erwähnen ist noch, daß die Leuchtthürme von Port-Said und Suez ebenso +wie die, welche längs des Kanals aufgestellt sind, von electrischem +Lichte erleuchtet werden, der von Port-Said durch magneto-electrische +Maschinen, welche durch Dampf in Thätigkeit gesetzt werden. + +Trotz des großen Aufschwungs, den der Kanal genommen hat, knüpfen sich +an seine Existenz nicht unwichtige Fragen, welche bei einer eventuellen +Unabhängigkeitserklärung Aegyptens zum Austrag kommen dürften. +Jedenfalls besitzen wir aber dermalen in der Verbindung der beiden Meere +ein Werk so großartig, daß es bis jetzt durch kein anderes Unternehmen +ähnlicher Art übertroffen worden ist. + + + + +2. Bauten in Afrika. + + +Wenn wir hier die Bauweise der in Afrika befindlichen Völker, soweit es +dessen Norden und Centrum angeht, beschreiben wollen, so sehen wir +selbstverständlich von den _antiken_ Baudenkmälern ab. Allein die +Schilderung der Bauten, welche wir in Aegypten namhaft machen könnten, +würde Bände, oder der, welche wir in den sogenannten Berberstaaten +antreffen, seien es nun Reste der Libyer, Phönicier, Griechen, Römer und +Christen der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, würde Folianten +füllen, wenn Jemand sich der Mühe unterziehen wollte, ausschließlich +diesen Gegenstand zu behandeln. + +Indem wir aber wiederum Aegypten außer unserem Bereiche lassen, so weit +es die _neuen_ Bauten jetzt lebender Generationen anbetrifft, so glauben +wir damit vollkommen im Rechte zu sein; denn die Paläste, die Moscheen, +welche von den jetzigen Herrschern des Landes der Pharaonen errichtet +worden sind, wurden nicht von den Aegyptern selbst erbaut. Ausländische +Architekten leiteten die Construction, und nur die roheste Arbeit wurde +von den Eingeborenen selbst verrichtet. + +Anders ist es in den Berberstaaten. Obschon auch hier der +christlich-europäische Einfluß sich nicht leugnen läßt, namentlich bei +den Baulichkeiten von Tripolitanien, Tunesien und Algerien, so finden +wir hier doch noch mehr einheimisches Wesen und Form. Fast ganz rein von +europäischen Einflüssen hat sich die Bauweise in Marokko gestaltet, +obschon die monumentalen Gebäude fast alle aus der Periode her datiren, +wo dieses Reich mit Spanien eng verknüpft war. + +Die colossalen Bauten von Fes, die Djemma-el-Karuin, die +Djemma-Mulei-Dris, die Paläste des Kaisers, drei an der Zahl, das +umfangreiche Schloß des Sultans in Mikenes, die Djemma-el-Fanal in +Marokko selbst, das Lustschloß des Kaisers ebendaselbst, stammen alle +aus der Periode des westlichen Khalifats. + +Im heutigen Nordafrika können wir die Bauten der Bewohner der Städte, +die Dörfer des sogenannten Tel- oder Atlasgebietes, die Burgen der +Bewohner am Südwestabhange des Atlas und die Bauten der Oasenbewohner +unterscheiden. Ferner haben wir Zelte, Hütten und Höhlen der Bewohner +Nordafrika's in Betracht zu ziehen. + +Was nun bei den Häusern der Städte (ich nehme hier Fes, die Hauptstadt +des Kaiserreichs Marokko, als Vorbild) am meisten auffällt, ist, daß das +Aeußere vollkommen schmucklos ist, und daß mit Ausnahme einer niedrigen +Thür nirgends die Einförmigkeit einer weiß überkalkten Mauer durch +Fenster oder sonstige Oeffnungen unterbrochen wird. Wie bei den alten +römischen Wohnhäusern gruppirt sich Alles um einen Hof, der meistens +rechtwinklig und viereckig ist. Im Hofe selbst befindet sich fast immer +eine Cisterne, die das Regenwasser des ganzen Jahres ansammelt, und da, +wo es möglich ist, in Fes z.B., eine Fontaine mit sprudelndem oder immer +fließendem Wasser. Der Hof selbst ist bei den Vornehmen mit +Marmorplatten oder mit Kieselchen mosaikartig belegt. Aus diesen nun, zu +dem man von der Straße stets durch einen gewundenen Eingang hineinkommt +(damit man nicht von derselben aus direct in's Innere des Hauses sehen +kann), öffnen sich die Zimmer. Dieselben sind äußerst lang, und nur +ausnahmsweise haben sie eine Breite von mehr als zwölf Fuß. Meist sind +die Zimmer sehr hoch, mindestens immer zwanzig Fuß. Wenn ein Wohnzimmer +z.B. vierzig Fuß lang wäre und fünfundzwanzig Fuß Höhe hätte, so würden +marokkanische Architekten diesem Zimmer höchstens acht Fuß Breite geben. +Eine große gewölbte Thür, meist in der Mitte angebracht, führt hinein; +dicht neben der Thür, rechts und links, befinden sich zwei kleine +Fenster mit eisernen Gittern, ohne Glas. + +Meist sind parterre mehrere solcher Zimmer um den Hof herum, und findet +sich ein zweiter Stock, so ist die obere Anordnung eine ähnliche. Es +läuft sodann um den Hof eine Säulenhalle herum, zu welcher man oft +mittelst einer im Bau befindlichen steinernen, oft mittelst einer +hölzernen Treppe hinaufkommt. Man liebt es, im Innern der Zimmer in die +Wände nischenartige Vertiefungen zu machen, welche oft, mit hölzernen +Thüren versehen, als kleine Schränke dienen. Der Fußboden ist meist mit +Fliesen ausgelegt, welche in Fes gearbeitet werden, oft auch mit kleinen +Fliesstückchen, viereckig, dreieckig, sternartig von Form, und von den +verschiedensten Farben. Mit diesen legt man dann die buntesten Muster +zusammen große Sterne in der Mitte oder der sogenannte Ring des Salomon +bilden immer Hauptfiguren. Diese kleinen Flieschen, von denen ein +einzelnes nicht größer als 1--1-1/2 Zoll ist, sind glänzend glasirt, +heißen "Slädj" und werden ebenfalls in Fes fabricirt. Der Gesammtanblick +einer solchen Art ausgelegten Fußbodens ist reizend. + +Die Wände im Zimmer sind vollkommen weiß, manchmal jedoch mittelst Gyps +in quadratische Felder abgeheilt. Bei den Reichen läuft oben, +anscheinend um das Gebälk zu unterstützen, ein Kranzgesimse herum, oft +auch eine breite Borte, welche Koransprüche enthält. Da in Marokko, +ausgenommen bei jenen kleinen "Kubbas", welche als Grabstätten für +Heilige oder Fürsten dienen, nirgends das _Gewölbe_ angewendet wird, so +sehen wir die Decke der Paläste und Wohnungen _nur_ aus Holz gearbeitet. +Oft wird, um eine solche Decke auszuschmücken, die größte Sorgfalt +entwickelt, nicht nur in Holzschnitzerei, sondern auch in der Auslegung +von Holz, man macht also eine Art "Parquetirung". Dünne, aber äußerst +dicht neben einander liegende Balken bilden das Gerippe, darüber liegen +Bretter, das Ganze wird dann inwendig teppichartig ausgeschnitzt und oft +mit farbigen Holzstückchen ausgelegt; manchmal enthalten auch die Decken +zwischen ihrem Teppichmuster großbuchstabige Sprüche. Diese Art, auf +eine bunte und gefällige Weise die Plafonds zu schmücken, hat sich +vollkommen gut in Marokko erhalten. Statt die vielen Balken, welche den +Plafond stützen, offen zu zeigen, sind diese auch wohl mit Brettern +beschlagen, welche dann ähnlich geschmückt werden. + +Thüren, Fenster und Nischen zeigen alle jenen bekannten Hufeisenbogen, +den die Araber erfunden haben sollen. Sehr oft sind die Bogen selbst auf +die phantastischste Art wieder ausgewölbt und ausgezackt, so daß in +einer Bogenhälfte manchmal bis zehn kleinere Bogen vorkommen. Auch die +Aufstellung von zwei, drei und vier Säulen, dicht bei einander, findet +man heute in Marokko noch in Anwendung. Als ich einen längeren +Aufenthalt in Uesan beim Hadj Abd-es-Salam, dem Großscherif, hatte, +zeigte ich ihm eines Tages eine Abbildung des Löwenhofes der Alhambra +aus Sedillot's Historie des Arabes. Hadj Abd-es-Salam annectirte das +Buch der Abbildungen wegen (und es ist heute noch in seinem Besitze) und +verreiste dann auf längere Zeit. Als ich zurückkam, hatte er allerdings +nicht einen Löwenhof, aber in seinem Garten eine reizende Veranda +errichten lassen: ein längliches Viereck mit nach vorn geöffneter Seite. +Die "kannelirten Bogen" wurden von Doppelsäulen getragen, der Fußboden +war aus buntem "Slädj" zusammengesetzt zu einem allerliebsten Muster, +und der Plafond von Holz schillerte von blauen und goldenen Feldern. + +Die Paläste des Sultans, der Großen und Reichen haben ganz ähnliche +Anordnung, nur daß ihre Wohnungen statt eines Hofes oft drei, vier oder +mehrere Höfe haben und alle Räumlichkeiten bedeutend größer sind. + +Was die Moscheen anbetrifft, so finden sich im ganzen westlichen Afrika +(nicht blos in Marokko, welches als eigentliches Westland bei den +Marokkanern den Namen "Rharb-djoani" hat) gar keine, die irgendwie +christliche Reminiscenzen aufkommen ließen. Denn die in Algier +befindliche Moschee, die später als christliche Kathedrale eingerichtet +wurde, und welche vom letzten Dei kurz vor der Eroberung Algeriens +erbaut worden war, zeigt in ihrer ganzen Anlage allerdings den Styl +einer christlichen Kirche, ist aber auch von christlichen Sclaven und +Renegaten erbaut worden. Fast durchweg zeigen die marokkonischen +Moscheen, sowie die der übrigen Berberstaaten einen großen Hof, der +manchmal von einer Säulenhalle umgeben ist. Nach Osten zu vermehren sich +die Säulenhallen zu verschiedenen Schiffen. So zeigt die Karuin in Fes +so viele Säulen, daß die ganze Moschee 360 haben soll. Die Säulen +selbst, die auf einer einfachen Basis ruhen, sind ohne Schmuck, und auch +das Capital zeigt große Einfachheit. Die hufeisenförmigen Bogen gehen +von Säule zu Säule, so daß, wo mehrere Schiffe sind, immer vier Bogen an +einer Säule entspringen. Fast in allen Moscheen kann man, wie überall +bei arabischen Bauten, die größten Unregelmäßigkeiten beobachten, und +die Abwesenheit von Harmonie und Verhältnis tritt überall zu Tage. Es +ist als ob z.B. die Höhe der Säulen eine überaus gleiche sein müßte, so +daß man die Säulen für eine Veranda von zwanzig Fuß Breite eben so hoch +macht wie die, welche das Dach einer Moschee stützen, welche vielleicht +einen Flächenraum von zweihundert Fuß Geviert hat. + +Die Wände in den Moscheen, welche letztere im Rharb "Djemma" genannt +werden, sind von außen in der Regel ohne Schmuck, einförmig und +fensterlos wie die übrigen Bauten. Im Innern ist dieselbe Anordnung zu +bemerken wie in den Wohnungen. Die Gebetsnische, "Kybla" genannt, wird +auch heute oft noch durch ein prächtiges Stalactit-Gewölbe überdeckt; +auch diese Kunst hat sich in Marokko erhalten. Diese Stalactit-Gewölbe, +wie man sie genannt hat, sind indeß weiter nichts wie einfache +Auswölbungen; der Stalactitenschmuck ist von Gyps. In der eigentlichen +Sculptur haben die Araber überhaupt nie etwas geleistet, da ihnen Bilder +aus Stein zu meißeln verboten ist. Ihre ganze Kunstfertigkeit beschränkt +sich daher auf Stuccoarbeit, und hier ließen sie ihren mathematischen +Formen die Zügel schießen. So findet man denn in Gyps gearbeitet die +wunderbarste Art sich kreuzender Linien. + +Wenn der Reisende im Hofe der großen Djemma el Karuin zwei prachtvolle +Marmorfontainen bewundert und dann vielleicht sich selber sagen möchte, +hier haben doch die Araber in Steinarbeit etwas geleistet; so wird seine +Meinung von den Eingeborenen in Fes selbst gleich corrigirt werden: +"Diese Fontainen sind von 'Oeludj', d.h. christlichen Sclaven, +gearbeitet." + +Der "Mimber" oder die Treppe, welche in keiner Moschee fehlt, von der +das "Kotba", d.h. das Freitagsgebet, gelesen wird, ist fast immer aus +Holz. Hier bemerken wir ebendasselbe, was wir schon bei den +Mauerarbeiten zu beobachten Gelegenheit hatten. Ebenso wenig, wie die +Araber gelernt haben, aus Stein heraus zu arbeiten, ebenso wenig treffen +wir bei ihnen jene kunstvollen Holzschnitzereien, welche _Körper_ haben. +Die Gebetstreppen sind daher, was die Form anbetrifft, alle roh und +primitiv; aber manchmal ist die Oberfläche des Holzes ausgravirt, und +wir finden dann dieselben oder ähnliche Linienbilder, welche, wenn sie +mit _krummen_ Linien Bezeichnet sind, "Arabesken" genannt werden, wie +wir dieselben an den Wänden der Mauern in Stucco kennen gelernt haben. + +Man kann also keineswegs sagen, daß die Araber Afrika's zurückgegangen +sind. Aber so wie man in Sevilla und Granada zur Zeit der Almoraviden +und Almohaden, zur Zeit der größten Glanzperiode der sogenannten +"maurischen Architektur", baute, so baut man noch heute. Man hat +keineswegs verlernt, _ebenso_ zu bauen, aber _Fortschritt_ in der +Architektur ist nirgends zu finden. Man versteht es vollkommen, jene +ogivischen Bogen, jene Porzellanmosaiken, jene Stickereien auf Gyps und +Holz darzustellen, wie zur Zeit der "Abd-er-Rhaman"; wenn man aber +Stillstand in Kunst und Wissenschaft als _Rückschritt_ bezeichnen kann, +dann haben die Araber entschieden Rückschritte gemacht. So haben sie +denn auch keineswegs gelernt, ihren Bauten irgendwie Solidität zu geben. +Was _heute_ gebaut ist, verfällt _morgen_. Wären die Alhambra und die +Giralda nicht in Spanien, wären sie der Sorglosigkeit einer +mohammedanischen Zeit ausgesetzt, was würde von diesen Monumenten +arabischer Architektur heute noch erhalten sein? Und wie lange stehen +diese Bauten? Wie lange stehen sie im Verhältniß zu den Bauüberresten, +die uns Aegypten, Griechenland und Rom überlassen haben, und die, +trotzdem Jahrtausende verstrichen und Zeit und Menschen das Ihrige +thaten, Alles zu vernichten, manchmal in ihren _einzelnen_ Theilen sich +so erhalten haben, als ob sie von gestern wären. + +Die Unsolidität der arabischen Bauten kennzeichnet sich denn nicht nur +in der äußeren Architektur, sondern auch in der Benutzung des Materials +bei den Hauptmauern und Pfeilern. In keinem einzigen Gebäude der +Berberstaaten finden wir behauene Steine aus Sandstein oder Marmor, +sondern immer nur gebrannte Thonsteine angewandt. Meist aber sind die +großen Mauern, namentlich die von monumentalen Bauten, aus zwischen +Planken schichtweise gepreßten Steinen, Cement und Kalk errichtet. Diese +Mauern halten sich aber nur dann einigermaßen gegen den Zahn der Zeit, +wenn die äußere Bekleidung vollkommen gut und immer wie neu unterhalten +wird; sonst ist binnen Kurzem die Baute dem Ruin ausgesetzt. + +Daher liegen denn auch die Bauten, welche von Yussuf ben Taschfin und +Mohammed ben Abd-Allah herrühren, heut in Trümmern, und selbst die, +welche vom letzten oder vorletzten Kaiser errichtet sind, von Mulei +Abd-er-Rhaman-ben-Hischam und Mulei Sliman sind halbe Ruinen. Und ist es +selbst in Aegypten anders, wo doch der europäische Geist heute Alles +durchdringen soll? Hörte man nicht oft genug den verstorbenen +_Diebitsch_ klagen, daß wenn das letzte Ende an einem Palaste fertig +sei, der Anfang desselben zu verfallen beginne?! + +Von den städtischen Bauten bleiben uns nur noch die Befestigungsmauern +derselben und die kleinen Dome zu erwähnen. Erstere sind durchweg aus +gepreßten Mauern errichtet und hinlänglich stark, um alter Artillerie +einige Stunden Widerstand leisten zu können. Auf denselben führt ein Weg +herum, der nach Außen durch eine mannshohe krenelirte Mauer aus +Backstein geschützt ist. Man bemerkt nirgends irgend einen Plan, +nirgends fortifikatorischen Sinn, um die Befestigungen irgendwie dem +Terrain anzupassen; nur die Ausdehnung der Stadt selbst giebt das Maß +der äußeren Schutzmauer ab. Unterbrochen und flankirt werden diese +Umfestigungsmauern durch viereckige oder runde Thürme, deren Hälfte +außerhalb der Mauern hervorspringt; sie sind in der Regel halb mal höher +und dienen hauptsächlich dazu, die Kanonen aufzunehmen. Oft noch durch +Gräben beschützt, bieten auch diese kein ernstliches Hinderniß. +Bastionirte Mauern, Außenwerke, mögen es nun Fleschen, Lünetten oder +gekrönte Bastionen sein, kennt man in den Berberstaaten nicht, und wenn +auch die Hauptstadt Fes zwei bedeutende Außenwerke besitzt, so sind +diese nicht von den Arabern errichtet, sondern von Renegaten (Oeludj) +unter der Regierung des Sultan Sliman, Großvaters des jetzt regierenden. +Was die erwähnten kleinen Dome anbetrifft, so dienen sie, wie schon +angeführt, zu Grabstätten und sind die einzigen Gebäude[1], bei denen +der Araber sich in Gewölben versucht hat. Meist ist die Grundform +viereckig, aber _nie rund_. Die Kuppel hingegen oder das Dach ist fast +immer _rund_, häufig achteckig. Bei der Ausschmückung der Wände und des +Fußbodens wird derselbe Plan innegehalten wie oben bei den übrigen +Baulichkeiten auseinandergesetzt wurde. Die Wölbung ist meist durch +eingeschobene Holzquerbalken unterstützt. Das Material besteht entweder +aus gebrannten Ziegeln oder unbehauenen Feldsteinen. Man findet diese +Kubba in den Städten und überall auf dem Lande zerstreut; in den Städten +bilden sie häufig gleichsam eine Art von Nebenkapelle, die an eine große +Moschee angebaut ist. + +Von den Wohnungen der Landleute nördlich vom Atlas läßt sich nur wenig +sagen. Dieselben bestehen, ob sie nun von Berbern oder Arabern (und es +giebt in den Berberstaaten mehr seßhafte Araber, als gewöhnlich +angenommen wird) herrühren, immer nur aus einem Zimmer, das hausartig +gebaut ist; oft sind sie aus gestampften Massen, oft auch aus +Feldsteinen aufgebaut. Auf 20 Fuß Länge sind sie circa 8 Fuß breit und 8 +Fuß hoch und von einem circa 6 Fuß hohen Strohdache bedeckt. Im Innern +ist der Fußboden gestampfter Lehm; der Plafond besteht aus Rohr, welches +manchmal auf Aloë-Balken, manchmal auf anderen Holzästen, die einen +weniger geraden Wuchs haben, ruht. + +Sehr häufig sind die Wände der Mauern auswendig und inwendig gekalkt, +sonst aber ganz ohne Schmuck, mit einer niedrigen, circa 4 Fuß hohen +Thür, manchmal mit ogivischem Bogen, manchmal viereckig. Fenster und +Rauchfänge sind nicht vorhanden. Eine Familie hat in der Regel zwei oder +drei solcher Häuser, die, durch Mauern verbunden, einen viereckigen Hof +einschließen, der zugleich Nachts für das Vieh dient. + +Ganz anderer Art sind die Wohnungen der Bewohner südlich vom großen +Atlas, der Bewohner des Sus- und Nun-Districts. Der fortwährend +unsichere Zustand jener Gegend hat es nothwendig gemacht, daß dort +Jedermann darauf bedacht sein mußte, sich Schutz gegen seinen Nachbar zu +suchen. So findet man hier denn auch keineswegs kleine oder große +Dörfer, sondern Burgen. Ein solches Schloß--man kann sie wegen ihres +stattlichen Aussehens in der That so nennen--ist oft so groß, daß es +mehrere Familien beherbergt; es giebt feste Burgen, die einen +Quadratraum von 500 Fuß einnehmen. Diese Bauten sind circa 50 Fuß hoch, +von außen von starken, oft 5 bis 6 Fuß breiten Steinmauern (die Steine +sind entweder unregelmäßig gebrochene oder wie man sie gerade gefunden +hat) aufgeführt und oben krenelirt. Ein Thor, zuweilen mit einer +Fallthür versehen, und immer so eingerichtet, daß aus zwei Seitenzimmern +der Eingang durch Scharten beschossen werden kann, führt in einen großen +geräumigen Hof. Dieser, sowie die unteren Gemächer, dienen für's Vieh. +In den oberen Räumen hält sich die Bewohnerschaft auf. Zu diesem +Stockwerk führt eine aufziehbare Leiter, und das flache Dach, mit +gestampfter, auf Balken ruhender Erde gedeckt, dient zu gleicher Zeit +zur äußeren Verteidigung. Eine Cisterne im Innern vervollständigt das +Ganze. Kellerräume sind aber ebensowenig bekannt wie nördlich vom Atlas. + +Als eigenthümlich der Gebirgslandschaft nördlich vom Sus erwähne ich +noch die vielen öffentlichen Cisternen modernen Ursprungs. Man findet +sie überall und namentlich längs der Wege. Sie sind ähnlicher Art wie +die römischen, was die Form anbetrifft, aber weniger solid und weniger +_großartig_ gebaut. In der Regel 20 bis 25 Fuß lang auf 8 bis 10 Fuß +Breite, sind sie 10 bis 12 Fuß tief und erheben sich blos mit dem +_gewölbten_ Dache aus dem Erdboden heraus. Aus ungehauenen Steinen +errichtet, ist das Innere cementirt, und durch ein Loch des Gewölbes +wird das Wasser herausgeschöpft; gespeist werden die Cisternen durch +Rinnsale. + +Es ist hier nicht der Ort, die Wohnungen der nomadisirenden Völker +Nordafrika's zu beschreiben; aber auch diese haben mannigfache Formen +und Verschiedenheiten. Das aristokratische Zelt der Uled Sidi Schich, +immer auf der Spitze mit drei Bündeln Straußfedern geschmückt, +unterscheidet sich von dem ärmlichen Zelte der meisten östlichen Triben, +wie das große Haus mit mehreren Höfen der Hauptstadt sich von der +einfachen Wohnung des Djerdjuragebirges unterscheidet. Aber nicht +unerwähnt können wir die Höhlenwohnungen der Bewohner des +Ghoriangebirges lassen. Meist sind diese Höhlen in Lehmboden +hineingearbeitet, und sind einfache Aushöhlungen, in der Regel von +kreisrunder Form. Man bemerkt gewöhnlich eine Vorkammer und ein +hinteres, größeres Gemach; der Plafond ist wie gewölbt. Oben hinaus +befindet sich meist eine Oeffnung zum Abzuge des Rauches. _Richardson_ +will im Ghoriangebirge auch Wohnungen in Felshöhlen gesehen haben; es +ist übrigens fraglich, ob diese modernen Ursprungs sind. Es ist +wahrscheinlich, daß dies antike libysche Höhlen sind, wie man deren +namentlich in Cyrenaica noch viele antrifft. + +Betrachten wir nun, nachdem wir einen Ueberblick der Bauten des +nördlichen Afrika's gewonnen haben, die Wohnungen der Völkerschaften der +Sahara. + +Mit Ausnahme der zum Theil nomadisirenden Tuareg sind alle Bewohner der +Sahara seßhaft; denn die Araber, welche in die große Wüste +hineingegangen sind, haben alsbald das Zelt gegen das Haus vertauscht. + +Im Grunde kommen bei den Bauten der Oasenbewohner denn auch dieselben +Bauregeln und Pläne beim Einrichten ihrer Moscheen und Wohnungen in +Anwendung, wie bei ihren nördlichen Brüdern. Bei der wohlhabenden Classe +befindet sich in ihrer Wohnung meist ein Aufzimmer, d.h. ein +Fremdenzimmer, auf das platte Dach des Hauptgebäudes hin errichtet. Wie +immer hat dieses einen Hof, bei den Reichen auch mehrere, und auf den +Hof öffnen sich die langen und schmalen Zimmer. In manchen Oasen sind +die Gebäude krenelirt, aber mehr zum Schmucke als zur Vertheidigung. + +Wenn aber schon bei den Arabern im Norden auf dem Tel wenig behauene +Steine in Anwendung kommen, so finden wir in der Wüste als Material nur +gestampfte Erdmasse oder an der Sonne getrocknete Thonziegel. Alles +Gebälk und Holzwerk besteht aus dem Holze der Dattelpalme. Man wird +leicht einsehen, daß mit so geringem Material nichts Besonderes in der +Architektur geleistet werden kann. + +Dennoch finden wir in den westlichen Oasen der Sahara Manches, was auf +innigen Contact mit Marokko hinweist. Es sind die Grabdenkmale von +Sidi-Hammed-ben Nasser in Tamagrut, Hauptstadt der Oase Draa, dann das +prächtige Grabmal Mulei-Ali-Scherif's bei Abuam, Hauptstadt von Tafilet, +inwendig auf's Reichste mit "Slädj" ausgeschmückt. Ja, man hat sich +sogar nicht gescheut, für das Dachwerk (die Grabmäler sind nicht +gewölbt) Holz vom Atlas kommen zu lassen, und die das spitze Dach +bildenden Balken und Bretter sind hübsch mit arabeskenartigem +Schnitzwerk und Malerei versehen. + +Im Uebrigen sind die Moscheen oder Djemmen in den Oasen nach denselben +Grundsätzen gebaut; bei den meisten fehlt jedoch ein eigentlicher Thurm +oder Minaret. Ersetzt werden die Minarets durch thurmähnliche, zwei +Stockwerke hohe Anbauten, welche nach oben an Umfang abnehmen. Bei sehr +vielen Gebäuden der Vornehmen in den Ortschaften der Oasen finden wir +ebenfalls jene thurmartigen Anbauten, die zuweilen auch als Wartthürme +dienen. + +Besonders zu erwähnen sind in der Sahara an den großen Straßen noch die +einfachen Bezeichnungen einer Moschee durch Steine. Man deutet +gewissermaßen nur den Grundriß einer Djemma durch Steine an. Sie werden +jedoch von jeder vorübergehenden Karawane zum Gebet benutzt, und auch +hier zeigt die Ausbuchtung oder Kibla die Gebetsrichtung an. + +Die Wohnung der Großen und um so mehr die der ärmeren Bevölkerung der +westlichen Oasen sind alle einstöckig. Die der ersteren sind oft +kastellartig gebaut und befinden sich dann außerhalb der Ortschaften, so +die Wohnungen der marokkanischen Prinzen in Tafilet, der Schechs in +Tuat, der Häuptlinge der Tuareg in Rhat und Air. Architektonische +Verzierungen sind hier fast gar nicht mehr zu finden, nur findet man die +ogivische Thür noch überall vorherrschend. Besonders um sich gegen die +Hitze zu sichern, findet man die Erdwände der Häuser sehr dick und das +Palmbalkendach durch eine enorm hohe Erdschicht überdeckt. Die Thüren +sind überall so niedrig, daß man nur tief gebückt hineintreten kann. +Aber so vergänglich sind diese Bauten, daß ein ausnahmsweise +eintretender Regen oft ganze Ortschaften im wahren Sinne des Worten +hinwegschmilzt. + +In den meisten Oasen sind die Städte und Dörfer befestigt; einige +größere haben sogar Thürme an die meist 20 Fuß hohe Mauer angebracht. +Die Mauern, oft aus gestampftem Erdboden, oft aus Feldstein, durch Thon +zusammengehalten, erbaut, sind meist krenelirt. Die Thore, welche +hindurchführen, sind nie gewölbt, meist einthürig und nur so breit, daß +ein beladenes Kameel hindurch gehen kann. + +Ist der ganze Tel wie übersäet mit jenen kleinen Domgrabmälern, so +lassen sich die der großen Sahara, welche an Ausdehnung so groß wie +Australien ist, zählen. Die Grabmonumente sind der einfachsten Art; ein +Haufen Steine, manchmal am Kopfende durch einen besonders großen +angezeichnet, das ist die letzte Grabstätte der Wüstenbewohner. + +Vor allen anderen Oasen zeichnen sich jedoch in der Bauweise zwei aus, +die Oasen von Siuah und Rhadames, und wenn nicht schon die +übereinstimmende Aussage der Bewohner dieser Ortschaften ihren +verwandtschaftlichen Ursprung bezeugte, wenn nicht dies schon bewiesen +wäre durch ihre selbe Sprache, welche, obschon beide Oerter durch einen +Raum getrennt sind, der durchaus Wüste ist und in gerader Linie +wenigstens so viel beträgt, wie von Paris bis Königsberg, so würde die +innige Verwandtschaft, welche sich in der Bauweise beider Oerter +kundgiebt, gleich auf gemeinsamen Ursprung hinweisen. + +Was besonders die Bauart beider Oerter auszeichnet, sind die Höhe der +Wohnungen und die bedeckten Straßen, welche mehr unterirdischen Gängen +gleichen, als offenen Wegen. In Rhadames sowohl wie in der heutigen +Hauptstadt des alten Ammonium, in Siuah, sind die meisten Häuser drei +Stock, ja in Siuah viele fünf Stockwerke hoch. Während aber im reichen +Rhadames sowohl im Innern der Häuser als im Aeußern sich ein gewisser +Luxus kund giebt, alle geweißt ist, und die Mauern meist aus, wenn auch +unbehauenen, Steinen gebaut sind, so macht man in Siuah die Wohnungen +nur aus Lehm, und trotzdem die architektonischen Vorbilder der Aegypter +und Griechen noch heute vor Augen stehen, sind sie höchst mangelhaft +gebaut. Die Wohnungen der Rhadamser und Siuahner unterscheiden sich auch +noch dadurch von den übrigen Wohnhäusern in der Sahara, daß sie keinen, +oder selten doch nur einen sehr kleinen Hof im Innern haben: Alles ist +in Zimmer und kleine Gemächer getheilt. Oben mit platten Dächern +versehen, bilden diese Dächer in Rhadamas zugleich die _Straßen_ für die +Frauen. Obschon durch Brustwehr von einander getrennt, werden diese von +den Frauen überklettert, und ihr _Verkehr_ findet nur über den Köpfen +der Männer statt. In Rhadames herrscht Hufeisenform bei der Thürbildung, +in Siuah eine viereckige Form vor. + +Natürlich nicht zum Nomadisiren eingerichtet, verdienen die Palmenhütten +der Beni Mohammed in Draa und Tafilet und einzelner Familien in Audjila +und Fesan noch Erwähnung; sie sind vollkommen kunstlos aus Palmenzweigen +errichtet, bald mit plattem, bald mit spitz zulaufendem Dache versehen, +und auch dieses Dach ist aus Palmenzweigen gefertigt. In Fesan und +Audjila sind die Seitenmauern dieser Hütten, welche manchmal viereckig, +manchmal rund sind, zuweilen aus Stein oder Thon, und die Thüren immer +so niedrig, das man hindurch _kriechen_ muß. + +Vortheilhaft, was Reinlichkeit und symmetrische Anordnung betrifft, +zeichnen sich die Wohnungen der Tebu aus. In Kauar sind sie kreisrund; +die Seitenwände sind aus Stein brusthoch ausgeführt und dann überdeckt +mit Palmenreisern, Stroh und Matten. Dr. _Nachtigal_ sagt von den +Bewohnern Tibesti's: "Alle ihre Wohnungen so kunstlos, und einfach sie +sind, zeichnen sich durch die größte Nettigkeit und Sauberkeit vor denen +ihrer arabischen und fesanischen Nachbarn vortheilhaft aus. Vor der +Hütte haben sie nicht selten einen gehärteten Erd- oder Lehmplatz, der +frisch mit Sand bestreut wird, und die hervorragenden Männer eine Art +offener Halle, ebenfalls aus Palmenzweigen geflochten, vor ihrer +Wohnung, in der sie Besuche empfangen." + +Es bleibt uns nur noch übrig, die bewegliche Wohnung der nomadisirenden +Bevölkerung der Sahara zu beschreiben, das Zelt der Tuareg. Der Araber +ist eigenthümlicher Weise in der großen Sahara nie heimisch geworden. +Ist er ja dahin gedrungen, so hat er sich seßhaft gemacht. So haben die +Mehammedin in Draa und Tafilet das Zelt gegen die Palmenhütten +vertauscht. Die einzelnen Familien aber, die wir in Fesan, Rhat und +anderen südlichen Oasen finden, haben Häuser. Nur die nach Kanem +vertriebenen Uled Sliman haben bis jetzt das Zelt bewahrt, aber es ist +kaum zu bezweifeln, daß auch sie über kurz oder lang das bewegliche Haus +mit dem festen vertauschen werden, wie die Schoa und +Uled-Raschid-Araber, die noch weiter im Innern Afrika's sich eine neue +Heimat mitten zwischen den Negern gründeten. + +Das Zelt der Tuareg ist sehr einfacher Art. Im Allgemeinen der +länglichen Form der Araberzelte entsprechend, sind die Tuaregzelte +bedeutend kleiner und niedriger. Kaum sechs Personen haben in ihrem +Tuaregzelte Platz. In einem Araberzelte wird das Dach immer durch zwei, +im Tuaregzelte durch eine Zeltstange unterstützt. Der Stoff besteht bei +jenen aus grobem Haar und wollenen Zeugen, bei diesen aus gegerbtem +Leder. Nach Duveyrier sind die Lederzelte oft roth gefärbt und gut +genäht. + +In Centralafrika angekommen, bemerken wir vorweg, daß wir _nirgends_ +Wohnungen nicht seßhafter Völker haben; denn die früher nomadisirenden +Pullo haben mit der Erreichung ihrer größten Ausdehnbarkeit sich jetzt +überall dauernde Wohnungen gebaut. Die Stämme aber, die vom Nomadenvolke +par exellence, dem arabischen, abstammen und bis nach Centralafrika +vorgedrungen sind--ich nenne davon nur die Schua-Araber westlich und +südwestlich vom Tschad--selbst diese haben längst ihr Zelt, diese +luftige Behausung der Jäger- und Hirten-Völker, aufgegeben und sich nach +Art der Neger in soliden Bauten seßhaft gemacht. + +Man kann bei den Negern Centralafrika's hauptsächlich drei Arten von +Wohnungen unterscheiden: große aus Thon oder Luftziegeln erbaute Häuser, +welche offenbar unter arabisch-berberischem Einfluß entstanden sind, +verschiedene Hüttenwohnungen runder Form, entweder aus Strohmatten oder +aus Thon oder Luftziegeln errichtet, und endlich große Häuser mit +Giebeldächern, vielleicht durch europäischen Einfluß von der Küste aus +nach Afrika verpflanzt. + +In allen uns bekannten Ländern Centralafrika's, Bornu, Bagermi, Socoto, +Gando, Uadai, Adamaua, Bautschi und anderen, sind die Wohnungen der +Fürsten, der Großen des Reichs, der vornehmen Kaufleute, die Moscheen +und Bethäuser aus soliden Mauern mit flachen Dächern errichtet. Es +scheint sogar, daß man einzeln, obschon nie mit behauenen Steinen, so +doch an manchen Orten mit _gebrannten_ Ziegeln gebaut habe. So will +_Barth_ in Massenña (III. S. 346) Gebäude aus _wirklich gebrannten_ +Backsteinen beobachtet haben und er erwähnt bei der Gelegenheit: "auch +die alte Birni (Hauptstadt) von Bornu soll aus Backsteinen gebaut +gewesen sein." + +Was uns anbetrifft, so haben wir jedoch _nirgends_ im "schwarzen Afrika" +gebrannte Steine in Anwendung gesehen, nur Luftziegel und aus +Thonziegeln und aus Thon aufgelegte oder gepreßte Mauern. Zu den großen +Gebäuden der Fürsten, fast ohne Ausnahme ein Stock hoch, sind trotzdem +verhältnißmäßig dicke Mauern genommen, um das starke, mit Thon überlegte +Dachgebälk tragen zu können. Von außen sieht eine solche Burg meist +einförmig aus, da oft nur Eine Thür Unterbrechung in die schlichte Wand +bringt. Sehr oft ist übrigens die Brüstung des flachen Daches auf +phantastische Art geziert. Das Innere einer solchen Fürstenwohnung +enthält große Zimmer und Hofräume. + +Erstere erhalten Licht durch die Thüren und manchmal durch große +viereckige Oeffnungen, die sich in den Wänden befinden, welche nach den +Höfen zu gerichtet sind; oft sind die Gemächer vollkommen dunkel. Wenn +die Räume sehr groß sind, so wird die Spannung der Deckbalken durch +kolossale Thonpfeiler gestützt. In einigen Hauptstädten sehen wir sogar +Bogen, hufeisenförmig gewölbt, die Decke unterstützen; wie die Pfeiler +sind dieselben aus gehärtetem Thon. So finden wir bei _Barth's_ (II. +124) Beschreibung des Palastes von _Kano_: "Die Gemächer sind nicht sehr +dunkel, das Hauptgemach ist aber sehr schön, ja großartig zu nennen. Der +ganze Charakter desselben machte um so mehr Eindruck, da die Tragbalken +nicht zu sehen waren, während zwei große Kreuzbogen, aus demselben +Material wie die Wände, überaus sauber geglättet und reich verziert, das +Ganze zu tragen schienen. In der hinteren Wand waren zwei geräumige +Nischen, in deren einer der Fürst Platz zu nehmen pflegt." + +In derselben großartigen Weise sind in centralafrikanischen Ländern die +Wohnungen der Fürsten eingerichtet, die sich dem Islam in die Arme +geworfen haben; der Einfluß der Träger der Religion ist unverkennbar. + +In diesen dem Islam zum Theil huldigenden Staaten sind die Moscheen +ähnlich wie die in den nordafrikanischen Staaten erbaut, nur noch aus +bedeutend schlechterem Material; denn wenn gebrannte Steine in Bornu, +Bagermi, Uadai, Adamaua, Kano, Gando und noch anderen Negerkönigreichen +nicht im Gebrauche sind, so hat man auch keinen Kalk, oder wenigstens +versteht man ihn nicht zu brennen und zu bereiten, das heißt zu löschen. +Im großen Königreich Bornu kommen Kalkgesteine überdies nicht vor oder +wären nur von den angrenzenden Ländern unter den größten Mühseligkeiten +zu beziehen. Aus den zahlreichen Conchylien des Tschad-See's und der +Flüsse aber verstehen die Neger keinen Kalk zu brennen. So bleibt ihnen +denn weiter nichts Anderes übrig, als die Luftziegel durch Thon zu +verbinden oder aus Thon und Sand zusammengepreßt die Hauswände zu +bilden. + +Man findet häufig die Wände der Moscheen und die Wohnungen der Großen +wie geweißt; es rührt dies nicht von einer Verkalkung oder Vergypsung +her, sondern ist einfach ein Ueberstrich von einem sehr weißen und +feinen Thon. Dieser ist so fett und fein, daß er gar keine +Sandpartikelchen enthält; ganz in der Nähe von Kuka findet man im +Nordwesten der Stadt mächtige Lager davon einige Fuß tief unter dem +schwarzen Humus. + +Architektonisch zeichnen sich die Moscheen keineswegs aus. Etwa 20 Fuß +hohe, aus Thon aufgeführte Mauern umgeben einen offenen Hofraum; nach +der nach Mekka gerichteten Seite sind durch plumpe, vier- oder +achteckige Erdpfeiler gebildete Bogengänge, meist in zwei oder drei +Reihen, vorhanden, die dann ein oder zwei Schiffe, wenn man diese so +nennen will, bilden. Nach dieser Seite zu befinden sich auch die Kibla +und das Mimber. Irgend eine Ecke einer solchen Moschee bildet eine +thurmartige Erhöhung, und dient als Minaret oder Sma. + +Hier wollen wir denn auch der Befestigungen erwähnen, wie sie in den +meisten centralafrikanischen Städten üblich sind. + +Im Vergleich zu dem schlechten Mauerwerk der heutigen Araber- und +Berberstädte in Nordafrika und in Anbetracht, daß in Centralafrika +nirgends beim Kriegführen Feuerwaffen großen Kalibers gebraucht werden, +sind dieselben sehr gut zu nennen. Die Befestigungen der +Negerortschaften sind derart angelegt, daß man sieht, dieselben sind +ganz ihren Verhältnissen und ihren Umständen angemessen, für dortige +eventuell sich ereignende Fälle geschaffen. + +Meist sind die Lehm- oder Thonmauern nach außen zu fast steil oder doch +nur sehr wenig geböscht abfallend, circa 20 bis 30 Fuß hoch und fast +immer mit einem tiefen, jedoch nicht sehr breiten Graben nach außen +umgeben. Kuka z.B. hat eine Mauer aus hartem Thon, die circa 25 Fuß hoch +ist und nach außen zu fast senkrecht in einen 12 Fuß tiefen Graben +abfällt. Nach innen jedoch verbreitert sie sich dachartig durch Stufen +nach unten, derart, daß oben die äußerste Kante, welche zugleich als +Brustwehr dient, circa 4 Fuß hoch und nur circa 2 Fuß breit ist, während +die Basis der ganzen Umfassungsmauer ebenso breit wie hoch ist. Die +Thore durch solche Erdmauern oder Erdwälle sind manchmal überdacht, +manchmal offen; immer aber ist unten die Thür enger als oben und vor +Erdnachsturz durch Gebälkauskleidung geschützt. In den Städten großer +Reiche sind die Gräben ordentlich überbrückt mittelst soliden +Balkenwerks, so daß die schwersten Lastthiere hinüber passiren können. +Nicht so ist es bei den kleineren Städten auf der Grenze des Islam und +des Heidenthums. + +Südlich von Keffi-abd-es-Senga begegnete es mir mehrere Male, daß ich +vom Besuche einer solchen schwer zugänglichen Stadt abstehen mußte. +Ueber den allerdings nicht sehr breiten, aber tiefen Graben führte zum +Thore der Stadt nur _Ein einziger schwankender Palmstamm_. Meine noch +dazu mit großen Elfenbeinzähnen beladenen Begleiter gingen sicher und +festen Schrittes hinüber; vom Schwindel ergriffen, wollte ich indeß +solch ein Seiltänzerkunststück nicht wagen und blieb zurück. Ja, selbst +als eines Tages schon alle Diener hinüber waren, und nach einem +anstrengenden Marsch ein lukullisches Negermahl winkte, konnte ich es +doch nicht über mich bringen, über einen so schwankenden Stamm dahin zu +schreiten. Ich versuchte hinüber zu klettern, fand aber bald, daß die +Neger mich auslachten, und ich verzichtete auf diese Art, ihre Stadt zu +besuchen, da ich zu sehr in ihrer Achtung sinken würde. Auch widerstand +ich dem Anerbieten, die Schultern eines der Neger zu besteigen; es blieb +nichts Anderes übrig, als auf den Besuch der Stadt zu verzichten. + +Einzelne Städte haben außer dem Walle und dem äußeren Graben noch einen +inneren und fügen Verhaue und Dornhecken hinzu, um dem Feinde das +Annähern zu erschweren. So berichtet _Barth_ II. S. 211 von den Manga, +daß sie außer der Erdmauer und dem Graben noch ein Dornverhack hatten, +das sich 10 Fuß dick außerhalb herumzog; in Band II. S. 184 von +Birmenaua, daß dies ein kleiner, aber stark befestigter Ort sei mit zwei +Gräben, einem innerhalb, einem außerhalb der Mauer. + +Am unvollkommensten finden wir die Hütten da, wo der mohammedanische +Glaube Eingang gefunden hat. So im ganzen Norden von Centralafrika. Eine +Hütte in Kuka von runder, nach oben spitz zulaufender Form hat circa 12 +bis 15 Fuß an der Basis im Durchmesser. Das aus Holz oder Rohr +ausgeführte Gerüst ist mit Stroh überdeckt; eine Thür, oft gewölbt, oft +eckig, bildet den Eingang. Aber selbst hier, wo in der Stadt der Fürst +und alle Großen, wie die reichen Kaufleute Thonwohnungen haben, bildet +die Hütte die Nationalbehausung. Das Innere ist äußerst reinlich +gehalten und enthält manchmal eine mannshohe Scheidewand aus Matten, um +verschiedene Familienglieder von andern abzusondern. Wenigstens zwei, +oft drei bis vier solcher Hütten bilden ein Haus, ein Gehöft. +Umschlossen sind sie von einer thönernen Mauer, oderauch von +übermannshohen Matten, welche durch in die Erde gerammte Stämme aufrecht +gehalten werden. + +Am schönsten finden wir die Hütten da, wo sie vollkommen aus _eigenem_ +Bautriebe der Neger hervorgegangen sind, bei den Negern, die noch dem +Heidenthum anhangen. + +So berichtet _Barth_ von den Marghi-Hütten (II. S. 463): "Die Hütten +haben vor ihrer Thür Rohrschwellen, die manchmal umklappbar sind, und +inwendig sind die Fußböden schon gepflastert;" oder II. S. 525 von +Adamaua: "In Ssarau besteht eine Wohnung aus mehreren Hütten mit +Lehmwänden und vortrefflich geflochtenem Rohrdach; diese Hütten sind +durch Lehmwände mit einander verbunden, so daß das Ganze ein +abgerundetes Dreieck bildet. Die eine Hütte bildet den Eingang, die +anderen beiden sind für die Frauen. Die Eingangshütte hat eine 3-1/2 Fuß +hohe und 16 Zoll breite _eiförmige_ Thür; es befindet sich hier ein +Ruhebett, 7 Fuß lang und 5 Fuß breit und 3 Fuß über der Flur, außerdem +eine Feuerstelle. Die hellbraunen Wände der Hütte sind mit allerdings +nicht kunstvollen Gegenständen von weißer Farbe bemalt. Die beiden +andere Hütten sind ähnlich, enthalten zwei Rohrbetten, wovon eins für +die Frau durch eine Scheidewand von dem übrigen Raume der Hütte getrennt +ist. Diese 5 Fuß hohe und 4 Zoll dicke Scheidewand ist ebenfalls braun +und mit weißen Streifen geziert; oben ist sie durch abwechselnd +schalenartige und pyramidale Aufsätze gekrönt, welche ebenfalls +verschiedene Farbe haben. Die Thüren sind auch hier _eiförmig_ und noch +kleiner, nur 2 Fuß hoch und 10 Zoll breit. Diese heimlichen Wohnungen +übertreffen durch Harmonie der Farbentöne ihre Schwestern" u.s.w. + +Am vollkommsten fand _Barth_ den Hüttenbau wohl im Lande der Musgu. So +berichtet er II. S. 158: "Jeder Hof hat drei bis sechs Hütten, sie sind +aus Thon, und die Umschließungsmauer bei den Wohlhabenden aus demselben +Material die der Aermeren aus Rohr und Holz. Die Dächer sind mit +Sorgfalt gedeckt und weit besser als Strohdächer. _Die Musguhütten +zeigen in der Form ihrer Giebelung selbst Spuren verschiedener Style, +die vielleicht auf eine gewisse Stufenfolge im Leben zurückzuführen +sind_." + +Ueberall findet man in diesen Gehöften, die nicht nur die Städte und +Dörfer zusammensetzen, sondern da, wo die Sicherheit der Gegend es +zuläßt, auch über die Landschaften vereinzelt anzutreffen sind, die dem +Neger so unentbehrlichen Nebenbaulichkeiten. Wir erwähnen hier zuerst +des Schattendaches, welches man in jeder Wohnung antrifft. + +Diese Schattendächer ruhen auf 4 oder 6 Pfählen, welche nur oben mit +einem dicken Strohdache oder Mattenwerk bedeckt sind. Unter ihnen ist +gewöhnlich ein Rohrbett und Platz genug, daß auch die Hausfrau ihre +Arbeiten im Schatten verrichten kann. Dann findet man in jedem Hofraum +große Thonbehälter, oft auf Steinen ruhend, zum Aufbewahren von Korn; +manchmal sind sie sehr künstlich eingerichtet. _Barth_ sagt III. S. 158 +bei der Beschreibung eines Musgu-Hofes: "Jeder Hofraum hat einen 12 bis +15 Fuß hohen Kornbehälter aus Thon und ein Schattendach. Die +Kornbehälter haben ein gewölbtes, ebenfalls aus Thon bestehendes Dach +mit einer aufspringenden Mündung, welche wieder von einem kleinen +Strohdache geschützt wird." An einer andern Stelle sagt _Barth_: "Die +Kornbehälter auf 2 Fuß Unterlagen haben eine Höhe von 15 Fuß und +verjüngen sich nach oben. Sie haben nur eine Oeffnung am oberen Theile +und sind ähnlich den ägyptischen Taubenhäusern." Außerdem findet man +häufig Veranden vor den Hütten und überdachte Kochstellen. + +Die vollendetsten Hütten trifft man, wie schon gesagt, da, wo das +Heidenthum herrscht. Eine Hütte hat in der Regel 15 Fuß Durchmesser, und +die Thonwände, oft dick, oft nur 1/2 Fuß dünn, sind in der Regel 4 bis 5 +Fuß über der Erde. Das Dach ruht ganz frei auf dem runden Thonbau; in +den meisten Gegenden wird es zu ebener Erde fertig gebaut und vollendet +erst auf die Thonmauer gleichsam wie ein Deckel gelegt. Der Boden ist +überall festgestampft und bildet manchmal einen aus kleinen Steinchen +zusammengegossenen Mosaik. + +Im Innern der Hütte sind verschiedene Scheidewände und außer dem +beweglichen Rohrbette befindet sich wenigstens ein festes Thonbett +darin. In kalten Gegenden, z.B. auf dem Gora-Gebirge, beobachtete ich, +daß die Thonbetten hohl und von _inwendig zu heizen_ waren. Die größte +Sorgfalt wird immer auf die Eingangshütten verwendet; diese haben +natürlich immer zwei Thüren. Eine Hütte des Sultans von Akun, den ich +besuchte, zeigte sogar zwei Dächer, wovon das obere offenbar nur zum +Schmuck angebracht ist. Manche Eingangshütten sind colossal groß, sowie +die des Sultans von Keffi-abd-es-Senga; diese diente zugleich als +Versammlungort seiner Gäste, war viereckig und hatte mit einem +außerordentlich hohen Dache eine Veranda verbunden. + +Eine ähnlich große Empfangshalle traf Schweinfurth auf seiner Reise im +östlichen Centralafrika. Die L.I. Zeitung Nr. 1542 vom Jahre 1873 giebt +ein anschauliches Bild davon. Die große Festhalle, in der Schweinfurth +empfangen wurde, war von vielen Hundert Menschen gefüllt. Es waren die +achtzig Lieblingsweiber des Königs Munsa anwesend, eine Musikbande und +alle seine Trabanten. Die Empfangshalle selbst hatte die Form unserer +modernen großen Eisenbahnhallen. + +Die kunstlosen Hütten der Bassa-Neger auf den Inseln des Bénue verdienen +hier insofern nur einer Erwähnung, als wir hier inmitten Afrika's auch +auf "Pfahlbauten" stoßen. + +Einen Uebergang zu den, wie es scheint, von den Europäern von der Küste +her eingeführten großen Giebelhäusern und den Hütten der Neger bilden +die seltsamen Wohnungen der Kado-Neger in Segseg, die gewissermaßen aus +Haus und Hütte zusammengesetzt sind. Zwei circa 25 Fuß von einander +entfernte Hütten sind durch ein Haus oder einen Gang verbunden, und das +Dach bildet mit den beiden Dächern der Hütte ein Ganzes. Nur die eine +Hütte hat eine Thür, der Gang und die zweite Hütte haben nur runde +Löcher, um dem Lichte Eingang zu verschaffen. + +Hier zu erwähnen sind auch noch jene kleinen Hütten für die Fetische. +Manchmal sind dies nur auf Pfählen ruhende Strohdächer, unter welchen +die Götter Schutz gegen die Sonne und den Regen finden, manchmal aber +auch ordentlich eingerichtete Hütten. Aber jedesmal findet man sie in +bedeutend verkleinertem Maßstabe. Eine Fetischhütte ist nie höher als 4 +bis 5 Fuß und hat an der Basis gewöhnlich 3 bis 4 Fuß Durchmesser. Oft +steht ein Fetisch oder eine ganze Fetischfamilie nur auf einem +Thonteller, der circa 1 Fuß hoch, nach oben sich verjüngt und circa 3 +bis 4 Fuß im Durchmesser hat. Außerdem hat jede Hütte in den Gegenden, +wo Fetischismus betrieben wird, einen Fetisch in seiner Hütte, der oft +aus Thon oder Holz geformt, oft aber nur ein Bild oder Relief an der +Hüttenwand ist. + +Je mehr man sich dem Niger nähert, desto andere Bauformen finden wir +gäng und gäbe. Freilich bleibt auch hier die runde Hütte noch immer die +eigentliche Nationalbehausung der Neger; aber wir finden nun bei den +Wohnungen der Fürsten, der Großen und Reichen keineswegs mehr große, +nach arabischer Art mit plattem Dache versehene Häuser, sondern Gebäude, +die nach Art der europäischen ein Giebeldach haben. In Imaha, in +Ogbomoscho und Ibadan haben die Fürsten die großartigsten Giebelbauten, +bei denen europäischer Einfluß wohl kaum zu leugnen ist. + +Die Fürstenwohnung in Illori ist der Art, daß sie ein längliches Viereck +von 150 Fuß Länge auf 30 Fuß Breite bildet. Die Seitenmauern, circa 6 +Fuß hoch und 2 Zoll dick, aus gestampftem Thon errichtet, tragen ein +unverhältnißmäßiges hohes Strohdach à cheval, dessen überstehende +Seitenwände über die Mauern hinausreichen, so daß sie fast den Erdboden +berühren. Der Raum, der hierdurch entsteht, giebt einen schattigen +Ruheplatz für die zahlreichen Sclaven ab. Im Innern läuft längs der +einen Wand ein Corridor, und von diesem aus kommt man mittelst niedriger +Thüren in die verschiedenen Zimmer, von denen einige einen aparten +Bodenabschluß haben, andere aber frei bis unter das Dach hinaufreichen. + +Höchst eigenthümlich fand Dr. Nachtigal die heidnischen Bewohner im +südlichen Bagermi wohnen. Fortwährend den Ueberfällen der +mohammedanischen Bevölkerung ausgesetzt, haben sie ihre Wohnungen gleich +den Vögeln auf den Bäumen errichtet, und der gewaltige Baumwollenbaum +(Bembax. cottontree) eignet sich vortrefflich dazu, derartige +Behausungen zu empfangen: Der Baumwollenbaum gehört zu den Riesen der +centralafrikanischen Vegetation. Ungefähr 50 Fuß hoch vom Boden, gehen +von seinem colossalen Stamme starke horizontal verlaufende Aeste ab. Auf +diese legen die Bagermi-Bewohner Balken und errichten darauf ihre +Hütten; selbst der Viehstand wird in Zeiten der Gefahr mit nach oben +gezogen. Mittelst einer aufziehbaren Strickleiter gelangen die +Eigentümer hinauf. In der Nacht werden nach Nachtigal nie +Feindseligkeiten unternommen, so daß während dieser Zeit die Inwohner +eines solchen Baumdorfes ihre Vorräthe an Wasser und Lebensmitteln +machen können. Und da in Bagermi der Gebrauch der Schießwaffe noch nicht +eingeführt ist, so gewinnen die Besitzer in ihren hohen, luftigen Bauten +eine ziemliche Sicherheit. + +Je mehr man sich der Küste nähert, desto mehr schwindet die Hütte, und +wenn in den Ortschaften des Konggebirges oder an den Abhängen desselben +auch die Häuser der privaten nicht alle jene großen kasernenartigen +Dimensionen haben, so läßt sich doch in der Anlage der europäische +Einfluß auf den ersten Blick heraussehen. Gebrannte und behauene Steine +findet man erst, wenn man die Küstenstädte Afrika's selbst, mithin das +europäische Element erreicht hat. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 1: Allerdings sind in Marokko in den sogenannten "maurischen +Bädern" auch gewölbte Kuppeln, aber diese Gewölbe sind entweder durch +horizontal eingeschobene Balken gebildet und getragen, oder durch +Uebertragung horizontal gelegter Steine gebildet, ähnlich wie man es in +den gewölbten Kammern der griechischen Thesauren beobachtet.] + + + + +3. Lagos an der Westküste von Afrika. + + +Keine Stadt an der Westküste von Afrika, vom Cap Spartel an gerechnet, +bis zum Cap der guten Hoffnung, hat in den letzten Jahren einen so +raschen Aufschwung genommen wie Lagos. Unter dem 6° 26' nördlicher +Breite und dem 3° 22' östlicher L. v. Gr. gelegen (nach anderen 6° 28' +n. Br. und 3° 26' östl. L. v. Gr.), war Lagos bis zum Jahre 1851 +portugiesische Schutzstadt und Hauptexportstadt für den Sclavenhandel. +In diesem Jahre vertrieb ein eingeborener Fürst, Namens Kosoko, den +rechtmäßigen König Akitoye, weil dieser auf Betrieb Englands den +Sclavenhandel unterdrückt hatte. Kosoko wurde von den Engländern wieder +verjagt und der rechtmäßige König wieder eingesetzt. Aber trotzdem +florirte die Negerausfuhr fort, die um so schwieriger hier zu überwachen +und zu verhindern war, als der Küstenstrich wegen Lagunenbildung +zahlreiche Verstecke und Schlupfwinkel bietet, wohin sich die +Sclavenhändler bei drohender Gefahr zurückziehen konnten. + +Am 6. August 1861 erschien deshalb das englische Kriegsschiff +Prometheus, Com. Bedingfeld; Lagos wurde genommen und zur englischen +Colonie erklärt. Zum Scheine ließ man jedoch den Sohn Akitoye's, Docemo, +als König bestehen, er behielt jedoch nur den Titel. + +Von den Eingeborenen Eko, auch Oni genannt, erhielt Lagos seinen Namen +von den Portugiesen. Es liegt auf einer halbmondförmigen Insel, hat im +Süden das Meer, im Norden die die Insel vom Festland trennende Lagune, +und ist von den übrigen schmalen Küstenstrichen oder Inseln, welche im +Osten und Westen sich fortziehen, durch enge Meeresarme getrennt. Das +Festland ist circa 15 engl. Meilen entfernt. Von den schmalen +Landstreifen, welche ursprünglich Festland gewesen sind, und die +manchmal 3, manchmal bis 10 englische Meilen breit sind, gehört ein +60-70 englische Meilen langes Stück jetzt den Engländern. Alle diese +Streifen sind mit dichtester Vegetation bedeckt, meistens mit +Mangroven-Buschwerk bestanden, das von schlanken Cocosnußpalmen überragt +wird, während gleich am Festlande jene undurchdringlichen Urwälder +beginnen, in denen die Oelpalme und der Baumwollenbaum die +hervorragendste Rolle spielen. + +Hält man sich für kurze Zeit in diesem von der Natur so verschwenderisch +ausgestatteten Lande auf, so sollte man glauben, es sei hier ein ewiges +Paradies was das Klima anbetrifft: man glaubt in einer ewig +frühlingsmäßigen Natur zu leben. Balsamische Düfte durchziehen die Luft, +der tiefblaue Himmel, das saftige Grün der üppigen Pflanzenwelt, in der +Ferne das tiefblaue wogende Meer, lassen den Gedanken nicht aufkommen, +daß jeder Athemzug dem Körper giftige Substanzen zuführt; und doch ist +dem so, wie die große Sterblichkeit der Eingeborenen sowohl wie die der +Europäer ergiebt. Eben die lagunenartige Gegend, die Ausdünstungen der +See, die vermodernden Pflanzentheile der nahen Sümpfe, die Vermischung +von Salz- und Süßwasser nehmen alle Theil an jenen Krankheiten, die den +Menschen so gefährlich sind, und meist rasch und tödtlich verlaufen. + +Die mittlere Temperatur von Lagos ist unbekannt, dürfte aber zwischen +20° und 22°[2] sein. Der niedrigste beobachtete Thermometerstand war 15° +C., der höchste 35°. Barometrische Aufzeichnungen von Lagos liegen gar +nicht vor. Als hygrometrische Beobachtungen wurden mir 0,2 und 25° +genannt, indeß nicht dabei gesagt, mit welchem Instrument und nach +welchem Systeme dieselben gefunden worden sind. Die fallende Wassermenge +wird wohl der von Gabun gleichkommen, wo man in einem Jahr 250" Regen +beobachtet hat. Die nasse Jahreszeit währt von April und Mai bis August +und September und in dieser Zeit sind fast täglich die heftigsten +Tornados (Gewitterregen) bei herrschendem Ostwinde. Im November, +December, Januar und Februar ist fast nie Regen beobachtet worden. Der +herrschende Wind der trockenen Jahreszeit ist West und Nordwest. In +dieser Periode herrscht Nachts vollkommene Windstille; erst gegen 9 Uhr +Morgens springt der Wind auf, um bis nach Sonnenuntergang als starke +Brise zu blasen. Im Januar wird hauptsächlich der Harmattan beobachtet, +vom Innern her wehend, und von welchem die dort lebenden Europäer noch +immer glauben, daß es Nebel sei, während es nichts Anderes ist, als ein +zerflossener Rauch jener großen innerafrikanischen Wald- und Grasbrände, +die sich manchmal über Strecken verbreiten, die Tausende von +Quadratmeilen einnehmen. Zu dieser Zeit ist der Gesundheitszustand am +besten, namentlich auf äußere Hautkrankheiten übt der Harmattan einen +überaus wohlthätigen Einfluß aus. + +Hauptsächlich dort beobachtete Krankheiten sind, was auf die Europäer +sich bezieht, Malaria und bösartige Wechselfieber, Dyssenterien und +Leberkrankheiten. Cholera und gelbes Fieber sind in Lagos nie +aufgetreten. Es ist übrigens wohl in Betracht zu ziehen, daß die meisten +Europäer durch ihr eignes unmäßiges Leben sich derartige Krankheiten +zuziehen. Während das weiche, erschlaffende Leben eine mäßige +Lebensweise, namentlich Enthaltsamkeit von trockenen Weinen und +Liqueuren, empfiehlt, findet man hier, wie fast überall in den Colonien, +vorzugsweise spanische Weine, Sparkling Hock[3] und Brandy im Gebrauch, +und die schwelgerischen Tafeln, die dort stets dem Magen vorgestellt +werden, rufen denn nur zu rasch jene Krankeiten hervor, denen die +Europäer zum Opfer fallen, auf dem Sterbebette noch das mörderische +Klima verfluchend. Bei den Negern beobachtet man außerdem noch den +Guineawurm, Elephantiasis, Pocken, Lepra, Krakra (eine widerliche +Krankheit) und Yaws, eine Art von böser Frambösie. + +Die Bevölkerung der Schwarzen besteht aus Eingeborenen und dorthin +eingewanderten und transportirten Negern. Erstere gehören alle zu den +Stämmen der großen Yoruba-Familie. Ohne so schön und hell zu sein wie +die Pullo, sind die Yoruba keineswegs vollkommen schwarz, sondern haben +mehr bräunliche Hautfarbe. Sie haben sanfte, nicht stark prononcirte +Gesichtszüge, und werden von den dortigen Europäern für die besten und +gutmütigsten aller Neger gehalten. Als die Portugiesen zuerst nach Lagos +kamen, fanden sie die Eingeborenen sehr geschickt in Verfertigung von +Matten und Strohflechtereien, die sie auch noch so zart und fein zu +flechten wissen, daß man daraus Kleidungsstücke machen könnte, und die +zum Theil auch von den Eingeborenen in früheren Zeiten als solche +benutzt wurden. Baumwollenweberei, Färberei, Ledergerberei, vorzügliche +Holzschnitzerei, Töpferkunst und die Verarbeitung edler und unedler +Metalle waren den Eingeborenen von Lagos bekannt, als die Europäer +dorthin kamen. Man kann ihre Zahl auf 35-40,000 schätzen. Haussa-Neger +bilden das zweite Element, sie sind durch etwa 1000 Individuen +vertreten. Die übrigen endlich sind Acra-, Fanti- und Kru-Neger, etwa +2000 Seelen stark, und einzelne von verschiedenen anderen Horden. Alle +diese sind ursprünglich freie, in Lagos von jeher seßhafte Neger, dann +aus dem Innern und von der Küste als Freie Eingewanderte, oder aber +ursprünglich gewesene Sclaven und deren Nachkommen und zum Theil aus dem +britischen Westindien, von Sierra Leone, Gambien, Liberien, Brasilien +oder Cuba zurücktransportirte, gekaperte ehemalige Sclaven. Allein die +von Sierra Leone gekommenen Neger schätzt man auf 4000 Seelen. + +Was die Europäer anbetrifft, so ist deren Zahl durchschnittlich gegen +100, von denen etwa 60 Engländer, 20 Deutsche und Franzosen sind, und +die übrigen aus Spaniern, Portugiesen und Italienern bestehen. + +Der Cultus der Eingeborenen, die noch nicht zum Christenthume +übergetreten sind, ist Fetischdienst. Vornehmlich werden Bäume +fetischirt, aber auch Thiere, z.B. Hunde, stehen in Verehrung. Die +Anbetung von kleinen, aus Holz und Thon gearbeiteten Götzenbildern ist +sehr allgemein; Herr Philippi aus Potsdam, der sich 13 Jahre in Lagos +aufhielt, besitzt eine ganze Sammlung jener kleinen interessanten +Gottheiten. Außer den allgemein heilig gehaltenen Thieren hat dann noch +jeder Neger sein Privatheiligthier, von dem er dann natürlich auch nicht +essen darf, während die Uebrigen, wenn diese Thiere zu den genießbaren +zählen, davon essen. So durfte der Häuptling Tappa, eine persönliche +Bekanntschaft von mir, keine Hühner essen, Docemo, der König, keine +weißen Tauben. Jeder hat so seine speciellen Göttchen, die gewissermaßen +als Heiligen den betreffenden Individuen dienen und in den Wohnungen den +Ehrenplatz einnehmen. Im Ganzen mögen gegen 25000 Heiden in Lagos sein. +Für die Umwandlung in Christen thut die englische Regierung officiell +seit einigen Jahren nichts mehr, legt aber auch den Missionären, +einerlei, von welcher Kirche sie abgeschickt worden sind, keine +Hindernisse in den Weg. + +Als Nichtchristen zählen zunächst die Mohammedaner; ihnen gehören +besonders alle Haussa-Neger an, aber auch viele Yoruba. Der Islam hat +sich quer durch Afrika seinen Weg gebahnt, er wird um so mehr von den +Negern angenommen, als die moralischen Vorschriften besser mit den +alten hergebrachten Leben harmoniren, überdies die den Mohammedanismus +predigenden Lehrer gleich Sitten und Gebräuche der Schwarzen selbst +annehmen, und nur die Formen und äußeren Gebräuche ihres Glaubens +verlangen. Außerdem predigt der Islam Hochmuth. "Sobald ihr Gläubige +seid, steht ihr über Christen und Juden, ihr gehört dann zum +ausgewählten Volke, ihr seid dann gut =par exellence=." Eine solche +Lehre gefällt den unmündigen Negern. Es gefällt ihnen das weit besser, +als: "Ihr könnt das Himmelreich nur durch Buße und Glauben gewinnen, +Sünder bleibt ihr aber immer; seid demüthig, verachtet den Reichtum &c." +Zudem ist der christliche Missionär in unseren Tagen nicht im Stande, +auf das Niveau der Eingeborenen hinabzusteigen, während er ebenso wenig +vermag, diesen zu sich heraufzuziehen, das heißt ihm die äußeren +Annehmlichkeiten des Lebens zu bieten, unter denen er selbst seine +Existenz hat. Wie kann ein armer Neger sich denken, daß die Lehre +richtig sei, wo man ihm Verachtung des Reichthums, Mäßigung, Demuth und +Buße predigt, und er dies von solchen Männern hört, die gut bekleidet +sind, die schöne Häuser haben, Möbel besitzen, wie er sich sie nie +anschaffen kann, und über Geld in Hülle und Fülle (nach den Anschauungen +der Neger) gebieten? Denn wenn auch nach europäischen Begriffen die +Missionäre nicht allzuglänzend und reich ausgestattet sind, so sind sie +es doch den Eingeborenen gegenüber. Ganz anders tritt der Mohammedaner +auf: er hat nicht mehr als der Neger, er verdient seinen Lebensunterhalt +durch seine Arbeit, durch Handel; der Eingeborene sieht, wenn der +mohammedanische Lehrer zu Wohlstand kommt, woher und wie derselbe +gewonnen ist. Kein mohammedanischer Apostel hat irgendwie Gehalt, er +bekehrt, um einen neuen Gläubigen zu gewinnen, ganz aus eigenem +Antriebe, ohne von einer Gesellschaft ermächtigt zu sein. Er glaubt auch +nicht einmal, daß dies für ihn selbst ein großes Werk sei, er meint +dadurch nur die Seele des Bekehrten gerettet zu haben, welche nun würdig +ist, mit ihm nach dem irdischen Tode die verheißenen Freuden des +Paradieses zu theilen. + +Die Zahl der Mohammedaner wird auf 4000 geschätzt, und scheint dieselbe +noch fortwährend zuzunehmen. + +Was die Christen anbetrifft, so haben wir verschiedene +Glaubensrichtungen in Lagos vertreten, und dies Nichteinheitliche der +Lehre Jesu trägt gewiß dazu bei, bei Ausbreitung des Glaubens die +Eingeborenen stutzig zu machen. + +Von den Protestanten finden wir die englische _high church_ durch die +_church missionary society_ vertreten, etwa 1000 Seelen; die Wesleyaner +etwa 700 Seelen, und amerikanische Baptisten etwa 30 Seelen. Die +römisch-katholische Kirche ist hauptsächlich durch 3-400 sogenannte +_emancipados_ (ehemalige Sclaven) aus Brasilien und Cuba repräsentirt. +Die deutschen Protestanten halten sich zur Hochkirche. Im ganzen beläuft +sich die Zahl der Christen in Lagos auf 3500. Für die Protestanten +besteht ein Seminar mit einem weißen und einem schwarzen Lehrer und etwa +20 Zöglingen; ein Mädcheninstitut unter einem weißen Lehrer und einer +weißen und einer schwarzen Lehrerin mit etwa 20 Schülerinnen; vier +gemischte Volksschulen mit 8 Lehrern und 430 Schülern; drei kleine +Kinderschulen mit 5 Lehrerinnen und 320 Schülern. Die Wesleyaner haben +außerdem eine Schule mit 3 Lehrern und 170 Schülern. Ueber die Schulen +der römisch-katholischen Mission liegen keine numerischen Nachrichten +vor. + +Die Mohammedaner sorgen für die Bildung ihrer Gläubigen durch Gebete in +der Hauptmoschee, sie haben 12 bis 16 kleinere Betplätze, die zum Theil +Medressen (Schulen) sind, in denen jedoch weiter nichts gelehrt wird, +als mechanisch Koransprüche herzusagen. Fast mit Sicherheit kann man +behaupten, daß die Lehrer selbst den Sinn der Sprüche und Gebete nicht +verstehen. Nach den Begriffen der modernen Apostel des Islam ist das +auch nicht nöthig, da Gott selbst Arabisch versteht, also wohl weiß, was +die Gläubigen beten. + +Die Regierung besteht derzeit aus einem Gouverneur (von der +Kriegsflotte), einem Colonialsecretär, einem Oberrichter (_high +justice_), einem Ingenieur, einem Colonialarzt, einem Schatzmeister und +zwei Polizei-Inspectoren mit 45 Constablern. Das Geschwornengericht ist +aus Weißen und Schwarzen zusammengesetzt. Als Garnison steht in Lagos +eine Compagnie westindischer schwarzer Soldaten, und in letzterer Zeit +sind darunter als Ergänzung vorzugsweise Haussa-Leute aufgenommen +worden. Außerdem steht der Regierung ein Kanonenboot I.M. der Königin zu +Gebote. In Lagos residiren ein norddeutsches, ein französisches und ein +italienisches Consulat. + +Während Lagos früher krumme, winkelige Straßen hatte, an beiden Seiten +von Negerhütten besäumt, wird jetzt der Ort durch sehr breite, gerade +Straßen durchzogen, die Nachts beleuchtet sind. Man unterscheidet vier +Hauptstadttheile, Okofagi, Ologbowa, Offi und Egga. In letzterem +befindet sich der Palast von König Docemo, der aussieht wie eine große +Bude. Das Haus, welches der Gouverneur bewohnt, ganz aus Eisen errichtet +und fertig von England gebracht, befindet sich, wie die meisten +Wohnungen der Europäer, auf der der See zugekehrten Seite der Insel. +Gleich daneben liegt die prachtvolle ehemalige O'Swaldische Factorei, +die seit einigen Jahren in die Hände eines anderen Hamburger Hauses +übergegangen ist. + +An öffentlichen Gebäuden erwähnen wir noch das Colonial-Secretariat, das +neue, aus Backstein errichtete Rathhaus, in dem zugleich der Gerichtshof +ist, eine Caserne mit Spitaleinrichtung, ein Colonial-Hospital mit 20 +Betten, das jedoch viel zu wünschen übrig läßt, ein Zollhaus mit Krahn, +endlich 10 Kirchen für Protestanten und eine im Bau begriffene für +Katholiken. + +Die Häuser der Europäer sind zweckmäßig und meist aus gebrannten Ziegeln +aufgeführt und fast alle von kleinen Gärten umgeben. Cocospalmen, +Brodfruchtbäume und Mangos gewähren Schatten; an wohlschmeckenden +Früchten sind die Ananas von Lagos als ganz vorzüglich +hervorzuheben.--Die Stadt hat außerdem mehrere kleine Dampfer, welche +die großen Dampfschiffe und Segler, welche die Barre nicht passiren +können, befrachten und ausladen, Hunderte von kleinen Schiffen, alle +numerirt und den Eingeborenen gehörend, unterhalten den Verkehr mit dem +Festlande, hauptsächlich mit der Stadt Ikorodu. Sehr angenehm für die +Bewohner von Lagos ist, daß die Lagunen nicht nur äußerst fischreich +sind, sondern jahraus, jahrein täglich so viel Austern und Granaten +(_Crangon vulgaris_) gefangen werden, wie es die Bedürfnisse erheischen. +Deshalb ist denn auch die Fischerei eine der Hauptbeschäftigungen des +Volkes; aber außerdem finden wir alle Handwerker vertreten, als +Schreiner, Maurer, Zimmerleute, Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser +&c. + +Die Europäer sind fast durchaus Handelsleute; es giebt Engros-Häuser, +sogenannte Factoreien, und Detailisten. Große Factoreien giebt es circa +20, von denen die Hamburgische von O'Swald die bedeutendste war, die +sogar der Factorei der West-African-Company den Rang abgelaufen hatte. + +Export und Import haben unter der englischen Regierung einen bedeutenden +Aufschwung genommen, was natürlich auf die Einkünfte der Colonie +bedeutend nachgewirkt hat. 1862 betrug die Einnahme 5000 Pfd. St., im +Jahre 1867 schon 30,000 Pfd. St. Nach dem Blaubuche betrug 1867 der +Werth der exportirten Waaren 51,313 Pfd. St., der Werth der importirten +Gegenstände ist nicht angegeben, Lagos hatte aber 1868 an Zollgebühren +(vom Export wird nicht gezollt) eine Einnahme von 35,000 Pfd. St.[4], +aus anderen Quellen noch 4000 Pfd. St., also im Ganzen fast 40,000 Pfd. +St. + +Exportirt wird hauptsächlich Indigo, Grundnüsse (=Arachis=), +Elfenbein, Mais, Baumwolle (1867 für 7112 Tons, die Tonne zu 2000 +Pfund), Goro- oder Kolanüsse[5], welche nach Brasilien und Sierra Leone +verschickt werden, endlich Oel- und Palmnüsse. Oel wurde 1867 im Gewicht +von 12,414 Tonnen, Nüsse 9600 Tonnen exportirt. Die Nüsse wurden im +Anfang gar nicht benutzt, es ist das Verdienst der O'Swald'schen +Factorei, dieses Product der _Elaeis guineensis_ zuerst ausgenützt zu +haben. Die Nuß enthält nämlich bedeutende Mengen von Stearin, das Oel +wird zum Schmieren und zur Seifefabrikation benutzt. + +Man führt ein: Cawries (=kauri, kungena, kerdi, eloda-Cypraea moneta +L.=), jene kleinen Muscheln aus den ostindischen Gewässern, die als +Scheidemünze dienen im größten Theil von Centralafrika, Rollen- und +Blättertabak von Brasilien, Waffen, Pulver, Stabeisen, Messingdraht, +Perlen, Spiegel, Messer, Manufacturen, Salz, Spirituosen. Von +Spirituosen, Cawries und Tabak wird 6 Proc. Eingangszoll erhoben. + +Im Jahre 1873 arbeitete der Bürgermeister von Lagos, Mr. Goldsworthy, +zusammen mit dem Gouverneur Herrn Glover, um neue Handelsstraßen nach +dem Innern zu eröffnen. Im vergangenen Jahre machte Goldsworthy eine +Reise von 200 englischen Meilen in nordöstlicher Richtung und berührte +dabei die Gebiete von Ikale, eine wald- und sumpfreiche Gegend mit +einzelnen angebauten Strichen, und von Onodo, einer Hügelkette längs +der Küste und von Ife berührt. Es gelang ihm, die Kämpfe zwischen +einzelnen Stämmen zu beendigen und wahrscheinlich auch das Efou-Gebiet +durch eine neue Handelsstraße zu eröffnen. + +Werfen wir schließlich einen Rückblick auf Lagos, heute die volkreichste +Stadt an der ganzen Westküste von Afrika, so bemerken wir, daß der Ort +hauptsächlich unter der freisinnigen englischen Administration rascheren +Aufschwung genommen hat wie andere Punkte in Afrika. Selbst das Klima +scheint sich durch gute sanitätspolizeiliche Maßregeln, als Erweiterung +der Straßen, Pflasterung der Wege, Ausrottung der nächsten Dschengel-und +Mangroven-Büsche verbessert zu haben; in früheren Jahren trafen auf die +weiße Bevölkerung wenigstens 20 Todesfälle, in den letzten Jahren ist +das Verhältniß jedes Jahr günstiger geworden. 1869 ist, freilich wohl +ausnahmsweise, nur Einer von der circa 100 Köpfe starken weißen +Bevölkerung gestorben. + +Auch die Gesittung und Civilisation nimmt unter den Eingeborenen +erfreulich zu. Wenn Europäer, und besonders die Missionäre, beherzigen +wollten, daß ein Volk, welches seither fortwährend von der Cultur der +civilisirten Völker abgeschlossen gewesen, von einem primitiven +Standpunkte sehr schwer innerhalb einiger Jahre auf eine solche +Culturstufe gebracht werden kann, wozu wir selbst fast 2000 Jahre +gebraucht haben, so würden sie langsamer vorgehen und mehr Geduld haben +mit ihren Civilisationsbemühungen. Wenn man die heutigen Neger +betrachtet, namentlich die Bewohner jener großen Reiche Centralafrika's, +und vergleicht den Zustand dieser Völker und Länder mit jenen von +Europa vor circa 2000 Jahren (natürlich Griechen und Römer ausgenommen), +so wird jeder Mensch, der unbefangen urtheilt, sagen: der Vortheil ist +hier auf Seiten der Schwarzen. Die großen Staaten Bornu, Sokoto und +Gando &c. legen glänzendes Zeugniß ab, wie weit ohne europäische +Einflüsse die Neger fähig sind, sich zu civilisiren, und General +Faidherbe hat gewiß nicht Unrecht, wenn er die Schwarzen als für +Civilisation empfänglicher hält, als Berber und Araber. + +Aber trotzdem und trotz vieler glänzenden Beispiele, die eben beweisen, +daß selbst in kürzester Zeit der Neger bei sorgfältiger Erziehung sich +vollkommen mit dem Weißen gleichzustellen weiß (ich erinnere nur an +Bischof Crowther, an Senator Revels, welcher Letztere jüngst im Senate +der Vereinigten Staaten seine erste Rede, die als oratorisches +Meisterwerk dasteht, gehalten hat), wage ich nicht zu behaupten, daß die +Neger eine Zukunft vor sich haben; sie werden am Ende von den Weißen +absorbirt werden. + +Wir sehen in Centralafrika, daß die Pullo, welche sich als herrschendes +Volk große Negerreiche unterworfen haben, heute, nach noch nicht 100 +Jahren, vollkommen von den Negern assimilirt worden sind. Obschon die +Pullo noch die herrschenden sind, auch ihre Pullo-Sprache noch reden, +sind sie fast ganz schwarz geworden und alle reden heute neben ihrem +Pullo die Sprache der Stämme, über welche sie herrschen. Ebenso haben +die Araber in Centralafrika, z.B. die Schoa, fast nur noch ihre Sprache +erhalten. Und so wird es den Negern ergehen den Weißen gegenüber, wenn +sie nicht durch eine zu rasch mit ihnen vorgenommene +Civilisationsmethode (namentlich durch unpassende Bekehrungsversuche) +vorher ausgerottet werden. Ist dies nicht der Fall, so werden sie +langsam verdrängt werden von den Weißen, wenn sich einmal für diese das +Bedürfniß herausstellen sollte, Afrika so ernstlich in Angriff zu +nehmen, wie man es mit Amerika und jüngst mit Australien gethan hat. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 2: Hunderttheilig.] + +[Footnote 3: Rheinwein wird von den Engländern meist als Schaumwein +getrunken.] + +[Footnote 4: Fast Alles zahlt 4 Proc. nur einige Artikel 6 Proc.] + +[Footnote 5: Als ich 1867 von Lagos nach Europa zurückkehrte, gelang es +mir, Goro-Nüsse ganz frisch heimzubringen. Unser nun verewigter Liebig, +dem ich dieselben zur Untersuchung einschickte, fand die Nüsse sehr +reichhaltig an Coffein; außerdem gelang es ihm, im botanischen Garten zu +München aus einer der Nüsse einen Baum heranzuziehen, der im vorigen +Sommer schon eine Höhe von 5 Fuß erreicht hatte und laut eines Briefes +vom 9.d.M. von Liebig fortfährt, sehr gut zu gedeihen.] + + + + +4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika. + + +Einer der wichtigsten Gebirgsstöcke im bekannten Centralafrika ist das +Gora-Gebirge, denn hier ist die Wasserscheide zwischen dem Tschad-See +einerseits und dem mächtigen Niger andererseits. Zudem entspringt hier +der Gongolafluß, einer der bedeutendsten Nebenflüsse des Bénue, sowie +eine Menge kleinere Flüsse, die direct in den Bénue (dieser ist der +bedeutendste Nebenfluß des Niger, und vielleicht ebenso bedeutend als +dieser) sich werfen. + +Das Gora-Gebirge erreicht eine absolute Höhe von mehr als 7000 Fuß und +besteht seiner Hauptmasse nach aus Granit, doch sind an den unteren +Abhängen auch alle anderen Gesteinsarten vertreten. Das Gebirge scheint +sehr mineralisch zu sein, die Bewohner haben Antimon-, Zinn- und +Eisenminen; über das Vorkommen von Gold ist den Eingebornen indeß nichts +bekannt, noch weniger läßt sich sagen, ob Silber vorhanden sei, welches +überhaupt in Centralafrika noch nicht gefunden worden ist. Der Boden +besteht fast durchweg aus einem festen röthlichen Lehm und Thon, doch +sieht man mitunter auch ausgedehnte Strecken mit schwarzem Humus +bedeckt. Die hervorragendsten Berggipfel sind der Saranda, westlich von +Bautschi (Jacoba) gelegen, der Goa- und der Gora-Knotenpunkt, von dem +das ganze ausgedehnte Gebirge seinen Namen hat, und von dem die Wasser +hauptsächlich entspringen, welche dem Niger, Bénue und dem Tschad +zueilen. + +Was Naturschönheiten anbelangt, so wird es kaum ein Gebirge geben, +welches hierin die Goraberge übertrifft. Ueberall bewaldete Höhen, oft +steil emporragende Felsen, rieselnde Bäche, spritzende Wasserfälle, +herrliche Steilschluchten. Hie und da wieder ein Stück Ackerland um +kleine Ortschaften herumliegend, üppige Gärten mit Bananen, Gundabäumen, +Erdnüssen und einigen Gemüsen--dies das Gesammtbild, wie sich das +Gora-Gebirge dem Wanderer zeigt. Ja, wenn nicht die eigenthümlichen +konischen Dächer der Hütten, welche jene Negerdörfer zusammensetzen, +wenn nicht bei näherer Betrachtung die einzelnen Bäume der dichten +Wälder, wenn nicht hie und da die schwarze Gestalt eines mit Bogen und +Pfeil bewaffneten Eingeborenen einen daran erinnerten, daß man sich +zwischen dem 9. und 11. Grade N. Br. befände, so würde man eher glauben, +in einer üppigen europäischen Gebirgslandschaft zu sein, als in einer +afrikanischen Tropengegend. + +Bis auf den Kamm des Gebirges hat man es meist mit denselben Bäumen zu +thun, wie sie in Bornu vorkommen, aber darunter befinden sich manche +fruchttragende, die in den Tschadebenen nicht vorkommen. Auf der +westlichen Seite treten hingegen die Baumarten in den Vordergrund, wie +sie das Nilthal vorzugsweise aufweist, und namentlich sind es +ausgedehnte Wälder des Butterbaumes, _Bassia Parki_, die nun +vorherrschen. In den niederen Theilen zeigen sich Bananen und der +herrliche Gunda-Baum überall wild. Indigo, zum Theil wild, Baumwolle und +Tabak gezüchtet, kommen allerwärts vor. Der Wald liefert die +Yams-Wurzeln, die auch gebaut werden, ebenso pflanzen die Eingeborenen +in ihrem Garten Ingwer, verschiedene Zwiebeln, Erdnüsse und Kohlsorten. + +In einer so üppigen Gegend ist natürlich die Thierwelt sehr reich +vertreten: die niedere sowohl wie die geflügelte zeigt dem Europäer auf +Schritt und Tritt Neues. Reißende Thiere, namentlich Panther und +Leoparden, sind in den Schluchten der Berge nichts Seltenes, doch sind +sie keineswegs so häufig, daß dadurch irgendwie die Sicherheit der +Reisenden gefährdet würde. + +Sehr zahlreich sind allerdings die Hyänen und Büffel vertreten; Giraffen +kommen hier im Gebirge nirgends vor; Elephanten, Nashörner und +Flußpferde treten erst am Bénue und Niger auf; ebenso fehlt hier der +Gorilla-Affe, nur Paviane und Hundsaffen sind in erstaunlicher Menge +vertreten. Wie überall, wo das Land von Ameisen beherrscht wird, ist +auch der Ameisenbär anzutreffen, und jene ungeheueren Thonpyramiden, +welche man über das ganze Land zerstreut sieht, sind oft von der Kralle +des Ameisenbärs angebohrt. Diese Pyramiden, von denen auch schon durch +Photographie fixirte Ansichten existiren, verleihen der Landschaft einen +eigenthümlichen Reiz. Man beobachtet welche von einer Höhe von über 20 +Fuß. + +Die Bewohner des Gora-Gebirges sind echte Neger und gehörten ehedem zum +großen Reiche der Haussa-Neger. Bei der Invasion der Pullo wurden sie +unterjocht, und jetzt bildet das Gora-Gebirge einen Theil des +Kaiserreichs Sokoto. Zum Theil gehört es zu den Königreichen Bautschi +und Kano, zum Theil zu denen von Saria und Keffi-abd-es-Senga, welche +alle dem Kaiser von Sokoto unterthan sind. + +Mit Ausnahme der Städtebewohner gehen alle Eingeborenen vollkommen nackt +und sind Heiden. Die Frauen tragen Ringe und Spangen um Arme und +Fußknöchel, jedoch durchbohren sie die Ohrlappen nicht wie die +europäischen Frauen, ihr Haar tragen sie ohne Schmuck und kurz +abgeschnitten, während die Männer es nach Art der Bornu-Frauen helmartig +zu einem Wulst zusammenwachsen lassen. Um den Leib tragen die Frauen +einen Ledergurt der vorn und hinten mit Blättern behangen wird, um damit +die Blößen zu bedecken; die Männer tragen ein Schurzfell, oft kunstvoll +gestickt und mit vielen kleinen Muscheln geschmückt. Die Männer sind +immer bewaffnet: ein Bogen, ein Köcher mit vergifteten Pfeilen und oft +ein gerades, in Hagen oder Solingen verfertigtes Schwert macht ihre +Rüstung aus. + +Ihre Religion ist Fetischdienst, obschon die über sie herrschenden Pullo +den Islam angenommen haben. Aber obgleich sie Heiden sind, stehen sie +keineswegs auf einer ganz niederen Stufe der Cultur; ihre Hütten sind so +regelmäßig und gut angelegt, daß man ihnen gewissermaßen Sinn für +Architektur und Geschmack nachsagen muß; der Boden ist eine Art Mosaik, +welcher von den Frauen eingegossen und festgeklopft wird. Ihre +Hauseinrichtungen, was Töpfe, Holzschnitzereien und andere Gegenstände +anbetrifft, sind kunstvoll und mit Eleganz gearbeitet, ihre Werkzeuge +verfertigen sie selbst aus Eisen. Um im Winter auf den höher gelegenen +Bergtheilen sich besser gegen die Kälte schützen zu können, haben sie +in ihren Hütten eigene thönerne Feuerbetten angebracht. Dieselben +bestehen aus thönernen Bänken, die inwendig hohl sind; hierin wird Feuer +gemacht und so gewähren sie dem darauf liegenden, der die schroffe Hitze +durch Felle und Matten dämpft, eine angenehme Wärme. + +Einer der Hauptstämme ist der der Bolo-Neger, aber je mehr man nach dem +Süden kommt, desto verschiedener werden die Bewohner, was Sprache +anbetrifft, und fast täglich hat man einen anderen Stamm vor sich. Schon +der Umstand, daß sie mich als ersten Weißen unbehelligt ihr Gebirge +durchziehen ließen, spricht zu ihren Gunsten. Allerdings machte auf sie +das Erscheinen eines Weißen den größten Eindruck, und sie bekundeten das +dadurch, daß häufig Männer und Frauen herbeikamen, um mich zu befühlen, +ob ich auch wirklich aus Fleisch und Blut sei, oder daß die ganze Jugend +eines Ortes hinter uns drein zog und "=Thoraua, Thoraua=" (Weißer, +Weißer) rief; aber nirgends war irgend von einem feindseligen Worte, +geschweige einer beleidigenden Handlung gegen mich die Rede. Im +Gegentheil, oft gab man mir zu verstehen, ich möchte doch bald nach +ihren Gegenden zurückkommen. + + + + +5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern. + + +"Es ssalamu alikum" ist die allgemeine Begrüßung der Gläubigen, der +Araber, und folglich aller Marokkaner, die der allein seligmachenden +Kirche Mohammeds anhängen. "Alikum ssalam" ist die Antwort. Beiderseits +muß der Gruß immer mit sichtbarem Ernste, mit einer gewissen +Feierlichkeit ausgesprochen werden; ein freundlich lächelndes Gesicht +würde man für ganz unpassend halten. + +Wie die mohammedanische Religion am Ende weiter nichts will, als die +ganze Menschheit unter _einen_ religiösen Hut bringen, und dies dadurch +zu erreichen hofft, daß sie jeden anderen glauben als absolut falsch +verwirft, so hat dieselbe auf alle Völker, die den Islam bekennen, einen +merkwürdig nivellirenden Einfluß ausgeübt. Und wie hauptsächlich Gewicht +auf das _wörtliche Glaubensbekenntniß_ gelegt wird und eine +fortschreitende _Entwickelung_ in der Religion auf's Strengste verpönt +ist, so sehen wir, daß alle den Islam bekennenden Völker dahin gekommen +sind, wohin der Buchstabenglaube führt: zur offenen Heuchelei, +Scheinheiligkeit und zu einer entsetzlichen Verdummung und Verthierung +des Volkes. + +Durch Alles, was die mohammedanischen Völker thun und reden, zieht sich +immer ein heuchlerischer, muckerhafter und pharisäischer Hauch, auch in +Höflichkeiten. Der durch den Gebrauch Mohammed's geheiligte Gruß: "Der +Gruß (Gottes) sei mit Euch" wird daher auch nie an Ungläubige +verschwendet. Ein ächter Mohammedaner würde glauben, ewig verdammt zu +werden, wenn er hierin nicht einen strengen Unterschied machte. Tritt er +in eine Versammlung, wo Juden und Christen zugegen sind, so unterläßt er +nie zu sagen: "=Ssalam-ala-hali=," Gruß meinen Leuten, oder will er +den Unterschied noch mehr hervortreten lassen, so sagt er: +"=Ssalam-ala-hal-es-ssalam=," Gruß den Leuten des Grußes, d.h. den +Mohammedanern, da selbstverständlich den ungläubigen Hunden kein Gruß +zukommt. Oder auch man sagt. "Gruß Denen, welche die Religion befolgen," +womit selbstverständlich die allein seligmachende Religion des Islam +gemeint ist, alle anderen Religionen, die christliche, die jüdische &c., +führen den Menschen direct vom Diesseits in die Hölle. + +Will ein Marokkaner recht höflich gegen einen Christen oder Juden sein, +d.h. ihn beim Begegnen zuerst anreden, so sagt er wohl: +"=Allah-iaunek=," Gott helfe dir, oder auch: Gott gebe dir zu +essen. Nie aber würde er einen Glaubensgenossen so anreden, denn Alles, +auch die Höflichkeitsbezeigungen, sind streng vorgeschriebene +Redensarten und Handlungen. + +Und es ist eigenthümlich: während äußerlich eine gewisse Gleichheit der +Menschen zu existiren scheint,--denn der ärmste Mann im Lande ist nicht +sicher, eines Tages zum ersten Minister oder gar zum Sultan, zum Chalif +(des gnädigen Herrn Mohammed) gemacht zu werden,--herrscht dennoch ein +strenger Unterschied in den Förmlichkeiten und Gebräuchen des Umgangs +zwischen Hohen und Niedern, zwischen Armen und Reichen, zwischen +Schriftgelehrten und Laien, zwischen Schürfa[6] und anderen gewöhnlichen +Sterblichen. Ist es nicht ähnlich so in der päpstlichen Kirche? Der +Sultan von Marokko betrachtet sich als den rechtmäßigen Nachfolger +Mohammeds, als seinen Verweser auf Erden. Seiner Idee nach gehört von +Rechtswegen die ganze Erde ihm: "Jeder kann Sultan oder Beherrscher der +Gläubigen werden, vornehmlich aber die vom Blute Mohammeds"[7]. Der +Papst andererseits betrachtet sich als rechtmäßigen Nachfolger Petri +(oder als Stellvertreter Jesu Christi, d.h. eigentlich Gottes), seiner +Meinung nach gehört von Rechtswegen die Herrschaft über die ganze Erde +ihm, jeder kann Papst werden, der den Laienstand mit dem schwarzen +Gewande vertauscht; wie der Sultan von Marokko, behauptet er, nicht +fehlen zu können. Wo ist da der Unterschied vor dem _unparteiischen_ +Menschen? Aber eben so groß, wie er in der päpstlichen Kirche zwischen +dem mit dreifach goldener Krone bedeckten Papste und dem einfachsten +Priester der Kirche oder gar dem Bettler ist, so groß ist auch der +Abstand zwischen dem von seinen tausend Weibern umgebenen Sultan und dem +ärmsten Faki des mohammedanischen Reiches. + +Wie es bei uns verschiedene Anreden giebt, so auch bei den Marokkanern. +Der Sultan hat den Titel _Sidina_, unser "gnädiger Herr"; der Scherif, +d.h. ein Nachkomme Mohammeds, den Titel _Sidi_ oder _Mulei_, d.h. mein +Herr; eine Scheriffrau den Titel _Lella_; einen andern Menschen redet +man mit _Si_, _Herr_, an, welches Si dem Namen vorgesetzt wird, _aber +nur, wenn er lesen und schreiben kann_. Andere ganz gewöhnliche Menschen +nennt man einfach bei Namen, sowohl Männer und Frauen, wie Kinder. Will +man solche rufen, so kann man ohne zu verstoßen, falls der Mann +unbekannt ist, sagen: =ia radjel=, o Mann; =ia marra=, o Frau; +=ia uld=, o Sohn; =ia bent= oder =ia bekra=, o Tochter, o +Jungfrau. + +Man muß sich wohl hüten, in Marokko den Titel _Sidi_, mein Herr, +gewöhnlichen Menschen zu geben, nur die Juden müssen alle Gläubigen so +anreden. Auch die Minister, Agha, Kaid, Mufti, Kadi, Imam u.s.w. haben, +falls sie nicht Schürfa sind, kein Recht auf den Titel Sidi. + +Beim _Begrüßen_ sagt man bis Mittag: Dein Tag sei gut; von Mittag bis +Abend: Dein Abend sei gut. Zu jeder Stunde kann man sagen: Sei +willkommen. + +Wenn auch vollkommen Unbekannte beim ersten Anreden sich duzen, so ist +das Duzen doch nicht ausschließlich im Gebrauch. Es würde unschicklich +sein, den Sultan anders anzureden, als in der zweiten Person Pluralis, +ebenso lieben es auch vornehme Personen, namentlich Religionsmänner, +sich in der zweiten Person Pluralis anreden zu lassen. Auch Kinder +pflegen ihre Eltern mit "Ihr" anzureden. Der gebräuchlichste Gruß, +=es ssalamu alikum=, ist ebenfalls in der zweiten Person Pluralis. + +Da eine Begrüßung zwischen Leuten, die sich seit Langem nicht gesehen, +immer unendlich lange dauert, manchmal eine halbe Stunde, so hat man die +verschiedensten Redensarten, um sich nach dem wechselseitigen Befinden +zu erkundigen., "Wie ist dein Zustand?" "Wie ist deine Zeit?" "Wie bist +du?" "Wie ist dein Wie?" "Wie bist du gemacht?" u.s.w. Alle diese +Redensarten werden mit monotoner Stimme wiederholt und man hat wohl +Acht, dieselben mit häufigen "Gott sei gelobt", "o gnädiger Herr +Mohammed" zu untermischen. Je öfterer man Letzteres thut, desto besser +und frommer glaubt man zu sein und für desto heiliger wird man gehalten. + +Es würde ein großes Verbrechen sein, bei den Leuten arabischen Blutes +sich nach dem Befinden der Frau des Anderen zu erkundigen. Und wenn sie +am Rande des Grabes stände, dürfte man das nicht direct thun. Selbst der +Vater, der Bruder würde es nicht für decent halten, seinen +Schwiegersohn, seinen Schwager ohne Umschweife nach der Gesundheit +seiner Tochter, seiner Schwester zu fragen. + +Da aber der Marokkaner ebenso gut den Trieb der Neugier besitzt, wie +wir, so braucht er dann allerlei Umwege, um sich nach dem Befinden einer +Frau zu erkundigen: "Wie befinden sich Adams Kinder?" d.h. alle +Menschen, die Frauen also auch; oder: "Wie geht es dem Zelte?" d.h. mit +Allem was darin ist; oder: "Wie geht es der Familie?"--"Wie befinden +sich deine Leute?" u.s.w. + +Der _Kuß_ ist allgemein verbreitet. Dennoch kennt man nicht den Kuß der +Liebe: den auf den Mund. Man begegnet einander, ergreift die Rechte, +ohne sie zu drücken, und küßt sodann seinen _eigenen_ Zeigefinger. Will +man über die Begegnung recht seine Freude ausdrücken, so wird diese +Procedur sechs- bis achtmal wiederholt. Ein Untergebener küßt einem +Vornehmen den Saum seines Kleides oder ist dieser zu Pferde, das Knie, +die Füße; ist der zu Begrüßende ein großer Heiliger, so kann man auch +dessen Pferd oder irgend einen beliebigen ihm gehörigen Gegenstand +küssen. + +Weiß der Vornehme oder der Heilige, daß der Begrüßer Geld hat oder Geld +schenken will, so giebt er wohl seine Hand zum Küssen, legt dieselbe +segnend auf den Kopf oder wehrt die demüthige Geberde des Begrüßers mit +Worten ab. Ist ein Untergebener zu Pferde, so steigt er schon von Weitem +ab, um einen höher Stehenden zu begrüßen. Zwei Gleiche küssen sich wohl +die Wangen, und will ein Vornehmer oder ein Heiliger Jemand besonders +auszeichnen, so küßt er diesem die Stirn. Kommt ein Vornehmer, so +erheben sich alle Anwesenden und verbeugen sich mit vor der Brust +gekreuzten Armen. Vor dem Sultan, vor dem Großscherif kann man sich auch +auf die Erde werfen, wie beim Gebet, und die Stirn auf den Boden +drücken: "=Allah-itohl-amreck=!" Gott verlängere die Existenz +deiner Seele, ruft man. + +Der Marokkaner verläßt eine Versammlung ohne Gruß; nur wenn er auf +längere Zeit verreisen wollte, würde er es für nöthig halten, sich +förmlich und durch Worte zu verabschieden. Ist aber ein sehr vornehmer +Mann, ein Heiliger in der Versammlung, so geht man zu ihm, küßt seine +Knie, seine Hand oder den Saum seines Kleides und verabschiedet sich +dann, ohne ein Wort zu sagen. + +Schon an anderen Orten ist darauf hingewiesen worden, wie die +marokkanische Geistlichkeit, wenn von einer solchen die Rede sein kann, +ebensoviel auf äußere Ehrenbezeigungen hält, wie die der europäischen +Christenheit. Wenn es auch dort nicht Sitte ist, daß sie sich kenntlich +macht von den Laien durch besondere Tracht (schwarzer Anzug, weiße +Cravate), so liebt es doch Jeder, der sich vorzugsweise dem Studium der +Religion hingiebt, daß man ihn zuerst grüßt, daß er den Ehrenplatz +erhält und daß man auf ihn die meiste Rücksicht nehme. In einem so durch +die Religion fanatisirten Lande ist es daher jedem Reisenden dringend +anzurathen, sich mit dieser Klasse von Menschen gut zu stellen, und da +die mohammedanische Geistlichkeit ebenso wie die christliche besondere +Vorliebe für Geld hat, weil dieses als die erste Bedingung zur +Herrschaft erscheint, so ist es wohl gerathen, den frommen Leuten davon +soviel wie möglich zukommen zu lassen. Wie richtig handelte z.B. Ali Bey +in dieser Beziehung bei seinen Reisen durch Marokko. + +Alle Höflichkeitsbezeigungen in Marokko müssen in fromme Redensarten +gekleidet sein. =Allah-iatik-ssaha, Allah-iaunik=, Gott gebe dir +Kraft, Gott helfe dir, ruft man einem Arbeitenden zu, und wenn einer +niest, so rufe ihm ein =Nedjak-Allah=, Gott rette dich, zu; der +Niesende dankt mit "=R'hamek-Allah=", Gott sei dir gnädig. + +Eine Sitte oder vielmehr Unsitte existirt, die man in Europa auf's +Höchste anstößig finden würde: das laute Aufstoßen während des Essens +und gleich hernach. Der Aufstoßende ruft dann selbstgefällig +"=Stafhr-Allah=", Gott verzeih' es, oder "=Hamd-Allah=". Gott +sei gelobt. Er betrachtet das als Zeichen, daß der Appetit jetzt +gestillt sei, und ebenso fassen die Mitessenden es auf, die ihn +vielleicht heimlicherweise um dies seh- und hörbare Zeichen seines +gesunden Magens beneiden. Jedes Essen, jeder Trunk wird begonnen, wie +überhaupt Alles was man unternimmt, mit =Bsm-Allah=, im Namen +Gottes. Und es würde vollkommen gegen alle Sitte sein, _aufrecht +stehend_ zu essen oder zu trinken. Dem Trinkenden wird ein: +"=Ssaha=", Gesundheit, zugerufen. + +Es würde nicht nur ein Verstoß gegen den guten Anstand sein, wollte man +mit der linken Hand essen, sondern auch den Religionsvorschriften +entgegen sein. Die linke Hand, welche zu gewissen Ablutionen benutzt +wird, gilt für unrein, nur der _Teufel_, der sich aus religiösen +Vorschriften nichts macht, bedient sich seiner Linken. Man darf sich bei +dem _Essen_ nie des _Messers_ bedienen, namentlich das Brod darf _nicht +geschnitten_, sondern muß _gebrochen_ werden. Vor und nach dem Essen muß +man sich die Hände und nach dem Essen die Hände und den Mund ausspülen, +aber sorgfältig darauf achten, daß das zum Mundausspülen benutzte +_Wasser nur aus der hohlen Hand_, nicht aus einem Gefäße genommen wird. +Zum Reinigen des Mundes bedient der wohlerzogene Mann sich nur des +Daumens und Zeigefingers seiner Rechten. Man soll nicht zu schnell +essen, und Derjenige, der einen Vornehmen oder höher im Range Stehenden +bei sich empfängt, darf sich nicht mit an die Schüssel setzen, sondern +muß durch Aufwarten seine Sorgfalt für den Besuch bekunden. Der +Besuchende selbst würde sehr gegen die Lebensart verstoßen, wollte er +sich um seine Bagage oder um seine Diener bekümmern. Daß diese in Obhut +genommen, daß die Dienerschaft mit Speise und Trank versehen, daß die +Thiere abgefüttert werden, darf ihn nicht kümmern, es ist das Sache des +Wirthes. Präsentirt man dir eine Tasse Thee oder Kaffee, so trinke sie +nicht rasch aus, sondern nimm das Getränk _schlürfend_ zu dir; wenn du +beim Speisen bist, so unterlasse es nie, die Hinzukommenden zum Mitessen +einzuladen, und diese, falls sie gleiches Ranges sind, erzeigen sich als +wohlerzogene Leute, wenn sie wenigstens einen _Bissen_ mitessen, selbst +wenn sie satt sind. Sind sie aber niederer Herkunft, so dürfen sie das +Anerbieten nicht annehmen; sind sie hungrig, so erfordert es der +Anstand, sich zu setzen und zu _warten_, bis man ihnen die Ueberreste +reicht. + +Gewisse Gebräuche, als von den unseren abweichend, sind noch besonders +hervorzuheben: + +Man darf keinen brennenden Spahn mit dem Hauche auslöschen, sondern nur +durch Hin- und Herfahren durch die Luft. Wenn man Feuer verlangt zu +einer Pfeife oder um Etwas anzuzünden, so sage man nicht: "gieb mir +Feuer," "=attininar=", denn "=nar=" bedeutet auch das +höllische Feuer, sondern man sagt: "=attini-l'afiah=". Das Wort +"=l'afia=" bedeutet Leben, Gesundheit und Feuer, oder +"=attini-djemra=", gieb mir eine Kohle. + +Höchst unanständig würde es sein, _aufrechtstehend_ ein Bedürfniß zu +verrichten, man muß das in hockender Stellung thun und hernach die +Ablution nicht verabsäumen, oder wo Wasser fehlt, die Ablution durch +Sand vollziehen. + +Man vermeide, mit Schuhen ein Zimmer oder gar eine Moschee zu betreten; +an der Schwelle der Thür müssen sie zurückgelassen werden. Sobald man +Jemand auf der Straße anreden will und hat ihm etwas Ausführliches zu +sagen, dann bleibe man nicht stehen, sondern hocke nieder, _denn im +Stehen lange zu sprechen ist unanständig_. + +Einen Bittenden muß man nie durch eine _abschlägige_ Antwort beleidigen; +"=in-schah-Allah=," so Gott will, sagt man, oder ist der Bittende +zudringlich: "=Rbi-atik=", Gott wird _dir_ geben; ein guter +Mohammedaner darf keinen Zweifel an der Großmuth Gottes hegen. + +Begeht man eine Ungeschicklichkeit, zerbricht oder wirft man aus +Versehen Etwas um, _so verflucht man zuerst den Teufel_, denn der ist +die Ursache alles Uebels; erst dann sagt man: "=smah-li=", verzeih +mir, "=ma-fi-schi-bass=", ist kein Uebel dabei, erwiedert der +Besitzer _laut, innerlich_ aber den Urheber und Teufel zum Teufel +wünschend. Sehr bequem für alle Unfälle sind auch die Redensarten: +"=Mektub-Allah=," es war bei Gott geschrieben, oder +"=Hakum-Allah=," es war von Gott befohlen, oder wenn man einen +lästigen Frager durch eine gerade Antwort nicht befriedigen will: +"=Baid-alia, cha-bar-and-Allah=", das ist weit von mir, Gott weiß +es, oder "=Arbi-iarf=," Gott weiß es. + +Hat man sonst nichts zu thun, stockt eine Unterhaltung, so ruft man +einfach: =Allah= oder =Rbi=, d.h. Gott, _Meister_, oder +=Allah-akbar=, Gott ist der Größte, oder man bezeugt, daß Gott ein +einiger und Mohammed sein Gesandter ist, oder endlich, _man verflucht +die Christen_. Grund und Anlaß zu diesen Reden brauchen nicht vorhanden +zu sein, es gehört aber zum _guten Ton_, sie so oft wie möglich +auszustoßen. + +Für eine empfangene Wohlthat muß immer gedankt werden, wäre sie auch +noch so gering: =Allah-ikter-cheirek=, Gott vermehre dein Gut, oder +=Allah-iberk-fik=, Gott segne dich. + +Auf das Versprechen eines Marokkaners ist nichts zu geben, wenn er auch +von Höflichkeit überfließen würde und die heiligsten Eide, wie "beim +Haupte des Propheten, bei Gott dem Allmächtigen" &c. geschworen hatte. +Es erheischt dann aber auch die gute Sitte, daß man dergleichen Schwüre +nicht genau nimmt, nicht daran erinnert. + +Ist man zum Besuche, so muß man sich ja hüten, die Gegenstände oder den +Besitz des Wirthes zu loben, es könnte das den Verdacht erwecken, als +wolle man Etwas geschenkt haben. Thut man es ja, so füge man immer +hinzu: =Mabruk=. Lobt man z.B. ein Pferd: =mabruk el aud=, das +Pferd möge dir glücklich sein, oder lobt man ein Kind: =Allah itohl +amru=, Gott verlängere seine Existenz. Lobt man einen Abwesenden, so +ist es höflich, wenn man seine Eigenschaften vergleicht mit denen +Desjenigen, zu dem man spricht: "ich traf letzthin mit Mohammed Ben Omar +zusammen, der ebenso viel Geist, ebensoviel Ueberlegung besitzt, _wie du +selbst_." Ueberhaupt ist es Norm, Jedem die größten Schmeicheleien +geradezu ins Gesicht zu sagen: "Bei Gott, wie geistreich du bist, +Niemand ist, wenn es Gott gefällt, so großmüthig, wie du; ich habe, Gott +stehe mir bei, noch keinen so guten Reiter gesehen, wie du einer bist" +u.s.w. Der Geschmeichelte antwortet mit "=Kulschi-and-Allah=", +Alles steht bei Gott, oder mit sonst einer frommen Redensart. + +Bei gewissen Ereignissen im menschlichen Leben haben die Marokkaner ihre +unveränderlichen Höflichkeitsphrasen. Bei einer Verheirathung: "Gebe +Gott, daß sie dein Zelt fülle" (mit Kindern). Wenn ein männlicher +Sprößling geboren wird: "Das Kind möge dir Glück bringen." Zu einem +Erkrankten: "Sorge nicht, Gott hat die Zahl deiner Krankheitstage +gezählt;" zu Einem, der im Gefecht verwundet wurde: "Du bist glücklich, +Gott hat dich gezeichnet, um dich nicht (beim jüngsten Gericht oder beim +Eintritt ins Paradies) zu vergessen." Will man Jemand über den Verlust +eines Angehörigen trösten: "Seit dem Tage, wo er empfangen wurde, stand +sein Tod im Buche Gottes", oder: "es war bei Gott geschrieben." + +Ueber den Verlust der Frau tröstet man noch besonders mit: "Halt deinen +Schmerz an, Gott wird diesen Verlust ersetzen." + +Alle diese Redensarten sind _unveränderlich_, wie bei uns "guten Tag", +"wie gehts" &c. Die Marokkaner haben aber auch noch andere Mittel, um +sich unbemerkt oder durch Zeichensprache ihre Gedanken mitzutheilen. Zum +Beispiel in einer Versammlung wäre es vielleicht wünschenswerth, irgend +Jemand über die Gesinnung oder Absicht dieses oder jenes aufzuklären. Er +blinzelt ihm mit dem Auge zu, reibt die beiden Zeigefinger an einander, +d.h. wir sind oder ihr seid Freunde und verstehen uns oder ihr seid +Gesinnungsgenossen. Ein _kreuzweises Sägen der beiden Zeigefinger_ +würde Feindschaft andeuten. Dergleichen conventionelle Zeichen haben die +Marokkaner sehr viele, wodurch sie reden können, ohne damit in eine +allgemeine Unterhaltung eingreifen zu müssen. Und es wird keineswegs als +ein Act der Unhöflichkeit betrachtet, sich solcher Zeichen zu bedienen. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 6: Nachkommen des Mohammed.] + +[Footnote 7: Sollte ja Einer auf den Thron kommen, der nicht Scherif +wäre, so würde er kraft der Infallibilität, die jeder Sultan der +Gläubigen besitzt, schon Papiere beibringen, um zu beweisen, daß er doch +Mohammeds Blut in seinen Adern habe.] + + + + +6. Beitrag zur Kenntniß der Sitten der Berber in Marokko. + + +Die Berber, welche Nordafrika und besonders den nordwestlichen Theil des +Atlas von Marokko bewohnen, haben mehr als andere dem Islam huldigende +Völker ihre eigenen Sitten und Gebräuche beibehalten. Zum großen Theile +ist die Gemeinsamkeit der Sprache Ursache dieser Eigenthümlichkeit; denn +wie groß auch der Raum ist, den die Berbersprache einnimmt, vom +atlantischen Ocean bis zum rothen Meere, so sind die Dialekte derselben +keineswegs der Art, daß nicht eine Verständigung zwischen den +verschiedenen Stämmen möglich wäre. + +Vorzugsweise finden wir aber Berber in Marokko, denn es dürften von der +Gesammtbevölkerung des Landes zwei Drittel berberischen und nur ein +Drittel arabischen Blutes sein: schlank von Wuchs, weiß von Hautfarbe, +zeigen die Berber überhaupt alle die Merkmale, die wir gewohnt sind, der +kaukasischen Race beizulegen; daß sie die Abkömmlinge der alten Mauren +oder Numider sind, welche unter verschiedenen Namen, als Gätuler, +Autolaler &c., fast dieselben Gegenden inne hatten, die wir heute von +den Berberstämmen bewohnt sehen,--daran zweifelt Niemand. + +So finden wir denn auch heute die Berber so leben, wie sie es vor +tausend Jahren gewohnt waren, d.h. ein Theil von ihnen wohnt in Städten, +wenn man größere befestigte Ortschaften so nennen will, ein anderer +Theil aber wohnt nomadisirend, wie das Mela am Schlusse seines dritten +Buches schon hervorhebt: =hominum pars silvas frequentant et--pars in +ubibus agunt=, und daß heute noch dieselben Verhältnisse in Bezug auf +dies Land und diese Völker gang und gebe sind, daß wir auch heute kaum +mehr vom Inneren Marokkos wissen, als unsere geistigen Vorfahren, die +Griechen und Römer, das wird dann klar, wenn wir die Worte des Plinius +unterschreiben: "ich wundere mich aber nicht sehr, daß Rittern und +Denen, welche aus diesem Orden in den Senat traten, Manches unbekannt +geblieben war; aber darüber wundere ich mich, daß es auch der Luxus +nicht erforscht hat. Die Macht desselben ist die wirksamste und größte. +Denn man durchsucht ja die Wälder um Elfenbein, und alle gätulischen +Klippen um Stachel- und Purpurschnecken[8]." + +Ist es nicht, als ob dieser Passus heute geschrieben sei? Auch heute, wo +der Luxus noch die größte Macht ist, ist es demselben nicht gelungen, +Marokko der Civilisation zu öffnen, vielleicht aber auch, weil eben der +rechte Luxusartikel, der gerade den Bewohnern genehm wäre, noch nicht +gefunden worden ist. + +Der vor ohngefähr tausend Jahren den Berbern aufgedrungene Islam hat +wenig, oder fast kann man sagen, gar keine Veränderungen in den +Anschauungen und in der Lebensweise der Berber hervorgebracht. Die Lehre +Mohammeds, _nur_ in der arabischen Sprache gelehrt, ist für diese +Völker, von denen nur ausnahmsweise ein Individuum der Koransprache +mächtig ist, ein todter Buchstabe geblieben; sogar die äußeren +Vorschriften und Gebräuche, die der Prophet seinen Anhängern +vorgeschrieben hat, sind für Berber nicht vorhanden. + +Nur Eins hat der Islam auch zur Folge gehabt, was ja überhaupt allen +hierarchischen Religionen nur eigen ist und ohne das sie nicht würden +existiren können: das Verdammen einer jeden anderen Religion und Haß und +Verachtung gegen alle Die, welche nicht das glauben, was man selbst +glaubt. Natürlich schließt das ein, daß man die eigne Lehre, den eignen +Glauben für den allein richtigen und allein seligmachenden hält. + +Deshalb ist denn auch die Feindschaft, welche Berber gegen andere Völker +hegen, fast nur eine aus der Religion entspringende; obschon sie nichts +vom eigentlichen Islam verstehen, hassen und befeinden sie alle die +Völker, die eine andere Religion haben. + +Es ist daher falsch, wenn Richardson und andere Reisende behauptet +haben, daß die in Marokko unter den Berbern ansässigen Juden besser +gehalten seien, als die unter den Arabern wohnenden. Die Unterdrückung +derselben, ihre schimpfliche Stellung ist unter den Berbern ebenso groß +und in die Augen springend, wie unter den Arabern. + +Was das häusliche Leben anbetrifft, so liegt zwischen Berbern und den +übrigen Mohammedanern der wesentlichste Unterschied in der Stellung der +Frau; aber auch in allen übrigen, die Sitten und Gebräuche betreffenden +Dingen lassen die Berber bis zum heutigen Tage sich vielmehr vom +_Herkommen_ leiten, als von den Gesetzen des Koran. Aus diesem haben sie +eben nur _das_ angenommen, was ihrer Eitelkeit und Einbildungskraft +schmeichelte. So pflegt denn auch die Heirath vollkommen nach dem +Herkommen, el Ada genannt, stattzufinden. Indeß hat die Frau dennoch +nicht die gleichberechtigte Stellung, wie sie die Frau heute bei _uns_ +einnimmt, sondern wird mehr als Eigenthum des Mannes, als etwas zum +übrigen Vermögen Gehörendes betrachtet. + +In der Heirath _nach uraltem Brauche_, =Suadj el Djidi= oder +Gaislein-Heirath, so genannt, weil das Schlachten eines jungen Zickleins +die eheliche Verbindung besiegelt, verpflichtet sich der Gatte, dem +Vater seiner Zukünftigen 60 Metkal zu zahlen. Hat er das Geld nicht +disponibel, so zählt er auf seine Freunde, und am Schlachttage verfehlen +diese auch nicht, sich einzustellen und Jeder legt dem Freier ein +kleines Geschenk zu Füßen. Im Fall der Freier gar keinen Wohnsitz hat, +beeilen sie sich, Steine herbeizubringen; ein Haus, wir würden sagen ein +Stall, wächst schnell aus der Erde, schlanke Aloë-Stämme giebt es genug +als Gebälk und die großen und langen Rindenstücke der Korkeiche bedecken +die Wohnung. Wenn aber die zur Ehe Verlangte von den Angehörigen dem +Freier aus irgend einem Grunde verweigert wird[9], dann müssen sie, +falls der Liebende auf seinem Heirathsprojecte besteht, wohl aufpassen, +daß sie ihm keine Gelegenheit geben, sich der Wohnung der Geliebten zu +nähern. Thut und kann er das, gelingt es ihm, unvermerkt auf der +Schwelle seiner Ersehnten ein Gaislein zu opfern, dann ist sie ohne +Widerruf mit ihm verlobt und ihre Anverwandten würden sich der +Mißbilligung, ja der Feindschaft Aller aussetzen, wollten sie jetzt noch +der Heirath hemmend in den Weg treten. + +In einigen Triben ist es Sitte, daß die sich Vermählende vor der +Hochzeit von ihren Verwandten auf einem Maulthiere durch das Dorf oder +durch den Duar (Zeltdorf) geführt wird. Ueberall ertönt das gellende +Geschrei und Gejauchze der Frauen, die jungen Leute lassen fleißig das +Pulver sprechen. Vor jedem Hause, vor jedem Zelte, vor welchem sie +vorbei kommt, beeilt man sich, eine kleine Gabe herauszutragen: hier +sind in einem Strohteller große Bohnen, dort wird Gerste, hier werden +trockene Feigen, dort Rosinen präsentirt. Die junge Dame nimmt von allen +Sachen eine Hand voll, küßt sie und wirft dann das Ergriffene auf den +Teller zurück. Aber hinterher schreitet irgend eine ihrer älteren +Verwandten, die nun Alles in einen großen Sack einheimst: zur Aussteuer +für die Neuvermählten. + +Sobald man sich der Wohnung oder dem Zelte des Gatten nähert, wird die +Braut von anderen Frauen umringt, sie geben ihr einen Topf mit flüssiger +Butter, in die sie die Hände tauchen muß als Zeichen des steten +Ueberflusses im Haushalte, und sodann ein Ei, welches sie zwischen den +Ohren des Maulthieres zerschlagen muß, um dadurch böse Zaubereien +unschädlich zu machen. An der Schwelle der Wohnung präsentirt man der +Frau einen Trunk Buttermilch und sie selbst ergreift eine Hand voll Korn +und Salz um dasselbe ebenfalls als Zeichen des Reichthums und Segens +rechts und links auszustreuen. + +Jetzt ergreift der Mann Besitz von seiner Braut und zum Zeichen schießt +er in unmittelbarer Nähe vor ihren Füßen eine Flinte ab, er ergreift das +junge Mädchen und zieht sie ins Innere der Wohnung, während die +Verwandten sich zur allgemeinen Belustigung zurückziehen. Ein zweiter +Schuß im Innern der Behausung ertönt, Zeichen, daß die Heirath vollzogen +ist; die junge Frau erscheint bald darauf an der Hand ihres Gatten, Tanz +und Schmausereien, woran das junge Paar Theil nimmt, beschließen die +Festlichkeit. + +Die Frau ist, wie gesagt, ein Besitz, wie jedes andere Eigenthum des +Mannes, wenigstens bei gewissen Stämmen des Atlas. Stirbt ihr Mann, so +wird der männliche Anverwandte, der der Wittwe zuerst seinen Haïk +(großes wollenes Umschlagtuch)[10] überwirft, ihr rechtmäßiger Gemahl. +Zugleich ist er aber auch verpflichtet, für die etwaigen Kinder zu +sorgen und deren Vermögen zu verwalten. + +Scheidungen finden bei den Berbern statt, aber nie auf so leichte und +grundlose Weise, wie bei den Arabern oder sonstigen Mohammedanern, wie +denn überhaupt alle Berber, mögen sie nun unter dem Namen Tuareg bei +Timbuktu wohnen oder als Kabylen im Djurdjura hausen, entschiedene +Feinde der Polygamie sind. Grund zur Scheidung ist Kinderlosigkeit +(Berber wie Araber halten Kinderlosigkeit immer für Sterilität der +Frauen); der Vater der zurückgeschickten Frau muß das Morgengeld wieder +herausgeben. Ebenso, falls die Frau Infirmitäten bei der Verheirathung +zeigte oder gar schon ihre Virginitas verloren hat, kann sie darauf +rechnen, auf der Stelle zurückgeschickt zu werden. + +Die Tochter ist manchmal dazu bestimmt, das Leben ihres Vaters oder +Bruders mittelst ihrer Sclaverei zu erkaufen, aber nie würde sie für +einen Oheim, Großvater, Vetter oder sonstigen noch entfernteren +Verwandten mit ihrer Person eintreten können; auch herrscht diese Sitte +nur bei einigen Berberstämmen. Jemand begeht z.B. einen Mord oder +Todtschlag in einer anderen Familie, hat aber nicht die Mittel, um die +Diya, d.h. das Blutgeld, bezahlen zu können; will er nun nicht selbst +das Leben opfern, so kann er dem anderen Stamme seine Tochter oder +Schwester als Sclavin überlassen. Diese verliert dadurch völlig die +Rechte einer Freien, wird ebenso angesehen, wie eine Chadem (schwarze +Sclavin) und ist nun vollkommen Eigenthum der anderen Familie geworden. +Aber oft genug kommt es vor, daß die Sclavin, wenn sie jung und hübsch +ist, das Herz eines Jünglings ihrer neuen Herrschaft erobert, ihn +heirathet, dadurch frei und dann zugleich das Freundschaftsband zwischen +zwei ehemals feindlichen Stämmen wird. + +Es kommt häufig vor, daß zwei Männer einen Tausch mit ihren Frauen auf +ganz friedliche Weise zu Wege bringen; derjenige, der das in Beider +Augen häßlichere und weniger werthvolle Weib besitzt, d.h. ein solches, +welches weniger jung und fett als das des Anderen ist, muß einiges Gold +darauf zahlen. Hat aber Jemand seine Tochter einem jungen Manne +versprochen und läßt sich nachher durch Habgier bewegen, sein Wort nicht +zu halten, so entsteht Krieg. Die ganze Familie, die ganze Tribe nimmt +sich sodann des Bräutigams an und sucht mit Gewalt dessen Ansprüche +geltend zu machen. Ehebruch und Verführungen sind äußerst selten, und +obschon in rohen Formen, halten die Berber große Stücke auf +Familienleben. Aus einer im October 1858 veröffentlichten Gesetzgebung +der Kabylen vom Orte Thaslent ersehen wir auch, daß es den Männern +besagter Ortschaft verboten war, mit den Frauen zu disputiren, einerlei, +ob die Frau angreifender Theil war oder nicht. Hatte indeß die Frau +erwiesenermaßen zuerst angefangen, so mußte ihr Mann Strafe zahlen, +sonst aber der, welcher mit ihr Streit gesucht hatte. Die größten und +heiligsten Pflichten glaubt aber der Berber für sein Gemeinwesen, für +seinen Stamm zu haben. Ist dem Araber zuerst die Religion die +Hauptsache, wie denn Mohammed überhaupt, gerade wie es in der römischen +Kirche gelehrt wird, die Nationalität auslöschen will, um an deren +Stelle einen Religionsstaat zu setzen, so hat der Berber, trotzdem auch +er den Islam angenommen hat, dies nie begreifen können. Wenn der Berber +sich auch vorzugsweise gern mit seinem Schwerte gegen die Christen +wendet, so ist's ihm im nächsten Augenblicke aber auch ganz gleich, +dasselbe gegen jedweden Mohammedaner zu ziehen, sobald sich dieser gegen +ihn oder gar gegen seinen Stamm vergangen hat. Der Araber führt auch +Krieg gegen Mohammedaner; die wüthendsten Kämpfe sind ja zwischen +Stämmen arabischen Blutes oder zwischen Arabern und Türken gefochten +worden und entbrennen auch jetzt noch immer wieder. Aber heuchlerischer +Weise gestehen sie das nicht zu, sie behaupten nur gegen die Ungläubigen +zu kämpfen, und die Araber Algeriens z.B., die einst fortwährend mit +ihrer türkisch-mohammedanischen Regierung in Fehde lagen und die so +erbittert gegenseitig auf einander waren, daß sie nicht wußten, auf +welch grausamste Weise sie einander tödten sollten--diese selben Araber +haben jetzt ganz und gar ihre grausame türkische Herrschaft vergessen. +Hört man sie sprechen, so waren die Türken die mildesten, gerechtesten, +gottesfürchtigsten Herrscher, sie waren ja vor allen Dingen "Gläubige", +die Franzosen aber sind Ungläubige, mögen sie noch so gut regieren, sie +bleiben aus religiösem Hasse immer für die Araber die "christlichen +Hunde". Fragt man einen Araber: würdest du gegen die "Gläubigen" +kämpfen? so wird er sicher antworten: "Beim Haupte Mohammeds, Gott hat +es verboten, Gottes Name sei gelobt." + +Der Berber kennt von solchen Heucheleien nichts, und durch manche Stämme +bin ich gekommen, die so wenig auf ihren Islam geben, daß man von ihnen +sagte, sie sind so räuberisch und diebisch, daß, wenn Mohammed in eigner +Person käme und habe ein anständiges Kleid an, sie (die Berber) nicht +anstehen würden, den Propheten auszuplündern. + +Wenn ich vorhin anführte, daß die Ehre der Familie und des eignen +Stammes den Berbern als das Höchste gilt, so ist dies so zu verstehen, +daß sie z.B. denjenigen ihrer Leute keineswegs für ehrlos halten, der +einen Fremden bestiehlt; aber ehrlos würde es sei, wollte Jemand einen +von einem anderen Stamme, der einmal Zutritt erhalten hat oder der gar +die Anaya[11] des Stammes besitzt, bestehlen oder gar ermorden. Daß aber +doch solche Fälle vorkommen, ersieht man daraus, daß die Berber hierüber +und hiergegen ihre eigenen (arabisch) geschriebenen Gesetze haben, die +nicht wie die meisten Gesetze der übrigen Mohammedaner auf den Koran +fußen, sondern aus uralten Ueberlieferungen bestehen und wohl erst im +Laufe der Jahrhunderte von der Tholba zu Papier gebracht wurden. Wie +stark ist z.B. der Gemeinsinn ausgeprägt, wenn es in einem alten +Kabylengesetze heißt: "Der, dem eine Kuh, ein Ochse oder ein Schaf +stirbt, hat das Recht, die Gemeinde zu zwingen, das Fleisch des Thieres +zu kaufen als eine Hülfeleistung.--So will es der Gebrauch." Dies Gesetz +ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Der Verlust des Viehes wird +dem Eigentümer dadurch einigermaßen versüßt, weil er das Fleisch doch +wenigstens verwerthen kann; der Gebrauch will, daß die Quantität, die +Jeder nehmen muß, vom Chef des Ortes bestimmt wird. Sodann ist aber +dieses Gesetz zugleich ein Schlag dem Koran ins Gesicht, denn Mohammed +sagt ausdrücklich, daß Fleisch von gestorbenen oder gefallenen Thieren +als unrein für jeden Mohammedaner "=harem=" d.h. verboten ist. Aber +was ist dem Berber der Koran, wenn es gilt: Einer für Alle, Alle für +Einen! + +Wie stark im Sinne der Gemeinde-Interessen ist nicht auch folgendes +Gesetz: "Der, welcher ein Haus, einen Obstgarten, ein Feld oder einen +Gemüsegarten an Individuen eines anderen Dorfes verkauft, muß davon +seine Brüder, Verwandte, Geschäftsfreunde und die Leute seines Dorfes +überhaupt benachrichtigen, und wenn diese den Kauf rückgängig machen und +sich den Käufer substituiren wollen, so haben sie demselben innerhalb +dreier Tage den Kaufschilling zurückzuerstatten[12]." Durch dieses +Gesetz konnte die Gemeinde verhüten, daß irgend ein ihr mißliebiges +fremdes Individuum bei ihr Zutritt bekam. Es ist wahr, die Gesetze +wechseln bei jeder Tribe, von Dorf zu Dorf, und es ist das ein sicheres +Zeichen, daß seit langer Zeit den Berbern die einheitliche Leitung +fehlt; aber im Ganzen beruhen sie doch auf denselben Grundsätzen. Es ist +eigenthümlich und auch das bekundet das hohe Alter solcher +Gesetzsammlungen, daß die Berber dafür den Ausdruck "=kanon=", ein +Wort, das offenbar griechischen Ursprungs ist, haben und welches, wie +General Daumas meint, eine christliche Reminiscenz in sich schließt. + +In der Gesetzsammlung der Ortschaften, Thaurirt und Amokrom, der großen +Kabylie, vom Herrn Aucapitaine herausgegeben, finden wir ebenfalls die +weltlichen und Gemeinde-Angelegenheiten den kirchlichen übergeordnet und +ausdrücklich hervorgehoben: "Wer sich ins Einvernehmen mit Schürfa, als +da sind vom Stamme der Uled-Ali, Icheliden oder anderen Marabutin setzt, +zahlt 50 Realen Strafe." Wenn man nun weiß, daß die Schürfa, d.h. die +Nachkommen Mohammeds, unter den Mohammedanern ohngefähr dieselbe Rolle +spielen, wie bei uns die Jesuiten, die sich für die besten Nachfolger +Jesu halten, so wird man nicht umhin können, den weisen Sinn und den +gesunden Verstand der Berber zu bewundern. + +Die von den Alten schon erwähnte Vorliebe der Berber für Schmucksachen +und schöne Kleidung[13] besteht auch heute noch. Der größte Ehrgeiz der +Berber besteht darin, in den Besitz eines Tuch-Burnus von schreiendsten +Farben zu kommen, hochroth und gelb sind als Farben besonders beliebt; +kann er es ermöglichen, einen solchen mit Goldstickerei zu kaufen, so +dünkt er sich ein König zu sein. Das Haar tragen die Berber heute nicht +mehr nach einer bestimmten Vorschrift, wie es ehedem vielleicht Sitte +gewesen ist, meist wird der Kopf sogar ganz kahl rasirt, aber alle +halten darauf, einen Zopf stehen zu lassen, meist vom Hinterhaupte +ausgehend. Das Haar der Berber ist durchweg schwarz; die einzelnen +blonden Individuen, die man vorzugsweise im Djurdjura-Gebirge in +Riffpartien und überhaupt längs des Mittelmeeres findet, sind allerdings +manchmal durch einzelne Familien hindurchgehend, aber doch nur +vereinzelt. Ob diese Blonden von gothischer Abkunft, ob sie vandalischen +Ursprungs sind, das wird schwerlich je festgestellt werden; es ist das +auch für das Berbervolk in seiner Gesammtheit höchst gleichgültig, da +der Berber im Ganzen schwarzhaarig ist. + +Es giebt wohl wenig Berberstämme, die nicht Ringe als Schmuck in +Gebrauch haben; hier sind es große Ohrringe, manchmal 2-3 Zoll groß und +aus Silber bestehend, dort kleinere; hier haben ganze Stämme die +Gewohnheit, Oberarm-Ringe zu tragen aus Serpentinstein[14] oder Metall, +dort werden die verschiedenen Finger mit Ringen überladen. Und fast +scheint es, als ob die Männer bei den Berbern der eitlere Theil wären. +Allerdings tragen die Frauen die üblichen Fußringe, manchmal werden +mehrere über einen Knöchel gezwängt; allerdings haben sie ihre Agraffen, +Fingerringe und Haargeschmeide, aber schon das fast durchweg dunkle +Costüm der Frauen aus dunkelblauem Kattun (was in der That bei den +meisten Berberfrauen üblich ist) zeigt, daß die Frauen weniger auf +hervortretende Toiletten geben. + +Was die Waffen der Berber anbetrifft, so sind Bogen und Pfeile längst +durch Schießwaffen verdrängt, nur einige Stämme im großen Atlas, sowie +die Tuareg machen Gebrauch von der Lanze. Alle Berber haben kurze breite +Dolche, viele tragen sie befestigt am Arme, so die Tuareg und die Berber +südlich vom Atlas, andere haben sie im Leibgürtel stecken oder an einer +Schnur hängen. Ihr Schwert ist südlich vom Atlas mehr von gerader Form, +nördlich vom Gebirge ist es das schwach gekrümmte marokkanische; die +Schußwaffen bestehen aus Lunten- und Steinschloßflinten. + +Weil der Islam, der wie andere monotheistische Religionen leicht zu +einer unumschränkten Priesterherrschaft führt, bei den Berbern nicht den +Eingang gefunden hat, wie bei den Arabern, so haben jene sich einen weit +größeren Grad von Freiheit und Freiheitsliebe bewahrt, und weil sie mehr +Sinn für Freiheit haben, deshalb sind sie, man kann es wohl behaupten, +besser als die Araber. Die geknechteten Menschen, einerlei, ob sie von +einer fremden Gewalt oder von einer fremden Nation bedrückt oder von +einer einheimischen, z.B. ihrer eignen Regierung oder ihrer +Geistlichkeit, als Sclaven gebraucht werden, haben sich stets als die +schlechtesten und sittlich am niedrigsten stehenden erwiesen. Deshalb +sind die Araber so heruntergekommen, weil sie alle ihre Tholba für +unfehlbar hielten und Alles glaubten, was im Koran stand. Deshalb stehen +die Griechen auf so niedriger Stufe geistiger Entwicklung, weil sie von +den Türken als Sclaven behandelt wurden; deshalb sind Franzosen, Spanier +und andere romanische Völker weit in sittlicher Beziehung hinter den +freidenkenden protestantischen Germanen zurück. Wir sehen also deutlich, +daß ein Volk, je mehr es auf seine Religionsübungen verwendet, sittlich +um so mehr verkommen ist; denn ohne ungerecht zu sein, können wir sagen, +daß durchschnittlich mehr Sittlichkeit und mehr Bildung in den +protestantischen Ländern herrscht. Die statistischen Zahlen nennen den +Unterschied Derer, die lesen und schreiben können, und geben Aufschluß +darüber, wo größere Achtung vor dem Gesetz und dem öffentlichen +Eigenthum besteht und weniger Verbrechen begangen werden, ob in den +protestantischen, ob in den katholischen Ländern. Aber Niemand wird wohl +behaupten, die Protestanten seien religiöser (freilich sagen unsere +Religionslehrer, die wahre Religion sei nicht bei den Katholiken) als +die Katholiken. Im Gegentheil; die Katholiken gehen fleißiger zur +Kirche, ihr Glaube ist viel inniger und fester, ihre frommen Stiftungen +zahlreicher, ihr ganzes kirchliches Leben ausgedehnter. Aber was ihnen +fehlt, ist die Freiheit des Denkens und die Schulbildung, welche, um den +Menschen sittlich zu machen, nothwendig ist. Ganz ebenso ist es mit den +Mohammedanern; gewöhnt, nur das zu glauben, was ihnen ihr "_Buch_" sagt, +weil dabei eine gewisse Classe von Menschen am besten wegkommt, haben +sie sich zu Sclaven dieses "Buches" und dieser Classe von Menschen +gemacht. Sie haben längst aufgehört, darüber nachzudenken, oder haben +sich eigentlich nie zu dem Gedanken emporschwingen können, ihr "Buch" +einer Kritik zu unterwerfen--der blinde Glaube hat sie dahin gebracht, +wohin sie gekommen sind, und andere Völker, die im blinden Glauben dahin +leben, werden ihnen folgen. + +Der Berber ist davor bewahrt worden: ohne gerade Kritik an den Islam zu +legen, ist er indifferent geblieben. Ohne Contact mit anderen Völkern +hat er allerdings in Bildung und Gesittung keinen höheren Standpunkt +eingenommen, aber er ist frei geblieben und, wie gesagt, die Freiheit +hat ihn geadelt. + +Offenbar würde der Berber deshalb auch eine Zukunft haben, käme er mit +gesitteten Nationen in Berührung, die frei in Beziehung auf Religion +denken. Die Franzosen constatiren mit Genugthuung, daß mit den Berbern +Algeriens leichter umzugehen sei, daß sie sich eher der Civilisation +geneigt zeigen, als die Araber. General Faidherbe, einer der besten +Kenner der Völker Nordafrika's hat dies wiederholt ausgesprochen. + +Was die jetzige Lebensweise der Berber anbetrifft, so ist, wie schon +erwähnt, ein Theil in festen Ortschaften, ein Theil in Zelten wohnhaft, +aber mit Ausnahme der Tuareg treiben sie alle Ackerbau. Auch die in +Zelten auf den Abhängen des großen Atlas lebenden Berber haben ihre +Aecker. Ebenso treiben alle Berber Viehzucht, vorzugsweise die +Zeltbewohner. Auf dem Tell, d.h. dem fruchtreichen Erdboden, halten sie +Rinder-, Schaf- und Ziegenheerden; in der Sahara legen sie sich auf +Kamelzucht. Eigen ist allen die Vorliebe für das Pferd. Mit Recht wird +das Berberpferd ebenso hoch geschätzt, wie das arabische. + +Die Nahrung der Berber ist einfach und fast nur vegetabilisch. Der +höchste Genuß ist ihnen eine Schüssel Kuskussu, eine Mehlspeise, die aus +Gerste oder Weizen bereitet wird und die auch von den Tuareg als das +=Non plus ultra= aller Gerichte geschätzt wird. Eigentliches Brod +in unserem Sinne ist den Berbern nicht bekannt, wohl aber machen sie +Mehlfladen auf einer Stein- oder Eisenplatte. Oder auch Mehl wird +geknetet, mit Speck und Datteln durchsetzt und auf heißem Sande gar +gebacken. Bei allen Berbern werden nur zwei Hauptmahlzeiten, die Morgens +und Abends stattfinden, genossen; letztere ist die reichlichere. Man ißt +allgemein mit der Hand und aus _einer_ Schüssel, die Frauen und Kinder +getrennt von den erwachsenen Männern; für Suppen und flüssige Speisen +hat man hölzerne Löffel. Wenn aber z.B. fünf oder sieben Personen aus +einer Schüssel Suppe essen, so hat man in der Regel nicht mehr als +zwei, höchstens drei Löffel, welche im Kreise herumgehen. Natürlich +wird, da den Berbern alle Möbel, wie Stühle, Bänke und Tische, abgeben, +auf der Erde hockend gesessen, die Schüssel selbst, am Boden stehend, +bleibt in der Mitte. Wird ein Getränk, sei es nun saure Milch oder +Wasser, herumgereicht, so kreist die Schüssel ebenfalls, und wie bei +Arabern, ist es vergönnt, _stehend_ zu essen oder zu trinken. + +Was die geistigen Fähigkeiten der Berber betrifft, so stehen sie +mindestens aus derselben Stufe, wie die Araber, wenn nicht _jetzt_ +höher. Daß sie bedeutend empfänglicher für Civilisation sind, als die +Araber Nordafrika's, habe ich schon hervorgehoben; der freiwillige +Besuch, den Tuareg-Häuptlinge vor einigen Jahren in Paris machten, ist +ein glänzendes Zeugniß davon. In Algerien arbeiten Berber des +Djurdjura-Gebirges oder aus dem marokkanischen großen Atlas gern bei +Christen; der durch die Religion fanatistrte Araber faullenzt und +hungert lieber, als daß er sich herabließe, bei den Christen zu +arbeiten. Aber zu einer guten Entwicklung des Berbervolkes wäre +allerdings der Contact mit religiös vorurtheilsfreien Nationen, +namentlich protestantischen, nothwendig. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 8: Plinius, Naturgeschichte Bd. 5.] + +[Footnote 9: =v. Feraud, reveue africaine 1862=.] + +[Footnote 10: =v. Feraud, revue africaine 1862=.] + +[Footnote 11: Anaya ist das, was die Araber Aman, d.h. Sicherheitsbrief, +=sauf conduit= nennen.] + +[Footnote 12: =Journal Akhbar, Algèr 1858=.] + +[Footnote 13: _Strabo_ im XVII. Buche, übersetzt v. _Venzel_: "Sie +träufeln sich sorgfältig ihr Haupthaar und ihren Bart, tragen zur Zierde +Gold auf den Kleidern, reinigen sich die Zähne, beschneiden die Nägel +und selten wird man, wenn sie miteinander spazieren gehen, sehen, dass +Einer dem anderen gar zu nahe kommt, aus Furcht die Frisur desselben zu +verderben."] + +[Footnote 14: Werden in Europa zu diesem Gebrauche verfertigt und von +Mogador und anderen Hafenstädten aus importiert.] + + + + +7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker. + + +1. _Goro- oder Kola-Nuß_. + +Die Goro- oder Kola-Nuß, =cola acuminata R. Br.= oder =sterculia +acuminata Pal.=, ist eines der verbreitetsten Reizmittel bei den +centralafrikanischen Völkern. Diese Nuß, von der Größe einer dicken +Kastanie, wächst auf einem staudenartigen Baume, welcher ähnlich dem +Kaffeebaume ist. Die Blätter desselben sind gummibaumartig. Man findet +diesen Baum oder diese Staude an der ganzen Westküste von Afrika, +hauptsächlich auf dem sogenannten Kong-Gebirge, aber nach dem Innern zu +scheint dieselbe nicht weit vorgedrungen zu sein; auf dem Gora-Gebirge +z.B., einem Gebirgsstock, zwischen Tschad-See, Bénue und Niger gelegen, +fehlt die Goro-Staude. Wild wächst sie in einer Oertlichkeit, Namens +Gondja. Oestlich von Sierra Leone scheint aber die Goro-Staude auch +durch die Neger angebaut zu werden. + +Heinrich Barth sagt, daß die in Timbuktu vorkommende Goro- oder, wie er +schreibt, Guro-Nuß aus den Provinzen von Tamgrera, von Tente und Koni +komme, daß die auf dem Markte von Kano vorkommende hingegen aus der +nördlichen Provinz Assanti's komme, von einer Stadt, Namens Sselga. + +Man unterscheidet die echte Goro-Nuß, deren Inneres dunkelrosenfarbig, +von angenehmem bitteren Geschmacke und nicht schleimartig ist, mit einer +Abart derselben, ebenfalls inwendig roth, aber weniger bitter und einen +gummiartigen Schleim beim Zerkauen abgebend. Diese beiden sind bekannt +unter dem Namen =sterculia acuminata=. Sodann die weiße oder +unechte Goro-Nuß, die nur an der Küste vorkommt und am wenigsten bitter +ist. Es ist dies die =sterculia macrocarpa=. + +Nach Barth unterscheidet man sodann in Kano je nach der Größe der Frucht +vier besondere Arten: =guria=, die größte, oft 1-1/2 bis zwei Zoll +im Durchmesser haltend, die =marssakatu=, die =soara-n-naga= +und die =mena=. Nach ihm (Band V. S. 28) unterscheidet man in Kano +dann die je nach der Jahreszeit geernteten: die =dja-n-karagu=, die +erste, welche Ende Februar, die =gummaguri=, die später und die +=nata=, welche zuletzt gesammelt wird und die sich am längsten +halten soll. In Timbuktu fand Barth drei verschiedene Arten. Aber alle +diese Unterschiede sind nicht durch wesentliche Verschiedenheiten der +Nuß selbst bedingt, sondern bestehen nur in willkürlich oder durch +Gewohnheit angenommenen Merkmalen der Neger. + +Wird die Goro-Nuß alt und trocken, so wird die Oberfläche mehr runzlig +und das Fleisch erhärtet fast wie Holz und nimmt eine braunrothe Färbung +an. In diesem Zustande wird sie Kola-Nuß genannt, denn nur frische Nüsse +heißen Goro. Der Geschmack der Nuß ist aromatisch bitter, etwas +adstringirend und zerkaut färbt sie den Speichel gelb-röthlich. Sie +hinterläßt einen süßlichen, süßholzartigen Nachgeschmack. Es unterliegt +keinem Zweifel, daß die Goro-Nuß auch tonisch wirkt. Dieser angenehme, +bitter-süße Geschmack ist aber nur bei frischen Nüssen zu bemerken, +getrocknet verlieren die Kola-Nüsse fast jeden Geschmack, es ist dann +fast, kaut man sie, als ob man ungebrannte Kaffeebohnen kaute. Aber auch +in diesem Zustande müssen sie noch wirksame Bestandtheile besitzen, denn +nur so kann man es sich erklären, daß die Kola-Nüsse noch eine so große +Verbreitung und Anwendung haben. + +Die Araber, welche mit den Sudanländern Verbindung haben, schreiben der +Goro-Nuß aber auch eine starke erotische Kraft zu und gerade dieser +Eigenschaften wegen kauen sie dieselbe; außerdem behaupten sie, und dies +gewiß mit Recht, daß die Nuß Appetit erregend sei und namentlich der +Tabak besonders gut darauf schmecke. + +Natürlich kann sich, was räumliche Verbreitung anbetrifft, die Goro-Nuß +keineswegs mit Thee, Kaffee, Tabak, Opium oder gar alkoholartigen +Getränken messen; wenn wir aber bedenken, daß mehr oder weniger alle +Bewohner des nördlichen und nordcentralafrikanischen Continents von +diesem Stimulans Gebrauch machen, so liegt doch wohl die Frage nahe, +_weshalb_ ist die Goro-Nuß so allgemein in Aufnahme gekommen, _warum_ +ist dieselbe heute gewissen Stämmen centralafrikanischer Völker ebenso +unentbehrlich geworden, wie den meisten civilisirten Völkern der Thee +oder Kaffee? + +Die meisten Individuen, die Gebrauch von Thee oder Kaffee machen, +wissen nichts von den eigentlichen chemischen Eigenschaften dieser +Vegetabilien. Sie haben wohl nie von Koffein gehört; sie würden gar +nicht verstehen, wollte man ihnen sagen, daß unsere Physiologen und +Chemiker dem Thee und Kaffee directe Wirkungen auf das Gehirn +zuschreiben, und dennoch genießen sie unablässig entweder das eine oder +das andere Getränk oder auch beide; sie würden sich vollkommen +unglücklich fühlen, wollte man sie dieser Genüsse berauben. Die schon +mehr Verständigen versuchen wohl die Ausrede, der Kaffee wirke tonisch, +der Thee adstringirend, aber der große Haufe nimmt Kaffee und Thee zu +sich, weil beide Getränke ihm _unbewußt_ ein _undefinirbares_ Vergnügen +und Wohlbehagen verschaffen. + +Als ich von meiner Reise nach Centralafrika auf dem Rückwege Sierra +Leone berührte, fand ich in der Hauptstadt dieser Halbinsel, in +Freetown, auf dem dortigen Markte einen großen Vorrath Goro-Nüsse beider +Arten. Ganz auf dieselbe Art verpackt, wie die Neger sie von den +Küstenländern in das Innere von Afrika forttransportiren, d.h. zwischen +feuchtem Moose gelagert und das Ganze in einem Bastkorbe verpackt, nahm +ich einen solchen Korb voll mit nach Europa; die Nüsse hielten sich +vortrefflich frisch. In Deutschland angekommen, schickte ich denn auch +sogleich an meinen Gönner und Freund, unseren berühmten Chemiker, Baron +Liebig, eine Partie Nüsse. Eine davon, welche gepflanzt wurde (im +botanischen Garten der Universität), gedieh bis zum Jahre 1869 zu einer +kräftigen Staude mit prächtigen, saftgrünen Blättern. Aber am +interessantesten war für mich, daß v. Liebig mir mittheilte, daß er in +den Goro-Nüssen mehr Koffeïn gefunden habe, als verhältnismäßig in den +Kaffeebohnen selbst vorkomme. Man kann also dreist sagen, daß auch bei +der Goro-Nuß, wie beim Kaffee oder Thee, das unbewußt Anziehende der +Koffeïnstoff ist. + +Der Preis der Goro-Nuß ist sehr verschieden, je nach der Oertlichkeit +und je nach der Größe und Art der Frucht. Weiße Nüsse gelten an der +Küste Westafrika's 3000 Stück einen M.-Th.-Thaler, also das Stück eine +Muschel. Rothe, namentlich wenn sie groß sind, gelten aber auch hier +oder in der eigentlichen Heimath das Stück fünf Muscheln. Nach Barth +schwankt je nach der Jahreszeit, nach ihrer Größe und Güte der Preis +einer Nuß in Timbuktu zwischen 10 und 1000 Muscheln. In Kuka steigt der +Preis bei schlechten Ernten, bei mangelhaftem Transport (ein Esel kann +circa 6000 Nüsse transportiren), oder bei gehemmtem Karawanenverkehr, +manchmal auf 500, ja auf 1000 Muscheln für eine einzelne Nuß. Aber so +groß ist die Begierde der Neger nach diesem Artikel, daß auch dann sich +noch Käufer finden. Unter solchen Umständen theilt man sich gegenseitig +die kleinsten Stücke mit, ja unter den gewöhnlichen Leuten ist so wenig +Ekel, daß sie keineswegs Anstoß daran nehmen, von einem besser Situirten +ein schon halb ausgesogenes und abgekautes Stückchen Nuß zu empfangen, +es in den Mund zu nehmen, um es vollends seiner bittern und aromatischen +Substanz zu berauben. + +In allen Ländern Bornu's, Socoto's, Gando's, Yoruba's &c. ist die +Uebersendung eines mit Goro-Nüssen gefüllten Korbes Seitens des Sultans +oder Fürsten an den Fremden das Zeichen der Freundschaft und des +Willkommens. Je größer die Nüsse, je gefüllter der Korb ist, eines um +so besseren Empfanges kann man versichert sein. Und wie der Türke jeden +Besucher mit einer Pfeife und einer Tasse Kaffee ehrt, so gehört es mit +zum guten Ton in den civilisirten Negerländern, dem Fremden mit einer +Goro-Nuß aufzuwarten. Sind die Nüsse selten oder wegen der Jahreszeit +oder des Transportes theuer, so theilt man sie mit seinem Gefährten. + + +2. _Tabak_. + +Von allen betäubenden Mitteln, die zugleich aufregend wirken, ist wohl +keines verbreiteter als Tabak, und wenn man zu der Annahme berechtigt +ist, daß die Tabakpflanze sich _nur_ von Amerika aus verbreitet hat, +Amerika aber erst seit einigen Jahrhunderten für die übrige Welt +erschlossen wurde, so muß man noch mehr staunen. Afrika, dieser compacte +Erdtheil, der sich allen Culturbestrebungen bis jetzt verschlossen +gezeigt hat, hat die Tabakspflanze bis zu seinem innersten Centrum +dringen lassen. Nicht etwa, daß der Tabak, einmal eingeführt, sich +selbst den Weg gebahnt hätte, wie gewisse Culturpflanzen und auch +Unkraute es thun, indem sie mit unwiderstehlicher Macht _von selbst_ +vorwärts dringen, es sind die Menschen, die Eingeborenen dieses +Erdtheiles selbst die Träger und Verbreiter dieser Pflanze gewesen. Und +es giebt wohl keine Art und Weise, den Tabak zu nehmen, die nicht in +Afrika Anwendung fände; hier raucht man, dort wird geschnupft, hier kaut +man, dort wird Tabak als medizinisches Heilmittel gebraucht. Ja, +Duveyrier[15] behauptet sogar, "daß arabische Frauen, mit elf Jahren +verheirathet, Mütter mit zwölf Jahren, mit zwanzig Jahren schon +Greisinnen, den Tabak als ein Aphrodisiacum gebrauchen, indem sie sich +gewisse Körpertheile mit pulverisirtem Tabak bestreuen". + +Von verschiedenen Forschern ist die Frage ausgeworfen worden, ob bei der +in Afrika durchgängigen Verbreitung des Tabaks die Pflanze nicht dort, +wie in Amerika, _ureinheimisch_ gewesen sein könne. Ich wage hierüber +kaum eine Meinung, vielweniger noch eine Entscheidung abzugeben. Am +verbreitetsten in Afrika ist jedenfalls der Bauerntabak, =Nicotiana +rustica=; aber auch der virginische Tabak, =N. tabacum L.=, +findet sich in Afrika. Schweinfurth fand ihn bei den Monbuttos und im +Tell von Algerien wird er durchweg gebaut. Indeß ist es, meine ich, kaum +ein Grund, zu glauben, Nicotiana rustica dürfe darum ureinheimisch in +Afrika sein, weil einige Völker ein eignes Wort dafür in ihrer Sprache +besitzen und nicht eins, welches von "Tabak" abgeleitet sei oder damit +in Verbindung stehe; auch für andere Gegenstände, von denen wir bestimmt +wissen, daß sie ihnen von Außen zugebracht sind, haben sie oft genug das +Originalwort verworfen und dafür ein neues, von ihnen erfundenes oder +aus ihrer Sprache entlehntes an die Stelle gesetzt. Sodann kommt noch in +Betracht: kann die =Nicotiana rustica= auf anderem Boden und unter +anderen klimatischen Verhältnissen sich in tabacum veredeln oder ist +eine Rückbildung von einer zur anderen Seite unmöglich? Verschiedene +Tabakbauern haben mir gesagt, daß derartige Beobachtungen gemacht wären. + +Am allgemeinsten ist unter den verschiedenen Weisen den Tabak zu +nehmen, das Rauchen verbreitet, und wenn es auch Stämme und Völker +giebt, die blos schnupfen oder kauen, so giebt es andererseits auch +Völker in Afrika, bei denen Männer und Frauen, ohne Ausnahme, der +Gewohnheit des Rauchens huldigen. So z.B. die Kadje- und Bussa-Neger, +die Tuareg. "=Chez les Touareg=," sagt Henry Duoeyrier S. 184, +"=hommes et femmes fument et quoique la fumée du tabac rustique soit +très acre, hommes et femmes la rendent par le nez=." + +Unsere Damen in Europa könnten also an den afrikanischen in dieser +Beziehung lernen, denn mit Ausnahme der polnischen Aristokratie rauchen +bei den _übrigen_ europäischen Völkern nur die Damen des =demi +monde=. + +Während aber wir Europäer zum größten Theile den Tabaksrauch nur in die +Mundhöhle einziehen, saugen die afrikanischen Völker den Rauch derart +ein, daß die _ganze Lunge_ davon erfüllt wird: der immer mehr oder +weniger mit Nicotin geschwängerte Tabak tritt also bei ihnen vermittelst +der Lungenbläschen und der Capillarblutgefäße direct ins Blut über. +Natürlich folgt daraus, daß bei diesen Leuten ein schneller Rausch +eintritt. Dieser Tabaksrausch scheint aber aller angenehmen +Eigenschaften zu entbehren, vielmehr nur in einer Art von +Bewußtlosigkeit zu bestehen. + +Für die allgemeine Verbreitung des Tabaks spricht auch noch der Umstand, +daß man in Afrika die einfachsten Gefäße, um den Tabak "rauchen" zu +machen, nebst dem raffinirtesten, der Narghile, im Gebrauch hat. Ed. +Mohr sagt aus, daß die Matchele-Neger einen Kegel aus Thonerde auf dem +Boden formen, oben eine topfartige Höhlung hineindrücken, diese mit +Kohlen etwas trocken brennen und siehe da, der Pfeifenkopf ist fertig. +Sie füllen Tabakblätter hinein, bohren seitwärts ein Rohr ein, und +nachdem nun das Kraut entzündet, kann das Rauchen beginnen. Weit +complicirter ist das von Fritsch u.A. beobachtete Rauchen aus +Antilopenhörnern, die schon eine rohe und primitive Narghile-Flaschen +andeuten. Ganz auf ähnliche Art rauchen Abessinier und Galastämme aus +Thonkrügen oder Flaschenkürbissen. Von den Monbutto sagt Dr. +Schweinfurth[16]: "Sie rauchen aus einer Pfeife primitivster, aber +durchaus praktischer Art, indem sie als Rohr die Mittelrippe eines +Bananenblattes verwenden. Die vornehmsten unter ihnen lassen sich indeß +von ihren Schmieden ein eisernes Rohr, gleichfalls von den Dimensionen +des aus Bananenlaub geschnittenen (etwa fünf Fuß lang), herstellen. Das +untere Ende dieses Rohrs ist geschlossen und statt dessen seitlich, kurz +vor dem Ende, ein Einschnitt gemacht, in welchen eine mit Tabak gefüllte +_Düte von Bananenlaub_ gesteckt wird, die als Pfeifenkopf dient." + +Aber wer wollte alle die Arten und Weisen aufzählen, auf welche +afrikanische Völker Tabak rauchen. Ich führe nur noch an, daß die an den +Ufern des Bénue lebenden Stämme den Tabak aus Thonköpfen rauchen, +ähnlich den unsern, und daran haben sie so lange Rohre, daß die Pfeife +im Stehen geraucht werden kann. Diese Stämme, namentlich die +Bassa-Neger, sind so verpicht auf's Rauchen, daß sie z.B., gehen sie zu +Boot, eigens im Schiffe ein Feuer unterhalten, um jederzeit ihre Pfeife +wieder anzünden zu können. Die in den Berberstaaten nomadisirenden oder +seßhaften Berber und Araber bedienen sich ohne Ausnahme eines +_Röhrenknochens_ vom Schafe oder von einer Ziege. In das eine Ende der +Knochenröhre wird der Tabak eingestopft und dann direct durchs andere +Ende der Dampf eingesogen. Die Städtebewohner Nordafrika's huldigen der +Narghile oder den Papiercigaretten. Die eigentliche Cigarre, also das +Tabakrauchen unmittelbar, hat bei den Eingeborenen Afrika's bis jetzt +wenig Anklang gefunden. + +Weniger gebräuchlich ist in Afrika die Sitte des Tabakkauens. Ich selbst +beobachtete das Tabakkauen nur bei Tebu und einigen Negerstämmen am +Tschad-See. Man nimmt dazu keinen besonders präparirten Tabak, sondern +dieselben Blätter, welche Andere auch geraucht haben würden. Aber +allgemein ist Brauch, den Saft des zerkauten Tabaks noch dadurch zu +verschärfen, daß man Trona (kohlensaures Natron), welches in vielen +Theilen Afrika's gefunden wird, hinzusetzt. Besondere Behälter, des +Beschreibens werth, um Tabak und Trona aufzubewahren, haben die +Eingeborenen nicht; irgend ein alter Lappen oder der Zipfel eines +Kleides dient dazu. + +Noch weniger gebräuchlich ist das Prisen, es ist gewissermaßen +Privilegium vornehmer Eingeborener. Der zu schnupfende Tabak wird +äußerst fein gestoßen und sodann mischen die meisten dazu noch ein +Achtel kohlensaures Natron. Reiche und angesehene Leute in Marokko +erlauben sich heute auch den Gebrauch einer europäischen +Schnupftabaks-Dose oder sie haben eine aus Ebenholz gefertigte große +Birne, welche den Schnupftabak birgt. Aber in letzterer ist immer nur +ein kleines Loch, verschlossen durch einen hölzernen Stöpsel. Und +hierbei bemerke ich, daß die frommen mohammedanischen Leute wie bei +uns[17] das Rauchen für sündhafter halten, als das Schnupfen. In Marokko +rauchen selten die Schriftgelehrten, aber alle schnupfen. Zum +Aufbewahren des Schnupftabaks haben die Völker von Mandara eine +ausgehöhlte Bohne, Schotensame eines Baumes. Diese Bohnen haben +anderthalb bis zwei Zoll Durchmesser, sind aber ganz glatt; durch eine +kleine Oeffnung bringt man den Tabak hinein und heraus. Eine sehr +beliebte Methode, den Schnupftabak aufzubewahren, ist, ihn in ein Stück +Zuckerrohr zu schütten, dessen eines Ende mit einem alten Lappen +verschlossen wird.--Afrika hat jedenfalls eine bedeutende Zukunft für +den Anbau des Tabaks. Die in Algerien gezogenen Tabakssorten sind +vortrefflich, aus Centralafrika von mir mitgebrachte Sorten (auf dem +Markte von Kuka gekauft) wurden in Bremen für ausgezeichnet erklärt. Und +der Tabak scheint in Afrika überall zu gedeihen, denn selbst in den +heißesten Oasen der Sahara findet man Tabaksfelder und jeder Neger zieht +in der Regel seinen Tabaksbedarf in seinem eigenen Garten. + + +3. _Kaffee und Thee, Lakbi, Tetsch und andere alcoholartige Getränke_. + +Man kann keineswegs behaupten, daß Kaffee irgendwo in Afrika ein so +nationales Getränk geworden ist, wie bei verschiedenen Völkern in +Europa. Und gerade da, wo er am billigsten für das Volk herzustellen +wäre, scheint er am wenigsten im Gebrauch zu sein, nämlich in den +südabessinischen Provinzen. Dort, wo die Staude oder der Kaffeebaum +überall wild wachsen und von wo sie erst im Anfange des 15. Jahrhunderts +nach Arabien importirt wurden, scheinen die umwohnenden Völker kaum die +Anwendung der Bohne zu kennen; die Abessinier aber trinken keinen +Kaffee, weil sie dadurch zu sündigen glauben, sie meinen nämlich, +Kaffeetrinken sei nur den Mohammedanern eigen. + +Der Kaffee wird in Afrika überall ohne Milch genommen, und die Art ihn +durchzuseihen, ihn zu filtriren oder blos durch einen Aufguß heißen +Wassers herzustellen, ist ungebräuchlich. "Kaffee machen" ist bei allen +afrikanischen Völkern nur eine "=decoctio="[18]. Und zwar wird nur +nach augenblicklichem Bedarfe Kaffee für eine Person, höchstens für drei +bis vier Personen, in kleinen Gefäßen gekocht. Der auf's Feinste zu Mehl +gestoßene Kaffee wird in ein kleines eisernes, mit kochend heißem Wasser +gefülltes Gefäß gethan, dann läßt man diese Mischung einige Male über +Kohlen aufkochen und das Getränk ist fertig. Diese Kochgefäße sind so +klein, daß wenn z.B. für eine Person Kaffee bereitet wird, dasselbe +auch kein größeres Quantum Wasser aufnehmen kann, als jene bekannten +sogenannten türkischen Tassen fassen. + +In ganz Afrika, von Aegypten bis Marokko, von Tripolis bis nach Kuka, +wird auf _diese_ Art der Kaffee bereitet. Aber wie Kaffee in allen +diesen Ländern nur als eine Leckerei betrachtet wird, so findet man +Kaffeehäuser nur in größeren Orten; bei nomadisirenden Stämmen erlaubt +sich höchstens noch der Schech oder Kaid einer Tribe den Luxus einer +täglichen Tasse Kaffee; überhaupt kann man sagen, ist Kaffeeverbreitung +nur nördlich vom Atlas. In den Oasen Tafilet, Draa und Tuat sind die +wenigen Kaffeehäuser zu zählen und die Besitzer müssen meistenteils noch +irgend einen anderen Erwerbszweig nebenbei betreiben, um leben zu +können. In Fesan besteht nur Ein Kaffeehaus in der Hauptstadt Mursuck, +und der Eigentümer ist ein nach diesem Orte verbannter Türke, sonst +würde vielleicht gar keins vorhanden sein. In Kuka, in Bautschi, in +Kano, in Timbuktu sind Kaffeehäuser unbekannt. Man kann also im +Allgemeinen sagen, südlich vom 30° nördlicher Breite hört in Afrika der +Gebrauch des Kaffee's auf; denn wenn auch behauptet wird[19]: "der Sohn +der Wüste trinkt seinen Kaffee ungemischt und den schwarzen, aber +wahrhaften Satz sammt dem Aufguß; zuweilen bringt er es auf 80 Schälchen +am Tage," so ist Ersteres richtig, alle Mohammedaner trinken den Kaffee +mit dem Satze; aber wo wäre der Beduine, und wäre er selbst Chef einer +Tribe, der die Mittel hätte, 80 Tassen Kaffee zu bezahlen? Kaffee ist +nur Luxusgetränk in ganz Afrika, d.h. in dem Sinne, als Kaffee im +Allgemeinen zu theuer ist, um als Volksnahrungs- oder Reizmittel gelten +zu können. Schon der erste Anlaß, wie der Kaffee unter den Arabern in +Yemen Aufnahme gefunden, spricht dafür, wenn auch das Ganze eine Fabel +ist, daß in demselben Etwas enthalten sein muß, was eine +unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Man erzählt nämlich, ein armer +Derwisch habe bemerkt, daß seine Schafe und Ziegen jedesmal nach dem +Abweiden einer gewissen Staude äußerst heiter und lustig gewesen seien, +und als er sodann selbst von dieser Staude Blätter genossen, habe er +dieselbe Wirkung verspürt. + +Die Sitte, Gischr, d.h. einen Absud von Kaffeehülsen zu trinken, wie Hr. +v. Maltzan dies in Südarabien beobachtete, kennt man in Afrika nicht. Es +hat dies übrigens gar nichts zu Verwunderndes. Denn nach Untersuchungen +von Stenhouse enthalten die Blätter des Kaffeebaumes mehr Koffein als +die Bohnen[20], also werden die Hülsen der Bohnen auch wohl das +belebende Princip enthalten. Ebenso fand ich nicht den Gebrauch des +Milchzugießens, den Maltzan auch an einigen Orten Südarabiens +beobachtete. Abeken auf seiner Reise nach Oberägypten und Nubien fand +dort Leute, die eine Abkochung aus rohen, ungebrannten Bohnen +bereiteten. Abeken fand diese Kaffeebereitung so angenehm und +schmackhaft, daß er in seinen letzten Lebensjahren immer nur eine +Decoction aus ungebrannten Bohnen trank. Mir ist dieser Gebrauch +nirgends vorgekommen. + +Noch weniger hat sich der Thee einbürgern können; aber während der +Kaffeegebrauch im Osten von Nordafrika vorwiegend ist--denn Aegypten +allein consumirt mehr Kaffee, als Tripolitanien, Tunesien, Algerien, +Marokko und die Sudanländer zusammen--ist hingegen der Verbrauch von +Thee im Westen von Nordafrika größer. Marokko bezieht mehr Thee als alle +übrigen Länder Nordafrikas zusammen. Während nach Marokko jährlich +wenigstens 5000 Kisten Thee importirt werden, bedarf Aegypten, welches +doch eine ungefähr gleiche Bevölkerung hat, so wenig, daß unter den +amtlich genannten Einfuhrartikeln vom Jahre 1868 Thee nicht genannt +wird. Bibra[21] in seinem unten citirten Werke hat also vollkommen +Recht, wenn er S. 66 sagt: "Von zweien solcher Aufgußgetränke mit allen +ihren physiologischen Wirkungen auf den Organismus ist eins aber sicher +überflüssig," und hier hat der Instinct der Menge entschieden. Beide +herrschen nirgends neben einander, sondern eines derselben wird stets +als Luxusgetränk consumirt und erscheint nur ausnahmsweise irgend einem +einzelnen Individuum angemessener, als das allgemein eingeführte. Im +Süden findet man auf allen großen Märkten, so in Kuka, wie in Kano, +Saria und Timbuktu, Thee zu kaufen. + +Thee wird in Afrika nie allein bereitet; der Eingeborene von Aegypten +schüttet ebenso gut wie der Tunesier und Marokkaner zu den Theeblättern +einige Münzblätter oder auch Absynth, Luisa und andere aromatische +Kräuter. Denn so wie man in Marokko den Thee braut, so wird er in ganz +Afrika bereitet. Marokko ist ja der Religionsstaat schlechtweg, und wie +alle mohammedanischen Afrikaner Malekiten sind wie die Maghrebiner, so +bekommen sie auch vorzugsweise von Marokko in allen Gebräuchen, +namentlich wenn diese irgendwie mit der Religion in Verbindung stehen, +ihre Parole. Thee ist aber ein religiöses Getränk. Es _giebt_ fromme +Schriftgelehrte, die Kaffee nicht trinken, weil Kaffee _gebrannt_ werden +muß, Mohammed aber an irgend einer Stelle im Koran sagt: "Alles, was +verbrannt ist, ist verboten." + +Die Afrikaner trinken nur grünen Thee, eine ziemlich geringe Sorte, der +ihnen fast ausschließlich von den Engländern zugeführt wird. Die +eigenthümliche Sitte, die Barth in Timbuktu beobachtete, daß man Thee +und Zucker zusammen verkauft, als ob beide Waaren unzertrennlich wären, +beobachtete ich auch an verschiedenen Orten. Denn wenn man in Afrika bei +den Meisten bemerkt, daß sie den Kaffee bitter trinken, pflegen sie den +Thee jedoch so stark zu süßen, daß an vielen Orten Thee ohne Zucker und +Zucker ohne Thee nicht gedacht oder verkauft werden kann. Man kennt +nirgends die Sitte, Thee und Milch zusammen zu mischen. In vielen +Städten Nordafrika's genießen statt des Thee's verschiedene Leute einen +Aufguß von Gewürzen. Ingwer, Nelken, Muscatblüthen werden mit heißem +Wasser übergossen und zu dieser Infusion etwas Zucker gesetzt. + +Bedeutend volkstümlicher ist Lakbi, ein aus dem Safte der Dattelpalme +gewonnenes Getränk. Man findet Lakbi in ganz Nordafrika im Gebrauch vom +c.25° ö.L.v.F. an, dann im Westen von Nun, im Draathal, in Tafilet und +Tuat wird nirgends Lakbi getrunken. Aber in Djerid, in den Oasen +südlich von Konstantine, in ganz Tripolitanien, einschließlich der +großen Oase Fesan bis nach Aegypten hin, findet man in allen Palmhainen +immer Bäume, die angezapft sind. Man zieht die männliche Palme zum +Anzapfen vor, einmal weil dieser Baum weniger Werth hat, dann auch, weil +der Saft der männlichen Palme kräftiger sein soll. Das Anzapfen wird +derart gemacht, daß oben der jüngste Sproß ausgehoben wird; dann wird +eine Rinne nach dem äußeren Umfange gearbeitet und darunter ein Krug +oder Topf befestigt. Im Frühjahr kann man in den ersten Tagen des +Anzapfens bis zu 5 Liter erhalten. Die anfangs etwas milchige, fast +widerlich süß schmeckende Flüssigkeit wird nach Verlauf von 24-36 +Stunden säuerlich, fängt an zu gähren und entwickelt nun Alcohol. In +diesem Zustande ist Lakbi berauschender als Bier, aber schon nach +abermals 24 Stunden bildet dies Spiritus haltende Getränk sich in Essig +um. Den von Rüppel erwähnten _Dattelwein_, "ein widerlich süßes Getränk, +aus halbgegohrenem Datteldecoct bereitet", habe ich nirgends +angetroffen. + +Bedeutend beschränkter ist Meth, Tetsch oder Honigwein. Man kann sagen, +daß dies Getränk eigentlich nur in Abessinien und den nächst +angrenzenden Ländern getrunken wird. Die Bereitung des Tetsch geschieht +in Abessinien ähnlich wie in England und bei uns, nur daß statt Hefen +und Hopfen eine andere bittere Pflanze, Amdat genannt, hinzu gethan +wird. Das Getränk wird in Abessinien gewöhnlich in großen Rindshörnern +aufbewahrt, auch die Becher zum Trinken bestehen aus Horn. Tetsch ist +sehr berauschend. Ausnahmsweise bereiten auch centralafrikanische Völker +Honigwein, aber meistens stellen diese ihr bei uns Europäern unter dem +Namen Busa oder auch Merissa bekanntes, berauschendes Getränk aus +Getreide her. Es gehört schon ein guter Magen und ein wenig wählerischer +Geschmack dazu, um das abscheuliche Getränk genießen zu können. Und da +Busa und Merissa wenig alkoholartig sind, so gehören schon ungeheure +Quantitäten dazu, wie sie eben nur ein Negermagen zu bergen vermag, um +nur einigermaßen Wirkung zu spüren. Dennoch haben verschiedene +Reisende[22] sich an dies schon äußerlich so widerlich +(chocoladenfarbig) aussehende Getränk gewöhnen können. Die Maba in Wadai +vertilgen ungeheure Quantitäten von Merissa, ebenso wird in Bagermi, in +Mandala stark Busa getrunken; in Bornu, namentlich in der Hauptstadt +Kuka, weniger. + +Von den Eingeborenen Afrika's wird Wein nur in Marokko und Tunis +bereitet. Die Weinrebe kommt allerdings wohl in Abessinien vor, aber nur +in einzelnen Stauden. Ebenso findet man in Unterägypten Weinreben, auch +im Norden von Tripolitanien, aber nur Europäer bereiten etwas Wein +davon. Es liegt das eben in den Verhältnissen Nordafrika's, das jetzt +ganz in den Händen der Mohammedaner sich befindet, denen Wein +bekanntlich verboten ist. Aber wie trefflich der Wein in Nordafrika +wird, sieht man aus den Sorten, die jetzt von Algerien aus auf den Markt +kommen; sie stehen an Güte den spanischen nicht nach. Im Weinlande +Marokko aber verlegen sich trotz des Verbotes ihres Propheten genug +Leute auf Weinbereitung und Weintrinken. Aber der Wein, den die +Marokkaner durch Kochen herstellen, ist, obwohl sehr stark von +Geschmack, herzlich schlecht und von Farbe ebenso abstoßend. Blume ist +gar nicht vorhanden. Der Gebrauch des Weines in Marokko ist mehr auf dem +Lande als in der Stadt zu Hause. Man nennt den Wein =Ssammed=, +=Hammed= oder =Schrab=. + +Die in Nordafrika seßhaften Juden bereiten auch Schnaps aus Feigen, +Rosinen und Datteln. Jeder Jude fast hat seinen eignen kleinen +Destillationsapparat im Hause und macht sich nach seinen Bedürfnissen +seinen Schnaps selbst. Der Schnaps der Juden ist gut, auch nicht zu +stark, besonders rein im Geschmack. Man würde Unrecht thun, wollte man +sagen, die einzelnen Juden seien Säufer; obschon sie alle Schnaps +trinken, sind sie im Ganzen sehr mäßig darin. Desto mehr haben sie von +der mohammedanischen Geistlichkeit zu leiden; oft dringt ein Thaleb oder +auch ein Scherif in ein jüdisches Haus, bemächtigt sich des ganzen +Schnapsvorrathes, um sich wie eine Bestie damit vollzusaufen; der arme +Jude kann in dem Falle noch froh sein, wenn er ohne Prügel dabei +wegkommt. + +Sonst ist beim eigentlichen Volke in Nordafrika das Schnapstrinken nicht +gebräuchlich, erst wenn man den Niger erreicht hat, in den +Yorubaländern, also der Küste zu, stößt man auf ganze Karawanen mit +Kisten, welche Schnapsflaschen enthalten. Hier an der ganzen Westküste +von Afrika huldigen die Schwarzen dem Gotte "Schnaps". Und welch' +entsetzliches Getränk, das vorzugsweise in Frankreich und Deutschland +fabricirt wird, wird ihnen zugeführt. Es unterliegt denn auch wohl +keinem Zweifel daß nicht Kriege, wohl aber dieses entsetzliche Gift jene +Völker in kürzester Zeit ausrotten und vertilgen werden. Denn diese +Völker trinken nicht, sondern saufen, wenn sie Schnaps besitzen, so +lange, bis sie wie todt auf dem Platze liegen bleiben. Und Schnaps +können sie ohne Mühe und ohne große Arbeit haben. Wenn auch der +Sclavenhandel früher die Mittel zum Schnaps für die Großen jener Länder +geben mußte, oder die Könige auch direct ihre Unterthanen gegen Fässer +Schnaps weggaben, so geht dies allerdings jetzt nicht mehr, denn an der +Westküste von Afrika ist dem Sclavenhandel wohl ein Ende gemacht. Aber +dafür tauscht sich gegen Palmöl, gegen Palmnüsse jetzt Jeder seinen +Schnapsbedarf ein und die Wälder sind ja vorläufig an Oelpalmen so +reich, daß an Mangel nicht zu denken ist. Während also früher nur die +Könige und Vornehmen der Schwarzen Schnaps trinken konnten, kann jetzt +Jeder diesen Artikel bekommen, der das Glück hat, den Europäern Nüsse +oder Oel zu bringen. Der Schnaps wird eher mit den Schwarzen fertig +werden, als es das Schwert oder die Flinte des Europäers vermöchte. + + +4. _Opium und Haschisch_. + +In Afrika hat Opium nur geringen Anhang gefunden und wahrscheinlich ist +dies Betäubungsmittel erst durch die Türken den Eingeborenen dieses +Continents mitgetheilt worden. Die Mohnpflanze, dieselbe, wie die bei +uns in Europa gezogene, entwickelt bei anderen klimatischen +Verhältnissen in Afrika und Asien jene Eigenschaften, gute und böse, die +in der Heilkunde so segensreich wirken, aber bei unnützem und +übermäßigem Gebrauche sich als eines der bewährtesten Mittel erweisen, +ganze Völker der Erde ohne Pulver und Blei von derselben verschwinden +zu machen. + +Um Opium zu erzielen, bauen die Eingeborenen Afrika's die Mohnpflanze +nur in Aegypten und zwar heute, nach Schweinfurth, _nur_ in Oberägypten. +Und dem Anbaue des Zuckerrohrs und der Baumwolle wird der Mohn in +Aegypten wohl bald ganz weichen müssen. Sodann wird aber auch in +Marokko, namentlich in der Oase Tuat dieses Landes, Mohn des Opiums +wegen angebaut, aber immer nur der Art, daß der Gewinn des Mohnsamens +behufs Oelbereitung die Hauptsache bleibt, indem die Köpfe nur +oberflächlich geritzt werden, damit der Samen seiner Hülsung unberaubt +zur Reife kommen kann. Man kann deshalb auch sagen, daß der Gebrauch des +Opiums sich nur auf die Städtebewohner beschränkt und zwar nur in +Nordafrika. + +Man raucht den Opium oder man nimmt das Extract in Form von kleinen +Stückchen oder Pillen. Aber nicht wie im Orient raucht man Opium allein, +indem man ein Stückchen in eine kleine Pfeife bringt, eine Flamme +darüber streichen läßt und den heißen Opiumrauch einathmet, sondern man +legt das Extract aus eine Narghile und so vermischt man Tabak-und +Opium-Narcose. In Aegypten, namentlich in Damiette, sah ich indeß auch +Opium allein und direct rauchen. + +Das in Marokko verbrauchte Opium darf in den großen Städten nur durch +von der Regierung bestellte Leute, die meistens auch den Tabakverkauf +haben, verkauft werden. Früher wurde nur ägyptisches Opium verkauft, +welches Pilger von ihrer Reise in kleinen, 2-3 Zoll großen Kuchen, die +einen Zoll dick waren, mitbrachten. Jetzt wird in Marokko meistens aus +Frankreich importirtes Opium, =opium crú=. d.h. wässeriges +Opiumextract, gebraucht, nur in einzelnen Gegenden stellt man selbst +Opium her. In Tuat, der großen südlich vom Atlas gelegenen Oase, fand +ich die meisten Opiumesser und zwar Leute, die es so weit gebracht +hatten, daß sie ohne Opium nicht mehr existiren konnten; in dieser Oase +waren auch alle anderen Berauschungsmittel unbekannt. Leider giebt es +aber auch in Afrika Europäer genug, die sich dem Opiumgenusse hingeben. +Einer der gelehrtesten Männer in Keilschriften war derart dem Opium +zugethan, daß er ohne dasselbe zu leben vollkommen unfähig war, er nahm +Opium in roher Form und rauchte Tabak, den er in Opiumtinctur gelegt und +macerirt hatte. Schon seit Jahren ist er dem Gifte erlegen. Ich selbst +hatte unter Opiumgenuß monatelang zu leiden. + +Erkrankt in Rhadames an einer blutigen Dyssenterie, hatte ich große +Gaben von Opium genommen und konnte ich mich des Gebrauchs nicht +entschlagen, da ein Aufhören im Opiumessen oder auch nur ein Vermindern +der Gaben gleich wieder heftige Diarrhöen zur Folge hatte, bis plötzlich +der Genuß frischer Datteln (die sonst in der Regel gegenteilig wirken) +Besserung erzielte. + +Keineswegs befand ich mich dabei in einem angenehmen Zustande; +allerdings ist das "Bessersein", das Befreitsein von einer lästigen +Krankheit schon Etwas, allerdings verspürt man eine Erleichterung, eine +Behendigkeit in allen Gliedern, aber angenehme Empfindungen, sensuelle +Erregungen traten nie bei mir ein. Es ist ja auch vollkommen constatirt, +daß beständiger Opiumgenuß erotisch dämpfend ist. Das Haschen, das +Jagen nach Opium hat wohl nur seinen Grund darin, daß es ein gewisses +Wohlbehagen, eine _körperliche_ und in Folge davon auch eine geistige +Gleichgültigkeit gegen Alles, was Einen umgiebt, mit sich im Gefolge +hat. + +Viel verbreiteter als Opium ist Haschisch in Afrika. Aber die Angabe v. +Bibra's, daß es 300 Millionen Haschischesser auf der Erde überhaupt +gebe, möchte ich doch nicht unterschreiben. In Afrika z.B., wo von +Marokko jedenfalls das größte Contingent gestellt wird, würde man +höchstens sagen können, daß von der ungefähren Bevölkerung dieses +Landes, die man auf circa 6,500,000 Seelen rechnen kann, höchstens die +Hälfte Haschisch nimmt. Von Westen nach dem Osten nimmt in Afrika der +Hanfgenuß ab, ebenso von Norden nach Süden. In Tunis, in Algerien giebt +es noch viele Haschischkneipen, weniger schon in Tripolitanien und +Aegypten. Schweinfurth fand Hanfesser nur im Delta, doch kommen sie +sporadisch auch wohl noch weiter nach dem Süden zu vor. In Fesan baut +man Hanf nur an einzelnen Orten, nach Duveyrier besonders in Tragen. +Frauen huldigen sehr selten in Afrika dem Hanfe. Im Süden wird nur +vereinzelt =cannabis indica= genommen und ist dort wohl von den +Arabern importirt worden, entgegengesetzt der Ansicht von Escayrac de +Lauture, der die cannabis indica aus dem Süden stammen lassen will. +Hervorgerufen war wohl diese Ansicht dadurch, daß man früher glaubte, +die cannabis indica sei unterschieden von der =cannabis sativa=. +Das ist nicht der Fall. Auch hier bringen die topographischen und +klimatischen Einflüsse bei _derselben_ Pflanze nur andere und zwar im +Süden kräftigere Eigenschaften hervor. + +Aber wie die Eigenschaften des Hanfes je mehr und mehr nach Norden an +Wirksamkeit zu verlieren scheinen, so scheint auch die Empfänglichkeit +für dies Narcoticum im Norden schwieriger vor sich zu gehen, als in +einem südlichen Klima[23]. Professor Preyer in Jena konnte mit guten +Haschischblättern, die ich frisch und direct von Tripolis hatte kommen +lassen, keine besonderen Rauschresultate erzielen; v. Liebig fand in +Blättern derselben Sendung keine anderen wirksamen Bestandtheile, als in +der =cannabis sativa=. + +Man könnte also fast sagen, um eines vollkommenen Rausches theilhaftig +zu werden, muß man in südlichen Ländern gezogenen Hanf in südlichen +Ländern nehmen. + +Ich habe an anderen Orten meine an mir selbst angestellten Beobachtungen +niedergelegt. Und wenn ich diesen im Jahre 1866 angestellten Versuch mit +denen vergleiche, die Dr. Lay, Dr. Moreau, v. Bibra, Dr. Baierlacher u. +A. vorgenommen, so kann ich nur bestätigen, daß in der Hauptsache meine +Empfindungen mit denen der genannten Beobachter übereinstimmen. + +Der wirksame Stoff in der cannabis indica ist ein von Gastinel +hergestelltes und von ihm Haschischin genanntes Alcaloid von schöner +grüner, jedoch nicht von Chlorophyll herrührender Farbe. Genommen wird +Hanf in Theeform oder man pulverisirt die getrockneten Blätter und +schluckt sie mit Wasser hinab, oder man raucht dieselben, oder sie +werden zu einer mit Zucker und Gewürzen verarbeiteten Pastete, "Madjun" +genannt, gegessen[24]. Letztere Form findet man nur in den Städten. + +Fast in ganz Afrika wird vorzugsweise Hanf _geraucht_, wenigstens fängt +man hiermit an; erst im zweiten Stadium wird Haschisch gegessen. Das +Rauchen hat einfach deshalb nicht so großen Erfolg, weil selbst geübte +Veteranen im Narghilerauchen es schwer vertragen, den beißenden und +ätzenden Dampf durch die Lunge direct mit dem Blute in Berührung zu +bringen. Es ist deshalb auch übertrieben, wenn einzelne Reisende +berichten, es gebe Hanfraucher, die es bis auf 30 Pfeifen und mehr +täglich bringen könnten. Abgesehen davon, daß die Haschischpfeifenköpfe +nicht größer sind, als das Viertel eines Fingerhutes einer Dame, so +ziehen die auf Hanf erpichtesten Raucher selten mehr als zwei bis drei +Züge aus dem Pfeifchen, pausiren sodann lange Zeit oder lassen die +Pfeife ausgehen, oder aber, wenn sie reich und großmüthig sind, reichen +sie die Pfeife zum Mitrauchen einem Nebensitzenden. + +Das wirksame Princip des Hanfes sitzt besonders in den Blättern und den +feinsten Stengeln und zwar zu der Zeit, wenn der Same eben reif geworden +ist. Im Samen selbst, der stark ölartig ist, scheint Haschischin wenig +oder gar nicht enthalten zu sein; die Haschischesser werfen denn auch +den Samen fort, wenn sie die Blätter bereiten. In den Ländern Afrika's, +die ich durchreist habe, habe ich nie von einem Harz, "Churrus" +genannt[25], welches aus den Blättern schwitzt, reden hören, noch habe +ich es selbst zu sehen bekommen. + +Die Wirkungen des Haschisch lassen sich dahin zusammenfassen, daß im +Anfange bei kleinen Dosen die Eßlust stark angeregt wird, während +fortgesetzter Gebrauch und große Dosen eine Störung aller Lebensprozesse +im Körper bewirken. Wem cannabis indica zur Gewohnheit geworden ist, +kann sich davon schwerer entwöhnen, als der Trunkenbold von +alkoholartigen Getränken, der Opiophage vom Opium. Auf das Nervensystem +wirkt nach den Resultaten der Versuche, die als glaubwürdig vorliegen, +das Haschisch so, daß mit einer Erleichterung im "Fühlen alles +Körperlichen" (man glaubt zu schweben) eine große momentane +_Gedächtnißstärke_ verbunden ist, man erinnert sich an Ereignisse, +welche einem seit Jahren nicht mehr ins Gedächtniß gekommen sind. Und +auch körperlich scheinen die Gegenstände sich zu _vergrößern_ und zu +_verlängern_: Straßen werden endlos, Häuser scheinen in den Himmel +hineinzuragen. Dr. Mornau sagt treffend[26]: "Die Grenzen der +Möglichkeit, das Maß des Raumes in der Zeit hören auf, die Secunde ist +ein Jahrhundert und mit einem Schritte überschreitet man die Welt;" und +weiter sagt derselbe Beobachter: "im Gehen sei ihm eine Straße unendlich +verlängert vorgekommen." Ganz dieselben Beobachtungen habe ich auch +gemacht. + +Es kommen sodann schließlich bei geringstem Anlasse Sinnestäuschungen +vor, eine unbemalte Wand erscheint in den schönsten Farben, das Gquieke +einer Thür ertönt wie symphonische Concerte und wenn einerseits das +Gedächtniß neu belebt erscheint, vergißt man oft bei einem ganz kurzen +Redesatze den Anfang desselben, als ob man seit Stunden geredet hätte. + +So achtungswerth aber auch die Namen gewisser Reisenden sind, so möchte +ich nicht die Ansicht mit vertreten, daß Haschisch eine Wirkung +hervorrufen könnte, einen Menschen, wie Treevelgar erzählt, in +zehntägige Katalepsie zu versetzen. Dagegen finde ich den von +O'Shangnessy[27] mitgetheilen Fall von einer durch Haschisch bewirkten +_vorübergehenden_ Katalepsie vollkommen glaubwürdig. Fallen doch fast +alle veralteten Hanfesser in eine mehr oder weniger lange anhaltende +Starrsucht. + +Jedenfalls wird man nicht zu viel sagen, wenn man behauptet, daß die +cannabis indica, eines der heftigsten Reizmittel, im Stande ist, nicht +nur die herrlichsten Empfindungen, die bezauberndsten Bilder zu +schaffen, sondern auch den Menschen gewissermaßen momentan der Erde zu +entrücken, aber auch andererseits wegen des Giftes, das darin liegt, +eines der gefährlichsten Präparate, das mit unwiderstehlicher Gewalt den +Menschen, der sich ihm hingegeben, festhält und nach Kurzem tödtet. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 15:= Les Touareg du Nord, p. 185=.] + +[Footnote 16: Zeitschr. der Gesellsch. für Erdk. VII. Bd. V. Heft.] + +[Footnote 17: Papst Urban VIII. erließ 1624 eine Bulle gegen das +Tabakschnupfen in den Kirchen, aber trotz dieses unfehlbaren Edicts +schnupfen heute fast alle Priester in den Kirchen wie _außerhalb_.] + +[Footnote 18: Europäische Aerzte verordnen übrigens auch nur eine +=decoctio=, keine =infusio= des Kaffee's] + +[Footnote 19: Ausland 1872. S. 948.] + +[Footnote 20: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel. Nürnberg 1855.] + +[Footnote 21: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel.] + +[Footnote 22: Auch Schweinfurth sagt, er habe auf seiner letzten Reise +ein gutes, dem deutschen Biere ähnliches Getränk gefunden.] + +[Footnote 23: Globus 1866 und Land und Leute in Afrika, Rüthmann, Bremen +1870] + +[Footnote 24: Ich führe hier an, daß wenn Europäer mit Hanf Versuche +anstellen wollen, sie sich mit größter Vorsicht dabei des Madjun +bedienen mögen, da in der Regel auch Cantharibenpulver dazwischen +gemischt ist.] + +[Footnote 25: v. Bibra, S. 266.] + +[Footnote 26: v. Bibra, S. 272.] + +[Footnote 27: v. Bibra, S. 284.] + + + + +8. Aufbruch zur Libyschen Wüste. + + +"Wie ein Afrikareisender mit einer Schlittenpartie seine Reise in die +Libysche Wüste antritt", hätte ich dieses Mal mein Tagebuch +überschreiben können. Das ist auch wohl noch nicht dagewesen, und +doch,--denn als ich meine zweite Reise antrat, mußte ich ja auch nach +einigen Tagemärschen, wenn auch nicht durch oder über Schnee, so doch +daran vorbei und noch dazu in Afrika selbst, auf dem großen Atlas. + +Diesmal galt es nun zwar nicht, den mit Schnee bedeckten Atlas zu +übersteigen, sondern auf angenehmste Weise über den herrlichsten aller +Alpenpässe zu kutschiren, über den Splügen. Am Morgen in der Frühe +sollte es weiter gehen, und so geschah es auch. Eine ziemlich zahlreiche +Reisegesellschaft, drei große Postwagen voll Menschen beiderlei +Geschlechts, von jeglichem Alter, von jedem Stande. Ich hatte für mich +einen Coupéplatz bekommen und Noël[28] im selben Wagen einen +Interieurplatz. Neben mir (die Coupés haben nur zwei Plätze) saß noch +eine junge Dame, ein Mädchen, ein Backfisch, ein Kind--eine jede dieser +Bezeichnungen würde auf sie gepaßt haben--nicht hübsch, nicht häßlich, +Schweizern, mit einer entsetzlichen Aussprache des Deutschen und +ungemein schüchtern, verlegen und blöde. Der Backfisch, nennen wir sie +so, war in Belfort in Pension gewesen, um Französisch zu lernen; unter +der Zeit waren seine Eltern von der Schweiz, wo sie ansässig gewesen +waren, nach Bergamo gezogen und jetzt, nach beendigtem Cursus, sollte +der Backfisch wieder heim zu den Eltern. Und das ging ganz gut, wie ein +Packet wurde er befördert. In Chur logirten wir z.B. im "Luckmanier" +zusammen, der Backfisch wurde von der Wirthin empfangen u. Abends, als +der Wirth gehört hatte, ich reise nach Italien, kam er zu mir, ob ich +nicht den Backfisch unter meine Obhut bis Como oder Lecco nehmen wolle, +dort würde er von verwandten Fischern in Empfang genommen werden. +Natürlich sagte ich nicht "nein" und merkwürdig genug traf es sich, daß +im Interieur eine nach--der Türkei, nach Trapezunt reisende Dame sich +unter Noël's Schutz begab. + +Ich unterlasse es, von den Schönheiten der =Via mala= zu sprechen, +offenbar der schönste und großartigste Paß, der über die Alpen führt und +welcher, da der Baumbestand aus Nadelhölzern besteht, zu jeder Zeit grün +ist. Ja, ich möchte sagen, der naturschönheitliche Reiz wird im Winter +eher erhöht, als vermindert durch die starken Contraste des +blendendweißen Schnees und des tiefen, fast schwarzen Grüns der Fichten +und Kiefern. Als sämmtliche Passagiere obligaterweise an der Stelle +ausgestiegen waren, wo die =Via mala= am engsten ist und wo eine +Brücke über den Schlund führt, die man auch Teufelsbrücke hätte nennen +können, ging es weiter und Mittags erreichten wir Splügen. + +Eine gemeinschaftliche =Table d'hôte= brachte alle Reisenden +zusammen und der gute Veltliner Wein, wie das warme Zimmer führten eine +recht animirte Unterhaltung herbei, denn zur Hälfte waren die Reisenden +Italiener, welche, froh, bald die Grenze ihrer =cara Italia= +erreicht zu haben, nicht verfehlten, ein Glas mehr, als gewöhnlich, zu +trinken. Mit dem Orte Splügen hat man aber keineswegs die Paßhöhe +erreicht. Im Gegentheil, jetzt beginnt erst das _steile_ Steigen und +eine Viertelstunde oberhalb des Dorfes fanden wir ein ganzes +Schlittendepôt. Die Postkutschen wurden verlassen und je Zwei wurden in +einen eleganten Schlitten gepackt; wir hatten die Schneegrenze erreicht. +Natürlich geht dieselbe im December noch tiefer, bis Chur selbst, +hinunter und fängt im Januar und Februar gar unterhalb Chur an, aber im +November und October fällt Schnee nur bis Splügen und etwas oberhalb. + +Hatten wir am Tage vorher abscheulich nebliges Wetter gehabt, so war +unsere =Via-mala=-Tour, unsere Schlittenpartie über den Splügen, +durch den sonnigsten, italienischen Himmel verherrlicht. Aber kalt war +es. Trotz des Südwindes, der allerdings stundenlang über Gletscher und +Schneefelder fegte, fror man bis auf's Innerste. Wie froh war ich, daß +ich meinen grauen Mantel und die Pelzdecke mitgenommen hatte. Drei +Stunden brauchten wir zu dieser Schlittenfahrt und man kann sich einen +Begriff machen, welche Schneemassen im Laufe des Winters auf den Alpen +angehäuft werden, wenn ich sage, daß wir manchmal Stellen passirten, wo +der Schnee schon (durch Anwehen) 10-12' hoch lag. Auf der Südseite, noch +mitten im Schnee, liegt die italienische Douane, während man die Grenze +schon früher auf der Kante des Passes selbst passirt hat. + +Die Zollbeamten waren diesmal äußerst milde; hielten sie mich für irgend +eine besondere Persönlichkeit (denn in den Augen aller dieser Leute +passirte Noël immer als mein Diener), oder ist die Praxis überhaupt +milder geworden, genug, es wurde nur ein Koffer pro forma geöffnet und +damit war Alles fertig. Ich war namentlich froh wegen meiner Patronen, +die ich ja gern versteuert hätte, von denen ich aber fürchten mußte, sie +würden confiscirt werden. + +Bald darauf erreichten wir die südliche Schneegrenze und in ebenso guten +Postkutschen ging es weiter. Den herrlichen Punkt, wo ein Gießbach ins +Thal hinab braust und wo man der Fernsicht halber eigens eine Kanzel +erbaut hat, von der man die schönste Aussicht genießen kann, passirten +wir noch eben bei Licht, dann noch eine halbe Stunde das schönste +Alpenglühen, wie ich es nie leuchtender und intensiver gesehen habe, und +tiefe Nacht senkte sich rasch auf uns herab. Nach zwei Stunden, d.h. um +6-1/2 Uhr Abends, waren wir in Chiavenna. + +Das Hotel zur Post, von dem Herrn Schreiber gehalten, ist berühmt in +ganz Italien und auch wir konnten mit dem Nachtmahl, welches uns +aufgetischt wurde, nur zufrieden sein; ja, das Lob seines Valtelliner +machte, daß er uns noch eine Flasche, natürlich für unser Geld, +heraufholte. Wir schieden um 10 Uhr als gute Freunde (im ganzen Hôtel +ist nur deutsche Bedienung) und weiter ging's bis Colico, welchen Ort +wir um 1 Uhr Nachts erreichten. In Colico selbst wurde nur umgeladen in +einen anderen Wagen, der nach Lecco bestimmt war. + +Aus dieser schönen Tour längs des Lago di Como, die ich übrigens zu +Lande schon einmal, zur See schon mehreremal gemacht habe, merkten wir +nun zwar nichts von den Reizen der Natur, aber die milderen Lüfte und +zur Seite des Wagens die belaubten Olivenbäume bekundeten auch so genug, +daß wir uns auf der anderen Seite der Alpen befänden. + +In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Backfisches ledig. Als wir +uns aus dem Omnibus Einer nach dem Anderen entwickelten, stand ein Herr +bereit: "Sind Sie Fräulein Müller?" (Meier, Schulze oder Schmidt, so +ungefähr klingt der Name). "Ja, ich bin es." Und damit fiel die junge +Dame in verwandtschaftliche Arme. + +Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der Bahn bis Mailand weiter und +direct ins Hôtel Reichmann, nächtigten daselbst und fuhren ohne +Unterbrechung nach Brindisi, wo wir Abends um 10 Uhr anlangten. Von den +anderen Herren war noch Niemand hier, ich vermuthete, Alle seien wegen +des Choleragerüchtes über Triest gegangen. Zu meiner Freude hörte ich +aber bald darauf, daß die Cholera erloschen sei. + +In Brindisi ist ein vorzügliches Hôtel, das des =Indes orientales=. +Die Absicht, in eine Locomda zu gehen, gab ich auf, da ein +italienischer Reisegefährte mir unterwegs sagte, man bekäme dort +unfehlbar =pedocchi= d.h. die Thierchen, welche die Franzosen im +Gegensatze zu den Flöhen, der leichten Cavallerie, die schwere nennen. +Näher brauche ich diese menschenfreundlichen Thierchen wohl nicht zu +bezeichnen. Ich dachte aber, es ist noch früh genug; wenn man sich ihrer +in Afrika nicht wird erwehren _können_, dann muß man mit ihnen +haushalten. + +Komisch erschien mir die Extravaganz der italienischen Damen in den +neuesten Moden: fußhohe Chignons aller möglichen Formen, selbst die +Hörner der Pullo-Frauen[29], die Wulste der Mandara-Damen[30] sind nicht +ausgeschlossen; ich glaube, keine Damen der Welt entwickeln so viel +Phantasie in der Herstellung aller nur möglichen Haartouren, als die +schönen Milaneserinnen. Sehr häufig sieht man vorn auf der Stirn kleine +Löckchen glatt angeklebt mit Pomade, ein entsetzlich schlechter +Geschmack. Alles dies gilt nur von der vornehmen Welt, das Volk ist in +dieser Beziehung vernünftiger. + +Mein Zimmer in der Bel-Etage des Hôtels von Brindisi ging auf den Hafen, +und wenn auch keine großartige Aussicht geboten ist, so hat man doch +immer ein belebtes Bild. + +Ich verbrachte meine Zeit damit, daß ich dem englischen Consul einen +Besuch machte, um seine herrliche Sammlung von Antiken u.s.w. zu +besehen. Er empfing mich sehr freundlich und hatte, wie er sagte, aus +der "Times" schon mein Kommen über Brindisi erfahren. Sodann suchte ich +den Archidiakon Farentini auf, der die Bibliothek unter sich hat, in der +sich nebenbei ebenfalls ein kleines archäologisches Museum befindet, +welches einzelne hübsche Sachen, z.B. ein prachtvolles Lacrimale[31] und +interessante Broncestatuetten enthält. Bei der Gelegenheit zeigte er mir +auch eine höchst merkwürdige Vase, welche sich im Reliquien-Schreine des +Doms befindet, von so feinkörnigem Granit, wie ich ihn nie gesehen. Sie +soll durch Kreuzfahrer aus Palästina gekommen sein, so sagen die +ältesten Chroniken. Ob sie, wie Pater Farentini behauptet, phönicischen +Ursprunges ist, wage ich nicht zu bestätigen. Nach dem Volksglauben +ältester Zeit soll dies dieselbe Vase sein, in der Jesus Wasser in Wein +verwandelt hat. Pater Giov. Farentini fügte aber hinzu: "Ich für meinen +Theil halte sie nur werth als ein höchst interessantes Kunstwerk, die +damit verknüpfte heilige Legende überlassen wir dem Volke." Ein +liebenswürdiger alter Mann, dieser Domherr, der sich ein über das andere +Mal selbst besegnete (=benedetto io=), daß er meine Bekanntschaft +gemacht habe. Am nächsten Tage wollte er mir noch einige +Merkwürdigkeiten in der Stadt und Umgegend zeigen, obschon Brindisi in +dieser Beziehung sehr arm ist. + +Nur langsam erholt sich diese einst so wichtige Stadt, welche im +Alterthum über 100,000 Einwohner, jetzt kaum 10,000 Seelen hat. + +Strabo, welcher ausführlich von dieser alten Stadt handelt, sagt[32]. +Brundusium soll, wie gesagt wird, eine Colonie der Kreter sein, die mit +dem Theseus aus Knossus dahin kamen. Sodann lobt Strabo den Hafen der +Stadt, nach ihm ungleich besser als der Tarents, und fügt hinzu, dieser, +wie es dem Anscheine nach aussieht, einzige Hafen theilt sich inwendig +in eine Menge kleinerer Busen, so daß der gesammte Hafen die Gestalt +eines Hirschkopfes bekommt, daher die Stadt auch ihren Namen erhalten +haben soll, denn in der Sprache der Messapier heißt ein Hirschkopf +Brundusium. + +Brundusium ist auch nach Strabo der gewöhnliche Hafen, aus dem man +ausfährt, wenn man nach Griechenland oder Asien übersetzen will, und +alle Griechen und Asiaten landen auch hier, wenn sie Rom sehen wollen. +Brundusium gilt als Geburtsstätte des Tragödiendichters Pacuvius, und +Virgil ist hier gestorben. + +Mit dem Zusammensinken des römischen Reiches hörte die Blüthe der Stadt +aus, natürlich weil der Verkehr zwischen Morgenland und Abendland +stockte. Und als dann zur Zeit der Kreuzzüge auf einmal wieder ein +lebhafter, wenn auch feindlicher Zusammenstoß zwischen Occident und +Orient stattfand, hob sich Brundusium rasch wieder und erlangte eine +Einwohnerzahl, die auf 60,000 Seelen veranschlagt wird. Kaiser +Barbarossa bevorzugte namentlich den Hafen und er ist auch der Erbauer +des Castells. Mit dem Falle Jerusalems, mit der Beendigung der +Kreuzzüge hing auch der Verfall Brundusiums zusammen. + +Erst jetzt, wo Brindisi wieder Hauptausgangspunkt und Ankunftsort für +Abendland und Morgenland geworden ist, hebt sich die Stadt wieder. Da +aber jetzt die diese Straße Ziehenden bei Weitem nicht so lange im Hafen +weilen wie im Alterthum, so ist der Aufschwung der Stadt ein viel +langsamerer. Aber Brindisi wird jedenfalls, wird diese Linie +beibehalten, immer eine gewisse Wichtigkeit bewahren. + +Die Stadt selbst macht auch nur einen sehr dürftigen Eindruck; zwar sind +die Straßen mit herrlichen Quadern gepflastert, aber meist sehr schmal, +die Häuser zum größten Theile einstöckig, und dann macht es einen höchst +traurigen Eindruck, daß so viele Bauten unvollendet gelassen, zum Theil +schon wieder Ruine geworden sind. Was war die Ursache davon? Hatte man +kein Geld, keine Lust zum Weiterbauen? Aber wie erquickt Einen das +herrliche Grün, wie lächeln Einem die allbekannten Opuntien und +langblätterigen Aloës zu, wie bekannt und heimisch winkt der hohe +Palmbaum! Dazu das lebendige Treiben auf der Straße. Die wirklich +madonnenhaften Antlitze der jungen Mädchen, denn eine durchweg schöne +Bevölkerung ist in Apulien und namentlich der weibliche Theil, ist fast +durchaus schön zu nennen. + +Und so wie es ist muß es auch sein; ich möchte nichts von dem wissen, +wie wir uns Italien seit jeher vorgestellt haben und wie es in der That +ist. Da scandalirt man über den Schmutz[33] der neapolitanischen +Bevölkerung, über die =shocking= Nacktheit der dort +herumlaufenden, herumkriechenden Kinder, aber man mache einmal aus +Neapel eine nach holländischer Art abgewaschene Stadt--und Neapel ist +nicht mehr Neapel. + +Ein ununterbrochener Regen goß herab, auf der Post fand ich einen Brief +von Ernst[34], dem an der Grenze die Patronen confiscirt waren, der +sonst aber wohlbehalten mit Taubert[35] in Triest angekommen war. Auch +Jordan[36] schrieb von dort vom 20.: er sei mit Remelé[37] und drei +Dienern in Triest angekommen, habe meine beiden Diener gefunden und +Freitag Nachts hätten sie sich an Bord begeben. Zittel[38] und +Schweinfurth[39] könnten nun möglicherweise am selben Abend noch hierher +kommen, wenn sie nicht auch die Route Triest genommen hätten; am Abend +vorher hatte ich sie vergebens erwartet. + +Als ich meine Briefe postirt hatte, legte sich der Platzregen, welcher +den ganzen Morgen mit ununterbrochener Wuth herabgeströmt war, und bald +darauf erschien der Archidiakon Farentini, um mich abzuholen. Er zeigte +mir zuerst eine höchst merkwürdige Kirche, eine sehr alte Baute, die +ursprünglich frei angelegt, später durch den Ueberbau einer anderen +Kirche zu einer Krypta gemacht und jetzt wieder durch Hinwegräumung des +umgebenden Terrains eine überirdische Kirche geworden ist. Sie rührt aus +dem 5. oder 6. Jahrhundert her. Sodann gingen wir nach einer Rotunde, +einer Ruine, von der die Reisebücher behaupten, sie sei als christliche +Kirche gebaut, was indeß keineswegs erwiesen ist. Jedenfalls rühren die +Säulen, die Capitäler von verschiedener Ordnung von alten römischen oder +griechischen Tempeln her. Es war mittlerweile dunkel geworden und wir +verabschiedeten uns von einander. + +Bei meiner Nachhausekunft fand ich Zittel und Ascherson vor. Sie waren +beide über Rom und Neapel Nachmittags in Brindisi eingetroffen und +Ascherson hatte den kurzen Aufenthalt schon benutzt, um zu botanisiren; +ganz mit Pflanzen beladen kam er nach Hause. Wir dinirten noch +gemeinschaftlich und gingen dann um 7 Uhr an Bord. Zuerst hatten Noël +und ich, Ascherson und Zittel je eine Cajüte für uns, als aber dann in +unsere Cabinen noch fremde Leute hineingesteckt wurden, tauschten wir +derart, daß wir Vier zusammenkamen. Ich konnte die Nacht gar nicht +schlafen, die Betten waren sehr hart und schmal und gegen Morgen +entstand ein Höllenlärm, denn um 3 Uhr kam ein Londoner Expreßtrain, den +auch Schweinfurth benutzt hatte, von Bologna und um 8 Uhr Morgens kurz +vor Frühstückszeit, als wir auf dem Deck erschienen, waren wir schon +=en route=; es war köstliches Wetter, das Meer leicht gewellt, was +aber dem sehr großen Dampfer keine Bewegung verursachte. + +Um 10 Uhr Morgens fuhren wir bei der griechischen Stadt Navarin vorbei; +auch an dem Tage herrliches Wetter, wenn auch etwas trüber. Je mehr wir +nach dem Süden kamen, desto milder wurde die Lufttemperatur und Abends +hatten wir immer das schönste Meerleuchten, und die Zeit wäre gewiß so +angenehm wie möglich vergangen, wenn nicht Regenwetter eingetreten wäre, +welches uns nöthigte unter Deck zu bleiben. Die letzten beiden Tage +hatten wir sogar Sturm; Zittel und Ascherson waren seekrank, +Schweinfurth, Noël und ich hielten uns vortrefflich; aber Zittel mußte +einen ganzen Tag im Bette liegen, da er sich stark erkältet hatte und +heftige Halsschmerzen bekam. Und doch war es so warm. 20 Grad im +Schatten. + +Um 12 Uhr Mittags kamen wir in den Hafen von Alexandrien; wir mußten die +Quarantäne am Bord des Schiffes bis übermorgen Mittag halten. Alle +Sachen waren angekommen und alles Andere war von Menshausen, einem +deutschen Kaufmanne, besorgt. Der Vicekönig war in Kairo und v. Jasmund +auch, der dort sich augenblicklich mit dem Prinzen von Hohenzollern +aufhielt. In Alexandria war projectirt, nur einen Tag zu bleiben, in +Kairo drei bis vier, um dann gleich bis Minieh oder Siut (Hauptstadt von +Oberägypten am Nil) vorwärts zu gehen. + +Welch' bewegtes Leben hier in Skendria oder Alexandria! Wir lagen am +Eingange des Hafens auf der Rhede. Rechts der schöne Mex-Palast von Said +Pascha, links der Leuchtthurm und der schneeweiße Palast von Mehemed +Ali, der Mastenwald, mit der Stadt im Hintergrunde vor uns. In der Ferne +ein üppiger Palmenwald: dies das Panorama von unserem Schiffe. Auf dem +Schiffe selbst zerlumpte Soldaten mit gelber Schärpe, Abzeichen der +Quarantäne. Dafür, daß ich mit Menshausen sprach, kam der wie ein +Bänkelsänger aussehende Soldat gleich mit offener Hand auf mich los: +"=nrid backschisch=", "ich möchte Trinkgeld." Er war sehr +bedonnert, als ich ihn in arabischer Sprache fragte, wie er dazu käme +und mit welchem Rechte er bettele. Natürlich gab ich ihm trotzdem sein +Backschisch. + +Schweinfurth war wieder hergestellt und Zittel und Ascherson natürlich +wie durch Zauber ihrer Krankheit hier im sicheren Hafen überhoben. Mit +den übrigen Herren auf dem Lloydschiffe, welches auch gekommen war und +einen Flintenschuß weit von uns lag, tauschten wir, sobald wir uns +durchs Fernrohr erkannten, laute Hurrahrufe aus und später kamen Jordan +und Remelé herüber, um uns (natürlich immer in respectvoller Distance, +da sie fünf, wir aber nur zwei Tage Quarantäne halten sollten) zu +begrüßen. Die Armen mußten darauf aber das Schiff verlassen, um am Lande +die Quarantäne abzuhalten. Das ist langweilig und kostspielig für sie; +aber amüsant mußte es ihnen sein, die zahlreichen Pilger zu beobachten, +welche, an dem Tage von Marokko kommend, ein englischer Dampfer gebracht +hatte, etwa 1000 an der Zahl. Das war ein sonderbarer Anblick; ein +bunteres Bild konnte man kaum sehen, als sie in kleinen Barken zu 8-10 +Mann nach dem Quarantäne-Gebäude geschafft wurden. Aber bunt kann man +eigentlich nicht sagen, weil alle entweder in einem schmutziggrauen, +schmutzigbraunen oder schwarzen Burnus eingewickelt waren und offenbar +die schlechtesten Gewänder trugen, die sie überhaupt in ihrer Heimath +von ihren Angehörigen hatten auftreiben können. Wie merkwürdig, daß sich +dieser Pilgerzug mitten durch die civilisirtesten Länder und Völker +hindurch immer noch erhält, denn eine Abnahme des Pilgerns ist wohl kaum +zu spüren. Und wie merkwürdig, daß die christlichen Engländer es heute +unternehmen, die fanatischen Gläubigen zu ihrer heiligen Stätte zu +führen. Auf der einen Seite geben sie jährlich Hunderttausende von Pfund +Sterling aus, um dem Umsichgreifen des Islam durch christliche Missionen +ein Ziel zu setzen, auf der anderen Seite leisten sie demselben Vorschub +dadurch, daß sie das Pilgern erleichtern, denn es kann nicht geläugnet +werden, daß die jährlichen Zusammenkünfte am Berge Ararat und beim +schwarzen Steine in Mekka die Mohammedaner zu immer neuem Fanatismus +anfachen. Das ist bei den mohammedanischen Pilgerfahrten so gut der +Fall, wie bei den katholischen. Uebrigens Angesichts unserer eigenen +Pilgerreisen inmitten des civilisirten Europa ist es kaum erlaubt, +darüber zu staunen; denn dem Unparteiischen muß es schließlich einerlei +sein, ob er in Nordafrika dumme Schafheerden nach Mekka strömen sieht, +oder solche von Frankreich, von Belgien, vom Rhein aus auf dem Wege nach +Rom erblickt. Hier sowohl wie dort wird Dasselbe erstrebt: In Mekka wie +in Rom ist für den Hohenpriester die Hauptsache, Geld zu bekommen, für +die Pilger, sich Verdienste und Vergebung der Sünden zu erwerben. Einen +Unterschied vermögen wir absolut nicht zu finden. Dummheit und +Aberglaube sind bei den Mohammedanern wie Christen die Triebfedern. + +Langeweile hatten wir an Bord nicht; die Passagiere waren noch fast alle +geblieben, nur die India-Reisenden gingen am selben Tage mit einem +direct nach Suez gehenden Zuge ab. Ein solcher Quarantäne-Zug wird +verschlossen, darf nirgends halten und ohne Aufenthalt geht es in Suez +wieder an Bord. Der Hafen ist ungemein belebt; Dampfer kommen und gehen; +einige, die von inficirten Häfen kommen, werden mit der gelben Flagge, +dem Abzeichen, daß sie in Quarantäne sind, geschmückt; andere, die aus +gesunden Häfen ausgelaufen sind, bleiben ohne gelbes Abzeichen und +dürfen gleich mit der Stadt communiciren. + +Endlich schlug die ersehnte Stunde: zwei Cavassen vom Generalconsulat +kamen an Bord, und uns und unsere Sachen einladend ging es fort und bald +darauf hielten wir vor Abbat's Hôtel, an einem der schönsten Plätze +Alexandriens gelegen. Ich ging zuerst zu Menshausen und dann auf's +Consulat. Herr v. Jasmund empfing mich sehr freundlich. Für den Abend +war ich mit allen meinen Begleitern zum Essen auf's Consulat geladen. + +Jordan und Remelé waren gestern Abend auch noch aus der Quarantäne +befreit werden, welche also keineswegs so streng beobachtet und gehalten +wurde, wie ursprünglich war angeordnet worden, und so waren wir denn +Alle vereint im Hôtel Abbat, wo wir zum ersten Male erfahren sollten, +mit ägyptischen Preisen zu rechnen. Allein für die Diener mußte ich +täglich 40 Frcs. ausgeben. Im Uebrigen konnte man mit den Zimmern, dem +Essen und der Bedienung zufrieden sein, obschon die Hôtels in +Alexandrien nicht so gut sind, wie die in Kairo, da in der Hafenstadt +die Passagiere nur ein bis zwei Tage zu bleiben pflegen, wogegen sie in +Kairo manchmal Monate lang weilen. + +In Alexandria wurde meine ganze Zeit durch geschäftliche Angelegenheiten +in Anspruch genommen. Nur Abends hatten wir Ruhe, uns an einem Glase +Bier zu erlaben. + +Bei unserer demnächstigen Abreise von Alexandrien war am Schalter wieder +eine entsetzliche Wirthschaft: Es ist unglaublich, mit welcher +Gemüthsruhe der Billeteur die sich drängenden und ungeduldigen Reisenden +am Schalter abfertigt. Werden sie gar zu lästig, hört er einige +"=goddam=" oder "=au sacre nom de Dieu=" oder +Kreuz-Millionen-Donnerwetter, dann entfernt er sich für fünf Minuten, +nimmt eine Tasse Kaffee, um mit neuen Kräften dem Publicum +entgegentreten zu können. Endlich war an mich die Reihe gekommen, ich +hatte meine Billets, die Bagage wurde eingeschrieben und bald darauf +ging's fort. Da Ascherson, Jordan und Remelé noch zurückblieben, um mit +einem anderen Zuge nachzufahren, so lud Herr v. Jasmund uns ein, in sein +Coupé zu steigen. Die Generalkonsuln in Alexandrien bekommen jedesmal +ein eigenes Coupé, wenn sie reisen. + +Ich unterlasse es, über die Fahrt auch nur ein Wort zu sagen, doch muß +ich erwähnen, daß wir in Kassar Sayet, beim Uebergange des linken +Nilarmes, mit Nubar Pascha, der von Kairo nach Alexandria fuhr, +zusammenkamen und demselben vorgestellt wurden. Eigenthümlich, ich hatte +mir den Mann ganz anders gedacht, mehr diplomatenmäßig, d.h. wie bei uns +die Staatsmänner auszusehen pflegen. Damit will ich aber keineswegs +sagen, daß Nubar eine gewöhnliche Physiognomie habe, im Gegentheil, +namentlich sein Auge ist wunderschön. Im Französischen drückt er sich +gewandt aus. Er theilte uns mit, der Vicekönig wünsche der Expedition +einen so wenig officiellen Anstrich wie möglich zu geben und deshalb +müßten wir von einer militärischen Escorte abstehen. Dahingegen +garantire er absolute Sicherheit der Gegend zwischen dem Nil und den +Uah-Oasen. Die Unterredung dauerte nur kurze Zeit, da die Züge bald +darauf wieder abfuhren. Mir war nichts angenehmer, aus der lästigen +Escorte ledig zu sein. Wie ich denn überhaupt bemerken muß, daß der +Gedanke einer militärischen Begleitung keineswegs von mir, sondern +ursprünglich vom Chedive selbst ausging und zwar so gestellt wurde, daß +ich glauben mußte, dem Chedive sei daran gelegen, eine militärische +Bedeckung mitzugeben. + +Mit dem Zuge, den wir benutzten, erreicht man Kairo in fünftehalb +Stunden. Um 1 Uhr waren wir denn auch angelangt, nachdem schon längere +Zeit vorher die Pyramiden, die Gräber der Chalifen, die schlanken +Minarets der Mohammed-Ali-Moschee ihren Willkommengruß uns entgegen +gesandt hatten. + +Angekommen, begaben wir uns sogleich ins Nil-Hôtel, nachdem ich vorher +vergeblich versucht hatte, die Diener in einem billigeren Hôtel +unterzubringen. Nachmittags besuchten wir das Consulat, fanden aber, daß +unser deutscher Viceconsul Travers auf einer Tour nach Minieh war, um +den Prinzen von Hohenzollern dorthin zu begleiten. Abends waren wir im +Theater und hörten die "Aida" von Verdi, welche in dieser Saison zum +ersten Male aufgeführt wurde. Wer hätte nicht von den Wundern gehört, +welche der Chedive durch Zaubergewalt in seiner Hauptstadt seit Jahren +entstehen läßt? Wenn auch nicht alle gleich an Pracht, wie solche bei +Eröffnung des Suez-Kanals dem Auge sich darbot, zeigen doch die Werke, +welche der Vicekönig seitdem nach und nach ins Leben rief, um die +Freuden des Lebens durch Kunstgenüsse zu erhöhen, einen derartig großen +Anstrich, daß es sich wohl verlohnt, dabei zu verweilen. + +Einen Lieblingsgedanken, eine Oper zu besitzen, verwirklichte Ismael +Pascha bald, nachdem die Feierlichkeiten der Kanaleröffnung vorüber +waren, indem er auf dem prächtigen Esbekieh-Platze ein Gebäude mit +Allem, was dazu gehört, für eine italienische Oper herrichten ließ. Um +dasselbe würdig einzuweihen, veranlaßte er den Maëstro Verdi, eigens +eine Oper dafür zu componiren. Den geschichtlichen Stoff lieferte +Mariette, die literarische Redaction besorgte Ghislanzoni. + +Präcis 8 Uhr begann man mit der Ouverture, welche von einem vollkommen +eingeübten Orchester meisterhaft vorgetragen wurde. Ebenso tadellos war +die ganze Aufführung. Sänger und Sängerinnen sind durchweg ersten +Ranges, namentlich der Tenor (Radames) Sigr. Fancelli, von einer Stärke +und Höhe der Stimme, wie man ihn gewiß selten an einer der größten +Bühnen Deutschlands findet. Was die Sängerinnen anbetrifft, so waren +dieselben in der Saison nur aus Deutschland recrutirt, die Aida wurde +von Fräulein Stolz, Amneris von Fräulein Waldmann repräsentirt. Beide +waren in ihrer Art vorzüglich. + +Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß man bei der Costümirung auf +größte Genauigkeit gesehen hat, um Kleidung und alte Gegenstände so +herzustellen, wie sie durch die Aegyptologen uns bekannt und wie sie +uns in den Museen aufbewahrt sind. Dazu ist Alles mit einer Pracht +hergerichtet, wie es eben nur ein Fürst zu leisten vermag, dessen Mittel +fast unbeschränkt sind. + +Was das Sujet anbetrifft, so ist es der ägyptischen Geschichte +entnommen. Aegypten und Abessinien liegen seit Jahren in Krieg +miteinander. Der Feldherr des Königs von Aegypten, Namens Radames hat +die Tochter des äthiopischen Königs Amonasro, Namens Aida, gefangen +genommen, er giebt sie der Tochter seines ägyptischen Königs, Namens +Amneris, zur Sclavin. Radames verliebt sich aber in Aida und wird von +Aida wieder geliebt. Später wird der äthiopische König Amonasro auch +noch gefangen genommen. Amonasro und Aida finden sich wieder, Beide, +Vater und Tochter, Gefangene am ägyptischen Hofe. Man begnadigt Beide +und will sie ziehen lassen. Amonasro aber überredet seine Tochter, die +Liebe Radames' zubenutzen, um ihn über einen Kriegsplan auszuforschen; +sie weicht endlich den Bitten des Vaters und Radames widersteht nicht +dem Flehen der Aida. Er fängt an, den Plan zu verrathen, aber gerade in +dem Momente kommt Amneris hinzu. Radames flieht nicht, er klagt sich +selbst an, die Königstochter überliefert ihn aus Eifersucht den +Priestern, er wird zum Tode verurtheilt und kann dann trotz der bitteren +Reue der Amneris nicht gerettet werden. Lebendig in einem Grabe +eingemauert, theilt Aida freiwillig sein Loos. + +Eine solche Aufführung, wie sie in Kairo Statt hatte, muß selbst den +verwöhntesten Geschmack befriedigen. Die Musik freilich wird wohl nicht +überall Beifall finden. Die Freunde der Harmonie werden sagen, es sind +zu viel Wagner'sche Anklänge vorhanden, die Wagnerianer werden die Musik +zu dünn und zu wenig überwältigend finden. In der That ist Verdi bei +dieser Composition ganz aus seiner Rolle gefallen. Der Componist des +"Ernani", des "Trovatore" hat sich im Wagnerianismus versuchen wollen, +aber nichts als zwangvolle Sätze sind entstanden, welche das Publicum +kalt lassen. + +Die innere Einrichtung des Opernhauses ist reizend. Die Bühne ist +verhältnißmäßig groß, ebenso der Orchesterraum. Links hat der Chedive +eine Prosceniumsloge, die gleich hoch _allen_ Logenreihen ist, darunter +eine kleine dicht am Orchester. Rechts ist die chedivische Haremsloge, +durch ein so feines Eisengitter verschleiert, daß die Meisten glauben, +dies weiße Gewebe seien Tüllgardinen, aber in der That besteht es aus +dem feinsten Eisendraht. Daran schließen sich vier andere, ähnlich +verschleierte Logen, für andere Haremsdamen hoher Würdenträger. + +Das Opernhaus hat vier Logenreihen übereinander. Im ersten Stock, also +parallel mit den Logen ersten Ranges, befindet sich ein großes und +fürstlich eingerichtetes Foyer, zugänglich für Jedermann. Daneben sind +Restaurationslocale, die man übrigens auch unten findet. + +Zu der Zeit wurde das Opernhaus erheblich vergrößert, weil die damaligen +Räume zur Aufbewahrung der Decorationen keineswegs genügten. + +Am folgenden Tage wurden wir um 10-1/2 Uhr zum Vicekönige befohlen; wir +holten Herrn v. Jasmund ab. Der Vicekönig residirt in einem neuen Palais +im neuen Stadttheile Ismaelia. Nach wenigen Vorstellungen, die zwischen +Ali Pascha, dem Ceremonienmeister und dann einem Anderen, der der +Großsiegelbewahrer ist, stattfanden, führte man uns die Treppe hinauf, +wo wir oben vom Vicekönige empfangen wurden. Aus dem großen Saale führte +er uns in ein kleines Zimmer. Die Unterhaltnng drehte sich natürlich nur +um die Expedition. Zuerst aber, nachdem wir vorgestellt waren, hielt +Herr v. Jasmund einen kleinen =speech=, worin er dem Vicekönige +dankte für das, was er für die wissenschaftliche Expedition gethan. Dann +erwiderte der Vicekönig, wie glücklich er sich schätze, mit solchen +Leuten eine solche Expedition organisiren zu können, und dann stattete +ich meine Grüße ab und dankte im Namen des Kaisers und Königs. Als ich +dies sagte, erhob sich der Chedive von seinem Platze, aus Ehrfurcht vor +dem Namen Sr. Majestät und Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen. + +Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte 3/4 Stunden) über +die Expedition und hierbei beklagte sich der Vicekönig bitter über +Bakers Expedition, der unnütz Menschenblut vergossen und für Abschaffung +des Sclavenhandels nichts gethan habe. Diese vom Vicekönige gesprochenen +Worte bekräftigten also in der That, daß Sir Samuel gar nichts erreicht +hat, daß seine Expedition vielmehr nach der Aussage des Chedive nur +unheilvoll wirkte. Ich begriff nun auch, warum die ägyptische Regierung +meiner Expedition so wenig officiellen Charakter, wie möglich, geben +wollte. Gegen Samuel Baker scheint der Chedive jedoch sich ganz anders +geäußert zu haben; wenigstens lesen wir in Bakers "Ismailia", daß der +Chedive seine Dienste durch die Verleihung des Osmanieh-Orden belohnte, +und daß Baker selbst meint, sein fester Glaube auf die Unterstützung der +Vorsehung sei nicht unbelohnt geblieben, also seine Aufgaben für gelöst +hielt. Das kann ich bestätigen, daß der Chedive keineswegs gesonnen +schien, die Baker'sche Expedition aufzugeben, sondern in Colonel Gordon +einen würdigen Mann fand, der da wieder anknüpfte, wo Baker sein +Unternehmen abgebrochen hatte. + +Der Vicekönig, 1830 geboren, also jetzt 45 Jahre alt, hat eine +gedrungene Gestalt, ein sympathisches Gesicht, freundliche Augen, im +Ganzen ein sehr intelligentes Aeußere. Jedenfalls, nach seiner +Physiognomie zu schließen, ein Mann, der mehr liebt, das Gute zu thun, +als das Böse. + +Als wir uns verabschiedet hatten, begab ich mich mit v. Jasmund nach +seinem Hôtel, um noch einige Punkte wegen des Dampfers, der Kamele &c. +zu präcisiren und zu Papier zu bringen. + +Darüber war es Mittag geworden. Nach Tische kam Jasmund, mich abzuholen +zu einem Besuche bei Hussein Pascha, dem zweiten Sohne des Vicekönigs, +der den öffentlichen Arbeiten vorsteht. Es handelte sich nämlich darum, +die Papiere bezüglich des Nivellements der Eisenbahnstrecke von Siut zu +bekommen, damit wir bei unserem Vorgehen von diesem Punkte eine +bestimmte Basis hätten. Hussein wohnt auf der Kasbah und im selben +Palais oder Harem, in welchem der große Mohammed Ali sein Leben +ausgehaucht hat. Ein großartiges Gebäude von colossalen Dimensionen, +dessen Bel-Etage ein immenses Kreuz bildet, derart, daß 1 das +Audienzzimmer, 2 den Saal und 3, 3, 3 noch andere Zimmer umfassen. Wie +im chedivischen Palaste, war auch hier Alles auf's Geschmachvollste, +auf's Reichste und ohne Ueberladung decorirt. Aber die Kasbah hat nicht +nur diesen einen Palast, sondern es ist dies ein Complex von Forts, +Schlössern und Moscheen. Da ist z.B. das Palais, in dem der Vicekönig +die Beiramsfestlichkeiten abhält, da ist vor Allem die ganz aus +Alabaster, oder besser gesagt, aus ägyptischem Marmor erbaute Moschee +Mehemed Ali's. + ++---+---+---+ +| 1 | | 3 | ++---+ +---+ +| 2 | ++---+ +---+ +| 3 | | 3 | ++---+---+---+ + +Mögen nun auch die Architekten sagen, was sie wollen, mögen sie +behaupten, diese Bauten zeigen keinen bestimmten Stil, mögen sie +glauben, die Minarets seien im Verhältnis zu ihrer bedeutenden Höhe zu +dünn oder zu wenig umfangreich, es steht fest, daß gerade diese Moschee +eine der Hauptzierden Kairos ist, daß man ohne sie sich Kairo nicht mehr +vorstellen könnte. Und in ihren einzelnen Theilen wie im Ganzen kann man +sie nur schön nennen, im Innern, wie im Aeußern. Nur der häßliche +Uhrthurm auf der Westfaçade des Hofes, aus Holz erbaut, paßt nicht zum +Ensemble. Wir besuchten natürlich auch das Innere, es wurden uns die +obligaten Schuhe übergezogen, aber ich merkte einen Fortschritt, sie +waren nicht wie früher aus Stroh, sondern aus Tuch und wurden +festgebunden durch Bänder. + +Eine stark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt und gesagt, es sei +das der Ort, wo eventuell der türkische Sultan seinen Sitz nähme; dies +scheint mir problematisch, ich glaube vielmehr, es ist eine Einrichtung +für den Harem. + +Nachdem wir dann die unvergleichlich schöne Aussicht von dem Punkte aus +genossen hatten, wo beim Massacre der Mameluken einer derselben sich +durch einen kühnen Sprung in die Tiefe gerettet haben soll, ein Punkt, +von welchem aus man die Stadt, die Gräber der Chalifen, das rothe +Gebirge (=Gebel ahmer=), das Mokhatan-Gebirge, die Pyramiden, den +Nil, ein großes Stück des üppigen Nil-Delta und die unendliche Sahara +überblickt, ein Punkt, von dem aus man das vollkommenste Bild über +Aegypten gewinnt, wo man den Charakter dieses Landes mit einem Blick +überschauen kann--nachdem wir dies in uns aufgenommen, stiegen wir zur +Hassan-Moschee, am Fuße der Kasbah gelegen, hinab. + +Die Hassan- Moschee gilt überall als die schönste Moschee von Kairo und +doch keineswegs mit Recht. Die Großartigkeit der Steinmauern bestreite +ich nicht, aber die schon zugeschnittenen Quadern wurden von den +Pyramiden entnommen. Die Zartheit, das Kühne des Tropfsteingewölbes, das +Unglaubliche der Stalaktiten-Kuppeln gebe ich gern zu, aber das Material +dazu ist von Holz, und mit Widerwillen fast wird man hier an das +Vergängliche, an das Unsolide aller maurischen Bauten erinnert. Dazu +kommt, daß diese Holz-Stalaktiten-Bauten derart vernachlässigt und +zerfallen sind, daß alle Schönheit schon zu Grunde gegangen ist. + +Was aber für den mit der religiösen Geschichte der Mohammedaner +Vertrauten ungleich mehr auffällt, ist der Grundriß der Moschee. Bis +jetzt hat noch kein Architekt darauf aufmerksam gemacht. Im +gewöhnlichen Stil besteht nämlich jede Moschee aus zwei Körpern: dem +bedeckten, nach Osten gerichteten Theile, aus manchmal vielen +Säulenhallen bestehend, und dem unbedeckten Hofe im Westen, beide in der +Regel viereckig. Die Hassan-Moschee aber hat im Hofe als Grundriß ein +vollkommenes _Kreuz_. Wenn man weiß, wie furchtbar der Moslim Alles +haßt, was nur irgendwie an die Form des Kreuzes erinnert, so muß man +sich wundern, daß dies hier so prägnant zum Ausdruck gekommen ist. +Jedenfalls ist es unbewußt geschehen, denn der uns begleitende Priester +gab mir den Schlüssel dazu folgendermaßen: Jeder der Kreuzflügel, +welche, beiläufig gesagt, überwölbt sind, dient zur Aufnahme der +Anhänger der vier rechtgläubigen Bekenner, so daß in dem einen die +Malekiten, im anderen die Schaffeïten, im dritten die Hambaliten, im +vierten die Hanesiten Platz finden. Sultan Hassan liegt in der Moschee +begraben und rund um sein Grab sieht man die unvertilgbaren Spuren von +Blutlachen, Zeugen der Ermordung von Mameluken, welche sich beim +Massacre in die Moschee geflüchtet hatten. + +Hiernach begleiteten wir v. Jasmund nach Hause und fuhren, Zittel und +ich, sodann zu Mariette Bei, dem Director des Bulac-Museums, fanden ihn +aber nicht zu Hause. Das Museum konnten wir auch nur sehr flüchtig +besehen, da es dunkel wurde. + +Nach dem Essen gingen die Anderen noch etwas spazieren, ich schrieb, +machte auch einen Gang auf die Esbekieh und hiernach trafen Zittel und +ich uns wieder im Nil-Hôtel. Wir saßen Abends noch lange im Mondschein, +der Mond stand hoch, fast im Zenith über uns. Die blühenden, wie +Heliotrop duftenden Akazien, die milden Lüfte, Alles war zauberisch +schön. Solche duftende ruhige Nächte giebt es nur in Nordafrika, wo die +Nächte Winters und Sommers sich fast stets durch absolute Windlosigkeit +der Atmosphäre auszeichnen. + +Ein wichtiges Geschäft war dann noch abzuwickeln, nämlich gute Diener zu +engagiren. Eine gewisse Erleichterung gewährte Kairo in sofern, als alle +unbeschäftigten fremden Leute, alte und junge, in der Stadt einem Schich +unterstehen, der, so lange sie in Kairo sind, für ihr Betragen der +Polizei haftbar ist. Dieser Schich besorgte mir sodann Leute, so viel +ich brauchte, und da außerdem die Polizei sich noch drein mischte, +konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, gute und brave Leute +engagirt zu haben. Gleich von vornherein kann ich dies auch hier +bestätigen, denn im Ganzen hatten wir recht treue Diener; und wenn +selbst der fromme Doctor der Theologie, welcher Prof. Ascherson's Diener +war, diesen so unverschämt betrog, so folgte er wohl nur religiösen +Motiven oder glaubte vielmehr seine Betrügereien durch den Mantel der +Religion bedecken zu können. Ein alter Diener, den ich in Tripolis aus +der Sclaverei befreit und über Cyrenaica und Siuah hierher gebracht +hatte, fand mich hier wieder. Es war rührend, als er kam, mir die Hand +küßte, weinte und mir das Certificat zurückstellte mit den Worten: +"Jetzt brauche ich es nicht mehr, jetzt habe ich Dich wiedergefunden." + +Nachdem viele Einkäufe besorgt waren, gingen wir sodann zur Sitzung des +=Institut d'Égypte=, wo man uns zu Ehren eine Versammlung anberaumt +hatte. Da waren alle Notabilitäten der Wissenschaft Aegyptens +vertreten. Mariette Bei, der berühmte Aegyptolog, präsidirte. Die +Sitzung war in einem Saale des Ministeriums des Innern. Nach einer +einleitenden Rede und nach Verlesung des =procès verbal= der +letzten Verhandlung verlas ich eine Rede in französischer Sprache. Es +war recht feierlich, v. Jasmund war auch da und Schweinfurth von +Alexandrien herüber gekommen. + +Nach diesem kurzen Aufenthalte in Alexandrien und Kairo wurde Siut +erreicht, von wo die eigentliche Expedition beginnen sollte. Aber gleich +beim Beginne stellten sich die Schwierigkeiten bedeutend größer heraus, +als man vermuthet hatte, denn es galt, die Kamele mit Futter zu beladen, +da man sich Angesichts einer absolut vegetationslosen Wüste befand. +Nachdem die Bohnen, welche zu einer Reise von zwanzig Tagen nothwendig +wurden, an Ort und Stelle waren, traten wir am 18. December den Marsch +in die Wüste an. Dieselbe offenbarte denn auch gleich an den ersten +Tagen ihre ganzen Schrecken und Gefahren, denn man befand sich in der +trostlosesten Einöde. Allerdings nicht so vegetationslos, daß nicht hier +und da noch einige Kräuter gesproßt hätten, aber keineswegs so +krautreich, daß man darin hätte Kamele weiden können. + +Nur dieser Theil der Sahara, die sogenannte Libysche Wüste, kennzeichnet +sich durch eine so außerordentliche Armuth an Pflanzen, denn in der +ganzen übrigen Sahara nehmen Karawanen nie Futter für die Kamele mit, +sondern die Thiere begnügen sich mit dem, was sie unterwegs finden. Nur +südlich von Tedjerri in Fessan hat man auch ein Terrain zu durchziehen, +wo man für einige Tage Datteln als Kamelfutter mitzunehmen pflegt. + +Wir erreichten dann zunächst die kleine Oase Farafrah, keineswegs dem +Nil zunächst gelegen, im Gegentheil, sie ist von Sinah am Nil die +entfernteste. Aber ich hatte diesen Weg vorgezogen, weil er ein +vollkommen neuer, _noch nie von Europäern begangener_ war. Das +Erscheinen einer so großen Karavane, 100 Kamele und circa 80 Mann, rief +natürlich die größte Angst, der alsbald das Staunen folgte, bei den +Eingeborenen hervor, aber als sie schnell gewahr wurden, daß wir in +friedlicher Absicht gekommen waren, etablirte sich ein leidliches +Verhältniß zwischen uns, soweit der Fanatismus der Bewohner es +gestattete. + +Sodann mußten wir nach einigen Tagen uns nach Dachel wenden, da wir in +Farafrah weder für uns noch für unsere Kamele Vorräthe auftreiben +konnten. Wir folgten derselben Route, welche vor uns Cailliaud gezogen +war, und erreichten nach einer Woche diese freundlichste aller +Uah-Oasen. Und so freundlich uns die Landschaft und der Hauptort Gasr +entgegenlachten, so zuvorkommend wurden wir hier auch empfangen von der +Behörde und der ganzen Bevölkerung. Erwähnen muß ich allerdings, daß die +Farafrenser über unsere Ankunft noch nicht unterrichtet waren, als wir +dort eintrafen, in Dachel hingegen die Behörde von Siut aus schon +instruirt war, uns freundlich aufzunehmen. + +Aber auch hier in Dachel waren die Vorräthe nicht so reichlich, wie man +uns es vorgespiegelt hatte, und ich war gezwungen, nach Siut +zurückzusenden, um sechzig neue Kamelladungen Bohnen kommen zu lassen. +Aber ehe dieselben eintrafen, vermochte ich Prof. Jordan, vorauszugehen. +Freilich hatte er mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber als dann +Zittel auch bald nachrücken konnte, wurde abermals weiter vorgegangen +und die Expedition erreichte fast den 27° O.L. v. Gr. und blieb vor +einer mächtigen, von Norden nach Süden streichenden Düne liegen. Hier +fand ich dieselbe lagern, als ich selbst nach einiger Zeit dort eintraf. + +Eine Recognoscirung, die Zittel zu Fuße schon vorher gemacht hatte, eine +andere, die ich selbst mit Prof. Jordan unternahm, stellte nun zur +Evidenz heraus, daß an ein weiteres Vorgehen nach Westen nicht zu denken +sei. Wir befanden uns Angesichts eines Sandmeeres, welches aus 100-150 +Meter hohen Sandketten mit steilen Böschungen bestand. Die Zwischenräume +zwischen diesen Sandketten waren ebenfalls mit Sand bedeckt, zeigten +_kein nacktes Gestein_. Es traten nun zwei entscheidende Gründe ein, die +uns zwangen, von weiterem Vorgehen nach Westen abzustehen. Erstens waren +es die hohen, von _Norden nach Süden_ ziehenden Dünen, welche zu _jeder +Uebersteigung_ mehrere Stunden nöthig machten und wodurch wir sodann +höchstens per Tag 20 Kilometer hätten vordringen können mit der +_gewissen_ Aussicht, nach acht Tagen sämmtliche Kamele todt oder +"=batal="[40] gehabt zu haben. Zweitens war es unmöglich, im +Sandmeer Wegzeichen zu errichten; der geringste Samum würde sie umgeweht +haben; mithin war eine weitere Depôtbildung, die unumgänglich +nothwendig war, sowie eine constante Verbindung mit dem Hauptdepôt +Dachel nicht zu ermöglichen. + +Sobald daher das Unausführbare, Kufra von Westen aus mit den uns zu +Gebote stehenden Locomobilen zu erreichen, constatirt war, beschlossen +wir, mit den Dünen nach Norden zu gehen, um womöglich einen Durchgang, +ein Aufhören der Dünen zu finden oder Siuah zu erreichen. Die Dünen +hörten nicht auf, wir waren während 14 Tagen stets zwischen hohen Ketten +von Sandbergen und legten einen der sonderbarsten Märsche zurück, welche +je in Afrika gemacht worden sind. _Ohne Führer_ waren wir, wie das +Schiff auf dem Meere, nur dem Compaß vertrauend, angewiesen, der einmal +angenommenen Richtung zu folgen. War diese falsch oder wären wir durch +die öftere nothwendig werdende Uebersteigung der Dünen zu weit +abgekommen, so mußte voraussichtlich Siuah verfehlt werden[41]. Oder +wären wir von einem _mehrtägigen_ Samum überrascht worden, so wäre +voraussichtlich unser Loos ein noch schlimmeres gewesen, indem wir nur +für eine bestimmte Zahl von Tagen Wasser hatten. Ich konnte es überhaupt +nur übernehmen, die Karavane nach Siuah zu führen, weil ich dort bekannt +war und die Formation der Ufer und die Lage der Seen östlich und +westlich von Siuah mir noch vor Augen stand. Ich brauchte deshalb nicht +zu fürchten, falls ich zu weit westlich oder östlich herauskäme, +unorientirt zu bleiben. + +Und glücklich erreichten wir denn auch die Oase des Jupiter Ammon, wo +wir bei der Behörde den freundlichsten Empfang fanden. Schon nach +wenigen Tagen brachen wir wieder auf, gingen bis Setra zusammen in +östlicher Richtung und sodann trennten Zittel und ich uns von Jordan, um +wiederum _ohne Führer und auf nie begangenem_ Wege direct nach Farafrah +zu gehen, während Jordan mit einem in Siuah gemietheten Führer nach +Uah-el-behari ging, um die auf den Karten verzeichneten Behar-bela-ma zu +untersuchen. + +Farafrah wurde glücklich von uns erreicht, vonwo Zittel sogleich nach +Dachel weiter ging, um unseren dortigen um uns in Sorge lebenden +Gefährten die Nachricht unserer glücklichen Rückkehr zu übermitteln. Ich +selbst blieb noch einen Tag länger in Farafrah und ging dann auf +_neuem_, noch nie begangenem Wege nach Dachel, hauptsächlich um die +Gebirgszüge zu durchschneiden, welche wir früher im Westen von unserem +ersten Marsche von Farafrah nach Dachel erblickt hatten. In Dachel +vereinten wir uns dann nach einigen Tagen zu gemeinsamem Vorgehen über +Chargeh nach Esneh, welches wir am 1. April ohne Unfall erreichten. + +Ich komme nun auf die Resultate zu sprechen und hebe hervor, daß uns +außer der allgemeinen Erforschung der Libyschen Wüste hauptsächlich zwei +Punkte als beachtenswerth waren bezeichnet worden: die Untersuchung der +verschiedenen Behar-bela-ma und die Depression der Libyschen Wüste. + +Ein Bahr-bela-ma von Dachel ausgehend und nordöstlich von Beharieh in +das von Ost nach West gerichtete Bahr-bela-ma von Pacho und Belzoni +mündend existirt nicht. Es breitet sich zwischen ihnen ein einzig +Kalksteinplateau über 300 Meter hoch aus. In der Sitzung des =Institut +Égyptien= hatte ich schon darauf aufmerksam gemacht, daß Bahr-bela-ma +in der Sahara nichts ist, als das gleichbedeutende Wort Wadi, das +hundertmal vorkommt. Wenn es sich aber durch die geographischen +Verhältnisse bestimmt erweisen läßt, daß ein Bahr-bela-ma als eine +Längseinsenkung nicht existirt, so ist andererseits durch die +geologische Untersuchung des Bodens auf das Schlagendste nachgewiesen, +daß der Nil nie in dieser Richtung hat fließen können. Nirgends wurden +von unserer Expedition fluviatile Niederschläge, sondern überall nur +maritime Bildungen constatirt. Das Bahr-bela-ma als ein continuirliches +Thal, oder gar als ein westliches Flußbett des Nil muß daher definitiv +aus der Welt geschafft und von den Karten gestrichen werden. + +Die zweite zu lösende Aufgabe betraf die Depressionsfrage, ob nämlich +die von mir 1869 entdeckte Depression sich über die ganze Libysche Wüste +erstreckt, oder vielmehr von dem Libyschen Küstenplateau (diesen +Ausdruck möchte ich vorschlagen für den jetzt gebräuchlichen "Libysches +Wüstenplateau") sich bedeutend nach Süden zu ausdehnt. Hierin lag +zugleich die Aufgabe einer Erforschung der ganzen Libyschen Wüste; denn +als Endziel war die Erreichung der Oase Kufra in Aussicht genommen. + +Gleich beim Verlassen der Oase Dachel konnten wir eine merkliche +Steigerung beobachten, wie ja überhaupt, mit Ausnahme von Siuah, alle +Uah-Oasen höher als der Ocean gelegen sind und nur relativ Depressionen +bilden. In Regenfeld waren wir schon über 300 M. gestiegen, und als wir +dann nach Nord einige Grade zu West den Weg fortsetzten, fanden wir zwar +eine allmälige Absenkung aber erst in Siuah konnten wir eine eigentliche +absolute Depression constatiren. Die Producte des Meeres, die hier +gefunden wurden, die Abwesenheit von Süßwasserbildungen oder gar von +Nilschlamm schließen aber auch hier jeden Gedanken aus, daß der Nil sich +durch diese Depression in die Syrte ergossen habe. + +Unser Vormarsch in Regenfeld war verhindert worden durch hohe Sanddünen, +welche von NNW. zu SSO. Richtung hatten und 100-150 M. hoch waren. Ein +Vormarsch in westlicher Richtung war somit unmöglich geworden, theils +wegen der Kamele und theils weil aus Mangel an Wegweisern keine +Depositorien mehr angelegt werden konnten. Denn zwischen den Dünen war +nicht etwa bloses Gestein, sondern tiefer Sand, welcher das Errichten +von Wegzeichen unmöglich machte. Wir hatten also Ein einziges Sandmeer +vor uns, nur unterbrochen durch 1--1-1/2 Kilometer auseinanderstehende +Sandketten. + +Die Sanddünen sind Meeresprodukt; ihre Formenveränderungen sind im +Allgemeinen constant. Daß die Winde, die hier meist von NNW. nach SSO. +wehen, während der Chamsin gleiche Richtung, aber aus entgegengesetztem +Pole hat, sie verursachen, glaube ich nicht; denn dann müßten sie in der +Grundform in der dem Winde entgegengesetzten Richtung laufen, sie +verlaufen aber mit dem Winde. + +Was die Wärmeverhältnisse anbetrifft, so hatten wir diesmal sehr geringe +Schwankungen. Während auf früheren Reisen in der Wüste im Winter eine +Differenz von 30º beobachtet wurde, hatten wir diesmal im Februar, +welcher sich als der kälteste Monat herausstellte, einen Unterschied, +der bedeutend geringer war, wenig mehr als die Hälfte. Eine mittlere +Zahl kann ich noch nicht aus meinen viermal täglich angestellten +Beobachtungen geben. Aber im Februar hatten wir sieben Tage, wo das +Thermometer unter Null war, und am 16. zeigte das Thermometer sogar -5°. +Die größte Wärme, welche im Februar beobachtet wurde, betrug nicht mehr +als 24° und dies nur an zwei Tagen. Auffallend war die Erscheinung eines +dreitägigen Regens in der Libyschen Wüste, und zwar erstreckte sich +dieser Regenfall über ein ziemlich großes Terrain: denn in Dachel und +Farafrah hatte es an denselben Tagen auch geregnet, während man aber in +dem dem Mittelmeere näher gelegenen Siuah keinen feuchten Niederschlag +gehabt hatte. So war denn auch der Feuchtigkeitsgehalt der Wüste ein +ungemein bedeutender und nur, wenn Südwind eintrat, zeigte sich +plötzlich eine auffallende Trockenheit in der Atmosphäre. Leider mußten +Untersuchungen über den Electricitätgehalt der Luft ausgesetzt werden, +weil die magnetische Nadel des mitgenommenen Electrometers sich als zu +schwach erwies; sie reagirte gar nicht. Aeußerst interessant waren die +Untersuchungen über Ozongehalt, wie man sich aus den demnächst zur +Veröffentlichung kommenden Beobachtungen Zittels wird überzeugen können. +Je offener der Himmel war, und je entfernter wir von bewohnten Plätzen +waren, desto mehr Ozon wurde bemerkt. Bei herrschendem Samum war äußerst +wenig Ozon vorhanden. + +Ich unterlasse es hier, ausführlich über die von uns angetroffenen +Völker in den Oasen zu reden. Bekannt ist, daß die Bevölkerung von Siuah +berberischer Herkunft ist. In Uah-el-Beharieh, Farafrah und Dachel ist +zweifelsohne die Abstammung der Bewohner dieselbe, wie die der Fellahin +im Nilthale; doch haben sich in Uah-el-Beharieh und Dachel einzelne +Araber früher seßhaft gemacht. Hervorheben müßte ich noch, daß es Prof. +Ascherson gelungen ist, nachzuweisen, daß nicht Farafrah die Oase +Trinythis der Alten ist, sondern daß dieser Name mit der =Oasis +magna= in Verbindung gebracht werden muß. + +Was die archäologischen Ergebnisse anbetrifft, so beruhen dieselben auf +genauen photographischen Bildern, welche die Expedition von den Tempeln +in Chargeh und Dachel gemacht hat. Zu diesem Behufe mußte der Tempel in +Dachel erst ganz vom Schutte und Sand ausgeräumt und zum Theil 50 +Centner schwere Blöcke entfernt werden. Prof. Ebers in Leipzig, der die +Güte hatte, die Bilder durchzusehen, hat auf den Tempelwänden von Dachel +den Namen des Kaisers Vespasian gelesen und der berühmte Aegyptologe ist +der Ansicht, daß die feineren Skulpturen von allgemeinen Künstlern +hergestellt seien, während die gröberen von Dachelaner Steinhauern +selbst ausgeführt worden wären. Viel ergiebiger und interessanter +zeigten sich die Inschriften des Tempels von Chargeh. Wir sehen dort den +opfernden König Darius, dem Ammon Libationen und Rauchopfer anbietend. +Darius wird als Liebling des Ammon von "Heb" (dies der alte Name für +Chargeh) bezeichnet, auch ein bisher Ebers unbekannter Vorname des +Darius, "Basetut", ist angeführt. Nach Ebers wurde der Tempel von +Chargeh erst nach dem Tode Darius vollendet; daher die vielen leeren +Königsschilder, welche ursprünglich für den Namen des Darius bestimmt +waren. Die sehr interessanten Inschriften, schrieb mir Ebers, beweisen, +daß das ganze ägyptische Pantheon, Ammon an der Spitze, in der Oase +verehrt wurde, daß dort eine ägyptische Priesterschaft mit reichlicher +Versorgung dem Cultus vorstand, daß Chargeh Heb hieß, daß Darius als +König Aegypten und wahrscheinlich auch die Oasen besucht hat. Daß auf +einer der Platten, welche in Kairo Brugsch vorgelegt wurde, dieser +Gelehrte den alten Namen der Hauptstadt der Oase Dachel als "Mondstadt" +bezeichnet fand, glaube ich schon mitgetheilt zu haben. + +In Betreff der Ausbeute der mich begleitenden Fachgelehrten kann ich +noch nichts Detaillirtes mittheilen. Indeß gereicht es mir zur Freude, +sagen zu können, daß die botanischen Ergebnisse des Prof. Ascherson +keineswegs so gering gewesen ist, wie wir fürchteten. Gab es auch +manchmal ganz vegetationslose Strecken, so boten aber gerade die Oasen +in der Zeit, als wir dort waren, ein um so reicheres Pflanzenleben. +Prof. Jordan hat alle wichtigen Punkte astronomisch bestimmt. Täglich +wurden Breitenbestimmungen gemacht und die Declination der Magnetnadel +notirt. Und was Zittel anbetrifft, so sind dessen Funde in +paläontologischer Beziehung wahrhaft überraschend gewesen. Der Wahn der +einförmigen Numinulitenformation, welche man früher für die ganze +Libysche Wüste annahm, ist somit gründlich zerstört. + +Dies die wissenschaftlichen Resultate der Expedition. Praktische hat +dieselbe keine aufzuweisen, wenn nicht das bewiesen wäre, daß der +Europäer in Afrika auch ohne Führer reisen kann, daß durch Mitnahme von +eisernen Wasserbehältern man in der Wüste nicht blos Wege, wo Brunnen +oder Wasserlöcher sind, zu nehmen braucht, sondern monatelang ohne +solche existieren kann. Selbst die ausgedehnten Eisensrunde werden nie +zu verwerthen sein, weil es in der Libyschen Wüste an zwei Bedingungen, +sie zu verarbeiten, fehlt: Kohlen und Wasser. Aber praktische Resultate +hat die Expedition auch nie erzielen wollen, und obschon dieselbe Kufra +aus unüberwindlichen Hindernissen nicht erreichen konnte, wird nicht +bestritten werden können, daß sie der Hauptsache nach ihre Aufgaben +gelöst und auf alle Fälle in Anstrebung des vorgesteckten Zieles ihre +Pflicht gethan hat. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 28: Noël ist der junge stattliche Afrikaner, welcher in Folge +der Bestimmung Sr. Maj. des Kaisers von Deutschland in Lichtenfelde bei +Berlin eine deutschen Begriffen entsprechende Bildung genoß, nun aber, +da ihm das nördliche Klima nicht bekam, auf Befehl des Kaisers mit nach +Aegypten ging, um dort noch eine weitere Ausbildung zu erhalten.] + +[Footnote 29: Centralafrikanischer Volksstamm.] + +[Footnote 30: Mandara ist eine Landschaft in Nordafrika, welche von +einem eigenthümlichen Negervolke von übrigens ausgezeichneter +Körperbildung bewohnt wird.] + +[Footnote 31: Das ist eines jener Thränengläser, die sich oft in Gräbern +der Alten bei Todtenurnen finden und worin angeblich die Hinterbliebenen +den Verstorbenen ihre Thränen mitgaben.] + +[Footnote 32: Buch VI, S.10, deutsche Uebersetzung von Penzel.] + +[Footnote 33: Den Schmutz der internationalen Waggons verdamme ich +trotzdem.] + +[Footnote 34: Mein deutscher Diener.] + +[Footnote 35: Herrn Remelé's Diener.] + +[Footnote 36: Der Astronom der Expedition.] + +[Footnote 37: Photograph.] + +[Footnote 38: Archäeolog und Geodät.] + +[Footnote 39: Schweinfurth reiste im selben Winter nach Chargeh, aber +unabhaengig von der Expedition.] + +[Footnote 40: =Batal= = tragunfähig.] + +[Footnote 41: Eine Breitenbeobachtung konnte Jordan freilich Abends +machen, aber zu einer Längen-Nahme fehlte die Zeit.] + + + + +9. Das jetzige Alexandrien. + + +Mehr als zweiundzwanzig Hundert Jahre steht die Stadt, welche den Namen +des großen Mannes trägt, der nach Aegypten gekommen war, um im +weltberühmten Orakelheiligthum des Ammonium die Frage zu stellen, ob er +wirklich ein Sohn des Zeus sei. Gewaltig sind die Stürme der +menschlichen Geschichte über die Stadt dahingebraust, welche einst der +Glanzpunkt der Welt in wissenschaftlicher und commerzieller Beziehung +war. Alexandrien, die Stadt des Museum und Serapeum, war aber trotz +seiner Weltlage im Jahre 1790 so herabgekommen, daß, als die Franzosen +unter Bonaparte landeten, es nur mehr circa 6000 Einwohner hatte. Es +gehörte aber auch die ganze Wirtschaft knechtischer Beys dazu, um ein +Land und die Städte so ruiniren zu können, wie wir Aegypten und seine +Oerter am Anfang dieses Jahrhunderts sehen. Verwundert fragt man sich: +wie war es möglich, daß eine Stadt, so ungemein günstig gelegen, so tief +hatte sinken können? + +In der That hat Alexandrien, wie keine andere Stadt am Mittelmeere, eine +vorteilhafte Lage. Wegen des ausgezeichneten Hafens braucht es nicht zu +befürchten, von Port Said, das allerdings an der Mündung des Kanals von +Suez liegt, überflügelt zu werden, und mittelst der Eisenbahnen und +Dampfschiffe auf den Kanälen ist es ohnedieß mit dem großen Kanal in +intimster Beziehung. Alexandrien liegt an einer der größten +Verkehrsadern unserer Zeit, einer Verkehrsstraße, welche voraussichtlich +immer als eine der am lebhaftesten pulsirenden Handelswege fortbestehen +wird. Aber nicht allein das ist es, gleichsam als Etape zwischen +Ostindien und Oceanien einerseits und Europa andererseits zu dienen; die +Stadt Alexander des Großen liegt an der Mündung des einzigen schiffbaren +Flusses von Nordafrika, welcher mit seiner mächtigen Verästelung ein +ungeheures Gebiet beherrscht. Welche Zukunft erschließt sich der Stadt, +wenn die Producte aus Centralafrika nilabwärts ihr zugeführt werden. +Denn jetzt vermittelt der Nil blos Das, was an Erzeugnissen längs seines +300 Meilen langen Stammes producirt wird. Welche Zukunft wird aber +Alexandrien haben, wenn die Felsen der Katarakte gesprengt und man mit +Dampfschiffen direct vom Mittelmeere bis zu den See'n Innerafrikas, den +großen Wasserreservoirs des Nils, wird fahren können! + +Aber wenn man auch Alexandrien ein immer mehr günstig sich gestaltendes +Prognostikon stellen kann, so hat die Stadt keineswegs Ursache, mit +ihrer heutigen Entwickelung unzufrieden zu sein. Es ist der Großvater +des jetzigen Chedive, Mohammed Ali, dem die Stadt ihren jetzigen +Aufschwung verdankt. Dadurch, daß er der Stadt den Kanal herstellte, +wurde ihr nicht nur gutes Trinkwasser, sondern auch ein leichter +Verkehrsweg mit dem Innern geschaffen. Mohammed Ali war auch der Erste, +welcher den Schiffen der christlichen Nationen den Eingang in den alten +Hafen eröffnete; bis vor seiner Regierung mußten sie den neuen, wenig +sicheren Hafen benutzen. + +Alexandrien mit etwa 200,000 Einwohnern zerfällt in zwei Stadttheile, +von denen der eine von der europäischen Bevölkerung der andere von den +Eingeborenen bewohnt wird. Der arabische[42] Stadttheil ist im +Nordwesten und Westen gelegen; die Straßen sind eng, unregelmäßig, im +Sommer staubig, im Winter mit undurchdringlichem Schmutz erfüllt; die +Häuser sind meist einstöckig und höchst launenhaft gebaut. Hier steht +eins mit halber Front, diagonalartig zur Straße, dort hängt eins mit dem +oberen Stockwerk über; hier ist eins in die Straße selbst hineingebaut, +dort ist eins, welches einen weiten Hof vor sich hat. Fenster sind +spärlich vorhanden, namentlich im Erdgeschosse; ist eine Bel-Etage +vorhanden, so findet man häufig sehr viele, mit feinem Holzgitter +verschlossene Fenster. Sehr praktisch ist der zickzackartige Bau des +oberen Geschosses, der Art, daß regelmäßig vorspringende Winkel, mit +Fenstern versehen, angelegt sind. Alte Gebäude findet man in der +Alexandrinischen Araberstadt fast gar nicht, so daß sie keineswegs ein +interessantes Aussehen hat, sich höchstens gut bei Mondscheinbeleuchtung +ausnimmt. So durchzogen wir sie denn auch eines Abends, ehe wir die +libysche Expedition antraten, und besuchten sodann ein Kaffeehaus der +Eingeborenen, um eine Mokka zu schlürfen und einen Tschibuk zu saugen. +Aber auch hier fängt die Civilisation an, mit mächtiger Gewalt +einzudringen. Im ganzen arabischen Viertel ist jetzt Gasbeleuchtung. Wie +lange wird es dauern und die Straßen werden gepflastert, sie werden +gerade gemacht, besprengt, mit schattigen Bäumen bepflanzt und statt der +kleinen Gewölbe und Boutiken mit prächtigen Verkaufsläden geschmückt +werden. Das Letztere wäre namentlich wünschenswert; denn gezwungen durch +die Kleinheit ihrer Verkaufsbuden, rücken die Kaufleute ihre Waaren weit +in die Straßen hinein, verengern so die Passage und füllen die Luft mit +den sich mischenden Gerüchen gekochter Speisen, frischen Gemüsen, rohen +Fleisches, kurz aller Gegenstände, die sie feil haben. + +Das muselmännische Alexandrien hat hundert Moscheen, von denen jedoch +keine einzige ausgezeichnet und berühmt ist, verschiedene Sauya[43] und +Medressen[44] und eine Menge Funduks und Karawanseraien, um Menschen und +Thiere zu beherbergen. Es versteht sich von selbst, daß in diesen +Funduks nur die Eingeborenen logiren. Die Bevölkerung des arabischen +Theiles von Alexandrien beträgt etwa 100,000 Einwohner, also die Hälfte +der Gesammtbevölkerung. + +Ganz anders erscheint das europäische Quartier, welches, wie aus dem +früher Gesagten hervorgeht, eine eigentliche Schöpfung der Neuzeit ist. +Breite und gerade Straßen, zum Theil mit schönen Baumreihen bestanden, +hier und da ein reizender Platz mit immergrünen Pflanzen und duftigen +Blumen, an den Seiten prächtige, mehrstöckige Häuser, massive Bauten +mit den elegantesten Läden, herrliches Pflaster (die Steine dazu hat +man von Triest kommen lassen, _jedes Stück_ hat circa 5 Francs gekostet +bei einer Größe von 15 Zentimeter quadratischer Oberfläche auf 20 +Centimeter Tiefe), mit schönem Trottoir für Fußgänger, machen das +europäische Alexandrien zu einer der schönsten Städte am Mittelmeere. +Dazu kommt eine ausreichende Gasbeleuchtung und eine künstliche +Wasseranstalt (auch die arabische Stadt wird mit Wasser aus derselben +versorgt), welche bei Moharrem-Bai Nilwasser in ein Reservoir pumpt, aus +der die ganze Stadt mit dem besten Trinkwasser der Welt versorgt +wird[45]. Der mittlere Verbrauch von Wasser beläuft sich auf 8000 +kubische Meter täglich. + +Auf dem Platze Mohammed Ali's, auch =Place des consuls= genannt, +concentrirt sich am meisten das europäische Leben; hier sieht man die +glänzendsten Läden, hier ist das französische Generalconsulat, das +Stadthaus, mehrere große Hotels und seit zwei Jahren--Allah und Mohammed +verzeihe dem Chedive und seinen Räthen diese christliche oder vielmehr +heidnische Ketzerei--erhebt sich inmitten der breiten Allee die über +lebensgroße Statue des Begründers der jetzigen Dynastie. Die Statue +Mohammed Alis ist aus Bronce und im Ganzen 11,50 Meter hoch, wovon 6,50 +Meter auf das aus toscanischem Marmor gemeißelte Piedestal kommen, +während die Reiterstatue selbst 5 Meter hoch ist. Die Statue ist von +prachtvoller Wirkung. Mohammed Ali in orientalischer Tracht, den Kopf +beturbant, sitzt in gebietender Stellung zu Roß, seinem energischen +Gesichtsausdruck sieht man es an, daß er der Mann ist, welcher das +türkische Joch abschüttelte, der, hätten nicht die Großmächte ihr Veto +dazwischen gerufen, sein Schwert bis nach Stambul selbst hineingetragen +haben würde. Furchtsam umstehen die Fellahin das Denkmal, fromme Flüche +und Verwünschungen murmelt der scheinheilige Taleb oder Faki beim +Anblick dieses gewaltigen Mannes; am liebsten würde er gleich das "Bild" +vernichten. Aber der Preis und die Belohnung, welche er sich dafür im +Paradies unfehlbar erwerben würde, scheint doch nicht so sicher zu sein, +als die irdische Strafe, welche einem solchen Versuche auf der Stelle +folgen würde. Ismael, der jetzige Regent von Aegypten, kennt seine +Leute, er weiß, was er ihnen bieten kann und er weiß, daß der +einigermaßen denkende Mohammedaner heute der irdischen Belohnung und der +irdischen Strafe vor den unsicheren zukünftigen Versprechungen oder den +jenseitigen Qualen den Vorzug giebt. =Tout comme chez nous=. Wer +fürchtet sich heute bei uns vor den Flammen der Hölle und vor der +Aussicht, Milliarden von Jahren dem Allerhöchsten ein Hallelujah zu +singen!--Aber das irdische Gesetz und das eigne Pflichtgefühl, die Liebe +zum Guten und Schönen, der Haß des Bösen und Häßlichen, welche uns +_jetzt_ schon erblich, möchte ich sagen, überliefert werden, das sind +heute die großen Triebfedern, welche die menschliche Ordnung und +Gesellschaft zusammenhalten müssen. + +Daß für die religiösen Bedürfnisse der Europäer reichlich gesorgt ist, +versteht sich von selbst in einer orientalischen Stadt, wo die meisten +Europäer Katholiken sind oder der griechischen Kirche angehören. Es +giebt 3 katholische Kirchen, 4 für den griechischen Ritus, 3 +protestantische, 1 koptische und 1 maronitische Kirche. Die Juden haben +3 Synagogen. Daß Mönche und Klöster nicht fehlen in einer so großen +Stadt am Mittelmeere, der Geburtsstätte so vieler Religionen, braucht +wohl kaum gesagt zu werden. Der koptische Patriarch residirt auch in der +Regel in Alexandrien.--An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt die Stadt 4 +Hospitäler, das für Militär und Civilpersonen eingerichtete +Gouvernementshospital, das allgemeine europäische Hospital, das +Diaconissenhospital und ein griechisches. Von den barmherzigen +Schwestern wird auch ein Findlinghaus geleitet.--Die Schulen sind alle +in den Händen der Geistlichkeit, aber es dürfte, seit Herr Dor, ein +Schweizer, die Leitung des Unterrichts in Aegypten übernommen hat, bald +eine günstige Veränderung eintreten; auch eine deutsche Schule ist unter +den Auspicien des deutschen Generalconsulats gegründet worden. Von den +übrigen europäischen Schulen nenne ich das Institut der Lazaristen +(=collège des Lazaristes=), ähnlich eingerichtet, wie ein +französisches Lyceum: man unterrichtet in französischer Sprache +Lateinisch und Griechisch. Das Arabische, Neugriechische, Italienische +ist facultativ. Englisch und Zeichnen und Musikunterricht werden +besonders bezahlt, der Pensionpreis beträgt 1000 Francs jährlich. Die 12 +Lehrer sind sämmtlich Geistliche. Die Schule wurde 1873 von 60 Schülern +besucht. Das italienische Lyceum steht unter italienischer +Regierungscontrole; die Zahl der Schüler betrug 255 im selben Jahre. Die +Schule der schottischen Kirche, die der apostolischen Amerikaner, die +der Griechen, die allgemeine, unter dem Protectorat des ägyptischen +Erbprinzen stehende Schule mit unentgeltlichem Unterricht sind alle mehr +oder weniger stark frequentirt. Auch die Juden haben eine von etwa 120 +Schülern besuchte Anstalt. Außerdem giebt es 6 Mädchenschulen. Sowohl +von den Kirchen, wie auch von den Schulen haben mehrere ein monumentales +Aeußere. + +Die Vereinigung der ersten Gelehrten, welche jedoch kein eignes Gebäude +besitzen, ich meine =l'Institut Égyptien= ist seit Anfang dieses +Jahres nach Kairo verlegt worden. Es giebt sodann viele +Wohlthätigkeitsvereine und auch gesellige; von den letzteren sind die +bedeutendsten der Börsencirkel, der philharmonische Gesellschaftskreis, +vorwiegend aus Franzosen bestehend, und der Club der Deutschen. Für das +geistige Leben ist durch eine öffentliche Bibliothek und durch das +Erscheinen von 9 Zeitungen gesorgt, von denen 3 in italienischer, 1 in +englischer, 2 in griechischer und die übrigen in französischer Sprache +erscheinen. + +Im hübsch gelegenen und elegant erbauten Siziniatheater werden +italienische Opern aufgeführt, außerdem giebt es noch ein kleines +Theater, Namens Alsieri. Erwähnen wir schließlich noch, daß +französische, englische, italienische und griechische Freimaurerlogen in +Alexandrien sind, im Ganzen 8, an der Zahl, so glauben wir aller +Anstalten Erwähnung gethan zu haben. Nur möchte ich für etwaige nach +Aegypten Reisende hervorheben, daß es dort eine Reihe guter Hôtels +giebt, von denen 2 ersten Ranges, daß Kaffeehäuser und Restaurationen in +großer Anzahl vorhanden sind, ja daß es sogar viele deutsche Bierstuben +giebt, wo Wiener Bier verzapft wird. In der Stadt Alexander des Großen, +des Ptolemäus Philadelphus, deutsches Bier von deutschen Jungfrauen +geschenkt! In der Stadt des Pompejus, der Cleopatra Gas- und +Dampffabriken! Welche Gegensätze und doch so groß nicht, wie man denkt! +Denn in der Stadt, wo das weltberühmte Museum mit 700,000 Büchern oder +vielmehr Schriftrollen war und die im Serapeum eine zweite Bibliothek +mit 200,000 Bänden besaß und deren Straßen eben so wohl und gerade +angelegt waren, wie jetzt die des europäischen Viertels[46], in der zur +Zeit, als die Römer die Herrschaft antraten, nach Diodorus Siculus fast +eine Million Einwohner sich befanden, soll die Zukunft erst wieder eine +gleiche Blüthe und Bevölkerung hervorbringen, wie wir solche zu Zeiten +der Ptolemäer dort vorfanden. + +Von den 200,000 Einwohnern kommen auf die europäische Bevölkerung von +Alexandrien circa 100,000 Seelen[47] und sind dahin auch die Türken und +ihre Descendenz zu rechnen, mit einem ziemlich zahlreichen Contingent. +Sie bewohnen die Halbinsel, welche, ehedem als selbe nur durch einen +steinernen Damm mit dem Festlande verbunden war, Insel Pharos hieß. Die +Straßen dieses Viertels sind auch ziemlich breit und gerade, und besser +im Stande gehalten als im arabischen Viertel. Hier wohnen die Paschas, +Beys, Effendis und hohen Würdenträger des Königreichs. An der +westlichen, äußersten Spitze des Vorgebirges =Ras es Tin= oder +Feigenvorgebirge genannt, ließ Mohammed Ali ein nach dem Plane des +Serail in Konstantinopel erbautes Schloß errichten. Dasselbe wird noch +von dem Vicekönig benutzt; auch Harem und Dienstzimmer für die Minister +befinden sich in demselben. Das Harem steht ganz isolirt inmitten des +schönen Gartens. Dicht daneben ist auch das Arsenal. + +Der alte Hafen von Alexandrien hat seit 1870 eine vollkommene Umwandlung +erlitten, indem die großartigsten Molenbauten[48] ganz neue Bassins +schufen. Im Jahre 1876 wird Alexandrien ein äußeres Hafenbecken besitzen +mit einer Oberfläche von 350 Hektaren und einer Tiefe von wenigstens 10 +Meter. Dieser Vorhafen wird nach der offenen Seite durch einen +Wellenbrecher geschützt sein, welcher 2340 Meter lang und 8 Meter hoch +sein soll. Die Blöcke dazu werden zum Theil künstlich hergestellt und +werden 20,000 benöthigt, jeder 10 Kubikmeter groß und 20 Tonnen[49] +wiegend. Dieser Wogenbrecher hat zwei Eingänge, einer zwischen dem +Nordende und =Ras el Tin=, 600 Meter breit, für kleinere Schiffe, +ein anderer am südlichen Ende, 800 Meter breit, für große Fahrzeuge. + +Das innere Hafenbecken wird 72 Hektaren Oberfläche haben und wenigstens +8,50 Meter tief sein. Auch dieser Hafen wird durch besondere Molen +geschützt sein und hydraulische Kräne zur Leichterung der Schiffe +erhalten. Die jährliche Schiffsbewegung beläuft sich jetzt auf circa +3000 einkommende und ebenso viel ausfahrende Schiffe mit einem Gehalt +von circa 1,500,000 Tonnen. + +Der "Guide" von François Levernay, dem wir die Zahlen für diesen Aufsatz +entnommen, giebt die mittlere Jahrestemperatur von Alexandrien zu +20º +C. an, mit einem Maximum von 27º und einem Minimum von 7º. Ich glaube, +sorgfältiger angestellte Beobachtungen würden eine um einige Grad +wärmere Temperatur ergeben. In Alexandrien ist noch nie Frost beobachtet +worden; in der Libyschen Wüste, obschon sich dieselbe bedeutend weiter +nach Süden erstreckt, fällt das Thermometer jeden Winter unter Null. Der +kälteste Monat in Alexandrien ist der Januar, Juli und August sind die +heißeste Zeit. Der Nord und Nord-Nord-West-Wind sind, wie in ganz +Unterägypten, die vorherrschenden, erst Ende April und im Mai weht der +Chamsin (d.h. der während 50 Tagen wehende Süd-Süd-Ost-Wind) und bringt +oft eine unerträgliche Hitze, die jedoch nur während des Windes selbst +anhält. Während des Chamsin ist selbst am Meeresstrande die Luft kaum +mit Feuchtigkeit geschwängert, während der übrigen Monate ist aber +gerade in Alexandrien ein ungemein hoher Feuchtigkeitsgehalt, was den +Aufenthalt in den Spätsommerwochen so unangenehm macht. Die Quantität +des Regenfalls variirt zwischen 100 und 335 Mm. jährlich; doch macht man +auch hier die Wahrnehmung, daß mit der steigenden Baumcultur auch die +Menge des Regenfalles sich jährlich in Alexandrien vermehrt. Stürme sind +in Alexandrien selten, Hagel fällt durchschnittlich ein- oder zweimal +des Jahres, im März oder April; Nebel, aber von kurzer Dauer, treten im +März, November und December auf. + +Wie der Chedive, der Hof und die ganze Regierung im Sommer von Kairo +nach Alexandrien übersiedeln, der frischen Meeresbrisen wegen, so +folgen auch die meisten Europäer diesem Beispiel. Aber sie wohnen dann +weniger in Alexandrien selbst, als im nahe gelegenen Ramleh, einem Orte, +welcher vor wenigen Jahren seinen Namen (Sand) noch verdiente, jetzt +aber ein reizender Villencomplex geworden ist. Ramleh hat im Sommer +6500, im Winter 3200 Einwohner und man findet dort alle Annehmlichkeiten +einer Villegiatur. Griechische, französische und italienische Schulen, +Schauspiele, Restaurants und ein Hôtel deutet darauf hin, daß Ramleh +binnen Kurzem das Scheveningen Alexandriens sein wird. + +Aber auch an reizenden Spaziergängen fehlt es den Alexandrinern nicht. +Längs des Mahmudie-Kanals findet man an den Seiten schattiger Alleen die +herrlichsten Gärten und darin versteckt die geschmackvollsten Villen. +Keine herrlichere Spazierfahrt kann man sich denken, als längs dieses +von Hunderten von größeren und kleineren Schiffen, sowie von eleganten +Dahabien belebten Kanals. Auch der öffentliche Garten ist hier gelegen, +wo tägliche Militärmusik die elegante Welt anzieht. Wenn man Abends die +Hunderte von feinen Landauern mit den schönen griechischen Damen in +elegantester Toilette daherfahren sieht, dann glaubt man nicht in Afrika +zu sein, sondern man denkt unwillkürlich an die wagenbelebte Chiaja in +Neapel. Aber es ist Alles erst im Werden, denn mit Sicherheit fast läßt +sich voraussagen, daß Alexandrien wieder werden wird, was es war, ein +Emporium für den Welthandel, die bedeutendste Handelsstadt des +Mittelmeeres. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 42: Wenn ich "arabisch" sage, so ist damit die eingeborne +Bevölkerung von Aegypten gemeint, welche aber keineswegs arabisch ist. +Ich folge in dieser Bezeichnung nur einen angenommenen Gebrauche.] + +[Footnote 43: Sauha ist Kloster, Hochschule und Asyl; letzteres hat aber +in Aegypten heute keine Bedeutung mehr.] + +[Footnote 44: Medressa ist Schule.] + +[Footnote 45: Die Eingeborenen und auch fremde Araber und Berber +behaupten, daß das Nilwasser das süßeste und beste Wasser der Welt sei +und sagen wie die Römer von ihrer Fontana Trevi, wer einmal aus dem Nil +getrunken habe, den zöge es immer wieder nach Aegypten hin.] + +[Footnote 46: Siehe Tafel 5, Zeitschrift für Erdkunde 1872. Kiepert, Zur +Topographie des alten Alexandrien.] + +[Footnote 47: Der Zahl nach kommen zuerst Griechen, dann Italiener, dann +Engländer (Maltheser), dann Franzosen, endlich Deutsche; die übrigen +Nationen sind in geringer Zahl vorhanden.] + +[Footnote 48: Die Kosten dieser Bauten, mit deren Ausführung das Haus +Greenfield u. Comp. betraut ist, sind auf 50,000,000 Francs +veranschlagt. (=Guide annuaire d'Égypte 1873=.)] + +[Footnote 49: Eine Tonne gleich 2240 Pfund.] + + + + +10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten. + + +Ehe wir die Beschreibung von Aegyptens Hauptstadt unternehmen, kehren +wir zur Vergangenheit zurück und besonders auch kümmern wir uns um die +Etymologie des Namens der Stadt selbst. Die modernen Völker haben alle +mehr oder weniger eine gleiche Benennung. Wir Deutsche schreiben Cairo +und Kairo und sprechen Kairo oder Kaïro; die Franzosen sagen und +schreiben. =Caire= oder =le grand Caire=; die Engländer +schreiben Cairo, ebenso die Italiener, welche aber Kaïro sprechen. Der +gemeine Mann Aegyptens weiß aber von "Kairo" nichts, denn selbst das +Wort "=el Kâhira=", die Unterjocherin[50], welche Veranlassung zur +Bildung des Wortes Kaïro gewesen, ist nur den Gebildeten bekannt. Das +Volk der Hauptstadt, sowie die Eingeborenen des Landes nennen die Stadt +Masr. Auch dieses Wort finden wir von den Europäern auf die +verschiedenste Art geschrieben: Masr, Misr, Messr, Masser, Messer und +noch einige andere Schreibarten. + +In der nachfolgenden Erklärung dieses Namens folge ich durchaus der +Auseinandersetzung des gelehrten Orientalisten Wetzstein in Berlin, der +die Güte hatte, mir seine bezüglichen Forschungen hierüber mitzutheilen, +die um so werthvoller sind, weil sie zum Theil neue Gesichtspunkte +eröffnen und vollkommen originell sind. + +Wetzstein sagt: Die Hauptstadt Aegyptens heißt bekanntlich im Lande +selbst Misr[51]. Da nun dieser Name ursprünglich der Name des ganzen +Landes ist, denn schon im alten Testamente hieß Aegypten Misraim, so hat +man hier eine Uebertragung des Landnamens auf die Landeshauptstadt zu +constatiren; =medinat Misr=, die Hauptstadt Aegyptens, ist also zur +Stadt Misr geworden. Für eine solche Uebertragung bietet die +geographische Nomenclatur der Araber viele Beispiele. Hier nur einige: +Syrien hieß bei den Arabern der Halbinsel schon in den ältesten Zeiten +Schâm, d.h. das Nordland, und sein Hauptmarkt, bis wohin die arabischen +Karavanen gingen, war in vormohammedanischer Zeit Bosrâ, die Hauptstadt +Haurân's; eine Reise nach Syrien war also in der Regel für die Araber +gleichbedeutend mit der Reise nach Bosrâ. Daher heißt bei ihnen in jener +Zeit Bosrâ immer Schâm im Sinne von "Markt" von Schâm (Syrien). Als nun +in den ersten Jahrhunderten des Islam Bosrâ verödete und die Karavanen +bis Damask gehen mußten, ging die Benennung Schâm naturgemäß auf die +Stadt über, so daß der Name Damaskus vollständig unterging[52] und +Schâm seitdem zugleich Syrien und Damask bedeutet. Nur blieb an den +Ruinen von Bosrâ noch der Name Alt-Schâm (türkisch: Eski-Schâm) haften. + +Ein anderes Beispiel: Die Hauptstadt von Bahrein, d.h. von dem +nordöstlichen Küstenstriche der arabischen Halbinsel, war im Alterthum +der berühmte Handelsplatz Gerrha (arabisch H'gér), der Ausgangs- und +Zielpunkt der aus und nach Bahrein expedirten Karawanen. Auch dieses +Emporium verlor unter den Arabern seinen Eigennamen und nahm den des +Landes Bahrein an. + +Dasselbe geschah mit der alten Hauptstadt Jemâma, dem heutigen +Wahabiten-Reiche, westlich von Bahrein. Sie hieß Hagr; aber die +arabischen Geographen erwähnen selten diesen Namen. Meistens nennen sie +die Stadt entweder Medinat-el-Jemâma oder geradezu Jemâma, wie das Land +selbst. Diesen Beispielen fügen wir noch die Stadt Ramla (bei Lydda) +bei, welche bis zum Beginn der Kreuzzüge von großem Umfange und +Hauptstadt der Provinz Felistin (damals Westpalästina) war; sie wird in +den arabischen Schriften jener Zeit geradezu Felistin im Sinne von +"Hauptstadt Palästina's" genannt. Liest man, Jemand habe in Felistin +übernachtet, oder von Felistin nach Jâhâ oder Jerusalem sei eine +Tagereise, so ist immer Ramla gemeint. + +Diese Bezeichnungsweise ist oft verwirrend und kann das Verständniß +einer geographischen oder historischen Angabe erschweren. Entstanden +wird sie sein durch die Redeweise der Karawanen, insofern z.B. die aus +Arabien abgehende Kâfilat-Misr, Karawane von Misr, immer zugleich die +nach dessen Hauptstadt dirigirte war, und man darf annehmen, daß Misr +schon Jahrhunderte lang _vor dem Islam_ bei den Arabern jene doppelte +Bedeutung hatte. + +Uebrigens wäre auch folgende Erklärung denkbar: Unter den Ptolemäern +entstand zwischen Heliopolis und Memphis ein Waffenplatz, der +wahrscheinlich das volkreiche Memphis im Zaume halten sollte und zur +Erinnerung an Alexander's Feldzug in Asien Babylon genannt wurde. Nach +und nach verödete Memphis, indem es einen kleinen Theil seiner +Bevölkerung und seines Baumaterials an dieses Babylon abgab, welches in +den ersten Jahrhunderten der christlichen Aera (abgesehen von +Alexandrien) der Hauptort Aegyptens geworden zu sein scheint. Denn als +des Chalifen Omar's Feldherr ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= im Jahre 19 der +Higra Babylon erobert hatte, befand er sich thatsächlich im Besitze des +ganzen Landes und brauchte nur noch Alexandrien zu erobern. Dieses +Babylon hieß nun zum Unterschiede von der berühmten gleichnamigen Stadt +am Euphrat "das ägyptische Babylon", Bâbeliûn Misr, welche Bezeichnung +sich, da die Araber lange Ortsnamen hassen, in Misr verkürzte, so daß +Land und Landeshauptstadt gleichnamig wurden. Doch ist die =primo +loco= gegebene Erklärung dieser unbedingt vorzuziehen. + +Die übrigen Namen der Hauptstadt Aegyptens anlangend, so hieß dieselbe +in den ersten Jahrhunderten des Islam el Fostât aus folgender +Veranlassung. Als der vorerwähnte ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= Babylon +belagerte, stand sein Lager an der Nordseite der Stadt, und um sein +Zelt, welches el Fostât hieß, bildete sich nach und nach eine +Baracken-und Hüttenstadt, die sich erhielt und vergrößerte, da ein Theil +des Lagers auch nach Eroberung der Stadt stehen blieb. Diese nomadische +Niederlassung verwandelte sich nach und nach in eine Vorstadt Babylons, +die nach ihrem Mittelpunkte dem ehemaligen Feldherrn-Zelte, el Fostât +genannt und deren Name allmälig auf die ganze Stadt angewendet wurde, so +daß die alte Benennung Babylon außer Brauch kam. Doch findet man sie +noch bei den Geographen, welche sie bald Babeljûn, bald Hisn-el-Iûn +(Festung des Iûn) schreiben, indem die erste Silbe, welche man für das +arabische =Bab= Thor hielt, wegfiel. + +Der Name el Fostât wurde seit der Occupation Aegyptens durch den +Fatimiten =el Moizz li-din-Allah= (369 d.H.) verdrängt. Als Ganhal, +sein Feldherr, mit dem westafrikanischen Heere vor die Hauptstadt +rückte, ging er mit der Bevölkerung den Vertrag ein, daß seine Soldaten +die Stadt selbst nicht betreten, sondern außerhalb derselben in Baracken +und Zelten untergebracht werden sollten. Dieses Lager, welches sich wie +350 Jahre früher dasjenige des ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= allmälig in +eine militärische Colonie verwandelte und zugleich die Unterwürfigkeit +der Stadt gewährleistete, erhielt den Namen el Kâhira "die +Unterjocherin", der sich gerade wie früher el Fostât der ganzen Stadt +mittheilte. + +Man unterscheidet bis auf den heutigen Tag die Stadttheile el Kâhira, el +Fostât und das ursprüngliche Misr. In amtlichen Acten, bei denen es auf +Genauigkeit der Ortsangaben ankommt, heißt die Stadt Kâhirat Misr "Kairo +in Aegypten", oder auch Misr el Kâhira, was der gewöhnliche Mann als die +"siegreiche Stadt Misr" deutet. + +Indem wir so der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalen folgten, +fügen wir noch hinzu, daß Wetzstein etymologisch das Wort Misr +simitischen Ursprungs erklärt und sich der Ansicht zuneigt, es bedeute +"die beiden eingeschlossenen Länder", nämlich Ober- und Unter-Aegypten. +Wetzstein meint nämlich: "gehöre diese Benennung ursprünglich einer +altägyptischen, d.h. einer Ruschitischen Sprache an, so ließe sich +nichts über ihre Bedeutung sagen, denn das Koptische sei ein zu +verkommenes Idiom und das Hieroglyphische mit seinen Schwestern eine zu +unbekannte Sprachform, als daß sie Aufschlüsse geben könnten." + +Genug! Wenn auch nicht an derselben Stelle gelegen, wissen wir und +müssen das festhalten, daß die heutige Hauptstadt der Aegypter bei den +Alten Babylon (bei den lateinischen Schriftstellern Babylonia), bei den +ersten Arabern Fostât hieß und daß sie heute bei den Europäern mit den +verschiedenen Variationen Kairo, bei den Aegyptern selbst Masr genannt +wird. Die Namen Masr el-kahirah als Neustadt oder Masr el-attica als +Altstadt haben nur officiellen Sprachgebrauch erlangt. + +Man hat behaupten wollen, die Vorgängerin Kairo's, die Stadt Memphis, +sei günstiger gelegen gewesen, als die jetzige Hauptstadt Aegyptens. Ich +wüßte nicht, worauf man dieses Urtheil stützen wollte. Der natürlich +vortheilhafteste Platz wäre wohl an der Spitze des Delta's selbst +gewesen, aber die Entwicklung der Stadt selbst zeugt, daß man keineswegs +eine ungünstige Position zur Anlage einer Stadt gewählt habe. Es ist +heute freilich leicht zu sagen, die und die Stadt hat eine äußerst +günstige geographische Lage. In unserer Zeit der Eisenbahnen, der +Kunststraßen, der Kanäle &c. überläßt man sich gar zu leicht der +Ansicht, die natürliche Lage der Stadt habe das Blühen und Gedeihen +derselben verursacht, wenn es doch nichts Anderes war als eben jene +modernen Kunstmittel. + +Kairo liegt auf dem 30º 2' 4'' N.B. und auf dem 28º 58' 30'' O.L. von +Paris. Die Erhebung der Stadt über dem Meere beträgt durchschnittlich 13 +Meter; obschon einzelne Stadtteile höher sind, so liegt die +Hassan-Moschee 30 Meter höher, als der Spiegel des Mittelmeeres. + +Die mittlere Jahrestemperatur ist 23º C. Selten fällt im Winter der +Thermometer unter 10º und steigt nur während der Zeit der Chamsinwinde +auf über 40º. Während früher feuchter Niederschlag zu den Seltenheiten +gehörte, hat man die Beobachtung gemacht, daß jetzt mit jedem Jahre die +Regenfälle im Zunehmen begriffen sind; offenbar Folge der so sehr +vermehrten Baumpflanzungen in der Stadt selbst und in der nächsten +Umgebung derselben. Aber es liegen noch keine bestimmten Daten hierüber +vor und so heben wir eben nur die allgemeine Thatsache hervor. + +Obschon man wegen der immerhin bedeutenden Hitze nicht sagen kann, daß +Kairo ein angenehmes Klima habe, so kann man doch auch keineswegs +behaupten, es sei eine ungesunde Stadt. Im Sommer pflegen wegen der +unerträglichen Hitze die dort wohnenden Europäer, auch der Hof, die +ersten Würdenträger und reiche Eingeborene die Stadt zu meiden. Im +Winter hingegen ist sie Aufenthaltsort zahlreicher Reisender und noch +zahlreicherer Kranker, welche dort Herstellung ihrer Gesundheit zu +finden hoffen. Namentlich für Schwindsüchtige wird die Luft Kairo's und, +wie es scheint, mit Recht, empfohlen. Die sogenannte ägyptische +Augenkrankheit eine Entzündung der Schleimhaut, der Conjunctiva des +Auges, sowohl des Augapfels, als auch der Augenlider, welche ansteckend +und in Aegypten endemisch ist, eine seit Hippokrates Zeit bekannte +Krankheit, wurde durch die französische Invasion unter Napoleon I. und +durch die Engländer nach Europa gebracht; indeß befällt sie +erwiesenermaßen Europäer weniger, als die Eingeborenen und Letztere +werden besonders davon afficirt, weil sie nicht durch größte +Reinlichkeit die fortwährenden schädlichen Einwirkungen des Staubes, von +dem die Luft stets geschwängert ist, unwirksam machen. Und zwar wirkt +der Staub, der unmittelbar in den Straßen aufgewirbelt wird und aus den +kleinsten Partikeln zersetzter organischer Stoffe besteht, ebenso +schädlich, als der kaum sichtbare Staub der Samum-Winde. Woran die +Europäer am meisten leiden, das sind Krankheiten der Leber und der Milz, +letztere zum Theil hervorgerufen durch tertiäre Wechselfieber, und sind +erstere radical nur zu heilen durch Ortsveränderung, durch Rückkehr nach +Europa. Die Pest kommt seit Jahren nicht mehr in Kairo vor und die +Cholera eben auch nicht häufiger, als in Europa. + +Kairo ist eine unbefestigte Stadt, denn was die Kâsbah betrifft, welche +ursprünglich zur Verteidigung der Chalifenstadt diente, nebst hohen +Mauern, welche im Mittelalter die Stadt umfriedigten, so ist erstere +längst ihres Festungscharakters beraubt, letztere aber sind geschleift +und abgetragen worden, oder in Ruinen zerfallen. Jedoch zahlreiche +Mauern im Innern der Stadt, ehemals äußere Stadtmauern, zeugen von der +beständigen Umwandlung und Vergrößerung der Stadt, sowie die jetzige +äußere Mauer ebenfalls schon inmitten der Hauptstadt sich befindet. +Heute ist es kaum noch gestattet, von Masr el Kâhirah, von Masr el +Attika, von Bulak u.s.w. als unterschiedlichen Städten zu reden, +namentlich wird es ebenso falsch sein, zu sagen, Bulak sei als _Hafen_ +Kairo's von dieser _Stadt_ zu unterscheiden, sowie man Unrecht hätte, +Moabit nicht zu Berlin zu rechnen. Heute liegt in der That Kairo am Nil: +Bulak ist ein Stadttheil der Hauptstadt geworden. Höchstens darf man +jetzt noch den Unterschied zwischen _dem_ Stadttheile machen, der seinen +_morgenländischen_ Charakter bewahrt hat und dem, der ganz _europäisch_ +ist. + +Der erste Stadttheil, der sich an die Citadelle lehnt, welche selbst auf +einem der äußersten Ausläufer des Mokattam-Gebirges gelegen ist, den man +unter dem Namen Chalifenstadt begreifen kann, ist ein großes Labyrinth +krummer und enger Straßen, oft durch Ueberbauten dunkel und so +unscheinbar, daß man meinen sollte, man befände sich in einer Gasse des +Hauptortes der Oase des Jupiter Ammon. Hier kennt man kein Pflaster, +hier giebt es Abends keine Beleuchtung, geschweige denn von Gas zu +reden; zahlreiche Sackgassen nötigen den nicht Eingeweihten, stets auf +seine Schritte zurückzukommen, vom Eintritt eines bestimmten Platzes an +bis zu einer bestimmten Grenze wird der Fremde, passirt er Nachts diesen +Stadttheil, von einer klaffenden Meute hungriger Hunde verfolgt, welche +wild und herrenlos, wie sie sind, doch unter sich eine genaue +Besitzeintheilung hergestellt haben der Art, daß immer ein Theil eines +Quartiers oder einer Straße von einer Meute besetzt gehalten wird, die +auf's Eifrigste über die Unverletzlichkeit ihres Territoriums wacht. +Wehe dem Fremden, der Nachts ohne Stock durch eine von diesen wilden +Bestien bewachte Straße geht, namentlich wenn er ein Ungläubiger und in +europäischer Tracht ist; aber noch mehr wehe, wenn einer ihres Gleichen, +ein fremder Hund, sich unter sie verirren sollte, er ist unrettbar +verloren, gelingt es ihm nicht, auf sein eignes Gebiet zurückzuflüchten. + +Aber nicht immer haben wir enge und unscheinbare Gassen, in diesem +Ur-Kairo ist Alles Ueberraschung. Hier giebt es auch Moscheen von allen +Formen und allen Farben, einfache und prachtvolle, reich mit Arabesken +und Sculpturen geschmückte und solche, welche äußerlich nur eine nackte +Wand zeigen. Hier bemerkt man auch jene reich sculptirten Brunnen, +meistens fromme Stiftungen, welche bis vor Kurzem, wo das Trinkwasser in +Kairo so spärlich war, zu den größten Wohlthaten zählten, die ein +frommer Moslim seiner Vaterstadt vermachen konnte. Hier findet man auch +jene reizenden Muscharabiehen aus Holz geschnitzt, welche die Eifersucht +des gestrengen Haremgebieters erfand. Muscharabiehen sind Jalousien, +welche sich stark ausgebuchtet vor den Fenstern befinden. Sie sind auf's +Kunstvollste aus Holz geschnitzt, oft so fein und zierlich, daß es sich +von Weitem wie Filigran-Arbeit ausnimmt. Geheimnisvoll ragen sie im +Halbdunkel der Straßen aus den Häusern hervor; manchmal scheinen sie +sich bei den überhängenden Etagen der Häuser zu berühren. Dahinter +lauert die junge Frau des Hausherrn, verlangende Blicke wirft sie auf +das Leben zu ihren Füßen, sie hört es, sie sieht auch Alles, ohne selbst +bemerkt zu werden; glühend erröthet sie, wenn ein jugendlicher Frangi +vorübergeht, der ihr viel vorteilhafter dünkt, als jener alte, +weißbärtige Mann, dem sie gezwungen war, ihr Leben zu opfern. Da +erblickt sie gar in einer Carrosse dahersausend zwei hübsche +Christendamen, sie sind unverschleiert. Sie lächeln, sie freuen sich des +Lebens, während sie selbst, die Aermste, hinter ihrer Muscharabieh eine +Thräne im Auge zerdrückt und ihr freudenloses Leben beklagt! Aber was +ist das? Da biegt um die Ecke ein eleganter Phaëton, laut schreiend vor +ihm rufen die Läufer ihr ewiges "=Guarda, Guarda=" oder +=schemalak ia chodja, l'iminak=[53]. Darin sitzen im Wagen zwei +reizende Moslemata[54], kaum verschleiert die dünne Tüllspitze ihr +fröhlich lächelndes Gesicht; sie scheinen aber auch gar keine Lust zu +haben, ihr Antlitz verbergen zu wollen, im Gegentheil, man sieht, daß +sie nur scheinbar diesen Zwang mitmachen. Es sind Prinzessinnen, Töchter +oder Nichten des Chedive; ahnungsvoll zieht sich unsere Schöne aus +ihrer Muscharabieh zurück; ein dunkles Gefühl sagt ihr, daß auch für +ihres Gleichen bald die Stunde der Befreiung schlagen wird. + +Hier finden wir auch jene großen Bazarstraßen, wo die Produkte der drei +Erdtheile sich einander begegnen und wo in immer geschäftiger Weise +während des ganzen Tages das regste Leben und Treiben herrscht und +Groß-und Kleinhandel getrieben wird. Von einigen dieser Bazars soll +später noch die Rede sein. + +Der andere Stadttheil, ganz neu und vorzugsweise eine Schöpfung des +jetzigen Chedive, daher auch Ismaelia genannt, mit seinen seenartigen +Gärten, seinen breiten wohlgepflasterten und täglich besprengten +Straßen, seinen Palästen und Theatern, seinen Gascandelabern und +prachtvollen Läden ist vollkommen europäisch. Dies moderne Kairo, +welches heute schon von den Fluthen des Nils berührt wird, steht in +Nichts den schönsten Städten Europas nach. Was luxuriöse Ausstattung der +Gebäude und ihrer Fanden anbetrifft, so können sich die der ägyptischen +Hauptstadt ganz messen mit denen am Ring in Wien oder denen der +Boulevards von Paris. + +Mit Recht sagt Levernay (=guide annuaire d'Égypte 1873 p. 254=): +Hier ist die Vereinigung des Orients mit dem Occident, hier ist das +Symbol der religiösen Freiheit; hier ist das Bündniß der Handelsfreiheit +(?)[55] und der Völkergemeinschaft; findet man nicht in dieser Stadt +zusammenlebend den flachshaarigen Scandinavier an der Seite des +wollhaarigen Furer, den fanatischen Magrebiner von der Küste des +atlantischen Oceans an der Seite des gelbhäutigen Indiers oder den +südlichen Araber mit kaffeebrauner Haut an der Seite des +halbeuropäischen Türken? Und dazwischen Tartaren, Perser, Turkomannen, +Kurden und Chinesen. Ja, hier sieht man Hand in Hand gehend den +gelehrtesten Professor aus der Hauptstadt der Denker mit dem von Steppe +zu Steppe vagabondirenden Nomaden, welcher, ohne Gesetze lebend, nur +seinem eigenen Willen folgt. Ja, es ist ein eigenthümliches Leben in +Kairo und glücklich Der, welcher Empfängnis hat für die Sitten fremder +Völker oder der gar die Gabe besitzt, dem Gedankengange der Eingeborenen +momentan folgen zu können. Hier an der ältesten Wiege menschlicher +Cultur reichen sich Tag für Tag Asiaten, Europäer und Afrikaner die +Hand, und wie schon zu verschiedenen Malen von hier aus die menschliche +Entwickelung zu ihren jeweiligen höchstem Triumphen gelangte, so scheint +auch jetzt ein neues Leben, ein neues gewaltiges Ringen zum +Vorwärtskommen erwacht zu sein. + +Die Zahl der Bevölkerung von Kairo dürfte man auf circa 400,000 Seelen +für das Jahr 1875 beziffern. Genaue statistische Erhebungen sind in +mohammedanischen Städten zur Zeit noch nicht auszuführen. Denn selbst +wenn eine amtliche Zählung vorgenommen wird, so stößt diese immer auf +unüberwindliche Hindernisse wegen der Haremverhältnisse und der +weiblichen Sclaven. + +Von diesen 400,000 Einwohnern dürften incl. 800 Perser etwa 20,000 +Europäer sein. Aber man denke nicht, daß etwa die 380,000 verbleibenden +Menschen alle einer Nationalität angehören. Da sind die verschiedensten +schwarzen Stämme, da sind Syrier, ächte Araber, seit Jahrhunderten in +Aegypten lebende Araber, Inder, Chinesen, endlich Fellahin und Kopten +und eine große Anzahl von Türken. Alle diese stellt man, obschon sie es +keineswegs sind, als "Eingeborene" oder "Rechtgläubige" den fremden +Europäern gegenüber. Daß man die Perser ebenfalls als besondere +Nationalität trennt, verdanken sie dem Umstande, weil sie in Aegypten +besondere Consuln haben. + +Man zählte im Jahre 1873 in Kairo 4200 Griechen, 7000 Italiener, 4000 +Franzosen, 1600 Engländer, 1200 Oestreicher und Ungarn, 800 Deutsche, +500 Perser, 120 Spanier, 50 Russen, 25 Belgier, 9 Brasilianer, 5 +Portugiesen, 2 Schweden und 1 Nordamerikaner. Was die letzte Zahl +anbetrifft, so scheint sie uns nicht richtig zu sein, da allein in der +chedivischen Armee an hundert nordamerikanische Officiere dienen, von +denen wir bei den eigenen Verhältnissen in Aegypten kaum glauben können, +daß sie ihre Nationalität aufgegeben haben. Wenn wir überhaupt zu diesen +Zahlen größere Zuversicht haben dürfen, weil sie eben auf amtliche +Ermittelung der bezüglichen Consulate fußen, so sind sie doch auch noch +fern davon, eine so absolute Sicherheit zu gewähren, wie wir gewohnt +sind, von unseren amtlichen, statistischen Erhebungen zu erwarten. + +Kairo hat wenigstens 300 Moscheen, wenn man alle kleinen Kapellen und +Bethäuser mitrechnet, also ein Gotteshaus auf circa 1200 Individuen; +denn von den 400,000 Einwohnern sind, wenn wir die Kopten mitrechnen, +wenigstens 50,000 Christen. Diese letzteren haben 44 Kirchen, was +ohngefähr dasselbe Verhältniß ergiebt, und rechnet man in Kairo 7000 +Juden und für dieselben 13 Synagogen, so erhält man das Resultat, daß +diese am günstigsten daran sind, denn es beziffert sich für sie die Zahl +der zu einem Tempel Gehörigen auf einige mehr als 500. + +In der Hauptstadt des Chedive herrscht natürlich die vollste religiöse +Freiheit, aber erst seit einigen Jahren. Wie aber Alles, was maßlos ist, +zu Unzuträglichkeiten führt, so auch diese vollkommene religiöse +Freiheit. Es offenbart sich dies am meisten bei jenen großen +mohammedanischen Prozessionen, welche oft stundenlang den Verkehr auf +den Straßen hemmen. Die Zeiten sind allerdings längst vorüber, wo ein +Andersdenkender beim Zuschauen einer solchen mohammedanischen Prozession +sein Leben gefährdet sah, und da die Muselmanen ja überhaupt nicht die +Sitte des Hutabnehmens haben, so ist vom "Huteintreiben" oder +"Hutabschlagen", wie das in unseren toleranten und civilisirten Ländern +vorkommt, nie die Rede. + +Unerwähnt darf man auch nicht lassen, daß dies die einzigen +Ausschreitungen sind, welche sich der Cult dem staatlichen Gemeinwesen +gegenüber erlaubt, denn nicht würde der unbestraft bleiben, wäre er ein +auch noch so hoher Geistlicher, der sich dem Staats-Gesetze widersetzen +wollte. + +Ueberhaupt lebt man in keinem Lande der Welt so sicher als in Aegypten +und speciell in Kairo. Es ist wahr, daß auch hier manchmal große +Diebstähle verübt werden, und ich erinnere nur an den berühmten +Diamantendiebstahl Ende des Jahres 1874; aber er wurde in dem +europäischen Viertel und von Europäern vollzogen. Von Mordtaten, +Raubanfällen und größeren Verbrechen hört man fast nie. + +Wenden wir uns zu einzelnen großen Bauten und Anlagen, so zieht vor +allen im alten Stadttheile die Citadelle unsere Aufmerksamkeit auf sich. +Schon von Weitem, wenn man mit der Bahn sich nähert, sieht man die hohe +Kuppel und die eleganten schlanken Minarets der Moschee des Mohammed +Ali, welche die Citadelle als krönendes Werk überragt. Denn die +Citadelle ist keineswegs _eine_ Baute, sondern besteht aus verschiedenen +fortifikatorischen Gebäuden, aus Palästen, Kasernen und kleineren +Gebäuden. Aber der aus Alabaster errichtete Dom, unter dem die Gebeine +des großen Begründers der beutigen Dynastie ruhen, mit seinen imposanten +Formen, in seiner dominirenden Lage, ist doch das Gebäude, welches den +Fremden am meisten fesselt. + +Hier auf der Citadelle ist auch der berühmte Brunnen in den Fels +hinabgehauen; er ist fast 100 Meter tief und so breit, daß man bis zur +Quelle mittelst Stufen hinabsteigen kann. Er heißt Josephs-Brunnen, hat +aber nichts mit dem biblischen Joseph gemein, sondern wurde von Joseph +ben Agub oder Saladin, dem ersten aglubitischen Sultan, erbaut, damit im +Falle einer Belagerung die Citadelle nicht des Wassers ermangele. +Mittelst zweier Schöpfräder (=Norias oder Sakias=) wird das Wasser +an die Oberfläche gehoben. Der Anblick von der Plattform der Citadelle +auf die große Stadt zu ihren Füßen, auf Bulak, Rodha und den gewaltigen +Nil, auf die Pyramiden und im Hintergrunde die mit dem Himmel +verschwimmende Sahara gehört zu dem Großartigsten, was man sich denken +kann; die kühnste Phantasie findet hier ihre Befriedigung. Und wenn man +das Glück hat, bei der Betrachtung dieses Bildes die über dem +Mokattam-Gebirge heraufsteigende Sonne als Frühbeleuchtung zu haben, so +spottet das Ganze jeder Beschreibung, und selbst der eingebildetste +Pedant, der nörgelndste Philister wird von der Großartigkeit dieses +Panoramas überwältigt werden. + +Von den übrigen Moscheen nennen wir zuerst die des Amru, die älteste, +ungefähr um 640 errichtete, aber von ihrer ehemaligen Pracht ist wenig +mehr übrig. Bei allen mohammedanischen Gotteshäusern, wie auch bei ihren +Profanbauten kann man die Bemerkung machen, daß die Mohammedaner mit +großer Vorliebe Bauten unternehmen, aber nie daran denken, ihre Bauten +zu _erhalten_. Die Amru-Moschee ist ein Rechteck von 120 Meter zu 75 +Meter. Der Säulenwald an der Ostseite des Hofes aus 21 Säulenreihen, in +jeder Reihe 6 Säulen, ist imposant. + +Interessant für die Geschichte der Architektur ist die im Jahre 877 von +Ahmed ebn Tulun erbaute Moschee, 80 M. lang aus 76 M. Breite. Man findet +schon ogivische Bogen in Anwendung und außerdem die Wände mit Kusischen +Legenden geschmückt. Nach arabischen Inschriften soll der das Gebäude +umgebende Karnies aus zusammengestampftem Amber gemacht gewesen sein, um +den Eintretenden Wohlgerüche zuzuführen. Jetzt ist nichts mehr davon zu +bemerken und auch diese Moschee zeigt Verfall. + +Die große und glänzende el Asar-Moschee ist insofern von Wichtigkeit, +als mit ihr die Hochschule verknüpft ist, die bedeutendste der ganzen +mohammedanischen Welt. Fast 10,000 Studenten folgen hier dem Unterrichte +von über 300 Professoren. Es wird aber fast nichts, als Religion gelehrt +und besonders sind es die vier rechtgläubigen Riten, die Hambaliten, +Schaffeïten, Hanesiten und Malekiten, welche hier ihre Vorlesungen +halten. Schaffeïten und Malekiten haben die meisten Zuhörer: erstere +über 4500, letztere 3700. Die Hanesiten, wozu sich alle Türken rechnen, +haben ca. 1000, die Hambaliten nur ca. 50 Studenten. Alle diese Schüler +haben freien Unterricht und freie Kost nebst Bekleidung, ebenso sind +auch die Professoren vom Staate besoldet. Außer Religion wird etwas +Poesie, Grammatik und Gesetzgebung, letztere natürlich auf Koran und +Sunnah basirt, getrieben. Mit dieser Moschee ist verbunden ein großes +Blinden-Hospital, eine Sauya für Pilger, deren Asylrecht heute aber im +Strome der Civilisation untergegangen ist. + +Eine merkwürdige Universität, wo man weiter nichts treibt, als religiöse +Forschungen, über nichts Anderes nachdenkt, als über Dinge, die +außerhalb dem Bereiche des Wirklichen liegen und deren Resultate deshalb +für das Land, für die Menschheit von gar keinem Nutzen sind. + +Die Moschee, welche am meisten die Bewunderung der Europäer auf sich +zieht, die Hassan-Moschee, hat mich immer ziemlich kalt gelassen. Zum +Theil kommt das wohl daher, daß ich nie Vorliebe für jenen _unmöglichen_ +Stalactitenbau habe gewinnen können, zum Theil, daß einen die Quadern zu +sehr an die Bauten der alten Aegypter erinnern. Solche Vandalen, die +nicht die Energie besitzen, zu einem so großartigen Gebäude eigenes +Material zu nehmen, sondern andere Bauten _zerstören_, um sie zu den +ihrigen zu benutzen, soll man die wohl achten? Und sieht man nun gar, +wie die famosen Stalactiten-Nischen in der Hassan-Moschee nicht aus +Stucco oder Stein bestehen, sondern elende Holznachbildung sind, so +schwindet vollends alle Sympathie. Die Moschee wurde 1356 vom Sultan +Hassan erbaut. Das danebenstehende Minaret hat 80 Meter Höhe; fügt man +die Höhe des Bodens, auf dem die Moschee erbaut ist--30 Meter--hinzu, so +hat man die Höhe von Assuan. + +Ich übergehe die übrigen Moscheen, welche alle, wie z.B. die von Kalaum +auch el Barkuk genannt, oder die von Sitti Seinab oder die der Hassanein +oder die von el Moged für diejenigen, welche sich für +ägyptisch-mohammedanische Architektur interessieren, sehenswerth sind, +deren Besuch man sich aber sonst ersparen kann. + +In der Stadt selbst hat der Chedive merkwürdiger Weise keinen einzigen +Palast, der von Außen irgendwie Anspruch auf architektonische Schönheit +machen könnte. + +Wie alle gouvernementalen Gebäude ist seine dermalige Wohnung ein +äußerst fensterreiches Gebäude, _ganz ohne Styl_. Inwendig lassen diese +chedivischen Paläste allerdings nichts zu wünschen übrig, weder an +Eleganz noch an Pracht, noch auch an Geschmack der Decoration oder an +zweckmäßiger Raumvertheilung. + +Die neue Börse, die Bibliothek, die Wohnungen der ersten Beamten +zeichnen sich durch nichts Besonderes aus. Was die Bibliothek +anbetrifft, so besitzt dieselbe ca. 30,000 arabische Bände, fast nur +Handschriften, darunter viele äußerst kostbare. Da sieht man vor allen +anderen jene Bücher von außerordentlicher Größe, deren Buchstaben von +Gold mit so großer Regelmäßigkeit gemalt erscheinen, daß man meinen +sollte, sie seien gedruckt. Natürlich ist der Inhalt weiter nichts als +der Text des Koran. + +Will man schöne Gebäude modernsten Styls, villenartig gebaut, von +reizenden Gärten umgeben sehen, so wandere man durch den neuen +Stadttheil. Hier liegt auch die schmucke deutsche protestantische +Kirche, hier hat der Minister der Justiz, jetzt Scherif Pascha, sein von +feenhaften Gärten umgebenes Palais. + +Was die Theatergebäude betrifft, so läßt sich bezüglich der Bauten +selbst nichts sagen, als daß es provisorische Gebäude sind, bestimmt, +mit der Zeit anderen monumentalen Platz zu machen. Was aber innere +Ausstattung, Inscenirung, Personal und Leitung betrifft, so stehen +sowohl die chedivische italienische Oper, als auch das französische +Schauspiel unseren ersten und besten Bühnen würdig zur Seite. Hierüber +herrscht nur eine Stimme. + +Den größten Zauber und Reiz besitzt Neu-Kairo heute in jenem +Esbekieh-Garten, mitten in der Stadt gelegen, den ich selbst noch bis +zum Jahre 1868 als einen großen pfützenreichen Platz von hohen Sykomoren +beschattet gekannt habe. Umfriedigt von Prachtbauten, ähnlich wie die +der Rue Rivoli zu Paris, ist der harten von einem hohen eisernen Gitter +umgeben. Zahlreiche Thore, deren Eingänge mit Selbstzählern versehen +sind, geben Einlaß. Bei dem sonderbaren Hange der Orientalen, stunden-, +ja tagelang faulenzend auf irgend einem einladenden Platze sich dem +=Dolce far niente= hinzugeben, war die Vorschrift, ein +unbedeutendes Entrée zu erheben, unerläßlich, denn nur durch eine solche +Maßregel konnte der prächtige Park rein gehalten werden von jenem +ungemein stark in Kairo vertretenen Contingent, das seine Sache auf +nichts gestellt hat und höchstens vom bequemsten Betteln lebt und +sicherlich mit angeborener Frechheit die schönsten und anziehendsten +Punkte des großen Gartens in Besitz genommen haben würde. + +Es ist wunderbar, wenn man die Beschreibungen früherer Reisender +durchgeht und liest, was die Esbekieh _war_ und nun staunt, was sie +jetzt ist. + +Die ganze Esbekieh-Anlage von achteckiger Form mit einem Umfange von 940 +Meter nimmt ein Areal von ca. 82,500 Quadratmetern ein. Die Länge der +Wege beträgt 2 Kilometer 300 Meter. Das Flüßchen und die von ihm +gebildeten Teiche, Alles durch Kunst geschaffen, bedecken eine +Oberfläche von fast 5000 Quadratmeter. Die Teiche sind 2 Meter tief. + +Außer den kostbarsten Gewächsen aller Länder und Zonen, welche trotz des +kurzen Zeitraumes ihres jetzigen Bestandes dort seit 20 Jahren gegrünt +zu haben scheinen, findet der Spaziergänger in diesem Garten Alles +vereint, was nur das Leben angenehm macht. Da sind reizende Buden, wo +Liqueure, Eis und Scherbets verkauft werden. Hier ist eine Bierhalle, wo +das beste Drehersche oder Münchener Bier in Eis dem durstigen +Nordländer Labung bietet, Kaffeehäuser mit reizenden Kiosken gut +eingerichtete Restaurationen, ein kleines Theater-Concert, ein +arabisches Kaffeehaus, Schaukeln, Carroussels, verschiedene andere +Kioske und Sammelplätze, endlich =last not least= eine Grotte[56] +aus Tuffsteinen, die ganz und gar auf's Treueste die Natur nachahmt und +aus der das Wasser in Cascaden hervorsprudelt, welches die See'n und den +Bach speist. + +Diese Grotte ist von einem künstlich aufgebauten Pic überragt, aus +großen Tropfsteinblöcken und Steinen errichtet. Man gelangt hinauf +mittelst eines schattigen Weges oder auch auf äußeren und inneren +Pfaden, die man durch den künstlich geschaffenen Fels gearbeitet hat. +Ans der obersten Spitze hat man ein Belvedere angebracht, von wo aus man +nicht nur den ganzen Garten übersehen kann, sondern von dem aus auch das +ganze Panorama von Kairo zu den Füßen des entzückten Beschauers +liegt.--Die Eisenarbeiten sind alle in Paris gefertigt. + +Der Esbekieh-Garten bedarf zur Speisung seiner Springbrunnen, zum +Besprengen der Wege, zum Unterhalten der Teiche eines täglichen +Wasserquantums von 800 Kubikmeter; die Erleuchtung bei Abend, welche +feenhaft ist, wird durch 106 Candelaber bewerkstelligt; alle diese +Candelaber haben Blumenform, 5 Zweige mit je 5 Tulpen, so daß im Ganzen +allabendlich 2500 Flammen brennen. Dazu spielt jeden Tag, sobald die +Sonne sich unter den Horizont senkt, ein ausgezeichnetes +Militärorchester europäische Symphonien und Stücke, auch wohl arabische +Weisen, welch' letztere ungemein an Wagner'sche Compositionen erinnern. + +Leider ist der Esbekieh-Garten lange nicht so besucht, wie er es +verdiente, es ist eine für Kairo zu vornehme Anstalt; nicht etwa, weil +das niedrige Entrée von den Besuchern als unerschwinglich bezeichnet +würde; es sind auch die Genüsse innerhalb desselben dem Publicum zu +theuer. Dazu kommt, daß das vornehme europäische Publicum, an der Spitze +die Vertreter der europäischen Länder, blasirt, das vornehme +mohammedanische apathisch und unempfänglich für solche Genüsse sich +verhält, der gewöhnliche Mittelstand der Eingeborenen aber in diesem +Entrée gleich eine Steuer des Chedive wittert und der gemeine +europäische Mann lieber in den übrigen Vergnügungslocalen Kairo's seine +Unterhaltung sucht. + +Diese sind keineswegs in geringer Anzahl vorhanden. Der Deutsche findet +in zahllosen Bierhäusern längs der Esbekieh nicht nur Drehersches, +sondern auch bairisches Bier und zwar wohlgekühlt in Eis; der Franzose +findet überall seine Café's; der Italiener findet in den Conditoreien +und auf der Straße seine Sorbetti und in zahlreichen Restaurants kann +der Engländer, von Engländern bedient, sein Beefsteak und sein Glas +"=half and half=" trinken. Nur der russische Traktir fehlt noch, +aber wie lange wird es dauern und irgend ein speculativer Kopf erbaut +ein solches mit einer mächtigen Orgel versehen an der Seite einer Fonda, +wo man =Polenta= und =Olla potrida= verkauft. + +Denn wenn man Abends durch die auf's Glänzendste von Gas beleuchteten +Straßen geht und hört, wie einem allerorts Musik entgegenschallt, hier +des Italieners "=o che la morte honora=" oder "=madre in felice +corro a salvarti=" dort des Deutschen "Wacht am Rhein"; hier des +Franzosen "=partant pour la Syrie=" dort des Engländers "=god +save the queen=", wenn man sieht, daß alle diese Musikbanden aus +nationalen Kräften bestehen (Kaffee- und Weinhäuser mit deutschen und +deutsch-böhmischen Musikbanden, Sängern und Sängerinnen giebt es ein +Dutzend in Kairo), so sollte man nicht glauben, in der Stadt zu sein, +welche noch bis vor wenigen Jahren als das ächteste Bild einer +orientalischen Stadt hingestellt wurde. + +Und geht man gar in die elegant eingerichteten Spielsalons, wo hier eine +Roulette, dort König Pharao den Gästen das Geld aus der Tasche lockt und +die meistens als Aushängeschild die elegantesten =Cafés chantants= +oder auch kleine Theater mit Ballerinen zeigen, so sollte man nicht +meinen, daß man nur einige Stunden weit von den Pyramiden des Cheops und +des Cephren sich befände. + +Aber trotz dieses modernen Kairo ist noch ein gut Stück Alt-Kairo, d.h. +orientalischer Stadt übrig. Jedoch verschwindet es allmälig schneller +und schneller, und vielleicht schon nach einem Menschenalter wird jene +alte orientalische Stadt, jene Stadt mit den maurischen Hufeisenbauten, +mit den schlanken Minarets, mit den engen überdachten Gassen und ihren +noch engeren Kaufläden--sie wird verschwunden sein, und finden können +wir sie dann nur noch in den Büchern und Reiseberichten Derer, welche +sie zu der Zeit besuchten. Und um so spurloser wird das alte Kairo vom +Erdboden verschwinden, als die Wohnungen der Eingeborenen aus losem, +schlechtem Material errichtet und selbst die Moscheen und Paläste aus +Quadern erbaut sind, welche man von alten Monumentalbauten +zusammengeschleppt hat; sind doch jetzt schon _alle_ Moscheen und die +Mehrzahl der Paläste früherer Vicekönige halbe Ruinen. + +Wenn man aber sieht, mit welcher Rücksichtslosigkeit mitten durch die +Quartiere der Eingeborenen eine gerade breite Straße gezogen wird, wie +man weder die Medressen (Schulen) noch die Moscheen schont, wie man +Untiefen auffüllt, Hügel abträgt, dann muß man staunen ob der Energie +des Chedive. Aber "Gott soll ihn ewig mit den ungläubigen Christenhunden +brennen lassen!" murmelt der fromme Mohammedaner, der aus seinem Heim +vertrieben wird, welches seine Vorfahren inne gehabt hatten und wo er +selbst schon seit Jahren wohnte. Aber er "murmelt" es nur, offen es +auszusprechen, wagt er nicht. Ja er preist sich glücklich, wenn die +chedivische Regierung ihm _umsonst_ ein Stück Land anweist in einem ganz +anderen Viertel der Stadt, mit der Erlaubnis, ein Haus zu bauen nach +europäischem Style. + +So vollziehen sich die Expropriationen in Aegypten und speciell in +Kairo. Von Entschädigungen ist nirgends eine Rede. Sobald der Chedive +beschlossen hat, eine Straße durch den orientalischen Stadttheil zu +legen, wie er sich solche auf dem Plane der Stadt vorzeichnet, erhalten +die betreffenden Anwohner des Viertels Befehl, innerhalb einiger Tage +ihre Immobilien zu räumen. Von Entschädigung wird nicht gesprochen; nur +wenn europäische Unterthanen von einer solchen Maßregel betroffen +werden, dann bekommen sie vollen Ersatz für ihr genommenes +Grundeigentum. + +Die Straße, welche früher als Glanzpunkt des europäischen Lebens galt, +die Muski, ist heute entthront; zwar findet man immer noch elegante +Läden, aber elegantere giebt es in der Ismaelia (der neue Stadttheil von +Kairo) und die Straße ist viel zu eng, als daß sie jemals ihren Rang +wieder einnehmen könnte, nämlich die "Unter den Linden" Kairo's zu sein. +Dazu kommt noch, daß man aus Utilitätsrücksichten geglaubt hat, davon +abstehen zu müssen, sie mit Pflasterung zu versehen. Aber die Muski ist +noch immer das Herz von Kairo, hier pulsirt das größte Leben, welches in +seinem Dahinfluthen Aehnliches zeigt mit den Wogen des Strand von +London. Hier ist auch die Vermittelungsstraße vom modernen europäischen +zum alten orientalischen Kairo. + +Wandern wir rasch durch die verschiedenen orientalischen Quartiere, +durch die Bazars, ehe sie für immer verschwinden, um einer modernen +"=Avenue=" oder einem "=Boulevard=" Platz zu machen. + +Da ist der Khan el Khalil im Gammeliah-Quartier; der Name rührt daher, +weil hier die Kamele (Gammel, Gemmel oder Djemel) ihre Waaren aufnehmen +und abladen. Hier sind alle orientalischen Artikel zu haben. An +endlosen, nicht sehr breiten überdachten Straßen hocken in engen +Verkaufsläden die Eigentümer. Die Läden sind meistens so eng, daß Alles +und Jedes im Bereiche des Hockenden ist. Hier finden wir alle Requisiten +des orientalischen Rauchers. Hier sieht man jene reichen Teppiche aus +Persien oder Damask, elegante orientalische Stoffe, Elfenbein und +Straußenfedern und im Allgemeinen alle Artikel aus dem Sudan und Asien; +reich eingelegte Waffen, Schmucksachen, unverarbeitete Edelsteine, Vasen +etc. Die Hauptmarkttage von Khan el Khalil sind Montags und Donnerstags. + +Diese große Markthalle, wo fast ausschließlich eingeborene Kaufleute +ihre Buden haben, wo aber manches europäische Haus mit großen Summen +betheiligt ist, hat natürlich an allen Ecken und Enden feste und +"fliegende" Café's. Erstere sind solche, wo der Kauadji eine größere +oder kleinere Räumlichkeit besitzt, welche von seinen Gästen besucht +wird, in denen man mitunter auch Musik findet. Letztere bestehen auf der +Straße selbst einfach aus einem kleinen Kochapparat, wo Kaffee bereitet +wird, den der Cafétier seinen bestimmten Kunden zuträgt. Jeder +Budenbesitzer schlürft mehrere Male des Tages seinen Mokka, und da +größere Käufe, welche natürlich längere Zeit in Anspruch nehmen, nur mit +einer Tasse Kaffee in der Hand abgemacht werden, so haben solche +fliegende Cafetiers auch eine ganz gute Kundschaft. + +Hier findet man vereinzelt auch jene Haschisch-Buden, d.h. Kaffeehäuser, +wo neben dem Tabaksrauchapparat, der in Narghileh, Tschibuck und +Cigaretten besteht, vorzugsweise Haschisch geraucht und gegessen wird. + +Gehen wir weiter, so kommen wir zum Hamsani-Bazar, wo man hauptsächlich +Parfümerien, Papier, Porzellan, Krystallsachen, Kattunstoffe, Kramwaaren +und Arzneien kaufen kann. Erstere, die Parfümerien, sind bei den +Orientalen ein stark begehrter Gegenstand. Im Allgemeinen haben sie auch +Vorliebe für dieselben Wohlgerüche, wie wir Europäer, aber bei +einzelnen, welche bei uns die seine Gesellschaft schon zu "=mauvais +odeur=" rechnet und welcher sich bei uns nur der =demi monde= +bedient, nämlich Moschus und Patschuli--diese erklärt der Orientale als +den Inbegrif des Vollkommensten, was man dem Geruchsorgan bieten könne. + +Auch in vergangenen Jahrhunderten war dies so, die Liebhaberei für +derartige Düfte ist nicht neu. Als Beweis führe ich Leo[57] an, der in +seiner Beschreibung "von der sehr großen und bewunderungswürdigen Stadt +Kairo" sagt: "Auf einer anderen Seite (er hatte soeben das auch zu +seiner Zeit so heißende Can el Halili beschrieben) der erwähnten Straße +ist eine Gegend für Diejenigen, die mit Räucherwerken, z.B. Zibeth, +Moschus, Ambra und Benzoin handeln; diese Wohlgerüche sind in solcher +Menge vorhanden, daß wenn Jemand 25 Pfund verlangt, man ihm wohl 100 +Pfund zeigen kann." + +Hieran reihen sich noch andere Bazars, der von Gurich, wo hauptsächlich +Seidenstoffe, Wollfabrikate und Tuche verkauft werden; ein eigener +Zuckerbazar fehlt auch nicht und auch ein Waffenbazar dicht bei der +berühmten Hassan-Moschee existirt noch immer. Man findet hier +europäische und ägyptische Waffen, das Material indeß, die Klingen, +Läufe und Schlösser kommen vom Abendlande, nur die Zusammensetzung und +die Ausbesserungen werden hier vorgenommen. + +Der Waffenmarkt hat übrigens bedeutend abgenommen, seitdem das +Faustrecht in Aegypten aufgehört hat, an der Tagesordnung zu sein. +Jeder Eingeborene sucht allerdings auch heute noch seinen Stolz darin, +dermaleinst eine Flinte zu besitzen, um der Jagd, die ja in Aegypten +frei ist, fröhnen zu können; aber eine _Notwendigkeit_, eine Waffe zu +haben und zu tragen, wie das früher der Fall war, namentlich vor +Mohammed-Alis Zeiten, die liegt heute nicht mehr vor. + +Wenn nun auch Kairo nicht die erste Handelsstadt des Pharaonenreiches +ist, das ist heute Alexandrien, so ist der Warenumsatz und geschäftliche +Verkehr doch immerhin ein bedeutender und durchaus der Einwohnerzahl +Kairos gemäß. + +Der Haupthandel, namentlich der Engros-Handel, befindet sich in den +Händen der Griechen, nach ihnen kommen die Engländer, Italiener, +Franzosen und Deutschen; aber der größte Kaufmann, der, welcher allein +mehr Geschäfte macht, als alle Eingeborenen und Ausländer +zusammengenommen, das ist der Chedive. Noch größer, denn als Regent, +zeigt sich Ismael als Geschäftsmann. + +Die kaufmännischen Geschäfte werden zwischen den Eingeborenen und +europäischen Handelsleuten mittelst Makler (arab. =samsar=, +italienisch =sensale=) abgemacht. Meist wird der Verkauf mittelst +Credit abgeschlossen, selten gleich baare Zahlung geleistet. Gewöhnlich +sind die Eingeborenen die pünktlichsten Zahler, obschon sie es auch an +der knauserigsten Feilscherei nicht fehlen lassen und um einen Para mehr +oder weniger Himmel und Hölle in Bewegung setzen möchten. + +Unter den Ausfuhrartikeln, welche stets in Kairo lagern, nennen wir als +wichtig: Gummi, Elfenbein, Sennesblätter, Datteln, Weihrauch, +Perlmutter, sogenannter Mokkakaffee, der aber zum größten Theil aus den +Landstrichen südlich von Abessynien kommt, Straußenfedern, Felle, Opium, +Schildpatt, Tamarinden, Wachs, Knochen, Hörner, Lumpen. + +In industrieller Beziehung steht die Fabrikation von halbseidenen +Stoffen oben an. Es giebt in Kairo augenblicklich 500 Webestühle, welche +jenen unter dem Namen Kutnieh oder Alagieh bekannten halbseidenen Stoff +fabriciren. Ferner ist die Zahl der Indigofärbereien nicht unbedeutend; +fast alle Kattunstoffe werden ungefärbt importirt, aber die Eingeborenen +tragen sie nur indigogefärbt. + +Auch die Gerbereien werden =en gros= betrieben. Die Bewohner von +Kairo verstehen ebenso gut das Leder zu gerben und zuzubereiten, wie die +von Cordova, von Marokko oder Saffi, von welchen Städten die feinen +Leder ihre speciellen Namen als Corduan, Maroccain oder Saffian erhalten +haben. Auch Posamentirarbeiten, Mattenflechterei und Korbmacherei +erfreut sich in der Hauptstadt eines großen Aufschwunges. + +Wollstoffe, grobe Leinwand, welche vorzüglich in Fayum gewebt wird, +haben in Kairo ihren hauptsächlichsten Umsatz für das ganze Land. In +Bulak giebt es eine Papierfabrik, eine Kanonengießerei und eine +bedeutende Schiffswerft. Bulak muß jetzt überhaupt schon als ein +integrirender Stadttheil Kairo's betrachtet werden, und da wollen wir +nicht unerwähnt lassen, daß das Sehenswertheste in diesem Stadttheile +das von Herrn _Mariette_ gegründete ägyptologische Museum ist. + +Auch ein Irrenhaus, ein Bagno für weibliche Verbrecher, eine Kunst- und +Gewerbeschule, das Arsenal, eine arabische und persische Druckerei +befinden sich in Bulak. + +Und =vis-à-vis= von Bulak ist die Perle des Nils, der Palast und +Garten von Gesirah. Wer je einmal die Wundermärchen von "Tausend und +Eine Nacht" gelesen hat, der glaubt, daß hier diese Zaubereien +Wirklichkeit geworden sind. Der Palast selbst erinnert an das +Meisterstück der Alhambra, den Löwenhof. Der Garten aber übertrifft an +Ueppigkeit der Pflanzen, an prachtvollen Anlagen, an seltenen exotischen +Gewächsen selbst noch den der Esbekieh inmitten der Hauptstadt. + +Die Grasplätze, Stauden und Blumen, die Statuetten, Grotten, +Felspartien, Bäche, Brücken, Candelaber, Springbrunnen &c., alles dies +belebt von Thieren aller Art und Größe, machen diesen Garten zu einer +Zauberei eigner Art. Namentlich Abends und Nachts, wenn einer jener +officiellen chedivischen Bälle abgehalten wird, glaubt man beim Lichte +jener 1000 Gasflammen der Wirklichkeit entrückt zu sein. + +In der Mitte des Gartens ist jener herrliche Salamlik, ein Sommerpalast +des Chedive, von einem Walde von Säulen getragen. + +Eine Zierde dieses Wundergartens wird das Aquarium sein, welches von +eben jenem fähigen Baumeister errichtet wird, Herrn _Combay_, welcher +die prachtvolle Grotte im Esbekieh-Garten erbaut hat. Dasselbe erhält +eine Grundfläche von 4800 Quadratmetern und besteht aus zwei Etagen. Die +Idee ist ebenso großartig, wie kühn. Die prächtig nachgebildeten +Stalaktiten, welche vom Gewölbe herab sich in die Grotten senken, die +Korallen und Seegewächse, welche vom Boden aufsteigen, wirken wunderbar, +und hier auf der Grenze zweier Meere, des rothen und des +mittelländischen, inmitten eines der mächtigsten Ströme der Erde werden +wir bald ein Aquarium besitzen, wie kein zweites auf der Welt, welches +jedenfalls an Reichhaltigkeit lebender Bewohner von Salz- und Süßwasser +selbst die Aquarien von Brighton und Neapel aus dem Felde schlagen wird. + +Wie Bulak heute nur ein Theil Kairo's ist, so ist Masr el Attikah +(Alt-Kairo, früher officiell so unterschieden als abgetrennte Stadt vom +eigentlichen Masr, während wir im Verlaufe dieser Abhandlung mit +Alt-Kairo das bezeichnen, was orientalisch ist, und Neu-Kairo das +nennen, was neu ist, also vorzüglich den Stadttheil Ismaelia) es +ebenfalls. + +Geht man von der Esbekieh aus über den Abdin-Platz bei der Sitti Seinab +vorbei, so befindet man sich angesichts des protestantischen und +katholischen Kirchhofs und angesichts jenes Riesen-Aquaducts, den +Saladin herstellen ließ, um dadurch die Befestigungen der Citadelle zu +vervollständigen. Diese Wasserleitung ruht auf 289 Bogen und hat eine +Länge von etwas über 2 Quadrat-Meilen. Eine schattige Alle führt, sobald +man unter der Wasserleitung durch ist, nach Masr el Attikah. + +Von den 8 christlichen Kirchen, welche hier sind, ist für den Fremden +die am interessantesten, in welcher das Häuschen sich befindet, worin +nach der Legende die heilige Familie geweilt haben soll; sie gehört den +nichtunirten Griechen. + +Gegenüber liegt die Insel Rhoda, welche zwar nicht zur Stadt Kairo +gehört, aber wegen des hier befindlichen Nilmessers, Mekias von den +Eingeborenen[58] genannt, welcher sich ursprünglich in Memphis befand, +wird gewiß jeder Europäer, der als Reisender nach Aegypten kommt, zur +Insel hinüberfahren. + +Aber auch auf dieser Insel giebt es prächtige Paläste und Gärten, +namentlich der Palast von Ibrahim Pascha ist eines Besuches werth. Auf +dem südlichsten Ende der Insel befindet sich eine Pulvermühle. + +Masr el Attikah ist mit Bulak durch eine Reihe schöner Paläste, Villen +und Gärten verbunden. Das Palais von Soliman Pascha, unmittelbar am Nil +gelegen, der Khalig-Kanal, bei dem alljährlich die Festlichkeiten +stattfinden, welche bei der Nilüberschwemmung seit Tausenden von Jahren +gefeiert werden, eine große Salpeterfabrik, das große Hospital Gasr el +Ain, welches sowohl für Militär- als Civilpersonen eingerichtet ist, +endlich das große Schloß Gasr el Nil, ein Hospital und eine ungeheure +Kaserne, alle diese Bauten bereiten den Wanderer gewissermaßen auf eine +der kolossalsten Thaten des Chedive vor, welche derselbe im Verlaufe +seiner so wirksamen und ruhmgekrönten Regierung hat ausführen lassen. +Wir meinen die feste Nilbrücke, im Februar 1872 eingeweiht; sie hat eine +Länge von 406 Meter, hat auf dem rechten Nilufer eine Drehscheibe von 30 +Meter Durchschnitt auf einem Thurme ruhend, der 50 Fuß tief in das +Nilbett eingesenkt ist. Die Brücke hat 2,300,000 Frcs. gekostet. +Ebenbürtig stellt sie sich den besten Brückenbauten der civilisirten +Staaten an die Seite. + +Aber wir halten, am anderen Ufer des Nils angekommen, an, denn die +Beschreibung von Giseh, welches jetzt die Abfahrtsstation für +Ober-Aegypten mit der Bahn geworden ist, die Pyramiden, auf der anderen +Seite der versteinerten Welt Matarieh und Heliopolis, die Abassieh und +die heißen Bäder von Hamman Heluan gehören nicht in den Rahmen dieses +Bildes, der ja nur eine Uebersicht von Kairo, wie es jetzt ist, +entwerfen sollte. + +Eigenthümlich genug, daß die Generalconsulate und politischen Agenturen +nicht in der Hauptstadt Aegyptens, sondern in Alexandrien sind. Dasselbe +sehen wir sich wiederholen am westlichsten Punkte von Afrika, in +Marokko, mit dem Unterschiede, daß im Innern von Marokko überhaupt noch +keine Vertreter christlicher Mächte zu finden sind, während Tanger von +den Staaten, die sich am meisten für das Land interessiren. +Generalconsulate und Viceconsulate, beide von _einer_ Macht, beherbergt. +Kairo hat blos Consulate. + +Der Grund dieser Abnormität, dieser stiefmütterlichen Behandlung der +Hauptstadt schreibt sich aus den alten Zeiten her, wo der Christ sich +jede Art roher Behandlung gefallen lassen mußte. Wurde nun einmal ein +einfacher Consul geohrfeigt von einem Mameluk oder ägyptischen Pascha, +so konnte das eher verschmerzt werden; wurde aber ein Generalconsul mit +Füßen getreten, so mußte man schon Notiz davon nehmen[59]. Zudem konnte +ein Generalconsul eher in einer Hafenstadt geschützt werden, als im +Innern des Landes. + +Da aber alle diese Ursachen längst aufgehört haben, so sollte auch jener +abnorme Zustand aufhören. Oder denkt man vielleicht, mit der +Souveränität von Aegypten müßten ohnedies neue diplomatische +Verbindungen eintreten und die Unabhängigkeit des Landes werde wohl +nicht lange mehr auf sich warten lassen? Das einzige Land Persien hat +sein Viceconsulat in Alexandrien, sein Generalconsulat aber in Kairo, +und auch dies bestätigt meine vorhin ausgesprochene Ursache. + +Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften in Kairo haben fast alle +ihre eigenen Kirchen, so die katholische der Väter des heiligen Grabes, +die unirten Griechen, die orthodoxen Griechen, die katholischen +Armenier, die nichtkatholischen Armenier, die unirten Syrier, die +katholischen Maroniten, die reformirten deutsch-französischen Christen, +die amerikanischen Protestanten, die katholischen Kopten und die +Jesuiten. + +Auch die Juden theilen sich in Talmudisten und Thoraimisten, d.h. +solche, welche nur das Gesetz Moses anerkennen. + +Das Schulwesen in Kairo hat einen ganz neuen Aufschwung genommen unter +der umsichtigen Leitung des Schweizers, Herrn Dohr. Sein Hauptstreben +ist dahin gerichtet, die weibliche mohammedanische Jugend der Bildung +theilhaftig werden zu lassen, derer sie bedarf, und wenn dies gelingt, +so ist damit ein Hauptfactor zur wirklichen Civilisation des ganzen +Volkes gegeben. + +Hospitäler giebt es zwei, das schon genannte in Gasr el Nil, welches +jährlich an 5000 Kranke aufnimmt, und das europäische, dessen Kranke in +den Flügeln des großen Gasr el Ain untergebracht werden. Die Aufnahme +der Kranken ist hier nicht gratis, sondern der Patient zahlt je 12, 6 +und 3 Frcs. für den Tag. Dies Hospital steht unter Aufsicht eines der +Consuln, welche zu diesem Zwecke einen der Ihrigen alljährlich hierzu +auserwählen. + +Sollen wir schließlich noch ein Wort über die Absteigequartiere der +Europäer sagen, so beginnen wir mit dem sowohl äußerlich, wie innerlich +gleich großartig ausgestatteten New-Hôtel, an der Esbekieh gelegen; es +ist Eigenthum des Chedive und wird besonders von nach Indien reisenden +Engländern besucht. + +Schaper's Hôtel, jetzt Herrn Zech, einem Schwaben, gehörig, ebenfalls am +Esbekieh-Platz gelegen, besonders von vornehmen Reisenden frequentirt; +Art und Weise durchaus englisch. + +Nil-Hôtel am Ende einer von der Muskistraße ausgehenden Sackgasse, +besonders von Deutschen und Nordamerikanern besucht, mit reizendem +Garten und trefflicher deutscher Bedienung bei vorzüglicher +französischer Küche. + +Andere Hôtels ersten Ranges, wie =Hôtel d'Orient=, =Hôtel des +Ambassadeurs=, =Hôtel Royal= sind gleichfalls zu empfehlen. Auch +gute Hôtels zweiten Ranges fehlen nicht, z.B. =Hôtel des Colonies, de +France, des Princes, du Commerce= u.a. + +Mit allen Hotels sind europäische Bäder verknüpft; von den zahlreichen +maurischen Bädern ist das den Europäern am meisten zu empfehlende das +Bad Tombaly nahe dem Scharieh-Thore. + +Das ist das Kairo im Jahre 1875; heute schon halb eine europäische +Stadt, wird diese Stätte uralter ägyptischer Cultur--denn Kairo ist doch +eigentlich weiter nichts, als ein verjüngtes Memphis--bald wieder ein +neues, ganz der neuesten Civilisation und Cultur sich anpassendes Kleid +angelegt haben und nach Abschüttelung des Staubes und der Asche wie ein +Phönix aus derselben emporsteigen. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 50: Uebersetzung nach Wetzstein; andere übersetzen auch "die +Siegerin".] + +[Footnote 51: Ich folge _hier_ der Schreibweise Wetzsteins.] + +[Footnote 52: Es ist dies in sofern interessant, als das Umgekehrte +Regel ist, wenigstens in der Neuzeit. Von verschiedenen Völkern wird das +türkische Reich nach seiner Hauptstadt Stambul genannt, also das Land +nach der Hauptstadt. Im ganzen Orient benennt man das Kaiserreich der +Preußen nach seiner alten Hauptstadt Muscu. Wir selbst nennen die +Berberstaaten Tripolis, Tunis, Algier nach ihren Hauptstädten. In +Deutschland haben die kleinen Länder fast alle ihre Benennung nach den +Hauptstädten.] + +[Footnote 53: Aufgepaßt, aufgepaßt, rechts Herr, links!] + +[Footnote 54: Weiblicher Plural von Moslim.] + +[Footnote 55: Was das anbetrifft, so müssen wir doch anderer Meinung +sein. In einem Lande, wo eigentlich nur _ein_ Kaufmann ist, nämlich der +Chedive, kann von Handelsfreiheit nicht wohl die Rede sein.] + +[Footnote 56: Siehe p. 275: =guide annuaire par Fr. Levernay=.] + +[Footnote 57: Uebersetzung von Lorsbach p. 519.] + +[Footnote 58: [Greek: neiloschopion] der Griechen.] + +[Footnote 59: Der Schlag mit dem Fliegenwedel ins Gesicht des +französischen Consuls in Algier führte zur Unterwerfung der +Regentschaft; leider wurden ähnliche Insulten von anderen Mächten nicht +so energisch geahndet, sonst hätte das Piratenwesen etc. nicht +aufkommen, wenigstens nie eine solche Macht werden können und die +schändliche Menschenräuberei, welche bis 1830 trotz der europäischen +Mächte von den muselmanischen Beys und Deys betrieben wurde, wäre viel +eher unterdrückt und ausgerottet worden.] + + + + +11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste. + + +Schon einen halben Tag vorher, als wir noch inmitten der ödesten +Steinwüste waren, bemerkten wir die Nähe des lebenspendenden Nilthales. +Es war gegen 2 Uhr Nachmittags, und in verschiedenen Gruppen zu Fuß +gehend waren wir den langsamen Kamelen vorausgeeilt; wir unterhielten +uns gerade über die Möglichkeit, noch am selben Abende oder früh am +Morgen an's Nilthal zu kommen, als lautes Gejodel hinter uns ausbrach. +Es waren unsere Diener, die nun heranstürmten und uns auf eine hohe +Dampfsäule aufmerksam machten, die gerade vor uns im Osten majestätisch +gen Himmel aufwirbelte. Sie konnte nur aus einem jener +Fabrikschornsteine herrühren, welche man jetzt in Aegypten, vom Delta an +bis nach Assuom hinauf, als Zeugen einer höheren Kultur antrifft. + +Mit erneuertem Eifer eilten wir voran und eine Stunde vor +Sonnenuntergang hatten wir den Rand der Sahara, das felsige Steil-Ufer +des Nil, erreicht. Ja, auf einem erhöhten Vorsprunge konnten wir, in +weiter Entfernung allerdings, den Nil selbst und seinen grünen Rahmen, +die schlanken Palmen, erkennen. Sobald die Kamele herangekommen waren, +wurde dann noch mit Vorsicht der Abstieg ausgeführt, wollten wir doch +vor allen Dingen noch am selben Abende der traurigen Hammada (steinigen +Hochebene) entfliehen und der Wüste für immer Lebewohl sagen. + +Aber wenn wir auch die Genugthuung hatten, am Fuße des felsigen Ufers +unsere Zelte aufschlagen zu können, so war es doch zu spät geworden, um +das eigentliche Nilthal, das, welches unter der unmittelbaren Einwirkung +des belebenden Wassers steht, erreichen zu können. Die Schwierigkeiten, +die beladenen Kamele durch die enge, abschüssige Felsspalte +hinabzutreiben, waren so groß, daß es schon dunkelte, als wir unten am +Ausgange der majestätischen Schlucht ankamen. Aber ein prachtvoller +Lagerplatz war es. Da standen unsere Zelte am Fuße der jäh abfallenden +Kalkwände, vor uns öffneten sie sich, der Ausgang winkte uns Leben +entgegen, hinter uns thürmten sie sich himmelhoch auf, eine riesige +Mauer als Scheidewand der ewig todten Sahara vom fruchtbarsten Thale der +Welt. Und nun ging der Mond auf und ergoß sein Licht über unser +malerisches Lager; die Feuer prasselten, behaglich hatten sich die müden +Kamele in den weichen Sand gestreckt und zermalmten langsam ihr +wohlverdientes Futter; die deutschen Diener provocirten jubelnd durch +Revolver und Gewehrschüsse das vielfache Echo, während wir Anderen uns +vor unsere Zelte gesetzt hatten und die Freuden der Nilreise erwogen, +welche wir sicher schon am andern Tage antreten zu können hofften. + +Das war unser letztes Lager, unsere letzte Wüstennacht, die gewiß Jedem +von uns unvergeßlich sein wird. + +Früher als sonst waren wir am anderen Morgen bereit. Schnell wurden die +Zelte gerollt, die Kamele beladen und vorwärts ging es. Aber so schnell +war dennoch Esneh, wo wir uns einzuschiffen hoffen konnten, nicht +erreicht. Wir waren allerdings im Nilthale, aber noch weit von Esneh, +dessen Palmen noch nicht einmal zu sehen waren. Ein regelrechter +Tagemarsch mußte noch zurückgelegt werden und zwar kein angenehmer, denn +das Thermometer zeigte im Schatten über 30 Grad. Indeß zogen wir immer +längs der fruchtbaren Nilfelder nach Süden und rechts das hohe Ufer bot +in seiner wechselvollen Form Unterhaltung genug, um die Zeit rasch +schwinden zu machen. + +Nachmittags erreichten wir denn auch die ersten menschlichen Bauten, +zwar nur Ruinen, aber interessanter Art. Es waren die Reste eines +ehemaligen bedeutenden koptischen Klosters, welches auch heute noch für +die ägyptischen Christen ein berühmter Wallfahrtsort ist. Hierher kam in +der Mitte des vierten Jahrhunderts der Pater Pachomius, ein Held der +koptischen Kirche. Die Kirche des Klosters, eine Rotunde, ist noch gut +erhalten, ja einige Zellen, mit Matten belegt, geben Zeugniß, daß +manchmal Tage lang noch Gottesdienst hier verrichtet wird. Einige in +Stein gehauene griechische Inschriften deuten auf das hohe Alter des +merkwürdigen Klosters hin. Am interessantesten sind aber die hübschen +Mausoleen in der Nähe des Klosters; hier ruhen die Gebeine der +christlichen Märtyrer, welche im Jahre 303 n. Chr. auf Befehl vom Kaiser +Diocletian hingerichtet wurden. Reizende Grabkapellen, deren hübsche +architektonische Formen sich nur vergleichen lassen mit der berühmten +Nekropolis in Chargeh und die um so bemerkenswerter sind, weil sie zu +den wenigen Bauüberresten gehören, welche aus _ungebrannten_ Thonziegeln +errichtet sind. + +Jetzt tauchten auch die Gärten von Esneh auf und bald darauf erblickte +man die größeren Gebäude und die schlanken Minarets der Moscheen. Unser +Factotum, Mohammed Daud, hatte ich vorausgeschickt, um uns beim Mudir +anzumelden, und eine halbe Stunde vor der Stadt kam uns auf einem +prächtigen weißen Berberhengste der Unter-Mudir entgegen, um uns +willkommen zu heißen. Zittel und ich waren vorausgegangen und betraten +bald darauf das hübsche Lustschloß des Chedive, unmittelbar am Nil +gelegen. + +Sobald wir im Schlosse, welches der Chedive ganz zu unserer Verfügung +gestellt hatte, eingerichtet waren, namentlich Jeder von uns sein Zimmer +in Besitz genommen hatte, stellten sich die Honoratioren der Stadt ein +und im großen Saale wurde Empfang gehalten. Wir aber forschten vor +Allem, ob in Esneh ein Trunk Bier zu haben sei, und siehe da, die Stadt +erwies sich in dieser Beziehung sehr civilisirt, denn bald darauf +standen vermiedene Flaschen Ale auf dem Tische. Seltsames Verlangen, +welches wohl nur der Deutsche, vielleicht auch der Engländer +besitzt--ich glaube, in Esneh ist während der kurzen Zeit unseres +Aufenthalts so viel Bier wie nie vorher verkauft worden. + +Das Schloß des Vicekönigs war reizend gelegen, obschon es sich sonst +keineswegs durch architektonische Schönheit auszeichnete. Von Mohammed +Ali erbaut, der fast jeden Winter einige Monate in Esneh zuzubringen +pflegte, zeigt es im Allgemeinen dieselbe Anordnung der viceköniglichen +Palais aus jener Periode, d.h. länglich viereckig ist das innere +Parterre durch ein großes Kreuz getheilt. Sonderbare Vorliebe, welche +die Aegypter für's Kreuz besitzen, denn sogar die berühmte +Mulei-Hassan-Moschee in Kairo zeigt ja, wie ich früher schon erwähnte, +in der Grundform ein Kreuz. In der Bel-Etage war ein großer Saal mit +verschiedenen Zimmern daneben; letztere hatten wir unter uns vertheilt; +der Salon, nach türkischer Sitte nur mit einem Divan, der sich rund um +die Wände zog, möblirt, diente als gemeinsames Speisezimmer und als +Empfangszimmer. Die Teppiche waren überaus schön und auch die +Möbelstoffe, Gardinen etc. waren einst schön gewesen, aber vom Zahne der +Zeit etwas angegriffen. + +Ich schlief in der ersten Nacht im Bette Mohammed Ali's, aber in den +folgenden Nächten zog ich mein Feldbett doch vor. In den Wandschränken +der Zimmer fand sich überdies der reichste Vorrath von Leinenzeug, +seidenen und wollenen Decken, Kissen etc., vielleicht seit zwanzig +Jahren unberührt liegend, denn der jetzige Chedive und seine beiden +Vorgänger haben nie in diesem Palaste genächtigt. + +Ringsum ist ein reizender Garten, da wetteifern Palmen mit Oliven, +Feigen mit Agaven, Granaten mit Orangen in ewig grüner Pracht, wer am +ersten seine duftenden Blüthen offenbaren soll. Und vor dem Palais +selbst ist, ehe man zu den Fluthen des Nils kommt, ein zweiter schöner +Platz, stets schattig, denn herrliche Lebek-Akazien überwölben ihn. + +Unsere Freude, den Nil erreicht zu haben, wieder in civilisirter +Umgebung sein zu können, wurde aber etwas getrübt, weil kein Dampfer, um +uns zu holen, gekommen war. Leider war der Brief, den ich von der +Jupiter-Ammons-Oase aus an unseren Generalconsul in Alexandrien +geschickt hatte, acht Tage später angekommen, durch die unverzeihliche +Nachlässigkeit des arabischen Boten, welcher geglaubt hatte. "Acht Tage +früher oder acht Tage später, was macht das aus?" So fanden wir nur ein +Telegramm vor, welches besagte, es sei Befehl gegeben, uns von Assuan +her eine Dahabieh zu besorgen, da Dampfer des niedrigen Wasserstandes +wegen nicht mehr fahren könnten. Letzteres war nun allerdings eine +Unwahrheit, aber jedenfalls war die Zeit zu kurz geworden, um jetzt noch +einen Dampfer von Kairo zu erwarten. + +Wir mußten uns also mit Geduld in unser Schicksal ergeben und Jeder +nutzte die Zeit aus, so gut es ging. Zittel durchforschte noch einmal +die interessanten Schichten des Nilufers, Jordan operirte mit dem +Theodolit, Ascherson suchte mit seinem Diener Korb Pflanzen und Herr +Remelé photographirte im Tempel; nur ich selbst hatte meine Thätigkeit +geschlossen, denn mit der Erreichung des Nils hatte die Reise ihr Ende +erreicht. Aber ganz unthätig war ich auch nicht, lag mir doch ob, unsere +ganze Expedition noch stromabwärts bis zum Mittelmeere zu führen, und da +gab es noch Mancherlei zu besorgen und anzuordnen. + +Esneh mit circa 7000 Einwohnern ist günstiger gelegen, als Siut, +insofern als es unmittelbar am Nil liegt, aber dennoch ist letztere +Stadt bedeutend wichtiger für Handel und Wandel. Der jetzige Name Esneh +ist der alte, ursprünglich ägyptische, wie Quatremère und Champollion +aus koptischen Urkunden nachgewiesen haben. Letzterer bringt das Wort +mit =Sna= was auf koptisch Garten bedeutet, in Verbindung. Der +griechische Name Latopolis kommt, wie Strabo (Bd. XVII, S. 817) sagt, +von der Verehrung des Fisches Latos her, dem hier mit Minerva göttliche +Ehre erwiesen wurde. Dies bezeugt der prächtige Tempel, dessen Vorhalle, +unter Mohammed Ali's Regierung bloßgelegt, zu den wohlerhaltensten +Denkmälern gehört, welche Aegypten besitzt. + +Im Ganzen genommen liegt Esneh äußerst malerisch auf circa 25-30 Fuß +hohem Nilufer. Der Palast des Chedive, die große Cavallerie-Caserne, +welche jetzt allerdings leer steht und welcher der Verfall droht, das +Mudirats-Gebäude, die Wohnung des Schich el Bled, alle am Nil gelegen, +dann die große Zahl der imposanten und bunt bekalkten Taubenschläge +verleihen der Stadt ein größeres Aussehen, als sie in Wirklichkeit hat. +Ich habe früher schon dieser colossalen Taubenschläge erwähnt; ein +einziger solcher Thurm, viel luxuriöser gebaut, als die danebenstehende +menschliche Wohnung, beherbergt oft 500 und mehr Tauben. Hauptzweck der +Taubenzucht ist die Erzielung von Guano, und Leute in Esneh gaben mir +die Versicherung, daß der Jahresbetrag eines großen Taubenschlags oft +für 40 bis 50 Ducaten Guano betrage. Man sieht also, daß nicht allein +die Gewässer des Nils es sind, welche die fruchtbaren Fluren erzeugen, +sondern daß auch noch durch Dünger nachgeholfen werden muß. + +Und da ich doch einmal bei den Tauben verweile, möchte ich hier die +interessante, schon von Darwin mitgeteilte Thatsache hervorheben, daß +die Tauben, um zu trinken, direct in den Nil fliegen; natürlich gehen +sie in so seichtes Wasser, daß sie Grund finden. Aber wie lange wird es +dauern und Gewohnheit, Notwendigkeit und Zuchtwahl werden +zusammenwirken, es werden sich Schwimmhäutchen an den Füßen bilden und +nach 10,000 Jahren oder mehr hat Aegypten vielleicht schwimmende Tauben. + +Eine Eigenthümlichkeit hat Esneh noch, welche sich vielleicht in den +anderen ägyptischen Städten auch findet, aber nicht so hervortritt, +nämlich ein ganzes Viertel, wo nur Hetären wohnen. In der Nähe sind +türkische Kaffeehäuser und von da konnten wir die interessantesten +Beobachtungen anstellen. Da sah man eine ganze ethnographische +Musterkarte weiblicher Geschöpfe: hier eine blendend weiße +Deltabewohnerin, vielleicht mit tscherkessischem Blute in ihren Adern, +dort eine pechschwarze Dame aus Fur, hier eine rothe Dongolanerin, dort +eine Fellahin aus dem Nilthal mit goldgelber Haut und großen schwarzen +Augen, hier eine Jüdin, dort eine Christin, hier eine Mohammedanerin, +dort eine Schwarze, welche vielleicht noch Heidin war, kurz, fast alle +Racen, jedes Alter und jede Religion war vertreten. + +Wir luden diese zuvorkommenden Wesen ein, uns im Palais einen Besuch zu +machen, aber da erfuhren wir, daß sie aus der Grenze ihres Stadtviertels +ohne besondere Erlaubniß des Gouverneurs nicht herausgehen durften. +Unser Photograph, Herr Remelé, wollte nämlich ein Gesammtbild dieser +ethnographisch interessanten Frauen herstellen. Die Erlaubniß war indeß +schnell erwirkt. Unter Führung des Unter-Mudir und verschiedener +Polizisten erschienen sie Nachmittags, gewiß 30 an der Zahl, im Garten +des chedivischen Palais. Alle waren im höchsten Putze und die Aermste +hatte mindestens 40-50 Goldstücke zu einer Kette vereint um den Hals. +Große goldene und silberne Armbänder, Fußspangen, bunte Kleider, +goldgestickte Schuhe, Alles hatten sie angethan, um möglichst +vorteilhaft zu erscheinen. Natürlich mußte die Sitzung bezahlt werden, +aber es gelang Herrn Remelé doch, zwei höchst gelungene Aufnahmen zu +machen. + +Sonst hat die Stadt nichts von Interesse; der Marktplatz, die Buden, die +Straßen sind eng und klein, aber es ist Alles zu haben. Mehrere von +Griechen gehaltene Schenken sind mit leiblichen Bedürfnissen aller Art +wohl versehen. + +Doch noch einmal kehren wir zurück zu dem Tempel, der gleich hinter dem +Marktplatze gelegen ist und sicher zu den staunenswertesten Denkmälern +Aegyptens gehört. Dabei kam mir der Gedanke, wie angenehm es für uns +gewesen war, diese alten ägyptischen Bauten immer in aufsteigender Weise +kennen gelernt zu haben. Nachdem wir zuerst auf unserer Hinreise die +ziemlich kunstlos gearbeiteten Hypogeen (Katakomben) von Beni Hassan, +die Grüfte von Siut, gesehen, waren wir zum kleinen Tempel in Dachel, +dann aber zum viel prächtigeren großen von Chargeh gekommen und nun +hatten wir hier ein Werk vor uns, das uns die Pracht und die +Herrlichkeit der ägyptischen Baukunst auf's Vollkommenste +vergegenwärtigte. Leider ist der größte Theil des Tempels noch unter +Schutt, nur der Porticus ist zugänglich. Aber seine gewaltigen +Dimensionen deuten genugsam auf die bedeutenden Bauten hin, welche uns +augenblicklich der neidische Boden zusammengefallener Hütten und Häuser +verbirgt. + +24 Säulen, über 33 Fuß hoch, in vier Reihen stehend, mit einer +Peripherie von 16 Fuß jede Säule, lassen in diesem Vortempel nur ahnen, +welche großartige Verhältnisse dahinter liegen. Die französische +Expedition schätzt die Grundfläche des ganzen Tempels auf 5000 +Quadratmeter, und Alles ist mit Hieroglyphen und bildlichen +Darstellungen bedeckt. "Könnte ein Steinmetz auch ein Zehntel +Quadratmeter in _einem_ Tage mit solchen Hieroglyphen bedecken, so wären +doch 50,000 Tage zur Beendigung der ganzen Decoration nöthig[60]." + +Man sieht überall den Widderkopf des Jupiter Ammon; auch über der Thür, +welche ins Innere des Tempels führt und die vermauert ist, sieht man ein +widderköpfiges Bild. Die Säulen, deren Architrav, die Decke des Tempels +sind alle wohl erhalten und die _erhaben_ gearbeiteten Hieroglyphen im +Innern des Porticus sind von einer Genauigkeit der Arbeit, als ob sie +erst gestern aus der Hand des Künstlers hervorgegangen wären. Warum sind +in dem Innern der Tempel die Hieroglyphen erhaben, an der äußeren Seite +aber meist vertieft gearbeitet? Das sind Fragen, die Einem einfallen; +vielleicht hat ein Brugsch oder Lepsius, oder gar schon Champollion +darauf geantwortet. Ich weiß es nicht, ich verweise daher den, der sich +mit diesen Gegenständen eingehend beschäftigen will, auf die dahin +einschlägige Literatur. Interesse hat eine solche Baute gewiß für +Jedermann; auch der Gleichgültigste muß bewundern und selbst der +blasirteste Mensch muß verstummen unter dem mächtigen Eindrucke dieses +Menschenwerks. Schade, daß die Dunkelheit nicht erlaubt, die +Deckengemälde genauer zu betrachten, wo namentlich ein Thierkreis, durch +die Sauberkeit seiner Arbeit ausgezeichnet, von großem Interesse sein +soll. Ich habe ihn nicht gesehen; die Dunkelheit wird hervorgebracht +durch Schutt, der, fast so hoch wie der Tempel selbst, davor liegt; man +muß mittelst einer Treppe hinabsteigen. + +Fünf Tage waren wir in Esneh, von Assuan kam immer noch kein Schiff. Am +vierten Tage aber hatten wir schon einen Entschluß gefaßt. Vertraut mit +den Versprechungen, welche ägyptische Beamte zu machen, aber nicht zu +halten pflegen, hatten wir eingesehen, daß auf eine Dahabieh nicht zu +rechnen sei. "Kairo ist weit und der Chedive thront hoch", denken auch +die ägyptischen Mudire in Oberägypten. Möglich, daß keine Dahabieh in +Assuan zu haben war, möglich, daß man dahin noch gar nicht um eine +solche telegraphirt hatte; genug, es kam keine. + +Aber in Esneh selbst fanden sich zwei allerdings kleine, aber doch +taugliche Schiffe, und mit Hülfe des Mudir wurden sie gemiethet. Der +Mudir verstand etwas Englisch und war einer der besten ägyptischen +Provinzialbeamten, den ich noch gesehen hatte: Wie fein und +"=gentlemanlike=" war sein Benehmen gegen das des Siuter Mudir, der +ein ehemaliger Sclave von Abbas Pascha war! Der Mudir von Esneh hatte +aber auch früher an der Spitze der Asisieh-Dampfer-Compagnie gestanden, +er war noch früher See-Capitain gewesen und hatte als solcher die Welt +kennen gelernt. + +Auch die anderen Honoratioren der Stadt waren ordentliche Leute. Da war +der Unter-Mudir, ein sehr gefälliger Mann; da war der Medicinalrath, der +etwas Französisch redete, sich auch eine ägyptische Zeitung, die in +französischer Sprache erschien, hielt, sie nur nie las. Er war so +liebenswürdig, sie mir täglich zu schicken, aber ich gestehe, nachdem +ich einige Mal dies Blatt, "=l'Egypte=" genannt, durchgesehen +hatte, stand ich ebenfalls davon ab, es zu lesen. Kann man sich einen +langweiligeren Inhalt denken: einige amtliche Bekanntmachungen, Auszüge +aus den Verhandlungen irgend welcher obscurer französischer +Gesellschaften, irgend ein französischer Sensationsroman und einige +Annoncen. Selbst telegraphische Berichte waren nicht einmal vorhanden +und politische Nachrichten, Leitartikel oder sonstige Raisonnements +fehlten gänzlich. Glückliche ägyptische Beamte, die mit einem solchen +officiellen Blatte abgespeist werden, "=l'Egypte=" ist das Organ +der Regierung. + +Da war dann noch der Mufti, der Kadhi, der Schich el Midjelis[61], der +Ukil[62] des Palais des Vicekönigs und einige andere Notablen, die uns +alle Abende einen Besuch machten; aber einen kurzen, das muß ich zu +ihrer Ehre nachrühmen; die langen Sitzungen, wie sie uns von der Behörde +in Dachel täglich aufoctroyirt wurden, hatten wir hier nicht mehr zu +erdulden. + +Bezaubernd in gewisser Weise waren auch die Tage in Esneh, so recht +für's =Dolce far niente= angethan. Wenn des Morgens in die offenen +Fenster hinein die sich mischenden Düfte des Jasmin und Orangenbaumes +zogen, wenn die Schwalben ihr jubelndes Zwitschern erschallen ließen und +wir selbst, Zittel und ich, uns auf die Terrasse begaben, um in aller +Ruhe Kaffee zu schlürfen, zu schreiben oder zu lesen,--oder aber, wenn +Abends die Sonne sich hinter die Nilufer gesenkt hatte und nun die +gegenüberliegenden weißlichen Kalkberge in den herrlichsten Farben +geschmückt prangten, der Himmel und der Nil selbst von ganz anderen +Tinten übergossen erschien, als man es je anderswo schauen mag--so +ließen alle diese Bilder Eindrücke zurück, welche nur Der zu würdigen +weiß, der selbst Aehnliches erlebt und gesehen hat. + +Mittags hatten wir die Dahabiehen gemiethet, Nachmittags um 5 Uhr +konnten wir schon abfahren. Aber die Dahabiehen sind keineswegs alle von +gleicher Beschaffenheit. Man hat sehr große und schöne, so wie die +europäischen Nilreisenden sich dieselben in Kairo zu einer Reise auf dem +Nil miethen; man hat kleinere für eingeborene Reisende und solche, die +gleichsam für den Waarentransport eingerichtet sind. + +Uns standen zwei kleinere zu Gebote, die mit vielen Nachtheilen den +Vortheil verbanden, daß sie schneller fortzubewegen und besonders, daß +sie bedeutend billiger waren, als die großen Dahabiehen. Wir verteilten +uns also in die zwei Schiffchen und zwar so, daß Zittel, Ascherson und +ich mit zwei europäischen Dienern das eine, Herr Remelé und Jordan mit +drei ebenfalls europäischen Dienern das andere Schiff einnahmen. +Räumlich waren letztere besser daran, als wir, denn bei gleich großen +Cajüten waren sie zu Zweien, wir aber zu Dreien. Jedes Schiff hatte +nämlich an seinem hinteren Theile zwei kleine Cabinen; in unserem +bezogen Zittel und ich die eine, Ascherson die andere; letztere diente +zugleich als Speisesaal und als Ort, wo unsere Kisten standen; beide +Cajüten waren durch einen nicht näher zu bezeichnenden Ort getrennt, +dessen unangenehme Einschaltung wir aber dadurch unschädlich machten, +daß wir uns Allen den Zutritt verboten. + +Oben auf den beiden Cajüten wurde gesteuert, dort schliefen der Rais, +unsere beiden europäischen Diener und der Schich unserer eingeborenen +Leute. Die Mitte des Schiffes hatte Raum für den Mastbaum, für drei +improvisirte Bänke, welche die sechs Ruderer inne hatten, und unter Deck +war unsere Bagage; ganz am Vordertheile des Schiffes befand sich eine +Art von Küche. Das war die Einrichtung des Schiffes. An Möbeln hatten +wir Feldtische und Stühle von einem Dampfschiffe des Chedive, welches +vor Kurzem bei den Ssilsilla-Bergen oberhalb Esneh gescheitert war. +Unsere eignen Feldstühle waren durch die Reise ganz unbrauchbar +geworden. + +An Proviant hatten wir drei Schafe, mehrere Puter, Eier, Mehl, Butter, +Reis, Linsen, Brod, Kaffee, Wein und Bier; in dieser Beziehung waren wir +also wohl versorgt, und um ja zu vermeiden, daß an Bord des anderen +Schiffes nicht Unzufriedenheit ausbräche, theilte ich die Lebensmittel +und Getränke stets so, daß jedes Schiff die Hälfte bekam, trotzdem wir +zu drei Herren, das andere Fahrzeug aber nur mit zweien besetzt war. + +Langsam entschwand Esneh unseren Blicken. Es war der erste Abend, den +wir wieder auf dem Nil verlebten, ein herrlicher in jeder Art, und nun +konnten wir auch schon mit ziemlicher Gewißheit vorher berechnen, wann +wir in Kairo, wann wir in Alexandria und wann wir in Neapel sein würden, +besonders Zittel und ich, die wir gemeinsam zurückreisen wollten, wir +gaben uns oft diesem frohen Gedanken hin. Da saßen wir nun oben auf der +Cabine, ein Glas Bier vor uns, schauten auf die in prächtigen Farben +schimmernden Berge, auf die ruhigen Fluthen des Nil, auf die Barken, die +leise darüber hinglitten, auf die friedlichen Ufer, wo hier ein Schäfer +seine Heerde heimtrieb, dort Büffel, die das steile Gehänge +hinanklommen, hier Männer mit Sicheln bewaffnet, Heubündel einheimsend, +hier die jungen Fellahmädchen, die Kühe zum Melken herantreibend,--ein +Bild der Ruhe und des Friedens. Und diese Leute sollen so bedrückt sein, +daß sie kaum mehr das Geld erschwingen können? So fragte ich mich beim +Anblick dieses Bildes. Es leuchtete doch nur Zufriedenheit und Frohsinn +aus aller Leute Gesicht. Hier wurde laut gelacht, dort wurde gesungen. +Wie stimmt das mit den Klagen über unerschwingliche Steuern? + +Ach, es ist leider nur zu wahr, in Aegypten giebt es wohl gar keine +Gegenstände mehr, die unbesteuert sind und die Steuern sind wirklich für +das Volk fast unerschwinglich. Die Zufriedenheit und der frohe Sinn, die +ewige Heiterkeit der armen Fellahin erklärt sich nur daraus, daß sie es +nie besser gewohnt waren. Seit mehr als 4000 Jahren immer im +Sclavenjoch, ist es einer Generation am Ende einerlei, ob sie mehr +bezahlen muß, als die andern früher bezahlten. Auch die Väter haben +keine Reichthümer gesammelt und haben, trotzdem sie vielleicht weniger +steuerten, auch nichts hinterlassen. + +Was war das? Da tönte von der anderen Barke mit einem Male "Ein lustiger +Musikante marschirte einst am Nil" &c. herüber und hernach noch andere +Lieder. Das Singen ist ansteckend; wir antworteten und so etablirten +sich Wechselgesänge oder auch, wenn die beiden Barken ganz nahe waren, +sangen wir zusammen. Zittel mit seiner wirklich schönen Stimme mußte die +Palme zuerkannt werden,--doch nein, ich übertraf ihn. Denn wenn ich mit +der Kraft meines ganzen Körpers und mit unbeschreiblichem Ausdruck mein +Schnadahüpfln sang, dann folgte immer ein allgemeines "bis, bis, noch +ein Mal!" Ja, wie von einem Niemann oder Betz, wie von einer Lucca oder +Patti (ich vereinige den Zauber und den Schmelz der verschiedensten +Stimmen, einerlei, ob aus männlichen oder weiblichen Kehlen) wurde stets +mein Lied drei oder vier Mal zu hören verlangt. + +Die Nächte auf dem Schiffe waren nicht allzu angenehm. Daß Ungeziefer +der verschiedensten Art einheimisch war, sollten wir bald genug +erfahren, aber in unserem Fahrzeuge waren außerdem noch Wasserratten, +die auf lästige Art oft unseren ohnedies nicht festen Schlaf störten. +Ja, eines Nachts sprang eine freche Ratte durch das kleine Fenster +gerade auf mein Gesicht und als ich erschreckt in die Höhe fuhr, mit +einem Satze auf Zittels Kopf, der dicht an meiner Seite schlief. Als sie +auch hier keinen angenehmen Empfang fand, verschwand sie in unserem +Brodkorbe, den sie sich als Lieblingsaufenthalt ausersehen hatte. + +Das war die erste Nacht, aber man gewöhnte sich an derartige +Unannehmlichkeiten, und die mächtig wirkende Sonnengluth bei Tage suchte +man durch leichtere Kleidung zu dämpfen, oder es wurde an seichten +Stellen ein Bad genommen, das freilich nur eine momentane Abkühlung +bewirkte. + +Wir näherten uns Theben, wo reich die Wohnungen sind an Besitzthum: + + "Hundert hat sie der Thor', und es ziehen zweihundert aus jedem, + Rüstige Männer zum Streit mit Rossen daher und Geschirren." + +So singt Homer, aber ach!--nur Ruinen deuten heute noch auf die einstige +Größe der Stadt, nach der im grauesten Alterthume, wie Herodot uns sagt, +ganz Aegypten genannt wurde. + +Pocht nur, ihr modernen Städte und Staaten, auf eure Unvergänglichkeit, +du prahlerisches Rom mit deinen paar Tausend Jahren nennst dich die +"ewige Stadt". Blicke auf Theben zurück, dem nicht einmal der Name +geblieben ist. Ja, es ist traurig, die heutigen Bewohner des Ortes +kennen den Namen Theben nicht. Angesichts der colossalen Ruinen, +Angesichts eines Tempels, in welchem der Dom von St. Peter fünfmal +stehen kann, ahnen sie nicht einmal die Bedeutung und die Macht, die +früher diese Stätte hatte. + +Man hätte es sich selbst nie verzeihen können, bei Theben +vorbeizufahren, ohne wenigstens die hauptsächlichsten Denkmäler gesehen +zu haben. "Auf Luxor zu halten!" riefen wir, und siehe da: auf einem +stattlichen Hause unmittelbar am Nil flatterte eine große deutsche Fahne +empor. Auf dem deutschen Consulate hatte man zwei mit deutschen Flaggen +versehene Dahabiehen bemerkt, und da man ohnedies von unserer Ankunft +unterrichtet war, wollte uns der Consul dadurch eine Aufmerksamkeit +beweisen. Des Consuls Salutschüsse wurden von unseren Schiffen sogleich +erwidert und bald darauf legten wir dicht bei seinem Hause vor Anker und +begaben uns hinauf. Ein liebenswürdiger Mann, dieser Vertreter +Deutschlands, dem nur Eins fehlt, nämlich Gehalt, was doch immerhin +nothwendig wäre bei der öfteren Repräsentation und der Gastfreundschaft, +welche dieser freundliche Kopte allen Deutschen erweist. Es wäre dies um +so wünschenswerther, als die Vertreter der übrigen Mächte in Theben, +z.B. die von England, Frankreich und Oesterreich, auch Gehalt beziehen. +Allerdings sind dort keine Deutschen zu beschützen oder sonst irgendwie +deutsche Interessen wahrzunehmen, aber wenn man schon einmal die +Nothwendigkeit eines deutschen Consuls für einen Ort anerkannt hat, dann +soll man ihn auch honoriren. + +Es macht einen angenehmen Eindruck, im Hause des Consuls einen +europäisch eingerichteten Salon zu finden, an den Wänden: unseren +Kaiser, den Kronprinzen, die Schlachten mit den Franzosen und +verschiedene Photographien von Deutschen, die Luxor, so heißt dieser +Theil von Theben, wo die Consulate sich befinden, besucht haben. + +Hier befindet sich auch das berühmte Fremdenbuch, worin Engländer und +Franzosen unsern Lepsius so begeiferten, indem sie unkluger Weise ihm +die Zerstörung der Ruinen schuld gaben. Kindischere Bemerkungen über die +Trümmerfelder von Theben sind wohl nie geschrieben worden. Sie bedachten +wohl nicht, daß Theben schon zur Zeit Strabo's zerstört war. Strabo +(Bd. XVII, S. 816) sagt ausdrücklich: "Es ist mit Tempeln, die +größtenteils von Chambyses zerstört worden sind, erfüllet und wird +gegenwärtig als kleiner Flecken bewohnt &c." Also schon vor ca. 1900 +Jahren war Theben, so wie es heute ist, aber vor ca. 3500 Jahren war es +in seiner Glanzperiode, an Rom dachte man damals noch nicht. Dies +Fremdenbuch wurde von Dümichen, als er unseren Kronprinzen auf seiner +ägyptischen Reise begleitete, an Lepsius geschickt, der es zurücksandte +mit der einfachen Bemerkung, er habe Kenntniß davon genommen. Auf dem +Consulate sind übrigens zwei Fremdenbücher, ein allgemeines und ein nur +für Deutsche bestimmtes. Das allgemeine Album rührt noch aus der Zeit +her, wo der Consul verschiedene andere Nationen gleichzeitig mit +vertrat. + +Das Verbrechen von Lepsius bestand in Wirklichkeit darin, daß er viele +der Tempel von Schutt reinigen ließ und zu der Zeit die Erlaubniß +erhielt, gefundene Kunstgegenstände nach Berlin bringen zu dürfen; aber +zerbrochen hat Lepsius nichts. Eine solche Barbarei z.B., wie das +Ausbrechen des Thierkreises aus dem Tempel zu Dendera ist, ist nie von +Deutschen begangen worden. Derselbe ist jetzt im Louvre. + +Nach einem kurzen Besuche auf dem Consulate, wo der übliche Kaffee, +Scherbet und Araki geschlürft und ein Tschibuk geraucht wurde, gingen +wir sodann, den Tempel von Luxor zu sehen und ritten darauf nach dem +Heiligthum von Karnak, dem größten Gebäude der Erde, welches jemals +einer Gottheit geweiht war. Da eine Beschreibung dieser Bauten mit ihren +Obelisken, Pylonen und Sphinxen nicht in meiner Absicht liegt, so fahre +ich gleich fort im Berichten unserer Erlebnisse. + +Wir waren Abends am Bord unseres Schiffes, schwelgend in der Erinnerung +an jene staunenswerten Kunstwerke längst vergangener Generationen, nicht +vergangener Völker, denn die heutigen Nilthalbewohner sind doch am Ende +nur die Abkömmlinge jener Titanen, welche diese Riesenwerke aufbauten, +deren Kraft und Schönheit wir jetzt täglich zu bewundern Gelegenheit +hatten. + +Und der folgende Tag sollte fast einen noch größeren Genuß gewähren: wir +setzten hinüber auf die andere Seite des Nils, auf die linke, um die +Königsgräber, die Memnon-Colosse, das Rameseum mit seinen herrlichen +Bildwerken &c. in Augenschein zu nehmen. Ein ganzer Tag ging damit hin +und dennoch sahen wir keineswegs alle Denkmäler, sondern nur die +bemerkenswerthesten. Dankend muß ich erwähnen, daß uns vom Consulate ein +sehr intelligenter Führer mitgegeben war, ein geborener Schlauberger, +der dadurch die Backschische der Deutschen reichlicher zu fließen machen +hoffte, daß er bei jeder Gelegenheit, und wenn diese auch von einem +Steingemäuer (in Ermangelung eines Zaunes) gebrochen werden mußte, auf +die Franzosen schimpfte, wie er andererseits muthmaßlich nicht +verfehlte, auf die Deutschen zu schimpfen, wenn er Franzosen zu führen +hatte. + +Abends vereinigte uns ein solennes Souper auf dem Consulate. Man muß +aber ein solches Essen mitgemacht haben, um über die Zahl der Gänge und +Gerichte einen Begriff zu erhalten. Einigermaßen wird man sich eine Idee +machen können, wenn ich sage, daß drei unserer complicirtesten Diners +zusammengesetzt etwa ein koptisches bilden würden. Um uns besonders zu +ehren und uns ganz in die koptische Sitte einzuführen, hatte der Consul +es auf einer messingenen Riesenschüssel auftragen lassen, und während er +selbst die Honneurs machte, ohne am Essen Theil zu nehmen, bat er uns, +mit den Fingern zuzugreifen. Sein Sohn aber, ein liebenswürdiger junger +Mann, der gut Englisch und etwas Deutsch sprach, nahm Theil an unserem +Mahle. Als ich aber sah, daß einige von unserer Gesellschaft über das +adamitische Essen ungeduldig zu werden anfingen (der Gang nach den +Königsgrüften war ganz danach gewesen, den Appetit mehr als gewöhnlich +zu reizen), bat ich den Consul, Messer und Gabeln bringen zu lassen, und +nun ging es rascher von Statten. Aber fast hätte man sich diese wieder +weggewünscht, denn es folgten so viele Gerichte, so viele Speisen, daß +es kaum möglich war, von allen auch nur zu kosten. Rothwein, Champagner, +dann und wann ein Gläschen Araki, um den Magen zu schnellerer +Bewältigung der Speisen zu reizen, bildeten das Getränk und am Schlusse +selbstverständlich eine Tasse Mokka mit dem Tschibuk. + +Es war schon dunkel, als wir dankend vom Consul Abschied nahmen, uns an +Bord begaben und noch am selbigen Abend abfuhren. Da erleuchteten, als +wir dem Consulate gegenüber waren, bengalische Flammen sein Haus und +gluthübergossen zeigte sich daneben der Tempel von Luxor mit seinem +hohen Obelisk, dessen Bruder jetzt auf dem Concordienplatze in Paris +steht. Flinten- und Revolverschüsse tönten dazwischen als Gruß für uns +in die Heimath. Aber diesmal konnten wir den liebenswürdigen Consul +überbieten, denn wir hatten noch viel Magnesiumdraht übrig behalten: wie +durch Zauber erhellten wir die ganze Gegend mit sonnengleichem Lichte, +noch einmal sahen wir den Karnaktempel, Medinet Abu, die Memnonssäulen, +das Rameseum und alle die Herrlichkeiten der alten hundertthorigen Stadt +und dann war lautlose Stille und tiefschwarze Nacht hüllte uns ein, +selbst die Ruderer sangen nicht, sondern trieben durch leise +Ruderschläge die Schiffe gen Norden. + +Nachts kamen die Schiffe meistens auseinander; das, worauf Jordan war, +hatte, weil es kleiner war, zwei Ruderer weniger; der Rais (Capitain) +schlief gern, das Fahrwasser schien er nicht zu kennen, so daß es häufig +aufrannte, aber des Morgens kamen wir doch immer wieder zusammen. + +Unser Botaniker Abu Haschisch erwarb sich, wie überall in den Oasen, so +auch bei unseren Matrosen, schnell die Sympathie derselben; sie hatten +ein Gedicht auf ihn gemacht und unterließen nicht, ihn mehrere Male +täglich zu besingen. Da war in ihrer Poesie von einem Garten, von +Granatblüthen, von Pflanzen, von einem Quell die Rede, und namentlich +wurde in gebundenen Worten sein Hemd besungen, welches diese Ehre durch +einen ungeheuren Tintenklecks erworben hatte. Am Tage war nämlich die +Hitze so groß, daß wir Alle, wie schon erwähnt, in einem möglichst +leichten Costüm auftraten. + +Hatten wir in Theben das großartigste der ägyptischen Baukunst +betrachten können, so bot uns Dendera Gelegenheit, den Triumph der +griechischen und ägyptischen Architektur zu bewundern; denn der +Denderatempel, vollkommen von Schutt befreit und in allen Theilen +erhalten, ist das Vollendetste, was von den neueren ägyptischen +Bauwerken noch erhalten ist. + +Sodann fuhren wir ohne weiteren Aufenthalt (nur in Girgeh wurde eine +Stunde angehalten, um Proviant einzunehmen) nach Siut, von wo aus unsere +Expedition abgegangen war. Obgleich wir in früher Morgenstunde, um 6 +Uhr, landeten, war Herr Khaiat, des deutschen Consuls Sohn, schon in +Homra, dem Hasenplatze von Sint. In der Erwartung, daß wir kommen +würden, hatte er die ganze Nacht dort zugebracht. Hier hatten wir einen +längeren Anfenthalt, Jordan hatte noch eine astronomische Messung zu +machen, sodann waren noch sämmtliche Kisten, unsere Sammlungen +enthaltend, an Bord zu nehmen. Während der Zeit ließ es sich das +Consulat nicht nehmen, ein Frühstück zu arrangiren. Dem Consul und +seinem Sohne, welche von der koptischen zur reformirt-koptischen Kirche +übergetreten sind, pflichten wir den größten Dank. Während der ganzen +Expedition haben Beide mit unermüdlicher Sorgfalt mit uns Verbindung +gehalten, unsere Post besorgt, uns Lebensmittel und Alles, was sonst +nöthig war, nachgeschickt. Ohne sie wäre der Verlauf der ganzen +Expedition keineswegs so zusammenhängend und ohne Störung von Statten +gegangen. + +Durch ihre Vermittlung gelang es uns auch, die Erlaubniß zu bekommen, +uns einem Dampfer eines Pascha's anhängen zu dürfen, zwar nur bis +Monfalut, aber wir gewannen dadurch doch bedeutend an Zeit. Und dann +erreichten wir bald mit günstigem Chamsin-Winde[63] Rhoda, die +südlichste Eisenbahnstation. Abends dort angekommen, gelang es uns noch +am selben Tage, alle unsere Bagage auszuladen und in einem Gepäckwagen +der Eisenbahn zu verpacken. Der Chedive hatte uns bereitwilligst freie +Fahrt bis Kairo bewilligt. Die Nacht, welche wir in zwei Zimmern des +Stationsgebäudes zubrachten, gehörte allerdings nicht zu den +angenehmsten: Schnaken und tausend Insecten plagten uns derart, daß an +Schlaf nicht zu denken war. + +Anderen Tages fühlte man sich fast wie in Europa; die Eisenbahn hat +etwas eigenthümlich Heimisches; da, wo das Dampfroß schnaubt, glaubt man +schon mit einem Fuße wieder in der Heimath zu sein, und in der That, von +Rhoda aus steht man ja mit jedem größeren Orte Europas, ja der ganzen +Welt in ununterbrochener Dampffahrt-Verbindung. Vorsorglich hatte ich +Herrn Friedmann, dem Besitzer des Nil-Hôtel, telegraphirt, uns Wagen an +der Station Giseh bei Kairo bereit zu halten; wir fanden solche auch und +im Trapp ging's dann nach der Chalifenstadt hinein, durch die schöne +neue Allee von Lebeckbäumen, die, wie durch Zauber entstanden, von Kairo +bis zu den Pyramiden führt, über die neue Brücke und dann direct ins +Nilhôtel, den sichersten Hafen für Reisende, welche, wie wir, so lange +den civilisirten Genüssen fern gestanden hatten. + +Und wie sahen wir aus! Als wir das Hôtel betraten, riefen mir zwei +Amerikanerinnen "=shocking, shocking=" entgegen und flohen in den +Gartenpavillon. Vor einem Spiegel sah ich denn auch, daß ich keineswegs +ein gesellschaftsmäßiges Aussehen hatte; Schweiß, Staub und Hitze von +der Eisenbahnfahrt hatten mein Gesicht, das ohnehin verbrannt war, zu +einem Mohrenantlitz gestempelt, in allen möglichen dunkeln Farben +schillernd. Ein Bad brachte jedoch Alles in Ordnung und Abends bei der +=Table d'hôte= fand unsere ganze Reisegesellschaft einen +freundlichen Empfang. + +Ueber meinen Aufenthalt in Kairo habe ich diesmal nicht viel zu sagen. +Natürlich wurden wir vom Chedive wieder in Audienz empfangen, auch war +abermals eine Sitzung des Institut =Égyptien= und Gesellschaften +bei unseren Freunden--uns aber zog es, je näher wir Europa kamen, desto +mächtiger der Heimath entgegen. + +Zittel's und mein ursprünglicher Plan, unsere resp. Frauen nach Cairo +kommen zu lassen, mußte aufgegeben werden. Die Hitze und der Staub waren +nun schon so unerträglich, daß die Damen von einer solchen Reise keine +Annehmlichkeit und keinen Genuß gehabt hätten, aber dafür gaben wir uns +in Neapel Rendezvous. Und nachdem alles Geschäftliche abgewickelt war, +ging es in Alexandria an Bord. Zittel und ich hatten uns für das +französische Boot entschieden, aber es war so übervoll, daß wir keine +Cabine bekommen konnten, sondern uns blos mit einem Platze erster Classe +ohne Bett begnügen mußten. Das war freilich schlimm, denn es standen uns +noch immerhin vier Nächte bevor. Zittel eroberte sich indeß eines der +zwei Sophas und ich begnügte mich mit einem Seitentische oberhalb seines +Lagers. Eine eigenthümliche Gesellschaft war am Bord dieses Dampfers, +ein Abbild des heutigen Franzosenthums. Mit Ausnahme von einigen +Amerikanern und uns bestand die ganze Passagiergesellschaft aus +Schauspielern, Pfaffen und Pfäffinnen--Kirche und Theater. + +Da war ein Kapuzinermönch, da waren Augustiner, Dominikaner und einige +Weltgeistliche, im Ganzen, mit einem protestantischen Reverend, vierzehn +heilige Leute; da waren Schwestern vom heiligen Herzen Jesu und andere +auffallend gekleidete Nonnen; den ganzen Tag hatten sie ein kleines +Brevier in der Hand und den unvermeidlichen Rosenkranz, welchen +Buddhisten, Mohammedaner und Katholiken in brüderlicher Liebe +gleichmäßig als Gebetzähler adoptirt haben. + +Nicht so langweilig wie diese augenverdrehende Gesellschaft war das +lustige Theatervölkchen, ja eines Abends hatten wir sogar den Genuß, von +einer der Damen, mit Begleitung des am Bord befindlichen Pianos, hübsche +Lieder vorgetragen zu hören. Nirgends ist man auf dem Mittelmeere besser +aufgehoben, als an Bord der französischen Messagerie nationale[64]. Die +Officiere wie der Capitain sind meist gebildete, liebenswürdige Leute +und, bei der weltverbreiteten Bedeutung dieser französischen Dampfer, +sind sie frei von jener krankhaften Neigung, in jedem Deutschen einen +Feind zu sehen. Die Cabinen sind vortrefflich und jede nur zu zwei +Betten eingerichtet. Die Küche vorzüglich, ebenso die Getränke. + +Wir hatten die Annehmlichkeit, an einem kleinen Tische allein zu +speisen, nur zwei Yankees, die Erbauer der Pacific-Bahn, ein +ägyptisch-arabischer Kaufmann, ein Jude und der katholische Patriarch +von Jerusalem waren unsere Genossen. Man kann sich denken, daß da die +Unterhaltung eine äußerst mannigfaltige war, wenngleich die +Verschiedenartigkeit der Sprachen bisweilen wohl etwas hindernd +erschien. + +Die Fahrt durch die unvergleichlich schöne Meerenge von Messina, die +Einfahrt in den Busen von Neapel werden für Jeden von uns gewiß +unvergeßlich sei. Da ankerten wir nun im Angesichte der stolzen Königin +des Mittelmeeres, ungeduldig des Zeichens gewärtig, das Schiff verlassen +zu dürfen. Eifrig suchten wir unter den hundert kleinen Booten, die den +Dampfer umkreisten, ob nicht in einem unsere Frauen sein könnten. Aber +vergebens, keine blonde Dame war unter ihnen. Hier war ein Boot mit +hübschen schwarzen Damen, auf Verwandte wartend, dort waren Hôteldiener, +um Fremde zu angeln; hier hatte ein Policinello in schaukelnder Jolle +sein Theater aufgestellt, hier trillerte ein Leierkasten, dort kam ein +Schiff mit Mönchen, ja es drängte sich sogar eine ganze Musikbande +heran; aber so sehr wir auch suchten, unsere Frauen waren nicht +erschienen. + +Endlich erlaubte man uns, an's Land zu gehen. Die italienische Douane +war höflich und nachsichtig, und in schneller Fahrt eilten wir zum +=Hôtel de Russie=, =vis-à-vis= von St. Lucia unmittelbar am +Golf gelegen. Aber eine neue Enttäuschung erwartete uns: "Zwei Damen +logiren hier nicht," sagte uns der Portier.--Aber eine genauere +Nachforschung Zittel's brachte uns die Gewißheit, daß am Abend vorher +unsere Frauen angekommen, doch momentan spazieren gefahren seien. Man +kann sich unsere Ungeduld denken, die indeß eine nicht zu lange Probe +zu bestehen hatte; denn kaum hatten wir Jeder unser Zimmer bezogen, als +mächtig große Camelien-Bouquets hineingeworfen wurden und gleich mit +ihnen die Frauen hereinstürmten. Ein Wiedersehen nach fünfmonatlicher +Trennung kann Jeder, der verheirathet ist, sich ausmalen, zumal wenn so +weite Räume, so beschwerlich zu durchziehende Gegenden von der Heimath +einen entfernten. + +Ich verweile nicht bei Neapel, wo an einigen angenehm verlebten Tagen +die Reize dieser bevorzugten Stadt uns den freundlichsten Empfang auf +europäischem Boden bereiteten. Die Chiaja, das neue zoologische Institut +unter der Direction des Deutschen Dorn[65], eines hervorragenden +Gelehrten, Sorrent, Capri und Abends unter den Fischerhallen von St. +Lucia bilden unverwischliche Glanzpunkte Neapels. In Pompeji war ich mit +Baron v. Keudell, einer alten Bekanntschaft von mir, zusammengetroffen; +Se. Excellenz lud mich freundlich ein, ihn in Rom zu besuchen. Der +Einladung folgend, traf es sich aber so unglücklich, daß wir an dem +Abende, wo meine Frau und ich den Vorzug haben sollten, bei ihm +zuzubringen, nicht zu Hause waren, da wir die Einladung zu spät erhalten +hatten; am anderen Morgen vor der Abreise hatte ich indeß Gelegenheit, +die prachtvolle Wohnung der deutschen Gesandtschaft auf dem Capitol zu +bewundern. Herr v. Keudell zeigte mir selbst die Räumlichkeiten, den +Garten und die köstliche Aussicht. + +"_Nach Deutschland_" drängte es immer lebhafter in mir, und nur in +Mailand, der Stadt des Marmor-Doms, hatten wir dann noch einen +eintägigen Aufenthalt. Im Hôtel Reichmann fanden wir eine ganz +freundliche Aufnahme, und wenn dies Hotel eine kleine Weile seinen +Nimbus einbüßen konnte, so ist derselbe seit Kurzem wieder hergestellt. +Herr Reichmann =jun.= verwaltet jetzt auf's Ausgezeichnetste dies +von den Deutschen am liebsten besuchte Hôtel. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 60: =Jollois description p. 14=.] + +[Footnote 61: Präsident des Gemeinderathes.] + +[Footnote 62: Verwalter.] + +[Footnote 63: Chamsin heißt fünfzig, die Eingeborenen nennen diesen Wind +so, weil er 50 Tage lang wehen soll aus SSO.] + +[Footnote 64: =Messagerie nationale= hat, wenn Frankreich +Kaiserreich oder Königreich ist, den Titel =m. impériale= oder +=m. royale=.] + +[Footnote 65: Kein Deutscher, der Neapel besucht, sollte versäumen, das +Gebäude des zoologischen Instituts, an der Chiaja gelegen, zu besuchen. +Dort bekommt man den besten Begriff eines reichen Aquariums, wie ein +solches weder in Brighton, noch Hamburg oder Berlin vorhanden ist.] + + + + +12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnographische Schilderung. + + +_Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Begräbniß._ + +Wie geschäftig die Frauen seit dem Morgen schon die Esel +zusammentreiben! Unter Lachen und Schreien haben die Knaben und +Jünglinge dabei geholfen, die Langohren vor einem großen Zelte (es +gehört dem Kaid Abu Ssalam) zusammenzuhalten. + +Heute wird eine große Festlichkeit vor sich gehen; man erwartet +stündlich die Entbindung der zweiten Frau des Kaids, der Lella Mariam, +einer jungen, reizenden Frau von vornehmstem Zelte. Kaid Abu Ssalam, der +selbst nicht aus dem Geschlechte Mohammed's ist, sonst aber auch aus +einem großen Zelte[66] stammt, hat durch seinen Reichthum es möglich +gemacht, eine Scherifa zur Frau zu bekommen, d.h. eine Dame vom Stamme +des Propheten. Um so mehr ist das zu bewundern, als Abu Ssalam schon +eine Frau besitzt und Lella Mariam nicht nur jung und schön, ihr Alter +betrug 15 Jahre, sondern auch reich ist. Aber welch' stattlicher Mann +ist auch Kaid Abu Ssalam und wie geachtet und unabhängig im ganzen +Lande! Selbst der Sultan liebt ihn. + +Vom Stamme der Beni-Amer hatte er vor etwa 30 Jahren, als die +Ungläubigen das Gebiet von Tlemßen besetzten, die dortige Gegend +verlassen und nach einer dreijährigen Wanderung, immer nach Westen +ziehend und oft genug mit der langen Flinte sich einen Weg bahnend, hat +er den eigentlichen Westen erreicht, den Rharb el djoani, das gelobte +Land der Gläubigen. Der Sultan ertheilte gern die Erlaubnis zum Bleiben, +und nachdem die üblichen Abgaben geregelt waren, erhielt Abu Ssalam, es +war das schon zu Lebzeiten des Sultans Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam, +die Erlaubniß, seinen Stamm an die Ufer des Ued Ssebu zu führen. + +Abu Ssalam herrschte über drei Duar (Zeltdörfer), von denen das größere +sich aus circa 30 Zelten zusammensetzte und dem er selbst vorstand; die +beiden kleineren, aus je 20 und 24 Zelten aufgeschlagen, waren von +seinen jüngeren Brüdern beherrscht. Bei dem Jüngsten lebte außerdem noch +ihr gemeinschaftlicher Vater, der Hadj Omar-ben-Edris, der aber schon +lange die Kaidschaft an seinen ältesten Sohn abgetreten hatte. + +Die drei Duar, so ziemlich in einer Linie gelegen, machten Front nach +Westen und lehnten sich an einen Bergrücken; hier bestand derselbe aus +herrlichen Wiesen, während nach dem Gipfel zu immergrüne Bäume, aus +Korkeichen, Lentisken und Juniperen bestehend, den Berg bedeckten. Etwa +eine Viertelstunde unterhalb der drei Zeltdörfer schlängelte sich der +Ued Ssebu vorbei und ganz in der Ferne erglänzte der blaue Ocean. Der +Raum zwischen den Dörfern und dem Flusse war durchweg beackert, aber +unmittelbar neben den Zeltdörfern befanden sich auch kleine +Gemüsegärtchen, eingezäunt von großen Dorngebüschen des stacheligen +Lotusstrauches, das, obschon todt, dennoch hinlänglichen Schutz gewährte +gegen weidende Thiere. + +Von dem großen Zelte Abu Ssalam's also zogen sie ab, eine ganze Karawane +lachender Frauen und Mädchen, einige zwanzig Esel mit leeren ledernen +Schläuchen beladen vor sich hertreibend. Wohl manche mochte hoffen, +heute bei der Festlichkeit das Herz eines Jünglings zu fesseln; die +jungen Mädchen erzählten sich, wie viele Armbänder sie anlegen würden. +Da sagte eine Andere, sie würde ihr Haar frisch machen lassen[67], und +unter Jubeln und Lachen war der Ssebu erreicht. + +Das Füllen der Schläuche aus einem mächtigen Strome ist leichte Arbeit. +Die jungen Mädchen gingen bis an die Knie in den Strom, ließen das +Wasser hineinlaufen und nachdem sodann noch Einige die Zeit benutzten, +ein Bad zu nehmen, wurden die Schläuche, je zwei, einem Esel aufgeladen +und zurück ging es zum Duar. + +Unter der Zeit war die Geburt vor sich gegangen und Abu Ssalam's größter +Wunsch war erfüllt, seine junge Frau hatte ihm einen kräftigen Knaben +geschenkt. Zu Ehren seines Vaters erhielt derselbe noch _am selben Tage_ +den Namen Omar. Es ist Sitte, daß das Namengeben noch am Tage der Geburt +geschieht. Wie war nun die Geburt vor sich gegangen? Wir können nur nach +Hörensagen berichten, denn nie, und wenn auch die Frau dadurch vom Tode +hätte gerettet werden können, darf ein Mann, ein Arzt oder Geburtshelfer +bei einem solchen Acte zugegen sein. + +Es scheint, daß bei Lella Mariam die Geburt leicht von Statten ging; +Abends vorher waren Hülfsweiber gekommen, und als am anderen Morgen die +Frauen vom Wasserholen zurückkamen, ertönte durch die Duar der Ruf: +"=El Hamd ul Lahi mabruck uldo=", "Gott sei gelobt, der Sohn sei +ihm zum Segen". Und vor dem Zelte, aus einem Arbater Teppiche, saß Abu +Ssalam und empfing die Glückwünsche der männlichen Bevölkerung der drei +Zeltdörfer. Auch manche alte Frau, ja manches junge Mädchen kam herbei, +beugte rasch ein Knie und küßte Abu Ssalam's Hand den Gruß flüsternd: +"=Rbi ithol amru=", Gott verlängere seine Existenz. Und er konnte +recht stolz sein, unser Abu Ssalam; sein heißer Wunsch, einen +Nachfolger, einen Sohn zu haben, war erfüllt. Zwar sein Stamm konnte so +leicht nicht aussterben; den Stammbaum direct bis zum Chalifen Omar +zurückführend, waren die Beni-Amer jetzt einer der mächtigsten Stämme +unter den Arabern, ihre Duar zogen sich durch ganz Nordafrika. Seine +eignen Leute näherer Verwandtschaft, die er nach dem Rharb (Marokko) +geführt hatte, zählten über 100 Leute männlichen Geschlechts. Genau +hatte Abu Ssalam sie nie gezählt, denn ein rechter Gläubiger zählt die +Seinigen nicht. Aber er selbst hatte von seiner zuerst angeheirateten +Frau Minana nur zwei Töchter, und Minana mit ihren 21 Jahren schien ihm +wenig Hoffnung zu machen, ihm noch einen Sohn zu geben. Daher hatte er +denn auch vor etwa neun Monaten die liebliche Lella Mariam geheirathet. + +Jede Vorkehrung war aber auch diesmal getroffen worden, damit Abu Ssalam +einen Sohn bekäme. Er selbst war nicht nur vor mehreren Monaten nach +Uesan gepilgert, um die Intervention Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's +anzurufen, er hatte sogar das feste Versprechen Sidi's[68] erlangt, daß +der Allerhöchste ihm einen Sohn schenken würde, und der Großscherif +hatte freundlich dafür ein Pferd als Geschenk anzunehmen geruht; ja, um +ganz sicher zu gehen, war er nach Fes zum Grabmal Mulei Edris gepilgert +und hatte den Tholba (Schriftgelehrten) der Djemma (Gotteshaus) des +Mulei Edris fünfzig Duros geopfert; mußte da Allah ihm nicht einen Sohn +schenken? + +"Gott segne den Großscherif!" rief Abu Ssalam, "Gott gewähre Mulei Edris +alle Freuden des Paradieses," fügte er hinzu, "denn sie waren es, die +mir den Knaben schenkten." Und da kam auch schon Lella Mariam aus dem +kleinen Zelte, welches neben dem Zelte ihres Mannes war, nicht in +Festgewändern, aber doch in einen neuen Haik gehüllt. Sie hatte vor sich +das Knäblein und niederknieend legte sie den neuen Familienstammhalter +vor ihren Gatten hin. Sie selbst in aufgelöstem Haare[69], da sie genau +nach den Vorschriften des Gesandten Gottes lebte, hielt sich knieend +abseits, da ihr Mann sie doch nicht, weil sie unrein war, berühren +durfte. Nachdem die junge Mutter und das Knäblein den Segen vom Manne +und Vater erhalten und der daneben sitzende Fakih (Doctor der Theologie) +der Zeltdörfer das Fötah (erstes Capitel des Koran) gebetet hatte, ging +sie ins Zelt zurück; schon am anderen Morgen machte sich die junge Frau +an ihre gewöhnlichen Beschäftigungen, denn ein Wochenbett abhalten, wie +bei uns die Frauen in Europa es zu thun gewohnt sind, kennt man in +Marokko nicht. + +Am selben Abend aber war großes Festessen vor dem Zelte Abu Ssalam's. Er +hatte viele Hammel und Ziegen schlachten lassen zu Ehren des Tages und +die Frauen des Duars hatten den ganzen Tag Kuskussu bereiten müssen, der +in größeren hölzernen Schüsseln für die Gäste hingesetzt wurde. + +Was mich anbetrifft, so wollte ich gern Näheres über den Geburtsact +erfahren. Auf mein Befragen erzählte man mir, es sei Sitte, wenn eine +Frau in Nöthen sei, so lasse man zuerst einen Fakih kommen, der durch +Weihrauch und fromme Sprüche den Teufel zu bannen versuche, denn der +Teufel ist auch in Marokko die Ursache allen Uebels. Hilft das nicht, so +bekommt die Frau Koransprüche, die auf eine hölzerne Tafel geschrieben +werden, zu trinken, indem die Sprüche von der Tafel abgewaschen werden; +hilft auch das Verfahren noch nicht, so werden Koransprüche auf Papier +geschrieben, zerstampft und mit Wasser gemischt der Leidenden +eingegeben. Aber manchmal hat der Satan das Weib derart in Besitz +genommen, daß er selbst durch das heilige Buch nicht ausgetrieben wird. +Dann werden allerlei Amulete angewandt, z.B. die in ein Ledersäckchen +eingenähten Haare eines großen Heiligen, die man der Kreißenden auf die +Brust legt, oder Wasser vom Brunnen Semsem, welches man ihr zu trinken +giebt, oder Staub aus dem Tempel von Mekka[70], welchen man auf ihr +Ruhebett legt. In einigen Fällen läßt sodann der Teufel seine Beute los +und der Vorgang erfolgt für die Mutter auf glückliche Weise. Es kommen +jedoch genug Fälle vor, wo der Iblis (Teufel) derart sich des Weibes +bemächtigt, daß er keinem Mittel weichen will; die Hülfsweiber nehmen +dann selbst den Kampf mit ihm auf. Unter Beschwörungen und fortwährend +rufend: =Rham-ek-Lab=! (Gott erbarme sich Deiner!) wird die Frau +ergriffen, ein starkes Band um den Rücken und unter die Achsel +durchgeschlungen und so in die Luft gezogen. Dadurch wollen sie die +Wehen beschleunigen, und zeigt sich möglicherweise ein Theil des Kindes, +entweder der Kopf oder die Füße, so versuchen sie, diese Theile zu +ergreifen und durch starkes Reißen und Ziehen das Kind zu Tage zu +befördern. Nur selten gelingt das, meist wird das Kind zerrissen und +fast immer ist der Tod der Mutter Folge dieses barbarischen Verfahrens: +Gott verfluche den Teufel! + +Der kleine Omar wuchs kräftig heran; wie sollte er auch nicht! Zwei +Jahre hatte ihn seine Mutter Lella Mariam selbst gesäugt und nur wenig +war er während dieser Zeit Tags vom Rücken seiner Mutter gekommen und +Nachts aus dem Schooße derselben. Denn die Frauen pflegen ihre Kinder so +aufzuziehen, daß sie mit Ausnahme der Augenblicke, wo dem Kleinen die +Brust gereicht wird, Tags über in einer Falte des Haiks (großes +Umschlagetuch) auf dem Rücken der Mutter in _reitender_ Stellung sich +befinden. Es hat das zur Folge, daß die meisten Marokkaner sowohl +männlichen wie weiblichen Geschlechtes Säbelbeine haben. Nachts aber +ruht das Kindchen vor seiner Mutter, die während der zwei Jahre +beständig allein lebt, obschon es ihrem Manne nach Ablauf von drei +Perioden gestattet ist, sie wieder zu besuchen und mit ihr Umgang zu +pflegen. Nachdem die zwei Jahre vorbei waren und Omar statt der süßen +Muttermilch jetzt saure Buttermilch und Abends Kuskussu zu essen bekam, +wurde ihm auch zum ersten Male das Kopfhaar geschoren; aber sein Vater +Abu Ssalam gab wohl Acht, daß am Scheitel des Kopfes eine Locke, Gotaya, +sowie an der rechten Seite des Kopfes außerdem ein Streifen von Haaren +in der Form eines Halbmondes stehen blieb, denn die Kinder der Beni-Amer +hatten seit undenklichen Zeiten einen solchen Schmuck getragen. Am +selben Tage gab er seinem Zelte[71] einen Hammel zum Besten, sonstige +Festlichkeiten fanden nicht statt. + +Dafür wurde aber die Beschneidung Omar's in seinem achten Jahre desto +festlicher begangen. Omar war jetzt ein kräftiger Bursche geworden; +fortwährend in der freien Natur hatte er tagelang die Schafe und Ziegen +seines Vaters mit hüten helfen und gewöhnlich auch das Pferd mit zur +Schwemme reiten müssen; er verstand es schon, die eignen Kamele oder die +der etwa ankommenden Fremden mit niederknien zu machen und der +Thaleb[72] der Zeltdörfer hatte ihn das erste Capitel des Koran gelehrt. + +Der feierliche Augenblick war gekommen, wodurch der kleine Omar jetzt in +die Gemeinschaft der Muselmanen aufgenommen werden sollte. Um den Glanz +des Festes noch mehr zu erhöhen, hatte Abu Ssalam es übernommen, +sämmtliche gleichalterige Knaben der drei Zeltdörfer der Beni-Amer, und +es waren deren noch sieben, auf seine Kosten beschneiden zu lassen. Ja, +ohne den Neid und die Mißgunst seines eignen Fakih's (Doctor der +Theologie) und der Tholba[73] der Duars zu erregen, weil sie auch ihre +Gebühren bekamen, hatte er einen in hohem Ansehen stehenden +Schriftgelehrten aus Fes kommen lassen. Die Gebühr für die Beschneidung, +3 Metkal, erlegte er im Voraus. Wie reich aber mußte Abu Ssalam sein, +daß er so große Summen zahlen konnte, denn zahlte er doch, wie schon +gesagt, seinen eignen Schriftgelehrten die nämliche Summe. Und wenn man +bedenkt, daß man in Marokko für die Beschneidung sonst nichts zu +bezahlen braucht, der bemittelte Mann höchstens eine Maß Korn oder ein +Huhn oder einige Eier dem Schriftgelehrten für seine Bemühung giebt, so +kann man ermessen, wie freudig die Eltern ihre Söhne herbeibrachten. Das +Glück, vom heiligen Sidi Mussa aus Fes beschnitten zu werden, war zu +groß. Abu Ssalam aber hatte es von jeher als eine Regel der Klugheit +betrachtet, mit den heiligen Leuten, mit der Geistlichkeit, auf gutem +Fuße zu leben und er hatte längst eingesehen, daß man mit der +Geistlichkeit nur dann auf gutem Fuße lebt, _wenn man sie tüchtig +zahlt_. Aber dafür war er auch des Paradieses sicher; der Segen, den sie +ihm ertheilten, war _länger_ als der für die übrigen Gläubigen, und +durch die vielen Wohlthaten, die er den Fakih's und Tholba erwiesen +hatte und noch immer erwies, war Abu Ssalam selbst in den Ruf großer +Frömmigkeit gekommen. + +Die acht Knaben wurden vor das Djemmazelt[74] in einer Reihe +aufgestellt, und nachdem vom Fakih Sidi Mussa ein langes Gebet war +gesprochen worden, ging er auf Omar zu, der von seinem Vater gehalten +und ermahnt wurde, standhaft zu sein, ergriff sodann das Präputium und +trennte es mit einem raschen Schnitte von der übrigen Haut; das noch +übrig gebliebene Frenulum wurde mit einem zweiten Schnitte getrennt und +sodann kam ein anderer Thaleb und streuete pulverisirten Schöb (Alaun) +auf die blutenden Ränder. Standhaft hatte der Knabe Omar ausgehalten, +seine Zähne zusammenbeißend murmelte er fortwährend: "Gott ist der +größte, es giebt nur einen Gott." Sein Vater trug ihn, Omar war fast +ohnmächtig geworden, nun gleich ins väterliche Haus zurück, während ein +Sclave ein ganz neues Hemd und eine neue weißwollene Djilaba[75] vor ihm +hertrug, Festgeschenke seines Vaters, welche aber erst angelegt werden +durften, wenn der Kranke vollkommen genesen war. Die Beschneidung der +übrigen Knaben erfolgte auf dieselbe Weise, nur daß einige von ihnen ein +entsetzliches Geschrei ausstießen, und merkwürdiger Weise war einer +unter ihnen ohne Präputium, oder doch nur mit einer Andeutung davon. +Natürlich wurde er gleich für heilig erklärt, denn wie selten trifft es +sich, daß ein Mensch beschnitten zur Welt kommt. Die Geschichte (d.h. +nach der Auffassung der Marokkaner) nennt nur Mulei Edris, Sidna +Mohammed, Sidna Brahim, Sidna Daud und Sidna Mussa als von Gott +beschnittene Leute, d.h. ohne Präputium zur Welt gekommen. Der so +ausgezeichnete Knabe, Namens Hamd-Allahi, hat denn auch später eine +wichtige Rolle gespielt; er war von Gott beschnitten, er war ein +Heiliger vor Gott und wer weiß, ob er nicht einst berufen ist, alle +Menschen zum Islam zurückzuführen, damit alle Menschen des Paradieses +teilhaftig werden, das Gott ihnen durch seinen Liebling Mohammed +verheißen hat. + +Aber wie segensreich sollte überhaupt diese Beschneidung für die acht +Knaben werden, wie überhaupt für den ganzen Stamm der Beni-Amer! Die +Beschneidung nämlich war vollzogen worden mit einem Mus min Hedjr[76] +(Steinmesser). Seit undenklichen Zeiten vererbte sich ein Steinmesser +vom Vater auf den Sohn in diesem Stamme der Beni-Amer, und einer +schriftlichen Tradition zu Folge soll die Beschneiduug Sidni Omar's, des +Stammvaters der Beni-Amer und zweiten Chalifen, mit diesem selben Messer +vorgenommen worden sein. Wie ein Heiligthum wurde dasselbe in der +Familie bewahrt, und selbst als es bei der Eroberung der Provinz Tlemsen +durch die Ungläubigen, bei der Plünderung des Duars durch die +Christenhunde, verloren gegangen war, kam es durch ein Wunder wieder in +den Besitz des Kaids Abu Ssalam. Der Chalif Sidni Omar hatte es ihm +selbst eines Nachts zurückgebracht, er fand es unter seinem Kopfkissen. +Alle umliegenden Stämme beneideten die Beni-Amer um einen so köstlichen +Schatz. Die meisten Marokkaner lassen sich mit gewöhnlichen Rasirmessern +beschneiden, d.h. diese haben den Namen Rasirmesser, sind aber weiter +nichts, als die elendesten Klingen dieser Art. + +Omar verbrachte nun die nächsten Jahre damit, den Koran zu lernen, d.h. +schriftlich und auswendig; denn heute gilt es in Marokko für einen Mann, +der einst Kaid seines Stammes sein will, für unerläßlich, _selbst_ lesen +und schreiben zu können. Nicht, als ob er jemals diese Wissenschaften +praktisch verwerthen würde, aber es gehört zum guten Ton, und wie auch +in Marokko in dieser Beziehung die Mode anfängt, unerbittlich zu sein, +so mußte sich Omar den langweiligen Unterrichtsstunden im Koranlesen und +Buchstabenmalen unterwerfen. Sein Vater war glücklicher gewesen; zu +seiner Zeit erheischte man noch nicht von den jungen Leuten, Lesen und +Schreiben zu lernen. Omar machte dann in Gemeinsamkeit mit seinem Vater +mehrere Reisen in Marokko, denn Kaid Abu Ssalam hatte den Entschluß +gefaßt, die Pilgerfahrt nach Mekka erst dann zu machen, wenn sein Sohn +eine Frau habe: dann solle die ganze Familie das Haus Gottes besuchen. +Aber er lernte doch Fes kennen, er sah in Mikenes den Sultan, er +unternahm eine Siara (Pilgerreise) nach der heiligen Stadt Uesan, er kam +nach Tanger, um dort die Feuerschiffe der ungläubigen Hunde zu +bewundern, und hatte das achtzehnte Jahr erreicht, um daran denken zu +können, eine Frau zu nehmen. + +Bei den freien Zeltbewohnern Marokko's ist es keineswegs Sitte, daß die +Frauen sich verschleiern, wie in den Städten; Jünglinge und Jungfrauen +haben daher auch Gelegenheit, sich zu sehen, kennen zu lernen und zu +lieben. Auf dem Lande werden daher auch häufig genug Heirathen aus +wahrer Neigung geschlossen. Omar hatte seit längerer Zeit Gelegenheit +gehabt, die Reize und Vorzüge eines jungen Mädchens kennen zu lernen, +welches nur einige Stunden von seinem Duar entfernt lebte. Es war das +Aischa bent Abu Thaleb vom Stamme der Uled Hassan. Die beiden Väter +waren seit Langem durch Freundschaft verbunden; der Duar der Uled Hassan +lag auf dem Wege vom Ssebu nach Fes. Wenn nun Abu Ssalam nach der +Hauptstadt reiste, was häufig genug vorkam, so nächtigte er nicht im +allgemeinen Dar diaf (Fremdenzelt) der Uled Hassan, sondern ging zum +Zeltendes Abu Thaleb selbst, und umgekehrt machte es dieser so, wenn +sein Weg ihn in die Nähe des Ued Ssebu führte. + +Omar war dann mehrere Male in Begleitung seines Vaters gewesen und seit +vier Jahren war ihm die wunderbare Schönheit Aischa's aufgefallen; +Aischa selbst mochte, als er sie zum ersten Male sah, 10 Jahre alt sein, +jetzt hatte sie 14. Kein Mädchen hatte seiner Meinung nach so feurige +Gazellenaugen, keine hatte einen kleineren Granatmund und längeres +schwarzes Haar, keine hatte so volle Formen und kleinere Hände und Füße. + +In seinen Augen verstand kein anderes Mädchen so gut die Ziegen zu +melken wie Aischa, oder mit gleich lieblicher Anmuth einen Teller Brod +anzubieten oder eine Schale mit Milch zu credenzen. Aber was war Alles +dies gegen den Zauber ihrer Stimme? Zwar hatte Omar selbst nur einmal +mit ihr gesprochen, als er ermüdet das Zelt ihres Vaters erreichte und +um einen Trunk Wasser bat. Da schoß Aischa wie ein Reh davon, und aus +dem Schlauche eine Tasse füllend, überreichte sie dieselbe mit den +Worten: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes). Das war Alles, was +Aischa direct zu ihm gesprochen hatte. Aber von dem Augenblicke sagte +Omar zu sich: "Du kannst nur Aischa zum Weibe nehmen und keine andere." +Er glaubte nun auch zu wissen, daß Aischa gern seine Frau werden würde, +er schien bei ihr eine gewisse Sympathie für sich bemerkt zu haben, und +ohne daß man mit Worten seine Gedanken auszutauschen braucht, merken +die jungen Leute in Marokko ebenso leicht wie bei uns, was Liebe ist. + +Omar war im Frühling, nur von Gefährten und Sclaven begleitet, von Fes +zurückgekommen, er hatte wieder bei Abu Thaleb die Nacht zugebracht, er +hatte die großen Augen Aischa's wiedergesehen, er hatte sie plaudern +hören mit ihren Gespielinnen und von dem Augenblicke war sein Entschluß +gefaßt. Als er am anderen Abend den eignen elterlichen Duar erreichte, +rief er seine Mutter bei Seite; er gestand ihr seine Liebe zu Aischa und +bat sie, mit dem Vater deshalb zu sprechen. + +Obschon seine Mutter, Lella Mariam, eigentlich ein anderes junges +Mädchen für ihren Sohn im Auge hatte, er sollte eine weitläufige +Verwandte, die ebenfalls Scherifa (aus dem Stamme des Propheten) war, +heirathen, so lag ihr das Glück ihres einzigen Sohnes doch viel zu sehr +am Herzen, als daß sie hätte Schwierigkeiten erheben wollen. Zudem wußte +sie wohl, daß, obwohl sie großen Einfluß auf ihren Mann hatte, die +Entscheidung einer so wichtigen Angelegenheit von ihm abhing. Sie +beeilte sich daher, ihrem Manne Mittheilung davon zu machen, und +wunderte sich, daß derselbe ihres Sohnes Liebe ziemlich gleichgültig, +fast kalt aufnahm. + +Kaid Abu Ssalam war ein praktischer Mann, auch er hatte längst eine +Schwiegertochter im Auge; das war aber keineswegs Aischa, die Tochter +seines armen Freundes, sondern Sasia, die Tochter eines reichen Kaids +der Uled Sidi Schich, deren Zelte in der Nähe von Udjda standen. Seit +Jahren hatten die Väter dieses Project genährt. Die Uled Sidi Schich +waren ebenfalls aus der Provinz Tlemsen vertrieben, aber sie waren nur +über die Grenze gegangen. Safia mußte um diese Zeit etwa 13 Jahre alt +sein und noch vor Kurzem hatte ihr Vater an Abu Ssalam geschrieben, nach +Udjda zu kommen und seinen Sohn mitzubringen und dieser hatte es +versprochen.--Jetzt sollte aus dieser Heirath, die Abu Ssalam fast schon +als abgemacht fand, nichts werden, er sollte sein Wort brechen.--Aber +Omar, der einzige Sohn, kam selbst, er beschwor den Vater, ihm Aischa zu +verschaffen, er würde sterben, wenn Aischa nicht sein Weib würde, und +dann flehte die Mutter, Lella Mariam, zu Gunsten des Sohnes; wie konnte +da der Vater, der Gatte widerstehen? + +Vor allen Dingen schickte er daher Leute ab an den Kaid der Uled Sidi +Schichs, um ihm anzuzeigen, er könne und wolle sein Versprechen nicht +halten, sein Sohn Omar habe sich eine andere Frau genommen. Sodann ging +man gleich an die Brautwerbung, um jetzt die Hochzeit so rasch wie +möglich zum Abschluß zu bringen. + +Unter dem Vorwande, nach Fes reisen zu wollen, brach Abu Ssalam, von +seiner Frau Mariam begleitet, auf und erreichte Nachmittags den Duar der +Uled Hassen, um bei seinem Freunde Abu Thaleb abzusteigen. Die +Begleitung der Lella Mariam erregte natürlich das größte Aufsehen und im +ganzen Zeltdorfe flüsterten die Frauen und jungen Mädchen über dieses +Ereigniß und prophezeiheten eine baldige Hochzeit. Abu Thaleb, der, wie +schon gesagt, nicht begütert war, besaß nur ein Zelt, aber durch eine +Scheidewand von wollenen Stoffen war eine Abtheilung für seine Frau +hergestellt und in diese begab sich sogleich Lella Mariam zur Mutter +Aischa's. + +Sie fing damit an, von gleichgültigen Sachen zu sprechen und kam dann +allmälig auf die Vorzüge ihres Sohnes; sie pries dessen Kraft und +Schönheit, sie deutete an, daß er dereinst Kaid seiner Stämme werden +würde, sie betonte, daß er von väterlicher Seite das Blut des Chalifen +Omar, von mütterlicher das des Propheten habe und meinte schließlich, +daß jedes Mädchen glücklich sein müsse, das er sich als Frau auserwählen +würde. Sodann fügte sie noch hinzu, daß Aischa ein hübsches und +tugendhaftes Mädchen sei, die wohl für Omar passen möchte. Aischa, wohl +ahnend was kommen würde, war gleich im Anfange dem Zelte entschlüpft und +hatte sich draußen etwas zu thun gemacht. Die Mutter Aischa's hingegen +hatte nicht genug Lob für ihre Tochter, keine sei so schlau wie sie, +keine verstehe so dauerhafte Haiks (Umschlagetücher) zu weben wie sie, +keine verstehe die Kügelchen zum Kuskussu so fein zu reiben wie sie und +ihre Keuschheit und Sittsamkeit sei über alles Lob erhaben; aber +schließlich meinte auch sie, daß Aischa wohl für Omar passen würde. + +Als nach dem Abendessen, welches die beiden Männer gemeinsam eingenommen +hatten, ein jeder sich mit seiner Frau allein befand,--Aischa selbst war +für die Nacht zu einer Freundin gegangen,--erfuhren sie von ihren Frauen +den Gedankenaustausch und Abu Ssalam beschloß nun, am anderen Morgen von +Aischa's Vater ihre Hand für seinen Sohn zu verlangen. Ob Aischa +einwilligen würde, daran dachte er wenig, zumal er nach seines Sohnes +Worten vermuthen durfte, daß eine gegenseitige Neigung vorhanden sei. + +Da Kaid Abu Ssalam entschlossen, seinem Sohne (er hatte ja nur den +einzigen) schon bei Lebzeiten einen Theil seiner Heerden abzutreten, so +war er bald mit Aischa's Vater, dem Abu Thaleb, einig, er bezahlte ihm +200 Duoros, also einen bedeutend höheren Preis[77], als sonst üblich +ist. Es wurde außerdem festgesetzt, daß Aischa drei neue silberne +Spangen (um das Gewand festzustecken), zwei silberne Armbänder, zwei +silberne Fußringe, im Ganzen im Gewichte von fünf Pfund Silber, bekäme, +daß sie zwei Sack Korn, eine neue große kupferne Gidra[78], einen +Teppich von Arbat, im Werthe von 20 Duoros, ein neues Hemd, einen neuen +Haik, ein neues seidenes Kopftuch und eine neue seidene Schürze als +Aussteuer bekäme, daß endlich das Maulthier, auf dem sie hergeleitet +würde, Eigenthum ihres Mannes bliebe. Es war also genau so viel der +Braut an Gegenständen mitzugeben, als der Schwiegervater dem Abu Thaleb +an Geld gezahlt hatte; einer alten Sitte gemäß hatte überdies Aischa +noch für ihren Zukünftigen das Hemd selbst zu nähen, welches er am +Hochzeitstage zu tragen hatte, auch eine rothe Mütze mußte sie ihm +mitbringen, wofür der Bräutigam am Festtage der Braut einen silbernen +Ring und eine Halsschnur von Bernstein überreichte. + +Nachdem die beiden Väter dieses unter sich abgemacht hatten, begaben +sie sich zum Kadhi der Uled Hassan, wo alle diese Bestimmungen zu Papier +gebracht und von Beiden unterzeichnet wurden; auch wurde der Tag der +Heimführung der Braut, der Hochzeitstag, bestimmt und Alles dies durch +ein gemeinsames Fötah (Segen, d.h. das erste Capitel des Koran wird +gesprochen) besiegelt. + +Abu Ssalam mit seiner Ehehälfte zog sodann eiligst nach Hause, denn da +die Hochzeit schon nach acht Tagen stattfinden sollte, mußten jetzt +rasch die Vorbereitungen zur Festlichkeit gemacht werden. Es mußten die +Einladungen ergehen an nahe wohnende Freunde, Geschenke für die +Geistlichkeit mußten gemacht werden, damit diese den Segen Gottes auf +das neue Ehepaar herabflehe, Lämmer und Ziegen mußten ausgesucht werden +zum Schlachten, und Tag für Tag waren die Frauen der drei Duar +beschäftigt, Kuskussukügelchen[79] zu rollen, denn Hunderte von Personen +waren am Hochzeitstage zu bewirthen. + +So nahete der Tag. Einige Tage vorher saß Aischa schon mit umwickelten +Händen und Füßen; denn während sonst die+ Frauen es für genügend halten, +während einer Nacht, um eine rothe Färbung hervorzubringen, ihre +Gliedmaßen in zerstampftes Hennahkraut einzuwickeln, hatte Aischa's +Mutter, um eine recht rothe Farbe hervorzurufen, es für nothwendig +gehalten, dies während mehrerer Tage hindurch zu thun. Ihre Augenlider +wurden mit Kohöl geschwärzt, ebenso die Brauen, und auf ihre Stirn +hatte ihre Mutter ihr ein reizendes Blümchen gezeichnet, während auf die +Außenfläche der rothen Hand verschiedene schwarze Zickzacklinien gemalt +wurden. Ihre Freundinnen und Gespielinnen waren alsdann behülflich, sie +anzukleiden, nachdem Aischa im nahen Flusse ein Bad mit ihnen genommen +hatte. Aber weniger prunkvoll, wie dies die Städterinnen zu thun +pflegen, war das bald geschehen: ein seidenes Tuch um den Kopf +geschlungen, nur mit Mühe das lange hervorquellende Haar zurückhaltend, +welches sorgfältig gekämmt, geölt und geflochten war, ein neues Hemd, +ein neuer weißer Haik, der über den Kopf und um den ganzen Leib +geschlungen wurde, eine seidene Schürze von Fes, das war nebst rothen +Pantöffelchen an den Füßen der ganze Anzug; denn Hosen, Westen, Kaftane +und dergleichen Kleider, wie sie die Städterinnen in Fes, Mikenes oder +einer anderen Stadt tragen, kennen die Töchter eines Zeltes nicht. +Sodann wurde Aischa mit Rosenwasser übersprengt, mit Bochor und Djaui +(Sandelholz und Weihrauch) durchräuchert und in die Kubba auf's +Maulthier gesetzt. + +Unter Thränen hatte sie Abschied von ihrer Mutter und von ihren +Freundinnen genommen, denn die Sitte erheischte, daß diese daheim +blieben; nur die männliche Bevölkerung der Uled Hassan und zu beiden +Seiten des Maulthieres zwei ehrwürdige Greise, ihr Vater und ihr Oheim +väterlicher Seits, begleiteten sie. Früh aufgebrochen, waren sie schon +Mittags Angesichts der drei Duar der Beni-Amer, und sobald der Zug +sichtbar war, kamen sämmtliche Leute der Beni-Amer und viele Fremde der +Umgegend, die Pferde hatten, auf sie losgesprengt und bewillkommneten +die Braut durch Flintenschüsse. Der Bräutigam war aber nicht dabei. + +Im Duar des Bräutigams selbst angekommen, wurde sie sogleich nach dem +Zelte ihrer Schwiegermutter geführt, und jetzt, unter lauter ihr fremden +Frauen, zeigte sie sich zum ersten Male ihren neuen weiblichen +Verwandten; denn wenn die Frauen des Zeltes auch nicht verschleiert +sind, so war Aischa doch in der Kubba, d.h. in einer Art Käfig, der auf +dem Maulthiere ruhte, hergekommen und war somit allen Blicken entzogen. +Die Frauen verbringen jetzt die Zeit mit Essen und Trinken. Unterdeß +haben sich aber auch die Männer versammelt, sie ziehen vor das Zelt des +Bräutigams, der, in neue Gewänder gehüllt, heraustritt. Sein Kopf ist +vollkommen mit einem Turban umwickelt, nur ein schmaler Spalt für die +Augen ist gelassen. Man heißt ihn ein Pferd besteigen und sodann reiten +Alle aus dem Duar heraus, um ein Lab, d.h. ein Wettrennen mit Schießen, +abzuhalten. Der Bräutigam allein nimmt nicht Theil. Er hält gegenüber +dem Zelte, wo man weiß, daß die Braut mit den übrigen alten und jungen +Frauen sich aufhält, und nimmt so gewissermaßen Angesichts seiner Braut +eine Parade ab. Weder kann er sie sehen, noch sie ihn, denn das Zelt ist +bis auf einige Schlitze dicht zusammengezogen und sein Kopf ist +verhüllt. Endlich ergreift, nachdem Alle schon mehrere Male das Pulver +haben sprechen lassen, Omar ebenfalls eine Flinte, er schwingt sie um +seinen Kopf, er saust davon, macht Kehrt, um im rasendsten Ritte auf's +Zelt seiner Braut loszugehen, und angekommen, drückt er seine Flinte ab, +schwenkt seitwärts, nachdem er noch die Flinte hoch in die Luft +geschleudert und geschickt wieder aufgefangen hat. + +Es wird Abend und der Bräutigam wird nach seinem Zelte zurückgeführt. +Nun beginnen allgemeine Schmausereien; aber die Frauen, immer in ihrer +Mitte noch die Braut Aischa behaltend, setzen den Kampf gegen die +Kuskussuschüsseln allein fort, frischen Muth dazu dann und wann durch +eine Tasse stark mit Münze aromatisirten Thee's schlürfend. Die meisten +Männer und Jünglinge essen im Freien, denn die Zelte bieten weder Raum +noch Helligkeit, nur der Bräutigam bleibt allein. Es scheint sich ein +wahrer Wettstreit unter den Gästen im Essen zu entwickeln; aber wenn man +weiß, wie ausnahmsweise und selten in Marokko den Leuten die Gelegenheit +geboten wird, Fleisch zu essen, so kann man sich vorstellen, wie es dann +bei einem Mahle hergeht, wo Fleisch in Hülle und Fülle vorhanden ist und +man seine Höflichkeit und Freude am besten dadurch kund zu geben meint, +wenn man so viel ißt, als man überhaupt nur essen kann. + +Die Dunkelheit ist nun völlig hereingebrochen. Da sieht man plötzlich +aus dem Zelte der Frauen einen Zug herauskommen, voran die Braut, sie +allein verschleiert; ihr zur Seite gehen andere junge Mädchen, in der +einen Hand eine Papierlaterne tragend, in der anderen ein mit +Rosenwasser geschwängertes Tuch, womit sie der Braut wohlriechende Luft +zuwehen; andere Frauen, und zwar zunächst die Schwiegermutter Lella +Mariam, folgen, alle haben Laternen. Sie gehen auf das Zelt Omars zu, +der fortwährend allein geblieben war, und da von der anderen Seite auch +die Männer herbeigekommen waren, so ruft Abu Thaleb: "Omar ben Abu +Ssalam, bist Du im Zelte, so erscheine und bezeuge im Namen des einigen +Gottes, daß Du meine Tochter Aischa als Deine Frau aufnehmen und +ernähren willst." Omar erschien und bezeugte es im Namen Gottes. Sodann +ruft sein Vater: "Ich bezeuge im Namen des Höchsten, daß ich an Abu +Thaleb 200 Duro gezahlt habe; hast Du sie bekommen, o Freund?"--"Mit +Hülfe Gottes habe ich das Geld empfangen und laß Deinen Sohn morgen +zeugen, ob die Morgengabe Aischa's richtig ist."--Darauf wurde das Fötah +gebetet und die Mutter Omars, die Braut ihm zuschiebend, schlug das Zelt +über Beide herab, und Omar und Aischa lagen einander in den Armen. + +Draußen wurden aber die Schwelgereien im Essen fortgesetzt. Kaid Abu +Ssalam hatte Sänger und Lautenspieler kommen lassen, Tänzerinnen hatten +sich eingestellt, kurz, es fehlte nichts einer, einem so reichen und +mächtigen Kaid würdigen Hochzeitsfeier. Aber stürmischer Jubel brach +los, als einige Zeit nachher Lella Mariam, die Mutter Omar's, die vor +dem Zelte Platz genommen hatte, aufstand und ein Hemd, das der gewesenen +Braut Aischa, durch die Luft schwenkte. Das Hemd enthielt Blutstropfen, +Omar konnte also den sichtbaren Beweis der Jungfräulichkeit seiner Braut +liefern und dieser mußte Allen, die an der Hochzeitsfeier Theil nahmen, +gezeigt werden. Kann dieser nicht beigebracht werden, so ist überhaupt +die Heirath, _wenn der Gatte will_, als nicht geschehen zu betrachten. + +Drei Tage dauerten diese Schmausereien, während welcher Zeit aber das +junge Paar meistens allein blieb, um ganz das Glück der ersten Liebe zu +genießen; vielleicht hätte auch Kaid Abu Ssalam die Festlichkeit noch +länger ausgedehnt, da bei sehr reichen Familien acht Tage lang festirt +wird, wenn nicht ein Ereigniß eingetreten wäre, das den Lustbarkeiten +ein jähes Ende setzte. + +Wohl durch zu viele Arbeit, die der alte Omar, Vater Abu Thalebs, seinem +Magen aufgebürdet hatte, vielleicht auch durch Uebermaß des sonst +ungewohnten Fleischgenusses, erkrankte er und schon nach einigen Stunden +hatte er aufgehört zu leben. + +Sobald man den Tod des alten Omar als sicher constatirt hatte, wurden +alle alten Weiber vor sein Zelt beordert, um das Klagen und Weinen zu +besorgen, während die Männer den noch warmen Leichnam wuschen, +räucherten und in ein neues Stück Kattun einwickelten. Dies dauerte +einige Stunden, sodann wurde eine Tragbahre geholt und der Verstorbene +hinaufgelegt, denn bei den Zeltbewohnern herrscht die Sitte, den Todten +in einen Sarg oder eine Truhe zu legen, nicht. Vier Männer bemächtigten +sich der Bahre und sodann ging es fort in so schnellem Schritte, als +man, ohne zu laufen, nur gehen konnte. Beständig wurde nach einförmiger +Melodie gesungen: =Lah illaha Il Allaha=, und wenn dies etwa +hundert Mal wiederholt worden war, bildete der Satz: =Mohammed ressul +ul Lah= den Schluß, um aber gleich wieder von vorn anzufangen. Alle +zwanzig Schritte lösten sich die Leute im Tragen ab, damit Jeder der +Ehre, den Todten zur letzten Stätte zu tragen, theilhaftig werden könne. +Nach dem Gottesacker der Beni-Amer, der ziemlich entfernt vom Duar +gelegen war, waren aber schon vorher einige Leute geschickt worden, um +die Gruft zu bereiten, und als der Trauerzug ankam, war Alles in +Ordnung. + +Ein letztes Fötah wurde gebetet und die Sure: "Sag', Gott ist der +Einzige und Ewige. Gott zeugt nicht und ist nicht gezeugt und kein +Geschöpf gleicht ihm," wurde von allen Anwesenden gelesen[80] und darauf +unter dem Ausrufe: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes) der Leichnam +in die Gruft gelegt. Ein Jeder der Anwesenden warf eine Hand voll Sand +auf den Körper und hierauf wurde durch Hacken die Grube schnell mit Erde +gefüllt. Damit nicht etwa Hyänen das Grab eröffnen könnten, wurden +sodann zum Schlusse schwere Steine über das Ganze gelegt. Zurück wurde +der Weg eben so rasch und ebenfalls unter dem Gesange: "=Lah illaha Il +Allaha=" gemacht. Acht Tage lang mußten außerdem Trauerweiber, die +zum Theil bezahlt waren, klagen und weinen, die Männer aber gingen ihren +gewöhnlichen Beschäftigungen nach, pflegten sich aber auch Abends beim +Trauerzelte einzufinden, weniger um der Vorzüge und Tugenden zu +gedenken, die der verstorbene Omar ben Edris gehabt haben sollte, als um +an der Mahlzeit Theil zu nehmen, die sein Sohn während der achttägigen +Klagezeit allen Mittrauernden spenden mußte. Die Trauer durch besondere +Kleider, z.B. schwarze Gewänder, auszudrücken, ist aber bei den +Zeltbewohnern so wenig Sitte, wie bei den mohammedanischen Städtern. + +Daß der Kaid der Uled Sidi Schich die Kränkung nicht ruhig hinnahm, weil +man seine Tochter verschmäht hatte, versteht sich von selbst. Und so +erschien er denn eines Tages mit zwanzig Reitern nach gefahrvollen +Märschen; es gelang ihm auch, eine Nachts außengebliebene Heerde +fortzutreiben. Doch die schnell aufgebotenen Beni-Amer, im Verein mit +einigen Uled Hassan, ereilten die Räuber, ein kurzes Gefecht entspann +sich, einige Kugeln wurden gewechselt. Die Uled Sidi Schich zogen +natürlich den Kürzeren, im Triumphe wurde die geraubte Heerde +zurückgebracht und seit der Zeit lebt Omar zufrieden und ruhig am Ued +Ssebu, lebt wie sein Vater und seine Vorfahren gelebt hatten und wie +seine Söhne und Nachkommen unwandelbar nach denselben Sitten und +Gebräuchen weiter leben werden. + +FOOTNOTES: + +[Footnote 66: Wie man bei uns sagt, er stammt aus einem großen Hause, so +sagt man in Marokko min cheima kebira ("von einem großen Zelte").] + +[Footnote 67: In Marokko flechten und kämmen die Frauen und Mädchen ihr +Haar keineswegs alle Tage, sondern nur bei festlichen Gelegenheiten.] + +[Footnote 68: Sidi ist der Titel des Großscherifs der heiligen Stadt +Uesan.] + +[Footnote 69: Mohammed sagt im Koran: "Niemand trage seine Haare in +Flechten bis zu den Schultern herab." Weil, S. 251.] + +[Footnote 70: Obschon es Mohammed ausdrücklich verboten ist, Staub aus +dem Tempel von Mekka als Reliquie mitzunehmen, thun es die meisten +marokkanischen Pilger doch.] + +[Footnote 71: Man sagt so, natürlich sind die Insassen des Zeltes +gemeint.] + +[Footnote 72: Schreiber.] + +[Footnote 73: Plural von Thaleb.] + +[Footnote 74: In jedem marokkanischen Duar befindet sich ein Zelt, das +zum Abhalten des freitäglichen Chothagebetes bestimmt ist und Situn el +Djemma heißt; in der Regel dient es auch als Herberge für Fremde und +heißt dann Situn el Diaf.] + +[Footnote 75: Wollenes Uebergewand.] + +[Footnote 76: In einzelnen Familien haben sich behufs der Beschneidung +Steinmesser oder vielmehr scharfe Steinscherben vom Vater auf den Sohn +vererbt und wahrscheinlich sind sie aus Arabien mit herübergebracht +worden.] + +[Footnote 77: Der gewöhnliche Preis ist auf 60 französische Thaler, in +Marokko Doro oder Duoro genannt, fixiert.] + +[Footnote 78: Kupferner Kessel.] + +[Footnote 79: Die Kuskussukügelchen aus Weizen- oder Gerstenmehl, auf +einem Palm- oder Strohteller gerieben, sind von der Größe unserer +Perlgrütze. Getrocknet halten sie sich monatelang, ja über ein Jahr. Man +nimmt sie auch als Provision auf Reisen mit.] + +[Footnote 80: Der Araber braucht das Wort "ikra" er liest, nicht blos +von der Handlung in unserem Sinne, d.h. wenn man aus einem Buche etwas +abliest, sondern auch, wenn Jemand aus dem Koran oder sonst einem Buche +ein Capitel hersagt.] + + +Leipzig, + +Druck von Alexander Edelmann. + + + + + + +End of the Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und +Erforschung Africa's., by Gerhard Rohlfs + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITR„GE ZUR ENTDECKUNG *** + +***** This file should be named 16280-8.txt or 16280-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + https://www.gutenberg.org/1/6/2/8/16280/ + +Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online +Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. 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It exists +because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from +people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. +To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation +and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 +and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. + + +Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive +Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at +https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent +permitted by U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. +Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered +throughout numerous locations. Its business office is located at +809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email +business@pglaf.org. 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