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+The Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und Erforschung
+Africa's., by Gerhard Rohlfs
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Africa's.
+ Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+Author: Gerhard Rohlfs
+
+Release Date: July 13, 2005 [EBook #16280]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITRÄGE ZUR ENTDECKUNG ***
+
+
+
+
+Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online
+Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This
+file was produced from images generously made available
+by the Bibliotheque nationale de France (BnF/Gallica) at
+http://gallica.bnf.fr.
+
+
+
+
+
+
+Beiträge
+
+zur Entdeckung und Erforschung
+
+Africa's.
+
+Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+von
+
+Gerhard Rohlfs.
+
+ * * * * *
+
+Leipzig,
+
+Verlag der Dürr'schen Buchhandlung
+
+1876
+
+Mit dem Stahlstich-Portrait des Verfassers
+
+
+Beiträge
+
+zur
+
+Entdeckung und Erforschung Afrika's.
+
+[Illustration: Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs]
+
+[Illustration: Handwriting]
+
+Contributions
+
+à la découverte cf á l'exploration
+
+de l'Afrique
+
+Récite des anneés 1870-1875
+
+Herr Gerhard Rohlfs
+
+Leipzig
+
+Dürr
+
+1876
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+
+Beiträge
+
+zur Entdeckung und Erforschung
+
+Afrika's.
+
+Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+von
+
+Gerhard Rohlfs.
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+Leipzig,
+
+Verlag der Dürr'schen Buchhandlung
+
+1876
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+
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+
+
+
+INHALT
+
+
+1. Der Kanal von Suez
+2. Bauten in Afrika
+3. Lagos an der Westküste von Afrika
+4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika
+5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern
+6. Beitrag zur Kenntnis der Sitten der Berber in Marokko
+7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker
+8. Aufbruch zur Libyschen Wüste
+9. Das jetzige Alexandrien
+10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten
+11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste
+12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnografische Schilderung
+
+
+
+
+
+
+1. Der Kanal von Suez.
+
+
+Es hat kaum ein großartigeres Unternehmen mehr das Interesse der
+gebildeten Welt in Anspruch genommen, als der Durchstich des Isthmus von
+Suez, eine Unternehmung, wie sie eben nur der vor nichts
+zurückschreckende Geist des 19. Jahrhunderts erdenken konnte. Und keine
+Arbeit ist mehr besprochen und beschrieben worden, als gerade dieser
+Kanal, Stimmen haben sich dafür und dagegen erhoben; Enthusiasten
+wollten den Kanal in ein paar Jahren vollenden, unterschätzten die
+Schwierigkeiten, setzten die Kosten zu gering an; ihre Gegner sprachen
+von unüberwindlichen Hindernissen, vom Niveauunterschiede der beiden zu
+verbindenden Meere, von nicht zu besiegenden Sandstürmen der Wüste, vom
+Mangel an Geld und endlich, falls der Kanal zu Stande käme, von den zu
+großen Kosten, welche die Rheder für ihre durchgehenden Fahrzeuge zu
+entrichten haben würden.
+
+Im Jahre 1854, als Hr. von Lesseps vom Vicekönig die Autorisation bekam
+zur Anlegung eines maritimen Kanals durch die Landenge, constituirte
+sich infolge dessen eine internationale Commission, bestehend aus
+Ingenieuren von England, Oesterreich, Spanien, Frankreich, den
+Niederlanden und Preußen, um einen Plan auszuarbeiten, und nachdem diese
+Commission festgestellt hatte, daß kein Niveauunterschied zwischen den
+beiden getrennten Meeren vorhanden sei, hatte sie die Bildung des Kanals
+von Suez und eine Subscription zur Folge. Die auszuführenden Arbeiten
+waren auf 200 Mill. Frs. veranschlagt worden, welche Summe aufgebracht
+wurde. Im Jahre 1859 begannen die ersten Arbeiten unter der
+unmittelbaren Direction der Compagnie selbst.
+
+Diese bestanden hauptsächlich in Menschenwerk; das ägyptische
+Gouvernement hatte contractlich 20,000 Fellahin oder Leibeigene zu
+liefern, welche eine monatliche Dienstzeit hatten, wobei sie auf Kosten
+der Compagnie ernährt und abgelohnt wurden. Jeden Monat löste ein Haufen
+anderer Zwangsarbeiter den alten ab.
+
+Als nun Ende 1865 die Unzulänglichkeit dieser Arbeiten sich
+herausstellte, schloß die Compagnie mit dem Hause Borrel und Lavaley
+einen Contract, demzufolge das genannte Haus es übernahm, sämmtliche
+Erdarbeiten, die Ausgrabung und Ausbaggerung des Kanals durch Maschinen
+bewerkstelligen zu wollen. Zugleich wurde der Firma Dussaud Frères die
+Vollendung der großen Molen von Port-Said überwiesen und die Arbeiten,
+welche dieses Haus durch seine colossalen künstlichen Steinblockbauten
+in Algier, Cherbourg u.s.w. ausgeführt und dem man neuerdings noch die
+Construction des Hafens von Smyrna übergeben hatte, waren hinlänglich
+Bürge, daß ihnen die Molen von Port-Said würden ebenbürtig zur Seite
+gestellt werden können.
+
+Es handelte sich nun aber darum, das ägyptische Gouvernement, welches
+sich verpflichtet hatte, während des Kanalbaues so und so viele Arbeiter
+zu liefern, dahin zu bringen, daß es für die jetzt unnöthig gewordenen
+Menschenkräfte einen äquivalenten Theil an Geld gewährte und die
+ägyptische Regierung, immer bei der Hand, das Unternehmen auf's
+Großmütigste zu fördern, ging auf's Bereitwilligste daraus ein. Indeß
+stellte es sich heraus, daß die Ablösungssumme, welche die Compagnie
+verlangte, 54 Mill. Frs. dem Vicekönig zu hoch gegriffen schien und man
+kam nun überein, sich einem Schiedsrichter zu unterwerfen, wozu beide
+Parteien den Kaiser Napoleon wählten. Aber nicht für 54 Millionen
+entschied sich der Kaiser der Franzosen, sondern für 84 Millionen,
+welche die ägyptische Regierung der Compagnie zu zahlen habe. Die
+anfängliche Schätzung der Compagnie war also bedeutend durch den
+Ausspruch des Kaisers Napoleon überboten worden. Man hat behaupten
+wollen, der Umstand, daß Herr von Lesseps ein Verwandter der Kaiserin
+Eugenie ist, habe nicht wenig dazu beigetragen, eine für die Compagnie
+so außerordentlich günstige Entscheidung herbeizuführen. Außerdem hatte
+die Compagnie einen neuen Geldzuschuß von 10 Mill. Frs. als
+Entschädigung für die Domäne Tel-el-kebir vom Vicekönig erhalten.
+Trotzdem daß nun die ursprünglich veranschlagte Summe von 200 Mill. Frs.
+sich so um fast 100 Millionen erhöht fand, stellte es sich schon im
+kommenden Jahre heraus, daß zur Beendigung des Kanals noch wenigstens
+100 Millionen erforderlich seien. Deshalb ging Anfang 1868 Herr Lesseps
+nach Paris, um eine neue Anleihe zu negociiren. Eine Anleihe als solche
+scheiterte indeß, es gelang aber Herrn Lesseps eine Lotterie mit
+Bewilligung der französischen Kammer zu Stande zu bringen, welche bis
+Anfang Juni 1868 40-45 Millionen ergab und endlich wurden durch
+verschiedene Operationen die finanziellen Schwierigkeiten des Kanalbaues
+überwunden.
+
+Nach der damaligen Abmachung sollten die Arbeiten bis zum 1. October
+1869 fertig sein und nach den Arbeiten des Hauses Borrel und Lavaley zu
+schließen, konnte dies auch geschehen. Denn um von dem Augenblicke an
+den Kanal so herzustellen, daß er überall an der Wasserlinie eine Breite
+von 100 Meter, an der Basis 22 Meter (an einigen Stellen indeß oben 75
+Meter und unten blos 12 Meter) mit einer Tiefe von überall 8 Metern
+habe, blieben vom Juni 1868 an noch 34 Millionen Kubikmeter Terrain
+wegzuräumen übrig. Mit der Arbeitsfähigkeit, welche Borrel und Lavaley
+zu ihrer Disposition hatten und wodurch bis Mai 1868 circa 18 Millionen
+Kubikmeter Erdreich weggeschafft wurde und welche im Juli 1868 bis auf
+20 Millionen Kubikmeter gesteigert werden konnte, stellte es sich
+heraus, daß in der That bis Ende des Jahres 1869 der Kanal fertig sein
+würde. Ob aber derselbe dann schon für die größten Fahrzeuge passirbar
+sein würde, war eine andere Frage; jedenfalls aber konnten Borrel und
+Lavaley, die mit der Compagnie übereingekommen waren, eine so und so
+große Menge von Erdreich aus der vorgeschriebenen Linie des Kanals
+hinwegzuräumen, ihren Verpflichtungen nachkommen. Zur Ausführung dieser
+großartigen Arbeit hatten Borrel und Lavaley folgende Maschinen, welche
+sämmtlich entweder in England oder Frankreich und Belgien angefertigt
+sind, zur Disposition: a) 10 mechanische Zermalmer; b) 4
+Handbaggermaschinen; c) 19 kleine Baggermaschinen; d) 58 große
+Baggermaschinen, von denen 20 mit langen Abgüssen; e) 30 Dampfschiffe,
+um Schutt wegzufahren, mit Seitenklappen; f) 79 Schuttdampfschiffe mit
+Grundklappen, 37 von diesen hielten das Meer; g) 18 Elevateurs; h) 90
+schwimmende Chalands mit Schuttkisten; i) 30 Dampfwidder; k) 15
+Dampfchalands; l) 60 Locomobilen; m) 15 Locomotiven; n) 20
+Dampferdhöhler theils für trockenen, theils nassen Boden; o) 1800
+Erdwagen; p) 25 Dampfcanots oder Remorqueurs; q) 200 eiserne Chalands.
+
+Wir brauchen nicht zu erwähnen, daß auch noch ein genügendes und
+massenhaftes Material von kleinen Geräthen, als Schaufeln, Hacken,
+Schiebkarren u.s.w. vorhanden war. Borrel und Lavaley hatten außerdem
+eine Arbeitskraft von circa 12,000 Menschen auf dem Platze, welche
+theils aus Eingeborenen, die sich freiwillig zum Arbeiten gemeldet
+hatten, theils aus Europäern bestand. Alle Arbeiten waren contractlich;
+erstere bekamen für 1 Meter Kubikfuß 1 Fr. 95 Cent., wo das Terrain
+leicht zu bearbeiten war; wo es hingegen, wie in Chalouf, schwierig war,
+bis 2 Frs. 45 Cent., die Handwerker und Europäer hatten nicht unter 5
+Frs. per Tag.
+
+Bald darauf wurden aber wieder viele Stimmen laut, daß nach vollendetem
+Kanalbaue zwei große Schiffe neben einander nicht würden passiren
+können; indeß bei den geringsten Dimensionen von 75 Meter an der
+Wasserlinie und 12 Meter an der Basis waren wir berechtigt, anzunehmen,
+daß dies der Fall sein würde oder daß man dem würde abhelfen können.
+Man wollte ferner behaupten, daß die Ausfüllung der Bitterseen vom
+Mittelmeere aus zu rasch vor sich gehen würde und so durch den
+hereinbrechenden Strom der Kanalbau beschädigt, wenn nicht ganz zerstört
+werden könnte. Die Anfüllung des Timsahsees im Jahre 1861, wozu nicht
+weniger als circa 100 Mill. Kubikmeter Wasser erforderlich waren, welche
+dem mittelländischen Meere entzogen wurden, hatte jedoch gezeigt, daß
+bei so großen Quantitäten mit verhältnißmäßig so geringem Falle die
+Strömung mit großer Langsamkeit vor sich geht; und so konnte man genau
+berechnen, daß zur Ausfüllung des großen und kleinen Beckens des
+Bittersees, welcher wenigstens 20 Mal so viel Volumen Wasser
+verschlingen würde, als der Timsahsee, fast zwei Monate erforderlich
+sein müßten.
+
+So war, als wir Mitte Juni 1868 den Kanal besuchten, die Sachlage; und
+wenn wir auch nicht der Meinung der Pessimisten waren, welche
+behaupteten, der Kanal würde nie fertig, würde stets wieder versanden
+oder auch diese Compagnie würde nicht die erforderlichen Mittel
+aufbringen können, um die Bauten zu Ende zu führen, und es würde so
+selbstverständlich der Kanal in die Hände der Engländer übergehen
+(beiläufig gesagt wäre dies gar kein Schaden für die kommerzielle Welt),
+so waren uns doch auch andererseits starke Zweifel aufgestoßen, ob der
+Kanal schon Ende 1869 der allgemeinen Benutzung würde übergeben werden
+können. Denn wenn auch die Firma Borrel und Lavaley die vorgeschriebenen
+34 Mill. Kubikmeter Terrain bis Ende 1869 herausgeschafft haben konnte,
+so war damit lange noch nicht der Kanal fertig. Vor Allem wäre überdies
+der Compagnie eine weise Sparsamkeit anzuempfehlen gewesen. Wozu nützte
+es damals, nachdem sie alle Privatarbeiten abgegeben hatte an
+Privatunternehmer (Borrel und Lavaley, Dussaud Frères, Couvreur in El
+Guisr u.a.m.), einen so großen Stab zu unterhalten? Seitdem die
+Compagnie sich nicht mehr direct bei den Arbeiten betheiligte, wie im
+Anfange, war es da nicht eine eitle Geldverschleuderung, noch immer
+denselben Personalbestand zu haben, welcher unter den hochtönenden Namen
+Agence supérieure und Direction générale des travaux ein Personal von
+über 200 Leuten (officiell) aufwies, von denen der geringste Beamte
+sicher nicht unter 5000 Frs., der Director Herr Voisin 50,000 Frs.
+Gehalt bezog?
+
+Man kann von drei Seiten hinkommen, um den Kanal zu besuchen: von
+Port-Said, von Ismaïlia und Suez. Wir gingen im Jahre 1868 von letzterem
+Platze aus, uns auf dem Süßwasserkanal einschiffend, welcher von
+Ismaïlia kommt und in Suez sein Ende hat. Von diesem Orte an bis nach
+Ismaïlia hatte der Kanal eine Länge von 90 Kilometern, war an der
+Wasserlinie überall 14 Meter breit und hatte eine durchschnittliche
+Tiefe von 1,20 Meter. Es bestand eine regelmäßige Post, jedoch konnte
+man auch Extradahabien haben, welche von Maulthieren, die immer im
+schnellen Trabe oder Galop gehen, gezogen wurden. Der Verkehr war schon
+sehr belebt durch kleine Privatschiffe; so bezogen schon damals die
+indischen Schiffe und ganz Suez alle Kohlen mittelst des Kanals. Um die
+Fähigkeit zu haben, überall halten und aussteigen zu können, zogen wir
+eine Extradahabie vor, zumal die Posten sehr schmutzig und voller
+Ungeziefer waren. Jede Dahabie hat einen Vorraum und einen kleinen
+Salon, der für vier Personen geräumig ist, sogar ein kleines
+Ankleidezimmer und Accessoir fehlen nicht. Die unvermeidlichen
+Hausthiere mohamedanischer Länder, lästige kleine Insecten, fehlen aber
+auch in den Extradahabien nicht, was auch ganz natürlich ist, da der
+Reïs oder Capitain in Abwesenheit von Passagieren sich sicher nicht zum
+Schlafen auf das Dach der Dahabie, sondern aus die Sophas in derselben
+legt und seine beiden Leute sicher seinem Beispiel folgen. Man kann,
+falls man sich gar nicht aufhält, die Fahrt von Suez nach Ismaïlia in
+10-12 Stunden machen, indeß war es sehr gerathen, einige Stunden in
+Chalouf zu bleiben, um die dortigen Arbeiten zu besichtigen. Hier ist
+der einzige Ort, wo man auf felsiges Terrain, jedoch von lockerer
+Beschaffenheit, stieß. Tagtäglich fand man hier die schönsten
+Versteinerungen, Fische, Säugethiere und Pflanzen. Als wir den tiefen
+Graben besuchten, wurde gerade ein ausgezeichnet schöner Rückenwirbel
+eines Elephanten ausgegraben. Es herrschte in Chalouf ein reges Lebens,
+große Dampfpumpen waren fortwährend in Thätigkeit, um das eindringende
+Wasser, welches der nahe Süßwasserkanal durchsickern ließ,
+herauszuschaffen, während andere mächtige Maschinen die Erde selbst
+angriffen. Nur in Chalouf hatte man jetzt noch das Bild und Profil des
+Kanals, da die anderen Strecken zwischen Port-Said und Ismaïlia alle
+angefüllt waren. Aber gerade vor Thoresschluß den Kanal entstehen sehen
+die riesigen Arbeiten bewundern zu können, gerade das hatte einen
+besonderen Reiz. Wenn man jetzt nach Vollendung des Durchstiches über
+den Kanal dahinfährt, kann man sich kaum eine richtige Idee machen von
+den Schwierigkeiten, welche besiegt werden mußten.
+
+Nebenbei war hier eine ganze Stadt entstanden; es gab Kirchen, Moscheen,
+Wirtshäuser, Spitäler, Cafés u.s.w. Von hier nun wendet sich der
+Süßwasserkanal ab, um die Bitterseen, deren Bassin tiefer ist, als die
+Basis des Süßwasserkanals, zu vermeiden, und bei der großen Hitze, die
+im Sommer hier herrscht, zogen wir es vor, diesen Theil des Weges Nachts
+zu machen, wo wir dann am anderen Morgen früh in Serapeum eintrafen;
+dies liegt am Nordrande der Bitterseen. Vom Süßwassercanal führt eine
+Zweigbahn nach Serapeum. Auch hier konnte man die Arbeiten in ihrer
+ganzen Großartigkeit bewundern und auch hier hatte sich rasch ein Ort
+entwickelt, wie es übrigens das Zusammensein so großer Arbeitermassen
+von selbst mit sich bringt.
+
+Von Serapeum bis Ismaïlia sind nur noch 20 Kilometer und bald landete
+die Dahabie an dem schönen steinernen Kai; vorbeifahrende Wagen, die
+Menge der Schiffe (unter denen manche Dreimaster und stattliche
+Mittelmeerdampfer), Kirchthürme, Häuser und Hotels, wie man sie nur in
+den großen Seestädten findet, überraschen den Reisenden, so daß er
+glaubt in Europa zu sein.
+
+Ismaïlia ist eine Stadt von circa 8000 Einwohnern. Nach einem vollkommen
+regelmäßigen Plane gebaut, ist es weit hinaus im Halbkreise von einem
+Süßwasserkanale umgeben, welcher von üppigen Weiden bordirt ist. Man hat
+eine katholische und zwei griechische Kirchen, eine Moschee, zwei
+Hospitäler, von denen eins für die arabische Bevölkerung bestimmt ist.
+Es befinden sich hier die Gebäude der Directoren, welche an Pracht und
+Bequemlichkeit in nichts den Sommerwohnungen der Fürsten nachstehen.
+Die Straßen sind breit und vor allen Privathäusern breite Blumenbeete
+und Baumanlagen, was einen reizenden Anblick gewährt. Namentlich der
+Hauptcentralplatz ist eine allerliebste Anlage und obgleich erst seit
+zwei Jahren geschaffen, so üppig, als ob sie seit zehn Jahren bestände.
+In Ismaïlia ist das beste Hôtel das Hôtel des voyageurs; es giebt aber
+noch fünf oder sechs andere. Natürlich wo Franzosen sind, fehlen nicht
+die Cafés chantants und die Roulette; diese ist jetzt in Aegypten so
+verbreitet, wie in Californien und namentlich zur Zeit der
+Baumwollenperiode wurden oft in den schmutzigsten Winkelbuden Summen
+umgesetzt, um die sie die Banken von Homburg, Wiesbaden und Ems hätten
+beneiden können. Aber auch das deutsche Bier hat seinen Weg zum Kanal
+gefunden und in Ismaïlia wie in allen anderen Städten Aegyptens giebt es
+deutsche Bierbrauer, welche ihr Bier von Wien beziehen. Es hatte den
+Anschein, als ob Ismaïlia nach Vollendung des Kanals sein Aufblühen,
+welches es den Arbeiten hauptsächlich verdankt hatte, einbüßen würde,
+aber jetzt im Bereiche des Eisenbahnnetzes, wird die Stadt doch immer
+eine gewisse Wichtigkeit behalten, wenngleich es sich wohl nie zu einer
+bedeutenden Stadt hinaufschwingen wird.
+
+Der Timsahsee war jetzt vollkommen angefüllt, er ist südlich von der
+Stadt und circa einen halben Kilometer entfernt und hat eine Oberfläche
+von 60 Hectaren. Der Canal maritime geht an der östlichen Seite
+hindurch. Obgleich das auf dem Boden stark aufgehäufte Salz, welches
+sich beim Hereinlassen des Mittelmeerwassers natürlich auflöste,
+anfänglich keine Fische leben ließ, so ist doch durch die constante
+Erneuerung des Wassers, durch den Abfluß vom Süßwasserkanal her, der
+Salzgehalt so vermindert, daß eine Menge Fische jetzt darin leben,
+obgleich der Salzgehalt des Wassers noch bedeutend größer ist, als der
+des mittelländischen Meeres. Das Wasser ist übrigens hell, wie Krystall,
+und ladet Jeden zum Baden ein. Krocodile sind heute nicht mehr zu
+fürchten (behar el timssah heißt Krocodilsee) und eine gute Badeanstalt
+am Ufer des Sees sorgt für alle Bedürfnisse ihrer Clienten.
+
+Von Ismaïlia bis Port-Said benutzte man damals schon den Canal maritime
+der von Port-Said an gerechnet 75 Kilometer lang ist (die Länge des
+ganzen Kanals beträgt bis Suez 160 Kilometer). Es war hier schon
+tägliche Dampfverbindung und man legte die Fahrt gewöhnlich in acht
+Stunden zurück. Die Dampfer, kleine Boote, waren übrigens zweckmäßig
+eingerichtet und hatten eine erste und zweite Classe. Der Kanal hatte
+hier überall die planmäßige Breite, aber noch nicht die gehörige Tiefe
+zwischen diesen beiden Plätzen. Durch den Balahsee kam man zuerst nach
+El Guisr, einem Punkte, der Interesse erregte durch die Ausstellung der
+Maschinen des Herrn Couvreux. Diese Maschinen, Excavateurs genannt,
+griffen mittelst Dampf das trockene Erdreich an, sind also
+Trockenbaggerer; das Süßwasser wurde nach diesem Orte durch
+Dampfdruckmaschinen befördert. Nichts war eigenthümlicher als der
+Anblick der colossalen Dampfbaggerer und der Elevateurs, die man nun von
+hier an auf Schritt und Tritt bis Port-Said fand. Es gab Baggerer, die
+in _einem_ Tage bis 2000 Kubikmeter heraufholen konnten.
+
+Man passirt dann noch den Ort El Kántara (die Brücke) von circa 2000
+Einwohnern, schon früher wichtig als ein Halteplatz von Karavanen, die
+nach und von Syrien ziehen. In El Kántara ist eine Kirche, ein Spital
+und eine Moschee, dann die sehr sehenswerten Etablissements von Borrel
+und Lavaley, welche denen dieser Herren in Chalouf um nichts nachstehen;
+natürlich sind diese Werkstätten seitdem geschlossen worden.
+
+Der einzige Ort von Wichtigkeit ist nun nur noch El Aech (sprich Aisch),
+ein kleines Etablissement circa 15 Kilometer von Port-Said entfernt.
+Bald sah man nun schon die hohen Masten der Seefahrer und nach einer
+Weile fuhr unser kleiner Dampfer hindurch zwischen seinen großen
+Seebrüdern aus der Familie der Lloyd, der Messagerie impériale und
+anderer Gesellschaften, die wie Riesen auf einen Zwerg, so auch auf
+unsere kleine Dampfnußschale herabschauten.
+
+Port-Said ist eine vollkommen europäische Stadt und hat jetzt circa
+12,000 Einwohner, welche Bevölkerung außer aus Aegyptern hauptsächlich
+aus Oesterreichern (Dalmatinern), Franzosen, Italienern und Griechen
+besteht. Letztere, der Auswurf ihres Landes, machen indeß das Leben in
+Port-Said ebenso unsicher, wie in Suez und Alexandria. In allen diesen
+Städten konnte man zur Zeit des Kanalbaues täglich einen Mord rechnen;
+zum Glück für die übrigen Europäer, von denen sie wie die Pest gemieden
+werden, schlachteten sie sich meist unter einander selbst ab. Die Stadt
+hat einen ägyptischen Gouverneur und einen von der Regierung gepflegten
+Gesundheitsdienst, fast alle maritimen Staaten sind durch Consuln
+vertreten, Deutschland durch Herrn Bronn, welcher früher ebendaselbst
+schon Consul von Preußen war. Es giebt Kirchen für den katholischen und
+griechischen Cultus, eine Moschee für die Mohamedaner, Hospitäler und
+Klöster, in denen nichtsthuende griechische oder katholische Mönche auf
+Kosten der Bewohner Port-Saids ihre Bäuche mästen, eine Menge Hotels
+(von denen das Hôtel Pagnon das beste sein soll; wir selbst hatten
+unsere Wohnung auf Sr. Majestät Consulat). Cafés mit und ohne Musik,
+öffentliche Bäder, Clubs, kurz nichts fehlte, um Port-Said als eine
+kleine Großstadt bezeichnen zu können. Aber auch die Voraussicht, daß
+Port-Said eine bedeutende Concurrenz Alexandrien machen würde, hat sich
+nicht bewahrheitet. Jetzt nach einem Bestande des Canals von 5 Jahren
+können wir nur constatiren, daß dieser Hafen nicht die Entwicklung
+genommen hat, welche man seiner Lage zu Folge berechtigt zu sein
+glaubte, voraussetzen zu dürfen.
+
+Zum Theil ist der Hafen nicht sicher, trotz der enormen Molen, welche
+man construirt hat, zum Theil passiren die Schiffe, welche nach Indien
+gehen, rasch ohne sich hier aufzuhalten. Der eigentliche Hafen für
+Aegypten ist eben Alexandria geblieben. Wenn der jetzige Chedive, der ja
+so große Dinge schon geschaffen hat, eines Tages dazu schreiten würde,
+den in unmittelbarer Nähe gelegenen Mensaleh-See auszutrocknen, dann
+würde sich allerdings in der Entwicklung Port-Saids eine wesentliche
+Aenderung zu Gunsten der Stadt ergeben.
+
+Sehr sehenswerth war die Fabrikation der großen Steinblöcke zur
+Construction der beiden Hafenmolen. Wie schon erwähnt, waren es die
+Herren Dussaud Frères, welche diese Arbeit übernommen hatten. Jeder
+Block hat 10 Kubikmeter Gehalt und wiegt 40,000 Pfund. Das Verfahren,
+sie herzustellen, war so einfach wie möglich: Mittelst Sand, welcher aus
+dem Hafen gebaggert und mit der vorgeschriebenen Partie Süßwasser
+gemischt wurde, brachte man dieses Gemenge unter eine Zerreibemühle und
+that es dann mit Kalk und Cement in gewollter Menge zusammen. Wenn alles
+ordentlich durcheinander gemischt war, kam diese Masse in hölzerne
+Formen und mußte dann zwei Monate trocknen, nach welcher Zeit eine
+felsenartige Härte eintrat.
+
+Seitdem ist in der That der Kanal von Suez am 16. November 1869 eröffnet
+worden und alle die bösen Conjuncturen, welche man an die
+Lebensfähigkeit dieses gigantischen Unternehmens geknüpft hatte, haben
+sich als eitel Dunst erwiesen.
+
+Ein riesiges Unternehmen, wozu man fünf Jahre Studien, wie Stephan sagt,
+und elf Jahre Ausführung gebraucht hatte.
+
+Alle seefahrenden Nationen hatten sich bei dieser großartigen Feier
+durch ihre Flotten vertreten lassen und von Fürstlichkeiten waren der
+Kaiser von Oesterreich, der deutsche Kronprinz (damals noch Kronprinz
+von Preußen), die Kaiserin Eugenie und Prinz Heinrich der Niederlande
+erschienen. Alle waren Gäste des Chedive, aber nicht sie allein, sondern
+Tausend andere. Ja der Schreiber dieser Zeilen, welcher ebenfalls eine
+Einladung erhalten hatte, der er leider eingetretener Umstände halber
+nicht Folge geben konnte, weiß aus späterem Besuche in Aegypten, daß
+eine Menge _ungeladener_ Gäste flott sich unter die Geladenen drängte
+und auf Kosten des Chedive den Festlichkeiten anwohnte. Man berechnet
+die Zahl der damals anwesenden Fremden auf 30,000 Personen.
+
+Der dabei entwickelte Pomp, die Verschwendung, welche ostensibel zur
+Schau getragen wurde, sind unbeschreiblich; aber für den Orient, wo
+Alles auf Aeußerlichkeit berechnet ist, kann man sie kaum übertrieben
+nennen.
+
+Wenn nun auch der Kanal bei der Eröffnung vollständig planmäßig
+hergestellt war, so war doch im Mai 1871 erst die Ausbaggerung des
+Kanals soweit vollendet, daß er in seiner ganzen Länge eine mittlere
+Tiefe von 8,50 Meter hatte, so daß Schiffe mit 7 Meter Tiefgang
+ungehindert den Kanal passiren konnten.
+
+Im ersten Jahre hat man noch, eingeschlossen die Ausbaggerung des
+Außenhafens bei Port-Said, 563,060 Kubikmeter ausgeräumt, aber eine im
+December 1871 vorgenommene Sondirung in einer Entfernung von je 18,50
+Meter vorgenommen ergab überall die Tiefe als normal. Es bestätigte sich
+denn auch, daß der Kanal keineswegs so viel zu leiden hatte von den
+Sandwehen der Dünen oder vom Abschwemmen der Ufer durch den Wellenschlag
+vorbeifahrender Dampfer. Ebenso haben die in Port-Said errichteten Molen
+vollkommen gut dem schlechtesten Wetter getrotzt, denn einige Senkungen,
+welche man übrigens vorausgesehen hatte, haben auf die allgemeine
+Sicherheit keinen Einfluß gehabt.
+
+Die Leichtigkeit, mit welcher der Verkehr vor sich geht, hat überhaupt
+alle die bösartigen Voraussetzungen und Meinungen, die man anfangs mit
+der Lebensfähigkeit des Kanals in Verbindung brachte, zu nichte gemacht.
+
+
+
+Im Jahre 1870 passirten 486 Schiffe.
+ " " 1871 " 765 "
+ " " 1872 " 1082 "
+ " " 1873 " 1173 "
+ " " 1874 " 1264 "
+
+Seit der Einweihung haben bis Ende 1874 4770 Schiffe den Kanal passirt
+mit einem Gesammttonnengehalt von 8,050,338; davon waren circa vier
+Fünftel Dampfer und nur ein Fünftel Segler. Die Einnahmen betrugen vom
+Beginn der Eröffnung bis Ende 1874 78,317,352 Frs. Am besten wird das
+stete Wachsen der Einnahme veranschaulicht, wenn wir die des ersten
+Jahres mit 5,159,327 Frs. gegen die des Jahres 1874 mit 24,859,383 Frs.
+halten.
+
+Wir sehen aber, daß bei Weitem der größte Theil der Schiffe den
+Engländern gehört, ihr Land also in Wirklichkeit den größten Nutzen vom
+Durchstich der Landenge von Suez gehabt hat. Was würde Lord Palmerston,
+dieser eifrigste Gegner des Suezkanales, gesagt haben, hätte er ein
+solches Resultat noch erleben können.
+
+Die jährlichen Ausgaben des Kanals waren auf circa 5,000,000 Frs.
+veranschlagt, da aber im ersten Semester 1872 die Einnahmen sich schon
+auf mehr als eine gleiche Summe bezifferte und da der Transit
+fortwährend im Steigen begriffen ist, so kann man mit Zuversicht der
+Zukunft entgegensehen.
+
+Seit dem Juli 1872 hat die Umwandlung des officiellen Tonnengehaltes in
+die des sogenannten "gross tonnage" die Einnahmen um 40 bis 50%
+gesteigert.
+
+Längs des ganzen Kanals hatte man von Mitte 1871 Fluthmesser angebracht
+auf sechszehn verschiedenen Stationen. Von sechs Uhr Morgens bis sechs
+Uhr Abends wird viertelstündlich die Höhe des Wassers, die Schnelligkeit
+der Strömung des Wassers und die Windrichtung gemessen, so daß man jeden
+Augenblick am Tage die Fluthwelle von Port-Said bis Suez in Erfahrung
+bringen kann. Das aus dem rothen Meere kommende Wasser fließt gegen das
+Mittelmeer mit einer intermittirenden Geschwindigkeit, welches von der
+ungleichen Gezeitung beider Meere verursacht wird.
+
+Zu erwähnen ist noch, daß die Leuchtthürme von Port-Said und Suez ebenso
+wie die, welche längs des Kanals aufgestellt sind, von electrischem
+Lichte erleuchtet werden, der von Port-Said durch magneto-electrische
+Maschinen, welche durch Dampf in Thätigkeit gesetzt werden.
+
+Trotz des großen Aufschwungs, den der Kanal genommen hat, knüpfen sich
+an seine Existenz nicht unwichtige Fragen, welche bei einer eventuellen
+Unabhängigkeitserklärung Aegyptens zum Austrag kommen dürften.
+Jedenfalls besitzen wir aber dermalen in der Verbindung der beiden Meere
+ein Werk so großartig, daß es bis jetzt durch kein anderes Unternehmen
+ähnlicher Art übertroffen worden ist.
+
+
+
+
+2. Bauten in Afrika.
+
+
+Wenn wir hier die Bauweise der in Afrika befindlichen Völker, soweit es
+dessen Norden und Centrum angeht, beschreiben wollen, so sehen wir
+selbstverständlich von den _antiken_ Baudenkmälern ab. Allein die
+Schilderung der Bauten, welche wir in Aegypten namhaft machen könnten,
+würde Bände, oder der, welche wir in den sogenannten Berberstaaten
+antreffen, seien es nun Reste der Libyer, Phönicier, Griechen, Römer und
+Christen der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, würde Folianten
+füllen, wenn Jemand sich der Mühe unterziehen wollte, ausschließlich
+diesen Gegenstand zu behandeln.
+
+Indem wir aber wiederum Aegypten außer unserem Bereiche lassen, so weit
+es die _neuen_ Bauten jetzt lebender Generationen anbetrifft, so glauben
+wir damit vollkommen im Rechte zu sein; denn die Paläste, die Moscheen,
+welche von den jetzigen Herrschern des Landes der Pharaonen errichtet
+worden sind, wurden nicht von den Aegyptern selbst erbaut. Ausländische
+Architekten leiteten die Construction, und nur die roheste Arbeit wurde
+von den Eingeborenen selbst verrichtet.
+
+Anders ist es in den Berberstaaten. Obschon auch hier der
+christlich-europäische Einfluß sich nicht leugnen läßt, namentlich bei
+den Baulichkeiten von Tripolitanien, Tunesien und Algerien, so finden
+wir hier doch noch mehr einheimisches Wesen und Form. Fast ganz rein von
+europäischen Einflüssen hat sich die Bauweise in Marokko gestaltet,
+obschon die monumentalen Gebäude fast alle aus der Periode her datiren,
+wo dieses Reich mit Spanien eng verknüpft war.
+
+Die colossalen Bauten von Fes, die Djemma-el-Karuin, die
+Djemma-Mulei-Dris, die Paläste des Kaisers, drei an der Zahl, das
+umfangreiche Schloß des Sultans in Mikenes, die Djemma-el-Fanal in
+Marokko selbst, das Lustschloß des Kaisers ebendaselbst, stammen alle
+aus der Periode des westlichen Khalifats.
+
+Im heutigen Nordafrika können wir die Bauten der Bewohner der Städte,
+die Dörfer des sogenannten Tel- oder Atlasgebietes, die Burgen der
+Bewohner am Südwestabhange des Atlas und die Bauten der Oasenbewohner
+unterscheiden. Ferner haben wir Zelte, Hütten und Höhlen der Bewohner
+Nordafrika's in Betracht zu ziehen.
+
+Was nun bei den Häusern der Städte (ich nehme hier Fes, die Hauptstadt
+des Kaiserreichs Marokko, als Vorbild) am meisten auffällt, ist, daß das
+Aeußere vollkommen schmucklos ist, und daß mit Ausnahme einer niedrigen
+Thür nirgends die Einförmigkeit einer weiß überkalkten Mauer durch
+Fenster oder sonstige Oeffnungen unterbrochen wird. Wie bei den alten
+römischen Wohnhäusern gruppirt sich Alles um einen Hof, der meistens
+rechtwinklig und viereckig ist. Im Hofe selbst befindet sich fast immer
+eine Cisterne, die das Regenwasser des ganzen Jahres ansammelt, und da,
+wo es möglich ist, in Fes z.B., eine Fontaine mit sprudelndem oder immer
+fließendem Wasser. Der Hof selbst ist bei den Vornehmen mit
+Marmorplatten oder mit Kieselchen mosaikartig belegt. Aus diesen nun, zu
+dem man von der Straße stets durch einen gewundenen Eingang hineinkommt
+(damit man nicht von derselben aus direct in's Innere des Hauses sehen
+kann), öffnen sich die Zimmer. Dieselben sind äußerst lang, und nur
+ausnahmsweise haben sie eine Breite von mehr als zwölf Fuß. Meist sind
+die Zimmer sehr hoch, mindestens immer zwanzig Fuß. Wenn ein Wohnzimmer
+z.B. vierzig Fuß lang wäre und fünfundzwanzig Fuß Höhe hätte, so würden
+marokkanische Architekten diesem Zimmer höchstens acht Fuß Breite geben.
+Eine große gewölbte Thür, meist in der Mitte angebracht, führt hinein;
+dicht neben der Thür, rechts und links, befinden sich zwei kleine
+Fenster mit eisernen Gittern, ohne Glas.
+
+Meist sind parterre mehrere solcher Zimmer um den Hof herum, und findet
+sich ein zweiter Stock, so ist die obere Anordnung eine ähnliche. Es
+läuft sodann um den Hof eine Säulenhalle herum, zu welcher man oft
+mittelst einer im Bau befindlichen steinernen, oft mittelst einer
+hölzernen Treppe hinaufkommt. Man liebt es, im Innern der Zimmer in die
+Wände nischenartige Vertiefungen zu machen, welche oft, mit hölzernen
+Thüren versehen, als kleine Schränke dienen. Der Fußboden ist meist mit
+Fliesen ausgelegt, welche in Fes gearbeitet werden, oft auch mit kleinen
+Fliesstückchen, viereckig, dreieckig, sternartig von Form, und von den
+verschiedensten Farben. Mit diesen legt man dann die buntesten Muster
+zusammen große Sterne in der Mitte oder der sogenannte Ring des Salomon
+bilden immer Hauptfiguren. Diese kleinen Flieschen, von denen ein
+einzelnes nicht größer als 1--1-1/2 Zoll ist, sind glänzend glasirt,
+heißen "Slädj" und werden ebenfalls in Fes fabricirt. Der Gesammtanblick
+einer solchen Art ausgelegten Fußbodens ist reizend.
+
+Die Wände im Zimmer sind vollkommen weiß, manchmal jedoch mittelst Gyps
+in quadratische Felder abgeheilt. Bei den Reichen läuft oben,
+anscheinend um das Gebälk zu unterstützen, ein Kranzgesimse herum, oft
+auch eine breite Borte, welche Koransprüche enthält. Da in Marokko,
+ausgenommen bei jenen kleinen "Kubbas", welche als Grabstätten für
+Heilige oder Fürsten dienen, nirgends das _Gewölbe_ angewendet wird, so
+sehen wir die Decke der Paläste und Wohnungen _nur_ aus Holz gearbeitet.
+Oft wird, um eine solche Decke auszuschmücken, die größte Sorgfalt
+entwickelt, nicht nur in Holzschnitzerei, sondern auch in der Auslegung
+von Holz, man macht also eine Art "Parquetirung". Dünne, aber äußerst
+dicht neben einander liegende Balken bilden das Gerippe, darüber liegen
+Bretter, das Ganze wird dann inwendig teppichartig ausgeschnitzt und oft
+mit farbigen Holzstückchen ausgelegt; manchmal enthalten auch die Decken
+zwischen ihrem Teppichmuster großbuchstabige Sprüche. Diese Art, auf
+eine bunte und gefällige Weise die Plafonds zu schmücken, hat sich
+vollkommen gut in Marokko erhalten. Statt die vielen Balken, welche den
+Plafond stützen, offen zu zeigen, sind diese auch wohl mit Brettern
+beschlagen, welche dann ähnlich geschmückt werden.
+
+Thüren, Fenster und Nischen zeigen alle jenen bekannten Hufeisenbogen,
+den die Araber erfunden haben sollen. Sehr oft sind die Bogen selbst auf
+die phantastischste Art wieder ausgewölbt und ausgezackt, so daß in
+einer Bogenhälfte manchmal bis zehn kleinere Bogen vorkommen. Auch die
+Aufstellung von zwei, drei und vier Säulen, dicht bei einander, findet
+man heute in Marokko noch in Anwendung. Als ich einen längeren
+Aufenthalt in Uesan beim Hadj Abd-es-Salam, dem Großscherif, hatte,
+zeigte ich ihm eines Tages eine Abbildung des Löwenhofes der Alhambra
+aus Sedillot's Historie des Arabes. Hadj Abd-es-Salam annectirte das
+Buch der Abbildungen wegen (und es ist heute noch in seinem Besitze) und
+verreiste dann auf längere Zeit. Als ich zurückkam, hatte er allerdings
+nicht einen Löwenhof, aber in seinem Garten eine reizende Veranda
+errichten lassen: ein längliches Viereck mit nach vorn geöffneter Seite.
+Die "kannelirten Bogen" wurden von Doppelsäulen getragen, der Fußboden
+war aus buntem "Slädj" zusammengesetzt zu einem allerliebsten Muster,
+und der Plafond von Holz schillerte von blauen und goldenen Feldern.
+
+Die Paläste des Sultans, der Großen und Reichen haben ganz ähnliche
+Anordnung, nur daß ihre Wohnungen statt eines Hofes oft drei, vier oder
+mehrere Höfe haben und alle Räumlichkeiten bedeutend größer sind.
+
+Was die Moscheen anbetrifft, so finden sich im ganzen westlichen Afrika
+(nicht blos in Marokko, welches als eigentliches Westland bei den
+Marokkanern den Namen "Rharb-djoani" hat) gar keine, die irgendwie
+christliche Reminiscenzen aufkommen ließen. Denn die in Algier
+befindliche Moschee, die später als christliche Kathedrale eingerichtet
+wurde, und welche vom letzten Dei kurz vor der Eroberung Algeriens
+erbaut worden war, zeigt in ihrer ganzen Anlage allerdings den Styl
+einer christlichen Kirche, ist aber auch von christlichen Sclaven und
+Renegaten erbaut worden. Fast durchweg zeigen die marokkonischen
+Moscheen, sowie die der übrigen Berberstaaten einen großen Hof, der
+manchmal von einer Säulenhalle umgeben ist. Nach Osten zu vermehren sich
+die Säulenhallen zu verschiedenen Schiffen. So zeigt die Karuin in Fes
+so viele Säulen, daß die ganze Moschee 360 haben soll. Die Säulen
+selbst, die auf einer einfachen Basis ruhen, sind ohne Schmuck, und auch
+das Capital zeigt große Einfachheit. Die hufeisenförmigen Bogen gehen
+von Säule zu Säule, so daß, wo mehrere Schiffe sind, immer vier Bogen an
+einer Säule entspringen. Fast in allen Moscheen kann man, wie überall
+bei arabischen Bauten, die größten Unregelmäßigkeiten beobachten, und
+die Abwesenheit von Harmonie und Verhältnis tritt überall zu Tage. Es
+ist als ob z.B. die Höhe der Säulen eine überaus gleiche sein müßte, so
+daß man die Säulen für eine Veranda von zwanzig Fuß Breite eben so hoch
+macht wie die, welche das Dach einer Moschee stützen, welche vielleicht
+einen Flächenraum von zweihundert Fuß Geviert hat.
+
+Die Wände in den Moscheen, welche letztere im Rharb "Djemma" genannt
+werden, sind von außen in der Regel ohne Schmuck, einförmig und
+fensterlos wie die übrigen Bauten. Im Innern ist dieselbe Anordnung zu
+bemerken wie in den Wohnungen. Die Gebetsnische, "Kybla" genannt, wird
+auch heute oft noch durch ein prächtiges Stalactit-Gewölbe überdeckt;
+auch diese Kunst hat sich in Marokko erhalten. Diese Stalactit-Gewölbe,
+wie man sie genannt hat, sind indeß weiter nichts wie einfache
+Auswölbungen; der Stalactitenschmuck ist von Gyps. In der eigentlichen
+Sculptur haben die Araber überhaupt nie etwas geleistet, da ihnen Bilder
+aus Stein zu meißeln verboten ist. Ihre ganze Kunstfertigkeit beschränkt
+sich daher auf Stuccoarbeit, und hier ließen sie ihren mathematischen
+Formen die Zügel schießen. So findet man denn in Gyps gearbeitet die
+wunderbarste Art sich kreuzender Linien.
+
+Wenn der Reisende im Hofe der großen Djemma el Karuin zwei prachtvolle
+Marmorfontainen bewundert und dann vielleicht sich selber sagen möchte,
+hier haben doch die Araber in Steinarbeit etwas geleistet; so wird seine
+Meinung von den Eingeborenen in Fes selbst gleich corrigirt werden:
+"Diese Fontainen sind von 'Oeludj', d.h. christlichen Sclaven,
+gearbeitet."
+
+Der "Mimber" oder die Treppe, welche in keiner Moschee fehlt, von der
+das "Kotba", d.h. das Freitagsgebet, gelesen wird, ist fast immer aus
+Holz. Hier bemerken wir ebendasselbe, was wir schon bei den
+Mauerarbeiten zu beobachten Gelegenheit hatten. Ebenso wenig, wie die
+Araber gelernt haben, aus Stein heraus zu arbeiten, ebenso wenig treffen
+wir bei ihnen jene kunstvollen Holzschnitzereien, welche _Körper_ haben.
+Die Gebetstreppen sind daher, was die Form anbetrifft, alle roh und
+primitiv; aber manchmal ist die Oberfläche des Holzes ausgravirt, und
+wir finden dann dieselben oder ähnliche Linienbilder, welche, wenn sie
+mit _krummen_ Linien Bezeichnet sind, "Arabesken" genannt werden, wie
+wir dieselben an den Wänden der Mauern in Stucco kennen gelernt haben.
+
+Man kann also keineswegs sagen, daß die Araber Afrika's zurückgegangen
+sind. Aber so wie man in Sevilla und Granada zur Zeit der Almoraviden
+und Almohaden, zur Zeit der größten Glanzperiode der sogenannten
+"maurischen Architektur", baute, so baut man noch heute. Man hat
+keineswegs verlernt, _ebenso_ zu bauen, aber _Fortschritt_ in der
+Architektur ist nirgends zu finden. Man versteht es vollkommen, jene
+ogivischen Bogen, jene Porzellanmosaiken, jene Stickereien auf Gyps und
+Holz darzustellen, wie zur Zeit der "Abd-er-Rhaman"; wenn man aber
+Stillstand in Kunst und Wissenschaft als _Rückschritt_ bezeichnen kann,
+dann haben die Araber entschieden Rückschritte gemacht. So haben sie
+denn auch keineswegs gelernt, ihren Bauten irgendwie Solidität zu geben.
+Was _heute_ gebaut ist, verfällt _morgen_. Wären die Alhambra und die
+Giralda nicht in Spanien, wären sie der Sorglosigkeit einer
+mohammedanischen Zeit ausgesetzt, was würde von diesen Monumenten
+arabischer Architektur heute noch erhalten sein? Und wie lange stehen
+diese Bauten? Wie lange stehen sie im Verhältniß zu den Bauüberresten,
+die uns Aegypten, Griechenland und Rom überlassen haben, und die,
+trotzdem Jahrtausende verstrichen und Zeit und Menschen das Ihrige
+thaten, Alles zu vernichten, manchmal in ihren _einzelnen_ Theilen sich
+so erhalten haben, als ob sie von gestern wären.
+
+Die Unsolidität der arabischen Bauten kennzeichnet sich denn nicht nur
+in der äußeren Architektur, sondern auch in der Benutzung des Materials
+bei den Hauptmauern und Pfeilern. In keinem einzigen Gebäude der
+Berberstaaten finden wir behauene Steine aus Sandstein oder Marmor,
+sondern immer nur gebrannte Thonsteine angewandt. Meist aber sind die
+großen Mauern, namentlich die von monumentalen Bauten, aus zwischen
+Planken schichtweise gepreßten Steinen, Cement und Kalk errichtet. Diese
+Mauern halten sich aber nur dann einigermaßen gegen den Zahn der Zeit,
+wenn die äußere Bekleidung vollkommen gut und immer wie neu unterhalten
+wird; sonst ist binnen Kurzem die Baute dem Ruin ausgesetzt.
+
+Daher liegen denn auch die Bauten, welche von Yussuf ben Taschfin und
+Mohammed ben Abd-Allah herrühren, heut in Trümmern, und selbst die,
+welche vom letzten oder vorletzten Kaiser errichtet sind, von Mulei
+Abd-er-Rhaman-ben-Hischam und Mulei Sliman sind halbe Ruinen. Und ist es
+selbst in Aegypten anders, wo doch der europäische Geist heute Alles
+durchdringen soll? Hörte man nicht oft genug den verstorbenen
+_Diebitsch_ klagen, daß wenn das letzte Ende an einem Palaste fertig
+sei, der Anfang desselben zu verfallen beginne?!
+
+Von den städtischen Bauten bleiben uns nur noch die Befestigungsmauern
+derselben und die kleinen Dome zu erwähnen. Erstere sind durchweg aus
+gepreßten Mauern errichtet und hinlänglich stark, um alter Artillerie
+einige Stunden Widerstand leisten zu können. Auf denselben führt ein Weg
+herum, der nach Außen durch eine mannshohe krenelirte Mauer aus
+Backstein geschützt ist. Man bemerkt nirgends irgend einen Plan,
+nirgends fortifikatorischen Sinn, um die Befestigungen irgendwie dem
+Terrain anzupassen; nur die Ausdehnung der Stadt selbst giebt das Maß
+der äußeren Schutzmauer ab. Unterbrochen und flankirt werden diese
+Umfestigungsmauern durch viereckige oder runde Thürme, deren Hälfte
+außerhalb der Mauern hervorspringt; sie sind in der Regel halb mal höher
+und dienen hauptsächlich dazu, die Kanonen aufzunehmen. Oft noch durch
+Gräben beschützt, bieten auch diese kein ernstliches Hinderniß.
+Bastionirte Mauern, Außenwerke, mögen es nun Fleschen, Lünetten oder
+gekrönte Bastionen sein, kennt man in den Berberstaaten nicht, und wenn
+auch die Hauptstadt Fes zwei bedeutende Außenwerke besitzt, so sind
+diese nicht von den Arabern errichtet, sondern von Renegaten (Oeludj)
+unter der Regierung des Sultan Sliman, Großvaters des jetzt regierenden.
+Was die erwähnten kleinen Dome anbetrifft, so dienen sie, wie schon
+angeführt, zu Grabstätten und sind die einzigen Gebäude[1], bei denen
+der Araber sich in Gewölben versucht hat. Meist ist die Grundform
+viereckig, aber _nie rund_. Die Kuppel hingegen oder das Dach ist fast
+immer _rund_, häufig achteckig. Bei der Ausschmückung der Wände und des
+Fußbodens wird derselbe Plan innegehalten wie oben bei den übrigen
+Baulichkeiten auseinandergesetzt wurde. Die Wölbung ist meist durch
+eingeschobene Holzquerbalken unterstützt. Das Material besteht entweder
+aus gebrannten Ziegeln oder unbehauenen Feldsteinen. Man findet diese
+Kubba in den Städten und überall auf dem Lande zerstreut; in den Städten
+bilden sie häufig gleichsam eine Art von Nebenkapelle, die an eine große
+Moschee angebaut ist.
+
+Von den Wohnungen der Landleute nördlich vom Atlas läßt sich nur wenig
+sagen. Dieselben bestehen, ob sie nun von Berbern oder Arabern (und es
+giebt in den Berberstaaten mehr seßhafte Araber, als gewöhnlich
+angenommen wird) herrühren, immer nur aus einem Zimmer, das hausartig
+gebaut ist; oft sind sie aus gestampften Massen, oft auch aus
+Feldsteinen aufgebaut. Auf 20 Fuß Länge sind sie circa 8 Fuß breit und 8
+Fuß hoch und von einem circa 6 Fuß hohen Strohdache bedeckt. Im Innern
+ist der Fußboden gestampfter Lehm; der Plafond besteht aus Rohr, welches
+manchmal auf Aloë-Balken, manchmal auf anderen Holzästen, die einen
+weniger geraden Wuchs haben, ruht.
+
+Sehr häufig sind die Wände der Mauern auswendig und inwendig gekalkt,
+sonst aber ganz ohne Schmuck, mit einer niedrigen, circa 4 Fuß hohen
+Thür, manchmal mit ogivischem Bogen, manchmal viereckig. Fenster und
+Rauchfänge sind nicht vorhanden. Eine Familie hat in der Regel zwei oder
+drei solcher Häuser, die, durch Mauern verbunden, einen viereckigen Hof
+einschließen, der zugleich Nachts für das Vieh dient.
+
+Ganz anderer Art sind die Wohnungen der Bewohner südlich vom großen
+Atlas, der Bewohner des Sus- und Nun-Districts. Der fortwährend
+unsichere Zustand jener Gegend hat es nothwendig gemacht, daß dort
+Jedermann darauf bedacht sein mußte, sich Schutz gegen seinen Nachbar zu
+suchen. So findet man hier denn auch keineswegs kleine oder große
+Dörfer, sondern Burgen. Ein solches Schloß--man kann sie wegen ihres
+stattlichen Aussehens in der That so nennen--ist oft so groß, daß es
+mehrere Familien beherbergt; es giebt feste Burgen, die einen
+Quadratraum von 500 Fuß einnehmen. Diese Bauten sind circa 50 Fuß hoch,
+von außen von starken, oft 5 bis 6 Fuß breiten Steinmauern (die Steine
+sind entweder unregelmäßig gebrochene oder wie man sie gerade gefunden
+hat) aufgeführt und oben krenelirt. Ein Thor, zuweilen mit einer
+Fallthür versehen, und immer so eingerichtet, daß aus zwei Seitenzimmern
+der Eingang durch Scharten beschossen werden kann, führt in einen großen
+geräumigen Hof. Dieser, sowie die unteren Gemächer, dienen für's Vieh.
+In den oberen Räumen hält sich die Bewohnerschaft auf. Zu diesem
+Stockwerk führt eine aufziehbare Leiter, und das flache Dach, mit
+gestampfter, auf Balken ruhender Erde gedeckt, dient zu gleicher Zeit
+zur äußeren Verteidigung. Eine Cisterne im Innern vervollständigt das
+Ganze. Kellerräume sind aber ebensowenig bekannt wie nördlich vom Atlas.
+
+Als eigenthümlich der Gebirgslandschaft nördlich vom Sus erwähne ich
+noch die vielen öffentlichen Cisternen modernen Ursprungs. Man findet
+sie überall und namentlich längs der Wege. Sie sind ähnlicher Art wie
+die römischen, was die Form anbetrifft, aber weniger solid und weniger
+_großartig_ gebaut. In der Regel 20 bis 25 Fuß lang auf 8 bis 10 Fuß
+Breite, sind sie 10 bis 12 Fuß tief und erheben sich blos mit dem
+_gewölbten_ Dache aus dem Erdboden heraus. Aus ungehauenen Steinen
+errichtet, ist das Innere cementirt, und durch ein Loch des Gewölbes
+wird das Wasser herausgeschöpft; gespeist werden die Cisternen durch
+Rinnsale.
+
+Es ist hier nicht der Ort, die Wohnungen der nomadisirenden Völker
+Nordafrika's zu beschreiben; aber auch diese haben mannigfache Formen
+und Verschiedenheiten. Das aristokratische Zelt der Uled Sidi Schich,
+immer auf der Spitze mit drei Bündeln Straußfedern geschmückt,
+unterscheidet sich von dem ärmlichen Zelte der meisten östlichen Triben,
+wie das große Haus mit mehreren Höfen der Hauptstadt sich von der
+einfachen Wohnung des Djerdjuragebirges unterscheidet. Aber nicht
+unerwähnt können wir die Höhlenwohnungen der Bewohner des
+Ghoriangebirges lassen. Meist sind diese Höhlen in Lehmboden
+hineingearbeitet, und sind einfache Aushöhlungen, in der Regel von
+kreisrunder Form. Man bemerkt gewöhnlich eine Vorkammer und ein
+hinteres, größeres Gemach; der Plafond ist wie gewölbt. Oben hinaus
+befindet sich meist eine Oeffnung zum Abzuge des Rauches. _Richardson_
+will im Ghoriangebirge auch Wohnungen in Felshöhlen gesehen haben; es
+ist übrigens fraglich, ob diese modernen Ursprungs sind. Es ist
+wahrscheinlich, daß dies antike libysche Höhlen sind, wie man deren
+namentlich in Cyrenaica noch viele antrifft.
+
+Betrachten wir nun, nachdem wir einen Ueberblick der Bauten des
+nördlichen Afrika's gewonnen haben, die Wohnungen der Völkerschaften der
+Sahara.
+
+Mit Ausnahme der zum Theil nomadisirenden Tuareg sind alle Bewohner der
+Sahara seßhaft; denn die Araber, welche in die große Wüste
+hineingegangen sind, haben alsbald das Zelt gegen das Haus vertauscht.
+
+Im Grunde kommen bei den Bauten der Oasenbewohner denn auch dieselben
+Bauregeln und Pläne beim Einrichten ihrer Moscheen und Wohnungen in
+Anwendung, wie bei ihren nördlichen Brüdern. Bei der wohlhabenden Classe
+befindet sich in ihrer Wohnung meist ein Aufzimmer, d.h. ein
+Fremdenzimmer, auf das platte Dach des Hauptgebäudes hin errichtet. Wie
+immer hat dieses einen Hof, bei den Reichen auch mehrere, und auf den
+Hof öffnen sich die langen und schmalen Zimmer. In manchen Oasen sind
+die Gebäude krenelirt, aber mehr zum Schmucke als zur Vertheidigung.
+
+Wenn aber schon bei den Arabern im Norden auf dem Tel wenig behauene
+Steine in Anwendung kommen, so finden wir in der Wüste als Material nur
+gestampfte Erdmasse oder an der Sonne getrocknete Thonziegel. Alles
+Gebälk und Holzwerk besteht aus dem Holze der Dattelpalme. Man wird
+leicht einsehen, daß mit so geringem Material nichts Besonderes in der
+Architektur geleistet werden kann.
+
+Dennoch finden wir in den westlichen Oasen der Sahara Manches, was auf
+innigen Contact mit Marokko hinweist. Es sind die Grabdenkmale von
+Sidi-Hammed-ben Nasser in Tamagrut, Hauptstadt der Oase Draa, dann das
+prächtige Grabmal Mulei-Ali-Scherif's bei Abuam, Hauptstadt von Tafilet,
+inwendig auf's Reichste mit "Slädj" ausgeschmückt. Ja, man hat sich
+sogar nicht gescheut, für das Dachwerk (die Grabmäler sind nicht
+gewölbt) Holz vom Atlas kommen zu lassen, und die das spitze Dach
+bildenden Balken und Bretter sind hübsch mit arabeskenartigem
+Schnitzwerk und Malerei versehen.
+
+Im Uebrigen sind die Moscheen oder Djemmen in den Oasen nach denselben
+Grundsätzen gebaut; bei den meisten fehlt jedoch ein eigentlicher Thurm
+oder Minaret. Ersetzt werden die Minarets durch thurmähnliche, zwei
+Stockwerke hohe Anbauten, welche nach oben an Umfang abnehmen. Bei sehr
+vielen Gebäuden der Vornehmen in den Ortschaften der Oasen finden wir
+ebenfalls jene thurmartigen Anbauten, die zuweilen auch als Wartthürme
+dienen.
+
+Besonders zu erwähnen sind in der Sahara an den großen Straßen noch die
+einfachen Bezeichnungen einer Moschee durch Steine. Man deutet
+gewissermaßen nur den Grundriß einer Djemma durch Steine an. Sie werden
+jedoch von jeder vorübergehenden Karawane zum Gebet benutzt, und auch
+hier zeigt die Ausbuchtung oder Kibla die Gebetsrichtung an.
+
+Die Wohnung der Großen und um so mehr die der ärmeren Bevölkerung der
+westlichen Oasen sind alle einstöckig. Die der ersteren sind oft
+kastellartig gebaut und befinden sich dann außerhalb der Ortschaften, so
+die Wohnungen der marokkanischen Prinzen in Tafilet, der Schechs in
+Tuat, der Häuptlinge der Tuareg in Rhat und Air. Architektonische
+Verzierungen sind hier fast gar nicht mehr zu finden, nur findet man die
+ogivische Thür noch überall vorherrschend. Besonders um sich gegen die
+Hitze zu sichern, findet man die Erdwände der Häuser sehr dick und das
+Palmbalkendach durch eine enorm hohe Erdschicht überdeckt. Die Thüren
+sind überall so niedrig, daß man nur tief gebückt hineintreten kann.
+Aber so vergänglich sind diese Bauten, daß ein ausnahmsweise
+eintretender Regen oft ganze Ortschaften im wahren Sinne des Worten
+hinwegschmilzt.
+
+In den meisten Oasen sind die Städte und Dörfer befestigt; einige
+größere haben sogar Thürme an die meist 20 Fuß hohe Mauer angebracht.
+Die Mauern, oft aus gestampftem Erdboden, oft aus Feldstein, durch Thon
+zusammengehalten, erbaut, sind meist krenelirt. Die Thore, welche
+hindurchführen, sind nie gewölbt, meist einthürig und nur so breit, daß
+ein beladenes Kameel hindurch gehen kann.
+
+Ist der ganze Tel wie übersäet mit jenen kleinen Domgrabmälern, so
+lassen sich die der großen Sahara, welche an Ausdehnung so groß wie
+Australien ist, zählen. Die Grabmonumente sind der einfachsten Art; ein
+Haufen Steine, manchmal am Kopfende durch einen besonders großen
+angezeichnet, das ist die letzte Grabstätte der Wüstenbewohner.
+
+Vor allen anderen Oasen zeichnen sich jedoch in der Bauweise zwei aus,
+die Oasen von Siuah und Rhadames, und wenn nicht schon die
+übereinstimmende Aussage der Bewohner dieser Ortschaften ihren
+verwandtschaftlichen Ursprung bezeugte, wenn nicht dies schon bewiesen
+wäre durch ihre selbe Sprache, welche, obschon beide Oerter durch einen
+Raum getrennt sind, der durchaus Wüste ist und in gerader Linie
+wenigstens so viel beträgt, wie von Paris bis Königsberg, so würde die
+innige Verwandtschaft, welche sich in der Bauweise beider Oerter
+kundgiebt, gleich auf gemeinsamen Ursprung hinweisen.
+
+Was besonders die Bauart beider Oerter auszeichnet, sind die Höhe der
+Wohnungen und die bedeckten Straßen, welche mehr unterirdischen Gängen
+gleichen, als offenen Wegen. In Rhadames sowohl wie in der heutigen
+Hauptstadt des alten Ammonium, in Siuah, sind die meisten Häuser drei
+Stock, ja in Siuah viele fünf Stockwerke hoch. Während aber im reichen
+Rhadames sowohl im Innern der Häuser als im Aeußern sich ein gewisser
+Luxus kund giebt, alle geweißt ist, und die Mauern meist aus, wenn auch
+unbehauenen, Steinen gebaut sind, so macht man in Siuah die Wohnungen
+nur aus Lehm, und trotzdem die architektonischen Vorbilder der Aegypter
+und Griechen noch heute vor Augen stehen, sind sie höchst mangelhaft
+gebaut. Die Wohnungen der Rhadamser und Siuahner unterscheiden sich auch
+noch dadurch von den übrigen Wohnhäusern in der Sahara, daß sie keinen,
+oder selten doch nur einen sehr kleinen Hof im Innern haben: Alles ist
+in Zimmer und kleine Gemächer getheilt. Oben mit platten Dächern
+versehen, bilden diese Dächer in Rhadamas zugleich die _Straßen_ für die
+Frauen. Obschon durch Brustwehr von einander getrennt, werden diese von
+den Frauen überklettert, und ihr _Verkehr_ findet nur über den Köpfen
+der Männer statt. In Rhadames herrscht Hufeisenform bei der Thürbildung,
+in Siuah eine viereckige Form vor.
+
+Natürlich nicht zum Nomadisiren eingerichtet, verdienen die Palmenhütten
+der Beni Mohammed in Draa und Tafilet und einzelner Familien in Audjila
+und Fesan noch Erwähnung; sie sind vollkommen kunstlos aus Palmenzweigen
+errichtet, bald mit plattem, bald mit spitz zulaufendem Dache versehen,
+und auch dieses Dach ist aus Palmenzweigen gefertigt. In Fesan und
+Audjila sind die Seitenmauern dieser Hütten, welche manchmal viereckig,
+manchmal rund sind, zuweilen aus Stein oder Thon, und die Thüren immer
+so niedrig, das man hindurch _kriechen_ muß.
+
+Vortheilhaft, was Reinlichkeit und symmetrische Anordnung betrifft,
+zeichnen sich die Wohnungen der Tebu aus. In Kauar sind sie kreisrund;
+die Seitenwände sind aus Stein brusthoch ausgeführt und dann überdeckt
+mit Palmenreisern, Stroh und Matten. Dr. _Nachtigal_ sagt von den
+Bewohnern Tibesti's: "Alle ihre Wohnungen so kunstlos, und einfach sie
+sind, zeichnen sich durch die größte Nettigkeit und Sauberkeit vor denen
+ihrer arabischen und fesanischen Nachbarn vortheilhaft aus. Vor der
+Hütte haben sie nicht selten einen gehärteten Erd- oder Lehmplatz, der
+frisch mit Sand bestreut wird, und die hervorragenden Männer eine Art
+offener Halle, ebenfalls aus Palmenzweigen geflochten, vor ihrer
+Wohnung, in der sie Besuche empfangen."
+
+Es bleibt uns nur noch übrig, die bewegliche Wohnung der nomadisirenden
+Bevölkerung der Sahara zu beschreiben, das Zelt der Tuareg. Der Araber
+ist eigenthümlicher Weise in der großen Sahara nie heimisch geworden.
+Ist er ja dahin gedrungen, so hat er sich seßhaft gemacht. So haben die
+Mehammedin in Draa und Tafilet das Zelt gegen die Palmenhütten
+vertauscht. Die einzelnen Familien aber, die wir in Fesan, Rhat und
+anderen südlichen Oasen finden, haben Häuser. Nur die nach Kanem
+vertriebenen Uled Sliman haben bis jetzt das Zelt bewahrt, aber es ist
+kaum zu bezweifeln, daß auch sie über kurz oder lang das bewegliche Haus
+mit dem festen vertauschen werden, wie die Schoa und
+Uled-Raschid-Araber, die noch weiter im Innern Afrika's sich eine neue
+Heimat mitten zwischen den Negern gründeten.
+
+Das Zelt der Tuareg ist sehr einfacher Art. Im Allgemeinen der
+länglichen Form der Araberzelte entsprechend, sind die Tuaregzelte
+bedeutend kleiner und niedriger. Kaum sechs Personen haben in ihrem
+Tuaregzelte Platz. In einem Araberzelte wird das Dach immer durch zwei,
+im Tuaregzelte durch eine Zeltstange unterstützt. Der Stoff besteht bei
+jenen aus grobem Haar und wollenen Zeugen, bei diesen aus gegerbtem
+Leder. Nach Duveyrier sind die Lederzelte oft roth gefärbt und gut
+genäht.
+
+In Centralafrika angekommen, bemerken wir vorweg, daß wir _nirgends_
+Wohnungen nicht seßhafter Völker haben; denn die früher nomadisirenden
+Pullo haben mit der Erreichung ihrer größten Ausdehnbarkeit sich jetzt
+überall dauernde Wohnungen gebaut. Die Stämme aber, die vom Nomadenvolke
+par exellence, dem arabischen, abstammen und bis nach Centralafrika
+vorgedrungen sind--ich nenne davon nur die Schua-Araber westlich und
+südwestlich vom Tschad--selbst diese haben längst ihr Zelt, diese
+luftige Behausung der Jäger- und Hirten-Völker, aufgegeben und sich nach
+Art der Neger in soliden Bauten seßhaft gemacht.
+
+Man kann bei den Negern Centralafrika's hauptsächlich drei Arten von
+Wohnungen unterscheiden: große aus Thon oder Luftziegeln erbaute Häuser,
+welche offenbar unter arabisch-berberischem Einfluß entstanden sind,
+verschiedene Hüttenwohnungen runder Form, entweder aus Strohmatten oder
+aus Thon oder Luftziegeln errichtet, und endlich große Häuser mit
+Giebeldächern, vielleicht durch europäischen Einfluß von der Küste aus
+nach Afrika verpflanzt.
+
+In allen uns bekannten Ländern Centralafrika's, Bornu, Bagermi, Socoto,
+Gando, Uadai, Adamaua, Bautschi und anderen, sind die Wohnungen der
+Fürsten, der Großen des Reichs, der vornehmen Kaufleute, die Moscheen
+und Bethäuser aus soliden Mauern mit flachen Dächern errichtet. Es
+scheint sogar, daß man einzeln, obschon nie mit behauenen Steinen, so
+doch an manchen Orten mit _gebrannten_ Ziegeln gebaut habe. So will
+_Barth_ in Massenña (III. S. 346) Gebäude aus _wirklich gebrannten_
+Backsteinen beobachtet haben und er erwähnt bei der Gelegenheit: "auch
+die alte Birni (Hauptstadt) von Bornu soll aus Backsteinen gebaut
+gewesen sein."
+
+Was uns anbetrifft, so haben wir jedoch _nirgends_ im "schwarzen Afrika"
+gebrannte Steine in Anwendung gesehen, nur Luftziegel und aus
+Thonziegeln und aus Thon aufgelegte oder gepreßte Mauern. Zu den großen
+Gebäuden der Fürsten, fast ohne Ausnahme ein Stock hoch, sind trotzdem
+verhältnißmäßig dicke Mauern genommen, um das starke, mit Thon überlegte
+Dachgebälk tragen zu können. Von außen sieht eine solche Burg meist
+einförmig aus, da oft nur Eine Thür Unterbrechung in die schlichte Wand
+bringt. Sehr oft ist übrigens die Brüstung des flachen Daches auf
+phantastische Art geziert. Das Innere einer solchen Fürstenwohnung
+enthält große Zimmer und Hofräume.
+
+Erstere erhalten Licht durch die Thüren und manchmal durch große
+viereckige Oeffnungen, die sich in den Wänden befinden, welche nach den
+Höfen zu gerichtet sind; oft sind die Gemächer vollkommen dunkel. Wenn
+die Räume sehr groß sind, so wird die Spannung der Deckbalken durch
+kolossale Thonpfeiler gestützt. In einigen Hauptstädten sehen wir sogar
+Bogen, hufeisenförmig gewölbt, die Decke unterstützen; wie die Pfeiler
+sind dieselben aus gehärtetem Thon. So finden wir bei _Barth's_ (II.
+124) Beschreibung des Palastes von _Kano_: "Die Gemächer sind nicht sehr
+dunkel, das Hauptgemach ist aber sehr schön, ja großartig zu nennen. Der
+ganze Charakter desselben machte um so mehr Eindruck, da die Tragbalken
+nicht zu sehen waren, während zwei große Kreuzbogen, aus demselben
+Material wie die Wände, überaus sauber geglättet und reich verziert, das
+Ganze zu tragen schienen. In der hinteren Wand waren zwei geräumige
+Nischen, in deren einer der Fürst Platz zu nehmen pflegt."
+
+In derselben großartigen Weise sind in centralafrikanischen Ländern die
+Wohnungen der Fürsten eingerichtet, die sich dem Islam in die Arme
+geworfen haben; der Einfluß der Träger der Religion ist unverkennbar.
+
+In diesen dem Islam zum Theil huldigenden Staaten sind die Moscheen
+ähnlich wie die in den nordafrikanischen Staaten erbaut, nur noch aus
+bedeutend schlechterem Material; denn wenn gebrannte Steine in Bornu,
+Bagermi, Uadai, Adamaua, Kano, Gando und noch anderen Negerkönigreichen
+nicht im Gebrauche sind, so hat man auch keinen Kalk, oder wenigstens
+versteht man ihn nicht zu brennen und zu bereiten, das heißt zu löschen.
+Im großen Königreich Bornu kommen Kalkgesteine überdies nicht vor oder
+wären nur von den angrenzenden Ländern unter den größten Mühseligkeiten
+zu beziehen. Aus den zahlreichen Conchylien des Tschad-See's und der
+Flüsse aber verstehen die Neger keinen Kalk zu brennen. So bleibt ihnen
+denn weiter nichts Anderes übrig, als die Luftziegel durch Thon zu
+verbinden oder aus Thon und Sand zusammengepreßt die Hauswände zu
+bilden.
+
+Man findet häufig die Wände der Moscheen und die Wohnungen der Großen
+wie geweißt; es rührt dies nicht von einer Verkalkung oder Vergypsung
+her, sondern ist einfach ein Ueberstrich von einem sehr weißen und
+feinen Thon. Dieser ist so fett und fein, daß er gar keine
+Sandpartikelchen enthält; ganz in der Nähe von Kuka findet man im
+Nordwesten der Stadt mächtige Lager davon einige Fuß tief unter dem
+schwarzen Humus.
+
+Architektonisch zeichnen sich die Moscheen keineswegs aus. Etwa 20 Fuß
+hohe, aus Thon aufgeführte Mauern umgeben einen offenen Hofraum; nach
+der nach Mekka gerichteten Seite sind durch plumpe, vier- oder
+achteckige Erdpfeiler gebildete Bogengänge, meist in zwei oder drei
+Reihen, vorhanden, die dann ein oder zwei Schiffe, wenn man diese so
+nennen will, bilden. Nach dieser Seite zu befinden sich auch die Kibla
+und das Mimber. Irgend eine Ecke einer solchen Moschee bildet eine
+thurmartige Erhöhung, und dient als Minaret oder Sma.
+
+Hier wollen wir denn auch der Befestigungen erwähnen, wie sie in den
+meisten centralafrikanischen Städten üblich sind.
+
+Im Vergleich zu dem schlechten Mauerwerk der heutigen Araber- und
+Berberstädte in Nordafrika und in Anbetracht, daß in Centralafrika
+nirgends beim Kriegführen Feuerwaffen großen Kalibers gebraucht werden,
+sind dieselben sehr gut zu nennen. Die Befestigungen der
+Negerortschaften sind derart angelegt, daß man sieht, dieselben sind
+ganz ihren Verhältnissen und ihren Umständen angemessen, für dortige
+eventuell sich ereignende Fälle geschaffen.
+
+Meist sind die Lehm- oder Thonmauern nach außen zu fast steil oder doch
+nur sehr wenig geböscht abfallend, circa 20 bis 30 Fuß hoch und fast
+immer mit einem tiefen, jedoch nicht sehr breiten Graben nach außen
+umgeben. Kuka z.B. hat eine Mauer aus hartem Thon, die circa 25 Fuß hoch
+ist und nach außen zu fast senkrecht in einen 12 Fuß tiefen Graben
+abfällt. Nach innen jedoch verbreitert sie sich dachartig durch Stufen
+nach unten, derart, daß oben die äußerste Kante, welche zugleich als
+Brustwehr dient, circa 4 Fuß hoch und nur circa 2 Fuß breit ist, während
+die Basis der ganzen Umfassungsmauer ebenso breit wie hoch ist. Die
+Thore durch solche Erdmauern oder Erdwälle sind manchmal überdacht,
+manchmal offen; immer aber ist unten die Thür enger als oben und vor
+Erdnachsturz durch Gebälkauskleidung geschützt. In den Städten großer
+Reiche sind die Gräben ordentlich überbrückt mittelst soliden
+Balkenwerks, so daß die schwersten Lastthiere hinüber passiren können.
+Nicht so ist es bei den kleineren Städten auf der Grenze des Islam und
+des Heidenthums.
+
+Südlich von Keffi-abd-es-Senga begegnete es mir mehrere Male, daß ich
+vom Besuche einer solchen schwer zugänglichen Stadt abstehen mußte.
+Ueber den allerdings nicht sehr breiten, aber tiefen Graben führte zum
+Thore der Stadt nur _Ein einziger schwankender Palmstamm_. Meine noch
+dazu mit großen Elfenbeinzähnen beladenen Begleiter gingen sicher und
+festen Schrittes hinüber; vom Schwindel ergriffen, wollte ich indeß
+solch ein Seiltänzerkunststück nicht wagen und blieb zurück. Ja, selbst
+als eines Tages schon alle Diener hinüber waren, und nach einem
+anstrengenden Marsch ein lukullisches Negermahl winkte, konnte ich es
+doch nicht über mich bringen, über einen so schwankenden Stamm dahin zu
+schreiten. Ich versuchte hinüber zu klettern, fand aber bald, daß die
+Neger mich auslachten, und ich verzichtete auf diese Art, ihre Stadt zu
+besuchen, da ich zu sehr in ihrer Achtung sinken würde. Auch widerstand
+ich dem Anerbieten, die Schultern eines der Neger zu besteigen; es blieb
+nichts Anderes übrig, als auf den Besuch der Stadt zu verzichten.
+
+Einzelne Städte haben außer dem Walle und dem äußeren Graben noch einen
+inneren und fügen Verhaue und Dornhecken hinzu, um dem Feinde das
+Annähern zu erschweren. So berichtet _Barth_ II. S. 211 von den Manga,
+daß sie außer der Erdmauer und dem Graben noch ein Dornverhack hatten,
+das sich 10 Fuß dick außerhalb herumzog; in Band II. S. 184 von
+Birmenaua, daß dies ein kleiner, aber stark befestigter Ort sei mit zwei
+Gräben, einem innerhalb, einem außerhalb der Mauer.
+
+Am unvollkommensten finden wir die Hütten da, wo der mohammedanische
+Glaube Eingang gefunden hat. So im ganzen Norden von Centralafrika. Eine
+Hütte in Kuka von runder, nach oben spitz zulaufender Form hat circa 12
+bis 15 Fuß an der Basis im Durchmesser. Das aus Holz oder Rohr
+ausgeführte Gerüst ist mit Stroh überdeckt; eine Thür, oft gewölbt, oft
+eckig, bildet den Eingang. Aber selbst hier, wo in der Stadt der Fürst
+und alle Großen, wie die reichen Kaufleute Thonwohnungen haben, bildet
+die Hütte die Nationalbehausung. Das Innere ist äußerst reinlich
+gehalten und enthält manchmal eine mannshohe Scheidewand aus Matten, um
+verschiedene Familienglieder von andern abzusondern. Wenigstens zwei,
+oft drei bis vier solcher Hütten bilden ein Haus, ein Gehöft.
+Umschlossen sind sie von einer thönernen Mauer, oderauch von
+übermannshohen Matten, welche durch in die Erde gerammte Stämme aufrecht
+gehalten werden.
+
+Am schönsten finden wir die Hütten da, wo sie vollkommen aus _eigenem_
+Bautriebe der Neger hervorgegangen sind, bei den Negern, die noch dem
+Heidenthum anhangen.
+
+So berichtet _Barth_ von den Marghi-Hütten (II. S. 463): "Die Hütten
+haben vor ihrer Thür Rohrschwellen, die manchmal umklappbar sind, und
+inwendig sind die Fußböden schon gepflastert;" oder II. S. 525 von
+Adamaua: "In Ssarau besteht eine Wohnung aus mehreren Hütten mit
+Lehmwänden und vortrefflich geflochtenem Rohrdach; diese Hütten sind
+durch Lehmwände mit einander verbunden, so daß das Ganze ein
+abgerundetes Dreieck bildet. Die eine Hütte bildet den Eingang, die
+anderen beiden sind für die Frauen. Die Eingangshütte hat eine 3-1/2 Fuß
+hohe und 16 Zoll breite _eiförmige_ Thür; es befindet sich hier ein
+Ruhebett, 7 Fuß lang und 5 Fuß breit und 3 Fuß über der Flur, außerdem
+eine Feuerstelle. Die hellbraunen Wände der Hütte sind mit allerdings
+nicht kunstvollen Gegenständen von weißer Farbe bemalt. Die beiden
+andere Hütten sind ähnlich, enthalten zwei Rohrbetten, wovon eins für
+die Frau durch eine Scheidewand von dem übrigen Raume der Hütte getrennt
+ist. Diese 5 Fuß hohe und 4 Zoll dicke Scheidewand ist ebenfalls braun
+und mit weißen Streifen geziert; oben ist sie durch abwechselnd
+schalenartige und pyramidale Aufsätze gekrönt, welche ebenfalls
+verschiedene Farbe haben. Die Thüren sind auch hier _eiförmig_ und noch
+kleiner, nur 2 Fuß hoch und 10 Zoll breit. Diese heimlichen Wohnungen
+übertreffen durch Harmonie der Farbentöne ihre Schwestern" u.s.w.
+
+Am vollkommsten fand _Barth_ den Hüttenbau wohl im Lande der Musgu. So
+berichtet er II. S. 158: "Jeder Hof hat drei bis sechs Hütten, sie sind
+aus Thon, und die Umschließungsmauer bei den Wohlhabenden aus demselben
+Material die der Aermeren aus Rohr und Holz. Die Dächer sind mit
+Sorgfalt gedeckt und weit besser als Strohdächer. _Die Musguhütten
+zeigen in der Form ihrer Giebelung selbst Spuren verschiedener Style,
+die vielleicht auf eine gewisse Stufenfolge im Leben zurückzuführen
+sind_."
+
+Ueberall findet man in diesen Gehöften, die nicht nur die Städte und
+Dörfer zusammensetzen, sondern da, wo die Sicherheit der Gegend es
+zuläßt, auch über die Landschaften vereinzelt anzutreffen sind, die dem
+Neger so unentbehrlichen Nebenbaulichkeiten. Wir erwähnen hier zuerst
+des Schattendaches, welches man in jeder Wohnung antrifft.
+
+Diese Schattendächer ruhen auf 4 oder 6 Pfählen, welche nur oben mit
+einem dicken Strohdache oder Mattenwerk bedeckt sind. Unter ihnen ist
+gewöhnlich ein Rohrbett und Platz genug, daß auch die Hausfrau ihre
+Arbeiten im Schatten verrichten kann. Dann findet man in jedem Hofraum
+große Thonbehälter, oft auf Steinen ruhend, zum Aufbewahren von Korn;
+manchmal sind sie sehr künstlich eingerichtet. _Barth_ sagt III. S. 158
+bei der Beschreibung eines Musgu-Hofes: "Jeder Hofraum hat einen 12 bis
+15 Fuß hohen Kornbehälter aus Thon und ein Schattendach. Die
+Kornbehälter haben ein gewölbtes, ebenfalls aus Thon bestehendes Dach
+mit einer aufspringenden Mündung, welche wieder von einem kleinen
+Strohdache geschützt wird." An einer andern Stelle sagt _Barth_: "Die
+Kornbehälter auf 2 Fuß Unterlagen haben eine Höhe von 15 Fuß und
+verjüngen sich nach oben. Sie haben nur eine Oeffnung am oberen Theile
+und sind ähnlich den ägyptischen Taubenhäusern." Außerdem findet man
+häufig Veranden vor den Hütten und überdachte Kochstellen.
+
+Die vollendetsten Hütten trifft man, wie schon gesagt, da, wo das
+Heidenthum herrscht. Eine Hütte hat in der Regel 15 Fuß Durchmesser, und
+die Thonwände, oft dick, oft nur 1/2 Fuß dünn, sind in der Regel 4 bis 5
+Fuß über der Erde. Das Dach ruht ganz frei auf dem runden Thonbau; in
+den meisten Gegenden wird es zu ebener Erde fertig gebaut und vollendet
+erst auf die Thonmauer gleichsam wie ein Deckel gelegt. Der Boden ist
+überall festgestampft und bildet manchmal einen aus kleinen Steinchen
+zusammengegossenen Mosaik.
+
+Im Innern der Hütte sind verschiedene Scheidewände und außer dem
+beweglichen Rohrbette befindet sich wenigstens ein festes Thonbett
+darin. In kalten Gegenden, z.B. auf dem Gora-Gebirge, beobachtete ich,
+daß die Thonbetten hohl und von _inwendig zu heizen_ waren. Die größte
+Sorgfalt wird immer auf die Eingangshütten verwendet; diese haben
+natürlich immer zwei Thüren. Eine Hütte des Sultans von Akun, den ich
+besuchte, zeigte sogar zwei Dächer, wovon das obere offenbar nur zum
+Schmuck angebracht ist. Manche Eingangshütten sind colossal groß, sowie
+die des Sultans von Keffi-abd-es-Senga; diese diente zugleich als
+Versammlungort seiner Gäste, war viereckig und hatte mit einem
+außerordentlich hohen Dache eine Veranda verbunden.
+
+Eine ähnlich große Empfangshalle traf Schweinfurth auf seiner Reise im
+östlichen Centralafrika. Die L.I. Zeitung Nr. 1542 vom Jahre 1873 giebt
+ein anschauliches Bild davon. Die große Festhalle, in der Schweinfurth
+empfangen wurde, war von vielen Hundert Menschen gefüllt. Es waren die
+achtzig Lieblingsweiber des Königs Munsa anwesend, eine Musikbande und
+alle seine Trabanten. Die Empfangshalle selbst hatte die Form unserer
+modernen großen Eisenbahnhallen.
+
+Die kunstlosen Hütten der Bassa-Neger auf den Inseln des Bénue verdienen
+hier insofern nur einer Erwähnung, als wir hier inmitten Afrika's auch
+auf "Pfahlbauten" stoßen.
+
+Einen Uebergang zu den, wie es scheint, von den Europäern von der Küste
+her eingeführten großen Giebelhäusern und den Hütten der Neger bilden
+die seltsamen Wohnungen der Kado-Neger in Segseg, die gewissermaßen aus
+Haus und Hütte zusammengesetzt sind. Zwei circa 25 Fuß von einander
+entfernte Hütten sind durch ein Haus oder einen Gang verbunden, und das
+Dach bildet mit den beiden Dächern der Hütte ein Ganzes. Nur die eine
+Hütte hat eine Thür, der Gang und die zweite Hütte haben nur runde
+Löcher, um dem Lichte Eingang zu verschaffen.
+
+Hier zu erwähnen sind auch noch jene kleinen Hütten für die Fetische.
+Manchmal sind dies nur auf Pfählen ruhende Strohdächer, unter welchen
+die Götter Schutz gegen die Sonne und den Regen finden, manchmal aber
+auch ordentlich eingerichtete Hütten. Aber jedesmal findet man sie in
+bedeutend verkleinertem Maßstabe. Eine Fetischhütte ist nie höher als 4
+bis 5 Fuß und hat an der Basis gewöhnlich 3 bis 4 Fuß Durchmesser. Oft
+steht ein Fetisch oder eine ganze Fetischfamilie nur auf einem
+Thonteller, der circa 1 Fuß hoch, nach oben sich verjüngt und circa 3
+bis 4 Fuß im Durchmesser hat. Außerdem hat jede Hütte in den Gegenden,
+wo Fetischismus betrieben wird, einen Fetisch in seiner Hütte, der oft
+aus Thon oder Holz geformt, oft aber nur ein Bild oder Relief an der
+Hüttenwand ist.
+
+Je mehr man sich dem Niger nähert, desto andere Bauformen finden wir
+gäng und gäbe. Freilich bleibt auch hier die runde Hütte noch immer die
+eigentliche Nationalbehausung der Neger; aber wir finden nun bei den
+Wohnungen der Fürsten, der Großen und Reichen keineswegs mehr große,
+nach arabischer Art mit plattem Dache versehene Häuser, sondern Gebäude,
+die nach Art der europäischen ein Giebeldach haben. In Imaha, in
+Ogbomoscho und Ibadan haben die Fürsten die großartigsten Giebelbauten,
+bei denen europäischer Einfluß wohl kaum zu leugnen ist.
+
+Die Fürstenwohnung in Illori ist der Art, daß sie ein längliches Viereck
+von 150 Fuß Länge auf 30 Fuß Breite bildet. Die Seitenmauern, circa 6
+Fuß hoch und 2 Zoll dick, aus gestampftem Thon errichtet, tragen ein
+unverhältnißmäßiges hohes Strohdach à cheval, dessen überstehende
+Seitenwände über die Mauern hinausreichen, so daß sie fast den Erdboden
+berühren. Der Raum, der hierdurch entsteht, giebt einen schattigen
+Ruheplatz für die zahlreichen Sclaven ab. Im Innern läuft längs der
+einen Wand ein Corridor, und von diesem aus kommt man mittelst niedriger
+Thüren in die verschiedenen Zimmer, von denen einige einen aparten
+Bodenabschluß haben, andere aber frei bis unter das Dach hinaufreichen.
+
+Höchst eigenthümlich fand Dr. Nachtigal die heidnischen Bewohner im
+südlichen Bagermi wohnen. Fortwährend den Ueberfällen der
+mohammedanischen Bevölkerung ausgesetzt, haben sie ihre Wohnungen gleich
+den Vögeln auf den Bäumen errichtet, und der gewaltige Baumwollenbaum
+(Bembax. cottontree) eignet sich vortrefflich dazu, derartige
+Behausungen zu empfangen: Der Baumwollenbaum gehört zu den Riesen der
+centralafrikanischen Vegetation. Ungefähr 50 Fuß hoch vom Boden, gehen
+von seinem colossalen Stamme starke horizontal verlaufende Aeste ab. Auf
+diese legen die Bagermi-Bewohner Balken und errichten darauf ihre
+Hütten; selbst der Viehstand wird in Zeiten der Gefahr mit nach oben
+gezogen. Mittelst einer aufziehbaren Strickleiter gelangen die
+Eigentümer hinauf. In der Nacht werden nach Nachtigal nie
+Feindseligkeiten unternommen, so daß während dieser Zeit die Inwohner
+eines solchen Baumdorfes ihre Vorräthe an Wasser und Lebensmitteln
+machen können. Und da in Bagermi der Gebrauch der Schießwaffe noch nicht
+eingeführt ist, so gewinnen die Besitzer in ihren hohen, luftigen Bauten
+eine ziemliche Sicherheit.
+
+Je mehr man sich der Küste nähert, desto mehr schwindet die Hütte, und
+wenn in den Ortschaften des Konggebirges oder an den Abhängen desselben
+auch die Häuser der privaten nicht alle jene großen kasernenartigen
+Dimensionen haben, so läßt sich doch in der Anlage der europäische
+Einfluß auf den ersten Blick heraussehen. Gebrannte und behauene Steine
+findet man erst, wenn man die Küstenstädte Afrika's selbst, mithin das
+europäische Element erreicht hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 1: Allerdings sind in Marokko in den sogenannten "maurischen
+Bädern" auch gewölbte Kuppeln, aber diese Gewölbe sind entweder durch
+horizontal eingeschobene Balken gebildet und getragen, oder durch
+Uebertragung horizontal gelegter Steine gebildet, ähnlich wie man es in
+den gewölbten Kammern der griechischen Thesauren beobachtet.]
+
+
+
+
+3. Lagos an der Westküste von Afrika.
+
+
+Keine Stadt an der Westküste von Afrika, vom Cap Spartel an gerechnet,
+bis zum Cap der guten Hoffnung, hat in den letzten Jahren einen so
+raschen Aufschwung genommen wie Lagos. Unter dem 6° 26' nördlicher
+Breite und dem 3° 22' östlicher L. v. Gr. gelegen (nach anderen 6° 28'
+n. Br. und 3° 26' östl. L. v. Gr.), war Lagos bis zum Jahre 1851
+portugiesische Schutzstadt und Hauptexportstadt für den Sclavenhandel.
+In diesem Jahre vertrieb ein eingeborener Fürst, Namens Kosoko, den
+rechtmäßigen König Akitoye, weil dieser auf Betrieb Englands den
+Sclavenhandel unterdrückt hatte. Kosoko wurde von den Engländern wieder
+verjagt und der rechtmäßige König wieder eingesetzt. Aber trotzdem
+florirte die Negerausfuhr fort, die um so schwieriger hier zu überwachen
+und zu verhindern war, als der Küstenstrich wegen Lagunenbildung
+zahlreiche Verstecke und Schlupfwinkel bietet, wohin sich die
+Sclavenhändler bei drohender Gefahr zurückziehen konnten.
+
+Am 6. August 1861 erschien deshalb das englische Kriegsschiff
+Prometheus, Com. Bedingfeld; Lagos wurde genommen und zur englischen
+Colonie erklärt. Zum Scheine ließ man jedoch den Sohn Akitoye's, Docemo,
+als König bestehen, er behielt jedoch nur den Titel.
+
+Von den Eingeborenen Eko, auch Oni genannt, erhielt Lagos seinen Namen
+von den Portugiesen. Es liegt auf einer halbmondförmigen Insel, hat im
+Süden das Meer, im Norden die die Insel vom Festland trennende Lagune,
+und ist von den übrigen schmalen Küstenstrichen oder Inseln, welche im
+Osten und Westen sich fortziehen, durch enge Meeresarme getrennt. Das
+Festland ist circa 15 engl. Meilen entfernt. Von den schmalen
+Landstreifen, welche ursprünglich Festland gewesen sind, und die
+manchmal 3, manchmal bis 10 englische Meilen breit sind, gehört ein
+60-70 englische Meilen langes Stück jetzt den Engländern. Alle diese
+Streifen sind mit dichtester Vegetation bedeckt, meistens mit
+Mangroven-Buschwerk bestanden, das von schlanken Cocosnußpalmen überragt
+wird, während gleich am Festlande jene undurchdringlichen Urwälder
+beginnen, in denen die Oelpalme und der Baumwollenbaum die
+hervorragendste Rolle spielen.
+
+Hält man sich für kurze Zeit in diesem von der Natur so verschwenderisch
+ausgestatteten Lande auf, so sollte man glauben, es sei hier ein ewiges
+Paradies was das Klima anbetrifft: man glaubt in einer ewig
+frühlingsmäßigen Natur zu leben. Balsamische Düfte durchziehen die Luft,
+der tiefblaue Himmel, das saftige Grün der üppigen Pflanzenwelt, in der
+Ferne das tiefblaue wogende Meer, lassen den Gedanken nicht aufkommen,
+daß jeder Athemzug dem Körper giftige Substanzen zuführt; und doch ist
+dem so, wie die große Sterblichkeit der Eingeborenen sowohl wie die der
+Europäer ergiebt. Eben die lagunenartige Gegend, die Ausdünstungen der
+See, die vermodernden Pflanzentheile der nahen Sümpfe, die Vermischung
+von Salz- und Süßwasser nehmen alle Theil an jenen Krankheiten, die den
+Menschen so gefährlich sind, und meist rasch und tödtlich verlaufen.
+
+Die mittlere Temperatur von Lagos ist unbekannt, dürfte aber zwischen
+20° und 22°[2] sein. Der niedrigste beobachtete Thermometerstand war 15°
+C., der höchste 35°. Barometrische Aufzeichnungen von Lagos liegen gar
+nicht vor. Als hygrometrische Beobachtungen wurden mir 0,2 und 25°
+genannt, indeß nicht dabei gesagt, mit welchem Instrument und nach
+welchem Systeme dieselben gefunden worden sind. Die fallende Wassermenge
+wird wohl der von Gabun gleichkommen, wo man in einem Jahr 250" Regen
+beobachtet hat. Die nasse Jahreszeit währt von April und Mai bis August
+und September und in dieser Zeit sind fast täglich die heftigsten
+Tornados (Gewitterregen) bei herrschendem Ostwinde. Im November,
+December, Januar und Februar ist fast nie Regen beobachtet worden. Der
+herrschende Wind der trockenen Jahreszeit ist West und Nordwest. In
+dieser Periode herrscht Nachts vollkommene Windstille; erst gegen 9 Uhr
+Morgens springt der Wind auf, um bis nach Sonnenuntergang als starke
+Brise zu blasen. Im Januar wird hauptsächlich der Harmattan beobachtet,
+vom Innern her wehend, und von welchem die dort lebenden Europäer noch
+immer glauben, daß es Nebel sei, während es nichts Anderes ist, als ein
+zerflossener Rauch jener großen innerafrikanischen Wald- und Grasbrände,
+die sich manchmal über Strecken verbreiten, die Tausende von
+Quadratmeilen einnehmen. Zu dieser Zeit ist der Gesundheitszustand am
+besten, namentlich auf äußere Hautkrankheiten übt der Harmattan einen
+überaus wohlthätigen Einfluß aus.
+
+Hauptsächlich dort beobachtete Krankheiten sind, was auf die Europäer
+sich bezieht, Malaria und bösartige Wechselfieber, Dyssenterien und
+Leberkrankheiten. Cholera und gelbes Fieber sind in Lagos nie
+aufgetreten. Es ist übrigens wohl in Betracht zu ziehen, daß die meisten
+Europäer durch ihr eignes unmäßiges Leben sich derartige Krankheiten
+zuziehen. Während das weiche, erschlaffende Leben eine mäßige
+Lebensweise, namentlich Enthaltsamkeit von trockenen Weinen und
+Liqueuren, empfiehlt, findet man hier, wie fast überall in den Colonien,
+vorzugsweise spanische Weine, Sparkling Hock[3] und Brandy im Gebrauch,
+und die schwelgerischen Tafeln, die dort stets dem Magen vorgestellt
+werden, rufen denn nur zu rasch jene Krankeiten hervor, denen die
+Europäer zum Opfer fallen, auf dem Sterbebette noch das mörderische
+Klima verfluchend. Bei den Negern beobachtet man außerdem noch den
+Guineawurm, Elephantiasis, Pocken, Lepra, Krakra (eine widerliche
+Krankheit) und Yaws, eine Art von böser Frambösie.
+
+Die Bevölkerung der Schwarzen besteht aus Eingeborenen und dorthin
+eingewanderten und transportirten Negern. Erstere gehören alle zu den
+Stämmen der großen Yoruba-Familie. Ohne so schön und hell zu sein wie
+die Pullo, sind die Yoruba keineswegs vollkommen schwarz, sondern haben
+mehr bräunliche Hautfarbe. Sie haben sanfte, nicht stark prononcirte
+Gesichtszüge, und werden von den dortigen Europäern für die besten und
+gutmütigsten aller Neger gehalten. Als die Portugiesen zuerst nach Lagos
+kamen, fanden sie die Eingeborenen sehr geschickt in Verfertigung von
+Matten und Strohflechtereien, die sie auch noch so zart und fein zu
+flechten wissen, daß man daraus Kleidungsstücke machen könnte, und die
+zum Theil auch von den Eingeborenen in früheren Zeiten als solche
+benutzt wurden. Baumwollenweberei, Färberei, Ledergerberei, vorzügliche
+Holzschnitzerei, Töpferkunst und die Verarbeitung edler und unedler
+Metalle waren den Eingeborenen von Lagos bekannt, als die Europäer
+dorthin kamen. Man kann ihre Zahl auf 35-40,000 schätzen. Haussa-Neger
+bilden das zweite Element, sie sind durch etwa 1000 Individuen
+vertreten. Die übrigen endlich sind Acra-, Fanti- und Kru-Neger, etwa
+2000 Seelen stark, und einzelne von verschiedenen anderen Horden. Alle
+diese sind ursprünglich freie, in Lagos von jeher seßhafte Neger, dann
+aus dem Innern und von der Küste als Freie Eingewanderte, oder aber
+ursprünglich gewesene Sclaven und deren Nachkommen und zum Theil aus dem
+britischen Westindien, von Sierra Leone, Gambien, Liberien, Brasilien
+oder Cuba zurücktransportirte, gekaperte ehemalige Sclaven. Allein die
+von Sierra Leone gekommenen Neger schätzt man auf 4000 Seelen.
+
+Was die Europäer anbetrifft, so ist deren Zahl durchschnittlich gegen
+100, von denen etwa 60 Engländer, 20 Deutsche und Franzosen sind, und
+die übrigen aus Spaniern, Portugiesen und Italienern bestehen.
+
+Der Cultus der Eingeborenen, die noch nicht zum Christenthume
+übergetreten sind, ist Fetischdienst. Vornehmlich werden Bäume
+fetischirt, aber auch Thiere, z.B. Hunde, stehen in Verehrung. Die
+Anbetung von kleinen, aus Holz und Thon gearbeiteten Götzenbildern ist
+sehr allgemein; Herr Philippi aus Potsdam, der sich 13 Jahre in Lagos
+aufhielt, besitzt eine ganze Sammlung jener kleinen interessanten
+Gottheiten. Außer den allgemein heilig gehaltenen Thieren hat dann noch
+jeder Neger sein Privatheiligthier, von dem er dann natürlich auch nicht
+essen darf, während die Uebrigen, wenn diese Thiere zu den genießbaren
+zählen, davon essen. So durfte der Häuptling Tappa, eine persönliche
+Bekanntschaft von mir, keine Hühner essen, Docemo, der König, keine
+weißen Tauben. Jeder hat so seine speciellen Göttchen, die gewissermaßen
+als Heiligen den betreffenden Individuen dienen und in den Wohnungen den
+Ehrenplatz einnehmen. Im Ganzen mögen gegen 25000 Heiden in Lagos sein.
+Für die Umwandlung in Christen thut die englische Regierung officiell
+seit einigen Jahren nichts mehr, legt aber auch den Missionären,
+einerlei, von welcher Kirche sie abgeschickt worden sind, keine
+Hindernisse in den Weg.
+
+Als Nichtchristen zählen zunächst die Mohammedaner; ihnen gehören
+besonders alle Haussa-Neger an, aber auch viele Yoruba. Der Islam hat
+sich quer durch Afrika seinen Weg gebahnt, er wird um so mehr von den
+Negern angenommen, als die moralischen Vorschriften besser mit den
+alten hergebrachten Leben harmoniren, überdies die den Mohammedanismus
+predigenden Lehrer gleich Sitten und Gebräuche der Schwarzen selbst
+annehmen, und nur die Formen und äußeren Gebräuche ihres Glaubens
+verlangen. Außerdem predigt der Islam Hochmuth. "Sobald ihr Gläubige
+seid, steht ihr über Christen und Juden, ihr gehört dann zum
+ausgewählten Volke, ihr seid dann gut =par exellence=." Eine solche
+Lehre gefällt den unmündigen Negern. Es gefällt ihnen das weit besser,
+als: "Ihr könnt das Himmelreich nur durch Buße und Glauben gewinnen,
+Sünder bleibt ihr aber immer; seid demüthig, verachtet den Reichtum &c."
+Zudem ist der christliche Missionär in unseren Tagen nicht im Stande,
+auf das Niveau der Eingeborenen hinabzusteigen, während er ebenso wenig
+vermag, diesen zu sich heraufzuziehen, das heißt ihm die äußeren
+Annehmlichkeiten des Lebens zu bieten, unter denen er selbst seine
+Existenz hat. Wie kann ein armer Neger sich denken, daß die Lehre
+richtig sei, wo man ihm Verachtung des Reichthums, Mäßigung, Demuth und
+Buße predigt, und er dies von solchen Männern hört, die gut bekleidet
+sind, die schöne Häuser haben, Möbel besitzen, wie er sich sie nie
+anschaffen kann, und über Geld in Hülle und Fülle (nach den Anschauungen
+der Neger) gebieten? Denn wenn auch nach europäischen Begriffen die
+Missionäre nicht allzuglänzend und reich ausgestattet sind, so sind sie
+es doch den Eingeborenen gegenüber. Ganz anders tritt der Mohammedaner
+auf: er hat nicht mehr als der Neger, er verdient seinen Lebensunterhalt
+durch seine Arbeit, durch Handel; der Eingeborene sieht, wenn der
+mohammedanische Lehrer zu Wohlstand kommt, woher und wie derselbe
+gewonnen ist. Kein mohammedanischer Apostel hat irgendwie Gehalt, er
+bekehrt, um einen neuen Gläubigen zu gewinnen, ganz aus eigenem
+Antriebe, ohne von einer Gesellschaft ermächtigt zu sein. Er glaubt auch
+nicht einmal, daß dies für ihn selbst ein großes Werk sei, er meint
+dadurch nur die Seele des Bekehrten gerettet zu haben, welche nun würdig
+ist, mit ihm nach dem irdischen Tode die verheißenen Freuden des
+Paradieses zu theilen.
+
+Die Zahl der Mohammedaner wird auf 4000 geschätzt, und scheint dieselbe
+noch fortwährend zuzunehmen.
+
+Was die Christen anbetrifft, so haben wir verschiedene
+Glaubensrichtungen in Lagos vertreten, und dies Nichteinheitliche der
+Lehre Jesu trägt gewiß dazu bei, bei Ausbreitung des Glaubens die
+Eingeborenen stutzig zu machen.
+
+Von den Protestanten finden wir die englische _high church_ durch die
+_church missionary society_ vertreten, etwa 1000 Seelen; die Wesleyaner
+etwa 700 Seelen, und amerikanische Baptisten etwa 30 Seelen. Die
+römisch-katholische Kirche ist hauptsächlich durch 3-400 sogenannte
+_emancipados_ (ehemalige Sclaven) aus Brasilien und Cuba repräsentirt.
+Die deutschen Protestanten halten sich zur Hochkirche. Im ganzen beläuft
+sich die Zahl der Christen in Lagos auf 3500. Für die Protestanten
+besteht ein Seminar mit einem weißen und einem schwarzen Lehrer und etwa
+20 Zöglingen; ein Mädcheninstitut unter einem weißen Lehrer und einer
+weißen und einer schwarzen Lehrerin mit etwa 20 Schülerinnen; vier
+gemischte Volksschulen mit 8 Lehrern und 430 Schülern; drei kleine
+Kinderschulen mit 5 Lehrerinnen und 320 Schülern. Die Wesleyaner haben
+außerdem eine Schule mit 3 Lehrern und 170 Schülern. Ueber die Schulen
+der römisch-katholischen Mission liegen keine numerischen Nachrichten
+vor.
+
+Die Mohammedaner sorgen für die Bildung ihrer Gläubigen durch Gebete in
+der Hauptmoschee, sie haben 12 bis 16 kleinere Betplätze, die zum Theil
+Medressen (Schulen) sind, in denen jedoch weiter nichts gelehrt wird,
+als mechanisch Koransprüche herzusagen. Fast mit Sicherheit kann man
+behaupten, daß die Lehrer selbst den Sinn der Sprüche und Gebete nicht
+verstehen. Nach den Begriffen der modernen Apostel des Islam ist das
+auch nicht nöthig, da Gott selbst Arabisch versteht, also wohl weiß, was
+die Gläubigen beten.
+
+Die Regierung besteht derzeit aus einem Gouverneur (von der
+Kriegsflotte), einem Colonialsecretär, einem Oberrichter (_high
+justice_), einem Ingenieur, einem Colonialarzt, einem Schatzmeister und
+zwei Polizei-Inspectoren mit 45 Constablern. Das Geschwornengericht ist
+aus Weißen und Schwarzen zusammengesetzt. Als Garnison steht in Lagos
+eine Compagnie westindischer schwarzer Soldaten, und in letzterer Zeit
+sind darunter als Ergänzung vorzugsweise Haussa-Leute aufgenommen
+worden. Außerdem steht der Regierung ein Kanonenboot I.M. der Königin zu
+Gebote. In Lagos residiren ein norddeutsches, ein französisches und ein
+italienisches Consulat.
+
+Während Lagos früher krumme, winkelige Straßen hatte, an beiden Seiten
+von Negerhütten besäumt, wird jetzt der Ort durch sehr breite, gerade
+Straßen durchzogen, die Nachts beleuchtet sind. Man unterscheidet vier
+Hauptstadttheile, Okofagi, Ologbowa, Offi und Egga. In letzterem
+befindet sich der Palast von König Docemo, der aussieht wie eine große
+Bude. Das Haus, welches der Gouverneur bewohnt, ganz aus Eisen errichtet
+und fertig von England gebracht, befindet sich, wie die meisten
+Wohnungen der Europäer, auf der der See zugekehrten Seite der Insel.
+Gleich daneben liegt die prachtvolle ehemalige O'Swaldische Factorei,
+die seit einigen Jahren in die Hände eines anderen Hamburger Hauses
+übergegangen ist.
+
+An öffentlichen Gebäuden erwähnen wir noch das Colonial-Secretariat, das
+neue, aus Backstein errichtete Rathhaus, in dem zugleich der Gerichtshof
+ist, eine Caserne mit Spitaleinrichtung, ein Colonial-Hospital mit 20
+Betten, das jedoch viel zu wünschen übrig läßt, ein Zollhaus mit Krahn,
+endlich 10 Kirchen für Protestanten und eine im Bau begriffene für
+Katholiken.
+
+Die Häuser der Europäer sind zweckmäßig und meist aus gebrannten Ziegeln
+aufgeführt und fast alle von kleinen Gärten umgeben. Cocospalmen,
+Brodfruchtbäume und Mangos gewähren Schatten; an wohlschmeckenden
+Früchten sind die Ananas von Lagos als ganz vorzüglich
+hervorzuheben.--Die Stadt hat außerdem mehrere kleine Dampfer, welche
+die großen Dampfschiffe und Segler, welche die Barre nicht passiren
+können, befrachten und ausladen, Hunderte von kleinen Schiffen, alle
+numerirt und den Eingeborenen gehörend, unterhalten den Verkehr mit dem
+Festlande, hauptsächlich mit der Stadt Ikorodu. Sehr angenehm für die
+Bewohner von Lagos ist, daß die Lagunen nicht nur äußerst fischreich
+sind, sondern jahraus, jahrein täglich so viel Austern und Granaten
+(_Crangon vulgaris_) gefangen werden, wie es die Bedürfnisse erheischen.
+Deshalb ist denn auch die Fischerei eine der Hauptbeschäftigungen des
+Volkes; aber außerdem finden wir alle Handwerker vertreten, als
+Schreiner, Maurer, Zimmerleute, Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser
+&c.
+
+Die Europäer sind fast durchaus Handelsleute; es giebt Engros-Häuser,
+sogenannte Factoreien, und Detailisten. Große Factoreien giebt es circa
+20, von denen die Hamburgische von O'Swald die bedeutendste war, die
+sogar der Factorei der West-African-Company den Rang abgelaufen hatte.
+
+Export und Import haben unter der englischen Regierung einen bedeutenden
+Aufschwung genommen, was natürlich auf die Einkünfte der Colonie
+bedeutend nachgewirkt hat. 1862 betrug die Einnahme 5000 Pfd. St., im
+Jahre 1867 schon 30,000 Pfd. St. Nach dem Blaubuche betrug 1867 der
+Werth der exportirten Waaren 51,313 Pfd. St., der Werth der importirten
+Gegenstände ist nicht angegeben, Lagos hatte aber 1868 an Zollgebühren
+(vom Export wird nicht gezollt) eine Einnahme von 35,000 Pfd. St.[4],
+aus anderen Quellen noch 4000 Pfd. St., also im Ganzen fast 40,000 Pfd.
+St.
+
+Exportirt wird hauptsächlich Indigo, Grundnüsse (=Arachis=),
+Elfenbein, Mais, Baumwolle (1867 für 7112 Tons, die Tonne zu 2000
+Pfund), Goro- oder Kolanüsse[5], welche nach Brasilien und Sierra Leone
+verschickt werden, endlich Oel- und Palmnüsse. Oel wurde 1867 im Gewicht
+von 12,414 Tonnen, Nüsse 9600 Tonnen exportirt. Die Nüsse wurden im
+Anfang gar nicht benutzt, es ist das Verdienst der O'Swald'schen
+Factorei, dieses Product der _Elaeis guineensis_ zuerst ausgenützt zu
+haben. Die Nuß enthält nämlich bedeutende Mengen von Stearin, das Oel
+wird zum Schmieren und zur Seifefabrikation benutzt.
+
+Man führt ein: Cawries (=kauri, kungena, kerdi, eloda-Cypraea moneta
+L.=), jene kleinen Muscheln aus den ostindischen Gewässern, die als
+Scheidemünze dienen im größten Theil von Centralafrika, Rollen- und
+Blättertabak von Brasilien, Waffen, Pulver, Stabeisen, Messingdraht,
+Perlen, Spiegel, Messer, Manufacturen, Salz, Spirituosen. Von
+Spirituosen, Cawries und Tabak wird 6 Proc. Eingangszoll erhoben.
+
+Im Jahre 1873 arbeitete der Bürgermeister von Lagos, Mr. Goldsworthy,
+zusammen mit dem Gouverneur Herrn Glover, um neue Handelsstraßen nach
+dem Innern zu eröffnen. Im vergangenen Jahre machte Goldsworthy eine
+Reise von 200 englischen Meilen in nordöstlicher Richtung und berührte
+dabei die Gebiete von Ikale, eine wald- und sumpfreiche Gegend mit
+einzelnen angebauten Strichen, und von Onodo, einer Hügelkette längs
+der Küste und von Ife berührt. Es gelang ihm, die Kämpfe zwischen
+einzelnen Stämmen zu beendigen und wahrscheinlich auch das Efou-Gebiet
+durch eine neue Handelsstraße zu eröffnen.
+
+Werfen wir schließlich einen Rückblick auf Lagos, heute die volkreichste
+Stadt an der ganzen Westküste von Afrika, so bemerken wir, daß der Ort
+hauptsächlich unter der freisinnigen englischen Administration rascheren
+Aufschwung genommen hat wie andere Punkte in Afrika. Selbst das Klima
+scheint sich durch gute sanitätspolizeiliche Maßregeln, als Erweiterung
+der Straßen, Pflasterung der Wege, Ausrottung der nächsten Dschengel-und
+Mangroven-Büsche verbessert zu haben; in früheren Jahren trafen auf die
+weiße Bevölkerung wenigstens 20 Todesfälle, in den letzten Jahren ist
+das Verhältniß jedes Jahr günstiger geworden. 1869 ist, freilich wohl
+ausnahmsweise, nur Einer von der circa 100 Köpfe starken weißen
+Bevölkerung gestorben.
+
+Auch die Gesittung und Civilisation nimmt unter den Eingeborenen
+erfreulich zu. Wenn Europäer, und besonders die Missionäre, beherzigen
+wollten, daß ein Volk, welches seither fortwährend von der Cultur der
+civilisirten Völker abgeschlossen gewesen, von einem primitiven
+Standpunkte sehr schwer innerhalb einiger Jahre auf eine solche
+Culturstufe gebracht werden kann, wozu wir selbst fast 2000 Jahre
+gebraucht haben, so würden sie langsamer vorgehen und mehr Geduld haben
+mit ihren Civilisationsbemühungen. Wenn man die heutigen Neger
+betrachtet, namentlich die Bewohner jener großen Reiche Centralafrika's,
+und vergleicht den Zustand dieser Völker und Länder mit jenen von
+Europa vor circa 2000 Jahren (natürlich Griechen und Römer ausgenommen),
+so wird jeder Mensch, der unbefangen urtheilt, sagen: der Vortheil ist
+hier auf Seiten der Schwarzen. Die großen Staaten Bornu, Sokoto und
+Gando &c. legen glänzendes Zeugniß ab, wie weit ohne europäische
+Einflüsse die Neger fähig sind, sich zu civilisiren, und General
+Faidherbe hat gewiß nicht Unrecht, wenn er die Schwarzen als für
+Civilisation empfänglicher hält, als Berber und Araber.
+
+Aber trotzdem und trotz vieler glänzenden Beispiele, die eben beweisen,
+daß selbst in kürzester Zeit der Neger bei sorgfältiger Erziehung sich
+vollkommen mit dem Weißen gleichzustellen weiß (ich erinnere nur an
+Bischof Crowther, an Senator Revels, welcher Letztere jüngst im Senate
+der Vereinigten Staaten seine erste Rede, die als oratorisches
+Meisterwerk dasteht, gehalten hat), wage ich nicht zu behaupten, daß die
+Neger eine Zukunft vor sich haben; sie werden am Ende von den Weißen
+absorbirt werden.
+
+Wir sehen in Centralafrika, daß die Pullo, welche sich als herrschendes
+Volk große Negerreiche unterworfen haben, heute, nach noch nicht 100
+Jahren, vollkommen von den Negern assimilirt worden sind. Obschon die
+Pullo noch die herrschenden sind, auch ihre Pullo-Sprache noch reden,
+sind sie fast ganz schwarz geworden und alle reden heute neben ihrem
+Pullo die Sprache der Stämme, über welche sie herrschen. Ebenso haben
+die Araber in Centralafrika, z.B. die Schoa, fast nur noch ihre Sprache
+erhalten. Und so wird es den Negern ergehen den Weißen gegenüber, wenn
+sie nicht durch eine zu rasch mit ihnen vorgenommene
+Civilisationsmethode (namentlich durch unpassende Bekehrungsversuche)
+vorher ausgerottet werden. Ist dies nicht der Fall, so werden sie
+langsam verdrängt werden von den Weißen, wenn sich einmal für diese das
+Bedürfniß herausstellen sollte, Afrika so ernstlich in Angriff zu
+nehmen, wie man es mit Amerika und jüngst mit Australien gethan hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 2: Hunderttheilig.]
+
+[Footnote 3: Rheinwein wird von den Engländern meist als Schaumwein
+getrunken.]
+
+[Footnote 4: Fast Alles zahlt 4 Proc. nur einige Artikel 6 Proc.]
+
+[Footnote 5: Als ich 1867 von Lagos nach Europa zurückkehrte, gelang es
+mir, Goro-Nüsse ganz frisch heimzubringen. Unser nun verewigter Liebig,
+dem ich dieselben zur Untersuchung einschickte, fand die Nüsse sehr
+reichhaltig an Coffein; außerdem gelang es ihm, im botanischen Garten zu
+München aus einer der Nüsse einen Baum heranzuziehen, der im vorigen
+Sommer schon eine Höhe von 5 Fuß erreicht hatte und laut eines Briefes
+vom 9.d.M. von Liebig fortfährt, sehr gut zu gedeihen.]
+
+
+
+
+4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika.
+
+
+Einer der wichtigsten Gebirgsstöcke im bekannten Centralafrika ist das
+Gora-Gebirge, denn hier ist die Wasserscheide zwischen dem Tschad-See
+einerseits und dem mächtigen Niger andererseits. Zudem entspringt hier
+der Gongolafluß, einer der bedeutendsten Nebenflüsse des Bénue, sowie
+eine Menge kleinere Flüsse, die direct in den Bénue (dieser ist der
+bedeutendste Nebenfluß des Niger, und vielleicht ebenso bedeutend als
+dieser) sich werfen.
+
+Das Gora-Gebirge erreicht eine absolute Höhe von mehr als 7000 Fuß und
+besteht seiner Hauptmasse nach aus Granit, doch sind an den unteren
+Abhängen auch alle anderen Gesteinsarten vertreten. Das Gebirge scheint
+sehr mineralisch zu sein, die Bewohner haben Antimon-, Zinn- und
+Eisenminen; über das Vorkommen von Gold ist den Eingebornen indeß nichts
+bekannt, noch weniger läßt sich sagen, ob Silber vorhanden sei, welches
+überhaupt in Centralafrika noch nicht gefunden worden ist. Der Boden
+besteht fast durchweg aus einem festen röthlichen Lehm und Thon, doch
+sieht man mitunter auch ausgedehnte Strecken mit schwarzem Humus
+bedeckt. Die hervorragendsten Berggipfel sind der Saranda, westlich von
+Bautschi (Jacoba) gelegen, der Goa- und der Gora-Knotenpunkt, von dem
+das ganze ausgedehnte Gebirge seinen Namen hat, und von dem die Wasser
+hauptsächlich entspringen, welche dem Niger, Bénue und dem Tschad
+zueilen.
+
+Was Naturschönheiten anbelangt, so wird es kaum ein Gebirge geben,
+welches hierin die Goraberge übertrifft. Ueberall bewaldete Höhen, oft
+steil emporragende Felsen, rieselnde Bäche, spritzende Wasserfälle,
+herrliche Steilschluchten. Hie und da wieder ein Stück Ackerland um
+kleine Ortschaften herumliegend, üppige Gärten mit Bananen, Gundabäumen,
+Erdnüssen und einigen Gemüsen--dies das Gesammtbild, wie sich das
+Gora-Gebirge dem Wanderer zeigt. Ja, wenn nicht die eigenthümlichen
+konischen Dächer der Hütten, welche jene Negerdörfer zusammensetzen,
+wenn nicht bei näherer Betrachtung die einzelnen Bäume der dichten
+Wälder, wenn nicht hie und da die schwarze Gestalt eines mit Bogen und
+Pfeil bewaffneten Eingeborenen einen daran erinnerten, daß man sich
+zwischen dem 9. und 11. Grade N. Br. befände, so würde man eher glauben,
+in einer üppigen europäischen Gebirgslandschaft zu sein, als in einer
+afrikanischen Tropengegend.
+
+Bis auf den Kamm des Gebirges hat man es meist mit denselben Bäumen zu
+thun, wie sie in Bornu vorkommen, aber darunter befinden sich manche
+fruchttragende, die in den Tschadebenen nicht vorkommen. Auf der
+westlichen Seite treten hingegen die Baumarten in den Vordergrund, wie
+sie das Nilthal vorzugsweise aufweist, und namentlich sind es
+ausgedehnte Wälder des Butterbaumes, _Bassia Parki_, die nun
+vorherrschen. In den niederen Theilen zeigen sich Bananen und der
+herrliche Gunda-Baum überall wild. Indigo, zum Theil wild, Baumwolle und
+Tabak gezüchtet, kommen allerwärts vor. Der Wald liefert die
+Yams-Wurzeln, die auch gebaut werden, ebenso pflanzen die Eingeborenen
+in ihrem Garten Ingwer, verschiedene Zwiebeln, Erdnüsse und Kohlsorten.
+
+In einer so üppigen Gegend ist natürlich die Thierwelt sehr reich
+vertreten: die niedere sowohl wie die geflügelte zeigt dem Europäer auf
+Schritt und Tritt Neues. Reißende Thiere, namentlich Panther und
+Leoparden, sind in den Schluchten der Berge nichts Seltenes, doch sind
+sie keineswegs so häufig, daß dadurch irgendwie die Sicherheit der
+Reisenden gefährdet würde.
+
+Sehr zahlreich sind allerdings die Hyänen und Büffel vertreten; Giraffen
+kommen hier im Gebirge nirgends vor; Elephanten, Nashörner und
+Flußpferde treten erst am Bénue und Niger auf; ebenso fehlt hier der
+Gorilla-Affe, nur Paviane und Hundsaffen sind in erstaunlicher Menge
+vertreten. Wie überall, wo das Land von Ameisen beherrscht wird, ist
+auch der Ameisenbär anzutreffen, und jene ungeheueren Thonpyramiden,
+welche man über das ganze Land zerstreut sieht, sind oft von der Kralle
+des Ameisenbärs angebohrt. Diese Pyramiden, von denen auch schon durch
+Photographie fixirte Ansichten existiren, verleihen der Landschaft einen
+eigenthümlichen Reiz. Man beobachtet welche von einer Höhe von über 20
+Fuß.
+
+Die Bewohner des Gora-Gebirges sind echte Neger und gehörten ehedem zum
+großen Reiche der Haussa-Neger. Bei der Invasion der Pullo wurden sie
+unterjocht, und jetzt bildet das Gora-Gebirge einen Theil des
+Kaiserreichs Sokoto. Zum Theil gehört es zu den Königreichen Bautschi
+und Kano, zum Theil zu denen von Saria und Keffi-abd-es-Senga, welche
+alle dem Kaiser von Sokoto unterthan sind.
+
+Mit Ausnahme der Städtebewohner gehen alle Eingeborenen vollkommen nackt
+und sind Heiden. Die Frauen tragen Ringe und Spangen um Arme und
+Fußknöchel, jedoch durchbohren sie die Ohrlappen nicht wie die
+europäischen Frauen, ihr Haar tragen sie ohne Schmuck und kurz
+abgeschnitten, während die Männer es nach Art der Bornu-Frauen helmartig
+zu einem Wulst zusammenwachsen lassen. Um den Leib tragen die Frauen
+einen Ledergurt der vorn und hinten mit Blättern behangen wird, um damit
+die Blößen zu bedecken; die Männer tragen ein Schurzfell, oft kunstvoll
+gestickt und mit vielen kleinen Muscheln geschmückt. Die Männer sind
+immer bewaffnet: ein Bogen, ein Köcher mit vergifteten Pfeilen und oft
+ein gerades, in Hagen oder Solingen verfertigtes Schwert macht ihre
+Rüstung aus.
+
+Ihre Religion ist Fetischdienst, obschon die über sie herrschenden Pullo
+den Islam angenommen haben. Aber obgleich sie Heiden sind, stehen sie
+keineswegs auf einer ganz niederen Stufe der Cultur; ihre Hütten sind so
+regelmäßig und gut angelegt, daß man ihnen gewissermaßen Sinn für
+Architektur und Geschmack nachsagen muß; der Boden ist eine Art Mosaik,
+welcher von den Frauen eingegossen und festgeklopft wird. Ihre
+Hauseinrichtungen, was Töpfe, Holzschnitzereien und andere Gegenstände
+anbetrifft, sind kunstvoll und mit Eleganz gearbeitet, ihre Werkzeuge
+verfertigen sie selbst aus Eisen. Um im Winter auf den höher gelegenen
+Bergtheilen sich besser gegen die Kälte schützen zu können, haben sie
+in ihren Hütten eigene thönerne Feuerbetten angebracht. Dieselben
+bestehen aus thönernen Bänken, die inwendig hohl sind; hierin wird Feuer
+gemacht und so gewähren sie dem darauf liegenden, der die schroffe Hitze
+durch Felle und Matten dämpft, eine angenehme Wärme.
+
+Einer der Hauptstämme ist der der Bolo-Neger, aber je mehr man nach dem
+Süden kommt, desto verschiedener werden die Bewohner, was Sprache
+anbetrifft, und fast täglich hat man einen anderen Stamm vor sich. Schon
+der Umstand, daß sie mich als ersten Weißen unbehelligt ihr Gebirge
+durchziehen ließen, spricht zu ihren Gunsten. Allerdings machte auf sie
+das Erscheinen eines Weißen den größten Eindruck, und sie bekundeten das
+dadurch, daß häufig Männer und Frauen herbeikamen, um mich zu befühlen,
+ob ich auch wirklich aus Fleisch und Blut sei, oder daß die ganze Jugend
+eines Ortes hinter uns drein zog und "=Thoraua, Thoraua=" (Weißer,
+Weißer) rief; aber nirgends war irgend von einem feindseligen Worte,
+geschweige einer beleidigenden Handlung gegen mich die Rede. Im
+Gegentheil, oft gab man mir zu verstehen, ich möchte doch bald nach
+ihren Gegenden zurückkommen.
+
+
+
+
+5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern.
+
+
+"Es ssalamu alikum" ist die allgemeine Begrüßung der Gläubigen, der
+Araber, und folglich aller Marokkaner, die der allein seligmachenden
+Kirche Mohammeds anhängen. "Alikum ssalam" ist die Antwort. Beiderseits
+muß der Gruß immer mit sichtbarem Ernste, mit einer gewissen
+Feierlichkeit ausgesprochen werden; ein freundlich lächelndes Gesicht
+würde man für ganz unpassend halten.
+
+Wie die mohammedanische Religion am Ende weiter nichts will, als die
+ganze Menschheit unter _einen_ religiösen Hut bringen, und dies dadurch
+zu erreichen hofft, daß sie jeden anderen glauben als absolut falsch
+verwirft, so hat dieselbe auf alle Völker, die den Islam bekennen, einen
+merkwürdig nivellirenden Einfluß ausgeübt. Und wie hauptsächlich Gewicht
+auf das _wörtliche Glaubensbekenntniß_ gelegt wird und eine
+fortschreitende _Entwickelung_ in der Religion auf's Strengste verpönt
+ist, so sehen wir, daß alle den Islam bekennenden Völker dahin gekommen
+sind, wohin der Buchstabenglaube führt: zur offenen Heuchelei,
+Scheinheiligkeit und zu einer entsetzlichen Verdummung und Verthierung
+des Volkes.
+
+Durch Alles, was die mohammedanischen Völker thun und reden, zieht sich
+immer ein heuchlerischer, muckerhafter und pharisäischer Hauch, auch in
+Höflichkeiten. Der durch den Gebrauch Mohammed's geheiligte Gruß: "Der
+Gruß (Gottes) sei mit Euch" wird daher auch nie an Ungläubige
+verschwendet. Ein ächter Mohammedaner würde glauben, ewig verdammt zu
+werden, wenn er hierin nicht einen strengen Unterschied machte. Tritt er
+in eine Versammlung, wo Juden und Christen zugegen sind, so unterläßt er
+nie zu sagen: "=Ssalam-ala-hali=," Gruß meinen Leuten, oder will er
+den Unterschied noch mehr hervortreten lassen, so sagt er:
+"=Ssalam-ala-hal-es-ssalam=," Gruß den Leuten des Grußes, d.h. den
+Mohammedanern, da selbstverständlich den ungläubigen Hunden kein Gruß
+zukommt. Oder auch man sagt. "Gruß Denen, welche die Religion befolgen,"
+womit selbstverständlich die allein seligmachende Religion des Islam
+gemeint ist, alle anderen Religionen, die christliche, die jüdische &c.,
+führen den Menschen direct vom Diesseits in die Hölle.
+
+Will ein Marokkaner recht höflich gegen einen Christen oder Juden sein,
+d.h. ihn beim Begegnen zuerst anreden, so sagt er wohl:
+"=Allah-iaunek=," Gott helfe dir, oder auch: Gott gebe dir zu
+essen. Nie aber würde er einen Glaubensgenossen so anreden, denn Alles,
+auch die Höflichkeitsbezeigungen, sind streng vorgeschriebene
+Redensarten und Handlungen.
+
+Und es ist eigenthümlich: während äußerlich eine gewisse Gleichheit der
+Menschen zu existiren scheint,--denn der ärmste Mann im Lande ist nicht
+sicher, eines Tages zum ersten Minister oder gar zum Sultan, zum Chalif
+(des gnädigen Herrn Mohammed) gemacht zu werden,--herrscht dennoch ein
+strenger Unterschied in den Förmlichkeiten und Gebräuchen des Umgangs
+zwischen Hohen und Niedern, zwischen Armen und Reichen, zwischen
+Schriftgelehrten und Laien, zwischen Schürfa[6] und anderen gewöhnlichen
+Sterblichen. Ist es nicht ähnlich so in der päpstlichen Kirche? Der
+Sultan von Marokko betrachtet sich als den rechtmäßigen Nachfolger
+Mohammeds, als seinen Verweser auf Erden. Seiner Idee nach gehört von
+Rechtswegen die ganze Erde ihm: "Jeder kann Sultan oder Beherrscher der
+Gläubigen werden, vornehmlich aber die vom Blute Mohammeds"[7]. Der
+Papst andererseits betrachtet sich als rechtmäßigen Nachfolger Petri
+(oder als Stellvertreter Jesu Christi, d.h. eigentlich Gottes), seiner
+Meinung nach gehört von Rechtswegen die Herrschaft über die ganze Erde
+ihm, jeder kann Papst werden, der den Laienstand mit dem schwarzen
+Gewande vertauscht; wie der Sultan von Marokko, behauptet er, nicht
+fehlen zu können. Wo ist da der Unterschied vor dem _unparteiischen_
+Menschen? Aber eben so groß, wie er in der päpstlichen Kirche zwischen
+dem mit dreifach goldener Krone bedeckten Papste und dem einfachsten
+Priester der Kirche oder gar dem Bettler ist, so groß ist auch der
+Abstand zwischen dem von seinen tausend Weibern umgebenen Sultan und dem
+ärmsten Faki des mohammedanischen Reiches.
+
+Wie es bei uns verschiedene Anreden giebt, so auch bei den Marokkanern.
+Der Sultan hat den Titel _Sidina_, unser "gnädiger Herr"; der Scherif,
+d.h. ein Nachkomme Mohammeds, den Titel _Sidi_ oder _Mulei_, d.h. mein
+Herr; eine Scheriffrau den Titel _Lella_; einen andern Menschen redet
+man mit _Si_, _Herr_, an, welches Si dem Namen vorgesetzt wird, _aber
+nur, wenn er lesen und schreiben kann_. Andere ganz gewöhnliche Menschen
+nennt man einfach bei Namen, sowohl Männer und Frauen, wie Kinder. Will
+man solche rufen, so kann man ohne zu verstoßen, falls der Mann
+unbekannt ist, sagen: =ia radjel=, o Mann; =ia marra=, o Frau;
+=ia uld=, o Sohn; =ia bent= oder =ia bekra=, o Tochter, o
+Jungfrau.
+
+Man muß sich wohl hüten, in Marokko den Titel _Sidi_, mein Herr,
+gewöhnlichen Menschen zu geben, nur die Juden müssen alle Gläubigen so
+anreden. Auch die Minister, Agha, Kaid, Mufti, Kadi, Imam u.s.w. haben,
+falls sie nicht Schürfa sind, kein Recht auf den Titel Sidi.
+
+Beim _Begrüßen_ sagt man bis Mittag: Dein Tag sei gut; von Mittag bis
+Abend: Dein Abend sei gut. Zu jeder Stunde kann man sagen: Sei
+willkommen.
+
+Wenn auch vollkommen Unbekannte beim ersten Anreden sich duzen, so ist
+das Duzen doch nicht ausschließlich im Gebrauch. Es würde unschicklich
+sein, den Sultan anders anzureden, als in der zweiten Person Pluralis,
+ebenso lieben es auch vornehme Personen, namentlich Religionsmänner,
+sich in der zweiten Person Pluralis anreden zu lassen. Auch Kinder
+pflegen ihre Eltern mit "Ihr" anzureden. Der gebräuchlichste Gruß,
+=es ssalamu alikum=, ist ebenfalls in der zweiten Person Pluralis.
+
+Da eine Begrüßung zwischen Leuten, die sich seit Langem nicht gesehen,
+immer unendlich lange dauert, manchmal eine halbe Stunde, so hat man die
+verschiedensten Redensarten, um sich nach dem wechselseitigen Befinden
+zu erkundigen., "Wie ist dein Zustand?" "Wie ist deine Zeit?" "Wie bist
+du?" "Wie ist dein Wie?" "Wie bist du gemacht?" u.s.w. Alle diese
+Redensarten werden mit monotoner Stimme wiederholt und man hat wohl
+Acht, dieselben mit häufigen "Gott sei gelobt", "o gnädiger Herr
+Mohammed" zu untermischen. Je öfterer man Letzteres thut, desto besser
+und frommer glaubt man zu sein und für desto heiliger wird man gehalten.
+
+Es würde ein großes Verbrechen sein, bei den Leuten arabischen Blutes
+sich nach dem Befinden der Frau des Anderen zu erkundigen. Und wenn sie
+am Rande des Grabes stände, dürfte man das nicht direct thun. Selbst der
+Vater, der Bruder würde es nicht für decent halten, seinen
+Schwiegersohn, seinen Schwager ohne Umschweife nach der Gesundheit
+seiner Tochter, seiner Schwester zu fragen.
+
+Da aber der Marokkaner ebenso gut den Trieb der Neugier besitzt, wie
+wir, so braucht er dann allerlei Umwege, um sich nach dem Befinden einer
+Frau zu erkundigen: "Wie befinden sich Adams Kinder?" d.h. alle
+Menschen, die Frauen also auch; oder: "Wie geht es dem Zelte?" d.h. mit
+Allem was darin ist; oder: "Wie geht es der Familie?"--"Wie befinden
+sich deine Leute?" u.s.w.
+
+Der _Kuß_ ist allgemein verbreitet. Dennoch kennt man nicht den Kuß der
+Liebe: den auf den Mund. Man begegnet einander, ergreift die Rechte,
+ohne sie zu drücken, und küßt sodann seinen _eigenen_ Zeigefinger. Will
+man über die Begegnung recht seine Freude ausdrücken, so wird diese
+Procedur sechs- bis achtmal wiederholt. Ein Untergebener küßt einem
+Vornehmen den Saum seines Kleides oder ist dieser zu Pferde, das Knie,
+die Füße; ist der zu Begrüßende ein großer Heiliger, so kann man auch
+dessen Pferd oder irgend einen beliebigen ihm gehörigen Gegenstand
+küssen.
+
+Weiß der Vornehme oder der Heilige, daß der Begrüßer Geld hat oder Geld
+schenken will, so giebt er wohl seine Hand zum Küssen, legt dieselbe
+segnend auf den Kopf oder wehrt die demüthige Geberde des Begrüßers mit
+Worten ab. Ist ein Untergebener zu Pferde, so steigt er schon von Weitem
+ab, um einen höher Stehenden zu begrüßen. Zwei Gleiche küssen sich wohl
+die Wangen, und will ein Vornehmer oder ein Heiliger Jemand besonders
+auszeichnen, so küßt er diesem die Stirn. Kommt ein Vornehmer, so
+erheben sich alle Anwesenden und verbeugen sich mit vor der Brust
+gekreuzten Armen. Vor dem Sultan, vor dem Großscherif kann man sich auch
+auf die Erde werfen, wie beim Gebet, und die Stirn auf den Boden
+drücken: "=Allah-itohl-amreck=!" Gott verlängere die Existenz
+deiner Seele, ruft man.
+
+Der Marokkaner verläßt eine Versammlung ohne Gruß; nur wenn er auf
+längere Zeit verreisen wollte, würde er es für nöthig halten, sich
+förmlich und durch Worte zu verabschieden. Ist aber ein sehr vornehmer
+Mann, ein Heiliger in der Versammlung, so geht man zu ihm, küßt seine
+Knie, seine Hand oder den Saum seines Kleides und verabschiedet sich
+dann, ohne ein Wort zu sagen.
+
+Schon an anderen Orten ist darauf hingewiesen worden, wie die
+marokkanische Geistlichkeit, wenn von einer solchen die Rede sein kann,
+ebensoviel auf äußere Ehrenbezeigungen hält, wie die der europäischen
+Christenheit. Wenn es auch dort nicht Sitte ist, daß sie sich kenntlich
+macht von den Laien durch besondere Tracht (schwarzer Anzug, weiße
+Cravate), so liebt es doch Jeder, der sich vorzugsweise dem Studium der
+Religion hingiebt, daß man ihn zuerst grüßt, daß er den Ehrenplatz
+erhält und daß man auf ihn die meiste Rücksicht nehme. In einem so durch
+die Religion fanatisirten Lande ist es daher jedem Reisenden dringend
+anzurathen, sich mit dieser Klasse von Menschen gut zu stellen, und da
+die mohammedanische Geistlichkeit ebenso wie die christliche besondere
+Vorliebe für Geld hat, weil dieses als die erste Bedingung zur
+Herrschaft erscheint, so ist es wohl gerathen, den frommen Leuten davon
+soviel wie möglich zukommen zu lassen. Wie richtig handelte z.B. Ali Bey
+in dieser Beziehung bei seinen Reisen durch Marokko.
+
+Alle Höflichkeitsbezeigungen in Marokko müssen in fromme Redensarten
+gekleidet sein. =Allah-iatik-ssaha, Allah-iaunik=, Gott gebe dir
+Kraft, Gott helfe dir, ruft man einem Arbeitenden zu, und wenn einer
+niest, so rufe ihm ein =Nedjak-Allah=, Gott rette dich, zu; der
+Niesende dankt mit "=R'hamek-Allah=", Gott sei dir gnädig.
+
+Eine Sitte oder vielmehr Unsitte existirt, die man in Europa auf's
+Höchste anstößig finden würde: das laute Aufstoßen während des Essens
+und gleich hernach. Der Aufstoßende ruft dann selbstgefällig
+"=Stafhr-Allah=", Gott verzeih' es, oder "=Hamd-Allah=". Gott
+sei gelobt. Er betrachtet das als Zeichen, daß der Appetit jetzt
+gestillt sei, und ebenso fassen die Mitessenden es auf, die ihn
+vielleicht heimlicherweise um dies seh- und hörbare Zeichen seines
+gesunden Magens beneiden. Jedes Essen, jeder Trunk wird begonnen, wie
+überhaupt Alles was man unternimmt, mit =Bsm-Allah=, im Namen
+Gottes. Und es würde vollkommen gegen alle Sitte sein, _aufrecht
+stehend_ zu essen oder zu trinken. Dem Trinkenden wird ein:
+"=Ssaha=", Gesundheit, zugerufen.
+
+Es würde nicht nur ein Verstoß gegen den guten Anstand sein, wollte man
+mit der linken Hand essen, sondern auch den Religionsvorschriften
+entgegen sein. Die linke Hand, welche zu gewissen Ablutionen benutzt
+wird, gilt für unrein, nur der _Teufel_, der sich aus religiösen
+Vorschriften nichts macht, bedient sich seiner Linken. Man darf sich bei
+dem _Essen_ nie des _Messers_ bedienen, namentlich das Brod darf _nicht
+geschnitten_, sondern muß _gebrochen_ werden. Vor und nach dem Essen muß
+man sich die Hände und nach dem Essen die Hände und den Mund ausspülen,
+aber sorgfältig darauf achten, daß das zum Mundausspülen benutzte
+_Wasser nur aus der hohlen Hand_, nicht aus einem Gefäße genommen wird.
+Zum Reinigen des Mundes bedient der wohlerzogene Mann sich nur des
+Daumens und Zeigefingers seiner Rechten. Man soll nicht zu schnell
+essen, und Derjenige, der einen Vornehmen oder höher im Range Stehenden
+bei sich empfängt, darf sich nicht mit an die Schüssel setzen, sondern
+muß durch Aufwarten seine Sorgfalt für den Besuch bekunden. Der
+Besuchende selbst würde sehr gegen die Lebensart verstoßen, wollte er
+sich um seine Bagage oder um seine Diener bekümmern. Daß diese in Obhut
+genommen, daß die Dienerschaft mit Speise und Trank versehen, daß die
+Thiere abgefüttert werden, darf ihn nicht kümmern, es ist das Sache des
+Wirthes. Präsentirt man dir eine Tasse Thee oder Kaffee, so trinke sie
+nicht rasch aus, sondern nimm das Getränk _schlürfend_ zu dir; wenn du
+beim Speisen bist, so unterlasse es nie, die Hinzukommenden zum Mitessen
+einzuladen, und diese, falls sie gleiches Ranges sind, erzeigen sich als
+wohlerzogene Leute, wenn sie wenigstens einen _Bissen_ mitessen, selbst
+wenn sie satt sind. Sind sie aber niederer Herkunft, so dürfen sie das
+Anerbieten nicht annehmen; sind sie hungrig, so erfordert es der
+Anstand, sich zu setzen und zu _warten_, bis man ihnen die Ueberreste
+reicht.
+
+Gewisse Gebräuche, als von den unseren abweichend, sind noch besonders
+hervorzuheben:
+
+Man darf keinen brennenden Spahn mit dem Hauche auslöschen, sondern nur
+durch Hin- und Herfahren durch die Luft. Wenn man Feuer verlangt zu
+einer Pfeife oder um Etwas anzuzünden, so sage man nicht: "gieb mir
+Feuer," "=attininar=", denn "=nar=" bedeutet auch das
+höllische Feuer, sondern man sagt: "=attini-l'afiah=". Das Wort
+"=l'afia=" bedeutet Leben, Gesundheit und Feuer, oder
+"=attini-djemra=", gieb mir eine Kohle.
+
+Höchst unanständig würde es sein, _aufrechtstehend_ ein Bedürfniß zu
+verrichten, man muß das in hockender Stellung thun und hernach die
+Ablution nicht verabsäumen, oder wo Wasser fehlt, die Ablution durch
+Sand vollziehen.
+
+Man vermeide, mit Schuhen ein Zimmer oder gar eine Moschee zu betreten;
+an der Schwelle der Thür müssen sie zurückgelassen werden. Sobald man
+Jemand auf der Straße anreden will und hat ihm etwas Ausführliches zu
+sagen, dann bleibe man nicht stehen, sondern hocke nieder, _denn im
+Stehen lange zu sprechen ist unanständig_.
+
+Einen Bittenden muß man nie durch eine _abschlägige_ Antwort beleidigen;
+"=in-schah-Allah=," so Gott will, sagt man, oder ist der Bittende
+zudringlich: "=Rbi-atik=", Gott wird _dir_ geben; ein guter
+Mohammedaner darf keinen Zweifel an der Großmuth Gottes hegen.
+
+Begeht man eine Ungeschicklichkeit, zerbricht oder wirft man aus
+Versehen Etwas um, _so verflucht man zuerst den Teufel_, denn der ist
+die Ursache alles Uebels; erst dann sagt man: "=smah-li=", verzeih
+mir, "=ma-fi-schi-bass=", ist kein Uebel dabei, erwiedert der
+Besitzer _laut, innerlich_ aber den Urheber und Teufel zum Teufel
+wünschend. Sehr bequem für alle Unfälle sind auch die Redensarten:
+"=Mektub-Allah=," es war bei Gott geschrieben, oder
+"=Hakum-Allah=," es war von Gott befohlen, oder wenn man einen
+lästigen Frager durch eine gerade Antwort nicht befriedigen will:
+"=Baid-alia, cha-bar-and-Allah=", das ist weit von mir, Gott weiß
+es, oder "=Arbi-iarf=," Gott weiß es.
+
+Hat man sonst nichts zu thun, stockt eine Unterhaltung, so ruft man
+einfach: =Allah= oder =Rbi=, d.h. Gott, _Meister_, oder
+=Allah-akbar=, Gott ist der Größte, oder man bezeugt, daß Gott ein
+einiger und Mohammed sein Gesandter ist, oder endlich, _man verflucht
+die Christen_. Grund und Anlaß zu diesen Reden brauchen nicht vorhanden
+zu sein, es gehört aber zum _guten Ton_, sie so oft wie möglich
+auszustoßen.
+
+Für eine empfangene Wohlthat muß immer gedankt werden, wäre sie auch
+noch so gering: =Allah-ikter-cheirek=, Gott vermehre dein Gut, oder
+=Allah-iberk-fik=, Gott segne dich.
+
+Auf das Versprechen eines Marokkaners ist nichts zu geben, wenn er auch
+von Höflichkeit überfließen würde und die heiligsten Eide, wie "beim
+Haupte des Propheten, bei Gott dem Allmächtigen" &c. geschworen hatte.
+Es erheischt dann aber auch die gute Sitte, daß man dergleichen Schwüre
+nicht genau nimmt, nicht daran erinnert.
+
+Ist man zum Besuche, so muß man sich ja hüten, die Gegenstände oder den
+Besitz des Wirthes zu loben, es könnte das den Verdacht erwecken, als
+wolle man Etwas geschenkt haben. Thut man es ja, so füge man immer
+hinzu: =Mabruk=. Lobt man z.B. ein Pferd: =mabruk el aud=, das
+Pferd möge dir glücklich sein, oder lobt man ein Kind: =Allah itohl
+amru=, Gott verlängere seine Existenz. Lobt man einen Abwesenden, so
+ist es höflich, wenn man seine Eigenschaften vergleicht mit denen
+Desjenigen, zu dem man spricht: "ich traf letzthin mit Mohammed Ben Omar
+zusammen, der ebenso viel Geist, ebensoviel Ueberlegung besitzt, _wie du
+selbst_." Ueberhaupt ist es Norm, Jedem die größten Schmeicheleien
+geradezu ins Gesicht zu sagen: "Bei Gott, wie geistreich du bist,
+Niemand ist, wenn es Gott gefällt, so großmüthig, wie du; ich habe, Gott
+stehe mir bei, noch keinen so guten Reiter gesehen, wie du einer bist"
+u.s.w. Der Geschmeichelte antwortet mit "=Kulschi-and-Allah=",
+Alles steht bei Gott, oder mit sonst einer frommen Redensart.
+
+Bei gewissen Ereignissen im menschlichen Leben haben die Marokkaner ihre
+unveränderlichen Höflichkeitsphrasen. Bei einer Verheirathung: "Gebe
+Gott, daß sie dein Zelt fülle" (mit Kindern). Wenn ein männlicher
+Sprößling geboren wird: "Das Kind möge dir Glück bringen." Zu einem
+Erkrankten: "Sorge nicht, Gott hat die Zahl deiner Krankheitstage
+gezählt;" zu Einem, der im Gefecht verwundet wurde: "Du bist glücklich,
+Gott hat dich gezeichnet, um dich nicht (beim jüngsten Gericht oder beim
+Eintritt ins Paradies) zu vergessen." Will man Jemand über den Verlust
+eines Angehörigen trösten: "Seit dem Tage, wo er empfangen wurde, stand
+sein Tod im Buche Gottes", oder: "es war bei Gott geschrieben."
+
+Ueber den Verlust der Frau tröstet man noch besonders mit: "Halt deinen
+Schmerz an, Gott wird diesen Verlust ersetzen."
+
+Alle diese Redensarten sind _unveränderlich_, wie bei uns "guten Tag",
+"wie gehts" &c. Die Marokkaner haben aber auch noch andere Mittel, um
+sich unbemerkt oder durch Zeichensprache ihre Gedanken mitzutheilen. Zum
+Beispiel in einer Versammlung wäre es vielleicht wünschenswerth, irgend
+Jemand über die Gesinnung oder Absicht dieses oder jenes aufzuklären. Er
+blinzelt ihm mit dem Auge zu, reibt die beiden Zeigefinger an einander,
+d.h. wir sind oder ihr seid Freunde und verstehen uns oder ihr seid
+Gesinnungsgenossen. Ein _kreuzweises Sägen der beiden Zeigefinger_
+würde Feindschaft andeuten. Dergleichen conventionelle Zeichen haben die
+Marokkaner sehr viele, wodurch sie reden können, ohne damit in eine
+allgemeine Unterhaltung eingreifen zu müssen. Und es wird keineswegs als
+ein Act der Unhöflichkeit betrachtet, sich solcher Zeichen zu bedienen.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 6: Nachkommen des Mohammed.]
+
+[Footnote 7: Sollte ja Einer auf den Thron kommen, der nicht Scherif
+wäre, so würde er kraft der Infallibilität, die jeder Sultan der
+Gläubigen besitzt, schon Papiere beibringen, um zu beweisen, daß er doch
+Mohammeds Blut in seinen Adern habe.]
+
+
+
+
+6. Beitrag zur Kenntniß der Sitten der Berber in Marokko.
+
+
+Die Berber, welche Nordafrika und besonders den nordwestlichen Theil des
+Atlas von Marokko bewohnen, haben mehr als andere dem Islam huldigende
+Völker ihre eigenen Sitten und Gebräuche beibehalten. Zum großen Theile
+ist die Gemeinsamkeit der Sprache Ursache dieser Eigenthümlichkeit; denn
+wie groß auch der Raum ist, den die Berbersprache einnimmt, vom
+atlantischen Ocean bis zum rothen Meere, so sind die Dialekte derselben
+keineswegs der Art, daß nicht eine Verständigung zwischen den
+verschiedenen Stämmen möglich wäre.
+
+Vorzugsweise finden wir aber Berber in Marokko, denn es dürften von der
+Gesammtbevölkerung des Landes zwei Drittel berberischen und nur ein
+Drittel arabischen Blutes sein: schlank von Wuchs, weiß von Hautfarbe,
+zeigen die Berber überhaupt alle die Merkmale, die wir gewohnt sind, der
+kaukasischen Race beizulegen; daß sie die Abkömmlinge der alten Mauren
+oder Numider sind, welche unter verschiedenen Namen, als Gätuler,
+Autolaler &c., fast dieselben Gegenden inne hatten, die wir heute von
+den Berberstämmen bewohnt sehen,--daran zweifelt Niemand.
+
+So finden wir denn auch heute die Berber so leben, wie sie es vor
+tausend Jahren gewohnt waren, d.h. ein Theil von ihnen wohnt in Städten,
+wenn man größere befestigte Ortschaften so nennen will, ein anderer
+Theil aber wohnt nomadisirend, wie das Mela am Schlusse seines dritten
+Buches schon hervorhebt: =hominum pars silvas frequentant et--pars in
+ubibus agunt=, und daß heute noch dieselben Verhältnisse in Bezug auf
+dies Land und diese Völker gang und gebe sind, daß wir auch heute kaum
+mehr vom Inneren Marokkos wissen, als unsere geistigen Vorfahren, die
+Griechen und Römer, das wird dann klar, wenn wir die Worte des Plinius
+unterschreiben: "ich wundere mich aber nicht sehr, daß Rittern und
+Denen, welche aus diesem Orden in den Senat traten, Manches unbekannt
+geblieben war; aber darüber wundere ich mich, daß es auch der Luxus
+nicht erforscht hat. Die Macht desselben ist die wirksamste und größte.
+Denn man durchsucht ja die Wälder um Elfenbein, und alle gätulischen
+Klippen um Stachel- und Purpurschnecken[8]."
+
+Ist es nicht, als ob dieser Passus heute geschrieben sei? Auch heute, wo
+der Luxus noch die größte Macht ist, ist es demselben nicht gelungen,
+Marokko der Civilisation zu öffnen, vielleicht aber auch, weil eben der
+rechte Luxusartikel, der gerade den Bewohnern genehm wäre, noch nicht
+gefunden worden ist.
+
+Der vor ohngefähr tausend Jahren den Berbern aufgedrungene Islam hat
+wenig, oder fast kann man sagen, gar keine Veränderungen in den
+Anschauungen und in der Lebensweise der Berber hervorgebracht. Die Lehre
+Mohammeds, _nur_ in der arabischen Sprache gelehrt, ist für diese
+Völker, von denen nur ausnahmsweise ein Individuum der Koransprache
+mächtig ist, ein todter Buchstabe geblieben; sogar die äußeren
+Vorschriften und Gebräuche, die der Prophet seinen Anhängern
+vorgeschrieben hat, sind für Berber nicht vorhanden.
+
+Nur Eins hat der Islam auch zur Folge gehabt, was ja überhaupt allen
+hierarchischen Religionen nur eigen ist und ohne das sie nicht würden
+existiren können: das Verdammen einer jeden anderen Religion und Haß und
+Verachtung gegen alle Die, welche nicht das glauben, was man selbst
+glaubt. Natürlich schließt das ein, daß man die eigne Lehre, den eignen
+Glauben für den allein richtigen und allein seligmachenden hält.
+
+Deshalb ist denn auch die Feindschaft, welche Berber gegen andere Völker
+hegen, fast nur eine aus der Religion entspringende; obschon sie nichts
+vom eigentlichen Islam verstehen, hassen und befeinden sie alle die
+Völker, die eine andere Religion haben.
+
+Es ist daher falsch, wenn Richardson und andere Reisende behauptet
+haben, daß die in Marokko unter den Berbern ansässigen Juden besser
+gehalten seien, als die unter den Arabern wohnenden. Die Unterdrückung
+derselben, ihre schimpfliche Stellung ist unter den Berbern ebenso groß
+und in die Augen springend, wie unter den Arabern.
+
+Was das häusliche Leben anbetrifft, so liegt zwischen Berbern und den
+übrigen Mohammedanern der wesentlichste Unterschied in der Stellung der
+Frau; aber auch in allen übrigen, die Sitten und Gebräuche betreffenden
+Dingen lassen die Berber bis zum heutigen Tage sich vielmehr vom
+_Herkommen_ leiten, als von den Gesetzen des Koran. Aus diesem haben sie
+eben nur _das_ angenommen, was ihrer Eitelkeit und Einbildungskraft
+schmeichelte. So pflegt denn auch die Heirath vollkommen nach dem
+Herkommen, el Ada genannt, stattzufinden. Indeß hat die Frau dennoch
+nicht die gleichberechtigte Stellung, wie sie die Frau heute bei _uns_
+einnimmt, sondern wird mehr als Eigenthum des Mannes, als etwas zum
+übrigen Vermögen Gehörendes betrachtet.
+
+In der Heirath _nach uraltem Brauche_, =Suadj el Djidi= oder
+Gaislein-Heirath, so genannt, weil das Schlachten eines jungen Zickleins
+die eheliche Verbindung besiegelt, verpflichtet sich der Gatte, dem
+Vater seiner Zukünftigen 60 Metkal zu zahlen. Hat er das Geld nicht
+disponibel, so zählt er auf seine Freunde, und am Schlachttage verfehlen
+diese auch nicht, sich einzustellen und Jeder legt dem Freier ein
+kleines Geschenk zu Füßen. Im Fall der Freier gar keinen Wohnsitz hat,
+beeilen sie sich, Steine herbeizubringen; ein Haus, wir würden sagen ein
+Stall, wächst schnell aus der Erde, schlanke Aloë-Stämme giebt es genug
+als Gebälk und die großen und langen Rindenstücke der Korkeiche bedecken
+die Wohnung. Wenn aber die zur Ehe Verlangte von den Angehörigen dem
+Freier aus irgend einem Grunde verweigert wird[9], dann müssen sie,
+falls der Liebende auf seinem Heirathsprojecte besteht, wohl aufpassen,
+daß sie ihm keine Gelegenheit geben, sich der Wohnung der Geliebten zu
+nähern. Thut und kann er das, gelingt es ihm, unvermerkt auf der
+Schwelle seiner Ersehnten ein Gaislein zu opfern, dann ist sie ohne
+Widerruf mit ihm verlobt und ihre Anverwandten würden sich der
+Mißbilligung, ja der Feindschaft Aller aussetzen, wollten sie jetzt noch
+der Heirath hemmend in den Weg treten.
+
+In einigen Triben ist es Sitte, daß die sich Vermählende vor der
+Hochzeit von ihren Verwandten auf einem Maulthiere durch das Dorf oder
+durch den Duar (Zeltdorf) geführt wird. Ueberall ertönt das gellende
+Geschrei und Gejauchze der Frauen, die jungen Leute lassen fleißig das
+Pulver sprechen. Vor jedem Hause, vor jedem Zelte, vor welchem sie
+vorbei kommt, beeilt man sich, eine kleine Gabe herauszutragen: hier
+sind in einem Strohteller große Bohnen, dort wird Gerste, hier werden
+trockene Feigen, dort Rosinen präsentirt. Die junge Dame nimmt von allen
+Sachen eine Hand voll, küßt sie und wirft dann das Ergriffene auf den
+Teller zurück. Aber hinterher schreitet irgend eine ihrer älteren
+Verwandten, die nun Alles in einen großen Sack einheimst: zur Aussteuer
+für die Neuvermählten.
+
+Sobald man sich der Wohnung oder dem Zelte des Gatten nähert, wird die
+Braut von anderen Frauen umringt, sie geben ihr einen Topf mit flüssiger
+Butter, in die sie die Hände tauchen muß als Zeichen des steten
+Ueberflusses im Haushalte, und sodann ein Ei, welches sie zwischen den
+Ohren des Maulthieres zerschlagen muß, um dadurch böse Zaubereien
+unschädlich zu machen. An der Schwelle der Wohnung präsentirt man der
+Frau einen Trunk Buttermilch und sie selbst ergreift eine Hand voll Korn
+und Salz um dasselbe ebenfalls als Zeichen des Reichthums und Segens
+rechts und links auszustreuen.
+
+Jetzt ergreift der Mann Besitz von seiner Braut und zum Zeichen schießt
+er in unmittelbarer Nähe vor ihren Füßen eine Flinte ab, er ergreift das
+junge Mädchen und zieht sie ins Innere der Wohnung, während die
+Verwandten sich zur allgemeinen Belustigung zurückziehen. Ein zweiter
+Schuß im Innern der Behausung ertönt, Zeichen, daß die Heirath vollzogen
+ist; die junge Frau erscheint bald darauf an der Hand ihres Gatten, Tanz
+und Schmausereien, woran das junge Paar Theil nimmt, beschließen die
+Festlichkeit.
+
+Die Frau ist, wie gesagt, ein Besitz, wie jedes andere Eigenthum des
+Mannes, wenigstens bei gewissen Stämmen des Atlas. Stirbt ihr Mann, so
+wird der männliche Anverwandte, der der Wittwe zuerst seinen Haïk
+(großes wollenes Umschlagtuch)[10] überwirft, ihr rechtmäßiger Gemahl.
+Zugleich ist er aber auch verpflichtet, für die etwaigen Kinder zu
+sorgen und deren Vermögen zu verwalten.
+
+Scheidungen finden bei den Berbern statt, aber nie auf so leichte und
+grundlose Weise, wie bei den Arabern oder sonstigen Mohammedanern, wie
+denn überhaupt alle Berber, mögen sie nun unter dem Namen Tuareg bei
+Timbuktu wohnen oder als Kabylen im Djurdjura hausen, entschiedene
+Feinde der Polygamie sind. Grund zur Scheidung ist Kinderlosigkeit
+(Berber wie Araber halten Kinderlosigkeit immer für Sterilität der
+Frauen); der Vater der zurückgeschickten Frau muß das Morgengeld wieder
+herausgeben. Ebenso, falls die Frau Infirmitäten bei der Verheirathung
+zeigte oder gar schon ihre Virginitas verloren hat, kann sie darauf
+rechnen, auf der Stelle zurückgeschickt zu werden.
+
+Die Tochter ist manchmal dazu bestimmt, das Leben ihres Vaters oder
+Bruders mittelst ihrer Sclaverei zu erkaufen, aber nie würde sie für
+einen Oheim, Großvater, Vetter oder sonstigen noch entfernteren
+Verwandten mit ihrer Person eintreten können; auch herrscht diese Sitte
+nur bei einigen Berberstämmen. Jemand begeht z.B. einen Mord oder
+Todtschlag in einer anderen Familie, hat aber nicht die Mittel, um die
+Diya, d.h. das Blutgeld, bezahlen zu können; will er nun nicht selbst
+das Leben opfern, so kann er dem anderen Stamme seine Tochter oder
+Schwester als Sclavin überlassen. Diese verliert dadurch völlig die
+Rechte einer Freien, wird ebenso angesehen, wie eine Chadem (schwarze
+Sclavin) und ist nun vollkommen Eigenthum der anderen Familie geworden.
+Aber oft genug kommt es vor, daß die Sclavin, wenn sie jung und hübsch
+ist, das Herz eines Jünglings ihrer neuen Herrschaft erobert, ihn
+heirathet, dadurch frei und dann zugleich das Freundschaftsband zwischen
+zwei ehemals feindlichen Stämmen wird.
+
+Es kommt häufig vor, daß zwei Männer einen Tausch mit ihren Frauen auf
+ganz friedliche Weise zu Wege bringen; derjenige, der das in Beider
+Augen häßlichere und weniger werthvolle Weib besitzt, d.h. ein solches,
+welches weniger jung und fett als das des Anderen ist, muß einiges Gold
+darauf zahlen. Hat aber Jemand seine Tochter einem jungen Manne
+versprochen und läßt sich nachher durch Habgier bewegen, sein Wort nicht
+zu halten, so entsteht Krieg. Die ganze Familie, die ganze Tribe nimmt
+sich sodann des Bräutigams an und sucht mit Gewalt dessen Ansprüche
+geltend zu machen. Ehebruch und Verführungen sind äußerst selten, und
+obschon in rohen Formen, halten die Berber große Stücke auf
+Familienleben. Aus einer im October 1858 veröffentlichten Gesetzgebung
+der Kabylen vom Orte Thaslent ersehen wir auch, daß es den Männern
+besagter Ortschaft verboten war, mit den Frauen zu disputiren, einerlei,
+ob die Frau angreifender Theil war oder nicht. Hatte indeß die Frau
+erwiesenermaßen zuerst angefangen, so mußte ihr Mann Strafe zahlen,
+sonst aber der, welcher mit ihr Streit gesucht hatte. Die größten und
+heiligsten Pflichten glaubt aber der Berber für sein Gemeinwesen, für
+seinen Stamm zu haben. Ist dem Araber zuerst die Religion die
+Hauptsache, wie denn Mohammed überhaupt, gerade wie es in der römischen
+Kirche gelehrt wird, die Nationalität auslöschen will, um an deren
+Stelle einen Religionsstaat zu setzen, so hat der Berber, trotzdem auch
+er den Islam angenommen hat, dies nie begreifen können. Wenn der Berber
+sich auch vorzugsweise gern mit seinem Schwerte gegen die Christen
+wendet, so ist's ihm im nächsten Augenblicke aber auch ganz gleich,
+dasselbe gegen jedweden Mohammedaner zu ziehen, sobald sich dieser gegen
+ihn oder gar gegen seinen Stamm vergangen hat. Der Araber führt auch
+Krieg gegen Mohammedaner; die wüthendsten Kämpfe sind ja zwischen
+Stämmen arabischen Blutes oder zwischen Arabern und Türken gefochten
+worden und entbrennen auch jetzt noch immer wieder. Aber heuchlerischer
+Weise gestehen sie das nicht zu, sie behaupten nur gegen die Ungläubigen
+zu kämpfen, und die Araber Algeriens z.B., die einst fortwährend mit
+ihrer türkisch-mohammedanischen Regierung in Fehde lagen und die so
+erbittert gegenseitig auf einander waren, daß sie nicht wußten, auf
+welch grausamste Weise sie einander tödten sollten--diese selben Araber
+haben jetzt ganz und gar ihre grausame türkische Herrschaft vergessen.
+Hört man sie sprechen, so waren die Türken die mildesten, gerechtesten,
+gottesfürchtigsten Herrscher, sie waren ja vor allen Dingen "Gläubige",
+die Franzosen aber sind Ungläubige, mögen sie noch so gut regieren, sie
+bleiben aus religiösem Hasse immer für die Araber die "christlichen
+Hunde". Fragt man einen Araber: würdest du gegen die "Gläubigen"
+kämpfen? so wird er sicher antworten: "Beim Haupte Mohammeds, Gott hat
+es verboten, Gottes Name sei gelobt."
+
+Der Berber kennt von solchen Heucheleien nichts, und durch manche Stämme
+bin ich gekommen, die so wenig auf ihren Islam geben, daß man von ihnen
+sagte, sie sind so räuberisch und diebisch, daß, wenn Mohammed in eigner
+Person käme und habe ein anständiges Kleid an, sie (die Berber) nicht
+anstehen würden, den Propheten auszuplündern.
+
+Wenn ich vorhin anführte, daß die Ehre der Familie und des eignen
+Stammes den Berbern als das Höchste gilt, so ist dies so zu verstehen,
+daß sie z.B. denjenigen ihrer Leute keineswegs für ehrlos halten, der
+einen Fremden bestiehlt; aber ehrlos würde es sei, wollte Jemand einen
+von einem anderen Stamme, der einmal Zutritt erhalten hat oder der gar
+die Anaya[11] des Stammes besitzt, bestehlen oder gar ermorden. Daß aber
+doch solche Fälle vorkommen, ersieht man daraus, daß die Berber hierüber
+und hiergegen ihre eigenen (arabisch) geschriebenen Gesetze haben, die
+nicht wie die meisten Gesetze der übrigen Mohammedaner auf den Koran
+fußen, sondern aus uralten Ueberlieferungen bestehen und wohl erst im
+Laufe der Jahrhunderte von der Tholba zu Papier gebracht wurden. Wie
+stark ist z.B. der Gemeinsinn ausgeprägt, wenn es in einem alten
+Kabylengesetze heißt: "Der, dem eine Kuh, ein Ochse oder ein Schaf
+stirbt, hat das Recht, die Gemeinde zu zwingen, das Fleisch des Thieres
+zu kaufen als eine Hülfeleistung.--So will es der Gebrauch." Dies Gesetz
+ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Der Verlust des Viehes wird
+dem Eigentümer dadurch einigermaßen versüßt, weil er das Fleisch doch
+wenigstens verwerthen kann; der Gebrauch will, daß die Quantität, die
+Jeder nehmen muß, vom Chef des Ortes bestimmt wird. Sodann ist aber
+dieses Gesetz zugleich ein Schlag dem Koran ins Gesicht, denn Mohammed
+sagt ausdrücklich, daß Fleisch von gestorbenen oder gefallenen Thieren
+als unrein für jeden Mohammedaner "=harem=" d.h. verboten ist. Aber
+was ist dem Berber der Koran, wenn es gilt: Einer für Alle, Alle für
+Einen!
+
+Wie stark im Sinne der Gemeinde-Interessen ist nicht auch folgendes
+Gesetz: "Der, welcher ein Haus, einen Obstgarten, ein Feld oder einen
+Gemüsegarten an Individuen eines anderen Dorfes verkauft, muß davon
+seine Brüder, Verwandte, Geschäftsfreunde und die Leute seines Dorfes
+überhaupt benachrichtigen, und wenn diese den Kauf rückgängig machen und
+sich den Käufer substituiren wollen, so haben sie demselben innerhalb
+dreier Tage den Kaufschilling zurückzuerstatten[12]." Durch dieses
+Gesetz konnte die Gemeinde verhüten, daß irgend ein ihr mißliebiges
+fremdes Individuum bei ihr Zutritt bekam. Es ist wahr, die Gesetze
+wechseln bei jeder Tribe, von Dorf zu Dorf, und es ist das ein sicheres
+Zeichen, daß seit langer Zeit den Berbern die einheitliche Leitung
+fehlt; aber im Ganzen beruhen sie doch auf denselben Grundsätzen. Es ist
+eigenthümlich und auch das bekundet das hohe Alter solcher
+Gesetzsammlungen, daß die Berber dafür den Ausdruck "=kanon=", ein
+Wort, das offenbar griechischen Ursprungs ist, haben und welches, wie
+General Daumas meint, eine christliche Reminiscenz in sich schließt.
+
+In der Gesetzsammlung der Ortschaften, Thaurirt und Amokrom, der großen
+Kabylie, vom Herrn Aucapitaine herausgegeben, finden wir ebenfalls die
+weltlichen und Gemeinde-Angelegenheiten den kirchlichen übergeordnet und
+ausdrücklich hervorgehoben: "Wer sich ins Einvernehmen mit Schürfa, als
+da sind vom Stamme der Uled-Ali, Icheliden oder anderen Marabutin setzt,
+zahlt 50 Realen Strafe." Wenn man nun weiß, daß die Schürfa, d.h. die
+Nachkommen Mohammeds, unter den Mohammedanern ohngefähr dieselbe Rolle
+spielen, wie bei uns die Jesuiten, die sich für die besten Nachfolger
+Jesu halten, so wird man nicht umhin können, den weisen Sinn und den
+gesunden Verstand der Berber zu bewundern.
+
+Die von den Alten schon erwähnte Vorliebe der Berber für Schmucksachen
+und schöne Kleidung[13] besteht auch heute noch. Der größte Ehrgeiz der
+Berber besteht darin, in den Besitz eines Tuch-Burnus von schreiendsten
+Farben zu kommen, hochroth und gelb sind als Farben besonders beliebt;
+kann er es ermöglichen, einen solchen mit Goldstickerei zu kaufen, so
+dünkt er sich ein König zu sein. Das Haar tragen die Berber heute nicht
+mehr nach einer bestimmten Vorschrift, wie es ehedem vielleicht Sitte
+gewesen ist, meist wird der Kopf sogar ganz kahl rasirt, aber alle
+halten darauf, einen Zopf stehen zu lassen, meist vom Hinterhaupte
+ausgehend. Das Haar der Berber ist durchweg schwarz; die einzelnen
+blonden Individuen, die man vorzugsweise im Djurdjura-Gebirge in
+Riffpartien und überhaupt längs des Mittelmeeres findet, sind allerdings
+manchmal durch einzelne Familien hindurchgehend, aber doch nur
+vereinzelt. Ob diese Blonden von gothischer Abkunft, ob sie vandalischen
+Ursprungs sind, das wird schwerlich je festgestellt werden; es ist das
+auch für das Berbervolk in seiner Gesammtheit höchst gleichgültig, da
+der Berber im Ganzen schwarzhaarig ist.
+
+Es giebt wohl wenig Berberstämme, die nicht Ringe als Schmuck in
+Gebrauch haben; hier sind es große Ohrringe, manchmal 2-3 Zoll groß und
+aus Silber bestehend, dort kleinere; hier haben ganze Stämme die
+Gewohnheit, Oberarm-Ringe zu tragen aus Serpentinstein[14] oder Metall,
+dort werden die verschiedenen Finger mit Ringen überladen. Und fast
+scheint es, als ob die Männer bei den Berbern der eitlere Theil wären.
+Allerdings tragen die Frauen die üblichen Fußringe, manchmal werden
+mehrere über einen Knöchel gezwängt; allerdings haben sie ihre Agraffen,
+Fingerringe und Haargeschmeide, aber schon das fast durchweg dunkle
+Costüm der Frauen aus dunkelblauem Kattun (was in der That bei den
+meisten Berberfrauen üblich ist) zeigt, daß die Frauen weniger auf
+hervortretende Toiletten geben.
+
+Was die Waffen der Berber anbetrifft, so sind Bogen und Pfeile längst
+durch Schießwaffen verdrängt, nur einige Stämme im großen Atlas, sowie
+die Tuareg machen Gebrauch von der Lanze. Alle Berber haben kurze breite
+Dolche, viele tragen sie befestigt am Arme, so die Tuareg und die Berber
+südlich vom Atlas, andere haben sie im Leibgürtel stecken oder an einer
+Schnur hängen. Ihr Schwert ist südlich vom Atlas mehr von gerader Form,
+nördlich vom Gebirge ist es das schwach gekrümmte marokkanische; die
+Schußwaffen bestehen aus Lunten- und Steinschloßflinten.
+
+Weil der Islam, der wie andere monotheistische Religionen leicht zu
+einer unumschränkten Priesterherrschaft führt, bei den Berbern nicht den
+Eingang gefunden hat, wie bei den Arabern, so haben jene sich einen weit
+größeren Grad von Freiheit und Freiheitsliebe bewahrt, und weil sie mehr
+Sinn für Freiheit haben, deshalb sind sie, man kann es wohl behaupten,
+besser als die Araber. Die geknechteten Menschen, einerlei, ob sie von
+einer fremden Gewalt oder von einer fremden Nation bedrückt oder von
+einer einheimischen, z.B. ihrer eignen Regierung oder ihrer
+Geistlichkeit, als Sclaven gebraucht werden, haben sich stets als die
+schlechtesten und sittlich am niedrigsten stehenden erwiesen. Deshalb
+sind die Araber so heruntergekommen, weil sie alle ihre Tholba für
+unfehlbar hielten und Alles glaubten, was im Koran stand. Deshalb stehen
+die Griechen auf so niedriger Stufe geistiger Entwicklung, weil sie von
+den Türken als Sclaven behandelt wurden; deshalb sind Franzosen, Spanier
+und andere romanische Völker weit in sittlicher Beziehung hinter den
+freidenkenden protestantischen Germanen zurück. Wir sehen also deutlich,
+daß ein Volk, je mehr es auf seine Religionsübungen verwendet, sittlich
+um so mehr verkommen ist; denn ohne ungerecht zu sein, können wir sagen,
+daß durchschnittlich mehr Sittlichkeit und mehr Bildung in den
+protestantischen Ländern herrscht. Die statistischen Zahlen nennen den
+Unterschied Derer, die lesen und schreiben können, und geben Aufschluß
+darüber, wo größere Achtung vor dem Gesetz und dem öffentlichen
+Eigenthum besteht und weniger Verbrechen begangen werden, ob in den
+protestantischen, ob in den katholischen Ländern. Aber Niemand wird wohl
+behaupten, die Protestanten seien religiöser (freilich sagen unsere
+Religionslehrer, die wahre Religion sei nicht bei den Katholiken) als
+die Katholiken. Im Gegentheil; die Katholiken gehen fleißiger zur
+Kirche, ihr Glaube ist viel inniger und fester, ihre frommen Stiftungen
+zahlreicher, ihr ganzes kirchliches Leben ausgedehnter. Aber was ihnen
+fehlt, ist die Freiheit des Denkens und die Schulbildung, welche, um den
+Menschen sittlich zu machen, nothwendig ist. Ganz ebenso ist es mit den
+Mohammedanern; gewöhnt, nur das zu glauben, was ihnen ihr "_Buch_" sagt,
+weil dabei eine gewisse Classe von Menschen am besten wegkommt, haben
+sie sich zu Sclaven dieses "Buches" und dieser Classe von Menschen
+gemacht. Sie haben längst aufgehört, darüber nachzudenken, oder haben
+sich eigentlich nie zu dem Gedanken emporschwingen können, ihr "Buch"
+einer Kritik zu unterwerfen--der blinde Glaube hat sie dahin gebracht,
+wohin sie gekommen sind, und andere Völker, die im blinden Glauben dahin
+leben, werden ihnen folgen.
+
+Der Berber ist davor bewahrt worden: ohne gerade Kritik an den Islam zu
+legen, ist er indifferent geblieben. Ohne Contact mit anderen Völkern
+hat er allerdings in Bildung und Gesittung keinen höheren Standpunkt
+eingenommen, aber er ist frei geblieben und, wie gesagt, die Freiheit
+hat ihn geadelt.
+
+Offenbar würde der Berber deshalb auch eine Zukunft haben, käme er mit
+gesitteten Nationen in Berührung, die frei in Beziehung auf Religion
+denken. Die Franzosen constatiren mit Genugthuung, daß mit den Berbern
+Algeriens leichter umzugehen sei, daß sie sich eher der Civilisation
+geneigt zeigen, als die Araber. General Faidherbe, einer der besten
+Kenner der Völker Nordafrika's hat dies wiederholt ausgesprochen.
+
+Was die jetzige Lebensweise der Berber anbetrifft, so ist, wie schon
+erwähnt, ein Theil in festen Ortschaften, ein Theil in Zelten wohnhaft,
+aber mit Ausnahme der Tuareg treiben sie alle Ackerbau. Auch die in
+Zelten auf den Abhängen des großen Atlas lebenden Berber haben ihre
+Aecker. Ebenso treiben alle Berber Viehzucht, vorzugsweise die
+Zeltbewohner. Auf dem Tell, d.h. dem fruchtreichen Erdboden, halten sie
+Rinder-, Schaf- und Ziegenheerden; in der Sahara legen sie sich auf
+Kamelzucht. Eigen ist allen die Vorliebe für das Pferd. Mit Recht wird
+das Berberpferd ebenso hoch geschätzt, wie das arabische.
+
+Die Nahrung der Berber ist einfach und fast nur vegetabilisch. Der
+höchste Genuß ist ihnen eine Schüssel Kuskussu, eine Mehlspeise, die aus
+Gerste oder Weizen bereitet wird und die auch von den Tuareg als das
+=Non plus ultra= aller Gerichte geschätzt wird. Eigentliches Brod
+in unserem Sinne ist den Berbern nicht bekannt, wohl aber machen sie
+Mehlfladen auf einer Stein- oder Eisenplatte. Oder auch Mehl wird
+geknetet, mit Speck und Datteln durchsetzt und auf heißem Sande gar
+gebacken. Bei allen Berbern werden nur zwei Hauptmahlzeiten, die Morgens
+und Abends stattfinden, genossen; letztere ist die reichlichere. Man ißt
+allgemein mit der Hand und aus _einer_ Schüssel, die Frauen und Kinder
+getrennt von den erwachsenen Männern; für Suppen und flüssige Speisen
+hat man hölzerne Löffel. Wenn aber z.B. fünf oder sieben Personen aus
+einer Schüssel Suppe essen, so hat man in der Regel nicht mehr als
+zwei, höchstens drei Löffel, welche im Kreise herumgehen. Natürlich
+wird, da den Berbern alle Möbel, wie Stühle, Bänke und Tische, abgeben,
+auf der Erde hockend gesessen, die Schüssel selbst, am Boden stehend,
+bleibt in der Mitte. Wird ein Getränk, sei es nun saure Milch oder
+Wasser, herumgereicht, so kreist die Schüssel ebenfalls, und wie bei
+Arabern, ist es vergönnt, _stehend_ zu essen oder zu trinken.
+
+Was die geistigen Fähigkeiten der Berber betrifft, so stehen sie
+mindestens aus derselben Stufe, wie die Araber, wenn nicht _jetzt_
+höher. Daß sie bedeutend empfänglicher für Civilisation sind, als die
+Araber Nordafrika's, habe ich schon hervorgehoben; der freiwillige
+Besuch, den Tuareg-Häuptlinge vor einigen Jahren in Paris machten, ist
+ein glänzendes Zeugniß davon. In Algerien arbeiten Berber des
+Djurdjura-Gebirges oder aus dem marokkanischen großen Atlas gern bei
+Christen; der durch die Religion fanatistrte Araber faullenzt und
+hungert lieber, als daß er sich herabließe, bei den Christen zu
+arbeiten. Aber zu einer guten Entwicklung des Berbervolkes wäre
+allerdings der Contact mit religiös vorurtheilsfreien Nationen,
+namentlich protestantischen, nothwendig.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 8: Plinius, Naturgeschichte Bd. 5.]
+
+[Footnote 9: =v. Feraud, reveue africaine 1862=.]
+
+[Footnote 10: =v. Feraud, revue africaine 1862=.]
+
+[Footnote 11: Anaya ist das, was die Araber Aman, d.h. Sicherheitsbrief,
+=sauf conduit= nennen.]
+
+[Footnote 12: =Journal Akhbar, Algèr 1858=.]
+
+[Footnote 13: _Strabo_ im XVII. Buche, übersetzt v. _Venzel_: "Sie
+träufeln sich sorgfältig ihr Haupthaar und ihren Bart, tragen zur Zierde
+Gold auf den Kleidern, reinigen sich die Zähne, beschneiden die Nägel
+und selten wird man, wenn sie miteinander spazieren gehen, sehen, dass
+Einer dem anderen gar zu nahe kommt, aus Furcht die Frisur desselben zu
+verderben."]
+
+[Footnote 14: Werden in Europa zu diesem Gebrauche verfertigt und von
+Mogador und anderen Hafenstädten aus importiert.]
+
+
+
+
+7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker.
+
+
+1. _Goro- oder Kola-Nuß_.
+
+Die Goro- oder Kola-Nuß, =cola acuminata R. Br.= oder =sterculia
+acuminata Pal.=, ist eines der verbreitetsten Reizmittel bei den
+centralafrikanischen Völkern. Diese Nuß, von der Größe einer dicken
+Kastanie, wächst auf einem staudenartigen Baume, welcher ähnlich dem
+Kaffeebaume ist. Die Blätter desselben sind gummibaumartig. Man findet
+diesen Baum oder diese Staude an der ganzen Westküste von Afrika,
+hauptsächlich auf dem sogenannten Kong-Gebirge, aber nach dem Innern zu
+scheint dieselbe nicht weit vorgedrungen zu sein; auf dem Gora-Gebirge
+z.B., einem Gebirgsstock, zwischen Tschad-See, Bénue und Niger gelegen,
+fehlt die Goro-Staude. Wild wächst sie in einer Oertlichkeit, Namens
+Gondja. Oestlich von Sierra Leone scheint aber die Goro-Staude auch
+durch die Neger angebaut zu werden.
+
+Heinrich Barth sagt, daß die in Timbuktu vorkommende Goro- oder, wie er
+schreibt, Guro-Nuß aus den Provinzen von Tamgrera, von Tente und Koni
+komme, daß die auf dem Markte von Kano vorkommende hingegen aus der
+nördlichen Provinz Assanti's komme, von einer Stadt, Namens Sselga.
+
+Man unterscheidet die echte Goro-Nuß, deren Inneres dunkelrosenfarbig,
+von angenehmem bitteren Geschmacke und nicht schleimartig ist, mit einer
+Abart derselben, ebenfalls inwendig roth, aber weniger bitter und einen
+gummiartigen Schleim beim Zerkauen abgebend. Diese beiden sind bekannt
+unter dem Namen =sterculia acuminata=. Sodann die weiße oder
+unechte Goro-Nuß, die nur an der Küste vorkommt und am wenigsten bitter
+ist. Es ist dies die =sterculia macrocarpa=.
+
+Nach Barth unterscheidet man sodann in Kano je nach der Größe der Frucht
+vier besondere Arten: =guria=, die größte, oft 1-1/2 bis zwei Zoll
+im Durchmesser haltend, die =marssakatu=, die =soara-n-naga=
+und die =mena=. Nach ihm (Band V. S. 28) unterscheidet man in Kano
+dann die je nach der Jahreszeit geernteten: die =dja-n-karagu=, die
+erste, welche Ende Februar, die =gummaguri=, die später und die
+=nata=, welche zuletzt gesammelt wird und die sich am längsten
+halten soll. In Timbuktu fand Barth drei verschiedene Arten. Aber alle
+diese Unterschiede sind nicht durch wesentliche Verschiedenheiten der
+Nuß selbst bedingt, sondern bestehen nur in willkürlich oder durch
+Gewohnheit angenommenen Merkmalen der Neger.
+
+Wird die Goro-Nuß alt und trocken, so wird die Oberfläche mehr runzlig
+und das Fleisch erhärtet fast wie Holz und nimmt eine braunrothe Färbung
+an. In diesem Zustande wird sie Kola-Nuß genannt, denn nur frische Nüsse
+heißen Goro. Der Geschmack der Nuß ist aromatisch bitter, etwas
+adstringirend und zerkaut färbt sie den Speichel gelb-röthlich. Sie
+hinterläßt einen süßlichen, süßholzartigen Nachgeschmack. Es unterliegt
+keinem Zweifel, daß die Goro-Nuß auch tonisch wirkt. Dieser angenehme,
+bitter-süße Geschmack ist aber nur bei frischen Nüssen zu bemerken,
+getrocknet verlieren die Kola-Nüsse fast jeden Geschmack, es ist dann
+fast, kaut man sie, als ob man ungebrannte Kaffeebohnen kaute. Aber auch
+in diesem Zustande müssen sie noch wirksame Bestandtheile besitzen, denn
+nur so kann man es sich erklären, daß die Kola-Nüsse noch eine so große
+Verbreitung und Anwendung haben.
+
+Die Araber, welche mit den Sudanländern Verbindung haben, schreiben der
+Goro-Nuß aber auch eine starke erotische Kraft zu und gerade dieser
+Eigenschaften wegen kauen sie dieselbe; außerdem behaupten sie, und dies
+gewiß mit Recht, daß die Nuß Appetit erregend sei und namentlich der
+Tabak besonders gut darauf schmecke.
+
+Natürlich kann sich, was räumliche Verbreitung anbetrifft, die Goro-Nuß
+keineswegs mit Thee, Kaffee, Tabak, Opium oder gar alkoholartigen
+Getränken messen; wenn wir aber bedenken, daß mehr oder weniger alle
+Bewohner des nördlichen und nordcentralafrikanischen Continents von
+diesem Stimulans Gebrauch machen, so liegt doch wohl die Frage nahe,
+_weshalb_ ist die Goro-Nuß so allgemein in Aufnahme gekommen, _warum_
+ist dieselbe heute gewissen Stämmen centralafrikanischer Völker ebenso
+unentbehrlich geworden, wie den meisten civilisirten Völkern der Thee
+oder Kaffee?
+
+Die meisten Individuen, die Gebrauch von Thee oder Kaffee machen,
+wissen nichts von den eigentlichen chemischen Eigenschaften dieser
+Vegetabilien. Sie haben wohl nie von Koffein gehört; sie würden gar
+nicht verstehen, wollte man ihnen sagen, daß unsere Physiologen und
+Chemiker dem Thee und Kaffee directe Wirkungen auf das Gehirn
+zuschreiben, und dennoch genießen sie unablässig entweder das eine oder
+das andere Getränk oder auch beide; sie würden sich vollkommen
+unglücklich fühlen, wollte man sie dieser Genüsse berauben. Die schon
+mehr Verständigen versuchen wohl die Ausrede, der Kaffee wirke tonisch,
+der Thee adstringirend, aber der große Haufe nimmt Kaffee und Thee zu
+sich, weil beide Getränke ihm _unbewußt_ ein _undefinirbares_ Vergnügen
+und Wohlbehagen verschaffen.
+
+Als ich von meiner Reise nach Centralafrika auf dem Rückwege Sierra
+Leone berührte, fand ich in der Hauptstadt dieser Halbinsel, in
+Freetown, auf dem dortigen Markte einen großen Vorrath Goro-Nüsse beider
+Arten. Ganz auf dieselbe Art verpackt, wie die Neger sie von den
+Küstenländern in das Innere von Afrika forttransportiren, d.h. zwischen
+feuchtem Moose gelagert und das Ganze in einem Bastkorbe verpackt, nahm
+ich einen solchen Korb voll mit nach Europa; die Nüsse hielten sich
+vortrefflich frisch. In Deutschland angekommen, schickte ich denn auch
+sogleich an meinen Gönner und Freund, unseren berühmten Chemiker, Baron
+Liebig, eine Partie Nüsse. Eine davon, welche gepflanzt wurde (im
+botanischen Garten der Universität), gedieh bis zum Jahre 1869 zu einer
+kräftigen Staude mit prächtigen, saftgrünen Blättern. Aber am
+interessantesten war für mich, daß v. Liebig mir mittheilte, daß er in
+den Goro-Nüssen mehr Koffeïn gefunden habe, als verhältnismäßig in den
+Kaffeebohnen selbst vorkomme. Man kann also dreist sagen, daß auch bei
+der Goro-Nuß, wie beim Kaffee oder Thee, das unbewußt Anziehende der
+Koffeïnstoff ist.
+
+Der Preis der Goro-Nuß ist sehr verschieden, je nach der Oertlichkeit
+und je nach der Größe und Art der Frucht. Weiße Nüsse gelten an der
+Küste Westafrika's 3000 Stück einen M.-Th.-Thaler, also das Stück eine
+Muschel. Rothe, namentlich wenn sie groß sind, gelten aber auch hier
+oder in der eigentlichen Heimath das Stück fünf Muscheln. Nach Barth
+schwankt je nach der Jahreszeit, nach ihrer Größe und Güte der Preis
+einer Nuß in Timbuktu zwischen 10 und 1000 Muscheln. In Kuka steigt der
+Preis bei schlechten Ernten, bei mangelhaftem Transport (ein Esel kann
+circa 6000 Nüsse transportiren), oder bei gehemmtem Karawanenverkehr,
+manchmal auf 500, ja auf 1000 Muscheln für eine einzelne Nuß. Aber so
+groß ist die Begierde der Neger nach diesem Artikel, daß auch dann sich
+noch Käufer finden. Unter solchen Umständen theilt man sich gegenseitig
+die kleinsten Stücke mit, ja unter den gewöhnlichen Leuten ist so wenig
+Ekel, daß sie keineswegs Anstoß daran nehmen, von einem besser Situirten
+ein schon halb ausgesogenes und abgekautes Stückchen Nuß zu empfangen,
+es in den Mund zu nehmen, um es vollends seiner bittern und aromatischen
+Substanz zu berauben.
+
+In allen Ländern Bornu's, Socoto's, Gando's, Yoruba's &c. ist die
+Uebersendung eines mit Goro-Nüssen gefüllten Korbes Seitens des Sultans
+oder Fürsten an den Fremden das Zeichen der Freundschaft und des
+Willkommens. Je größer die Nüsse, je gefüllter der Korb ist, eines um
+so besseren Empfanges kann man versichert sein. Und wie der Türke jeden
+Besucher mit einer Pfeife und einer Tasse Kaffee ehrt, so gehört es mit
+zum guten Ton in den civilisirten Negerländern, dem Fremden mit einer
+Goro-Nuß aufzuwarten. Sind die Nüsse selten oder wegen der Jahreszeit
+oder des Transportes theuer, so theilt man sie mit seinem Gefährten.
+
+
+2. _Tabak_.
+
+Von allen betäubenden Mitteln, die zugleich aufregend wirken, ist wohl
+keines verbreiteter als Tabak, und wenn man zu der Annahme berechtigt
+ist, daß die Tabakpflanze sich _nur_ von Amerika aus verbreitet hat,
+Amerika aber erst seit einigen Jahrhunderten für die übrige Welt
+erschlossen wurde, so muß man noch mehr staunen. Afrika, dieser compacte
+Erdtheil, der sich allen Culturbestrebungen bis jetzt verschlossen
+gezeigt hat, hat die Tabakspflanze bis zu seinem innersten Centrum
+dringen lassen. Nicht etwa, daß der Tabak, einmal eingeführt, sich
+selbst den Weg gebahnt hätte, wie gewisse Culturpflanzen und auch
+Unkraute es thun, indem sie mit unwiderstehlicher Macht _von selbst_
+vorwärts dringen, es sind die Menschen, die Eingeborenen dieses
+Erdtheiles selbst die Träger und Verbreiter dieser Pflanze gewesen. Und
+es giebt wohl keine Art und Weise, den Tabak zu nehmen, die nicht in
+Afrika Anwendung fände; hier raucht man, dort wird geschnupft, hier kaut
+man, dort wird Tabak als medizinisches Heilmittel gebraucht. Ja,
+Duveyrier[15] behauptet sogar, "daß arabische Frauen, mit elf Jahren
+verheirathet, Mütter mit zwölf Jahren, mit zwanzig Jahren schon
+Greisinnen, den Tabak als ein Aphrodisiacum gebrauchen, indem sie sich
+gewisse Körpertheile mit pulverisirtem Tabak bestreuen".
+
+Von verschiedenen Forschern ist die Frage ausgeworfen worden, ob bei der
+in Afrika durchgängigen Verbreitung des Tabaks die Pflanze nicht dort,
+wie in Amerika, _ureinheimisch_ gewesen sein könne. Ich wage hierüber
+kaum eine Meinung, vielweniger noch eine Entscheidung abzugeben. Am
+verbreitetsten in Afrika ist jedenfalls der Bauerntabak, =Nicotiana
+rustica=; aber auch der virginische Tabak, =N. tabacum L.=,
+findet sich in Afrika. Schweinfurth fand ihn bei den Monbuttos und im
+Tell von Algerien wird er durchweg gebaut. Indeß ist es, meine ich, kaum
+ein Grund, zu glauben, Nicotiana rustica dürfe darum ureinheimisch in
+Afrika sein, weil einige Völker ein eignes Wort dafür in ihrer Sprache
+besitzen und nicht eins, welches von "Tabak" abgeleitet sei oder damit
+in Verbindung stehe; auch für andere Gegenstände, von denen wir bestimmt
+wissen, daß sie ihnen von Außen zugebracht sind, haben sie oft genug das
+Originalwort verworfen und dafür ein neues, von ihnen erfundenes oder
+aus ihrer Sprache entlehntes an die Stelle gesetzt. Sodann kommt noch in
+Betracht: kann die =Nicotiana rustica= auf anderem Boden und unter
+anderen klimatischen Verhältnissen sich in tabacum veredeln oder ist
+eine Rückbildung von einer zur anderen Seite unmöglich? Verschiedene
+Tabakbauern haben mir gesagt, daß derartige Beobachtungen gemacht wären.
+
+Am allgemeinsten ist unter den verschiedenen Weisen den Tabak zu
+nehmen, das Rauchen verbreitet, und wenn es auch Stämme und Völker
+giebt, die blos schnupfen oder kauen, so giebt es andererseits auch
+Völker in Afrika, bei denen Männer und Frauen, ohne Ausnahme, der
+Gewohnheit des Rauchens huldigen. So z.B. die Kadje- und Bussa-Neger,
+die Tuareg. "=Chez les Touareg=," sagt Henry Duoeyrier S. 184,
+"=hommes et femmes fument et quoique la fumée du tabac rustique soit
+très acre, hommes et femmes la rendent par le nez=."
+
+Unsere Damen in Europa könnten also an den afrikanischen in dieser
+Beziehung lernen, denn mit Ausnahme der polnischen Aristokratie rauchen
+bei den _übrigen_ europäischen Völkern nur die Damen des =demi
+monde=.
+
+Während aber wir Europäer zum größten Theile den Tabaksrauch nur in die
+Mundhöhle einziehen, saugen die afrikanischen Völker den Rauch derart
+ein, daß die _ganze Lunge_ davon erfüllt wird: der immer mehr oder
+weniger mit Nicotin geschwängerte Tabak tritt also bei ihnen vermittelst
+der Lungenbläschen und der Capillarblutgefäße direct ins Blut über.
+Natürlich folgt daraus, daß bei diesen Leuten ein schneller Rausch
+eintritt. Dieser Tabaksrausch scheint aber aller angenehmen
+Eigenschaften zu entbehren, vielmehr nur in einer Art von
+Bewußtlosigkeit zu bestehen.
+
+Für die allgemeine Verbreitung des Tabaks spricht auch noch der Umstand,
+daß man in Afrika die einfachsten Gefäße, um den Tabak "rauchen" zu
+machen, nebst dem raffinirtesten, der Narghile, im Gebrauch hat. Ed.
+Mohr sagt aus, daß die Matchele-Neger einen Kegel aus Thonerde auf dem
+Boden formen, oben eine topfartige Höhlung hineindrücken, diese mit
+Kohlen etwas trocken brennen und siehe da, der Pfeifenkopf ist fertig.
+Sie füllen Tabakblätter hinein, bohren seitwärts ein Rohr ein, und
+nachdem nun das Kraut entzündet, kann das Rauchen beginnen. Weit
+complicirter ist das von Fritsch u.A. beobachtete Rauchen aus
+Antilopenhörnern, die schon eine rohe und primitive Narghile-Flaschen
+andeuten. Ganz auf ähnliche Art rauchen Abessinier und Galastämme aus
+Thonkrügen oder Flaschenkürbissen. Von den Monbutto sagt Dr.
+Schweinfurth[16]: "Sie rauchen aus einer Pfeife primitivster, aber
+durchaus praktischer Art, indem sie als Rohr die Mittelrippe eines
+Bananenblattes verwenden. Die vornehmsten unter ihnen lassen sich indeß
+von ihren Schmieden ein eisernes Rohr, gleichfalls von den Dimensionen
+des aus Bananenlaub geschnittenen (etwa fünf Fuß lang), herstellen. Das
+untere Ende dieses Rohrs ist geschlossen und statt dessen seitlich, kurz
+vor dem Ende, ein Einschnitt gemacht, in welchen eine mit Tabak gefüllte
+_Düte von Bananenlaub_ gesteckt wird, die als Pfeifenkopf dient."
+
+Aber wer wollte alle die Arten und Weisen aufzählen, auf welche
+afrikanische Völker Tabak rauchen. Ich führe nur noch an, daß die an den
+Ufern des Bénue lebenden Stämme den Tabak aus Thonköpfen rauchen,
+ähnlich den unsern, und daran haben sie so lange Rohre, daß die Pfeife
+im Stehen geraucht werden kann. Diese Stämme, namentlich die
+Bassa-Neger, sind so verpicht auf's Rauchen, daß sie z.B., gehen sie zu
+Boot, eigens im Schiffe ein Feuer unterhalten, um jederzeit ihre Pfeife
+wieder anzünden zu können. Die in den Berberstaaten nomadisirenden oder
+seßhaften Berber und Araber bedienen sich ohne Ausnahme eines
+_Röhrenknochens_ vom Schafe oder von einer Ziege. In das eine Ende der
+Knochenröhre wird der Tabak eingestopft und dann direct durchs andere
+Ende der Dampf eingesogen. Die Städtebewohner Nordafrika's huldigen der
+Narghile oder den Papiercigaretten. Die eigentliche Cigarre, also das
+Tabakrauchen unmittelbar, hat bei den Eingeborenen Afrika's bis jetzt
+wenig Anklang gefunden.
+
+Weniger gebräuchlich ist in Afrika die Sitte des Tabakkauens. Ich selbst
+beobachtete das Tabakkauen nur bei Tebu und einigen Negerstämmen am
+Tschad-See. Man nimmt dazu keinen besonders präparirten Tabak, sondern
+dieselben Blätter, welche Andere auch geraucht haben würden. Aber
+allgemein ist Brauch, den Saft des zerkauten Tabaks noch dadurch zu
+verschärfen, daß man Trona (kohlensaures Natron), welches in vielen
+Theilen Afrika's gefunden wird, hinzusetzt. Besondere Behälter, des
+Beschreibens werth, um Tabak und Trona aufzubewahren, haben die
+Eingeborenen nicht; irgend ein alter Lappen oder der Zipfel eines
+Kleides dient dazu.
+
+Noch weniger gebräuchlich ist das Prisen, es ist gewissermaßen
+Privilegium vornehmer Eingeborener. Der zu schnupfende Tabak wird
+äußerst fein gestoßen und sodann mischen die meisten dazu noch ein
+Achtel kohlensaures Natron. Reiche und angesehene Leute in Marokko
+erlauben sich heute auch den Gebrauch einer europäischen
+Schnupftabaks-Dose oder sie haben eine aus Ebenholz gefertigte große
+Birne, welche den Schnupftabak birgt. Aber in letzterer ist immer nur
+ein kleines Loch, verschlossen durch einen hölzernen Stöpsel. Und
+hierbei bemerke ich, daß die frommen mohammedanischen Leute wie bei
+uns[17] das Rauchen für sündhafter halten, als das Schnupfen. In Marokko
+rauchen selten die Schriftgelehrten, aber alle schnupfen. Zum
+Aufbewahren des Schnupftabaks haben die Völker von Mandara eine
+ausgehöhlte Bohne, Schotensame eines Baumes. Diese Bohnen haben
+anderthalb bis zwei Zoll Durchmesser, sind aber ganz glatt; durch eine
+kleine Oeffnung bringt man den Tabak hinein und heraus. Eine sehr
+beliebte Methode, den Schnupftabak aufzubewahren, ist, ihn in ein Stück
+Zuckerrohr zu schütten, dessen eines Ende mit einem alten Lappen
+verschlossen wird.--Afrika hat jedenfalls eine bedeutende Zukunft für
+den Anbau des Tabaks. Die in Algerien gezogenen Tabakssorten sind
+vortrefflich, aus Centralafrika von mir mitgebrachte Sorten (auf dem
+Markte von Kuka gekauft) wurden in Bremen für ausgezeichnet erklärt. Und
+der Tabak scheint in Afrika überall zu gedeihen, denn selbst in den
+heißesten Oasen der Sahara findet man Tabaksfelder und jeder Neger zieht
+in der Regel seinen Tabaksbedarf in seinem eigenen Garten.
+
+
+3. _Kaffee und Thee, Lakbi, Tetsch und andere alcoholartige Getränke_.
+
+Man kann keineswegs behaupten, daß Kaffee irgendwo in Afrika ein so
+nationales Getränk geworden ist, wie bei verschiedenen Völkern in
+Europa. Und gerade da, wo er am billigsten für das Volk herzustellen
+wäre, scheint er am wenigsten im Gebrauch zu sein, nämlich in den
+südabessinischen Provinzen. Dort, wo die Staude oder der Kaffeebaum
+überall wild wachsen und von wo sie erst im Anfange des 15. Jahrhunderts
+nach Arabien importirt wurden, scheinen die umwohnenden Völker kaum die
+Anwendung der Bohne zu kennen; die Abessinier aber trinken keinen
+Kaffee, weil sie dadurch zu sündigen glauben, sie meinen nämlich,
+Kaffeetrinken sei nur den Mohammedanern eigen.
+
+Der Kaffee wird in Afrika überall ohne Milch genommen, und die Art ihn
+durchzuseihen, ihn zu filtriren oder blos durch einen Aufguß heißen
+Wassers herzustellen, ist ungebräuchlich. "Kaffee machen" ist bei allen
+afrikanischen Völkern nur eine "=decoctio="[18]. Und zwar wird nur
+nach augenblicklichem Bedarfe Kaffee für eine Person, höchstens für drei
+bis vier Personen, in kleinen Gefäßen gekocht. Der auf's Feinste zu Mehl
+gestoßene Kaffee wird in ein kleines eisernes, mit kochend heißem Wasser
+gefülltes Gefäß gethan, dann läßt man diese Mischung einige Male über
+Kohlen aufkochen und das Getränk ist fertig. Diese Kochgefäße sind so
+klein, daß wenn z.B. für eine Person Kaffee bereitet wird, dasselbe
+auch kein größeres Quantum Wasser aufnehmen kann, als jene bekannten
+sogenannten türkischen Tassen fassen.
+
+In ganz Afrika, von Aegypten bis Marokko, von Tripolis bis nach Kuka,
+wird auf _diese_ Art der Kaffee bereitet. Aber wie Kaffee in allen
+diesen Ländern nur als eine Leckerei betrachtet wird, so findet man
+Kaffeehäuser nur in größeren Orten; bei nomadisirenden Stämmen erlaubt
+sich höchstens noch der Schech oder Kaid einer Tribe den Luxus einer
+täglichen Tasse Kaffee; überhaupt kann man sagen, ist Kaffeeverbreitung
+nur nördlich vom Atlas. In den Oasen Tafilet, Draa und Tuat sind die
+wenigen Kaffeehäuser zu zählen und die Besitzer müssen meistenteils noch
+irgend einen anderen Erwerbszweig nebenbei betreiben, um leben zu
+können. In Fesan besteht nur Ein Kaffeehaus in der Hauptstadt Mursuck,
+und der Eigentümer ist ein nach diesem Orte verbannter Türke, sonst
+würde vielleicht gar keins vorhanden sein. In Kuka, in Bautschi, in
+Kano, in Timbuktu sind Kaffeehäuser unbekannt. Man kann also im
+Allgemeinen sagen, südlich vom 30° nördlicher Breite hört in Afrika der
+Gebrauch des Kaffee's auf; denn wenn auch behauptet wird[19]: "der Sohn
+der Wüste trinkt seinen Kaffee ungemischt und den schwarzen, aber
+wahrhaften Satz sammt dem Aufguß; zuweilen bringt er es auf 80 Schälchen
+am Tage," so ist Ersteres richtig, alle Mohammedaner trinken den Kaffee
+mit dem Satze; aber wo wäre der Beduine, und wäre er selbst Chef einer
+Tribe, der die Mittel hätte, 80 Tassen Kaffee zu bezahlen? Kaffee ist
+nur Luxusgetränk in ganz Afrika, d.h. in dem Sinne, als Kaffee im
+Allgemeinen zu theuer ist, um als Volksnahrungs- oder Reizmittel gelten
+zu können. Schon der erste Anlaß, wie der Kaffee unter den Arabern in
+Yemen Aufnahme gefunden, spricht dafür, wenn auch das Ganze eine Fabel
+ist, daß in demselben Etwas enthalten sein muß, was eine
+unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Man erzählt nämlich, ein armer
+Derwisch habe bemerkt, daß seine Schafe und Ziegen jedesmal nach dem
+Abweiden einer gewissen Staude äußerst heiter und lustig gewesen seien,
+und als er sodann selbst von dieser Staude Blätter genossen, habe er
+dieselbe Wirkung verspürt.
+
+Die Sitte, Gischr, d.h. einen Absud von Kaffeehülsen zu trinken, wie Hr.
+v. Maltzan dies in Südarabien beobachtete, kennt man in Afrika nicht. Es
+hat dies übrigens gar nichts zu Verwunderndes. Denn nach Untersuchungen
+von Stenhouse enthalten die Blätter des Kaffeebaumes mehr Koffein als
+die Bohnen[20], also werden die Hülsen der Bohnen auch wohl das
+belebende Princip enthalten. Ebenso fand ich nicht den Gebrauch des
+Milchzugießens, den Maltzan auch an einigen Orten Südarabiens
+beobachtete. Abeken auf seiner Reise nach Oberägypten und Nubien fand
+dort Leute, die eine Abkochung aus rohen, ungebrannten Bohnen
+bereiteten. Abeken fand diese Kaffeebereitung so angenehm und
+schmackhaft, daß er in seinen letzten Lebensjahren immer nur eine
+Decoction aus ungebrannten Bohnen trank. Mir ist dieser Gebrauch
+nirgends vorgekommen.
+
+Noch weniger hat sich der Thee einbürgern können; aber während der
+Kaffeegebrauch im Osten von Nordafrika vorwiegend ist--denn Aegypten
+allein consumirt mehr Kaffee, als Tripolitanien, Tunesien, Algerien,
+Marokko und die Sudanländer zusammen--ist hingegen der Verbrauch von
+Thee im Westen von Nordafrika größer. Marokko bezieht mehr Thee als alle
+übrigen Länder Nordafrikas zusammen. Während nach Marokko jährlich
+wenigstens 5000 Kisten Thee importirt werden, bedarf Aegypten, welches
+doch eine ungefähr gleiche Bevölkerung hat, so wenig, daß unter den
+amtlich genannten Einfuhrartikeln vom Jahre 1868 Thee nicht genannt
+wird. Bibra[21] in seinem unten citirten Werke hat also vollkommen
+Recht, wenn er S. 66 sagt: "Von zweien solcher Aufgußgetränke mit allen
+ihren physiologischen Wirkungen auf den Organismus ist eins aber sicher
+überflüssig," und hier hat der Instinct der Menge entschieden. Beide
+herrschen nirgends neben einander, sondern eines derselben wird stets
+als Luxusgetränk consumirt und erscheint nur ausnahmsweise irgend einem
+einzelnen Individuum angemessener, als das allgemein eingeführte. Im
+Süden findet man auf allen großen Märkten, so in Kuka, wie in Kano,
+Saria und Timbuktu, Thee zu kaufen.
+
+Thee wird in Afrika nie allein bereitet; der Eingeborene von Aegypten
+schüttet ebenso gut wie der Tunesier und Marokkaner zu den Theeblättern
+einige Münzblätter oder auch Absynth, Luisa und andere aromatische
+Kräuter. Denn so wie man in Marokko den Thee braut, so wird er in ganz
+Afrika bereitet. Marokko ist ja der Religionsstaat schlechtweg, und wie
+alle mohammedanischen Afrikaner Malekiten sind wie die Maghrebiner, so
+bekommen sie auch vorzugsweise von Marokko in allen Gebräuchen,
+namentlich wenn diese irgendwie mit der Religion in Verbindung stehen,
+ihre Parole. Thee ist aber ein religiöses Getränk. Es _giebt_ fromme
+Schriftgelehrte, die Kaffee nicht trinken, weil Kaffee _gebrannt_ werden
+muß, Mohammed aber an irgend einer Stelle im Koran sagt: "Alles, was
+verbrannt ist, ist verboten."
+
+Die Afrikaner trinken nur grünen Thee, eine ziemlich geringe Sorte, der
+ihnen fast ausschließlich von den Engländern zugeführt wird. Die
+eigenthümliche Sitte, die Barth in Timbuktu beobachtete, daß man Thee
+und Zucker zusammen verkauft, als ob beide Waaren unzertrennlich wären,
+beobachtete ich auch an verschiedenen Orten. Denn wenn man in Afrika bei
+den Meisten bemerkt, daß sie den Kaffee bitter trinken, pflegen sie den
+Thee jedoch so stark zu süßen, daß an vielen Orten Thee ohne Zucker und
+Zucker ohne Thee nicht gedacht oder verkauft werden kann. Man kennt
+nirgends die Sitte, Thee und Milch zusammen zu mischen. In vielen
+Städten Nordafrika's genießen statt des Thee's verschiedene Leute einen
+Aufguß von Gewürzen. Ingwer, Nelken, Muscatblüthen werden mit heißem
+Wasser übergossen und zu dieser Infusion etwas Zucker gesetzt.
+
+Bedeutend volkstümlicher ist Lakbi, ein aus dem Safte der Dattelpalme
+gewonnenes Getränk. Man findet Lakbi in ganz Nordafrika im Gebrauch vom
+c.25° ö.L.v.F. an, dann im Westen von Nun, im Draathal, in Tafilet und
+Tuat wird nirgends Lakbi getrunken. Aber in Djerid, in den Oasen
+südlich von Konstantine, in ganz Tripolitanien, einschließlich der
+großen Oase Fesan bis nach Aegypten hin, findet man in allen Palmhainen
+immer Bäume, die angezapft sind. Man zieht die männliche Palme zum
+Anzapfen vor, einmal weil dieser Baum weniger Werth hat, dann auch, weil
+der Saft der männlichen Palme kräftiger sein soll. Das Anzapfen wird
+derart gemacht, daß oben der jüngste Sproß ausgehoben wird; dann wird
+eine Rinne nach dem äußeren Umfange gearbeitet und darunter ein Krug
+oder Topf befestigt. Im Frühjahr kann man in den ersten Tagen des
+Anzapfens bis zu 5 Liter erhalten. Die anfangs etwas milchige, fast
+widerlich süß schmeckende Flüssigkeit wird nach Verlauf von 24-36
+Stunden säuerlich, fängt an zu gähren und entwickelt nun Alcohol. In
+diesem Zustande ist Lakbi berauschender als Bier, aber schon nach
+abermals 24 Stunden bildet dies Spiritus haltende Getränk sich in Essig
+um. Den von Rüppel erwähnten _Dattelwein_, "ein widerlich süßes Getränk,
+aus halbgegohrenem Datteldecoct bereitet", habe ich nirgends
+angetroffen.
+
+Bedeutend beschränkter ist Meth, Tetsch oder Honigwein. Man kann sagen,
+daß dies Getränk eigentlich nur in Abessinien und den nächst
+angrenzenden Ländern getrunken wird. Die Bereitung des Tetsch geschieht
+in Abessinien ähnlich wie in England und bei uns, nur daß statt Hefen
+und Hopfen eine andere bittere Pflanze, Amdat genannt, hinzu gethan
+wird. Das Getränk wird in Abessinien gewöhnlich in großen Rindshörnern
+aufbewahrt, auch die Becher zum Trinken bestehen aus Horn. Tetsch ist
+sehr berauschend. Ausnahmsweise bereiten auch centralafrikanische Völker
+Honigwein, aber meistens stellen diese ihr bei uns Europäern unter dem
+Namen Busa oder auch Merissa bekanntes, berauschendes Getränk aus
+Getreide her. Es gehört schon ein guter Magen und ein wenig wählerischer
+Geschmack dazu, um das abscheuliche Getränk genießen zu können. Und da
+Busa und Merissa wenig alkoholartig sind, so gehören schon ungeheure
+Quantitäten dazu, wie sie eben nur ein Negermagen zu bergen vermag, um
+nur einigermaßen Wirkung zu spüren. Dennoch haben verschiedene
+Reisende[22] sich an dies schon äußerlich so widerlich
+(chocoladenfarbig) aussehende Getränk gewöhnen können. Die Maba in Wadai
+vertilgen ungeheure Quantitäten von Merissa, ebenso wird in Bagermi, in
+Mandala stark Busa getrunken; in Bornu, namentlich in der Hauptstadt
+Kuka, weniger.
+
+Von den Eingeborenen Afrika's wird Wein nur in Marokko und Tunis
+bereitet. Die Weinrebe kommt allerdings wohl in Abessinien vor, aber nur
+in einzelnen Stauden. Ebenso findet man in Unterägypten Weinreben, auch
+im Norden von Tripolitanien, aber nur Europäer bereiten etwas Wein
+davon. Es liegt das eben in den Verhältnissen Nordafrika's, das jetzt
+ganz in den Händen der Mohammedaner sich befindet, denen Wein
+bekanntlich verboten ist. Aber wie trefflich der Wein in Nordafrika
+wird, sieht man aus den Sorten, die jetzt von Algerien aus auf den Markt
+kommen; sie stehen an Güte den spanischen nicht nach. Im Weinlande
+Marokko aber verlegen sich trotz des Verbotes ihres Propheten genug
+Leute auf Weinbereitung und Weintrinken. Aber der Wein, den die
+Marokkaner durch Kochen herstellen, ist, obwohl sehr stark von
+Geschmack, herzlich schlecht und von Farbe ebenso abstoßend. Blume ist
+gar nicht vorhanden. Der Gebrauch des Weines in Marokko ist mehr auf dem
+Lande als in der Stadt zu Hause. Man nennt den Wein =Ssammed=,
+=Hammed= oder =Schrab=.
+
+Die in Nordafrika seßhaften Juden bereiten auch Schnaps aus Feigen,
+Rosinen und Datteln. Jeder Jude fast hat seinen eignen kleinen
+Destillationsapparat im Hause und macht sich nach seinen Bedürfnissen
+seinen Schnaps selbst. Der Schnaps der Juden ist gut, auch nicht zu
+stark, besonders rein im Geschmack. Man würde Unrecht thun, wollte man
+sagen, die einzelnen Juden seien Säufer; obschon sie alle Schnaps
+trinken, sind sie im Ganzen sehr mäßig darin. Desto mehr haben sie von
+der mohammedanischen Geistlichkeit zu leiden; oft dringt ein Thaleb oder
+auch ein Scherif in ein jüdisches Haus, bemächtigt sich des ganzen
+Schnapsvorrathes, um sich wie eine Bestie damit vollzusaufen; der arme
+Jude kann in dem Falle noch froh sein, wenn er ohne Prügel dabei
+wegkommt.
+
+Sonst ist beim eigentlichen Volke in Nordafrika das Schnapstrinken nicht
+gebräuchlich, erst wenn man den Niger erreicht hat, in den
+Yorubaländern, also der Küste zu, stößt man auf ganze Karawanen mit
+Kisten, welche Schnapsflaschen enthalten. Hier an der ganzen Westküste
+von Afrika huldigen die Schwarzen dem Gotte "Schnaps". Und welch'
+entsetzliches Getränk, das vorzugsweise in Frankreich und Deutschland
+fabricirt wird, wird ihnen zugeführt. Es unterliegt denn auch wohl
+keinem Zweifel daß nicht Kriege, wohl aber dieses entsetzliche Gift jene
+Völker in kürzester Zeit ausrotten und vertilgen werden. Denn diese
+Völker trinken nicht, sondern saufen, wenn sie Schnaps besitzen, so
+lange, bis sie wie todt auf dem Platze liegen bleiben. Und Schnaps
+können sie ohne Mühe und ohne große Arbeit haben. Wenn auch der
+Sclavenhandel früher die Mittel zum Schnaps für die Großen jener Länder
+geben mußte, oder die Könige auch direct ihre Unterthanen gegen Fässer
+Schnaps weggaben, so geht dies allerdings jetzt nicht mehr, denn an der
+Westküste von Afrika ist dem Sclavenhandel wohl ein Ende gemacht. Aber
+dafür tauscht sich gegen Palmöl, gegen Palmnüsse jetzt Jeder seinen
+Schnapsbedarf ein und die Wälder sind ja vorläufig an Oelpalmen so
+reich, daß an Mangel nicht zu denken ist. Während also früher nur die
+Könige und Vornehmen der Schwarzen Schnaps trinken konnten, kann jetzt
+Jeder diesen Artikel bekommen, der das Glück hat, den Europäern Nüsse
+oder Oel zu bringen. Der Schnaps wird eher mit den Schwarzen fertig
+werden, als es das Schwert oder die Flinte des Europäers vermöchte.
+
+
+4. _Opium und Haschisch_.
+
+In Afrika hat Opium nur geringen Anhang gefunden und wahrscheinlich ist
+dies Betäubungsmittel erst durch die Türken den Eingeborenen dieses
+Continents mitgetheilt worden. Die Mohnpflanze, dieselbe, wie die bei
+uns in Europa gezogene, entwickelt bei anderen klimatischen
+Verhältnissen in Afrika und Asien jene Eigenschaften, gute und böse, die
+in der Heilkunde so segensreich wirken, aber bei unnützem und
+übermäßigem Gebrauche sich als eines der bewährtesten Mittel erweisen,
+ganze Völker der Erde ohne Pulver und Blei von derselben verschwinden
+zu machen.
+
+Um Opium zu erzielen, bauen die Eingeborenen Afrika's die Mohnpflanze
+nur in Aegypten und zwar heute, nach Schweinfurth, _nur_ in Oberägypten.
+Und dem Anbaue des Zuckerrohrs und der Baumwolle wird der Mohn in
+Aegypten wohl bald ganz weichen müssen. Sodann wird aber auch in
+Marokko, namentlich in der Oase Tuat dieses Landes, Mohn des Opiums
+wegen angebaut, aber immer nur der Art, daß der Gewinn des Mohnsamens
+behufs Oelbereitung die Hauptsache bleibt, indem die Köpfe nur
+oberflächlich geritzt werden, damit der Samen seiner Hülsung unberaubt
+zur Reife kommen kann. Man kann deshalb auch sagen, daß der Gebrauch des
+Opiums sich nur auf die Städtebewohner beschränkt und zwar nur in
+Nordafrika.
+
+Man raucht den Opium oder man nimmt das Extract in Form von kleinen
+Stückchen oder Pillen. Aber nicht wie im Orient raucht man Opium allein,
+indem man ein Stückchen in eine kleine Pfeife bringt, eine Flamme
+darüber streichen läßt und den heißen Opiumrauch einathmet, sondern man
+legt das Extract aus eine Narghile und so vermischt man Tabak-und
+Opium-Narcose. In Aegypten, namentlich in Damiette, sah ich indeß auch
+Opium allein und direct rauchen.
+
+Das in Marokko verbrauchte Opium darf in den großen Städten nur durch
+von der Regierung bestellte Leute, die meistens auch den Tabakverkauf
+haben, verkauft werden. Früher wurde nur ägyptisches Opium verkauft,
+welches Pilger von ihrer Reise in kleinen, 2-3 Zoll großen Kuchen, die
+einen Zoll dick waren, mitbrachten. Jetzt wird in Marokko meistens aus
+Frankreich importirtes Opium, =opium crú=. d.h. wässeriges
+Opiumextract, gebraucht, nur in einzelnen Gegenden stellt man selbst
+Opium her. In Tuat, der großen südlich vom Atlas gelegenen Oase, fand
+ich die meisten Opiumesser und zwar Leute, die es so weit gebracht
+hatten, daß sie ohne Opium nicht mehr existiren konnten; in dieser Oase
+waren auch alle anderen Berauschungsmittel unbekannt. Leider giebt es
+aber auch in Afrika Europäer genug, die sich dem Opiumgenusse hingeben.
+Einer der gelehrtesten Männer in Keilschriften war derart dem Opium
+zugethan, daß er ohne dasselbe zu leben vollkommen unfähig war, er nahm
+Opium in roher Form und rauchte Tabak, den er in Opiumtinctur gelegt und
+macerirt hatte. Schon seit Jahren ist er dem Gifte erlegen. Ich selbst
+hatte unter Opiumgenuß monatelang zu leiden.
+
+Erkrankt in Rhadames an einer blutigen Dyssenterie, hatte ich große
+Gaben von Opium genommen und konnte ich mich des Gebrauchs nicht
+entschlagen, da ein Aufhören im Opiumessen oder auch nur ein Vermindern
+der Gaben gleich wieder heftige Diarrhöen zur Folge hatte, bis plötzlich
+der Genuß frischer Datteln (die sonst in der Regel gegenteilig wirken)
+Besserung erzielte.
+
+Keineswegs befand ich mich dabei in einem angenehmen Zustande;
+allerdings ist das "Bessersein", das Befreitsein von einer lästigen
+Krankheit schon Etwas, allerdings verspürt man eine Erleichterung, eine
+Behendigkeit in allen Gliedern, aber angenehme Empfindungen, sensuelle
+Erregungen traten nie bei mir ein. Es ist ja auch vollkommen constatirt,
+daß beständiger Opiumgenuß erotisch dämpfend ist. Das Haschen, das
+Jagen nach Opium hat wohl nur seinen Grund darin, daß es ein gewisses
+Wohlbehagen, eine _körperliche_ und in Folge davon auch eine geistige
+Gleichgültigkeit gegen Alles, was Einen umgiebt, mit sich im Gefolge
+hat.
+
+Viel verbreiteter als Opium ist Haschisch in Afrika. Aber die Angabe v.
+Bibra's, daß es 300 Millionen Haschischesser auf der Erde überhaupt
+gebe, möchte ich doch nicht unterschreiben. In Afrika z.B., wo von
+Marokko jedenfalls das größte Contingent gestellt wird, würde man
+höchstens sagen können, daß von der ungefähren Bevölkerung dieses
+Landes, die man auf circa 6,500,000 Seelen rechnen kann, höchstens die
+Hälfte Haschisch nimmt. Von Westen nach dem Osten nimmt in Afrika der
+Hanfgenuß ab, ebenso von Norden nach Süden. In Tunis, in Algerien giebt
+es noch viele Haschischkneipen, weniger schon in Tripolitanien und
+Aegypten. Schweinfurth fand Hanfesser nur im Delta, doch kommen sie
+sporadisch auch wohl noch weiter nach dem Süden zu vor. In Fesan baut
+man Hanf nur an einzelnen Orten, nach Duveyrier besonders in Tragen.
+Frauen huldigen sehr selten in Afrika dem Hanfe. Im Süden wird nur
+vereinzelt =cannabis indica= genommen und ist dort wohl von den
+Arabern importirt worden, entgegengesetzt der Ansicht von Escayrac de
+Lauture, der die cannabis indica aus dem Süden stammen lassen will.
+Hervorgerufen war wohl diese Ansicht dadurch, daß man früher glaubte,
+die cannabis indica sei unterschieden von der =cannabis sativa=.
+Das ist nicht der Fall. Auch hier bringen die topographischen und
+klimatischen Einflüsse bei _derselben_ Pflanze nur andere und zwar im
+Süden kräftigere Eigenschaften hervor.
+
+Aber wie die Eigenschaften des Hanfes je mehr und mehr nach Norden an
+Wirksamkeit zu verlieren scheinen, so scheint auch die Empfänglichkeit
+für dies Narcoticum im Norden schwieriger vor sich zu gehen, als in
+einem südlichen Klima[23]. Professor Preyer in Jena konnte mit guten
+Haschischblättern, die ich frisch und direct von Tripolis hatte kommen
+lassen, keine besonderen Rauschresultate erzielen; v. Liebig fand in
+Blättern derselben Sendung keine anderen wirksamen Bestandtheile, als in
+der =cannabis sativa=.
+
+Man könnte also fast sagen, um eines vollkommenen Rausches theilhaftig
+zu werden, muß man in südlichen Ländern gezogenen Hanf in südlichen
+Ländern nehmen.
+
+Ich habe an anderen Orten meine an mir selbst angestellten Beobachtungen
+niedergelegt. Und wenn ich diesen im Jahre 1866 angestellten Versuch mit
+denen vergleiche, die Dr. Lay, Dr. Moreau, v. Bibra, Dr. Baierlacher u.
+A. vorgenommen, so kann ich nur bestätigen, daß in der Hauptsache meine
+Empfindungen mit denen der genannten Beobachter übereinstimmen.
+
+Der wirksame Stoff in der cannabis indica ist ein von Gastinel
+hergestelltes und von ihm Haschischin genanntes Alcaloid von schöner
+grüner, jedoch nicht von Chlorophyll herrührender Farbe. Genommen wird
+Hanf in Theeform oder man pulverisirt die getrockneten Blätter und
+schluckt sie mit Wasser hinab, oder man raucht dieselben, oder sie
+werden zu einer mit Zucker und Gewürzen verarbeiteten Pastete, "Madjun"
+genannt, gegessen[24]. Letztere Form findet man nur in den Städten.
+
+Fast in ganz Afrika wird vorzugsweise Hanf _geraucht_, wenigstens fängt
+man hiermit an; erst im zweiten Stadium wird Haschisch gegessen. Das
+Rauchen hat einfach deshalb nicht so großen Erfolg, weil selbst geübte
+Veteranen im Narghilerauchen es schwer vertragen, den beißenden und
+ätzenden Dampf durch die Lunge direct mit dem Blute in Berührung zu
+bringen. Es ist deshalb auch übertrieben, wenn einzelne Reisende
+berichten, es gebe Hanfraucher, die es bis auf 30 Pfeifen und mehr
+täglich bringen könnten. Abgesehen davon, daß die Haschischpfeifenköpfe
+nicht größer sind, als das Viertel eines Fingerhutes einer Dame, so
+ziehen die auf Hanf erpichtesten Raucher selten mehr als zwei bis drei
+Züge aus dem Pfeifchen, pausiren sodann lange Zeit oder lassen die
+Pfeife ausgehen, oder aber, wenn sie reich und großmüthig sind, reichen
+sie die Pfeife zum Mitrauchen einem Nebensitzenden.
+
+Das wirksame Princip des Hanfes sitzt besonders in den Blättern und den
+feinsten Stengeln und zwar zu der Zeit, wenn der Same eben reif geworden
+ist. Im Samen selbst, der stark ölartig ist, scheint Haschischin wenig
+oder gar nicht enthalten zu sein; die Haschischesser werfen denn auch
+den Samen fort, wenn sie die Blätter bereiten. In den Ländern Afrika's,
+die ich durchreist habe, habe ich nie von einem Harz, "Churrus"
+genannt[25], welches aus den Blättern schwitzt, reden hören, noch habe
+ich es selbst zu sehen bekommen.
+
+Die Wirkungen des Haschisch lassen sich dahin zusammenfassen, daß im
+Anfange bei kleinen Dosen die Eßlust stark angeregt wird, während
+fortgesetzter Gebrauch und große Dosen eine Störung aller Lebensprozesse
+im Körper bewirken. Wem cannabis indica zur Gewohnheit geworden ist,
+kann sich davon schwerer entwöhnen, als der Trunkenbold von
+alkoholartigen Getränken, der Opiophage vom Opium. Auf das Nervensystem
+wirkt nach den Resultaten der Versuche, die als glaubwürdig vorliegen,
+das Haschisch so, daß mit einer Erleichterung im "Fühlen alles
+Körperlichen" (man glaubt zu schweben) eine große momentane
+_Gedächtnißstärke_ verbunden ist, man erinnert sich an Ereignisse,
+welche einem seit Jahren nicht mehr ins Gedächtniß gekommen sind. Und
+auch körperlich scheinen die Gegenstände sich zu _vergrößern_ und zu
+_verlängern_: Straßen werden endlos, Häuser scheinen in den Himmel
+hineinzuragen. Dr. Mornau sagt treffend[26]: "Die Grenzen der
+Möglichkeit, das Maß des Raumes in der Zeit hören auf, die Secunde ist
+ein Jahrhundert und mit einem Schritte überschreitet man die Welt;" und
+weiter sagt derselbe Beobachter: "im Gehen sei ihm eine Straße unendlich
+verlängert vorgekommen." Ganz dieselben Beobachtungen habe ich auch
+gemacht.
+
+Es kommen sodann schließlich bei geringstem Anlasse Sinnestäuschungen
+vor, eine unbemalte Wand erscheint in den schönsten Farben, das Gquieke
+einer Thür ertönt wie symphonische Concerte und wenn einerseits das
+Gedächtniß neu belebt erscheint, vergißt man oft bei einem ganz kurzen
+Redesatze den Anfang desselben, als ob man seit Stunden geredet hätte.
+
+So achtungswerth aber auch die Namen gewisser Reisenden sind, so möchte
+ich nicht die Ansicht mit vertreten, daß Haschisch eine Wirkung
+hervorrufen könnte, einen Menschen, wie Treevelgar erzählt, in
+zehntägige Katalepsie zu versetzen. Dagegen finde ich den von
+O'Shangnessy[27] mitgetheilen Fall von einer durch Haschisch bewirkten
+_vorübergehenden_ Katalepsie vollkommen glaubwürdig. Fallen doch fast
+alle veralteten Hanfesser in eine mehr oder weniger lange anhaltende
+Starrsucht.
+
+Jedenfalls wird man nicht zu viel sagen, wenn man behauptet, daß die
+cannabis indica, eines der heftigsten Reizmittel, im Stande ist, nicht
+nur die herrlichsten Empfindungen, die bezauberndsten Bilder zu
+schaffen, sondern auch den Menschen gewissermaßen momentan der Erde zu
+entrücken, aber auch andererseits wegen des Giftes, das darin liegt,
+eines der gefährlichsten Präparate, das mit unwiderstehlicher Gewalt den
+Menschen, der sich ihm hingegeben, festhält und nach Kurzem tödtet.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 15:= Les Touareg du Nord, p. 185=.]
+
+[Footnote 16: Zeitschr. der Gesellsch. für Erdk. VII. Bd. V. Heft.]
+
+[Footnote 17: Papst Urban VIII. erließ 1624 eine Bulle gegen das
+Tabakschnupfen in den Kirchen, aber trotz dieses unfehlbaren Edicts
+schnupfen heute fast alle Priester in den Kirchen wie _außerhalb_.]
+
+[Footnote 18: Europäische Aerzte verordnen übrigens auch nur eine
+=decoctio=, keine =infusio= des Kaffee's]
+
+[Footnote 19: Ausland 1872. S. 948.]
+
+[Footnote 20: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel. Nürnberg 1855.]
+
+[Footnote 21: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel.]
+
+[Footnote 22: Auch Schweinfurth sagt, er habe auf seiner letzten Reise
+ein gutes, dem deutschen Biere ähnliches Getränk gefunden.]
+
+[Footnote 23: Globus 1866 und Land und Leute in Afrika, Rüthmann, Bremen
+1870]
+
+[Footnote 24: Ich führe hier an, daß wenn Europäer mit Hanf Versuche
+anstellen wollen, sie sich mit größter Vorsicht dabei des Madjun
+bedienen mögen, da in der Regel auch Cantharibenpulver dazwischen
+gemischt ist.]
+
+[Footnote 25: v. Bibra, S. 266.]
+
+[Footnote 26: v. Bibra, S. 272.]
+
+[Footnote 27: v. Bibra, S. 284.]
+
+
+
+
+8. Aufbruch zur Libyschen Wüste.
+
+
+"Wie ein Afrikareisender mit einer Schlittenpartie seine Reise in die
+Libysche Wüste antritt", hätte ich dieses Mal mein Tagebuch
+überschreiben können. Das ist auch wohl noch nicht dagewesen, und
+doch,--denn als ich meine zweite Reise antrat, mußte ich ja auch nach
+einigen Tagemärschen, wenn auch nicht durch oder über Schnee, so doch
+daran vorbei und noch dazu in Afrika selbst, auf dem großen Atlas.
+
+Diesmal galt es nun zwar nicht, den mit Schnee bedeckten Atlas zu
+übersteigen, sondern auf angenehmste Weise über den herrlichsten aller
+Alpenpässe zu kutschiren, über den Splügen. Am Morgen in der Frühe
+sollte es weiter gehen, und so geschah es auch. Eine ziemlich zahlreiche
+Reisegesellschaft, drei große Postwagen voll Menschen beiderlei
+Geschlechts, von jeglichem Alter, von jedem Stande. Ich hatte für mich
+einen Coupéplatz bekommen und Noël[28] im selben Wagen einen
+Interieurplatz. Neben mir (die Coupés haben nur zwei Plätze) saß noch
+eine junge Dame, ein Mädchen, ein Backfisch, ein Kind--eine jede dieser
+Bezeichnungen würde auf sie gepaßt haben--nicht hübsch, nicht häßlich,
+Schweizern, mit einer entsetzlichen Aussprache des Deutschen und
+ungemein schüchtern, verlegen und blöde. Der Backfisch, nennen wir sie
+so, war in Belfort in Pension gewesen, um Französisch zu lernen; unter
+der Zeit waren seine Eltern von der Schweiz, wo sie ansässig gewesen
+waren, nach Bergamo gezogen und jetzt, nach beendigtem Cursus, sollte
+der Backfisch wieder heim zu den Eltern. Und das ging ganz gut, wie ein
+Packet wurde er befördert. In Chur logirten wir z.B. im "Luckmanier"
+zusammen, der Backfisch wurde von der Wirthin empfangen u. Abends, als
+der Wirth gehört hatte, ich reise nach Italien, kam er zu mir, ob ich
+nicht den Backfisch unter meine Obhut bis Como oder Lecco nehmen wolle,
+dort würde er von verwandten Fischern in Empfang genommen werden.
+Natürlich sagte ich nicht "nein" und merkwürdig genug traf es sich, daß
+im Interieur eine nach--der Türkei, nach Trapezunt reisende Dame sich
+unter Noël's Schutz begab.
+
+Ich unterlasse es, von den Schönheiten der =Via mala= zu sprechen,
+offenbar der schönste und großartigste Paß, der über die Alpen führt und
+welcher, da der Baumbestand aus Nadelhölzern besteht, zu jeder Zeit grün
+ist. Ja, ich möchte sagen, der naturschönheitliche Reiz wird im Winter
+eher erhöht, als vermindert durch die starken Contraste des
+blendendweißen Schnees und des tiefen, fast schwarzen Grüns der Fichten
+und Kiefern. Als sämmtliche Passagiere obligaterweise an der Stelle
+ausgestiegen waren, wo die =Via mala= am engsten ist und wo eine
+Brücke über den Schlund führt, die man auch Teufelsbrücke hätte nennen
+können, ging es weiter und Mittags erreichten wir Splügen.
+
+Eine gemeinschaftliche =Table d'hôte= brachte alle Reisenden
+zusammen und der gute Veltliner Wein, wie das warme Zimmer führten eine
+recht animirte Unterhaltung herbei, denn zur Hälfte waren die Reisenden
+Italiener, welche, froh, bald die Grenze ihrer =cara Italia=
+erreicht zu haben, nicht verfehlten, ein Glas mehr, als gewöhnlich, zu
+trinken. Mit dem Orte Splügen hat man aber keineswegs die Paßhöhe
+erreicht. Im Gegentheil, jetzt beginnt erst das _steile_ Steigen und
+eine Viertelstunde oberhalb des Dorfes fanden wir ein ganzes
+Schlittendepôt. Die Postkutschen wurden verlassen und je Zwei wurden in
+einen eleganten Schlitten gepackt; wir hatten die Schneegrenze erreicht.
+Natürlich geht dieselbe im December noch tiefer, bis Chur selbst,
+hinunter und fängt im Januar und Februar gar unterhalb Chur an, aber im
+November und October fällt Schnee nur bis Splügen und etwas oberhalb.
+
+Hatten wir am Tage vorher abscheulich nebliges Wetter gehabt, so war
+unsere =Via-mala=-Tour, unsere Schlittenpartie über den Splügen,
+durch den sonnigsten, italienischen Himmel verherrlicht. Aber kalt war
+es. Trotz des Südwindes, der allerdings stundenlang über Gletscher und
+Schneefelder fegte, fror man bis auf's Innerste. Wie froh war ich, daß
+ich meinen grauen Mantel und die Pelzdecke mitgenommen hatte. Drei
+Stunden brauchten wir zu dieser Schlittenfahrt und man kann sich einen
+Begriff machen, welche Schneemassen im Laufe des Winters auf den Alpen
+angehäuft werden, wenn ich sage, daß wir manchmal Stellen passirten, wo
+der Schnee schon (durch Anwehen) 10-12' hoch lag. Auf der Südseite, noch
+mitten im Schnee, liegt die italienische Douane, während man die Grenze
+schon früher auf der Kante des Passes selbst passirt hat.
+
+Die Zollbeamten waren diesmal äußerst milde; hielten sie mich für irgend
+eine besondere Persönlichkeit (denn in den Augen aller dieser Leute
+passirte Noël immer als mein Diener), oder ist die Praxis überhaupt
+milder geworden, genug, es wurde nur ein Koffer pro forma geöffnet und
+damit war Alles fertig. Ich war namentlich froh wegen meiner Patronen,
+die ich ja gern versteuert hätte, von denen ich aber fürchten mußte, sie
+würden confiscirt werden.
+
+Bald darauf erreichten wir die südliche Schneegrenze und in ebenso guten
+Postkutschen ging es weiter. Den herrlichen Punkt, wo ein Gießbach ins
+Thal hinab braust und wo man der Fernsicht halber eigens eine Kanzel
+erbaut hat, von der man die schönste Aussicht genießen kann, passirten
+wir noch eben bei Licht, dann noch eine halbe Stunde das schönste
+Alpenglühen, wie ich es nie leuchtender und intensiver gesehen habe, und
+tiefe Nacht senkte sich rasch auf uns herab. Nach zwei Stunden, d.h. um
+6-1/2 Uhr Abends, waren wir in Chiavenna.
+
+Das Hotel zur Post, von dem Herrn Schreiber gehalten, ist berühmt in
+ganz Italien und auch wir konnten mit dem Nachtmahl, welches uns
+aufgetischt wurde, nur zufrieden sein; ja, das Lob seines Valtelliner
+machte, daß er uns noch eine Flasche, natürlich für unser Geld,
+heraufholte. Wir schieden um 10 Uhr als gute Freunde (im ganzen Hôtel
+ist nur deutsche Bedienung) und weiter ging's bis Colico, welchen Ort
+wir um 1 Uhr Nachts erreichten. In Colico selbst wurde nur umgeladen in
+einen anderen Wagen, der nach Lecco bestimmt war.
+
+Aus dieser schönen Tour längs des Lago di Como, die ich übrigens zu
+Lande schon einmal, zur See schon mehreremal gemacht habe, merkten wir
+nun zwar nichts von den Reizen der Natur, aber die milderen Lüfte und
+zur Seite des Wagens die belaubten Olivenbäume bekundeten auch so genug,
+daß wir uns auf der anderen Seite der Alpen befänden.
+
+In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Backfisches ledig. Als wir
+uns aus dem Omnibus Einer nach dem Anderen entwickelten, stand ein Herr
+bereit: "Sind Sie Fräulein Müller?" (Meier, Schulze oder Schmidt, so
+ungefähr klingt der Name). "Ja, ich bin es." Und damit fiel die junge
+Dame in verwandtschaftliche Arme.
+
+Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der Bahn bis Mailand weiter und
+direct ins Hôtel Reichmann, nächtigten daselbst und fuhren ohne
+Unterbrechung nach Brindisi, wo wir Abends um 10 Uhr anlangten. Von den
+anderen Herren war noch Niemand hier, ich vermuthete, Alle seien wegen
+des Choleragerüchtes über Triest gegangen. Zu meiner Freude hörte ich
+aber bald darauf, daß die Cholera erloschen sei.
+
+In Brindisi ist ein vorzügliches Hôtel, das des =Indes orientales=.
+Die Absicht, in eine Locomda zu gehen, gab ich auf, da ein
+italienischer Reisegefährte mir unterwegs sagte, man bekäme dort
+unfehlbar =pedocchi= d.h. die Thierchen, welche die Franzosen im
+Gegensatze zu den Flöhen, der leichten Cavallerie, die schwere nennen.
+Näher brauche ich diese menschenfreundlichen Thierchen wohl nicht zu
+bezeichnen. Ich dachte aber, es ist noch früh genug; wenn man sich ihrer
+in Afrika nicht wird erwehren _können_, dann muß man mit ihnen
+haushalten.
+
+Komisch erschien mir die Extravaganz der italienischen Damen in den
+neuesten Moden: fußhohe Chignons aller möglichen Formen, selbst die
+Hörner der Pullo-Frauen[29], die Wulste der Mandara-Damen[30] sind nicht
+ausgeschlossen; ich glaube, keine Damen der Welt entwickeln so viel
+Phantasie in der Herstellung aller nur möglichen Haartouren, als die
+schönen Milaneserinnen. Sehr häufig sieht man vorn auf der Stirn kleine
+Löckchen glatt angeklebt mit Pomade, ein entsetzlich schlechter
+Geschmack. Alles dies gilt nur von der vornehmen Welt, das Volk ist in
+dieser Beziehung vernünftiger.
+
+Mein Zimmer in der Bel-Etage des Hôtels von Brindisi ging auf den Hafen,
+und wenn auch keine großartige Aussicht geboten ist, so hat man doch
+immer ein belebtes Bild.
+
+Ich verbrachte meine Zeit damit, daß ich dem englischen Consul einen
+Besuch machte, um seine herrliche Sammlung von Antiken u.s.w. zu
+besehen. Er empfing mich sehr freundlich und hatte, wie er sagte, aus
+der "Times" schon mein Kommen über Brindisi erfahren. Sodann suchte ich
+den Archidiakon Farentini auf, der die Bibliothek unter sich hat, in der
+sich nebenbei ebenfalls ein kleines archäologisches Museum befindet,
+welches einzelne hübsche Sachen, z.B. ein prachtvolles Lacrimale[31] und
+interessante Broncestatuetten enthält. Bei der Gelegenheit zeigte er mir
+auch eine höchst merkwürdige Vase, welche sich im Reliquien-Schreine des
+Doms befindet, von so feinkörnigem Granit, wie ich ihn nie gesehen. Sie
+soll durch Kreuzfahrer aus Palästina gekommen sein, so sagen die
+ältesten Chroniken. Ob sie, wie Pater Farentini behauptet, phönicischen
+Ursprunges ist, wage ich nicht zu bestätigen. Nach dem Volksglauben
+ältester Zeit soll dies dieselbe Vase sein, in der Jesus Wasser in Wein
+verwandelt hat. Pater Giov. Farentini fügte aber hinzu: "Ich für meinen
+Theil halte sie nur werth als ein höchst interessantes Kunstwerk, die
+damit verknüpfte heilige Legende überlassen wir dem Volke." Ein
+liebenswürdiger alter Mann, dieser Domherr, der sich ein über das andere
+Mal selbst besegnete (=benedetto io=), daß er meine Bekanntschaft
+gemacht habe. Am nächsten Tage wollte er mir noch einige
+Merkwürdigkeiten in der Stadt und Umgegend zeigen, obschon Brindisi in
+dieser Beziehung sehr arm ist.
+
+Nur langsam erholt sich diese einst so wichtige Stadt, welche im
+Alterthum über 100,000 Einwohner, jetzt kaum 10,000 Seelen hat.
+
+Strabo, welcher ausführlich von dieser alten Stadt handelt, sagt[32].
+Brundusium soll, wie gesagt wird, eine Colonie der Kreter sein, die mit
+dem Theseus aus Knossus dahin kamen. Sodann lobt Strabo den Hafen der
+Stadt, nach ihm ungleich besser als der Tarents, und fügt hinzu, dieser,
+wie es dem Anscheine nach aussieht, einzige Hafen theilt sich inwendig
+in eine Menge kleinerer Busen, so daß der gesammte Hafen die Gestalt
+eines Hirschkopfes bekommt, daher die Stadt auch ihren Namen erhalten
+haben soll, denn in der Sprache der Messapier heißt ein Hirschkopf
+Brundusium.
+
+Brundusium ist auch nach Strabo der gewöhnliche Hafen, aus dem man
+ausfährt, wenn man nach Griechenland oder Asien übersetzen will, und
+alle Griechen und Asiaten landen auch hier, wenn sie Rom sehen wollen.
+Brundusium gilt als Geburtsstätte des Tragödiendichters Pacuvius, und
+Virgil ist hier gestorben.
+
+Mit dem Zusammensinken des römischen Reiches hörte die Blüthe der Stadt
+aus, natürlich weil der Verkehr zwischen Morgenland und Abendland
+stockte. Und als dann zur Zeit der Kreuzzüge auf einmal wieder ein
+lebhafter, wenn auch feindlicher Zusammenstoß zwischen Occident und
+Orient stattfand, hob sich Brundusium rasch wieder und erlangte eine
+Einwohnerzahl, die auf 60,000 Seelen veranschlagt wird. Kaiser
+Barbarossa bevorzugte namentlich den Hafen und er ist auch der Erbauer
+des Castells. Mit dem Falle Jerusalems, mit der Beendigung der
+Kreuzzüge hing auch der Verfall Brundusiums zusammen.
+
+Erst jetzt, wo Brindisi wieder Hauptausgangspunkt und Ankunftsort für
+Abendland und Morgenland geworden ist, hebt sich die Stadt wieder. Da
+aber jetzt die diese Straße Ziehenden bei Weitem nicht so lange im Hafen
+weilen wie im Alterthum, so ist der Aufschwung der Stadt ein viel
+langsamerer. Aber Brindisi wird jedenfalls, wird diese Linie
+beibehalten, immer eine gewisse Wichtigkeit bewahren.
+
+Die Stadt selbst macht auch nur einen sehr dürftigen Eindruck; zwar sind
+die Straßen mit herrlichen Quadern gepflastert, aber meist sehr schmal,
+die Häuser zum größten Theile einstöckig, und dann macht es einen höchst
+traurigen Eindruck, daß so viele Bauten unvollendet gelassen, zum Theil
+schon wieder Ruine geworden sind. Was war die Ursache davon? Hatte man
+kein Geld, keine Lust zum Weiterbauen? Aber wie erquickt Einen das
+herrliche Grün, wie lächeln Einem die allbekannten Opuntien und
+langblätterigen Aloës zu, wie bekannt und heimisch winkt der hohe
+Palmbaum! Dazu das lebendige Treiben auf der Straße. Die wirklich
+madonnenhaften Antlitze der jungen Mädchen, denn eine durchweg schöne
+Bevölkerung ist in Apulien und namentlich der weibliche Theil, ist fast
+durchaus schön zu nennen.
+
+Und so wie es ist muß es auch sein; ich möchte nichts von dem wissen,
+wie wir uns Italien seit jeher vorgestellt haben und wie es in der That
+ist. Da scandalirt man über den Schmutz[33] der neapolitanischen
+Bevölkerung, über die =shocking= Nacktheit der dort
+herumlaufenden, herumkriechenden Kinder, aber man mache einmal aus
+Neapel eine nach holländischer Art abgewaschene Stadt--und Neapel ist
+nicht mehr Neapel.
+
+Ein ununterbrochener Regen goß herab, auf der Post fand ich einen Brief
+von Ernst[34], dem an der Grenze die Patronen confiscirt waren, der
+sonst aber wohlbehalten mit Taubert[35] in Triest angekommen war. Auch
+Jordan[36] schrieb von dort vom 20.: er sei mit Remelé[37] und drei
+Dienern in Triest angekommen, habe meine beiden Diener gefunden und
+Freitag Nachts hätten sie sich an Bord begeben. Zittel[38] und
+Schweinfurth[39] könnten nun möglicherweise am selben Abend noch hierher
+kommen, wenn sie nicht auch die Route Triest genommen hätten; am Abend
+vorher hatte ich sie vergebens erwartet.
+
+Als ich meine Briefe postirt hatte, legte sich der Platzregen, welcher
+den ganzen Morgen mit ununterbrochener Wuth herabgeströmt war, und bald
+darauf erschien der Archidiakon Farentini, um mich abzuholen. Er zeigte
+mir zuerst eine höchst merkwürdige Kirche, eine sehr alte Baute, die
+ursprünglich frei angelegt, später durch den Ueberbau einer anderen
+Kirche zu einer Krypta gemacht und jetzt wieder durch Hinwegräumung des
+umgebenden Terrains eine überirdische Kirche geworden ist. Sie rührt aus
+dem 5. oder 6. Jahrhundert her. Sodann gingen wir nach einer Rotunde,
+einer Ruine, von der die Reisebücher behaupten, sie sei als christliche
+Kirche gebaut, was indeß keineswegs erwiesen ist. Jedenfalls rühren die
+Säulen, die Capitäler von verschiedener Ordnung von alten römischen oder
+griechischen Tempeln her. Es war mittlerweile dunkel geworden und wir
+verabschiedeten uns von einander.
+
+Bei meiner Nachhausekunft fand ich Zittel und Ascherson vor. Sie waren
+beide über Rom und Neapel Nachmittags in Brindisi eingetroffen und
+Ascherson hatte den kurzen Aufenthalt schon benutzt, um zu botanisiren;
+ganz mit Pflanzen beladen kam er nach Hause. Wir dinirten noch
+gemeinschaftlich und gingen dann um 7 Uhr an Bord. Zuerst hatten Noël
+und ich, Ascherson und Zittel je eine Cajüte für uns, als aber dann in
+unsere Cabinen noch fremde Leute hineingesteckt wurden, tauschten wir
+derart, daß wir Vier zusammenkamen. Ich konnte die Nacht gar nicht
+schlafen, die Betten waren sehr hart und schmal und gegen Morgen
+entstand ein Höllenlärm, denn um 3 Uhr kam ein Londoner Expreßtrain, den
+auch Schweinfurth benutzt hatte, von Bologna und um 8 Uhr Morgens kurz
+vor Frühstückszeit, als wir auf dem Deck erschienen, waren wir schon
+=en route=; es war köstliches Wetter, das Meer leicht gewellt, was
+aber dem sehr großen Dampfer keine Bewegung verursachte.
+
+Um 10 Uhr Morgens fuhren wir bei der griechischen Stadt Navarin vorbei;
+auch an dem Tage herrliches Wetter, wenn auch etwas trüber. Je mehr wir
+nach dem Süden kamen, desto milder wurde die Lufttemperatur und Abends
+hatten wir immer das schönste Meerleuchten, und die Zeit wäre gewiß so
+angenehm wie möglich vergangen, wenn nicht Regenwetter eingetreten wäre,
+welches uns nöthigte unter Deck zu bleiben. Die letzten beiden Tage
+hatten wir sogar Sturm; Zittel und Ascherson waren seekrank,
+Schweinfurth, Noël und ich hielten uns vortrefflich; aber Zittel mußte
+einen ganzen Tag im Bette liegen, da er sich stark erkältet hatte und
+heftige Halsschmerzen bekam. Und doch war es so warm. 20 Grad im
+Schatten.
+
+Um 12 Uhr Mittags kamen wir in den Hafen von Alexandrien; wir mußten die
+Quarantäne am Bord des Schiffes bis übermorgen Mittag halten. Alle
+Sachen waren angekommen und alles Andere war von Menshausen, einem
+deutschen Kaufmanne, besorgt. Der Vicekönig war in Kairo und v. Jasmund
+auch, der dort sich augenblicklich mit dem Prinzen von Hohenzollern
+aufhielt. In Alexandria war projectirt, nur einen Tag zu bleiben, in
+Kairo drei bis vier, um dann gleich bis Minieh oder Siut (Hauptstadt von
+Oberägypten am Nil) vorwärts zu gehen.
+
+Welch' bewegtes Leben hier in Skendria oder Alexandria! Wir lagen am
+Eingange des Hafens auf der Rhede. Rechts der schöne Mex-Palast von Said
+Pascha, links der Leuchtthurm und der schneeweiße Palast von Mehemed
+Ali, der Mastenwald, mit der Stadt im Hintergrunde vor uns. In der Ferne
+ein üppiger Palmenwald: dies das Panorama von unserem Schiffe. Auf dem
+Schiffe selbst zerlumpte Soldaten mit gelber Schärpe, Abzeichen der
+Quarantäne. Dafür, daß ich mit Menshausen sprach, kam der wie ein
+Bänkelsänger aussehende Soldat gleich mit offener Hand auf mich los:
+"=nrid backschisch=", "ich möchte Trinkgeld." Er war sehr
+bedonnert, als ich ihn in arabischer Sprache fragte, wie er dazu käme
+und mit welchem Rechte er bettele. Natürlich gab ich ihm trotzdem sein
+Backschisch.
+
+Schweinfurth war wieder hergestellt und Zittel und Ascherson natürlich
+wie durch Zauber ihrer Krankheit hier im sicheren Hafen überhoben. Mit
+den übrigen Herren auf dem Lloydschiffe, welches auch gekommen war und
+einen Flintenschuß weit von uns lag, tauschten wir, sobald wir uns
+durchs Fernrohr erkannten, laute Hurrahrufe aus und später kamen Jordan
+und Remelé herüber, um uns (natürlich immer in respectvoller Distance,
+da sie fünf, wir aber nur zwei Tage Quarantäne halten sollten) zu
+begrüßen. Die Armen mußten darauf aber das Schiff verlassen, um am Lande
+die Quarantäne abzuhalten. Das ist langweilig und kostspielig für sie;
+aber amüsant mußte es ihnen sein, die zahlreichen Pilger zu beobachten,
+welche, an dem Tage von Marokko kommend, ein englischer Dampfer gebracht
+hatte, etwa 1000 an der Zahl. Das war ein sonderbarer Anblick; ein
+bunteres Bild konnte man kaum sehen, als sie in kleinen Barken zu 8-10
+Mann nach dem Quarantäne-Gebäude geschafft wurden. Aber bunt kann man
+eigentlich nicht sagen, weil alle entweder in einem schmutziggrauen,
+schmutzigbraunen oder schwarzen Burnus eingewickelt waren und offenbar
+die schlechtesten Gewänder trugen, die sie überhaupt in ihrer Heimath
+von ihren Angehörigen hatten auftreiben können. Wie merkwürdig, daß sich
+dieser Pilgerzug mitten durch die civilisirtesten Länder und Völker
+hindurch immer noch erhält, denn eine Abnahme des Pilgerns ist wohl kaum
+zu spüren. Und wie merkwürdig, daß die christlichen Engländer es heute
+unternehmen, die fanatischen Gläubigen zu ihrer heiligen Stätte zu
+führen. Auf der einen Seite geben sie jährlich Hunderttausende von Pfund
+Sterling aus, um dem Umsichgreifen des Islam durch christliche Missionen
+ein Ziel zu setzen, auf der anderen Seite leisten sie demselben Vorschub
+dadurch, daß sie das Pilgern erleichtern, denn es kann nicht geläugnet
+werden, daß die jährlichen Zusammenkünfte am Berge Ararat und beim
+schwarzen Steine in Mekka die Mohammedaner zu immer neuem Fanatismus
+anfachen. Das ist bei den mohammedanischen Pilgerfahrten so gut der
+Fall, wie bei den katholischen. Uebrigens Angesichts unserer eigenen
+Pilgerreisen inmitten des civilisirten Europa ist es kaum erlaubt,
+darüber zu staunen; denn dem Unparteiischen muß es schließlich einerlei
+sein, ob er in Nordafrika dumme Schafheerden nach Mekka strömen sieht,
+oder solche von Frankreich, von Belgien, vom Rhein aus auf dem Wege nach
+Rom erblickt. Hier sowohl wie dort wird Dasselbe erstrebt: In Mekka wie
+in Rom ist für den Hohenpriester die Hauptsache, Geld zu bekommen, für
+die Pilger, sich Verdienste und Vergebung der Sünden zu erwerben. Einen
+Unterschied vermögen wir absolut nicht zu finden. Dummheit und
+Aberglaube sind bei den Mohammedanern wie Christen die Triebfedern.
+
+Langeweile hatten wir an Bord nicht; die Passagiere waren noch fast alle
+geblieben, nur die India-Reisenden gingen am selben Tage mit einem
+direct nach Suez gehenden Zuge ab. Ein solcher Quarantäne-Zug wird
+verschlossen, darf nirgends halten und ohne Aufenthalt geht es in Suez
+wieder an Bord. Der Hafen ist ungemein belebt; Dampfer kommen und gehen;
+einige, die von inficirten Häfen kommen, werden mit der gelben Flagge,
+dem Abzeichen, daß sie in Quarantäne sind, geschmückt; andere, die aus
+gesunden Häfen ausgelaufen sind, bleiben ohne gelbes Abzeichen und
+dürfen gleich mit der Stadt communiciren.
+
+Endlich schlug die ersehnte Stunde: zwei Cavassen vom Generalconsulat
+kamen an Bord, und uns und unsere Sachen einladend ging es fort und bald
+darauf hielten wir vor Abbat's Hôtel, an einem der schönsten Plätze
+Alexandriens gelegen. Ich ging zuerst zu Menshausen und dann auf's
+Consulat. Herr v. Jasmund empfing mich sehr freundlich. Für den Abend
+war ich mit allen meinen Begleitern zum Essen auf's Consulat geladen.
+
+Jordan und Remelé waren gestern Abend auch noch aus der Quarantäne
+befreit werden, welche also keineswegs so streng beobachtet und gehalten
+wurde, wie ursprünglich war angeordnet worden, und so waren wir denn
+Alle vereint im Hôtel Abbat, wo wir zum ersten Male erfahren sollten,
+mit ägyptischen Preisen zu rechnen. Allein für die Diener mußte ich
+täglich 40 Frcs. ausgeben. Im Uebrigen konnte man mit den Zimmern, dem
+Essen und der Bedienung zufrieden sein, obschon die Hôtels in
+Alexandrien nicht so gut sind, wie die in Kairo, da in der Hafenstadt
+die Passagiere nur ein bis zwei Tage zu bleiben pflegen, wogegen sie in
+Kairo manchmal Monate lang weilen.
+
+In Alexandria wurde meine ganze Zeit durch geschäftliche Angelegenheiten
+in Anspruch genommen. Nur Abends hatten wir Ruhe, uns an einem Glase
+Bier zu erlaben.
+
+Bei unserer demnächstigen Abreise von Alexandrien war am Schalter wieder
+eine entsetzliche Wirthschaft: Es ist unglaublich, mit welcher
+Gemüthsruhe der Billeteur die sich drängenden und ungeduldigen Reisenden
+am Schalter abfertigt. Werden sie gar zu lästig, hört er einige
+"=goddam=" oder "=au sacre nom de Dieu=" oder
+Kreuz-Millionen-Donnerwetter, dann entfernt er sich für fünf Minuten,
+nimmt eine Tasse Kaffee, um mit neuen Kräften dem Publicum
+entgegentreten zu können. Endlich war an mich die Reihe gekommen, ich
+hatte meine Billets, die Bagage wurde eingeschrieben und bald darauf
+ging's fort. Da Ascherson, Jordan und Remelé noch zurückblieben, um mit
+einem anderen Zuge nachzufahren, so lud Herr v. Jasmund uns ein, in sein
+Coupé zu steigen. Die Generalkonsuln in Alexandrien bekommen jedesmal
+ein eigenes Coupé, wenn sie reisen.
+
+Ich unterlasse es, über die Fahrt auch nur ein Wort zu sagen, doch muß
+ich erwähnen, daß wir in Kassar Sayet, beim Uebergange des linken
+Nilarmes, mit Nubar Pascha, der von Kairo nach Alexandria fuhr,
+zusammenkamen und demselben vorgestellt wurden. Eigenthümlich, ich hatte
+mir den Mann ganz anders gedacht, mehr diplomatenmäßig, d.h. wie bei uns
+die Staatsmänner auszusehen pflegen. Damit will ich aber keineswegs
+sagen, daß Nubar eine gewöhnliche Physiognomie habe, im Gegentheil,
+namentlich sein Auge ist wunderschön. Im Französischen drückt er sich
+gewandt aus. Er theilte uns mit, der Vicekönig wünsche der Expedition
+einen so wenig officiellen Anstrich wie möglich zu geben und deshalb
+müßten wir von einer militärischen Escorte abstehen. Dahingegen
+garantire er absolute Sicherheit der Gegend zwischen dem Nil und den
+Uah-Oasen. Die Unterredung dauerte nur kurze Zeit, da die Züge bald
+darauf wieder abfuhren. Mir war nichts angenehmer, aus der lästigen
+Escorte ledig zu sein. Wie ich denn überhaupt bemerken muß, daß der
+Gedanke einer militärischen Begleitung keineswegs von mir, sondern
+ursprünglich vom Chedive selbst ausging und zwar so gestellt wurde, daß
+ich glauben mußte, dem Chedive sei daran gelegen, eine militärische
+Bedeckung mitzugeben.
+
+Mit dem Zuge, den wir benutzten, erreicht man Kairo in fünftehalb
+Stunden. Um 1 Uhr waren wir denn auch angelangt, nachdem schon längere
+Zeit vorher die Pyramiden, die Gräber der Chalifen, die schlanken
+Minarets der Mohammed-Ali-Moschee ihren Willkommengruß uns entgegen
+gesandt hatten.
+
+Angekommen, begaben wir uns sogleich ins Nil-Hôtel, nachdem ich vorher
+vergeblich versucht hatte, die Diener in einem billigeren Hôtel
+unterzubringen. Nachmittags besuchten wir das Consulat, fanden aber, daß
+unser deutscher Viceconsul Travers auf einer Tour nach Minieh war, um
+den Prinzen von Hohenzollern dorthin zu begleiten. Abends waren wir im
+Theater und hörten die "Aida" von Verdi, welche in dieser Saison zum
+ersten Male aufgeführt wurde. Wer hätte nicht von den Wundern gehört,
+welche der Chedive durch Zaubergewalt in seiner Hauptstadt seit Jahren
+entstehen läßt? Wenn auch nicht alle gleich an Pracht, wie solche bei
+Eröffnung des Suez-Kanals dem Auge sich darbot, zeigen doch die Werke,
+welche der Vicekönig seitdem nach und nach ins Leben rief, um die
+Freuden des Lebens durch Kunstgenüsse zu erhöhen, einen derartig großen
+Anstrich, daß es sich wohl verlohnt, dabei zu verweilen.
+
+Einen Lieblingsgedanken, eine Oper zu besitzen, verwirklichte Ismael
+Pascha bald, nachdem die Feierlichkeiten der Kanaleröffnung vorüber
+waren, indem er auf dem prächtigen Esbekieh-Platze ein Gebäude mit
+Allem, was dazu gehört, für eine italienische Oper herrichten ließ. Um
+dasselbe würdig einzuweihen, veranlaßte er den Maëstro Verdi, eigens
+eine Oper dafür zu componiren. Den geschichtlichen Stoff lieferte
+Mariette, die literarische Redaction besorgte Ghislanzoni.
+
+Präcis 8 Uhr begann man mit der Ouverture, welche von einem vollkommen
+eingeübten Orchester meisterhaft vorgetragen wurde. Ebenso tadellos war
+die ganze Aufführung. Sänger und Sängerinnen sind durchweg ersten
+Ranges, namentlich der Tenor (Radames) Sigr. Fancelli, von einer Stärke
+und Höhe der Stimme, wie man ihn gewiß selten an einer der größten
+Bühnen Deutschlands findet. Was die Sängerinnen anbetrifft, so waren
+dieselben in der Saison nur aus Deutschland recrutirt, die Aida wurde
+von Fräulein Stolz, Amneris von Fräulein Waldmann repräsentirt. Beide
+waren in ihrer Art vorzüglich.
+
+Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß man bei der Costümirung auf
+größte Genauigkeit gesehen hat, um Kleidung und alte Gegenstände so
+herzustellen, wie sie durch die Aegyptologen uns bekannt und wie sie
+uns in den Museen aufbewahrt sind. Dazu ist Alles mit einer Pracht
+hergerichtet, wie es eben nur ein Fürst zu leisten vermag, dessen Mittel
+fast unbeschränkt sind.
+
+Was das Sujet anbetrifft, so ist es der ägyptischen Geschichte
+entnommen. Aegypten und Abessinien liegen seit Jahren in Krieg
+miteinander. Der Feldherr des Königs von Aegypten, Namens Radames hat
+die Tochter des äthiopischen Königs Amonasro, Namens Aida, gefangen
+genommen, er giebt sie der Tochter seines ägyptischen Königs, Namens
+Amneris, zur Sclavin. Radames verliebt sich aber in Aida und wird von
+Aida wieder geliebt. Später wird der äthiopische König Amonasro auch
+noch gefangen genommen. Amonasro und Aida finden sich wieder, Beide,
+Vater und Tochter, Gefangene am ägyptischen Hofe. Man begnadigt Beide
+und will sie ziehen lassen. Amonasro aber überredet seine Tochter, die
+Liebe Radames' zubenutzen, um ihn über einen Kriegsplan auszuforschen;
+sie weicht endlich den Bitten des Vaters und Radames widersteht nicht
+dem Flehen der Aida. Er fängt an, den Plan zu verrathen, aber gerade in
+dem Momente kommt Amneris hinzu. Radames flieht nicht, er klagt sich
+selbst an, die Königstochter überliefert ihn aus Eifersucht den
+Priestern, er wird zum Tode verurtheilt und kann dann trotz der bitteren
+Reue der Amneris nicht gerettet werden. Lebendig in einem Grabe
+eingemauert, theilt Aida freiwillig sein Loos.
+
+Eine solche Aufführung, wie sie in Kairo Statt hatte, muß selbst den
+verwöhntesten Geschmack befriedigen. Die Musik freilich wird wohl nicht
+überall Beifall finden. Die Freunde der Harmonie werden sagen, es sind
+zu viel Wagner'sche Anklänge vorhanden, die Wagnerianer werden die Musik
+zu dünn und zu wenig überwältigend finden. In der That ist Verdi bei
+dieser Composition ganz aus seiner Rolle gefallen. Der Componist des
+"Ernani", des "Trovatore" hat sich im Wagnerianismus versuchen wollen,
+aber nichts als zwangvolle Sätze sind entstanden, welche das Publicum
+kalt lassen.
+
+Die innere Einrichtung des Opernhauses ist reizend. Die Bühne ist
+verhältnißmäßig groß, ebenso der Orchesterraum. Links hat der Chedive
+eine Prosceniumsloge, die gleich hoch _allen_ Logenreihen ist, darunter
+eine kleine dicht am Orchester. Rechts ist die chedivische Haremsloge,
+durch ein so feines Eisengitter verschleiert, daß die Meisten glauben,
+dies weiße Gewebe seien Tüllgardinen, aber in der That besteht es aus
+dem feinsten Eisendraht. Daran schließen sich vier andere, ähnlich
+verschleierte Logen, für andere Haremsdamen hoher Würdenträger.
+
+Das Opernhaus hat vier Logenreihen übereinander. Im ersten Stock, also
+parallel mit den Logen ersten Ranges, befindet sich ein großes und
+fürstlich eingerichtetes Foyer, zugänglich für Jedermann. Daneben sind
+Restaurationslocale, die man übrigens auch unten findet.
+
+Zu der Zeit wurde das Opernhaus erheblich vergrößert, weil die damaligen
+Räume zur Aufbewahrung der Decorationen keineswegs genügten.
+
+Am folgenden Tage wurden wir um 10-1/2 Uhr zum Vicekönige befohlen; wir
+holten Herrn v. Jasmund ab. Der Vicekönig residirt in einem neuen Palais
+im neuen Stadttheile Ismaelia. Nach wenigen Vorstellungen, die zwischen
+Ali Pascha, dem Ceremonienmeister und dann einem Anderen, der der
+Großsiegelbewahrer ist, stattfanden, führte man uns die Treppe hinauf,
+wo wir oben vom Vicekönige empfangen wurden. Aus dem großen Saale führte
+er uns in ein kleines Zimmer. Die Unterhaltnng drehte sich natürlich nur
+um die Expedition. Zuerst aber, nachdem wir vorgestellt waren, hielt
+Herr v. Jasmund einen kleinen =speech=, worin er dem Vicekönige
+dankte für das, was er für die wissenschaftliche Expedition gethan. Dann
+erwiderte der Vicekönig, wie glücklich er sich schätze, mit solchen
+Leuten eine solche Expedition organisiren zu können, und dann stattete
+ich meine Grüße ab und dankte im Namen des Kaisers und Königs. Als ich
+dies sagte, erhob sich der Chedive von seinem Platze, aus Ehrfurcht vor
+dem Namen Sr. Majestät und Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen.
+
+Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte 3/4 Stunden) über
+die Expedition und hierbei beklagte sich der Vicekönig bitter über
+Bakers Expedition, der unnütz Menschenblut vergossen und für Abschaffung
+des Sclavenhandels nichts gethan habe. Diese vom Vicekönige gesprochenen
+Worte bekräftigten also in der That, daß Sir Samuel gar nichts erreicht
+hat, daß seine Expedition vielmehr nach der Aussage des Chedive nur
+unheilvoll wirkte. Ich begriff nun auch, warum die ägyptische Regierung
+meiner Expedition so wenig officiellen Charakter, wie möglich, geben
+wollte. Gegen Samuel Baker scheint der Chedive jedoch sich ganz anders
+geäußert zu haben; wenigstens lesen wir in Bakers "Ismailia", daß der
+Chedive seine Dienste durch die Verleihung des Osmanieh-Orden belohnte,
+und daß Baker selbst meint, sein fester Glaube auf die Unterstützung der
+Vorsehung sei nicht unbelohnt geblieben, also seine Aufgaben für gelöst
+hielt. Das kann ich bestätigen, daß der Chedive keineswegs gesonnen
+schien, die Baker'sche Expedition aufzugeben, sondern in Colonel Gordon
+einen würdigen Mann fand, der da wieder anknüpfte, wo Baker sein
+Unternehmen abgebrochen hatte.
+
+Der Vicekönig, 1830 geboren, also jetzt 45 Jahre alt, hat eine
+gedrungene Gestalt, ein sympathisches Gesicht, freundliche Augen, im
+Ganzen ein sehr intelligentes Aeußere. Jedenfalls, nach seiner
+Physiognomie zu schließen, ein Mann, der mehr liebt, das Gute zu thun,
+als das Böse.
+
+Als wir uns verabschiedet hatten, begab ich mich mit v. Jasmund nach
+seinem Hôtel, um noch einige Punkte wegen des Dampfers, der Kamele &c.
+zu präcisiren und zu Papier zu bringen.
+
+Darüber war es Mittag geworden. Nach Tische kam Jasmund, mich abzuholen
+zu einem Besuche bei Hussein Pascha, dem zweiten Sohne des Vicekönigs,
+der den öffentlichen Arbeiten vorsteht. Es handelte sich nämlich darum,
+die Papiere bezüglich des Nivellements der Eisenbahnstrecke von Siut zu
+bekommen, damit wir bei unserem Vorgehen von diesem Punkte eine
+bestimmte Basis hätten. Hussein wohnt auf der Kasbah und im selben
+Palais oder Harem, in welchem der große Mohammed Ali sein Leben
+ausgehaucht hat. Ein großartiges Gebäude von colossalen Dimensionen,
+dessen Bel-Etage ein immenses Kreuz bildet, derart, daß 1 das
+Audienzzimmer, 2 den Saal und 3, 3, 3 noch andere Zimmer umfassen. Wie
+im chedivischen Palaste, war auch hier Alles auf's Geschmachvollste,
+auf's Reichste und ohne Ueberladung decorirt. Aber die Kasbah hat nicht
+nur diesen einen Palast, sondern es ist dies ein Complex von Forts,
+Schlössern und Moscheen. Da ist z.B. das Palais, in dem der Vicekönig
+die Beiramsfestlichkeiten abhält, da ist vor Allem die ganz aus
+Alabaster, oder besser gesagt, aus ägyptischem Marmor erbaute Moschee
+Mehemed Ali's.
+
++---+---+---+
+| 1 | | 3 |
++---+ +---+
+| 2 |
++---+ +---+
+| 3 | | 3 |
++---+---+---+
+
+Mögen nun auch die Architekten sagen, was sie wollen, mögen sie
+behaupten, diese Bauten zeigen keinen bestimmten Stil, mögen sie
+glauben, die Minarets seien im Verhältnis zu ihrer bedeutenden Höhe zu
+dünn oder zu wenig umfangreich, es steht fest, daß gerade diese Moschee
+eine der Hauptzierden Kairos ist, daß man ohne sie sich Kairo nicht mehr
+vorstellen könnte. Und in ihren einzelnen Theilen wie im Ganzen kann man
+sie nur schön nennen, im Innern, wie im Aeußern. Nur der häßliche
+Uhrthurm auf der Westfaçade des Hofes, aus Holz erbaut, paßt nicht zum
+Ensemble. Wir besuchten natürlich auch das Innere, es wurden uns die
+obligaten Schuhe übergezogen, aber ich merkte einen Fortschritt, sie
+waren nicht wie früher aus Stroh, sondern aus Tuch und wurden
+festgebunden durch Bänder.
+
+Eine stark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt und gesagt, es sei
+das der Ort, wo eventuell der türkische Sultan seinen Sitz nähme; dies
+scheint mir problematisch, ich glaube vielmehr, es ist eine Einrichtung
+für den Harem.
+
+Nachdem wir dann die unvergleichlich schöne Aussicht von dem Punkte aus
+genossen hatten, wo beim Massacre der Mameluken einer derselben sich
+durch einen kühnen Sprung in die Tiefe gerettet haben soll, ein Punkt,
+von welchem aus man die Stadt, die Gräber der Chalifen, das rothe
+Gebirge (=Gebel ahmer=), das Mokhatan-Gebirge, die Pyramiden, den
+Nil, ein großes Stück des üppigen Nil-Delta und die unendliche Sahara
+überblickt, ein Punkt, von dem aus man das vollkommenste Bild über
+Aegypten gewinnt, wo man den Charakter dieses Landes mit einem Blick
+überschauen kann--nachdem wir dies in uns aufgenommen, stiegen wir zur
+Hassan-Moschee, am Fuße der Kasbah gelegen, hinab.
+
+Die Hassan- Moschee gilt überall als die schönste Moschee von Kairo und
+doch keineswegs mit Recht. Die Großartigkeit der Steinmauern bestreite
+ich nicht, aber die schon zugeschnittenen Quadern wurden von den
+Pyramiden entnommen. Die Zartheit, das Kühne des Tropfsteingewölbes, das
+Unglaubliche der Stalaktiten-Kuppeln gebe ich gern zu, aber das Material
+dazu ist von Holz, und mit Widerwillen fast wird man hier an das
+Vergängliche, an das Unsolide aller maurischen Bauten erinnert. Dazu
+kommt, daß diese Holz-Stalaktiten-Bauten derart vernachlässigt und
+zerfallen sind, daß alle Schönheit schon zu Grunde gegangen ist.
+
+Was aber für den mit der religiösen Geschichte der Mohammedaner
+Vertrauten ungleich mehr auffällt, ist der Grundriß der Moschee. Bis
+jetzt hat noch kein Architekt darauf aufmerksam gemacht. Im
+gewöhnlichen Stil besteht nämlich jede Moschee aus zwei Körpern: dem
+bedeckten, nach Osten gerichteten Theile, aus manchmal vielen
+Säulenhallen bestehend, und dem unbedeckten Hofe im Westen, beide in der
+Regel viereckig. Die Hassan-Moschee aber hat im Hofe als Grundriß ein
+vollkommenes _Kreuz_. Wenn man weiß, wie furchtbar der Moslim Alles
+haßt, was nur irgendwie an die Form des Kreuzes erinnert, so muß man
+sich wundern, daß dies hier so prägnant zum Ausdruck gekommen ist.
+Jedenfalls ist es unbewußt geschehen, denn der uns begleitende Priester
+gab mir den Schlüssel dazu folgendermaßen: Jeder der Kreuzflügel,
+welche, beiläufig gesagt, überwölbt sind, dient zur Aufnahme der
+Anhänger der vier rechtgläubigen Bekenner, so daß in dem einen die
+Malekiten, im anderen die Schaffeïten, im dritten die Hambaliten, im
+vierten die Hanesiten Platz finden. Sultan Hassan liegt in der Moschee
+begraben und rund um sein Grab sieht man die unvertilgbaren Spuren von
+Blutlachen, Zeugen der Ermordung von Mameluken, welche sich beim
+Massacre in die Moschee geflüchtet hatten.
+
+Hiernach begleiteten wir v. Jasmund nach Hause und fuhren, Zittel und
+ich, sodann zu Mariette Bei, dem Director des Bulac-Museums, fanden ihn
+aber nicht zu Hause. Das Museum konnten wir auch nur sehr flüchtig
+besehen, da es dunkel wurde.
+
+Nach dem Essen gingen die Anderen noch etwas spazieren, ich schrieb,
+machte auch einen Gang auf die Esbekieh und hiernach trafen Zittel und
+ich uns wieder im Nil-Hôtel. Wir saßen Abends noch lange im Mondschein,
+der Mond stand hoch, fast im Zenith über uns. Die blühenden, wie
+Heliotrop duftenden Akazien, die milden Lüfte, Alles war zauberisch
+schön. Solche duftende ruhige Nächte giebt es nur in Nordafrika, wo die
+Nächte Winters und Sommers sich fast stets durch absolute Windlosigkeit
+der Atmosphäre auszeichnen.
+
+Ein wichtiges Geschäft war dann noch abzuwickeln, nämlich gute Diener zu
+engagiren. Eine gewisse Erleichterung gewährte Kairo in sofern, als alle
+unbeschäftigten fremden Leute, alte und junge, in der Stadt einem Schich
+unterstehen, der, so lange sie in Kairo sind, für ihr Betragen der
+Polizei haftbar ist. Dieser Schich besorgte mir sodann Leute, so viel
+ich brauchte, und da außerdem die Polizei sich noch drein mischte,
+konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, gute und brave Leute
+engagirt zu haben. Gleich von vornherein kann ich dies auch hier
+bestätigen, denn im Ganzen hatten wir recht treue Diener; und wenn
+selbst der fromme Doctor der Theologie, welcher Prof. Ascherson's Diener
+war, diesen so unverschämt betrog, so folgte er wohl nur religiösen
+Motiven oder glaubte vielmehr seine Betrügereien durch den Mantel der
+Religion bedecken zu können. Ein alter Diener, den ich in Tripolis aus
+der Sclaverei befreit und über Cyrenaica und Siuah hierher gebracht
+hatte, fand mich hier wieder. Es war rührend, als er kam, mir die Hand
+küßte, weinte und mir das Certificat zurückstellte mit den Worten:
+"Jetzt brauche ich es nicht mehr, jetzt habe ich Dich wiedergefunden."
+
+Nachdem viele Einkäufe besorgt waren, gingen wir sodann zur Sitzung des
+=Institut d'Égypte=, wo man uns zu Ehren eine Versammlung anberaumt
+hatte. Da waren alle Notabilitäten der Wissenschaft Aegyptens
+vertreten. Mariette Bei, der berühmte Aegyptolog, präsidirte. Die
+Sitzung war in einem Saale des Ministeriums des Innern. Nach einer
+einleitenden Rede und nach Verlesung des =procès verbal= der
+letzten Verhandlung verlas ich eine Rede in französischer Sprache. Es
+war recht feierlich, v. Jasmund war auch da und Schweinfurth von
+Alexandrien herüber gekommen.
+
+Nach diesem kurzen Aufenthalte in Alexandrien und Kairo wurde Siut
+erreicht, von wo die eigentliche Expedition beginnen sollte. Aber gleich
+beim Beginne stellten sich die Schwierigkeiten bedeutend größer heraus,
+als man vermuthet hatte, denn es galt, die Kamele mit Futter zu beladen,
+da man sich Angesichts einer absolut vegetationslosen Wüste befand.
+Nachdem die Bohnen, welche zu einer Reise von zwanzig Tagen nothwendig
+wurden, an Ort und Stelle waren, traten wir am 18. December den Marsch
+in die Wüste an. Dieselbe offenbarte denn auch gleich an den ersten
+Tagen ihre ganzen Schrecken und Gefahren, denn man befand sich in der
+trostlosesten Einöde. Allerdings nicht so vegetationslos, daß nicht hier
+und da noch einige Kräuter gesproßt hätten, aber keineswegs so
+krautreich, daß man darin hätte Kamele weiden können.
+
+Nur dieser Theil der Sahara, die sogenannte Libysche Wüste, kennzeichnet
+sich durch eine so außerordentliche Armuth an Pflanzen, denn in der
+ganzen übrigen Sahara nehmen Karawanen nie Futter für die Kamele mit,
+sondern die Thiere begnügen sich mit dem, was sie unterwegs finden. Nur
+südlich von Tedjerri in Fessan hat man auch ein Terrain zu durchziehen,
+wo man für einige Tage Datteln als Kamelfutter mitzunehmen pflegt.
+
+Wir erreichten dann zunächst die kleine Oase Farafrah, keineswegs dem
+Nil zunächst gelegen, im Gegentheil, sie ist von Sinah am Nil die
+entfernteste. Aber ich hatte diesen Weg vorgezogen, weil er ein
+vollkommen neuer, _noch nie von Europäern begangener_ war. Das
+Erscheinen einer so großen Karavane, 100 Kamele und circa 80 Mann, rief
+natürlich die größte Angst, der alsbald das Staunen folgte, bei den
+Eingeborenen hervor, aber als sie schnell gewahr wurden, daß wir in
+friedlicher Absicht gekommen waren, etablirte sich ein leidliches
+Verhältniß zwischen uns, soweit der Fanatismus der Bewohner es
+gestattete.
+
+Sodann mußten wir nach einigen Tagen uns nach Dachel wenden, da wir in
+Farafrah weder für uns noch für unsere Kamele Vorräthe auftreiben
+konnten. Wir folgten derselben Route, welche vor uns Cailliaud gezogen
+war, und erreichten nach einer Woche diese freundlichste aller
+Uah-Oasen. Und so freundlich uns die Landschaft und der Hauptort Gasr
+entgegenlachten, so zuvorkommend wurden wir hier auch empfangen von der
+Behörde und der ganzen Bevölkerung. Erwähnen muß ich allerdings, daß die
+Farafrenser über unsere Ankunft noch nicht unterrichtet waren, als wir
+dort eintrafen, in Dachel hingegen die Behörde von Siut aus schon
+instruirt war, uns freundlich aufzunehmen.
+
+Aber auch hier in Dachel waren die Vorräthe nicht so reichlich, wie man
+uns es vorgespiegelt hatte, und ich war gezwungen, nach Siut
+zurückzusenden, um sechzig neue Kamelladungen Bohnen kommen zu lassen.
+Aber ehe dieselben eintrafen, vermochte ich Prof. Jordan, vorauszugehen.
+Freilich hatte er mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber als dann
+Zittel auch bald nachrücken konnte, wurde abermals weiter vorgegangen
+und die Expedition erreichte fast den 27° O.L. v. Gr. und blieb vor
+einer mächtigen, von Norden nach Süden streichenden Düne liegen. Hier
+fand ich dieselbe lagern, als ich selbst nach einiger Zeit dort eintraf.
+
+Eine Recognoscirung, die Zittel zu Fuße schon vorher gemacht hatte, eine
+andere, die ich selbst mit Prof. Jordan unternahm, stellte nun zur
+Evidenz heraus, daß an ein weiteres Vorgehen nach Westen nicht zu denken
+sei. Wir befanden uns Angesichts eines Sandmeeres, welches aus 100-150
+Meter hohen Sandketten mit steilen Böschungen bestand. Die Zwischenräume
+zwischen diesen Sandketten waren ebenfalls mit Sand bedeckt, zeigten
+_kein nacktes Gestein_. Es traten nun zwei entscheidende Gründe ein, die
+uns zwangen, von weiterem Vorgehen nach Westen abzustehen. Erstens waren
+es die hohen, von _Norden nach Süden_ ziehenden Dünen, welche zu _jeder
+Uebersteigung_ mehrere Stunden nöthig machten und wodurch wir sodann
+höchstens per Tag 20 Kilometer hätten vordringen können mit der
+_gewissen_ Aussicht, nach acht Tagen sämmtliche Kamele todt oder
+"=batal="[40] gehabt zu haben. Zweitens war es unmöglich, im
+Sandmeer Wegzeichen zu errichten; der geringste Samum würde sie umgeweht
+haben; mithin war eine weitere Depôtbildung, die unumgänglich
+nothwendig war, sowie eine constante Verbindung mit dem Hauptdepôt
+Dachel nicht zu ermöglichen.
+
+Sobald daher das Unausführbare, Kufra von Westen aus mit den uns zu
+Gebote stehenden Locomobilen zu erreichen, constatirt war, beschlossen
+wir, mit den Dünen nach Norden zu gehen, um womöglich einen Durchgang,
+ein Aufhören der Dünen zu finden oder Siuah zu erreichen. Die Dünen
+hörten nicht auf, wir waren während 14 Tagen stets zwischen hohen Ketten
+von Sandbergen und legten einen der sonderbarsten Märsche zurück, welche
+je in Afrika gemacht worden sind. _Ohne Führer_ waren wir, wie das
+Schiff auf dem Meere, nur dem Compaß vertrauend, angewiesen, der einmal
+angenommenen Richtung zu folgen. War diese falsch oder wären wir durch
+die öftere nothwendig werdende Uebersteigung der Dünen zu weit
+abgekommen, so mußte voraussichtlich Siuah verfehlt werden[41]. Oder
+wären wir von einem _mehrtägigen_ Samum überrascht worden, so wäre
+voraussichtlich unser Loos ein noch schlimmeres gewesen, indem wir nur
+für eine bestimmte Zahl von Tagen Wasser hatten. Ich konnte es überhaupt
+nur übernehmen, die Karavane nach Siuah zu führen, weil ich dort bekannt
+war und die Formation der Ufer und die Lage der Seen östlich und
+westlich von Siuah mir noch vor Augen stand. Ich brauchte deshalb nicht
+zu fürchten, falls ich zu weit westlich oder östlich herauskäme,
+unorientirt zu bleiben.
+
+Und glücklich erreichten wir denn auch die Oase des Jupiter Ammon, wo
+wir bei der Behörde den freundlichsten Empfang fanden. Schon nach
+wenigen Tagen brachen wir wieder auf, gingen bis Setra zusammen in
+östlicher Richtung und sodann trennten Zittel und ich uns von Jordan, um
+wiederum _ohne Führer und auf nie begangenem_ Wege direct nach Farafrah
+zu gehen, während Jordan mit einem in Siuah gemietheten Führer nach
+Uah-el-behari ging, um die auf den Karten verzeichneten Behar-bela-ma zu
+untersuchen.
+
+Farafrah wurde glücklich von uns erreicht, vonwo Zittel sogleich nach
+Dachel weiter ging, um unseren dortigen um uns in Sorge lebenden
+Gefährten die Nachricht unserer glücklichen Rückkehr zu übermitteln. Ich
+selbst blieb noch einen Tag länger in Farafrah und ging dann auf
+_neuem_, noch nie begangenem Wege nach Dachel, hauptsächlich um die
+Gebirgszüge zu durchschneiden, welche wir früher im Westen von unserem
+ersten Marsche von Farafrah nach Dachel erblickt hatten. In Dachel
+vereinten wir uns dann nach einigen Tagen zu gemeinsamem Vorgehen über
+Chargeh nach Esneh, welches wir am 1. April ohne Unfall erreichten.
+
+Ich komme nun auf die Resultate zu sprechen und hebe hervor, daß uns
+außer der allgemeinen Erforschung der Libyschen Wüste hauptsächlich zwei
+Punkte als beachtenswerth waren bezeichnet worden: die Untersuchung der
+verschiedenen Behar-bela-ma und die Depression der Libyschen Wüste.
+
+Ein Bahr-bela-ma von Dachel ausgehend und nordöstlich von Beharieh in
+das von Ost nach West gerichtete Bahr-bela-ma von Pacho und Belzoni
+mündend existirt nicht. Es breitet sich zwischen ihnen ein einzig
+Kalksteinplateau über 300 Meter hoch aus. In der Sitzung des =Institut
+Égyptien= hatte ich schon darauf aufmerksam gemacht, daß Bahr-bela-ma
+in der Sahara nichts ist, als das gleichbedeutende Wort Wadi, das
+hundertmal vorkommt. Wenn es sich aber durch die geographischen
+Verhältnisse bestimmt erweisen läßt, daß ein Bahr-bela-ma als eine
+Längseinsenkung nicht existirt, so ist andererseits durch die
+geologische Untersuchung des Bodens auf das Schlagendste nachgewiesen,
+daß der Nil nie in dieser Richtung hat fließen können. Nirgends wurden
+von unserer Expedition fluviatile Niederschläge, sondern überall nur
+maritime Bildungen constatirt. Das Bahr-bela-ma als ein continuirliches
+Thal, oder gar als ein westliches Flußbett des Nil muß daher definitiv
+aus der Welt geschafft und von den Karten gestrichen werden.
+
+Die zweite zu lösende Aufgabe betraf die Depressionsfrage, ob nämlich
+die von mir 1869 entdeckte Depression sich über die ganze Libysche Wüste
+erstreckt, oder vielmehr von dem Libyschen Küstenplateau (diesen
+Ausdruck möchte ich vorschlagen für den jetzt gebräuchlichen "Libysches
+Wüstenplateau") sich bedeutend nach Süden zu ausdehnt. Hierin lag
+zugleich die Aufgabe einer Erforschung der ganzen Libyschen Wüste; denn
+als Endziel war die Erreichung der Oase Kufra in Aussicht genommen.
+
+Gleich beim Verlassen der Oase Dachel konnten wir eine merkliche
+Steigerung beobachten, wie ja überhaupt, mit Ausnahme von Siuah, alle
+Uah-Oasen höher als der Ocean gelegen sind und nur relativ Depressionen
+bilden. In Regenfeld waren wir schon über 300 M. gestiegen, und als wir
+dann nach Nord einige Grade zu West den Weg fortsetzten, fanden wir zwar
+eine allmälige Absenkung aber erst in Siuah konnten wir eine eigentliche
+absolute Depression constatiren. Die Producte des Meeres, die hier
+gefunden wurden, die Abwesenheit von Süßwasserbildungen oder gar von
+Nilschlamm schließen aber auch hier jeden Gedanken aus, daß der Nil sich
+durch diese Depression in die Syrte ergossen habe.
+
+Unser Vormarsch in Regenfeld war verhindert worden durch hohe Sanddünen,
+welche von NNW. zu SSO. Richtung hatten und 100-150 M. hoch waren. Ein
+Vormarsch in westlicher Richtung war somit unmöglich geworden, theils
+wegen der Kamele und theils weil aus Mangel an Wegweisern keine
+Depositorien mehr angelegt werden konnten. Denn zwischen den Dünen war
+nicht etwa bloses Gestein, sondern tiefer Sand, welcher das Errichten
+von Wegzeichen unmöglich machte. Wir hatten also Ein einziges Sandmeer
+vor uns, nur unterbrochen durch 1--1-1/2 Kilometer auseinanderstehende
+Sandketten.
+
+Die Sanddünen sind Meeresprodukt; ihre Formenveränderungen sind im
+Allgemeinen constant. Daß die Winde, die hier meist von NNW. nach SSO.
+wehen, während der Chamsin gleiche Richtung, aber aus entgegengesetztem
+Pole hat, sie verursachen, glaube ich nicht; denn dann müßten sie in der
+Grundform in der dem Winde entgegengesetzten Richtung laufen, sie
+verlaufen aber mit dem Winde.
+
+Was die Wärmeverhältnisse anbetrifft, so hatten wir diesmal sehr geringe
+Schwankungen. Während auf früheren Reisen in der Wüste im Winter eine
+Differenz von 30º beobachtet wurde, hatten wir diesmal im Februar,
+welcher sich als der kälteste Monat herausstellte, einen Unterschied,
+der bedeutend geringer war, wenig mehr als die Hälfte. Eine mittlere
+Zahl kann ich noch nicht aus meinen viermal täglich angestellten
+Beobachtungen geben. Aber im Februar hatten wir sieben Tage, wo das
+Thermometer unter Null war, und am 16. zeigte das Thermometer sogar -5°.
+Die größte Wärme, welche im Februar beobachtet wurde, betrug nicht mehr
+als 24° und dies nur an zwei Tagen. Auffallend war die Erscheinung eines
+dreitägigen Regens in der Libyschen Wüste, und zwar erstreckte sich
+dieser Regenfall über ein ziemlich großes Terrain: denn in Dachel und
+Farafrah hatte es an denselben Tagen auch geregnet, während man aber in
+dem dem Mittelmeere näher gelegenen Siuah keinen feuchten Niederschlag
+gehabt hatte. So war denn auch der Feuchtigkeitsgehalt der Wüste ein
+ungemein bedeutender und nur, wenn Südwind eintrat, zeigte sich
+plötzlich eine auffallende Trockenheit in der Atmosphäre. Leider mußten
+Untersuchungen über den Electricitätgehalt der Luft ausgesetzt werden,
+weil die magnetische Nadel des mitgenommenen Electrometers sich als zu
+schwach erwies; sie reagirte gar nicht. Aeußerst interessant waren die
+Untersuchungen über Ozongehalt, wie man sich aus den demnächst zur
+Veröffentlichung kommenden Beobachtungen Zittels wird überzeugen können.
+Je offener der Himmel war, und je entfernter wir von bewohnten Plätzen
+waren, desto mehr Ozon wurde bemerkt. Bei herrschendem Samum war äußerst
+wenig Ozon vorhanden.
+
+Ich unterlasse es hier, ausführlich über die von uns angetroffenen
+Völker in den Oasen zu reden. Bekannt ist, daß die Bevölkerung von Siuah
+berberischer Herkunft ist. In Uah-el-Beharieh, Farafrah und Dachel ist
+zweifelsohne die Abstammung der Bewohner dieselbe, wie die der Fellahin
+im Nilthale; doch haben sich in Uah-el-Beharieh und Dachel einzelne
+Araber früher seßhaft gemacht. Hervorheben müßte ich noch, daß es Prof.
+Ascherson gelungen ist, nachzuweisen, daß nicht Farafrah die Oase
+Trinythis der Alten ist, sondern daß dieser Name mit der =Oasis
+magna= in Verbindung gebracht werden muß.
+
+Was die archäologischen Ergebnisse anbetrifft, so beruhen dieselben auf
+genauen photographischen Bildern, welche die Expedition von den Tempeln
+in Chargeh und Dachel gemacht hat. Zu diesem Behufe mußte der Tempel in
+Dachel erst ganz vom Schutte und Sand ausgeräumt und zum Theil 50
+Centner schwere Blöcke entfernt werden. Prof. Ebers in Leipzig, der die
+Güte hatte, die Bilder durchzusehen, hat auf den Tempelwänden von Dachel
+den Namen des Kaisers Vespasian gelesen und der berühmte Aegyptologe ist
+der Ansicht, daß die feineren Skulpturen von allgemeinen Künstlern
+hergestellt seien, während die gröberen von Dachelaner Steinhauern
+selbst ausgeführt worden wären. Viel ergiebiger und interessanter
+zeigten sich die Inschriften des Tempels von Chargeh. Wir sehen dort den
+opfernden König Darius, dem Ammon Libationen und Rauchopfer anbietend.
+Darius wird als Liebling des Ammon von "Heb" (dies der alte Name für
+Chargeh) bezeichnet, auch ein bisher Ebers unbekannter Vorname des
+Darius, "Basetut", ist angeführt. Nach Ebers wurde der Tempel von
+Chargeh erst nach dem Tode Darius vollendet; daher die vielen leeren
+Königsschilder, welche ursprünglich für den Namen des Darius bestimmt
+waren. Die sehr interessanten Inschriften, schrieb mir Ebers, beweisen,
+daß das ganze ägyptische Pantheon, Ammon an der Spitze, in der Oase
+verehrt wurde, daß dort eine ägyptische Priesterschaft mit reichlicher
+Versorgung dem Cultus vorstand, daß Chargeh Heb hieß, daß Darius als
+König Aegypten und wahrscheinlich auch die Oasen besucht hat. Daß auf
+einer der Platten, welche in Kairo Brugsch vorgelegt wurde, dieser
+Gelehrte den alten Namen der Hauptstadt der Oase Dachel als "Mondstadt"
+bezeichnet fand, glaube ich schon mitgetheilt zu haben.
+
+In Betreff der Ausbeute der mich begleitenden Fachgelehrten kann ich
+noch nichts Detaillirtes mittheilen. Indeß gereicht es mir zur Freude,
+sagen zu können, daß die botanischen Ergebnisse des Prof. Ascherson
+keineswegs so gering gewesen ist, wie wir fürchteten. Gab es auch
+manchmal ganz vegetationslose Strecken, so boten aber gerade die Oasen
+in der Zeit, als wir dort waren, ein um so reicheres Pflanzenleben.
+Prof. Jordan hat alle wichtigen Punkte astronomisch bestimmt. Täglich
+wurden Breitenbestimmungen gemacht und die Declination der Magnetnadel
+notirt. Und was Zittel anbetrifft, so sind dessen Funde in
+paläontologischer Beziehung wahrhaft überraschend gewesen. Der Wahn der
+einförmigen Numinulitenformation, welche man früher für die ganze
+Libysche Wüste annahm, ist somit gründlich zerstört.
+
+Dies die wissenschaftlichen Resultate der Expedition. Praktische hat
+dieselbe keine aufzuweisen, wenn nicht das bewiesen wäre, daß der
+Europäer in Afrika auch ohne Führer reisen kann, daß durch Mitnahme von
+eisernen Wasserbehältern man in der Wüste nicht blos Wege, wo Brunnen
+oder Wasserlöcher sind, zu nehmen braucht, sondern monatelang ohne
+solche existieren kann. Selbst die ausgedehnten Eisensrunde werden nie
+zu verwerthen sein, weil es in der Libyschen Wüste an zwei Bedingungen,
+sie zu verarbeiten, fehlt: Kohlen und Wasser. Aber praktische Resultate
+hat die Expedition auch nie erzielen wollen, und obschon dieselbe Kufra
+aus unüberwindlichen Hindernissen nicht erreichen konnte, wird nicht
+bestritten werden können, daß sie der Hauptsache nach ihre Aufgaben
+gelöst und auf alle Fälle in Anstrebung des vorgesteckten Zieles ihre
+Pflicht gethan hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 28: Noël ist der junge stattliche Afrikaner, welcher in Folge
+der Bestimmung Sr. Maj. des Kaisers von Deutschland in Lichtenfelde bei
+Berlin eine deutschen Begriffen entsprechende Bildung genoß, nun aber,
+da ihm das nördliche Klima nicht bekam, auf Befehl des Kaisers mit nach
+Aegypten ging, um dort noch eine weitere Ausbildung zu erhalten.]
+
+[Footnote 29: Centralafrikanischer Volksstamm.]
+
+[Footnote 30: Mandara ist eine Landschaft in Nordafrika, welche von
+einem eigenthümlichen Negervolke von übrigens ausgezeichneter
+Körperbildung bewohnt wird.]
+
+[Footnote 31: Das ist eines jener Thränengläser, die sich oft in Gräbern
+der Alten bei Todtenurnen finden und worin angeblich die Hinterbliebenen
+den Verstorbenen ihre Thränen mitgaben.]
+
+[Footnote 32: Buch VI, S.10, deutsche Uebersetzung von Penzel.]
+
+[Footnote 33: Den Schmutz der internationalen Waggons verdamme ich
+trotzdem.]
+
+[Footnote 34: Mein deutscher Diener.]
+
+[Footnote 35: Herrn Remelé's Diener.]
+
+[Footnote 36: Der Astronom der Expedition.]
+
+[Footnote 37: Photograph.]
+
+[Footnote 38: Archäeolog und Geodät.]
+
+[Footnote 39: Schweinfurth reiste im selben Winter nach Chargeh, aber
+unabhaengig von der Expedition.]
+
+[Footnote 40: =Batal= = tragunfähig.]
+
+[Footnote 41: Eine Breitenbeobachtung konnte Jordan freilich Abends
+machen, aber zu einer Längen-Nahme fehlte die Zeit.]
+
+
+
+
+9. Das jetzige Alexandrien.
+
+
+Mehr als zweiundzwanzig Hundert Jahre steht die Stadt, welche den Namen
+des großen Mannes trägt, der nach Aegypten gekommen war, um im
+weltberühmten Orakelheiligthum des Ammonium die Frage zu stellen, ob er
+wirklich ein Sohn des Zeus sei. Gewaltig sind die Stürme der
+menschlichen Geschichte über die Stadt dahingebraust, welche einst der
+Glanzpunkt der Welt in wissenschaftlicher und commerzieller Beziehung
+war. Alexandrien, die Stadt des Museum und Serapeum, war aber trotz
+seiner Weltlage im Jahre 1790 so herabgekommen, daß, als die Franzosen
+unter Bonaparte landeten, es nur mehr circa 6000 Einwohner hatte. Es
+gehörte aber auch die ganze Wirtschaft knechtischer Beys dazu, um ein
+Land und die Städte so ruiniren zu können, wie wir Aegypten und seine
+Oerter am Anfang dieses Jahrhunderts sehen. Verwundert fragt man sich:
+wie war es möglich, daß eine Stadt, so ungemein günstig gelegen, so tief
+hatte sinken können?
+
+In der That hat Alexandrien, wie keine andere Stadt am Mittelmeere, eine
+vorteilhafte Lage. Wegen des ausgezeichneten Hafens braucht es nicht zu
+befürchten, von Port Said, das allerdings an der Mündung des Kanals von
+Suez liegt, überflügelt zu werden, und mittelst der Eisenbahnen und
+Dampfschiffe auf den Kanälen ist es ohnedieß mit dem großen Kanal in
+intimster Beziehung. Alexandrien liegt an einer der größten
+Verkehrsadern unserer Zeit, einer Verkehrsstraße, welche voraussichtlich
+immer als eine der am lebhaftesten pulsirenden Handelswege fortbestehen
+wird. Aber nicht allein das ist es, gleichsam als Etape zwischen
+Ostindien und Oceanien einerseits und Europa andererseits zu dienen; die
+Stadt Alexander des Großen liegt an der Mündung des einzigen schiffbaren
+Flusses von Nordafrika, welcher mit seiner mächtigen Verästelung ein
+ungeheures Gebiet beherrscht. Welche Zukunft erschließt sich der Stadt,
+wenn die Producte aus Centralafrika nilabwärts ihr zugeführt werden.
+Denn jetzt vermittelt der Nil blos Das, was an Erzeugnissen längs seines
+300 Meilen langen Stammes producirt wird. Welche Zukunft wird aber
+Alexandrien haben, wenn die Felsen der Katarakte gesprengt und man mit
+Dampfschiffen direct vom Mittelmeere bis zu den See'n Innerafrikas, den
+großen Wasserreservoirs des Nils, wird fahren können!
+
+Aber wenn man auch Alexandrien ein immer mehr günstig sich gestaltendes
+Prognostikon stellen kann, so hat die Stadt keineswegs Ursache, mit
+ihrer heutigen Entwickelung unzufrieden zu sein. Es ist der Großvater
+des jetzigen Chedive, Mohammed Ali, dem die Stadt ihren jetzigen
+Aufschwung verdankt. Dadurch, daß er der Stadt den Kanal herstellte,
+wurde ihr nicht nur gutes Trinkwasser, sondern auch ein leichter
+Verkehrsweg mit dem Innern geschaffen. Mohammed Ali war auch der Erste,
+welcher den Schiffen der christlichen Nationen den Eingang in den alten
+Hafen eröffnete; bis vor seiner Regierung mußten sie den neuen, wenig
+sicheren Hafen benutzen.
+
+Alexandrien mit etwa 200,000 Einwohnern zerfällt in zwei Stadttheile,
+von denen der eine von der europäischen Bevölkerung der andere von den
+Eingeborenen bewohnt wird. Der arabische[42] Stadttheil ist im
+Nordwesten und Westen gelegen; die Straßen sind eng, unregelmäßig, im
+Sommer staubig, im Winter mit undurchdringlichem Schmutz erfüllt; die
+Häuser sind meist einstöckig und höchst launenhaft gebaut. Hier steht
+eins mit halber Front, diagonalartig zur Straße, dort hängt eins mit dem
+oberen Stockwerk über; hier ist eins in die Straße selbst hineingebaut,
+dort ist eins, welches einen weiten Hof vor sich hat. Fenster sind
+spärlich vorhanden, namentlich im Erdgeschosse; ist eine Bel-Etage
+vorhanden, so findet man häufig sehr viele, mit feinem Holzgitter
+verschlossene Fenster. Sehr praktisch ist der zickzackartige Bau des
+oberen Geschosses, der Art, daß regelmäßig vorspringende Winkel, mit
+Fenstern versehen, angelegt sind. Alte Gebäude findet man in der
+Alexandrinischen Araberstadt fast gar nicht, so daß sie keineswegs ein
+interessantes Aussehen hat, sich höchstens gut bei Mondscheinbeleuchtung
+ausnimmt. So durchzogen wir sie denn auch eines Abends, ehe wir die
+libysche Expedition antraten, und besuchten sodann ein Kaffeehaus der
+Eingeborenen, um eine Mokka zu schlürfen und einen Tschibuk zu saugen.
+Aber auch hier fängt die Civilisation an, mit mächtiger Gewalt
+einzudringen. Im ganzen arabischen Viertel ist jetzt Gasbeleuchtung. Wie
+lange wird es dauern und die Straßen werden gepflastert, sie werden
+gerade gemacht, besprengt, mit schattigen Bäumen bepflanzt und statt der
+kleinen Gewölbe und Boutiken mit prächtigen Verkaufsläden geschmückt
+werden. Das Letztere wäre namentlich wünschenswert; denn gezwungen durch
+die Kleinheit ihrer Verkaufsbuden, rücken die Kaufleute ihre Waaren weit
+in die Straßen hinein, verengern so die Passage und füllen die Luft mit
+den sich mischenden Gerüchen gekochter Speisen, frischen Gemüsen, rohen
+Fleisches, kurz aller Gegenstände, die sie feil haben.
+
+Das muselmännische Alexandrien hat hundert Moscheen, von denen jedoch
+keine einzige ausgezeichnet und berühmt ist, verschiedene Sauya[43] und
+Medressen[44] und eine Menge Funduks und Karawanseraien, um Menschen und
+Thiere zu beherbergen. Es versteht sich von selbst, daß in diesen
+Funduks nur die Eingeborenen logiren. Die Bevölkerung des arabischen
+Theiles von Alexandrien beträgt etwa 100,000 Einwohner, also die Hälfte
+der Gesammtbevölkerung.
+
+Ganz anders erscheint das europäische Quartier, welches, wie aus dem
+früher Gesagten hervorgeht, eine eigentliche Schöpfung der Neuzeit ist.
+Breite und gerade Straßen, zum Theil mit schönen Baumreihen bestanden,
+hier und da ein reizender Platz mit immergrünen Pflanzen und duftigen
+Blumen, an den Seiten prächtige, mehrstöckige Häuser, massive Bauten
+mit den elegantesten Läden, herrliches Pflaster (die Steine dazu hat
+man von Triest kommen lassen, _jedes Stück_ hat circa 5 Francs gekostet
+bei einer Größe von 15 Zentimeter quadratischer Oberfläche auf 20
+Centimeter Tiefe), mit schönem Trottoir für Fußgänger, machen das
+europäische Alexandrien zu einer der schönsten Städte am Mittelmeere.
+Dazu kommt eine ausreichende Gasbeleuchtung und eine künstliche
+Wasseranstalt (auch die arabische Stadt wird mit Wasser aus derselben
+versorgt), welche bei Moharrem-Bai Nilwasser in ein Reservoir pumpt, aus
+der die ganze Stadt mit dem besten Trinkwasser der Welt versorgt
+wird[45]. Der mittlere Verbrauch von Wasser beläuft sich auf 8000
+kubische Meter täglich.
+
+Auf dem Platze Mohammed Ali's, auch =Place des consuls= genannt,
+concentrirt sich am meisten das europäische Leben; hier sieht man die
+glänzendsten Läden, hier ist das französische Generalconsulat, das
+Stadthaus, mehrere große Hotels und seit zwei Jahren--Allah und Mohammed
+verzeihe dem Chedive und seinen Räthen diese christliche oder vielmehr
+heidnische Ketzerei--erhebt sich inmitten der breiten Allee die über
+lebensgroße Statue des Begründers der jetzigen Dynastie. Die Statue
+Mohammed Alis ist aus Bronce und im Ganzen 11,50 Meter hoch, wovon 6,50
+Meter auf das aus toscanischem Marmor gemeißelte Piedestal kommen,
+während die Reiterstatue selbst 5 Meter hoch ist. Die Statue ist von
+prachtvoller Wirkung. Mohammed Ali in orientalischer Tracht, den Kopf
+beturbant, sitzt in gebietender Stellung zu Roß, seinem energischen
+Gesichtsausdruck sieht man es an, daß er der Mann ist, welcher das
+türkische Joch abschüttelte, der, hätten nicht die Großmächte ihr Veto
+dazwischen gerufen, sein Schwert bis nach Stambul selbst hineingetragen
+haben würde. Furchtsam umstehen die Fellahin das Denkmal, fromme Flüche
+und Verwünschungen murmelt der scheinheilige Taleb oder Faki beim
+Anblick dieses gewaltigen Mannes; am liebsten würde er gleich das "Bild"
+vernichten. Aber der Preis und die Belohnung, welche er sich dafür im
+Paradies unfehlbar erwerben würde, scheint doch nicht so sicher zu sein,
+als die irdische Strafe, welche einem solchen Versuche auf der Stelle
+folgen würde. Ismael, der jetzige Regent von Aegypten, kennt seine
+Leute, er weiß, was er ihnen bieten kann und er weiß, daß der
+einigermaßen denkende Mohammedaner heute der irdischen Belohnung und der
+irdischen Strafe vor den unsicheren zukünftigen Versprechungen oder den
+jenseitigen Qualen den Vorzug giebt. =Tout comme chez nous=. Wer
+fürchtet sich heute bei uns vor den Flammen der Hölle und vor der
+Aussicht, Milliarden von Jahren dem Allerhöchsten ein Hallelujah zu
+singen!--Aber das irdische Gesetz und das eigne Pflichtgefühl, die Liebe
+zum Guten und Schönen, der Haß des Bösen und Häßlichen, welche uns
+_jetzt_ schon erblich, möchte ich sagen, überliefert werden, das sind
+heute die großen Triebfedern, welche die menschliche Ordnung und
+Gesellschaft zusammenhalten müssen.
+
+Daß für die religiösen Bedürfnisse der Europäer reichlich gesorgt ist,
+versteht sich von selbst in einer orientalischen Stadt, wo die meisten
+Europäer Katholiken sind oder der griechischen Kirche angehören. Es
+giebt 3 katholische Kirchen, 4 für den griechischen Ritus, 3
+protestantische, 1 koptische und 1 maronitische Kirche. Die Juden haben
+3 Synagogen. Daß Mönche und Klöster nicht fehlen in einer so großen
+Stadt am Mittelmeere, der Geburtsstätte so vieler Religionen, braucht
+wohl kaum gesagt zu werden. Der koptische Patriarch residirt auch in der
+Regel in Alexandrien.--An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt die Stadt 4
+Hospitäler, das für Militär und Civilpersonen eingerichtete
+Gouvernementshospital, das allgemeine europäische Hospital, das
+Diaconissenhospital und ein griechisches. Von den barmherzigen
+Schwestern wird auch ein Findlinghaus geleitet.--Die Schulen sind alle
+in den Händen der Geistlichkeit, aber es dürfte, seit Herr Dor, ein
+Schweizer, die Leitung des Unterrichts in Aegypten übernommen hat, bald
+eine günstige Veränderung eintreten; auch eine deutsche Schule ist unter
+den Auspicien des deutschen Generalconsulats gegründet worden. Von den
+übrigen europäischen Schulen nenne ich das Institut der Lazaristen
+(=collège des Lazaristes=), ähnlich eingerichtet, wie ein
+französisches Lyceum: man unterrichtet in französischer Sprache
+Lateinisch und Griechisch. Das Arabische, Neugriechische, Italienische
+ist facultativ. Englisch und Zeichnen und Musikunterricht werden
+besonders bezahlt, der Pensionpreis beträgt 1000 Francs jährlich. Die 12
+Lehrer sind sämmtlich Geistliche. Die Schule wurde 1873 von 60 Schülern
+besucht. Das italienische Lyceum steht unter italienischer
+Regierungscontrole; die Zahl der Schüler betrug 255 im selben Jahre. Die
+Schule der schottischen Kirche, die der apostolischen Amerikaner, die
+der Griechen, die allgemeine, unter dem Protectorat des ägyptischen
+Erbprinzen stehende Schule mit unentgeltlichem Unterricht sind alle mehr
+oder weniger stark frequentirt. Auch die Juden haben eine von etwa 120
+Schülern besuchte Anstalt. Außerdem giebt es 6 Mädchenschulen. Sowohl
+von den Kirchen, wie auch von den Schulen haben mehrere ein monumentales
+Aeußere.
+
+Die Vereinigung der ersten Gelehrten, welche jedoch kein eignes Gebäude
+besitzen, ich meine =l'Institut Égyptien= ist seit Anfang dieses
+Jahres nach Kairo verlegt worden. Es giebt sodann viele
+Wohlthätigkeitsvereine und auch gesellige; von den letzteren sind die
+bedeutendsten der Börsencirkel, der philharmonische Gesellschaftskreis,
+vorwiegend aus Franzosen bestehend, und der Club der Deutschen. Für das
+geistige Leben ist durch eine öffentliche Bibliothek und durch das
+Erscheinen von 9 Zeitungen gesorgt, von denen 3 in italienischer, 1 in
+englischer, 2 in griechischer und die übrigen in französischer Sprache
+erscheinen.
+
+Im hübsch gelegenen und elegant erbauten Siziniatheater werden
+italienische Opern aufgeführt, außerdem giebt es noch ein kleines
+Theater, Namens Alsieri. Erwähnen wir schließlich noch, daß
+französische, englische, italienische und griechische Freimaurerlogen in
+Alexandrien sind, im Ganzen 8, an der Zahl, so glauben wir aller
+Anstalten Erwähnung gethan zu haben. Nur möchte ich für etwaige nach
+Aegypten Reisende hervorheben, daß es dort eine Reihe guter Hôtels
+giebt, von denen 2 ersten Ranges, daß Kaffeehäuser und Restaurationen in
+großer Anzahl vorhanden sind, ja daß es sogar viele deutsche Bierstuben
+giebt, wo Wiener Bier verzapft wird. In der Stadt Alexander des Großen,
+des Ptolemäus Philadelphus, deutsches Bier von deutschen Jungfrauen
+geschenkt! In der Stadt des Pompejus, der Cleopatra Gas- und
+Dampffabriken! Welche Gegensätze und doch so groß nicht, wie man denkt!
+Denn in der Stadt, wo das weltberühmte Museum mit 700,000 Büchern oder
+vielmehr Schriftrollen war und die im Serapeum eine zweite Bibliothek
+mit 200,000 Bänden besaß und deren Straßen eben so wohl und gerade
+angelegt waren, wie jetzt die des europäischen Viertels[46], in der zur
+Zeit, als die Römer die Herrschaft antraten, nach Diodorus Siculus fast
+eine Million Einwohner sich befanden, soll die Zukunft erst wieder eine
+gleiche Blüthe und Bevölkerung hervorbringen, wie wir solche zu Zeiten
+der Ptolemäer dort vorfanden.
+
+Von den 200,000 Einwohnern kommen auf die europäische Bevölkerung von
+Alexandrien circa 100,000 Seelen[47] und sind dahin auch die Türken und
+ihre Descendenz zu rechnen, mit einem ziemlich zahlreichen Contingent.
+Sie bewohnen die Halbinsel, welche, ehedem als selbe nur durch einen
+steinernen Damm mit dem Festlande verbunden war, Insel Pharos hieß. Die
+Straßen dieses Viertels sind auch ziemlich breit und gerade, und besser
+im Stande gehalten als im arabischen Viertel. Hier wohnen die Paschas,
+Beys, Effendis und hohen Würdenträger des Königreichs. An der
+westlichen, äußersten Spitze des Vorgebirges =Ras es Tin= oder
+Feigenvorgebirge genannt, ließ Mohammed Ali ein nach dem Plane des
+Serail in Konstantinopel erbautes Schloß errichten. Dasselbe wird noch
+von dem Vicekönig benutzt; auch Harem und Dienstzimmer für die Minister
+befinden sich in demselben. Das Harem steht ganz isolirt inmitten des
+schönen Gartens. Dicht daneben ist auch das Arsenal.
+
+Der alte Hafen von Alexandrien hat seit 1870 eine vollkommene Umwandlung
+erlitten, indem die großartigsten Molenbauten[48] ganz neue Bassins
+schufen. Im Jahre 1876 wird Alexandrien ein äußeres Hafenbecken besitzen
+mit einer Oberfläche von 350 Hektaren und einer Tiefe von wenigstens 10
+Meter. Dieser Vorhafen wird nach der offenen Seite durch einen
+Wellenbrecher geschützt sein, welcher 2340 Meter lang und 8 Meter hoch
+sein soll. Die Blöcke dazu werden zum Theil künstlich hergestellt und
+werden 20,000 benöthigt, jeder 10 Kubikmeter groß und 20 Tonnen[49]
+wiegend. Dieser Wogenbrecher hat zwei Eingänge, einer zwischen dem
+Nordende und =Ras el Tin=, 600 Meter breit, für kleinere Schiffe,
+ein anderer am südlichen Ende, 800 Meter breit, für große Fahrzeuge.
+
+Das innere Hafenbecken wird 72 Hektaren Oberfläche haben und wenigstens
+8,50 Meter tief sein. Auch dieser Hafen wird durch besondere Molen
+geschützt sein und hydraulische Kräne zur Leichterung der Schiffe
+erhalten. Die jährliche Schiffsbewegung beläuft sich jetzt auf circa
+3000 einkommende und ebenso viel ausfahrende Schiffe mit einem Gehalt
+von circa 1,500,000 Tonnen.
+
+Der "Guide" von François Levernay, dem wir die Zahlen für diesen Aufsatz
+entnommen, giebt die mittlere Jahrestemperatur von Alexandrien zu +20º
+C. an, mit einem Maximum von 27º und einem Minimum von 7º. Ich glaube,
+sorgfältiger angestellte Beobachtungen würden eine um einige Grad
+wärmere Temperatur ergeben. In Alexandrien ist noch nie Frost beobachtet
+worden; in der Libyschen Wüste, obschon sich dieselbe bedeutend weiter
+nach Süden erstreckt, fällt das Thermometer jeden Winter unter Null. Der
+kälteste Monat in Alexandrien ist der Januar, Juli und August sind die
+heißeste Zeit. Der Nord und Nord-Nord-West-Wind sind, wie in ganz
+Unterägypten, die vorherrschenden, erst Ende April und im Mai weht der
+Chamsin (d.h. der während 50 Tagen wehende Süd-Süd-Ost-Wind) und bringt
+oft eine unerträgliche Hitze, die jedoch nur während des Windes selbst
+anhält. Während des Chamsin ist selbst am Meeresstrande die Luft kaum
+mit Feuchtigkeit geschwängert, während der übrigen Monate ist aber
+gerade in Alexandrien ein ungemein hoher Feuchtigkeitsgehalt, was den
+Aufenthalt in den Spätsommerwochen so unangenehm macht. Die Quantität
+des Regenfalls variirt zwischen 100 und 335 Mm. jährlich; doch macht man
+auch hier die Wahrnehmung, daß mit der steigenden Baumcultur auch die
+Menge des Regenfalles sich jährlich in Alexandrien vermehrt. Stürme sind
+in Alexandrien selten, Hagel fällt durchschnittlich ein- oder zweimal
+des Jahres, im März oder April; Nebel, aber von kurzer Dauer, treten im
+März, November und December auf.
+
+Wie der Chedive, der Hof und die ganze Regierung im Sommer von Kairo
+nach Alexandrien übersiedeln, der frischen Meeresbrisen wegen, so
+folgen auch die meisten Europäer diesem Beispiel. Aber sie wohnen dann
+weniger in Alexandrien selbst, als im nahe gelegenen Ramleh, einem Orte,
+welcher vor wenigen Jahren seinen Namen (Sand) noch verdiente, jetzt
+aber ein reizender Villencomplex geworden ist. Ramleh hat im Sommer
+6500, im Winter 3200 Einwohner und man findet dort alle Annehmlichkeiten
+einer Villegiatur. Griechische, französische und italienische Schulen,
+Schauspiele, Restaurants und ein Hôtel deutet darauf hin, daß Ramleh
+binnen Kurzem das Scheveningen Alexandriens sein wird.
+
+Aber auch an reizenden Spaziergängen fehlt es den Alexandrinern nicht.
+Längs des Mahmudie-Kanals findet man an den Seiten schattiger Alleen die
+herrlichsten Gärten und darin versteckt die geschmackvollsten Villen.
+Keine herrlichere Spazierfahrt kann man sich denken, als längs dieses
+von Hunderten von größeren und kleineren Schiffen, sowie von eleganten
+Dahabien belebten Kanals. Auch der öffentliche Garten ist hier gelegen,
+wo tägliche Militärmusik die elegante Welt anzieht. Wenn man Abends die
+Hunderte von feinen Landauern mit den schönen griechischen Damen in
+elegantester Toilette daherfahren sieht, dann glaubt man nicht in Afrika
+zu sein, sondern man denkt unwillkürlich an die wagenbelebte Chiaja in
+Neapel. Aber es ist Alles erst im Werden, denn mit Sicherheit fast läßt
+sich voraussagen, daß Alexandrien wieder werden wird, was es war, ein
+Emporium für den Welthandel, die bedeutendste Handelsstadt des
+Mittelmeeres.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 42: Wenn ich "arabisch" sage, so ist damit die eingeborne
+Bevölkerung von Aegypten gemeint, welche aber keineswegs arabisch ist.
+Ich folge in dieser Bezeichnung nur einen angenommenen Gebrauche.]
+
+[Footnote 43: Sauha ist Kloster, Hochschule und Asyl; letzteres hat aber
+in Aegypten heute keine Bedeutung mehr.]
+
+[Footnote 44: Medressa ist Schule.]
+
+[Footnote 45: Die Eingeborenen und auch fremde Araber und Berber
+behaupten, daß das Nilwasser das süßeste und beste Wasser der Welt sei
+und sagen wie die Römer von ihrer Fontana Trevi, wer einmal aus dem Nil
+getrunken habe, den zöge es immer wieder nach Aegypten hin.]
+
+[Footnote 46: Siehe Tafel 5, Zeitschrift für Erdkunde 1872. Kiepert, Zur
+Topographie des alten Alexandrien.]
+
+[Footnote 47: Der Zahl nach kommen zuerst Griechen, dann Italiener, dann
+Engländer (Maltheser), dann Franzosen, endlich Deutsche; die übrigen
+Nationen sind in geringer Zahl vorhanden.]
+
+[Footnote 48: Die Kosten dieser Bauten, mit deren Ausführung das Haus
+Greenfield u. Comp. betraut ist, sind auf 50,000,000 Francs
+veranschlagt. (=Guide annuaire d'Égypte 1873=.)]
+
+[Footnote 49: Eine Tonne gleich 2240 Pfund.]
+
+
+
+
+10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten.
+
+
+Ehe wir die Beschreibung von Aegyptens Hauptstadt unternehmen, kehren
+wir zur Vergangenheit zurück und besonders auch kümmern wir uns um die
+Etymologie des Namens der Stadt selbst. Die modernen Völker haben alle
+mehr oder weniger eine gleiche Benennung. Wir Deutsche schreiben Cairo
+und Kairo und sprechen Kairo oder Kaïro; die Franzosen sagen und
+schreiben. =Caire= oder =le grand Caire=; die Engländer
+schreiben Cairo, ebenso die Italiener, welche aber Kaïro sprechen. Der
+gemeine Mann Aegyptens weiß aber von "Kairo" nichts, denn selbst das
+Wort "=el Kâhira=", die Unterjocherin[50], welche Veranlassung zur
+Bildung des Wortes Kaïro gewesen, ist nur den Gebildeten bekannt. Das
+Volk der Hauptstadt, sowie die Eingeborenen des Landes nennen die Stadt
+Masr. Auch dieses Wort finden wir von den Europäern auf die
+verschiedenste Art geschrieben: Masr, Misr, Messr, Masser, Messer und
+noch einige andere Schreibarten.
+
+In der nachfolgenden Erklärung dieses Namens folge ich durchaus der
+Auseinandersetzung des gelehrten Orientalisten Wetzstein in Berlin, der
+die Güte hatte, mir seine bezüglichen Forschungen hierüber mitzutheilen,
+die um so werthvoller sind, weil sie zum Theil neue Gesichtspunkte
+eröffnen und vollkommen originell sind.
+
+Wetzstein sagt: Die Hauptstadt Aegyptens heißt bekanntlich im Lande
+selbst Misr[51]. Da nun dieser Name ursprünglich der Name des ganzen
+Landes ist, denn schon im alten Testamente hieß Aegypten Misraim, so hat
+man hier eine Uebertragung des Landnamens auf die Landeshauptstadt zu
+constatiren; =medinat Misr=, die Hauptstadt Aegyptens, ist also zur
+Stadt Misr geworden. Für eine solche Uebertragung bietet die
+geographische Nomenclatur der Araber viele Beispiele. Hier nur einige:
+Syrien hieß bei den Arabern der Halbinsel schon in den ältesten Zeiten
+Schâm, d.h. das Nordland, und sein Hauptmarkt, bis wohin die arabischen
+Karavanen gingen, war in vormohammedanischer Zeit Bosrâ, die Hauptstadt
+Haurân's; eine Reise nach Syrien war also in der Regel für die Araber
+gleichbedeutend mit der Reise nach Bosrâ. Daher heißt bei ihnen in jener
+Zeit Bosrâ immer Schâm im Sinne von "Markt" von Schâm (Syrien). Als nun
+in den ersten Jahrhunderten des Islam Bosrâ verödete und die Karavanen
+bis Damask gehen mußten, ging die Benennung Schâm naturgemäß auf die
+Stadt über, so daß der Name Damaskus vollständig unterging[52] und
+Schâm seitdem zugleich Syrien und Damask bedeutet. Nur blieb an den
+Ruinen von Bosrâ noch der Name Alt-Schâm (türkisch: Eski-Schâm) haften.
+
+Ein anderes Beispiel: Die Hauptstadt von Bahrein, d.h. von dem
+nordöstlichen Küstenstriche der arabischen Halbinsel, war im Alterthum
+der berühmte Handelsplatz Gerrha (arabisch H'gér), der Ausgangs- und
+Zielpunkt der aus und nach Bahrein expedirten Karawanen. Auch dieses
+Emporium verlor unter den Arabern seinen Eigennamen und nahm den des
+Landes Bahrein an.
+
+Dasselbe geschah mit der alten Hauptstadt Jemâma, dem heutigen
+Wahabiten-Reiche, westlich von Bahrein. Sie hieß Hagr; aber die
+arabischen Geographen erwähnen selten diesen Namen. Meistens nennen sie
+die Stadt entweder Medinat-el-Jemâma oder geradezu Jemâma, wie das Land
+selbst. Diesen Beispielen fügen wir noch die Stadt Ramla (bei Lydda)
+bei, welche bis zum Beginn der Kreuzzüge von großem Umfange und
+Hauptstadt der Provinz Felistin (damals Westpalästina) war; sie wird in
+den arabischen Schriften jener Zeit geradezu Felistin im Sinne von
+"Hauptstadt Palästina's" genannt. Liest man, Jemand habe in Felistin
+übernachtet, oder von Felistin nach Jâhâ oder Jerusalem sei eine
+Tagereise, so ist immer Ramla gemeint.
+
+Diese Bezeichnungsweise ist oft verwirrend und kann das Verständniß
+einer geographischen oder historischen Angabe erschweren. Entstanden
+wird sie sein durch die Redeweise der Karawanen, insofern z.B. die aus
+Arabien abgehende Kâfilat-Misr, Karawane von Misr, immer zugleich die
+nach dessen Hauptstadt dirigirte war, und man darf annehmen, daß Misr
+schon Jahrhunderte lang _vor dem Islam_ bei den Arabern jene doppelte
+Bedeutung hatte.
+
+Uebrigens wäre auch folgende Erklärung denkbar: Unter den Ptolemäern
+entstand zwischen Heliopolis und Memphis ein Waffenplatz, der
+wahrscheinlich das volkreiche Memphis im Zaume halten sollte und zur
+Erinnerung an Alexander's Feldzug in Asien Babylon genannt wurde. Nach
+und nach verödete Memphis, indem es einen kleinen Theil seiner
+Bevölkerung und seines Baumaterials an dieses Babylon abgab, welches in
+den ersten Jahrhunderten der christlichen Aera (abgesehen von
+Alexandrien) der Hauptort Aegyptens geworden zu sein scheint. Denn als
+des Chalifen Omar's Feldherr ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= im Jahre 19 der
+Higra Babylon erobert hatte, befand er sich thatsächlich im Besitze des
+ganzen Landes und brauchte nur noch Alexandrien zu erobern. Dieses
+Babylon hieß nun zum Unterschiede von der berühmten gleichnamigen Stadt
+am Euphrat "das ägyptische Babylon", Bâbeliûn Misr, welche Bezeichnung
+sich, da die Araber lange Ortsnamen hassen, in Misr verkürzte, so daß
+Land und Landeshauptstadt gleichnamig wurden. Doch ist die =primo
+loco= gegebene Erklärung dieser unbedingt vorzuziehen.
+
+Die übrigen Namen der Hauptstadt Aegyptens anlangend, so hieß dieselbe
+in den ersten Jahrhunderten des Islam el Fostât aus folgender
+Veranlassung. Als der vorerwähnte ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= Babylon
+belagerte, stand sein Lager an der Nordseite der Stadt, und um sein
+Zelt, welches el Fostât hieß, bildete sich nach und nach eine
+Baracken-und Hüttenstadt, die sich erhielt und vergrößerte, da ein Theil
+des Lagers auch nach Eroberung der Stadt stehen blieb. Diese nomadische
+Niederlassung verwandelte sich nach und nach in eine Vorstadt Babylons,
+die nach ihrem Mittelpunkte dem ehemaligen Feldherrn-Zelte, el Fostât
+genannt und deren Name allmälig auf die ganze Stadt angewendet wurde, so
+daß die alte Benennung Babylon außer Brauch kam. Doch findet man sie
+noch bei den Geographen, welche sie bald Babeljûn, bald Hisn-el-Iûn
+(Festung des Iûn) schreiben, indem die erste Silbe, welche man für das
+arabische =Bab= Thor hielt, wegfiel.
+
+Der Name el Fostât wurde seit der Occupation Aegyptens durch den
+Fatimiten =el Moizz li-din-Allah= (369 d.H.) verdrängt. Als Ganhal,
+sein Feldherr, mit dem westafrikanischen Heere vor die Hauptstadt
+rückte, ging er mit der Bevölkerung den Vertrag ein, daß seine Soldaten
+die Stadt selbst nicht betreten, sondern außerhalb derselben in Baracken
+und Zelten untergebracht werden sollten. Dieses Lager, welches sich wie
+350 Jahre früher dasjenige des ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= allmälig in
+eine militärische Colonie verwandelte und zugleich die Unterwürfigkeit
+der Stadt gewährleistete, erhielt den Namen el Kâhira "die
+Unterjocherin", der sich gerade wie früher el Fostât der ganzen Stadt
+mittheilte.
+
+Man unterscheidet bis auf den heutigen Tag die Stadttheile el Kâhira, el
+Fostât und das ursprüngliche Misr. In amtlichen Acten, bei denen es auf
+Genauigkeit der Ortsangaben ankommt, heißt die Stadt Kâhirat Misr "Kairo
+in Aegypten", oder auch Misr el Kâhira, was der gewöhnliche Mann als die
+"siegreiche Stadt Misr" deutet.
+
+Indem wir so der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalen folgten,
+fügen wir noch hinzu, daß Wetzstein etymologisch das Wort Misr
+simitischen Ursprungs erklärt und sich der Ansicht zuneigt, es bedeute
+"die beiden eingeschlossenen Länder", nämlich Ober- und Unter-Aegypten.
+Wetzstein meint nämlich: "gehöre diese Benennung ursprünglich einer
+altägyptischen, d.h. einer Ruschitischen Sprache an, so ließe sich
+nichts über ihre Bedeutung sagen, denn das Koptische sei ein zu
+verkommenes Idiom und das Hieroglyphische mit seinen Schwestern eine zu
+unbekannte Sprachform, als daß sie Aufschlüsse geben könnten."
+
+Genug! Wenn auch nicht an derselben Stelle gelegen, wissen wir und
+müssen das festhalten, daß die heutige Hauptstadt der Aegypter bei den
+Alten Babylon (bei den lateinischen Schriftstellern Babylonia), bei den
+ersten Arabern Fostât hieß und daß sie heute bei den Europäern mit den
+verschiedenen Variationen Kairo, bei den Aegyptern selbst Masr genannt
+wird. Die Namen Masr el-kahirah als Neustadt oder Masr el-attica als
+Altstadt haben nur officiellen Sprachgebrauch erlangt.
+
+Man hat behaupten wollen, die Vorgängerin Kairo's, die Stadt Memphis,
+sei günstiger gelegen gewesen, als die jetzige Hauptstadt Aegyptens. Ich
+wüßte nicht, worauf man dieses Urtheil stützen wollte. Der natürlich
+vortheilhafteste Platz wäre wohl an der Spitze des Delta's selbst
+gewesen, aber die Entwicklung der Stadt selbst zeugt, daß man keineswegs
+eine ungünstige Position zur Anlage einer Stadt gewählt habe. Es ist
+heute freilich leicht zu sagen, die und die Stadt hat eine äußerst
+günstige geographische Lage. In unserer Zeit der Eisenbahnen, der
+Kunststraßen, der Kanäle &c. überläßt man sich gar zu leicht der
+Ansicht, die natürliche Lage der Stadt habe das Blühen und Gedeihen
+derselben verursacht, wenn es doch nichts Anderes war als eben jene
+modernen Kunstmittel.
+
+Kairo liegt auf dem 30º 2' 4'' N.B. und auf dem 28º 58' 30'' O.L. von
+Paris. Die Erhebung der Stadt über dem Meere beträgt durchschnittlich 13
+Meter; obschon einzelne Stadtteile höher sind, so liegt die
+Hassan-Moschee 30 Meter höher, als der Spiegel des Mittelmeeres.
+
+Die mittlere Jahrestemperatur ist 23º C. Selten fällt im Winter der
+Thermometer unter 10º und steigt nur während der Zeit der Chamsinwinde
+auf über 40º. Während früher feuchter Niederschlag zu den Seltenheiten
+gehörte, hat man die Beobachtung gemacht, daß jetzt mit jedem Jahre die
+Regenfälle im Zunehmen begriffen sind; offenbar Folge der so sehr
+vermehrten Baumpflanzungen in der Stadt selbst und in der nächsten
+Umgebung derselben. Aber es liegen noch keine bestimmten Daten hierüber
+vor und so heben wir eben nur die allgemeine Thatsache hervor.
+
+Obschon man wegen der immerhin bedeutenden Hitze nicht sagen kann, daß
+Kairo ein angenehmes Klima habe, so kann man doch auch keineswegs
+behaupten, es sei eine ungesunde Stadt. Im Sommer pflegen wegen der
+unerträglichen Hitze die dort wohnenden Europäer, auch der Hof, die
+ersten Würdenträger und reiche Eingeborene die Stadt zu meiden. Im
+Winter hingegen ist sie Aufenthaltsort zahlreicher Reisender und noch
+zahlreicherer Kranker, welche dort Herstellung ihrer Gesundheit zu
+finden hoffen. Namentlich für Schwindsüchtige wird die Luft Kairo's und,
+wie es scheint, mit Recht, empfohlen. Die sogenannte ägyptische
+Augenkrankheit eine Entzündung der Schleimhaut, der Conjunctiva des
+Auges, sowohl des Augapfels, als auch der Augenlider, welche ansteckend
+und in Aegypten endemisch ist, eine seit Hippokrates Zeit bekannte
+Krankheit, wurde durch die französische Invasion unter Napoleon I. und
+durch die Engländer nach Europa gebracht; indeß befällt sie
+erwiesenermaßen Europäer weniger, als die Eingeborenen und Letztere
+werden besonders davon afficirt, weil sie nicht durch größte
+Reinlichkeit die fortwährenden schädlichen Einwirkungen des Staubes, von
+dem die Luft stets geschwängert ist, unwirksam machen. Und zwar wirkt
+der Staub, der unmittelbar in den Straßen aufgewirbelt wird und aus den
+kleinsten Partikeln zersetzter organischer Stoffe besteht, ebenso
+schädlich, als der kaum sichtbare Staub der Samum-Winde. Woran die
+Europäer am meisten leiden, das sind Krankheiten der Leber und der Milz,
+letztere zum Theil hervorgerufen durch tertiäre Wechselfieber, und sind
+erstere radical nur zu heilen durch Ortsveränderung, durch Rückkehr nach
+Europa. Die Pest kommt seit Jahren nicht mehr in Kairo vor und die
+Cholera eben auch nicht häufiger, als in Europa.
+
+Kairo ist eine unbefestigte Stadt, denn was die Kâsbah betrifft, welche
+ursprünglich zur Verteidigung der Chalifenstadt diente, nebst hohen
+Mauern, welche im Mittelalter die Stadt umfriedigten, so ist erstere
+längst ihres Festungscharakters beraubt, letztere aber sind geschleift
+und abgetragen worden, oder in Ruinen zerfallen. Jedoch zahlreiche
+Mauern im Innern der Stadt, ehemals äußere Stadtmauern, zeugen von der
+beständigen Umwandlung und Vergrößerung der Stadt, sowie die jetzige
+äußere Mauer ebenfalls schon inmitten der Hauptstadt sich befindet.
+Heute ist es kaum noch gestattet, von Masr el Kâhirah, von Masr el
+Attika, von Bulak u.s.w. als unterschiedlichen Städten zu reden,
+namentlich wird es ebenso falsch sein, zu sagen, Bulak sei als _Hafen_
+Kairo's von dieser _Stadt_ zu unterscheiden, sowie man Unrecht hätte,
+Moabit nicht zu Berlin zu rechnen. Heute liegt in der That Kairo am Nil:
+Bulak ist ein Stadttheil der Hauptstadt geworden. Höchstens darf man
+jetzt noch den Unterschied zwischen _dem_ Stadttheile machen, der seinen
+_morgenländischen_ Charakter bewahrt hat und dem, der ganz _europäisch_
+ist.
+
+Der erste Stadttheil, der sich an die Citadelle lehnt, welche selbst auf
+einem der äußersten Ausläufer des Mokattam-Gebirges gelegen ist, den man
+unter dem Namen Chalifenstadt begreifen kann, ist ein großes Labyrinth
+krummer und enger Straßen, oft durch Ueberbauten dunkel und so
+unscheinbar, daß man meinen sollte, man befände sich in einer Gasse des
+Hauptortes der Oase des Jupiter Ammon. Hier kennt man kein Pflaster,
+hier giebt es Abends keine Beleuchtung, geschweige denn von Gas zu
+reden; zahlreiche Sackgassen nötigen den nicht Eingeweihten, stets auf
+seine Schritte zurückzukommen, vom Eintritt eines bestimmten Platzes an
+bis zu einer bestimmten Grenze wird der Fremde, passirt er Nachts diesen
+Stadttheil, von einer klaffenden Meute hungriger Hunde verfolgt, welche
+wild und herrenlos, wie sie sind, doch unter sich eine genaue
+Besitzeintheilung hergestellt haben der Art, daß immer ein Theil eines
+Quartiers oder einer Straße von einer Meute besetzt gehalten wird, die
+auf's Eifrigste über die Unverletzlichkeit ihres Territoriums wacht.
+Wehe dem Fremden, der Nachts ohne Stock durch eine von diesen wilden
+Bestien bewachte Straße geht, namentlich wenn er ein Ungläubiger und in
+europäischer Tracht ist; aber noch mehr wehe, wenn einer ihres Gleichen,
+ein fremder Hund, sich unter sie verirren sollte, er ist unrettbar
+verloren, gelingt es ihm nicht, auf sein eignes Gebiet zurückzuflüchten.
+
+Aber nicht immer haben wir enge und unscheinbare Gassen, in diesem
+Ur-Kairo ist Alles Ueberraschung. Hier giebt es auch Moscheen von allen
+Formen und allen Farben, einfache und prachtvolle, reich mit Arabesken
+und Sculpturen geschmückte und solche, welche äußerlich nur eine nackte
+Wand zeigen. Hier bemerkt man auch jene reich sculptirten Brunnen,
+meistens fromme Stiftungen, welche bis vor Kurzem, wo das Trinkwasser in
+Kairo so spärlich war, zu den größten Wohlthaten zählten, die ein
+frommer Moslim seiner Vaterstadt vermachen konnte. Hier findet man auch
+jene reizenden Muscharabiehen aus Holz geschnitzt, welche die Eifersucht
+des gestrengen Haremgebieters erfand. Muscharabiehen sind Jalousien,
+welche sich stark ausgebuchtet vor den Fenstern befinden. Sie sind auf's
+Kunstvollste aus Holz geschnitzt, oft so fein und zierlich, daß es sich
+von Weitem wie Filigran-Arbeit ausnimmt. Geheimnisvoll ragen sie im
+Halbdunkel der Straßen aus den Häusern hervor; manchmal scheinen sie
+sich bei den überhängenden Etagen der Häuser zu berühren. Dahinter
+lauert die junge Frau des Hausherrn, verlangende Blicke wirft sie auf
+das Leben zu ihren Füßen, sie hört es, sie sieht auch Alles, ohne selbst
+bemerkt zu werden; glühend erröthet sie, wenn ein jugendlicher Frangi
+vorübergeht, der ihr viel vorteilhafter dünkt, als jener alte,
+weißbärtige Mann, dem sie gezwungen war, ihr Leben zu opfern. Da
+erblickt sie gar in einer Carrosse dahersausend zwei hübsche
+Christendamen, sie sind unverschleiert. Sie lächeln, sie freuen sich des
+Lebens, während sie selbst, die Aermste, hinter ihrer Muscharabieh eine
+Thräne im Auge zerdrückt und ihr freudenloses Leben beklagt! Aber was
+ist das? Da biegt um die Ecke ein eleganter Phaëton, laut schreiend vor
+ihm rufen die Läufer ihr ewiges "=Guarda, Guarda=" oder
+=schemalak ia chodja, l'iminak=[53]. Darin sitzen im Wagen zwei
+reizende Moslemata[54], kaum verschleiert die dünne Tüllspitze ihr
+fröhlich lächelndes Gesicht; sie scheinen aber auch gar keine Lust zu
+haben, ihr Antlitz verbergen zu wollen, im Gegentheil, man sieht, daß
+sie nur scheinbar diesen Zwang mitmachen. Es sind Prinzessinnen, Töchter
+oder Nichten des Chedive; ahnungsvoll zieht sich unsere Schöne aus
+ihrer Muscharabieh zurück; ein dunkles Gefühl sagt ihr, daß auch für
+ihres Gleichen bald die Stunde der Befreiung schlagen wird.
+
+Hier finden wir auch jene großen Bazarstraßen, wo die Produkte der drei
+Erdtheile sich einander begegnen und wo in immer geschäftiger Weise
+während des ganzen Tages das regste Leben und Treiben herrscht und
+Groß-und Kleinhandel getrieben wird. Von einigen dieser Bazars soll
+später noch die Rede sein.
+
+Der andere Stadttheil, ganz neu und vorzugsweise eine Schöpfung des
+jetzigen Chedive, daher auch Ismaelia genannt, mit seinen seenartigen
+Gärten, seinen breiten wohlgepflasterten und täglich besprengten
+Straßen, seinen Palästen und Theatern, seinen Gascandelabern und
+prachtvollen Läden ist vollkommen europäisch. Dies moderne Kairo,
+welches heute schon von den Fluthen des Nils berührt wird, steht in
+Nichts den schönsten Städten Europas nach. Was luxuriöse Ausstattung der
+Gebäude und ihrer Fanden anbetrifft, so können sich die der ägyptischen
+Hauptstadt ganz messen mit denen am Ring in Wien oder denen der
+Boulevards von Paris.
+
+Mit Recht sagt Levernay (=guide annuaire d'Égypte 1873 p. 254=):
+Hier ist die Vereinigung des Orients mit dem Occident, hier ist das
+Symbol der religiösen Freiheit; hier ist das Bündniß der Handelsfreiheit
+(?)[55] und der Völkergemeinschaft; findet man nicht in dieser Stadt
+zusammenlebend den flachshaarigen Scandinavier an der Seite des
+wollhaarigen Furer, den fanatischen Magrebiner von der Küste des
+atlantischen Oceans an der Seite des gelbhäutigen Indiers oder den
+südlichen Araber mit kaffeebrauner Haut an der Seite des
+halbeuropäischen Türken? Und dazwischen Tartaren, Perser, Turkomannen,
+Kurden und Chinesen. Ja, hier sieht man Hand in Hand gehend den
+gelehrtesten Professor aus der Hauptstadt der Denker mit dem von Steppe
+zu Steppe vagabondirenden Nomaden, welcher, ohne Gesetze lebend, nur
+seinem eigenen Willen folgt. Ja, es ist ein eigenthümliches Leben in
+Kairo und glücklich Der, welcher Empfängnis hat für die Sitten fremder
+Völker oder der gar die Gabe besitzt, dem Gedankengange der Eingeborenen
+momentan folgen zu können. Hier an der ältesten Wiege menschlicher
+Cultur reichen sich Tag für Tag Asiaten, Europäer und Afrikaner die
+Hand, und wie schon zu verschiedenen Malen von hier aus die menschliche
+Entwickelung zu ihren jeweiligen höchstem Triumphen gelangte, so scheint
+auch jetzt ein neues Leben, ein neues gewaltiges Ringen zum
+Vorwärtskommen erwacht zu sein.
+
+Die Zahl der Bevölkerung von Kairo dürfte man auf circa 400,000 Seelen
+für das Jahr 1875 beziffern. Genaue statistische Erhebungen sind in
+mohammedanischen Städten zur Zeit noch nicht auszuführen. Denn selbst
+wenn eine amtliche Zählung vorgenommen wird, so stößt diese immer auf
+unüberwindliche Hindernisse wegen der Haremverhältnisse und der
+weiblichen Sclaven.
+
+Von diesen 400,000 Einwohnern dürften incl. 800 Perser etwa 20,000
+Europäer sein. Aber man denke nicht, daß etwa die 380,000 verbleibenden
+Menschen alle einer Nationalität angehören. Da sind die verschiedensten
+schwarzen Stämme, da sind Syrier, ächte Araber, seit Jahrhunderten in
+Aegypten lebende Araber, Inder, Chinesen, endlich Fellahin und Kopten
+und eine große Anzahl von Türken. Alle diese stellt man, obschon sie es
+keineswegs sind, als "Eingeborene" oder "Rechtgläubige" den fremden
+Europäern gegenüber. Daß man die Perser ebenfalls als besondere
+Nationalität trennt, verdanken sie dem Umstande, weil sie in Aegypten
+besondere Consuln haben.
+
+Man zählte im Jahre 1873 in Kairo 4200 Griechen, 7000 Italiener, 4000
+Franzosen, 1600 Engländer, 1200 Oestreicher und Ungarn, 800 Deutsche,
+500 Perser, 120 Spanier, 50 Russen, 25 Belgier, 9 Brasilianer, 5
+Portugiesen, 2 Schweden und 1 Nordamerikaner. Was die letzte Zahl
+anbetrifft, so scheint sie uns nicht richtig zu sein, da allein in der
+chedivischen Armee an hundert nordamerikanische Officiere dienen, von
+denen wir bei den eigenen Verhältnissen in Aegypten kaum glauben können,
+daß sie ihre Nationalität aufgegeben haben. Wenn wir überhaupt zu diesen
+Zahlen größere Zuversicht haben dürfen, weil sie eben auf amtliche
+Ermittelung der bezüglichen Consulate fußen, so sind sie doch auch noch
+fern davon, eine so absolute Sicherheit zu gewähren, wie wir gewohnt
+sind, von unseren amtlichen, statistischen Erhebungen zu erwarten.
+
+Kairo hat wenigstens 300 Moscheen, wenn man alle kleinen Kapellen und
+Bethäuser mitrechnet, also ein Gotteshaus auf circa 1200 Individuen;
+denn von den 400,000 Einwohnern sind, wenn wir die Kopten mitrechnen,
+wenigstens 50,000 Christen. Diese letzteren haben 44 Kirchen, was
+ohngefähr dasselbe Verhältniß ergiebt, und rechnet man in Kairo 7000
+Juden und für dieselben 13 Synagogen, so erhält man das Resultat, daß
+diese am günstigsten daran sind, denn es beziffert sich für sie die Zahl
+der zu einem Tempel Gehörigen auf einige mehr als 500.
+
+In der Hauptstadt des Chedive herrscht natürlich die vollste religiöse
+Freiheit, aber erst seit einigen Jahren. Wie aber Alles, was maßlos ist,
+zu Unzuträglichkeiten führt, so auch diese vollkommene religiöse
+Freiheit. Es offenbart sich dies am meisten bei jenen großen
+mohammedanischen Prozessionen, welche oft stundenlang den Verkehr auf
+den Straßen hemmen. Die Zeiten sind allerdings längst vorüber, wo ein
+Andersdenkender beim Zuschauen einer solchen mohammedanischen Prozession
+sein Leben gefährdet sah, und da die Muselmanen ja überhaupt nicht die
+Sitte des Hutabnehmens haben, so ist vom "Huteintreiben" oder
+"Hutabschlagen", wie das in unseren toleranten und civilisirten Ländern
+vorkommt, nie die Rede.
+
+Unerwähnt darf man auch nicht lassen, daß dies die einzigen
+Ausschreitungen sind, welche sich der Cult dem staatlichen Gemeinwesen
+gegenüber erlaubt, denn nicht würde der unbestraft bleiben, wäre er ein
+auch noch so hoher Geistlicher, der sich dem Staats-Gesetze widersetzen
+wollte.
+
+Ueberhaupt lebt man in keinem Lande der Welt so sicher als in Aegypten
+und speciell in Kairo. Es ist wahr, daß auch hier manchmal große
+Diebstähle verübt werden, und ich erinnere nur an den berühmten
+Diamantendiebstahl Ende des Jahres 1874; aber er wurde in dem
+europäischen Viertel und von Europäern vollzogen. Von Mordtaten,
+Raubanfällen und größeren Verbrechen hört man fast nie.
+
+Wenden wir uns zu einzelnen großen Bauten und Anlagen, so zieht vor
+allen im alten Stadttheile die Citadelle unsere Aufmerksamkeit auf sich.
+Schon von Weitem, wenn man mit der Bahn sich nähert, sieht man die hohe
+Kuppel und die eleganten schlanken Minarets der Moschee des Mohammed
+Ali, welche die Citadelle als krönendes Werk überragt. Denn die
+Citadelle ist keineswegs _eine_ Baute, sondern besteht aus verschiedenen
+fortifikatorischen Gebäuden, aus Palästen, Kasernen und kleineren
+Gebäuden. Aber der aus Alabaster errichtete Dom, unter dem die Gebeine
+des großen Begründers der beutigen Dynastie ruhen, mit seinen imposanten
+Formen, in seiner dominirenden Lage, ist doch das Gebäude, welches den
+Fremden am meisten fesselt.
+
+Hier auf der Citadelle ist auch der berühmte Brunnen in den Fels
+hinabgehauen; er ist fast 100 Meter tief und so breit, daß man bis zur
+Quelle mittelst Stufen hinabsteigen kann. Er heißt Josephs-Brunnen, hat
+aber nichts mit dem biblischen Joseph gemein, sondern wurde von Joseph
+ben Agub oder Saladin, dem ersten aglubitischen Sultan, erbaut, damit im
+Falle einer Belagerung die Citadelle nicht des Wassers ermangele.
+Mittelst zweier Schöpfräder (=Norias oder Sakias=) wird das Wasser
+an die Oberfläche gehoben. Der Anblick von der Plattform der Citadelle
+auf die große Stadt zu ihren Füßen, auf Bulak, Rodha und den gewaltigen
+Nil, auf die Pyramiden und im Hintergrunde die mit dem Himmel
+verschwimmende Sahara gehört zu dem Großartigsten, was man sich denken
+kann; die kühnste Phantasie findet hier ihre Befriedigung. Und wenn man
+das Glück hat, bei der Betrachtung dieses Bildes die über dem
+Mokattam-Gebirge heraufsteigende Sonne als Frühbeleuchtung zu haben, so
+spottet das Ganze jeder Beschreibung, und selbst der eingebildetste
+Pedant, der nörgelndste Philister wird von der Großartigkeit dieses
+Panoramas überwältigt werden.
+
+Von den übrigen Moscheen nennen wir zuerst die des Amru, die älteste,
+ungefähr um 640 errichtete, aber von ihrer ehemaligen Pracht ist wenig
+mehr übrig. Bei allen mohammedanischen Gotteshäusern, wie auch bei ihren
+Profanbauten kann man die Bemerkung machen, daß die Mohammedaner mit
+großer Vorliebe Bauten unternehmen, aber nie daran denken, ihre Bauten
+zu _erhalten_. Die Amru-Moschee ist ein Rechteck von 120 Meter zu 75
+Meter. Der Säulenwald an der Ostseite des Hofes aus 21 Säulenreihen, in
+jeder Reihe 6 Säulen, ist imposant.
+
+Interessant für die Geschichte der Architektur ist die im Jahre 877 von
+Ahmed ebn Tulun erbaute Moschee, 80 M. lang aus 76 M. Breite. Man findet
+schon ogivische Bogen in Anwendung und außerdem die Wände mit Kusischen
+Legenden geschmückt. Nach arabischen Inschriften soll der das Gebäude
+umgebende Karnies aus zusammengestampftem Amber gemacht gewesen sein, um
+den Eintretenden Wohlgerüche zuzuführen. Jetzt ist nichts mehr davon zu
+bemerken und auch diese Moschee zeigt Verfall.
+
+Die große und glänzende el Asar-Moschee ist insofern von Wichtigkeit,
+als mit ihr die Hochschule verknüpft ist, die bedeutendste der ganzen
+mohammedanischen Welt. Fast 10,000 Studenten folgen hier dem Unterrichte
+von über 300 Professoren. Es wird aber fast nichts, als Religion gelehrt
+und besonders sind es die vier rechtgläubigen Riten, die Hambaliten,
+Schaffeïten, Hanesiten und Malekiten, welche hier ihre Vorlesungen
+halten. Schaffeïten und Malekiten haben die meisten Zuhörer: erstere
+über 4500, letztere 3700. Die Hanesiten, wozu sich alle Türken rechnen,
+haben ca. 1000, die Hambaliten nur ca. 50 Studenten. Alle diese Schüler
+haben freien Unterricht und freie Kost nebst Bekleidung, ebenso sind
+auch die Professoren vom Staate besoldet. Außer Religion wird etwas
+Poesie, Grammatik und Gesetzgebung, letztere natürlich auf Koran und
+Sunnah basirt, getrieben. Mit dieser Moschee ist verbunden ein großes
+Blinden-Hospital, eine Sauya für Pilger, deren Asylrecht heute aber im
+Strome der Civilisation untergegangen ist.
+
+Eine merkwürdige Universität, wo man weiter nichts treibt, als religiöse
+Forschungen, über nichts Anderes nachdenkt, als über Dinge, die
+außerhalb dem Bereiche des Wirklichen liegen und deren Resultate deshalb
+für das Land, für die Menschheit von gar keinem Nutzen sind.
+
+Die Moschee, welche am meisten die Bewunderung der Europäer auf sich
+zieht, die Hassan-Moschee, hat mich immer ziemlich kalt gelassen. Zum
+Theil kommt das wohl daher, daß ich nie Vorliebe für jenen _unmöglichen_
+Stalactitenbau habe gewinnen können, zum Theil, daß einen die Quadern zu
+sehr an die Bauten der alten Aegypter erinnern. Solche Vandalen, die
+nicht die Energie besitzen, zu einem so großartigen Gebäude eigenes
+Material zu nehmen, sondern andere Bauten _zerstören_, um sie zu den
+ihrigen zu benutzen, soll man die wohl achten? Und sieht man nun gar,
+wie die famosen Stalactiten-Nischen in der Hassan-Moschee nicht aus
+Stucco oder Stein bestehen, sondern elende Holznachbildung sind, so
+schwindet vollends alle Sympathie. Die Moschee wurde 1356 vom Sultan
+Hassan erbaut. Das danebenstehende Minaret hat 80 Meter Höhe; fügt man
+die Höhe des Bodens, auf dem die Moschee erbaut ist--30 Meter--hinzu, so
+hat man die Höhe von Assuan.
+
+Ich übergehe die übrigen Moscheen, welche alle, wie z.B. die von Kalaum
+auch el Barkuk genannt, oder die von Sitti Seinab oder die der Hassanein
+oder die von el Moged für diejenigen, welche sich für
+ägyptisch-mohammedanische Architektur interessieren, sehenswerth sind,
+deren Besuch man sich aber sonst ersparen kann.
+
+In der Stadt selbst hat der Chedive merkwürdiger Weise keinen einzigen
+Palast, der von Außen irgendwie Anspruch auf architektonische Schönheit
+machen könnte.
+
+Wie alle gouvernementalen Gebäude ist seine dermalige Wohnung ein
+äußerst fensterreiches Gebäude, _ganz ohne Styl_. Inwendig lassen diese
+chedivischen Paläste allerdings nichts zu wünschen übrig, weder an
+Eleganz noch an Pracht, noch auch an Geschmack der Decoration oder an
+zweckmäßiger Raumvertheilung.
+
+Die neue Börse, die Bibliothek, die Wohnungen der ersten Beamten
+zeichnen sich durch nichts Besonderes aus. Was die Bibliothek
+anbetrifft, so besitzt dieselbe ca. 30,000 arabische Bände, fast nur
+Handschriften, darunter viele äußerst kostbare. Da sieht man vor allen
+anderen jene Bücher von außerordentlicher Größe, deren Buchstaben von
+Gold mit so großer Regelmäßigkeit gemalt erscheinen, daß man meinen
+sollte, sie seien gedruckt. Natürlich ist der Inhalt weiter nichts als
+der Text des Koran.
+
+Will man schöne Gebäude modernsten Styls, villenartig gebaut, von
+reizenden Gärten umgeben sehen, so wandere man durch den neuen
+Stadttheil. Hier liegt auch die schmucke deutsche protestantische
+Kirche, hier hat der Minister der Justiz, jetzt Scherif Pascha, sein von
+feenhaften Gärten umgebenes Palais.
+
+Was die Theatergebäude betrifft, so läßt sich bezüglich der Bauten
+selbst nichts sagen, als daß es provisorische Gebäude sind, bestimmt,
+mit der Zeit anderen monumentalen Platz zu machen. Was aber innere
+Ausstattung, Inscenirung, Personal und Leitung betrifft, so stehen
+sowohl die chedivische italienische Oper, als auch das französische
+Schauspiel unseren ersten und besten Bühnen würdig zur Seite. Hierüber
+herrscht nur eine Stimme.
+
+Den größten Zauber und Reiz besitzt Neu-Kairo heute in jenem
+Esbekieh-Garten, mitten in der Stadt gelegen, den ich selbst noch bis
+zum Jahre 1868 als einen großen pfützenreichen Platz von hohen Sykomoren
+beschattet gekannt habe. Umfriedigt von Prachtbauten, ähnlich wie die
+der Rue Rivoli zu Paris, ist der harten von einem hohen eisernen Gitter
+umgeben. Zahlreiche Thore, deren Eingänge mit Selbstzählern versehen
+sind, geben Einlaß. Bei dem sonderbaren Hange der Orientalen, stunden-,
+ja tagelang faulenzend auf irgend einem einladenden Platze sich dem
+=Dolce far niente= hinzugeben, war die Vorschrift, ein
+unbedeutendes Entrée zu erheben, unerläßlich, denn nur durch eine solche
+Maßregel konnte der prächtige Park rein gehalten werden von jenem
+ungemein stark in Kairo vertretenen Contingent, das seine Sache auf
+nichts gestellt hat und höchstens vom bequemsten Betteln lebt und
+sicherlich mit angeborener Frechheit die schönsten und anziehendsten
+Punkte des großen Gartens in Besitz genommen haben würde.
+
+Es ist wunderbar, wenn man die Beschreibungen früherer Reisender
+durchgeht und liest, was die Esbekieh _war_ und nun staunt, was sie
+jetzt ist.
+
+Die ganze Esbekieh-Anlage von achteckiger Form mit einem Umfange von 940
+Meter nimmt ein Areal von ca. 82,500 Quadratmetern ein. Die Länge der
+Wege beträgt 2 Kilometer 300 Meter. Das Flüßchen und die von ihm
+gebildeten Teiche, Alles durch Kunst geschaffen, bedecken eine
+Oberfläche von fast 5000 Quadratmeter. Die Teiche sind 2 Meter tief.
+
+Außer den kostbarsten Gewächsen aller Länder und Zonen, welche trotz des
+kurzen Zeitraumes ihres jetzigen Bestandes dort seit 20 Jahren gegrünt
+zu haben scheinen, findet der Spaziergänger in diesem Garten Alles
+vereint, was nur das Leben angenehm macht. Da sind reizende Buden, wo
+Liqueure, Eis und Scherbets verkauft werden. Hier ist eine Bierhalle, wo
+das beste Drehersche oder Münchener Bier in Eis dem durstigen
+Nordländer Labung bietet, Kaffeehäuser mit reizenden Kiosken gut
+eingerichtete Restaurationen, ein kleines Theater-Concert, ein
+arabisches Kaffeehaus, Schaukeln, Carroussels, verschiedene andere
+Kioske und Sammelplätze, endlich =last not least= eine Grotte[56]
+aus Tuffsteinen, die ganz und gar auf's Treueste die Natur nachahmt und
+aus der das Wasser in Cascaden hervorsprudelt, welches die See'n und den
+Bach speist.
+
+Diese Grotte ist von einem künstlich aufgebauten Pic überragt, aus
+großen Tropfsteinblöcken und Steinen errichtet. Man gelangt hinauf
+mittelst eines schattigen Weges oder auch auf äußeren und inneren
+Pfaden, die man durch den künstlich geschaffenen Fels gearbeitet hat.
+Ans der obersten Spitze hat man ein Belvedere angebracht, von wo aus man
+nicht nur den ganzen Garten übersehen kann, sondern von dem aus auch das
+ganze Panorama von Kairo zu den Füßen des entzückten Beschauers
+liegt.--Die Eisenarbeiten sind alle in Paris gefertigt.
+
+Der Esbekieh-Garten bedarf zur Speisung seiner Springbrunnen, zum
+Besprengen der Wege, zum Unterhalten der Teiche eines täglichen
+Wasserquantums von 800 Kubikmeter; die Erleuchtung bei Abend, welche
+feenhaft ist, wird durch 106 Candelaber bewerkstelligt; alle diese
+Candelaber haben Blumenform, 5 Zweige mit je 5 Tulpen, so daß im Ganzen
+allabendlich 2500 Flammen brennen. Dazu spielt jeden Tag, sobald die
+Sonne sich unter den Horizont senkt, ein ausgezeichnetes
+Militärorchester europäische Symphonien und Stücke, auch wohl arabische
+Weisen, welch' letztere ungemein an Wagner'sche Compositionen erinnern.
+
+Leider ist der Esbekieh-Garten lange nicht so besucht, wie er es
+verdiente, es ist eine für Kairo zu vornehme Anstalt; nicht etwa, weil
+das niedrige Entrée von den Besuchern als unerschwinglich bezeichnet
+würde; es sind auch die Genüsse innerhalb desselben dem Publicum zu
+theuer. Dazu kommt, daß das vornehme europäische Publicum, an der Spitze
+die Vertreter der europäischen Länder, blasirt, das vornehme
+mohammedanische apathisch und unempfänglich für solche Genüsse sich
+verhält, der gewöhnliche Mittelstand der Eingeborenen aber in diesem
+Entrée gleich eine Steuer des Chedive wittert und der gemeine
+europäische Mann lieber in den übrigen Vergnügungslocalen Kairo's seine
+Unterhaltung sucht.
+
+Diese sind keineswegs in geringer Anzahl vorhanden. Der Deutsche findet
+in zahllosen Bierhäusern längs der Esbekieh nicht nur Drehersches,
+sondern auch bairisches Bier und zwar wohlgekühlt in Eis; der Franzose
+findet überall seine Café's; der Italiener findet in den Conditoreien
+und auf der Straße seine Sorbetti und in zahlreichen Restaurants kann
+der Engländer, von Engländern bedient, sein Beefsteak und sein Glas
+"=half and half=" trinken. Nur der russische Traktir fehlt noch,
+aber wie lange wird es dauern und irgend ein speculativer Kopf erbaut
+ein solches mit einer mächtigen Orgel versehen an der Seite einer Fonda,
+wo man =Polenta= und =Olla potrida= verkauft.
+
+Denn wenn man Abends durch die auf's Glänzendste von Gas beleuchteten
+Straßen geht und hört, wie einem allerorts Musik entgegenschallt, hier
+des Italieners "=o che la morte honora=" oder "=madre in felice
+corro a salvarti=" dort des Deutschen "Wacht am Rhein"; hier des
+Franzosen "=partant pour la Syrie=" dort des Engländers "=god
+save the queen=", wenn man sieht, daß alle diese Musikbanden aus
+nationalen Kräften bestehen (Kaffee- und Weinhäuser mit deutschen und
+deutsch-böhmischen Musikbanden, Sängern und Sängerinnen giebt es ein
+Dutzend in Kairo), so sollte man nicht glauben, in der Stadt zu sein,
+welche noch bis vor wenigen Jahren als das ächteste Bild einer
+orientalischen Stadt hingestellt wurde.
+
+Und geht man gar in die elegant eingerichteten Spielsalons, wo hier eine
+Roulette, dort König Pharao den Gästen das Geld aus der Tasche lockt und
+die meistens als Aushängeschild die elegantesten =Cafés chantants=
+oder auch kleine Theater mit Ballerinen zeigen, so sollte man nicht
+meinen, daß man nur einige Stunden weit von den Pyramiden des Cheops und
+des Cephren sich befände.
+
+Aber trotz dieses modernen Kairo ist noch ein gut Stück Alt-Kairo, d.h.
+orientalischer Stadt übrig. Jedoch verschwindet es allmälig schneller
+und schneller, und vielleicht schon nach einem Menschenalter wird jene
+alte orientalische Stadt, jene Stadt mit den maurischen Hufeisenbauten,
+mit den schlanken Minarets, mit den engen überdachten Gassen und ihren
+noch engeren Kaufläden--sie wird verschwunden sein, und finden können
+wir sie dann nur noch in den Büchern und Reiseberichten Derer, welche
+sie zu der Zeit besuchten. Und um so spurloser wird das alte Kairo vom
+Erdboden verschwinden, als die Wohnungen der Eingeborenen aus losem,
+schlechtem Material errichtet und selbst die Moscheen und Paläste aus
+Quadern erbaut sind, welche man von alten Monumentalbauten
+zusammengeschleppt hat; sind doch jetzt schon _alle_ Moscheen und die
+Mehrzahl der Paläste früherer Vicekönige halbe Ruinen.
+
+Wenn man aber sieht, mit welcher Rücksichtslosigkeit mitten durch die
+Quartiere der Eingeborenen eine gerade breite Straße gezogen wird, wie
+man weder die Medressen (Schulen) noch die Moscheen schont, wie man
+Untiefen auffüllt, Hügel abträgt, dann muß man staunen ob der Energie
+des Chedive. Aber "Gott soll ihn ewig mit den ungläubigen Christenhunden
+brennen lassen!" murmelt der fromme Mohammedaner, der aus seinem Heim
+vertrieben wird, welches seine Vorfahren inne gehabt hatten und wo er
+selbst schon seit Jahren wohnte. Aber er "murmelt" es nur, offen es
+auszusprechen, wagt er nicht. Ja er preist sich glücklich, wenn die
+chedivische Regierung ihm _umsonst_ ein Stück Land anweist in einem ganz
+anderen Viertel der Stadt, mit der Erlaubnis, ein Haus zu bauen nach
+europäischem Style.
+
+So vollziehen sich die Expropriationen in Aegypten und speciell in
+Kairo. Von Entschädigungen ist nirgends eine Rede. Sobald der Chedive
+beschlossen hat, eine Straße durch den orientalischen Stadttheil zu
+legen, wie er sich solche auf dem Plane der Stadt vorzeichnet, erhalten
+die betreffenden Anwohner des Viertels Befehl, innerhalb einiger Tage
+ihre Immobilien zu räumen. Von Entschädigung wird nicht gesprochen; nur
+wenn europäische Unterthanen von einer solchen Maßregel betroffen
+werden, dann bekommen sie vollen Ersatz für ihr genommenes
+Grundeigentum.
+
+Die Straße, welche früher als Glanzpunkt des europäischen Lebens galt,
+die Muski, ist heute entthront; zwar findet man immer noch elegante
+Läden, aber elegantere giebt es in der Ismaelia (der neue Stadttheil von
+Kairo) und die Straße ist viel zu eng, als daß sie jemals ihren Rang
+wieder einnehmen könnte, nämlich die "Unter den Linden" Kairo's zu sein.
+Dazu kommt noch, daß man aus Utilitätsrücksichten geglaubt hat, davon
+abstehen zu müssen, sie mit Pflasterung zu versehen. Aber die Muski ist
+noch immer das Herz von Kairo, hier pulsirt das größte Leben, welches in
+seinem Dahinfluthen Aehnliches zeigt mit den Wogen des Strand von
+London. Hier ist auch die Vermittelungsstraße vom modernen europäischen
+zum alten orientalischen Kairo.
+
+Wandern wir rasch durch die verschiedenen orientalischen Quartiere,
+durch die Bazars, ehe sie für immer verschwinden, um einer modernen
+"=Avenue=" oder einem "=Boulevard=" Platz zu machen.
+
+Da ist der Khan el Khalil im Gammeliah-Quartier; der Name rührt daher,
+weil hier die Kamele (Gammel, Gemmel oder Djemel) ihre Waaren aufnehmen
+und abladen. Hier sind alle orientalischen Artikel zu haben. An
+endlosen, nicht sehr breiten überdachten Straßen hocken in engen
+Verkaufsläden die Eigentümer. Die Läden sind meistens so eng, daß Alles
+und Jedes im Bereiche des Hockenden ist. Hier finden wir alle Requisiten
+des orientalischen Rauchers. Hier sieht man jene reichen Teppiche aus
+Persien oder Damask, elegante orientalische Stoffe, Elfenbein und
+Straußenfedern und im Allgemeinen alle Artikel aus dem Sudan und Asien;
+reich eingelegte Waffen, Schmucksachen, unverarbeitete Edelsteine, Vasen
+etc. Die Hauptmarkttage von Khan el Khalil sind Montags und Donnerstags.
+
+Diese große Markthalle, wo fast ausschließlich eingeborene Kaufleute
+ihre Buden haben, wo aber manches europäische Haus mit großen Summen
+betheiligt ist, hat natürlich an allen Ecken und Enden feste und
+"fliegende" Café's. Erstere sind solche, wo der Kauadji eine größere
+oder kleinere Räumlichkeit besitzt, welche von seinen Gästen besucht
+wird, in denen man mitunter auch Musik findet. Letztere bestehen auf der
+Straße selbst einfach aus einem kleinen Kochapparat, wo Kaffee bereitet
+wird, den der Cafétier seinen bestimmten Kunden zuträgt. Jeder
+Budenbesitzer schlürft mehrere Male des Tages seinen Mokka, und da
+größere Käufe, welche natürlich längere Zeit in Anspruch nehmen, nur mit
+einer Tasse Kaffee in der Hand abgemacht werden, so haben solche
+fliegende Cafetiers auch eine ganz gute Kundschaft.
+
+Hier findet man vereinzelt auch jene Haschisch-Buden, d.h. Kaffeehäuser,
+wo neben dem Tabaksrauchapparat, der in Narghileh, Tschibuck und
+Cigaretten besteht, vorzugsweise Haschisch geraucht und gegessen wird.
+
+Gehen wir weiter, so kommen wir zum Hamsani-Bazar, wo man hauptsächlich
+Parfümerien, Papier, Porzellan, Krystallsachen, Kattunstoffe, Kramwaaren
+und Arzneien kaufen kann. Erstere, die Parfümerien, sind bei den
+Orientalen ein stark begehrter Gegenstand. Im Allgemeinen haben sie auch
+Vorliebe für dieselben Wohlgerüche, wie wir Europäer, aber bei
+einzelnen, welche bei uns die seine Gesellschaft schon zu "=mauvais
+odeur=" rechnet und welcher sich bei uns nur der =demi monde=
+bedient, nämlich Moschus und Patschuli--diese erklärt der Orientale als
+den Inbegrif des Vollkommensten, was man dem Geruchsorgan bieten könne.
+
+Auch in vergangenen Jahrhunderten war dies so, die Liebhaberei für
+derartige Düfte ist nicht neu. Als Beweis führe ich Leo[57] an, der in
+seiner Beschreibung "von der sehr großen und bewunderungswürdigen Stadt
+Kairo" sagt: "Auf einer anderen Seite (er hatte soeben das auch zu
+seiner Zeit so heißende Can el Halili beschrieben) der erwähnten Straße
+ist eine Gegend für Diejenigen, die mit Räucherwerken, z.B. Zibeth,
+Moschus, Ambra und Benzoin handeln; diese Wohlgerüche sind in solcher
+Menge vorhanden, daß wenn Jemand 25 Pfund verlangt, man ihm wohl 100
+Pfund zeigen kann."
+
+Hieran reihen sich noch andere Bazars, der von Gurich, wo hauptsächlich
+Seidenstoffe, Wollfabrikate und Tuche verkauft werden; ein eigener
+Zuckerbazar fehlt auch nicht und auch ein Waffenbazar dicht bei der
+berühmten Hassan-Moschee existirt noch immer. Man findet hier
+europäische und ägyptische Waffen, das Material indeß, die Klingen,
+Läufe und Schlösser kommen vom Abendlande, nur die Zusammensetzung und
+die Ausbesserungen werden hier vorgenommen.
+
+Der Waffenmarkt hat übrigens bedeutend abgenommen, seitdem das
+Faustrecht in Aegypten aufgehört hat, an der Tagesordnung zu sein.
+Jeder Eingeborene sucht allerdings auch heute noch seinen Stolz darin,
+dermaleinst eine Flinte zu besitzen, um der Jagd, die ja in Aegypten
+frei ist, fröhnen zu können; aber eine _Notwendigkeit_, eine Waffe zu
+haben und zu tragen, wie das früher der Fall war, namentlich vor
+Mohammed-Alis Zeiten, die liegt heute nicht mehr vor.
+
+Wenn nun auch Kairo nicht die erste Handelsstadt des Pharaonenreiches
+ist, das ist heute Alexandrien, so ist der Warenumsatz und geschäftliche
+Verkehr doch immerhin ein bedeutender und durchaus der Einwohnerzahl
+Kairos gemäß.
+
+Der Haupthandel, namentlich der Engros-Handel, befindet sich in den
+Händen der Griechen, nach ihnen kommen die Engländer, Italiener,
+Franzosen und Deutschen; aber der größte Kaufmann, der, welcher allein
+mehr Geschäfte macht, als alle Eingeborenen und Ausländer
+zusammengenommen, das ist der Chedive. Noch größer, denn als Regent,
+zeigt sich Ismael als Geschäftsmann.
+
+Die kaufmännischen Geschäfte werden zwischen den Eingeborenen und
+europäischen Handelsleuten mittelst Makler (arab. =samsar=,
+italienisch =sensale=) abgemacht. Meist wird der Verkauf mittelst
+Credit abgeschlossen, selten gleich baare Zahlung geleistet. Gewöhnlich
+sind die Eingeborenen die pünktlichsten Zahler, obschon sie es auch an
+der knauserigsten Feilscherei nicht fehlen lassen und um einen Para mehr
+oder weniger Himmel und Hölle in Bewegung setzen möchten.
+
+Unter den Ausfuhrartikeln, welche stets in Kairo lagern, nennen wir als
+wichtig: Gummi, Elfenbein, Sennesblätter, Datteln, Weihrauch,
+Perlmutter, sogenannter Mokkakaffee, der aber zum größten Theil aus den
+Landstrichen südlich von Abessynien kommt, Straußenfedern, Felle, Opium,
+Schildpatt, Tamarinden, Wachs, Knochen, Hörner, Lumpen.
+
+In industrieller Beziehung steht die Fabrikation von halbseidenen
+Stoffen oben an. Es giebt in Kairo augenblicklich 500 Webestühle, welche
+jenen unter dem Namen Kutnieh oder Alagieh bekannten halbseidenen Stoff
+fabriciren. Ferner ist die Zahl der Indigofärbereien nicht unbedeutend;
+fast alle Kattunstoffe werden ungefärbt importirt, aber die Eingeborenen
+tragen sie nur indigogefärbt.
+
+Auch die Gerbereien werden =en gros= betrieben. Die Bewohner von
+Kairo verstehen ebenso gut das Leder zu gerben und zuzubereiten, wie die
+von Cordova, von Marokko oder Saffi, von welchen Städten die feinen
+Leder ihre speciellen Namen als Corduan, Maroccain oder Saffian erhalten
+haben. Auch Posamentirarbeiten, Mattenflechterei und Korbmacherei
+erfreut sich in der Hauptstadt eines großen Aufschwunges.
+
+Wollstoffe, grobe Leinwand, welche vorzüglich in Fayum gewebt wird,
+haben in Kairo ihren hauptsächlichsten Umsatz für das ganze Land. In
+Bulak giebt es eine Papierfabrik, eine Kanonengießerei und eine
+bedeutende Schiffswerft. Bulak muß jetzt überhaupt schon als ein
+integrirender Stadttheil Kairo's betrachtet werden, und da wollen wir
+nicht unerwähnt lassen, daß das Sehenswertheste in diesem Stadttheile
+das von Herrn _Mariette_ gegründete ägyptologische Museum ist.
+
+Auch ein Irrenhaus, ein Bagno für weibliche Verbrecher, eine Kunst- und
+Gewerbeschule, das Arsenal, eine arabische und persische Druckerei
+befinden sich in Bulak.
+
+Und =vis-à-vis= von Bulak ist die Perle des Nils, der Palast und
+Garten von Gesirah. Wer je einmal die Wundermärchen von "Tausend und
+Eine Nacht" gelesen hat, der glaubt, daß hier diese Zaubereien
+Wirklichkeit geworden sind. Der Palast selbst erinnert an das
+Meisterstück der Alhambra, den Löwenhof. Der Garten aber übertrifft an
+Ueppigkeit der Pflanzen, an prachtvollen Anlagen, an seltenen exotischen
+Gewächsen selbst noch den der Esbekieh inmitten der Hauptstadt.
+
+Die Grasplätze, Stauden und Blumen, die Statuetten, Grotten,
+Felspartien, Bäche, Brücken, Candelaber, Springbrunnen &c., alles dies
+belebt von Thieren aller Art und Größe, machen diesen Garten zu einer
+Zauberei eigner Art. Namentlich Abends und Nachts, wenn einer jener
+officiellen chedivischen Bälle abgehalten wird, glaubt man beim Lichte
+jener 1000 Gasflammen der Wirklichkeit entrückt zu sein.
+
+In der Mitte des Gartens ist jener herrliche Salamlik, ein Sommerpalast
+des Chedive, von einem Walde von Säulen getragen.
+
+Eine Zierde dieses Wundergartens wird das Aquarium sein, welches von
+eben jenem fähigen Baumeister errichtet wird, Herrn _Combay_, welcher
+die prachtvolle Grotte im Esbekieh-Garten erbaut hat. Dasselbe erhält
+eine Grundfläche von 4800 Quadratmetern und besteht aus zwei Etagen. Die
+Idee ist ebenso großartig, wie kühn. Die prächtig nachgebildeten
+Stalaktiten, welche vom Gewölbe herab sich in die Grotten senken, die
+Korallen und Seegewächse, welche vom Boden aufsteigen, wirken wunderbar,
+und hier auf der Grenze zweier Meere, des rothen und des
+mittelländischen, inmitten eines der mächtigsten Ströme der Erde werden
+wir bald ein Aquarium besitzen, wie kein zweites auf der Welt, welches
+jedenfalls an Reichhaltigkeit lebender Bewohner von Salz- und Süßwasser
+selbst die Aquarien von Brighton und Neapel aus dem Felde schlagen wird.
+
+Wie Bulak heute nur ein Theil Kairo's ist, so ist Masr el Attikah
+(Alt-Kairo, früher officiell so unterschieden als abgetrennte Stadt vom
+eigentlichen Masr, während wir im Verlaufe dieser Abhandlung mit
+Alt-Kairo das bezeichnen, was orientalisch ist, und Neu-Kairo das
+nennen, was neu ist, also vorzüglich den Stadttheil Ismaelia) es
+ebenfalls.
+
+Geht man von der Esbekieh aus über den Abdin-Platz bei der Sitti Seinab
+vorbei, so befindet man sich angesichts des protestantischen und
+katholischen Kirchhofs und angesichts jenes Riesen-Aquaducts, den
+Saladin herstellen ließ, um dadurch die Befestigungen der Citadelle zu
+vervollständigen. Diese Wasserleitung ruht auf 289 Bogen und hat eine
+Länge von etwas über 2 Quadrat-Meilen. Eine schattige Alle führt, sobald
+man unter der Wasserleitung durch ist, nach Masr el Attikah.
+
+Von den 8 christlichen Kirchen, welche hier sind, ist für den Fremden
+die am interessantesten, in welcher das Häuschen sich befindet, worin
+nach der Legende die heilige Familie geweilt haben soll; sie gehört den
+nichtunirten Griechen.
+
+Gegenüber liegt die Insel Rhoda, welche zwar nicht zur Stadt Kairo
+gehört, aber wegen des hier befindlichen Nilmessers, Mekias von den
+Eingeborenen[58] genannt, welcher sich ursprünglich in Memphis befand,
+wird gewiß jeder Europäer, der als Reisender nach Aegypten kommt, zur
+Insel hinüberfahren.
+
+Aber auch auf dieser Insel giebt es prächtige Paläste und Gärten,
+namentlich der Palast von Ibrahim Pascha ist eines Besuches werth. Auf
+dem südlichsten Ende der Insel befindet sich eine Pulvermühle.
+
+Masr el Attikah ist mit Bulak durch eine Reihe schöner Paläste, Villen
+und Gärten verbunden. Das Palais von Soliman Pascha, unmittelbar am Nil
+gelegen, der Khalig-Kanal, bei dem alljährlich die Festlichkeiten
+stattfinden, welche bei der Nilüberschwemmung seit Tausenden von Jahren
+gefeiert werden, eine große Salpeterfabrik, das große Hospital Gasr el
+Ain, welches sowohl für Militär- als Civilpersonen eingerichtet ist,
+endlich das große Schloß Gasr el Nil, ein Hospital und eine ungeheure
+Kaserne, alle diese Bauten bereiten den Wanderer gewissermaßen auf eine
+der kolossalsten Thaten des Chedive vor, welche derselbe im Verlaufe
+seiner so wirksamen und ruhmgekrönten Regierung hat ausführen lassen.
+Wir meinen die feste Nilbrücke, im Februar 1872 eingeweiht; sie hat eine
+Länge von 406 Meter, hat auf dem rechten Nilufer eine Drehscheibe von 30
+Meter Durchschnitt auf einem Thurme ruhend, der 50 Fuß tief in das
+Nilbett eingesenkt ist. Die Brücke hat 2,300,000 Frcs. gekostet.
+Ebenbürtig stellt sie sich den besten Brückenbauten der civilisirten
+Staaten an die Seite.
+
+Aber wir halten, am anderen Ufer des Nils angekommen, an, denn die
+Beschreibung von Giseh, welches jetzt die Abfahrtsstation für
+Ober-Aegypten mit der Bahn geworden ist, die Pyramiden, auf der anderen
+Seite der versteinerten Welt Matarieh und Heliopolis, die Abassieh und
+die heißen Bäder von Hamman Heluan gehören nicht in den Rahmen dieses
+Bildes, der ja nur eine Uebersicht von Kairo, wie es jetzt ist,
+entwerfen sollte.
+
+Eigenthümlich genug, daß die Generalconsulate und politischen Agenturen
+nicht in der Hauptstadt Aegyptens, sondern in Alexandrien sind. Dasselbe
+sehen wir sich wiederholen am westlichsten Punkte von Afrika, in
+Marokko, mit dem Unterschiede, daß im Innern von Marokko überhaupt noch
+keine Vertreter christlicher Mächte zu finden sind, während Tanger von
+den Staaten, die sich am meisten für das Land interessiren.
+Generalconsulate und Viceconsulate, beide von _einer_ Macht, beherbergt.
+Kairo hat blos Consulate.
+
+Der Grund dieser Abnormität, dieser stiefmütterlichen Behandlung der
+Hauptstadt schreibt sich aus den alten Zeiten her, wo der Christ sich
+jede Art roher Behandlung gefallen lassen mußte. Wurde nun einmal ein
+einfacher Consul geohrfeigt von einem Mameluk oder ägyptischen Pascha,
+so konnte das eher verschmerzt werden; wurde aber ein Generalconsul mit
+Füßen getreten, so mußte man schon Notiz davon nehmen[59]. Zudem konnte
+ein Generalconsul eher in einer Hafenstadt geschützt werden, als im
+Innern des Landes.
+
+Da aber alle diese Ursachen längst aufgehört haben, so sollte auch jener
+abnorme Zustand aufhören. Oder denkt man vielleicht, mit der
+Souveränität von Aegypten müßten ohnedies neue diplomatische
+Verbindungen eintreten und die Unabhängigkeit des Landes werde wohl
+nicht lange mehr auf sich warten lassen? Das einzige Land Persien hat
+sein Viceconsulat in Alexandrien, sein Generalconsulat aber in Kairo,
+und auch dies bestätigt meine vorhin ausgesprochene Ursache.
+
+Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften in Kairo haben fast alle
+ihre eigenen Kirchen, so die katholische der Väter des heiligen Grabes,
+die unirten Griechen, die orthodoxen Griechen, die katholischen
+Armenier, die nichtkatholischen Armenier, die unirten Syrier, die
+katholischen Maroniten, die reformirten deutsch-französischen Christen,
+die amerikanischen Protestanten, die katholischen Kopten und die
+Jesuiten.
+
+Auch die Juden theilen sich in Talmudisten und Thoraimisten, d.h.
+solche, welche nur das Gesetz Moses anerkennen.
+
+Das Schulwesen in Kairo hat einen ganz neuen Aufschwung genommen unter
+der umsichtigen Leitung des Schweizers, Herrn Dohr. Sein Hauptstreben
+ist dahin gerichtet, die weibliche mohammedanische Jugend der Bildung
+theilhaftig werden zu lassen, derer sie bedarf, und wenn dies gelingt,
+so ist damit ein Hauptfactor zur wirklichen Civilisation des ganzen
+Volkes gegeben.
+
+Hospitäler giebt es zwei, das schon genannte in Gasr el Nil, welches
+jährlich an 5000 Kranke aufnimmt, und das europäische, dessen Kranke in
+den Flügeln des großen Gasr el Ain untergebracht werden. Die Aufnahme
+der Kranken ist hier nicht gratis, sondern der Patient zahlt je 12, 6
+und 3 Frcs. für den Tag. Dies Hospital steht unter Aufsicht eines der
+Consuln, welche zu diesem Zwecke einen der Ihrigen alljährlich hierzu
+auserwählen.
+
+Sollen wir schließlich noch ein Wort über die Absteigequartiere der
+Europäer sagen, so beginnen wir mit dem sowohl äußerlich, wie innerlich
+gleich großartig ausgestatteten New-Hôtel, an der Esbekieh gelegen; es
+ist Eigenthum des Chedive und wird besonders von nach Indien reisenden
+Engländern besucht.
+
+Schaper's Hôtel, jetzt Herrn Zech, einem Schwaben, gehörig, ebenfalls am
+Esbekieh-Platz gelegen, besonders von vornehmen Reisenden frequentirt;
+Art und Weise durchaus englisch.
+
+Nil-Hôtel am Ende einer von der Muskistraße ausgehenden Sackgasse,
+besonders von Deutschen und Nordamerikanern besucht, mit reizendem
+Garten und trefflicher deutscher Bedienung bei vorzüglicher
+französischer Küche.
+
+Andere Hôtels ersten Ranges, wie =Hôtel d'Orient=, =Hôtel des
+Ambassadeurs=, =Hôtel Royal= sind gleichfalls zu empfehlen. Auch
+gute Hôtels zweiten Ranges fehlen nicht, z.B. =Hôtel des Colonies, de
+France, des Princes, du Commerce= u.a.
+
+Mit allen Hotels sind europäische Bäder verknüpft; von den zahlreichen
+maurischen Bädern ist das den Europäern am meisten zu empfehlende das
+Bad Tombaly nahe dem Scharieh-Thore.
+
+Das ist das Kairo im Jahre 1875; heute schon halb eine europäische
+Stadt, wird diese Stätte uralter ägyptischer Cultur--denn Kairo ist doch
+eigentlich weiter nichts, als ein verjüngtes Memphis--bald wieder ein
+neues, ganz der neuesten Civilisation und Cultur sich anpassendes Kleid
+angelegt haben und nach Abschüttelung des Staubes und der Asche wie ein
+Phönix aus derselben emporsteigen.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 50: Uebersetzung nach Wetzstein; andere übersetzen auch "die
+Siegerin".]
+
+[Footnote 51: Ich folge _hier_ der Schreibweise Wetzsteins.]
+
+[Footnote 52: Es ist dies in sofern interessant, als das Umgekehrte
+Regel ist, wenigstens in der Neuzeit. Von verschiedenen Völkern wird das
+türkische Reich nach seiner Hauptstadt Stambul genannt, also das Land
+nach der Hauptstadt. Im ganzen Orient benennt man das Kaiserreich der
+Preußen nach seiner alten Hauptstadt Muscu. Wir selbst nennen die
+Berberstaaten Tripolis, Tunis, Algier nach ihren Hauptstädten. In
+Deutschland haben die kleinen Länder fast alle ihre Benennung nach den
+Hauptstädten.]
+
+[Footnote 53: Aufgepaßt, aufgepaßt, rechts Herr, links!]
+
+[Footnote 54: Weiblicher Plural von Moslim.]
+
+[Footnote 55: Was das anbetrifft, so müssen wir doch anderer Meinung
+sein. In einem Lande, wo eigentlich nur _ein_ Kaufmann ist, nämlich der
+Chedive, kann von Handelsfreiheit nicht wohl die Rede sein.]
+
+[Footnote 56: Siehe p. 275: =guide annuaire par Fr. Levernay=.]
+
+[Footnote 57: Uebersetzung von Lorsbach p. 519.]
+
+[Footnote 58: [Greek: neiloschopion] der Griechen.]
+
+[Footnote 59: Der Schlag mit dem Fliegenwedel ins Gesicht des
+französischen Consuls in Algier führte zur Unterwerfung der
+Regentschaft; leider wurden ähnliche Insulten von anderen Mächten nicht
+so energisch geahndet, sonst hätte das Piratenwesen etc. nicht
+aufkommen, wenigstens nie eine solche Macht werden können und die
+schändliche Menschenräuberei, welche bis 1830 trotz der europäischen
+Mächte von den muselmanischen Beys und Deys betrieben wurde, wäre viel
+eher unterdrückt und ausgerottet worden.]
+
+
+
+
+11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste.
+
+
+Schon einen halben Tag vorher, als wir noch inmitten der ödesten
+Steinwüste waren, bemerkten wir die Nähe des lebenspendenden Nilthales.
+Es war gegen 2 Uhr Nachmittags, und in verschiedenen Gruppen zu Fuß
+gehend waren wir den langsamen Kamelen vorausgeeilt; wir unterhielten
+uns gerade über die Möglichkeit, noch am selben Abende oder früh am
+Morgen an's Nilthal zu kommen, als lautes Gejodel hinter uns ausbrach.
+Es waren unsere Diener, die nun heranstürmten und uns auf eine hohe
+Dampfsäule aufmerksam machten, die gerade vor uns im Osten majestätisch
+gen Himmel aufwirbelte. Sie konnte nur aus einem jener
+Fabrikschornsteine herrühren, welche man jetzt in Aegypten, vom Delta an
+bis nach Assuom hinauf, als Zeugen einer höheren Kultur antrifft.
+
+Mit erneuertem Eifer eilten wir voran und eine Stunde vor
+Sonnenuntergang hatten wir den Rand der Sahara, das felsige Steil-Ufer
+des Nil, erreicht. Ja, auf einem erhöhten Vorsprunge konnten wir, in
+weiter Entfernung allerdings, den Nil selbst und seinen grünen Rahmen,
+die schlanken Palmen, erkennen. Sobald die Kamele herangekommen waren,
+wurde dann noch mit Vorsicht der Abstieg ausgeführt, wollten wir doch
+vor allen Dingen noch am selben Abende der traurigen Hammada (steinigen
+Hochebene) entfliehen und der Wüste für immer Lebewohl sagen.
+
+Aber wenn wir auch die Genugthuung hatten, am Fuße des felsigen Ufers
+unsere Zelte aufschlagen zu können, so war es doch zu spät geworden, um
+das eigentliche Nilthal, das, welches unter der unmittelbaren Einwirkung
+des belebenden Wassers steht, erreichen zu können. Die Schwierigkeiten,
+die beladenen Kamele durch die enge, abschüssige Felsspalte
+hinabzutreiben, waren so groß, daß es schon dunkelte, als wir unten am
+Ausgange der majestätischen Schlucht ankamen. Aber ein prachtvoller
+Lagerplatz war es. Da standen unsere Zelte am Fuße der jäh abfallenden
+Kalkwände, vor uns öffneten sie sich, der Ausgang winkte uns Leben
+entgegen, hinter uns thürmten sie sich himmelhoch auf, eine riesige
+Mauer als Scheidewand der ewig todten Sahara vom fruchtbarsten Thale der
+Welt. Und nun ging der Mond auf und ergoß sein Licht über unser
+malerisches Lager; die Feuer prasselten, behaglich hatten sich die müden
+Kamele in den weichen Sand gestreckt und zermalmten langsam ihr
+wohlverdientes Futter; die deutschen Diener provocirten jubelnd durch
+Revolver und Gewehrschüsse das vielfache Echo, während wir Anderen uns
+vor unsere Zelte gesetzt hatten und die Freuden der Nilreise erwogen,
+welche wir sicher schon am andern Tage antreten zu können hofften.
+
+Das war unser letztes Lager, unsere letzte Wüstennacht, die gewiß Jedem
+von uns unvergeßlich sein wird.
+
+Früher als sonst waren wir am anderen Morgen bereit. Schnell wurden die
+Zelte gerollt, die Kamele beladen und vorwärts ging es. Aber so schnell
+war dennoch Esneh, wo wir uns einzuschiffen hoffen konnten, nicht
+erreicht. Wir waren allerdings im Nilthale, aber noch weit von Esneh,
+dessen Palmen noch nicht einmal zu sehen waren. Ein regelrechter
+Tagemarsch mußte noch zurückgelegt werden und zwar kein angenehmer, denn
+das Thermometer zeigte im Schatten über 30 Grad. Indeß zogen wir immer
+längs der fruchtbaren Nilfelder nach Süden und rechts das hohe Ufer bot
+in seiner wechselvollen Form Unterhaltung genug, um die Zeit rasch
+schwinden zu machen.
+
+Nachmittags erreichten wir denn auch die ersten menschlichen Bauten,
+zwar nur Ruinen, aber interessanter Art. Es waren die Reste eines
+ehemaligen bedeutenden koptischen Klosters, welches auch heute noch für
+die ägyptischen Christen ein berühmter Wallfahrtsort ist. Hierher kam in
+der Mitte des vierten Jahrhunderts der Pater Pachomius, ein Held der
+koptischen Kirche. Die Kirche des Klosters, eine Rotunde, ist noch gut
+erhalten, ja einige Zellen, mit Matten belegt, geben Zeugniß, daß
+manchmal Tage lang noch Gottesdienst hier verrichtet wird. Einige in
+Stein gehauene griechische Inschriften deuten auf das hohe Alter des
+merkwürdigen Klosters hin. Am interessantesten sind aber die hübschen
+Mausoleen in der Nähe des Klosters; hier ruhen die Gebeine der
+christlichen Märtyrer, welche im Jahre 303 n. Chr. auf Befehl vom Kaiser
+Diocletian hingerichtet wurden. Reizende Grabkapellen, deren hübsche
+architektonische Formen sich nur vergleichen lassen mit der berühmten
+Nekropolis in Chargeh und die um so bemerkenswerter sind, weil sie zu
+den wenigen Bauüberresten gehören, welche aus _ungebrannten_ Thonziegeln
+errichtet sind.
+
+Jetzt tauchten auch die Gärten von Esneh auf und bald darauf erblickte
+man die größeren Gebäude und die schlanken Minarets der Moscheen. Unser
+Factotum, Mohammed Daud, hatte ich vorausgeschickt, um uns beim Mudir
+anzumelden, und eine halbe Stunde vor der Stadt kam uns auf einem
+prächtigen weißen Berberhengste der Unter-Mudir entgegen, um uns
+willkommen zu heißen. Zittel und ich waren vorausgegangen und betraten
+bald darauf das hübsche Lustschloß des Chedive, unmittelbar am Nil
+gelegen.
+
+Sobald wir im Schlosse, welches der Chedive ganz zu unserer Verfügung
+gestellt hatte, eingerichtet waren, namentlich Jeder von uns sein Zimmer
+in Besitz genommen hatte, stellten sich die Honoratioren der Stadt ein
+und im großen Saale wurde Empfang gehalten. Wir aber forschten vor
+Allem, ob in Esneh ein Trunk Bier zu haben sei, und siehe da, die Stadt
+erwies sich in dieser Beziehung sehr civilisirt, denn bald darauf
+standen vermiedene Flaschen Ale auf dem Tische. Seltsames Verlangen,
+welches wohl nur der Deutsche, vielleicht auch der Engländer
+besitzt--ich glaube, in Esneh ist während der kurzen Zeit unseres
+Aufenthalts so viel Bier wie nie vorher verkauft worden.
+
+Das Schloß des Vicekönigs war reizend gelegen, obschon es sich sonst
+keineswegs durch architektonische Schönheit auszeichnete. Von Mohammed
+Ali erbaut, der fast jeden Winter einige Monate in Esneh zuzubringen
+pflegte, zeigt es im Allgemeinen dieselbe Anordnung der viceköniglichen
+Palais aus jener Periode, d.h. länglich viereckig ist das innere
+Parterre durch ein großes Kreuz getheilt. Sonderbare Vorliebe, welche
+die Aegypter für's Kreuz besitzen, denn sogar die berühmte
+Mulei-Hassan-Moschee in Kairo zeigt ja, wie ich früher schon erwähnte,
+in der Grundform ein Kreuz. In der Bel-Etage war ein großer Saal mit
+verschiedenen Zimmern daneben; letztere hatten wir unter uns vertheilt;
+der Salon, nach türkischer Sitte nur mit einem Divan, der sich rund um
+die Wände zog, möblirt, diente als gemeinsames Speisezimmer und als
+Empfangszimmer. Die Teppiche waren überaus schön und auch die
+Möbelstoffe, Gardinen etc. waren einst schön gewesen, aber vom Zahne der
+Zeit etwas angegriffen.
+
+Ich schlief in der ersten Nacht im Bette Mohammed Ali's, aber in den
+folgenden Nächten zog ich mein Feldbett doch vor. In den Wandschränken
+der Zimmer fand sich überdies der reichste Vorrath von Leinenzeug,
+seidenen und wollenen Decken, Kissen etc., vielleicht seit zwanzig
+Jahren unberührt liegend, denn der jetzige Chedive und seine beiden
+Vorgänger haben nie in diesem Palaste genächtigt.
+
+Ringsum ist ein reizender Garten, da wetteifern Palmen mit Oliven,
+Feigen mit Agaven, Granaten mit Orangen in ewig grüner Pracht, wer am
+ersten seine duftenden Blüthen offenbaren soll. Und vor dem Palais
+selbst ist, ehe man zu den Fluthen des Nils kommt, ein zweiter schöner
+Platz, stets schattig, denn herrliche Lebek-Akazien überwölben ihn.
+
+Unsere Freude, den Nil erreicht zu haben, wieder in civilisirter
+Umgebung sein zu können, wurde aber etwas getrübt, weil kein Dampfer, um
+uns zu holen, gekommen war. Leider war der Brief, den ich von der
+Jupiter-Ammons-Oase aus an unseren Generalconsul in Alexandrien
+geschickt hatte, acht Tage später angekommen, durch die unverzeihliche
+Nachlässigkeit des arabischen Boten, welcher geglaubt hatte. "Acht Tage
+früher oder acht Tage später, was macht das aus?" So fanden wir nur ein
+Telegramm vor, welches besagte, es sei Befehl gegeben, uns von Assuan
+her eine Dahabieh zu besorgen, da Dampfer des niedrigen Wasserstandes
+wegen nicht mehr fahren könnten. Letzteres war nun allerdings eine
+Unwahrheit, aber jedenfalls war die Zeit zu kurz geworden, um jetzt noch
+einen Dampfer von Kairo zu erwarten.
+
+Wir mußten uns also mit Geduld in unser Schicksal ergeben und Jeder
+nutzte die Zeit aus, so gut es ging. Zittel durchforschte noch einmal
+die interessanten Schichten des Nilufers, Jordan operirte mit dem
+Theodolit, Ascherson suchte mit seinem Diener Korb Pflanzen und Herr
+Remelé photographirte im Tempel; nur ich selbst hatte meine Thätigkeit
+geschlossen, denn mit der Erreichung des Nils hatte die Reise ihr Ende
+erreicht. Aber ganz unthätig war ich auch nicht, lag mir doch ob, unsere
+ganze Expedition noch stromabwärts bis zum Mittelmeere zu führen, und da
+gab es noch Mancherlei zu besorgen und anzuordnen.
+
+Esneh mit circa 7000 Einwohnern ist günstiger gelegen, als Siut,
+insofern als es unmittelbar am Nil liegt, aber dennoch ist letztere
+Stadt bedeutend wichtiger für Handel und Wandel. Der jetzige Name Esneh
+ist der alte, ursprünglich ägyptische, wie Quatremère und Champollion
+aus koptischen Urkunden nachgewiesen haben. Letzterer bringt das Wort
+mit =Sna= was auf koptisch Garten bedeutet, in Verbindung. Der
+griechische Name Latopolis kommt, wie Strabo (Bd. XVII, S. 817) sagt,
+von der Verehrung des Fisches Latos her, dem hier mit Minerva göttliche
+Ehre erwiesen wurde. Dies bezeugt der prächtige Tempel, dessen Vorhalle,
+unter Mohammed Ali's Regierung bloßgelegt, zu den wohlerhaltensten
+Denkmälern gehört, welche Aegypten besitzt.
+
+Im Ganzen genommen liegt Esneh äußerst malerisch auf circa 25-30 Fuß
+hohem Nilufer. Der Palast des Chedive, die große Cavallerie-Caserne,
+welche jetzt allerdings leer steht und welcher der Verfall droht, das
+Mudirats-Gebäude, die Wohnung des Schich el Bled, alle am Nil gelegen,
+dann die große Zahl der imposanten und bunt bekalkten Taubenschläge
+verleihen der Stadt ein größeres Aussehen, als sie in Wirklichkeit hat.
+Ich habe früher schon dieser colossalen Taubenschläge erwähnt; ein
+einziger solcher Thurm, viel luxuriöser gebaut, als die danebenstehende
+menschliche Wohnung, beherbergt oft 500 und mehr Tauben. Hauptzweck der
+Taubenzucht ist die Erzielung von Guano, und Leute in Esneh gaben mir
+die Versicherung, daß der Jahresbetrag eines großen Taubenschlags oft
+für 40 bis 50 Ducaten Guano betrage. Man sieht also, daß nicht allein
+die Gewässer des Nils es sind, welche die fruchtbaren Fluren erzeugen,
+sondern daß auch noch durch Dünger nachgeholfen werden muß.
+
+Und da ich doch einmal bei den Tauben verweile, möchte ich hier die
+interessante, schon von Darwin mitgeteilte Thatsache hervorheben, daß
+die Tauben, um zu trinken, direct in den Nil fliegen; natürlich gehen
+sie in so seichtes Wasser, daß sie Grund finden. Aber wie lange wird es
+dauern und Gewohnheit, Notwendigkeit und Zuchtwahl werden
+zusammenwirken, es werden sich Schwimmhäutchen an den Füßen bilden und
+nach 10,000 Jahren oder mehr hat Aegypten vielleicht schwimmende Tauben.
+
+Eine Eigenthümlichkeit hat Esneh noch, welche sich vielleicht in den
+anderen ägyptischen Städten auch findet, aber nicht so hervortritt,
+nämlich ein ganzes Viertel, wo nur Hetären wohnen. In der Nähe sind
+türkische Kaffeehäuser und von da konnten wir die interessantesten
+Beobachtungen anstellen. Da sah man eine ganze ethnographische
+Musterkarte weiblicher Geschöpfe: hier eine blendend weiße
+Deltabewohnerin, vielleicht mit tscherkessischem Blute in ihren Adern,
+dort eine pechschwarze Dame aus Fur, hier eine rothe Dongolanerin, dort
+eine Fellahin aus dem Nilthal mit goldgelber Haut und großen schwarzen
+Augen, hier eine Jüdin, dort eine Christin, hier eine Mohammedanerin,
+dort eine Schwarze, welche vielleicht noch Heidin war, kurz, fast alle
+Racen, jedes Alter und jede Religion war vertreten.
+
+Wir luden diese zuvorkommenden Wesen ein, uns im Palais einen Besuch zu
+machen, aber da erfuhren wir, daß sie aus der Grenze ihres Stadtviertels
+ohne besondere Erlaubniß des Gouverneurs nicht herausgehen durften.
+Unser Photograph, Herr Remelé, wollte nämlich ein Gesammtbild dieser
+ethnographisch interessanten Frauen herstellen. Die Erlaubniß war indeß
+schnell erwirkt. Unter Führung des Unter-Mudir und verschiedener
+Polizisten erschienen sie Nachmittags, gewiß 30 an der Zahl, im Garten
+des chedivischen Palais. Alle waren im höchsten Putze und die Aermste
+hatte mindestens 40-50 Goldstücke zu einer Kette vereint um den Hals.
+Große goldene und silberne Armbänder, Fußspangen, bunte Kleider,
+goldgestickte Schuhe, Alles hatten sie angethan, um möglichst
+vorteilhaft zu erscheinen. Natürlich mußte die Sitzung bezahlt werden,
+aber es gelang Herrn Remelé doch, zwei höchst gelungene Aufnahmen zu
+machen.
+
+Sonst hat die Stadt nichts von Interesse; der Marktplatz, die Buden, die
+Straßen sind eng und klein, aber es ist Alles zu haben. Mehrere von
+Griechen gehaltene Schenken sind mit leiblichen Bedürfnissen aller Art
+wohl versehen.
+
+Doch noch einmal kehren wir zurück zu dem Tempel, der gleich hinter dem
+Marktplatze gelegen ist und sicher zu den staunenswertesten Denkmälern
+Aegyptens gehört. Dabei kam mir der Gedanke, wie angenehm es für uns
+gewesen war, diese alten ägyptischen Bauten immer in aufsteigender Weise
+kennen gelernt zu haben. Nachdem wir zuerst auf unserer Hinreise die
+ziemlich kunstlos gearbeiteten Hypogeen (Katakomben) von Beni Hassan,
+die Grüfte von Siut, gesehen, waren wir zum kleinen Tempel in Dachel,
+dann aber zum viel prächtigeren großen von Chargeh gekommen und nun
+hatten wir hier ein Werk vor uns, das uns die Pracht und die
+Herrlichkeit der ägyptischen Baukunst auf's Vollkommenste
+vergegenwärtigte. Leider ist der größte Theil des Tempels noch unter
+Schutt, nur der Porticus ist zugänglich. Aber seine gewaltigen
+Dimensionen deuten genugsam auf die bedeutenden Bauten hin, welche uns
+augenblicklich der neidische Boden zusammengefallener Hütten und Häuser
+verbirgt.
+
+24 Säulen, über 33 Fuß hoch, in vier Reihen stehend, mit einer
+Peripherie von 16 Fuß jede Säule, lassen in diesem Vortempel nur ahnen,
+welche großartige Verhältnisse dahinter liegen. Die französische
+Expedition schätzt die Grundfläche des ganzen Tempels auf 5000
+Quadratmeter, und Alles ist mit Hieroglyphen und bildlichen
+Darstellungen bedeckt. "Könnte ein Steinmetz auch ein Zehntel
+Quadratmeter in _einem_ Tage mit solchen Hieroglyphen bedecken, so wären
+doch 50,000 Tage zur Beendigung der ganzen Decoration nöthig[60]."
+
+Man sieht überall den Widderkopf des Jupiter Ammon; auch über der Thür,
+welche ins Innere des Tempels führt und die vermauert ist, sieht man ein
+widderköpfiges Bild. Die Säulen, deren Architrav, die Decke des Tempels
+sind alle wohl erhalten und die _erhaben_ gearbeiteten Hieroglyphen im
+Innern des Porticus sind von einer Genauigkeit der Arbeit, als ob sie
+erst gestern aus der Hand des Künstlers hervorgegangen wären. Warum sind
+in dem Innern der Tempel die Hieroglyphen erhaben, an der äußeren Seite
+aber meist vertieft gearbeitet? Das sind Fragen, die Einem einfallen;
+vielleicht hat ein Brugsch oder Lepsius, oder gar schon Champollion
+darauf geantwortet. Ich weiß es nicht, ich verweise daher den, der sich
+mit diesen Gegenständen eingehend beschäftigen will, auf die dahin
+einschlägige Literatur. Interesse hat eine solche Baute gewiß für
+Jedermann; auch der Gleichgültigste muß bewundern und selbst der
+blasirteste Mensch muß verstummen unter dem mächtigen Eindrucke dieses
+Menschenwerks. Schade, daß die Dunkelheit nicht erlaubt, die
+Deckengemälde genauer zu betrachten, wo namentlich ein Thierkreis, durch
+die Sauberkeit seiner Arbeit ausgezeichnet, von großem Interesse sein
+soll. Ich habe ihn nicht gesehen; die Dunkelheit wird hervorgebracht
+durch Schutt, der, fast so hoch wie der Tempel selbst, davor liegt; man
+muß mittelst einer Treppe hinabsteigen.
+
+Fünf Tage waren wir in Esneh, von Assuan kam immer noch kein Schiff. Am
+vierten Tage aber hatten wir schon einen Entschluß gefaßt. Vertraut mit
+den Versprechungen, welche ägyptische Beamte zu machen, aber nicht zu
+halten pflegen, hatten wir eingesehen, daß auf eine Dahabieh nicht zu
+rechnen sei. "Kairo ist weit und der Chedive thront hoch", denken auch
+die ägyptischen Mudire in Oberägypten. Möglich, daß keine Dahabieh in
+Assuan zu haben war, möglich, daß man dahin noch gar nicht um eine
+solche telegraphirt hatte; genug, es kam keine.
+
+Aber in Esneh selbst fanden sich zwei allerdings kleine, aber doch
+taugliche Schiffe, und mit Hülfe des Mudir wurden sie gemiethet. Der
+Mudir verstand etwas Englisch und war einer der besten ägyptischen
+Provinzialbeamten, den ich noch gesehen hatte: Wie fein und
+"=gentlemanlike=" war sein Benehmen gegen das des Siuter Mudir, der
+ein ehemaliger Sclave von Abbas Pascha war! Der Mudir von Esneh hatte
+aber auch früher an der Spitze der Asisieh-Dampfer-Compagnie gestanden,
+er war noch früher See-Capitain gewesen und hatte als solcher die Welt
+kennen gelernt.
+
+Auch die anderen Honoratioren der Stadt waren ordentliche Leute. Da war
+der Unter-Mudir, ein sehr gefälliger Mann; da war der Medicinalrath, der
+etwas Französisch redete, sich auch eine ägyptische Zeitung, die in
+französischer Sprache erschien, hielt, sie nur nie las. Er war so
+liebenswürdig, sie mir täglich zu schicken, aber ich gestehe, nachdem
+ich einige Mal dies Blatt, "=l'Egypte=" genannt, durchgesehen
+hatte, stand ich ebenfalls davon ab, es zu lesen. Kann man sich einen
+langweiligeren Inhalt denken: einige amtliche Bekanntmachungen, Auszüge
+aus den Verhandlungen irgend welcher obscurer französischer
+Gesellschaften, irgend ein französischer Sensationsroman und einige
+Annoncen. Selbst telegraphische Berichte waren nicht einmal vorhanden
+und politische Nachrichten, Leitartikel oder sonstige Raisonnements
+fehlten gänzlich. Glückliche ägyptische Beamte, die mit einem solchen
+officiellen Blatte abgespeist werden, "=l'Egypte=" ist das Organ
+der Regierung.
+
+Da war dann noch der Mufti, der Kadhi, der Schich el Midjelis[61], der
+Ukil[62] des Palais des Vicekönigs und einige andere Notablen, die uns
+alle Abende einen Besuch machten; aber einen kurzen, das muß ich zu
+ihrer Ehre nachrühmen; die langen Sitzungen, wie sie uns von der Behörde
+in Dachel täglich aufoctroyirt wurden, hatten wir hier nicht mehr zu
+erdulden.
+
+Bezaubernd in gewisser Weise waren auch die Tage in Esneh, so recht
+für's =Dolce far niente= angethan. Wenn des Morgens in die offenen
+Fenster hinein die sich mischenden Düfte des Jasmin und Orangenbaumes
+zogen, wenn die Schwalben ihr jubelndes Zwitschern erschallen ließen und
+wir selbst, Zittel und ich, uns auf die Terrasse begaben, um in aller
+Ruhe Kaffee zu schlürfen, zu schreiben oder zu lesen,--oder aber, wenn
+Abends die Sonne sich hinter die Nilufer gesenkt hatte und nun die
+gegenüberliegenden weißlichen Kalkberge in den herrlichsten Farben
+geschmückt prangten, der Himmel und der Nil selbst von ganz anderen
+Tinten übergossen erschien, als man es je anderswo schauen mag--so
+ließen alle diese Bilder Eindrücke zurück, welche nur Der zu würdigen
+weiß, der selbst Aehnliches erlebt und gesehen hat.
+
+Mittags hatten wir die Dahabiehen gemiethet, Nachmittags um 5 Uhr
+konnten wir schon abfahren. Aber die Dahabiehen sind keineswegs alle von
+gleicher Beschaffenheit. Man hat sehr große und schöne, so wie die
+europäischen Nilreisenden sich dieselben in Kairo zu einer Reise auf dem
+Nil miethen; man hat kleinere für eingeborene Reisende und solche, die
+gleichsam für den Waarentransport eingerichtet sind.
+
+Uns standen zwei kleinere zu Gebote, die mit vielen Nachtheilen den
+Vortheil verbanden, daß sie schneller fortzubewegen und besonders, daß
+sie bedeutend billiger waren, als die großen Dahabiehen. Wir verteilten
+uns also in die zwei Schiffchen und zwar so, daß Zittel, Ascherson und
+ich mit zwei europäischen Dienern das eine, Herr Remelé und Jordan mit
+drei ebenfalls europäischen Dienern das andere Schiff einnahmen.
+Räumlich waren letztere besser daran, als wir, denn bei gleich großen
+Cajüten waren sie zu Zweien, wir aber zu Dreien. Jedes Schiff hatte
+nämlich an seinem hinteren Theile zwei kleine Cabinen; in unserem
+bezogen Zittel und ich die eine, Ascherson die andere; letztere diente
+zugleich als Speisesaal und als Ort, wo unsere Kisten standen; beide
+Cajüten waren durch einen nicht näher zu bezeichnenden Ort getrennt,
+dessen unangenehme Einschaltung wir aber dadurch unschädlich machten,
+daß wir uns Allen den Zutritt verboten.
+
+Oben auf den beiden Cajüten wurde gesteuert, dort schliefen der Rais,
+unsere beiden europäischen Diener und der Schich unserer eingeborenen
+Leute. Die Mitte des Schiffes hatte Raum für den Mastbaum, für drei
+improvisirte Bänke, welche die sechs Ruderer inne hatten, und unter Deck
+war unsere Bagage; ganz am Vordertheile des Schiffes befand sich eine
+Art von Küche. Das war die Einrichtung des Schiffes. An Möbeln hatten
+wir Feldtische und Stühle von einem Dampfschiffe des Chedive, welches
+vor Kurzem bei den Ssilsilla-Bergen oberhalb Esneh gescheitert war.
+Unsere eignen Feldstühle waren durch die Reise ganz unbrauchbar
+geworden.
+
+An Proviant hatten wir drei Schafe, mehrere Puter, Eier, Mehl, Butter,
+Reis, Linsen, Brod, Kaffee, Wein und Bier; in dieser Beziehung waren wir
+also wohl versorgt, und um ja zu vermeiden, daß an Bord des anderen
+Schiffes nicht Unzufriedenheit ausbräche, theilte ich die Lebensmittel
+und Getränke stets so, daß jedes Schiff die Hälfte bekam, trotzdem wir
+zu drei Herren, das andere Fahrzeug aber nur mit zweien besetzt war.
+
+Langsam entschwand Esneh unseren Blicken. Es war der erste Abend, den
+wir wieder auf dem Nil verlebten, ein herrlicher in jeder Art, und nun
+konnten wir auch schon mit ziemlicher Gewißheit vorher berechnen, wann
+wir in Kairo, wann wir in Alexandria und wann wir in Neapel sein würden,
+besonders Zittel und ich, die wir gemeinsam zurückreisen wollten, wir
+gaben uns oft diesem frohen Gedanken hin. Da saßen wir nun oben auf der
+Cabine, ein Glas Bier vor uns, schauten auf die in prächtigen Farben
+schimmernden Berge, auf die ruhigen Fluthen des Nil, auf die Barken, die
+leise darüber hinglitten, auf die friedlichen Ufer, wo hier ein Schäfer
+seine Heerde heimtrieb, dort Büffel, die das steile Gehänge
+hinanklommen, hier Männer mit Sicheln bewaffnet, Heubündel einheimsend,
+hier die jungen Fellahmädchen, die Kühe zum Melken herantreibend,--ein
+Bild der Ruhe und des Friedens. Und diese Leute sollen so bedrückt sein,
+daß sie kaum mehr das Geld erschwingen können? So fragte ich mich beim
+Anblick dieses Bildes. Es leuchtete doch nur Zufriedenheit und Frohsinn
+aus aller Leute Gesicht. Hier wurde laut gelacht, dort wurde gesungen.
+Wie stimmt das mit den Klagen über unerschwingliche Steuern?
+
+Ach, es ist leider nur zu wahr, in Aegypten giebt es wohl gar keine
+Gegenstände mehr, die unbesteuert sind und die Steuern sind wirklich für
+das Volk fast unerschwinglich. Die Zufriedenheit und der frohe Sinn, die
+ewige Heiterkeit der armen Fellahin erklärt sich nur daraus, daß sie es
+nie besser gewohnt waren. Seit mehr als 4000 Jahren immer im
+Sclavenjoch, ist es einer Generation am Ende einerlei, ob sie mehr
+bezahlen muß, als die andern früher bezahlten. Auch die Väter haben
+keine Reichthümer gesammelt und haben, trotzdem sie vielleicht weniger
+steuerten, auch nichts hinterlassen.
+
+Was war das? Da tönte von der anderen Barke mit einem Male "Ein lustiger
+Musikante marschirte einst am Nil" &c. herüber und hernach noch andere
+Lieder. Das Singen ist ansteckend; wir antworteten und so etablirten
+sich Wechselgesänge oder auch, wenn die beiden Barken ganz nahe waren,
+sangen wir zusammen. Zittel mit seiner wirklich schönen Stimme mußte die
+Palme zuerkannt werden,--doch nein, ich übertraf ihn. Denn wenn ich mit
+der Kraft meines ganzen Körpers und mit unbeschreiblichem Ausdruck mein
+Schnadahüpfln sang, dann folgte immer ein allgemeines "bis, bis, noch
+ein Mal!" Ja, wie von einem Niemann oder Betz, wie von einer Lucca oder
+Patti (ich vereinige den Zauber und den Schmelz der verschiedensten
+Stimmen, einerlei, ob aus männlichen oder weiblichen Kehlen) wurde stets
+mein Lied drei oder vier Mal zu hören verlangt.
+
+Die Nächte auf dem Schiffe waren nicht allzu angenehm. Daß Ungeziefer
+der verschiedensten Art einheimisch war, sollten wir bald genug
+erfahren, aber in unserem Fahrzeuge waren außerdem noch Wasserratten,
+die auf lästige Art oft unseren ohnedies nicht festen Schlaf störten.
+Ja, eines Nachts sprang eine freche Ratte durch das kleine Fenster
+gerade auf mein Gesicht und als ich erschreckt in die Höhe fuhr, mit
+einem Satze auf Zittels Kopf, der dicht an meiner Seite schlief. Als sie
+auch hier keinen angenehmen Empfang fand, verschwand sie in unserem
+Brodkorbe, den sie sich als Lieblingsaufenthalt ausersehen hatte.
+
+Das war die erste Nacht, aber man gewöhnte sich an derartige
+Unannehmlichkeiten, und die mächtig wirkende Sonnengluth bei Tage suchte
+man durch leichtere Kleidung zu dämpfen, oder es wurde an seichten
+Stellen ein Bad genommen, das freilich nur eine momentane Abkühlung
+bewirkte.
+
+Wir näherten uns Theben, wo reich die Wohnungen sind an Besitzthum:
+
+ "Hundert hat sie der Thor', und es ziehen zweihundert aus jedem,
+ Rüstige Männer zum Streit mit Rossen daher und Geschirren."
+
+So singt Homer, aber ach!--nur Ruinen deuten heute noch auf die einstige
+Größe der Stadt, nach der im grauesten Alterthume, wie Herodot uns sagt,
+ganz Aegypten genannt wurde.
+
+Pocht nur, ihr modernen Städte und Staaten, auf eure Unvergänglichkeit,
+du prahlerisches Rom mit deinen paar Tausend Jahren nennst dich die
+"ewige Stadt". Blicke auf Theben zurück, dem nicht einmal der Name
+geblieben ist. Ja, es ist traurig, die heutigen Bewohner des Ortes
+kennen den Namen Theben nicht. Angesichts der colossalen Ruinen,
+Angesichts eines Tempels, in welchem der Dom von St. Peter fünfmal
+stehen kann, ahnen sie nicht einmal die Bedeutung und die Macht, die
+früher diese Stätte hatte.
+
+Man hätte es sich selbst nie verzeihen können, bei Theben
+vorbeizufahren, ohne wenigstens die hauptsächlichsten Denkmäler gesehen
+zu haben. "Auf Luxor zu halten!" riefen wir, und siehe da: auf einem
+stattlichen Hause unmittelbar am Nil flatterte eine große deutsche Fahne
+empor. Auf dem deutschen Consulate hatte man zwei mit deutschen Flaggen
+versehene Dahabiehen bemerkt, und da man ohnedies von unserer Ankunft
+unterrichtet war, wollte uns der Consul dadurch eine Aufmerksamkeit
+beweisen. Des Consuls Salutschüsse wurden von unseren Schiffen sogleich
+erwidert und bald darauf legten wir dicht bei seinem Hause vor Anker und
+begaben uns hinauf. Ein liebenswürdiger Mann, dieser Vertreter
+Deutschlands, dem nur Eins fehlt, nämlich Gehalt, was doch immerhin
+nothwendig wäre bei der öfteren Repräsentation und der Gastfreundschaft,
+welche dieser freundliche Kopte allen Deutschen erweist. Es wäre dies um
+so wünschenswerther, als die Vertreter der übrigen Mächte in Theben,
+z.B. die von England, Frankreich und Oesterreich, auch Gehalt beziehen.
+Allerdings sind dort keine Deutschen zu beschützen oder sonst irgendwie
+deutsche Interessen wahrzunehmen, aber wenn man schon einmal die
+Nothwendigkeit eines deutschen Consuls für einen Ort anerkannt hat, dann
+soll man ihn auch honoriren.
+
+Es macht einen angenehmen Eindruck, im Hause des Consuls einen
+europäisch eingerichteten Salon zu finden, an den Wänden: unseren
+Kaiser, den Kronprinzen, die Schlachten mit den Franzosen und
+verschiedene Photographien von Deutschen, die Luxor, so heißt dieser
+Theil von Theben, wo die Consulate sich befinden, besucht haben.
+
+Hier befindet sich auch das berühmte Fremdenbuch, worin Engländer und
+Franzosen unsern Lepsius so begeiferten, indem sie unkluger Weise ihm
+die Zerstörung der Ruinen schuld gaben. Kindischere Bemerkungen über die
+Trümmerfelder von Theben sind wohl nie geschrieben worden. Sie bedachten
+wohl nicht, daß Theben schon zur Zeit Strabo's zerstört war. Strabo
+(Bd. XVII, S. 816) sagt ausdrücklich: "Es ist mit Tempeln, die
+größtenteils von Chambyses zerstört worden sind, erfüllet und wird
+gegenwärtig als kleiner Flecken bewohnt &c." Also schon vor ca. 1900
+Jahren war Theben, so wie es heute ist, aber vor ca. 3500 Jahren war es
+in seiner Glanzperiode, an Rom dachte man damals noch nicht. Dies
+Fremdenbuch wurde von Dümichen, als er unseren Kronprinzen auf seiner
+ägyptischen Reise begleitete, an Lepsius geschickt, der es zurücksandte
+mit der einfachen Bemerkung, er habe Kenntniß davon genommen. Auf dem
+Consulate sind übrigens zwei Fremdenbücher, ein allgemeines und ein nur
+für Deutsche bestimmtes. Das allgemeine Album rührt noch aus der Zeit
+her, wo der Consul verschiedene andere Nationen gleichzeitig mit
+vertrat.
+
+Das Verbrechen von Lepsius bestand in Wirklichkeit darin, daß er viele
+der Tempel von Schutt reinigen ließ und zu der Zeit die Erlaubniß
+erhielt, gefundene Kunstgegenstände nach Berlin bringen zu dürfen; aber
+zerbrochen hat Lepsius nichts. Eine solche Barbarei z.B., wie das
+Ausbrechen des Thierkreises aus dem Tempel zu Dendera ist, ist nie von
+Deutschen begangen worden. Derselbe ist jetzt im Louvre.
+
+Nach einem kurzen Besuche auf dem Consulate, wo der übliche Kaffee,
+Scherbet und Araki geschlürft und ein Tschibuk geraucht wurde, gingen
+wir sodann, den Tempel von Luxor zu sehen und ritten darauf nach dem
+Heiligthum von Karnak, dem größten Gebäude der Erde, welches jemals
+einer Gottheit geweiht war. Da eine Beschreibung dieser Bauten mit ihren
+Obelisken, Pylonen und Sphinxen nicht in meiner Absicht liegt, so fahre
+ich gleich fort im Berichten unserer Erlebnisse.
+
+Wir waren Abends am Bord unseres Schiffes, schwelgend in der Erinnerung
+an jene staunenswerten Kunstwerke längst vergangener Generationen, nicht
+vergangener Völker, denn die heutigen Nilthalbewohner sind doch am Ende
+nur die Abkömmlinge jener Titanen, welche diese Riesenwerke aufbauten,
+deren Kraft und Schönheit wir jetzt täglich zu bewundern Gelegenheit
+hatten.
+
+Und der folgende Tag sollte fast einen noch größeren Genuß gewähren: wir
+setzten hinüber auf die andere Seite des Nils, auf die linke, um die
+Königsgräber, die Memnon-Colosse, das Rameseum mit seinen herrlichen
+Bildwerken &c. in Augenschein zu nehmen. Ein ganzer Tag ging damit hin
+und dennoch sahen wir keineswegs alle Denkmäler, sondern nur die
+bemerkenswerthesten. Dankend muß ich erwähnen, daß uns vom Consulate ein
+sehr intelligenter Führer mitgegeben war, ein geborener Schlauberger,
+der dadurch die Backschische der Deutschen reichlicher zu fließen machen
+hoffte, daß er bei jeder Gelegenheit, und wenn diese auch von einem
+Steingemäuer (in Ermangelung eines Zaunes) gebrochen werden mußte, auf
+die Franzosen schimpfte, wie er andererseits muthmaßlich nicht
+verfehlte, auf die Deutschen zu schimpfen, wenn er Franzosen zu führen
+hatte.
+
+Abends vereinigte uns ein solennes Souper auf dem Consulate. Man muß
+aber ein solches Essen mitgemacht haben, um über die Zahl der Gänge und
+Gerichte einen Begriff zu erhalten. Einigermaßen wird man sich eine Idee
+machen können, wenn ich sage, daß drei unserer complicirtesten Diners
+zusammengesetzt etwa ein koptisches bilden würden. Um uns besonders zu
+ehren und uns ganz in die koptische Sitte einzuführen, hatte der Consul
+es auf einer messingenen Riesenschüssel auftragen lassen, und während er
+selbst die Honneurs machte, ohne am Essen Theil zu nehmen, bat er uns,
+mit den Fingern zuzugreifen. Sein Sohn aber, ein liebenswürdiger junger
+Mann, der gut Englisch und etwas Deutsch sprach, nahm Theil an unserem
+Mahle. Als ich aber sah, daß einige von unserer Gesellschaft über das
+adamitische Essen ungeduldig zu werden anfingen (der Gang nach den
+Königsgrüften war ganz danach gewesen, den Appetit mehr als gewöhnlich
+zu reizen), bat ich den Consul, Messer und Gabeln bringen zu lassen, und
+nun ging es rascher von Statten. Aber fast hätte man sich diese wieder
+weggewünscht, denn es folgten so viele Gerichte, so viele Speisen, daß
+es kaum möglich war, von allen auch nur zu kosten. Rothwein, Champagner,
+dann und wann ein Gläschen Araki, um den Magen zu schnellerer
+Bewältigung der Speisen zu reizen, bildeten das Getränk und am Schlusse
+selbstverständlich eine Tasse Mokka mit dem Tschibuk.
+
+Es war schon dunkel, als wir dankend vom Consul Abschied nahmen, uns an
+Bord begaben und noch am selbigen Abend abfuhren. Da erleuchteten, als
+wir dem Consulate gegenüber waren, bengalische Flammen sein Haus und
+gluthübergossen zeigte sich daneben der Tempel von Luxor mit seinem
+hohen Obelisk, dessen Bruder jetzt auf dem Concordienplatze in Paris
+steht. Flinten- und Revolverschüsse tönten dazwischen als Gruß für uns
+in die Heimath. Aber diesmal konnten wir den liebenswürdigen Consul
+überbieten, denn wir hatten noch viel Magnesiumdraht übrig behalten: wie
+durch Zauber erhellten wir die ganze Gegend mit sonnengleichem Lichte,
+noch einmal sahen wir den Karnaktempel, Medinet Abu, die Memnonssäulen,
+das Rameseum und alle die Herrlichkeiten der alten hundertthorigen Stadt
+und dann war lautlose Stille und tiefschwarze Nacht hüllte uns ein,
+selbst die Ruderer sangen nicht, sondern trieben durch leise
+Ruderschläge die Schiffe gen Norden.
+
+Nachts kamen die Schiffe meistens auseinander; das, worauf Jordan war,
+hatte, weil es kleiner war, zwei Ruderer weniger; der Rais (Capitain)
+schlief gern, das Fahrwasser schien er nicht zu kennen, so daß es häufig
+aufrannte, aber des Morgens kamen wir doch immer wieder zusammen.
+
+Unser Botaniker Abu Haschisch erwarb sich, wie überall in den Oasen, so
+auch bei unseren Matrosen, schnell die Sympathie derselben; sie hatten
+ein Gedicht auf ihn gemacht und unterließen nicht, ihn mehrere Male
+täglich zu besingen. Da war in ihrer Poesie von einem Garten, von
+Granatblüthen, von Pflanzen, von einem Quell die Rede, und namentlich
+wurde in gebundenen Worten sein Hemd besungen, welches diese Ehre durch
+einen ungeheuren Tintenklecks erworben hatte. Am Tage war nämlich die
+Hitze so groß, daß wir Alle, wie schon erwähnt, in einem möglichst
+leichten Costüm auftraten.
+
+Hatten wir in Theben das großartigste der ägyptischen Baukunst
+betrachten können, so bot uns Dendera Gelegenheit, den Triumph der
+griechischen und ägyptischen Architektur zu bewundern; denn der
+Denderatempel, vollkommen von Schutt befreit und in allen Theilen
+erhalten, ist das Vollendetste, was von den neueren ägyptischen
+Bauwerken noch erhalten ist.
+
+Sodann fuhren wir ohne weiteren Aufenthalt (nur in Girgeh wurde eine
+Stunde angehalten, um Proviant einzunehmen) nach Siut, von wo aus unsere
+Expedition abgegangen war. Obgleich wir in früher Morgenstunde, um 6
+Uhr, landeten, war Herr Khaiat, des deutschen Consuls Sohn, schon in
+Homra, dem Hasenplatze von Sint. In der Erwartung, daß wir kommen
+würden, hatte er die ganze Nacht dort zugebracht. Hier hatten wir einen
+längeren Anfenthalt, Jordan hatte noch eine astronomische Messung zu
+machen, sodann waren noch sämmtliche Kisten, unsere Sammlungen
+enthaltend, an Bord zu nehmen. Während der Zeit ließ es sich das
+Consulat nicht nehmen, ein Frühstück zu arrangiren. Dem Consul und
+seinem Sohne, welche von der koptischen zur reformirt-koptischen Kirche
+übergetreten sind, pflichten wir den größten Dank. Während der ganzen
+Expedition haben Beide mit unermüdlicher Sorgfalt mit uns Verbindung
+gehalten, unsere Post besorgt, uns Lebensmittel und Alles, was sonst
+nöthig war, nachgeschickt. Ohne sie wäre der Verlauf der ganzen
+Expedition keineswegs so zusammenhängend und ohne Störung von Statten
+gegangen.
+
+Durch ihre Vermittlung gelang es uns auch, die Erlaubniß zu bekommen,
+uns einem Dampfer eines Pascha's anhängen zu dürfen, zwar nur bis
+Monfalut, aber wir gewannen dadurch doch bedeutend an Zeit. Und dann
+erreichten wir bald mit günstigem Chamsin-Winde[63] Rhoda, die
+südlichste Eisenbahnstation. Abends dort angekommen, gelang es uns noch
+am selben Tage, alle unsere Bagage auszuladen und in einem Gepäckwagen
+der Eisenbahn zu verpacken. Der Chedive hatte uns bereitwilligst freie
+Fahrt bis Kairo bewilligt. Die Nacht, welche wir in zwei Zimmern des
+Stationsgebäudes zubrachten, gehörte allerdings nicht zu den
+angenehmsten: Schnaken und tausend Insecten plagten uns derart, daß an
+Schlaf nicht zu denken war.
+
+Anderen Tages fühlte man sich fast wie in Europa; die Eisenbahn hat
+etwas eigenthümlich Heimisches; da, wo das Dampfroß schnaubt, glaubt man
+schon mit einem Fuße wieder in der Heimath zu sein, und in der That, von
+Rhoda aus steht man ja mit jedem größeren Orte Europas, ja der ganzen
+Welt in ununterbrochener Dampffahrt-Verbindung. Vorsorglich hatte ich
+Herrn Friedmann, dem Besitzer des Nil-Hôtel, telegraphirt, uns Wagen an
+der Station Giseh bei Kairo bereit zu halten; wir fanden solche auch und
+im Trapp ging's dann nach der Chalifenstadt hinein, durch die schöne
+neue Allee von Lebeckbäumen, die, wie durch Zauber entstanden, von Kairo
+bis zu den Pyramiden führt, über die neue Brücke und dann direct ins
+Nilhôtel, den sichersten Hafen für Reisende, welche, wie wir, so lange
+den civilisirten Genüssen fern gestanden hatten.
+
+Und wie sahen wir aus! Als wir das Hôtel betraten, riefen mir zwei
+Amerikanerinnen "=shocking, shocking=" entgegen und flohen in den
+Gartenpavillon. Vor einem Spiegel sah ich denn auch, daß ich keineswegs
+ein gesellschaftsmäßiges Aussehen hatte; Schweiß, Staub und Hitze von
+der Eisenbahnfahrt hatten mein Gesicht, das ohnehin verbrannt war, zu
+einem Mohrenantlitz gestempelt, in allen möglichen dunkeln Farben
+schillernd. Ein Bad brachte jedoch Alles in Ordnung und Abends bei der
+=Table d'hôte= fand unsere ganze Reisegesellschaft einen
+freundlichen Empfang.
+
+Ueber meinen Aufenthalt in Kairo habe ich diesmal nicht viel zu sagen.
+Natürlich wurden wir vom Chedive wieder in Audienz empfangen, auch war
+abermals eine Sitzung des Institut =Égyptien= und Gesellschaften
+bei unseren Freunden--uns aber zog es, je näher wir Europa kamen, desto
+mächtiger der Heimath entgegen.
+
+Zittel's und mein ursprünglicher Plan, unsere resp. Frauen nach Cairo
+kommen zu lassen, mußte aufgegeben werden. Die Hitze und der Staub waren
+nun schon so unerträglich, daß die Damen von einer solchen Reise keine
+Annehmlichkeit und keinen Genuß gehabt hätten, aber dafür gaben wir uns
+in Neapel Rendezvous. Und nachdem alles Geschäftliche abgewickelt war,
+ging es in Alexandria an Bord. Zittel und ich hatten uns für das
+französische Boot entschieden, aber es war so übervoll, daß wir keine
+Cabine bekommen konnten, sondern uns blos mit einem Platze erster Classe
+ohne Bett begnügen mußten. Das war freilich schlimm, denn es standen uns
+noch immerhin vier Nächte bevor. Zittel eroberte sich indeß eines der
+zwei Sophas und ich begnügte mich mit einem Seitentische oberhalb seines
+Lagers. Eine eigenthümliche Gesellschaft war am Bord dieses Dampfers,
+ein Abbild des heutigen Franzosenthums. Mit Ausnahme von einigen
+Amerikanern und uns bestand die ganze Passagiergesellschaft aus
+Schauspielern, Pfaffen und Pfäffinnen--Kirche und Theater.
+
+Da war ein Kapuzinermönch, da waren Augustiner, Dominikaner und einige
+Weltgeistliche, im Ganzen, mit einem protestantischen Reverend, vierzehn
+heilige Leute; da waren Schwestern vom heiligen Herzen Jesu und andere
+auffallend gekleidete Nonnen; den ganzen Tag hatten sie ein kleines
+Brevier in der Hand und den unvermeidlichen Rosenkranz, welchen
+Buddhisten, Mohammedaner und Katholiken in brüderlicher Liebe
+gleichmäßig als Gebetzähler adoptirt haben.
+
+Nicht so langweilig wie diese augenverdrehende Gesellschaft war das
+lustige Theatervölkchen, ja eines Abends hatten wir sogar den Genuß, von
+einer der Damen, mit Begleitung des am Bord befindlichen Pianos, hübsche
+Lieder vorgetragen zu hören. Nirgends ist man auf dem Mittelmeere besser
+aufgehoben, als an Bord der französischen Messagerie nationale[64]. Die
+Officiere wie der Capitain sind meist gebildete, liebenswürdige Leute
+und, bei der weltverbreiteten Bedeutung dieser französischen Dampfer,
+sind sie frei von jener krankhaften Neigung, in jedem Deutschen einen
+Feind zu sehen. Die Cabinen sind vortrefflich und jede nur zu zwei
+Betten eingerichtet. Die Küche vorzüglich, ebenso die Getränke.
+
+Wir hatten die Annehmlichkeit, an einem kleinen Tische allein zu
+speisen, nur zwei Yankees, die Erbauer der Pacific-Bahn, ein
+ägyptisch-arabischer Kaufmann, ein Jude und der katholische Patriarch
+von Jerusalem waren unsere Genossen. Man kann sich denken, daß da die
+Unterhaltung eine äußerst mannigfaltige war, wenngleich die
+Verschiedenartigkeit der Sprachen bisweilen wohl etwas hindernd
+erschien.
+
+Die Fahrt durch die unvergleichlich schöne Meerenge von Messina, die
+Einfahrt in den Busen von Neapel werden für Jeden von uns gewiß
+unvergeßlich sei. Da ankerten wir nun im Angesichte der stolzen Königin
+des Mittelmeeres, ungeduldig des Zeichens gewärtig, das Schiff verlassen
+zu dürfen. Eifrig suchten wir unter den hundert kleinen Booten, die den
+Dampfer umkreisten, ob nicht in einem unsere Frauen sein könnten. Aber
+vergebens, keine blonde Dame war unter ihnen. Hier war ein Boot mit
+hübschen schwarzen Damen, auf Verwandte wartend, dort waren Hôteldiener,
+um Fremde zu angeln; hier hatte ein Policinello in schaukelnder Jolle
+sein Theater aufgestellt, hier trillerte ein Leierkasten, dort kam ein
+Schiff mit Mönchen, ja es drängte sich sogar eine ganze Musikbande
+heran; aber so sehr wir auch suchten, unsere Frauen waren nicht
+erschienen.
+
+Endlich erlaubte man uns, an's Land zu gehen. Die italienische Douane
+war höflich und nachsichtig, und in schneller Fahrt eilten wir zum
+=Hôtel de Russie=, =vis-à-vis= von St. Lucia unmittelbar am
+Golf gelegen. Aber eine neue Enttäuschung erwartete uns: "Zwei Damen
+logiren hier nicht," sagte uns der Portier.--Aber eine genauere
+Nachforschung Zittel's brachte uns die Gewißheit, daß am Abend vorher
+unsere Frauen angekommen, doch momentan spazieren gefahren seien. Man
+kann sich unsere Ungeduld denken, die indeß eine nicht zu lange Probe
+zu bestehen hatte; denn kaum hatten wir Jeder unser Zimmer bezogen, als
+mächtig große Camelien-Bouquets hineingeworfen wurden und gleich mit
+ihnen die Frauen hereinstürmten. Ein Wiedersehen nach fünfmonatlicher
+Trennung kann Jeder, der verheirathet ist, sich ausmalen, zumal wenn so
+weite Räume, so beschwerlich zu durchziehende Gegenden von der Heimath
+einen entfernten.
+
+Ich verweile nicht bei Neapel, wo an einigen angenehm verlebten Tagen
+die Reize dieser bevorzugten Stadt uns den freundlichsten Empfang auf
+europäischem Boden bereiteten. Die Chiaja, das neue zoologische Institut
+unter der Direction des Deutschen Dorn[65], eines hervorragenden
+Gelehrten, Sorrent, Capri und Abends unter den Fischerhallen von St.
+Lucia bilden unverwischliche Glanzpunkte Neapels. In Pompeji war ich mit
+Baron v. Keudell, einer alten Bekanntschaft von mir, zusammengetroffen;
+Se. Excellenz lud mich freundlich ein, ihn in Rom zu besuchen. Der
+Einladung folgend, traf es sich aber so unglücklich, daß wir an dem
+Abende, wo meine Frau und ich den Vorzug haben sollten, bei ihm
+zuzubringen, nicht zu Hause waren, da wir die Einladung zu spät erhalten
+hatten; am anderen Morgen vor der Abreise hatte ich indeß Gelegenheit,
+die prachtvolle Wohnung der deutschen Gesandtschaft auf dem Capitol zu
+bewundern. Herr v. Keudell zeigte mir selbst die Räumlichkeiten, den
+Garten und die köstliche Aussicht.
+
+"_Nach Deutschland_" drängte es immer lebhafter in mir, und nur in
+Mailand, der Stadt des Marmor-Doms, hatten wir dann noch einen
+eintägigen Aufenthalt. Im Hôtel Reichmann fanden wir eine ganz
+freundliche Aufnahme, und wenn dies Hotel eine kleine Weile seinen
+Nimbus einbüßen konnte, so ist derselbe seit Kurzem wieder hergestellt.
+Herr Reichmann =jun.= verwaltet jetzt auf's Ausgezeichnetste dies
+von den Deutschen am liebsten besuchte Hôtel.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 60: =Jollois description p. 14=.]
+
+[Footnote 61: Präsident des Gemeinderathes.]
+
+[Footnote 62: Verwalter.]
+
+[Footnote 63: Chamsin heißt fünfzig, die Eingeborenen nennen diesen Wind
+so, weil er 50 Tage lang wehen soll aus SSO.]
+
+[Footnote 64: =Messagerie nationale= hat, wenn Frankreich
+Kaiserreich oder Königreich ist, den Titel =m. impériale= oder
+=m. royale=.]
+
+[Footnote 65: Kein Deutscher, der Neapel besucht, sollte versäumen, das
+Gebäude des zoologischen Instituts, an der Chiaja gelegen, zu besuchen.
+Dort bekommt man den besten Begriff eines reichen Aquariums, wie ein
+solches weder in Brighton, noch Hamburg oder Berlin vorhanden ist.]
+
+
+
+
+12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnographische Schilderung.
+
+
+_Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Begräbniß._
+
+Wie geschäftig die Frauen seit dem Morgen schon die Esel
+zusammentreiben! Unter Lachen und Schreien haben die Knaben und
+Jünglinge dabei geholfen, die Langohren vor einem großen Zelte (es
+gehört dem Kaid Abu Ssalam) zusammenzuhalten.
+
+Heute wird eine große Festlichkeit vor sich gehen; man erwartet
+stündlich die Entbindung der zweiten Frau des Kaids, der Lella Mariam,
+einer jungen, reizenden Frau von vornehmstem Zelte. Kaid Abu Ssalam, der
+selbst nicht aus dem Geschlechte Mohammed's ist, sonst aber auch aus
+einem großen Zelte[66] stammt, hat durch seinen Reichthum es möglich
+gemacht, eine Scherifa zur Frau zu bekommen, d.h. eine Dame vom Stamme
+des Propheten. Um so mehr ist das zu bewundern, als Abu Ssalam schon
+eine Frau besitzt und Lella Mariam nicht nur jung und schön, ihr Alter
+betrug 15 Jahre, sondern auch reich ist. Aber welch' stattlicher Mann
+ist auch Kaid Abu Ssalam und wie geachtet und unabhängig im ganzen
+Lande! Selbst der Sultan liebt ihn.
+
+Vom Stamme der Beni-Amer hatte er vor etwa 30 Jahren, als die
+Ungläubigen das Gebiet von Tlemßen besetzten, die dortige Gegend
+verlassen und nach einer dreijährigen Wanderung, immer nach Westen
+ziehend und oft genug mit der langen Flinte sich einen Weg bahnend, hat
+er den eigentlichen Westen erreicht, den Rharb el djoani, das gelobte
+Land der Gläubigen. Der Sultan ertheilte gern die Erlaubnis zum Bleiben,
+und nachdem die üblichen Abgaben geregelt waren, erhielt Abu Ssalam, es
+war das schon zu Lebzeiten des Sultans Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam,
+die Erlaubniß, seinen Stamm an die Ufer des Ued Ssebu zu führen.
+
+Abu Ssalam herrschte über drei Duar (Zeltdörfer), von denen das größere
+sich aus circa 30 Zelten zusammensetzte und dem er selbst vorstand; die
+beiden kleineren, aus je 20 und 24 Zelten aufgeschlagen, waren von
+seinen jüngeren Brüdern beherrscht. Bei dem Jüngsten lebte außerdem noch
+ihr gemeinschaftlicher Vater, der Hadj Omar-ben-Edris, der aber schon
+lange die Kaidschaft an seinen ältesten Sohn abgetreten hatte.
+
+Die drei Duar, so ziemlich in einer Linie gelegen, machten Front nach
+Westen und lehnten sich an einen Bergrücken; hier bestand derselbe aus
+herrlichen Wiesen, während nach dem Gipfel zu immergrüne Bäume, aus
+Korkeichen, Lentisken und Juniperen bestehend, den Berg bedeckten. Etwa
+eine Viertelstunde unterhalb der drei Zeltdörfer schlängelte sich der
+Ued Ssebu vorbei und ganz in der Ferne erglänzte der blaue Ocean. Der
+Raum zwischen den Dörfern und dem Flusse war durchweg beackert, aber
+unmittelbar neben den Zeltdörfern befanden sich auch kleine
+Gemüsegärtchen, eingezäunt von großen Dorngebüschen des stacheligen
+Lotusstrauches, das, obschon todt, dennoch hinlänglichen Schutz gewährte
+gegen weidende Thiere.
+
+Von dem großen Zelte Abu Ssalam's also zogen sie ab, eine ganze Karawane
+lachender Frauen und Mädchen, einige zwanzig Esel mit leeren ledernen
+Schläuchen beladen vor sich hertreibend. Wohl manche mochte hoffen,
+heute bei der Festlichkeit das Herz eines Jünglings zu fesseln; die
+jungen Mädchen erzählten sich, wie viele Armbänder sie anlegen würden.
+Da sagte eine Andere, sie würde ihr Haar frisch machen lassen[67], und
+unter Jubeln und Lachen war der Ssebu erreicht.
+
+Das Füllen der Schläuche aus einem mächtigen Strome ist leichte Arbeit.
+Die jungen Mädchen gingen bis an die Knie in den Strom, ließen das
+Wasser hineinlaufen und nachdem sodann noch Einige die Zeit benutzten,
+ein Bad zu nehmen, wurden die Schläuche, je zwei, einem Esel aufgeladen
+und zurück ging es zum Duar.
+
+Unter der Zeit war die Geburt vor sich gegangen und Abu Ssalam's größter
+Wunsch war erfüllt, seine junge Frau hatte ihm einen kräftigen Knaben
+geschenkt. Zu Ehren seines Vaters erhielt derselbe noch _am selben Tage_
+den Namen Omar. Es ist Sitte, daß das Namengeben noch am Tage der Geburt
+geschieht. Wie war nun die Geburt vor sich gegangen? Wir können nur nach
+Hörensagen berichten, denn nie, und wenn auch die Frau dadurch vom Tode
+hätte gerettet werden können, darf ein Mann, ein Arzt oder Geburtshelfer
+bei einem solchen Acte zugegen sein.
+
+Es scheint, daß bei Lella Mariam die Geburt leicht von Statten ging;
+Abends vorher waren Hülfsweiber gekommen, und als am anderen Morgen die
+Frauen vom Wasserholen zurückkamen, ertönte durch die Duar der Ruf:
+"=El Hamd ul Lahi mabruck uldo=", "Gott sei gelobt, der Sohn sei
+ihm zum Segen". Und vor dem Zelte, aus einem Arbater Teppiche, saß Abu
+Ssalam und empfing die Glückwünsche der männlichen Bevölkerung der drei
+Zeltdörfer. Auch manche alte Frau, ja manches junge Mädchen kam herbei,
+beugte rasch ein Knie und küßte Abu Ssalam's Hand den Gruß flüsternd:
+"=Rbi ithol amru=", Gott verlängere seine Existenz. Und er konnte
+recht stolz sein, unser Abu Ssalam; sein heißer Wunsch, einen
+Nachfolger, einen Sohn zu haben, war erfüllt. Zwar sein Stamm konnte so
+leicht nicht aussterben; den Stammbaum direct bis zum Chalifen Omar
+zurückführend, waren die Beni-Amer jetzt einer der mächtigsten Stämme
+unter den Arabern, ihre Duar zogen sich durch ganz Nordafrika. Seine
+eignen Leute näherer Verwandtschaft, die er nach dem Rharb (Marokko)
+geführt hatte, zählten über 100 Leute männlichen Geschlechts. Genau
+hatte Abu Ssalam sie nie gezählt, denn ein rechter Gläubiger zählt die
+Seinigen nicht. Aber er selbst hatte von seiner zuerst angeheirateten
+Frau Minana nur zwei Töchter, und Minana mit ihren 21 Jahren schien ihm
+wenig Hoffnung zu machen, ihm noch einen Sohn zu geben. Daher hatte er
+denn auch vor etwa neun Monaten die liebliche Lella Mariam geheirathet.
+
+Jede Vorkehrung war aber auch diesmal getroffen worden, damit Abu Ssalam
+einen Sohn bekäme. Er selbst war nicht nur vor mehreren Monaten nach
+Uesan gepilgert, um die Intervention Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's
+anzurufen, er hatte sogar das feste Versprechen Sidi's[68] erlangt, daß
+der Allerhöchste ihm einen Sohn schenken würde, und der Großscherif
+hatte freundlich dafür ein Pferd als Geschenk anzunehmen geruht; ja, um
+ganz sicher zu gehen, war er nach Fes zum Grabmal Mulei Edris gepilgert
+und hatte den Tholba (Schriftgelehrten) der Djemma (Gotteshaus) des
+Mulei Edris fünfzig Duros geopfert; mußte da Allah ihm nicht einen Sohn
+schenken?
+
+"Gott segne den Großscherif!" rief Abu Ssalam, "Gott gewähre Mulei Edris
+alle Freuden des Paradieses," fügte er hinzu, "denn sie waren es, die
+mir den Knaben schenkten." Und da kam auch schon Lella Mariam aus dem
+kleinen Zelte, welches neben dem Zelte ihres Mannes war, nicht in
+Festgewändern, aber doch in einen neuen Haik gehüllt. Sie hatte vor sich
+das Knäblein und niederknieend legte sie den neuen Familienstammhalter
+vor ihren Gatten hin. Sie selbst in aufgelöstem Haare[69], da sie genau
+nach den Vorschriften des Gesandten Gottes lebte, hielt sich knieend
+abseits, da ihr Mann sie doch nicht, weil sie unrein war, berühren
+durfte. Nachdem die junge Mutter und das Knäblein den Segen vom Manne
+und Vater erhalten und der daneben sitzende Fakih (Doctor der Theologie)
+der Zeltdörfer das Fötah (erstes Capitel des Koran) gebetet hatte, ging
+sie ins Zelt zurück; schon am anderen Morgen machte sich die junge Frau
+an ihre gewöhnlichen Beschäftigungen, denn ein Wochenbett abhalten, wie
+bei uns die Frauen in Europa es zu thun gewohnt sind, kennt man in
+Marokko nicht.
+
+Am selben Abend aber war großes Festessen vor dem Zelte Abu Ssalam's. Er
+hatte viele Hammel und Ziegen schlachten lassen zu Ehren des Tages und
+die Frauen des Duars hatten den ganzen Tag Kuskussu bereiten müssen, der
+in größeren hölzernen Schüsseln für die Gäste hingesetzt wurde.
+
+Was mich anbetrifft, so wollte ich gern Näheres über den Geburtsact
+erfahren. Auf mein Befragen erzählte man mir, es sei Sitte, wenn eine
+Frau in Nöthen sei, so lasse man zuerst einen Fakih kommen, der durch
+Weihrauch und fromme Sprüche den Teufel zu bannen versuche, denn der
+Teufel ist auch in Marokko die Ursache allen Uebels. Hilft das nicht, so
+bekommt die Frau Koransprüche, die auf eine hölzerne Tafel geschrieben
+werden, zu trinken, indem die Sprüche von der Tafel abgewaschen werden;
+hilft auch das Verfahren noch nicht, so werden Koransprüche auf Papier
+geschrieben, zerstampft und mit Wasser gemischt der Leidenden
+eingegeben. Aber manchmal hat der Satan das Weib derart in Besitz
+genommen, daß er selbst durch das heilige Buch nicht ausgetrieben wird.
+Dann werden allerlei Amulete angewandt, z.B. die in ein Ledersäckchen
+eingenähten Haare eines großen Heiligen, die man der Kreißenden auf die
+Brust legt, oder Wasser vom Brunnen Semsem, welches man ihr zu trinken
+giebt, oder Staub aus dem Tempel von Mekka[70], welchen man auf ihr
+Ruhebett legt. In einigen Fällen läßt sodann der Teufel seine Beute los
+und der Vorgang erfolgt für die Mutter auf glückliche Weise. Es kommen
+jedoch genug Fälle vor, wo der Iblis (Teufel) derart sich des Weibes
+bemächtigt, daß er keinem Mittel weichen will; die Hülfsweiber nehmen
+dann selbst den Kampf mit ihm auf. Unter Beschwörungen und fortwährend
+rufend: =Rham-ek-Lab=! (Gott erbarme sich Deiner!) wird die Frau
+ergriffen, ein starkes Band um den Rücken und unter die Achsel
+durchgeschlungen und so in die Luft gezogen. Dadurch wollen sie die
+Wehen beschleunigen, und zeigt sich möglicherweise ein Theil des Kindes,
+entweder der Kopf oder die Füße, so versuchen sie, diese Theile zu
+ergreifen und durch starkes Reißen und Ziehen das Kind zu Tage zu
+befördern. Nur selten gelingt das, meist wird das Kind zerrissen und
+fast immer ist der Tod der Mutter Folge dieses barbarischen Verfahrens:
+Gott verfluche den Teufel!
+
+Der kleine Omar wuchs kräftig heran; wie sollte er auch nicht! Zwei
+Jahre hatte ihn seine Mutter Lella Mariam selbst gesäugt und nur wenig
+war er während dieser Zeit Tags vom Rücken seiner Mutter gekommen und
+Nachts aus dem Schooße derselben. Denn die Frauen pflegen ihre Kinder so
+aufzuziehen, daß sie mit Ausnahme der Augenblicke, wo dem Kleinen die
+Brust gereicht wird, Tags über in einer Falte des Haiks (großes
+Umschlagetuch) auf dem Rücken der Mutter in _reitender_ Stellung sich
+befinden. Es hat das zur Folge, daß die meisten Marokkaner sowohl
+männlichen wie weiblichen Geschlechtes Säbelbeine haben. Nachts aber
+ruht das Kindchen vor seiner Mutter, die während der zwei Jahre
+beständig allein lebt, obschon es ihrem Manne nach Ablauf von drei
+Perioden gestattet ist, sie wieder zu besuchen und mit ihr Umgang zu
+pflegen. Nachdem die zwei Jahre vorbei waren und Omar statt der süßen
+Muttermilch jetzt saure Buttermilch und Abends Kuskussu zu essen bekam,
+wurde ihm auch zum ersten Male das Kopfhaar geschoren; aber sein Vater
+Abu Ssalam gab wohl Acht, daß am Scheitel des Kopfes eine Locke, Gotaya,
+sowie an der rechten Seite des Kopfes außerdem ein Streifen von Haaren
+in der Form eines Halbmondes stehen blieb, denn die Kinder der Beni-Amer
+hatten seit undenklichen Zeiten einen solchen Schmuck getragen. Am
+selben Tage gab er seinem Zelte[71] einen Hammel zum Besten, sonstige
+Festlichkeiten fanden nicht statt.
+
+Dafür wurde aber die Beschneidung Omar's in seinem achten Jahre desto
+festlicher begangen. Omar war jetzt ein kräftiger Bursche geworden;
+fortwährend in der freien Natur hatte er tagelang die Schafe und Ziegen
+seines Vaters mit hüten helfen und gewöhnlich auch das Pferd mit zur
+Schwemme reiten müssen; er verstand es schon, die eignen Kamele oder die
+der etwa ankommenden Fremden mit niederknien zu machen und der
+Thaleb[72] der Zeltdörfer hatte ihn das erste Capitel des Koran gelehrt.
+
+Der feierliche Augenblick war gekommen, wodurch der kleine Omar jetzt in
+die Gemeinschaft der Muselmanen aufgenommen werden sollte. Um den Glanz
+des Festes noch mehr zu erhöhen, hatte Abu Ssalam es übernommen,
+sämmtliche gleichalterige Knaben der drei Zeltdörfer der Beni-Amer, und
+es waren deren noch sieben, auf seine Kosten beschneiden zu lassen. Ja,
+ohne den Neid und die Mißgunst seines eignen Fakih's (Doctor der
+Theologie) und der Tholba[73] der Duars zu erregen, weil sie auch ihre
+Gebühren bekamen, hatte er einen in hohem Ansehen stehenden
+Schriftgelehrten aus Fes kommen lassen. Die Gebühr für die Beschneidung,
+3 Metkal, erlegte er im Voraus. Wie reich aber mußte Abu Ssalam sein,
+daß er so große Summen zahlen konnte, denn zahlte er doch, wie schon
+gesagt, seinen eignen Schriftgelehrten die nämliche Summe. Und wenn man
+bedenkt, daß man in Marokko für die Beschneidung sonst nichts zu
+bezahlen braucht, der bemittelte Mann höchstens eine Maß Korn oder ein
+Huhn oder einige Eier dem Schriftgelehrten für seine Bemühung giebt, so
+kann man ermessen, wie freudig die Eltern ihre Söhne herbeibrachten. Das
+Glück, vom heiligen Sidi Mussa aus Fes beschnitten zu werden, war zu
+groß. Abu Ssalam aber hatte es von jeher als eine Regel der Klugheit
+betrachtet, mit den heiligen Leuten, mit der Geistlichkeit, auf gutem
+Fuße zu leben und er hatte längst eingesehen, daß man mit der
+Geistlichkeit nur dann auf gutem Fuße lebt, _wenn man sie tüchtig
+zahlt_. Aber dafür war er auch des Paradieses sicher; der Segen, den sie
+ihm ertheilten, war _länger_ als der für die übrigen Gläubigen, und
+durch die vielen Wohlthaten, die er den Fakih's und Tholba erwiesen
+hatte und noch immer erwies, war Abu Ssalam selbst in den Ruf großer
+Frömmigkeit gekommen.
+
+Die acht Knaben wurden vor das Djemmazelt[74] in einer Reihe
+aufgestellt, und nachdem vom Fakih Sidi Mussa ein langes Gebet war
+gesprochen worden, ging er auf Omar zu, der von seinem Vater gehalten
+und ermahnt wurde, standhaft zu sein, ergriff sodann das Präputium und
+trennte es mit einem raschen Schnitte von der übrigen Haut; das noch
+übrig gebliebene Frenulum wurde mit einem zweiten Schnitte getrennt und
+sodann kam ein anderer Thaleb und streuete pulverisirten Schöb (Alaun)
+auf die blutenden Ränder. Standhaft hatte der Knabe Omar ausgehalten,
+seine Zähne zusammenbeißend murmelte er fortwährend: "Gott ist der
+größte, es giebt nur einen Gott." Sein Vater trug ihn, Omar war fast
+ohnmächtig geworden, nun gleich ins väterliche Haus zurück, während ein
+Sclave ein ganz neues Hemd und eine neue weißwollene Djilaba[75] vor ihm
+hertrug, Festgeschenke seines Vaters, welche aber erst angelegt werden
+durften, wenn der Kranke vollkommen genesen war. Die Beschneidung der
+übrigen Knaben erfolgte auf dieselbe Weise, nur daß einige von ihnen ein
+entsetzliches Geschrei ausstießen, und merkwürdiger Weise war einer
+unter ihnen ohne Präputium, oder doch nur mit einer Andeutung davon.
+Natürlich wurde er gleich für heilig erklärt, denn wie selten trifft es
+sich, daß ein Mensch beschnitten zur Welt kommt. Die Geschichte (d.h.
+nach der Auffassung der Marokkaner) nennt nur Mulei Edris, Sidna
+Mohammed, Sidna Brahim, Sidna Daud und Sidna Mussa als von Gott
+beschnittene Leute, d.h. ohne Präputium zur Welt gekommen. Der so
+ausgezeichnete Knabe, Namens Hamd-Allahi, hat denn auch später eine
+wichtige Rolle gespielt; er war von Gott beschnitten, er war ein
+Heiliger vor Gott und wer weiß, ob er nicht einst berufen ist, alle
+Menschen zum Islam zurückzuführen, damit alle Menschen des Paradieses
+teilhaftig werden, das Gott ihnen durch seinen Liebling Mohammed
+verheißen hat.
+
+Aber wie segensreich sollte überhaupt diese Beschneidung für die acht
+Knaben werden, wie überhaupt für den ganzen Stamm der Beni-Amer! Die
+Beschneidung nämlich war vollzogen worden mit einem Mus min Hedjr[76]
+(Steinmesser). Seit undenklichen Zeiten vererbte sich ein Steinmesser
+vom Vater auf den Sohn in diesem Stamme der Beni-Amer, und einer
+schriftlichen Tradition zu Folge soll die Beschneiduug Sidni Omar's, des
+Stammvaters der Beni-Amer und zweiten Chalifen, mit diesem selben Messer
+vorgenommen worden sein. Wie ein Heiligthum wurde dasselbe in der
+Familie bewahrt, und selbst als es bei der Eroberung der Provinz Tlemsen
+durch die Ungläubigen, bei der Plünderung des Duars durch die
+Christenhunde, verloren gegangen war, kam es durch ein Wunder wieder in
+den Besitz des Kaids Abu Ssalam. Der Chalif Sidni Omar hatte es ihm
+selbst eines Nachts zurückgebracht, er fand es unter seinem Kopfkissen.
+Alle umliegenden Stämme beneideten die Beni-Amer um einen so köstlichen
+Schatz. Die meisten Marokkaner lassen sich mit gewöhnlichen Rasirmessern
+beschneiden, d.h. diese haben den Namen Rasirmesser, sind aber weiter
+nichts, als die elendesten Klingen dieser Art.
+
+Omar verbrachte nun die nächsten Jahre damit, den Koran zu lernen, d.h.
+schriftlich und auswendig; denn heute gilt es in Marokko für einen Mann,
+der einst Kaid seines Stammes sein will, für unerläßlich, _selbst_ lesen
+und schreiben zu können. Nicht, als ob er jemals diese Wissenschaften
+praktisch verwerthen würde, aber es gehört zum guten Ton, und wie auch
+in Marokko in dieser Beziehung die Mode anfängt, unerbittlich zu sein,
+so mußte sich Omar den langweiligen Unterrichtsstunden im Koranlesen und
+Buchstabenmalen unterwerfen. Sein Vater war glücklicher gewesen; zu
+seiner Zeit erheischte man noch nicht von den jungen Leuten, Lesen und
+Schreiben zu lernen. Omar machte dann in Gemeinsamkeit mit seinem Vater
+mehrere Reisen in Marokko, denn Kaid Abu Ssalam hatte den Entschluß
+gefaßt, die Pilgerfahrt nach Mekka erst dann zu machen, wenn sein Sohn
+eine Frau habe: dann solle die ganze Familie das Haus Gottes besuchen.
+Aber er lernte doch Fes kennen, er sah in Mikenes den Sultan, er
+unternahm eine Siara (Pilgerreise) nach der heiligen Stadt Uesan, er kam
+nach Tanger, um dort die Feuerschiffe der ungläubigen Hunde zu
+bewundern, und hatte das achtzehnte Jahr erreicht, um daran denken zu
+können, eine Frau zu nehmen.
+
+Bei den freien Zeltbewohnern Marokko's ist es keineswegs Sitte, daß die
+Frauen sich verschleiern, wie in den Städten; Jünglinge und Jungfrauen
+haben daher auch Gelegenheit, sich zu sehen, kennen zu lernen und zu
+lieben. Auf dem Lande werden daher auch häufig genug Heirathen aus
+wahrer Neigung geschlossen. Omar hatte seit längerer Zeit Gelegenheit
+gehabt, die Reize und Vorzüge eines jungen Mädchens kennen zu lernen,
+welches nur einige Stunden von seinem Duar entfernt lebte. Es war das
+Aischa bent Abu Thaleb vom Stamme der Uled Hassan. Die beiden Väter
+waren seit Langem durch Freundschaft verbunden; der Duar der Uled Hassan
+lag auf dem Wege vom Ssebu nach Fes. Wenn nun Abu Ssalam nach der
+Hauptstadt reiste, was häufig genug vorkam, so nächtigte er nicht im
+allgemeinen Dar diaf (Fremdenzelt) der Uled Hassan, sondern ging zum
+Zeltendes Abu Thaleb selbst, und umgekehrt machte es dieser so, wenn
+sein Weg ihn in die Nähe des Ued Ssebu führte.
+
+Omar war dann mehrere Male in Begleitung seines Vaters gewesen und seit
+vier Jahren war ihm die wunderbare Schönheit Aischa's aufgefallen;
+Aischa selbst mochte, als er sie zum ersten Male sah, 10 Jahre alt sein,
+jetzt hatte sie 14. Kein Mädchen hatte seiner Meinung nach so feurige
+Gazellenaugen, keine hatte einen kleineren Granatmund und längeres
+schwarzes Haar, keine hatte so volle Formen und kleinere Hände und Füße.
+
+In seinen Augen verstand kein anderes Mädchen so gut die Ziegen zu
+melken wie Aischa, oder mit gleich lieblicher Anmuth einen Teller Brod
+anzubieten oder eine Schale mit Milch zu credenzen. Aber was war Alles
+dies gegen den Zauber ihrer Stimme? Zwar hatte Omar selbst nur einmal
+mit ihr gesprochen, als er ermüdet das Zelt ihres Vaters erreichte und
+um einen Trunk Wasser bat. Da schoß Aischa wie ein Reh davon, und aus
+dem Schlauche eine Tasse füllend, überreichte sie dieselbe mit den
+Worten: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes). Das war Alles, was
+Aischa direct zu ihm gesprochen hatte. Aber von dem Augenblicke sagte
+Omar zu sich: "Du kannst nur Aischa zum Weibe nehmen und keine andere."
+Er glaubte nun auch zu wissen, daß Aischa gern seine Frau werden würde,
+er schien bei ihr eine gewisse Sympathie für sich bemerkt zu haben, und
+ohne daß man mit Worten seine Gedanken auszutauschen braucht, merken
+die jungen Leute in Marokko ebenso leicht wie bei uns, was Liebe ist.
+
+Omar war im Frühling, nur von Gefährten und Sclaven begleitet, von Fes
+zurückgekommen, er hatte wieder bei Abu Thaleb die Nacht zugebracht, er
+hatte die großen Augen Aischa's wiedergesehen, er hatte sie plaudern
+hören mit ihren Gespielinnen und von dem Augenblicke war sein Entschluß
+gefaßt. Als er am anderen Abend den eignen elterlichen Duar erreichte,
+rief er seine Mutter bei Seite; er gestand ihr seine Liebe zu Aischa und
+bat sie, mit dem Vater deshalb zu sprechen.
+
+Obschon seine Mutter, Lella Mariam, eigentlich ein anderes junges
+Mädchen für ihren Sohn im Auge hatte, er sollte eine weitläufige
+Verwandte, die ebenfalls Scherifa (aus dem Stamme des Propheten) war,
+heirathen, so lag ihr das Glück ihres einzigen Sohnes doch viel zu sehr
+am Herzen, als daß sie hätte Schwierigkeiten erheben wollen. Zudem wußte
+sie wohl, daß, obwohl sie großen Einfluß auf ihren Mann hatte, die
+Entscheidung einer so wichtigen Angelegenheit von ihm abhing. Sie
+beeilte sich daher, ihrem Manne Mittheilung davon zu machen, und
+wunderte sich, daß derselbe ihres Sohnes Liebe ziemlich gleichgültig,
+fast kalt aufnahm.
+
+Kaid Abu Ssalam war ein praktischer Mann, auch er hatte längst eine
+Schwiegertochter im Auge; das war aber keineswegs Aischa, die Tochter
+seines armen Freundes, sondern Sasia, die Tochter eines reichen Kaids
+der Uled Sidi Schich, deren Zelte in der Nähe von Udjda standen. Seit
+Jahren hatten die Väter dieses Project genährt. Die Uled Sidi Schich
+waren ebenfalls aus der Provinz Tlemsen vertrieben, aber sie waren nur
+über die Grenze gegangen. Safia mußte um diese Zeit etwa 13 Jahre alt
+sein und noch vor Kurzem hatte ihr Vater an Abu Ssalam geschrieben, nach
+Udjda zu kommen und seinen Sohn mitzubringen und dieser hatte es
+versprochen.--Jetzt sollte aus dieser Heirath, die Abu Ssalam fast schon
+als abgemacht fand, nichts werden, er sollte sein Wort brechen.--Aber
+Omar, der einzige Sohn, kam selbst, er beschwor den Vater, ihm Aischa zu
+verschaffen, er würde sterben, wenn Aischa nicht sein Weib würde, und
+dann flehte die Mutter, Lella Mariam, zu Gunsten des Sohnes; wie konnte
+da der Vater, der Gatte widerstehen?
+
+Vor allen Dingen schickte er daher Leute ab an den Kaid der Uled Sidi
+Schichs, um ihm anzuzeigen, er könne und wolle sein Versprechen nicht
+halten, sein Sohn Omar habe sich eine andere Frau genommen. Sodann ging
+man gleich an die Brautwerbung, um jetzt die Hochzeit so rasch wie
+möglich zum Abschluß zu bringen.
+
+Unter dem Vorwande, nach Fes reisen zu wollen, brach Abu Ssalam, von
+seiner Frau Mariam begleitet, auf und erreichte Nachmittags den Duar der
+Uled Hassen, um bei seinem Freunde Abu Thaleb abzusteigen. Die
+Begleitung der Lella Mariam erregte natürlich das größte Aufsehen und im
+ganzen Zeltdorfe flüsterten die Frauen und jungen Mädchen über dieses
+Ereigniß und prophezeiheten eine baldige Hochzeit. Abu Thaleb, der, wie
+schon gesagt, nicht begütert war, besaß nur ein Zelt, aber durch eine
+Scheidewand von wollenen Stoffen war eine Abtheilung für seine Frau
+hergestellt und in diese begab sich sogleich Lella Mariam zur Mutter
+Aischa's.
+
+Sie fing damit an, von gleichgültigen Sachen zu sprechen und kam dann
+allmälig auf die Vorzüge ihres Sohnes; sie pries dessen Kraft und
+Schönheit, sie deutete an, daß er dereinst Kaid seiner Stämme werden
+würde, sie betonte, daß er von väterlicher Seite das Blut des Chalifen
+Omar, von mütterlicher das des Propheten habe und meinte schließlich,
+daß jedes Mädchen glücklich sein müsse, das er sich als Frau auserwählen
+würde. Sodann fügte sie noch hinzu, daß Aischa ein hübsches und
+tugendhaftes Mädchen sei, die wohl für Omar passen möchte. Aischa, wohl
+ahnend was kommen würde, war gleich im Anfange dem Zelte entschlüpft und
+hatte sich draußen etwas zu thun gemacht. Die Mutter Aischa's hingegen
+hatte nicht genug Lob für ihre Tochter, keine sei so schlau wie sie,
+keine verstehe so dauerhafte Haiks (Umschlagetücher) zu weben wie sie,
+keine verstehe die Kügelchen zum Kuskussu so fein zu reiben wie sie und
+ihre Keuschheit und Sittsamkeit sei über alles Lob erhaben; aber
+schließlich meinte auch sie, daß Aischa wohl für Omar passen würde.
+
+Als nach dem Abendessen, welches die beiden Männer gemeinsam eingenommen
+hatten, ein jeder sich mit seiner Frau allein befand,--Aischa selbst war
+für die Nacht zu einer Freundin gegangen,--erfuhren sie von ihren Frauen
+den Gedankenaustausch und Abu Ssalam beschloß nun, am anderen Morgen von
+Aischa's Vater ihre Hand für seinen Sohn zu verlangen. Ob Aischa
+einwilligen würde, daran dachte er wenig, zumal er nach seines Sohnes
+Worten vermuthen durfte, daß eine gegenseitige Neigung vorhanden sei.
+
+Da Kaid Abu Ssalam entschlossen, seinem Sohne (er hatte ja nur den
+einzigen) schon bei Lebzeiten einen Theil seiner Heerden abzutreten, so
+war er bald mit Aischa's Vater, dem Abu Thaleb, einig, er bezahlte ihm
+200 Duoros, also einen bedeutend höheren Preis[77], als sonst üblich
+ist. Es wurde außerdem festgesetzt, daß Aischa drei neue silberne
+Spangen (um das Gewand festzustecken), zwei silberne Armbänder, zwei
+silberne Fußringe, im Ganzen im Gewichte von fünf Pfund Silber, bekäme,
+daß sie zwei Sack Korn, eine neue große kupferne Gidra[78], einen
+Teppich von Arbat, im Werthe von 20 Duoros, ein neues Hemd, einen neuen
+Haik, ein neues seidenes Kopftuch und eine neue seidene Schürze als
+Aussteuer bekäme, daß endlich das Maulthier, auf dem sie hergeleitet
+würde, Eigenthum ihres Mannes bliebe. Es war also genau so viel der
+Braut an Gegenständen mitzugeben, als der Schwiegervater dem Abu Thaleb
+an Geld gezahlt hatte; einer alten Sitte gemäß hatte überdies Aischa
+noch für ihren Zukünftigen das Hemd selbst zu nähen, welches er am
+Hochzeitstage zu tragen hatte, auch eine rothe Mütze mußte sie ihm
+mitbringen, wofür der Bräutigam am Festtage der Braut einen silbernen
+Ring und eine Halsschnur von Bernstein überreichte.
+
+Nachdem die beiden Väter dieses unter sich abgemacht hatten, begaben
+sie sich zum Kadhi der Uled Hassan, wo alle diese Bestimmungen zu Papier
+gebracht und von Beiden unterzeichnet wurden; auch wurde der Tag der
+Heimführung der Braut, der Hochzeitstag, bestimmt und Alles dies durch
+ein gemeinsames Fötah (Segen, d.h. das erste Capitel des Koran wird
+gesprochen) besiegelt.
+
+Abu Ssalam mit seiner Ehehälfte zog sodann eiligst nach Hause, denn da
+die Hochzeit schon nach acht Tagen stattfinden sollte, mußten jetzt
+rasch die Vorbereitungen zur Festlichkeit gemacht werden. Es mußten die
+Einladungen ergehen an nahe wohnende Freunde, Geschenke für die
+Geistlichkeit mußten gemacht werden, damit diese den Segen Gottes auf
+das neue Ehepaar herabflehe, Lämmer und Ziegen mußten ausgesucht werden
+zum Schlachten, und Tag für Tag waren die Frauen der drei Duar
+beschäftigt, Kuskussukügelchen[79] zu rollen, denn Hunderte von Personen
+waren am Hochzeitstage zu bewirthen.
+
+So nahete der Tag. Einige Tage vorher saß Aischa schon mit umwickelten
+Händen und Füßen; denn während sonst die+ Frauen es für genügend halten,
+während einer Nacht, um eine rothe Färbung hervorzubringen, ihre
+Gliedmaßen in zerstampftes Hennahkraut einzuwickeln, hatte Aischa's
+Mutter, um eine recht rothe Farbe hervorzurufen, es für nothwendig
+gehalten, dies während mehrerer Tage hindurch zu thun. Ihre Augenlider
+wurden mit Kohöl geschwärzt, ebenso die Brauen, und auf ihre Stirn
+hatte ihre Mutter ihr ein reizendes Blümchen gezeichnet, während auf die
+Außenfläche der rothen Hand verschiedene schwarze Zickzacklinien gemalt
+wurden. Ihre Freundinnen und Gespielinnen waren alsdann behülflich, sie
+anzukleiden, nachdem Aischa im nahen Flusse ein Bad mit ihnen genommen
+hatte. Aber weniger prunkvoll, wie dies die Städterinnen zu thun
+pflegen, war das bald geschehen: ein seidenes Tuch um den Kopf
+geschlungen, nur mit Mühe das lange hervorquellende Haar zurückhaltend,
+welches sorgfältig gekämmt, geölt und geflochten war, ein neues Hemd,
+ein neuer weißer Haik, der über den Kopf und um den ganzen Leib
+geschlungen wurde, eine seidene Schürze von Fes, das war nebst rothen
+Pantöffelchen an den Füßen der ganze Anzug; denn Hosen, Westen, Kaftane
+und dergleichen Kleider, wie sie die Städterinnen in Fes, Mikenes oder
+einer anderen Stadt tragen, kennen die Töchter eines Zeltes nicht.
+Sodann wurde Aischa mit Rosenwasser übersprengt, mit Bochor und Djaui
+(Sandelholz und Weihrauch) durchräuchert und in die Kubba auf's
+Maulthier gesetzt.
+
+Unter Thränen hatte sie Abschied von ihrer Mutter und von ihren
+Freundinnen genommen, denn die Sitte erheischte, daß diese daheim
+blieben; nur die männliche Bevölkerung der Uled Hassan und zu beiden
+Seiten des Maulthieres zwei ehrwürdige Greise, ihr Vater und ihr Oheim
+väterlicher Seits, begleiteten sie. Früh aufgebrochen, waren sie schon
+Mittags Angesichts der drei Duar der Beni-Amer, und sobald der Zug
+sichtbar war, kamen sämmtliche Leute der Beni-Amer und viele Fremde der
+Umgegend, die Pferde hatten, auf sie losgesprengt und bewillkommneten
+die Braut durch Flintenschüsse. Der Bräutigam war aber nicht dabei.
+
+Im Duar des Bräutigams selbst angekommen, wurde sie sogleich nach dem
+Zelte ihrer Schwiegermutter geführt, und jetzt, unter lauter ihr fremden
+Frauen, zeigte sie sich zum ersten Male ihren neuen weiblichen
+Verwandten; denn wenn die Frauen des Zeltes auch nicht verschleiert
+sind, so war Aischa doch in der Kubba, d.h. in einer Art Käfig, der auf
+dem Maulthiere ruhte, hergekommen und war somit allen Blicken entzogen.
+Die Frauen verbringen jetzt die Zeit mit Essen und Trinken. Unterdeß
+haben sich aber auch die Männer versammelt, sie ziehen vor das Zelt des
+Bräutigams, der, in neue Gewänder gehüllt, heraustritt. Sein Kopf ist
+vollkommen mit einem Turban umwickelt, nur ein schmaler Spalt für die
+Augen ist gelassen. Man heißt ihn ein Pferd besteigen und sodann reiten
+Alle aus dem Duar heraus, um ein Lab, d.h. ein Wettrennen mit Schießen,
+abzuhalten. Der Bräutigam allein nimmt nicht Theil. Er hält gegenüber
+dem Zelte, wo man weiß, daß die Braut mit den übrigen alten und jungen
+Frauen sich aufhält, und nimmt so gewissermaßen Angesichts seiner Braut
+eine Parade ab. Weder kann er sie sehen, noch sie ihn, denn das Zelt ist
+bis auf einige Schlitze dicht zusammengezogen und sein Kopf ist
+verhüllt. Endlich ergreift, nachdem Alle schon mehrere Male das Pulver
+haben sprechen lassen, Omar ebenfalls eine Flinte, er schwingt sie um
+seinen Kopf, er saust davon, macht Kehrt, um im rasendsten Ritte auf's
+Zelt seiner Braut loszugehen, und angekommen, drückt er seine Flinte ab,
+schwenkt seitwärts, nachdem er noch die Flinte hoch in die Luft
+geschleudert und geschickt wieder aufgefangen hat.
+
+Es wird Abend und der Bräutigam wird nach seinem Zelte zurückgeführt.
+Nun beginnen allgemeine Schmausereien; aber die Frauen, immer in ihrer
+Mitte noch die Braut Aischa behaltend, setzen den Kampf gegen die
+Kuskussuschüsseln allein fort, frischen Muth dazu dann und wann durch
+eine Tasse stark mit Münze aromatisirten Thee's schlürfend. Die meisten
+Männer und Jünglinge essen im Freien, denn die Zelte bieten weder Raum
+noch Helligkeit, nur der Bräutigam bleibt allein. Es scheint sich ein
+wahrer Wettstreit unter den Gästen im Essen zu entwickeln; aber wenn man
+weiß, wie ausnahmsweise und selten in Marokko den Leuten die Gelegenheit
+geboten wird, Fleisch zu essen, so kann man sich vorstellen, wie es dann
+bei einem Mahle hergeht, wo Fleisch in Hülle und Fülle vorhanden ist und
+man seine Höflichkeit und Freude am besten dadurch kund zu geben meint,
+wenn man so viel ißt, als man überhaupt nur essen kann.
+
+Die Dunkelheit ist nun völlig hereingebrochen. Da sieht man plötzlich
+aus dem Zelte der Frauen einen Zug herauskommen, voran die Braut, sie
+allein verschleiert; ihr zur Seite gehen andere junge Mädchen, in der
+einen Hand eine Papierlaterne tragend, in der anderen ein mit
+Rosenwasser geschwängertes Tuch, womit sie der Braut wohlriechende Luft
+zuwehen; andere Frauen, und zwar zunächst die Schwiegermutter Lella
+Mariam, folgen, alle haben Laternen. Sie gehen auf das Zelt Omars zu,
+der fortwährend allein geblieben war, und da von der anderen Seite auch
+die Männer herbeigekommen waren, so ruft Abu Thaleb: "Omar ben Abu
+Ssalam, bist Du im Zelte, so erscheine und bezeuge im Namen des einigen
+Gottes, daß Du meine Tochter Aischa als Deine Frau aufnehmen und
+ernähren willst." Omar erschien und bezeugte es im Namen Gottes. Sodann
+ruft sein Vater: "Ich bezeuge im Namen des Höchsten, daß ich an Abu
+Thaleb 200 Duro gezahlt habe; hast Du sie bekommen, o Freund?"--"Mit
+Hülfe Gottes habe ich das Geld empfangen und laß Deinen Sohn morgen
+zeugen, ob die Morgengabe Aischa's richtig ist."--Darauf wurde das Fötah
+gebetet und die Mutter Omars, die Braut ihm zuschiebend, schlug das Zelt
+über Beide herab, und Omar und Aischa lagen einander in den Armen.
+
+Draußen wurden aber die Schwelgereien im Essen fortgesetzt. Kaid Abu
+Ssalam hatte Sänger und Lautenspieler kommen lassen, Tänzerinnen hatten
+sich eingestellt, kurz, es fehlte nichts einer, einem so reichen und
+mächtigen Kaid würdigen Hochzeitsfeier. Aber stürmischer Jubel brach
+los, als einige Zeit nachher Lella Mariam, die Mutter Omar's, die vor
+dem Zelte Platz genommen hatte, aufstand und ein Hemd, das der gewesenen
+Braut Aischa, durch die Luft schwenkte. Das Hemd enthielt Blutstropfen,
+Omar konnte also den sichtbaren Beweis der Jungfräulichkeit seiner Braut
+liefern und dieser mußte Allen, die an der Hochzeitsfeier Theil nahmen,
+gezeigt werden. Kann dieser nicht beigebracht werden, so ist überhaupt
+die Heirath, _wenn der Gatte will_, als nicht geschehen zu betrachten.
+
+Drei Tage dauerten diese Schmausereien, während welcher Zeit aber das
+junge Paar meistens allein blieb, um ganz das Glück der ersten Liebe zu
+genießen; vielleicht hätte auch Kaid Abu Ssalam die Festlichkeit noch
+länger ausgedehnt, da bei sehr reichen Familien acht Tage lang festirt
+wird, wenn nicht ein Ereigniß eingetreten wäre, das den Lustbarkeiten
+ein jähes Ende setzte.
+
+Wohl durch zu viele Arbeit, die der alte Omar, Vater Abu Thalebs, seinem
+Magen aufgebürdet hatte, vielleicht auch durch Uebermaß des sonst
+ungewohnten Fleischgenusses, erkrankte er und schon nach einigen Stunden
+hatte er aufgehört zu leben.
+
+Sobald man den Tod des alten Omar als sicher constatirt hatte, wurden
+alle alten Weiber vor sein Zelt beordert, um das Klagen und Weinen zu
+besorgen, während die Männer den noch warmen Leichnam wuschen,
+räucherten und in ein neues Stück Kattun einwickelten. Dies dauerte
+einige Stunden, sodann wurde eine Tragbahre geholt und der Verstorbene
+hinaufgelegt, denn bei den Zeltbewohnern herrscht die Sitte, den Todten
+in einen Sarg oder eine Truhe zu legen, nicht. Vier Männer bemächtigten
+sich der Bahre und sodann ging es fort in so schnellem Schritte, als
+man, ohne zu laufen, nur gehen konnte. Beständig wurde nach einförmiger
+Melodie gesungen: =Lah illaha Il Allaha=, und wenn dies etwa
+hundert Mal wiederholt worden war, bildete der Satz: =Mohammed ressul
+ul Lah= den Schluß, um aber gleich wieder von vorn anzufangen. Alle
+zwanzig Schritte lösten sich die Leute im Tragen ab, damit Jeder der
+Ehre, den Todten zur letzten Stätte zu tragen, theilhaftig werden könne.
+Nach dem Gottesacker der Beni-Amer, der ziemlich entfernt vom Duar
+gelegen war, waren aber schon vorher einige Leute geschickt worden, um
+die Gruft zu bereiten, und als der Trauerzug ankam, war Alles in
+Ordnung.
+
+Ein letztes Fötah wurde gebetet und die Sure: "Sag', Gott ist der
+Einzige und Ewige. Gott zeugt nicht und ist nicht gezeugt und kein
+Geschöpf gleicht ihm," wurde von allen Anwesenden gelesen[80] und darauf
+unter dem Ausrufe: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes) der Leichnam
+in die Gruft gelegt. Ein Jeder der Anwesenden warf eine Hand voll Sand
+auf den Körper und hierauf wurde durch Hacken die Grube schnell mit Erde
+gefüllt. Damit nicht etwa Hyänen das Grab eröffnen könnten, wurden
+sodann zum Schlusse schwere Steine über das Ganze gelegt. Zurück wurde
+der Weg eben so rasch und ebenfalls unter dem Gesange: "=Lah illaha Il
+Allaha=" gemacht. Acht Tage lang mußten außerdem Trauerweiber, die
+zum Theil bezahlt waren, klagen und weinen, die Männer aber gingen ihren
+gewöhnlichen Beschäftigungen nach, pflegten sich aber auch Abends beim
+Trauerzelte einzufinden, weniger um der Vorzüge und Tugenden zu
+gedenken, die der verstorbene Omar ben Edris gehabt haben sollte, als um
+an der Mahlzeit Theil zu nehmen, die sein Sohn während der achttägigen
+Klagezeit allen Mittrauernden spenden mußte. Die Trauer durch besondere
+Kleider, z.B. schwarze Gewänder, auszudrücken, ist aber bei den
+Zeltbewohnern so wenig Sitte, wie bei den mohammedanischen Städtern.
+
+Daß der Kaid der Uled Sidi Schich die Kränkung nicht ruhig hinnahm, weil
+man seine Tochter verschmäht hatte, versteht sich von selbst. Und so
+erschien er denn eines Tages mit zwanzig Reitern nach gefahrvollen
+Märschen; es gelang ihm auch, eine Nachts außengebliebene Heerde
+fortzutreiben. Doch die schnell aufgebotenen Beni-Amer, im Verein mit
+einigen Uled Hassan, ereilten die Räuber, ein kurzes Gefecht entspann
+sich, einige Kugeln wurden gewechselt. Die Uled Sidi Schich zogen
+natürlich den Kürzeren, im Triumphe wurde die geraubte Heerde
+zurückgebracht und seit der Zeit lebt Omar zufrieden und ruhig am Ued
+Ssebu, lebt wie sein Vater und seine Vorfahren gelebt hatten und wie
+seine Söhne und Nachkommen unwandelbar nach denselben Sitten und
+Gebräuchen weiter leben werden.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 66: Wie man bei uns sagt, er stammt aus einem großen Hause, so
+sagt man in Marokko min cheima kebira ("von einem großen Zelte").]
+
+[Footnote 67: In Marokko flechten und kämmen die Frauen und Mädchen ihr
+Haar keineswegs alle Tage, sondern nur bei festlichen Gelegenheiten.]
+
+[Footnote 68: Sidi ist der Titel des Großscherifs der heiligen Stadt
+Uesan.]
+
+[Footnote 69: Mohammed sagt im Koran: "Niemand trage seine Haare in
+Flechten bis zu den Schultern herab." Weil, S. 251.]
+
+[Footnote 70: Obschon es Mohammed ausdrücklich verboten ist, Staub aus
+dem Tempel von Mekka als Reliquie mitzunehmen, thun es die meisten
+marokkanischen Pilger doch.]
+
+[Footnote 71: Man sagt so, natürlich sind die Insassen des Zeltes
+gemeint.]
+
+[Footnote 72: Schreiber.]
+
+[Footnote 73: Plural von Thaleb.]
+
+[Footnote 74: In jedem marokkanischen Duar befindet sich ein Zelt, das
+zum Abhalten des freitäglichen Chothagebetes bestimmt ist und Situn el
+Djemma heißt; in der Regel dient es auch als Herberge für Fremde und
+heißt dann Situn el Diaf.]
+
+[Footnote 75: Wollenes Uebergewand.]
+
+[Footnote 76: In einzelnen Familien haben sich behufs der Beschneidung
+Steinmesser oder vielmehr scharfe Steinscherben vom Vater auf den Sohn
+vererbt und wahrscheinlich sind sie aus Arabien mit herübergebracht
+worden.]
+
+[Footnote 77: Der gewöhnliche Preis ist auf 60 französische Thaler, in
+Marokko Doro oder Duoro genannt, fixiert.]
+
+[Footnote 78: Kupferner Kessel.]
+
+[Footnote 79: Die Kuskussukügelchen aus Weizen- oder Gerstenmehl, auf
+einem Palm- oder Strohteller gerieben, sind von der Größe unserer
+Perlgrütze. Getrocknet halten sie sich monatelang, ja über ein Jahr. Man
+nimmt sie auch als Provision auf Reisen mit.]
+
+[Footnote 80: Der Araber braucht das Wort "ikra" er liest, nicht blos
+von der Handlung in unserem Sinne, d.h. wenn man aus einem Buche etwas
+abliest, sondern auch, wenn Jemand aus dem Koran oder sonst einem Buche
+ein Capitel hersagt.]
+
+
+Leipzig,
+
+Druck von Alexander Edelmann.
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und
+Erforschung Africa's., by Gerhard Rohlfs
+
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+
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+works. See paragraph 1.E below.
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+ The Project Gutenberg eBook of Beiträge zur Entdeckungen und Erforschung Africa's, by Gerhard Rohlfs.
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+The Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und Erforschung
+Africa's., by Gerhard Rohlfs
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+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Africa's.
+ Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+Author: Gerhard Rohlfs
+
+Release Date: July 13, 2005 [EBook #16280]
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+Language: German
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITRÄGE ZUR ENTDECKUNG ***
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+Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online
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+<h1>Beitr&auml;ge</h1>
+
+<h1>zur Entdeckung und Erforschung</h1>
+
+<h1>Africa's.</h1>
+
+<h2>Berichte aus den Jahren 1870-1875</h2>
+
+<p class='center'>von</p>
+
+<h2>Gerhard Rohlfs.</h2>
+
+<hr style='width: 45%;' />
+
+<p class='center'>Leipzig,</p>
+
+<p class='center'>Verlag der D&uuml;rr'schen Buchhandlung</p>
+
+<p class='center'>1876</p>
+
+<p class='center'>Mit dem Stahlstich-Portrait des Verfassers</p>
+
+<hr style='width: 65%;' />
+
+<p class='figcenter'><a href="./images/1.png"><img src="./images/1_thumb.png"
+alt="Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs"
+title="Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs" /> </a></p>
+<p class='figcenter'><span class='smcap'>Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs
+</span></p>
+
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+
+<p class='figcenter'><a href="./images/2.png"><img src="./images/2_thumb.png"
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+<h2>Herr Gerhard Rohlfs</h2>
+
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+<p class='center'>Leipzig</p>
+
+<p class='center'>D&uuml;rr</p>
+
+<p class='center'>1876</p>
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+<h2>Gerhard Rohlfs.</h2>
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+
+
+
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+<h2><a name="INHALT" id="INHALT"></a>INHALT</h2>
+
+
+<p>
+<a href="#Ch1_Der_Kanal_von_Suez"><b>1. Der Kanal von Suez.</b></a><br />
+<a href="#Ch2_Bauten_in_Afrika"><b>2. Bauten in Afrika.</b></a><br />
+<a href="#Ch3_Lagos_an_der_Westkuste_von_Afrika"><b>3. Lagos an der Westk&uuml;ste von Afrika.</b></a><br />
+<a href="#Ch4_Das_Gora-Gebirge_in_Central-Afrika"><b>4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika.</b></a><br />
+<a href="#Ch5_Hoflichkeitsformen_und_Umgangsgebrauche_bei_den"><b>5. H&ouml;flichkeitsformen und Umgangsgebr&auml;uche bei den</b></a><br />
+<a href="#Ch6_Beitrag_zur_Kenntni_der_Sitten_der_Berber"><b>6. Beitrag zur Kenntni&szlig; der Sitten der Berber</b></a><br />
+<a href="#Ch7_Ueber_Reiz-_und_Nahrungsmittel_afrikanischer_Volker"><b>7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer V&ouml;lker.</b></a><br />
+<a href="#Ch8_Aufbruch_zur_Libyschen_Wuste"><b>8. Aufbruch zur Libyschen W&uuml;ste.</b></a><br />
+<a href="#Ch9_Das_jetzige_Alexandrien"><b>9. Das jetzige Alexandrien.</b></a><br />
+<a href="#Ch10_Kairo_Hauptstadt_von_Aegypten"><b>10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten.</b></a><br />
+<a href="#Ch11_Meine_Heimkehr_aus_der_Libyschen_Wuste"><b>11. Meine Heimkehr aus der Libyschen W&uuml;ste.</b></a><br />
+<a href="#Ch12_Bei_den_Zeltbewohnern_in_Marokko"><b>12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko,</b></a><br />
+</p>
+
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch1_Der_Kanal_von_Suez" id="Ch1_Der_Kanal_von_Suez"></a>1. Der Kanal von Suez.</h2>
+
+
+<p>Es hat kaum ein gro&szlig;artigeres Unternehmen mehr das
+Interesse der gebildeten Welt in Anspruch genommen, als der
+Durchstich des Isthmus von Suez, eine Unternehmung, wie sie
+eben nur der vor nichts zur&uuml;ckschreckende Geist des 19. Jahrhunderts
+erdenken konnte. Und keine Arbeit ist mehr besprochen
+und beschrieben worden, als gerade dieser Kanal, Stimmen
+haben sich daf&uuml;r und dagegen erhoben; Enthusiasten wollten
+den Kanal in ein paar Jahren vollenden, untersch&auml;tzten die
+Schwierigkeiten, setzten die Kosten zu gering an; ihre Gegner
+sprachen von un&uuml;berwindlichen Hindernissen, vom Niveauunterschiede
+der beiden zu verbindenden Meere, von nicht zu besiegenden
+Sandst&uuml;rmen der W&uuml;ste, vom Mangel an Geld und endlich,
+falls der Kanal zu Stande k&auml;me, von den zu gro&szlig;en Kosten,
+welche die Rheder f&uuml;r ihre durchgehenden Fahrzeuge zu entrichten
+haben w&uuml;rden.</p>
+
+<p>Im Jahre 1854, als Hr. von Lesseps vom Vicek&ouml;nig die
+Autorisation bekam zur Anlegung eines maritimen Kanals durch
+die Landenge, constituirte sich infolge dessen eine internationale
+Commission, bestehend aus Ingenieuren von England, Oesterreich,
+Spanien, Frankreich, den Niederlanden und Preu&szlig;en, um
+einen Plan auszuarbeiten, und nachdem diese Commission festgestellt
+hatte, da&szlig; kein Niveauunterschied zwischen den beiden getrennten
+Meeren vorhanden sei, hatte sie die Bildung des Kanals von
+Suez und eine Subscription zur Folge. Die auszuf&uuml;hrenden
+Arbeiten waren auf 200 Mill. Frs. veranschlagt worden,
+welche Summe aufgebracht wurde. Im Jahre 1859 begannen
+die ersten Arbeiten unter der unmittelbaren Direction der
+Compagnie selbst.</p>
+
+<p>Diese bestanden haupts&auml;chlich in Menschenwerk; das &auml;gyptische
+Gouvernement hatte contractlich 20,000 Fellahin oder Leibeigene
+zu liefern, welche eine monatliche Dienstzeit hatten, wobei
+sie auf Kosten der Compagnie ern&auml;hrt und abgelohnt wurden.
+Jeden Monat l&ouml;ste ein Haufen anderer Zwangsarbeiter den
+alten ab.</p>
+
+<p>Als nun Ende 1865 die Unzul&auml;nglichkeit dieser Arbeiten
+sich herausstellte, schlo&szlig; die Compagnie mit dem Hause Borrel
+und Lavaley einen Contract, demzufolge das genannte Haus
+es &uuml;bernahm, s&auml;mmtliche Erdarbeiten, die Ausgrabung und
+Ausbaggerung des Kanals durch Maschinen bewerkstelligen zu
+wollen. Zugleich wurde der Firma Dussaud Fr&egrave;res die Vollendung
+der gro&szlig;en Molen von Port-Said &uuml;berwiesen und die
+Arbeiten, welche dieses Haus durch seine colossalen k&uuml;nstlichen
+Steinblockbauten in Algier, Cherbourg u.s.w. ausgef&uuml;hrt und
+dem man neuerdings noch die Construction des Hafens von
+Smyrna &uuml;bergeben hatte, waren hinl&auml;nglich B&uuml;rge, da&szlig; ihnen
+die Molen von Port-Said w&uuml;rden ebenb&uuml;rtig zur Seite gestellt
+werden k&ouml;nnen.</p>
+
+<p>Es handelte sich nun aber darum, das &auml;gyptische Gouvernement,
+welches sich verpflichtet hatte, w&auml;hrend des Kanalbaues
+so und so viele Arbeiter zu liefern, dahin zu bringen, da&szlig; es
+f&uuml;r die jetzt unn&ouml;thig gewordenen Menschenkr&auml;fte einen &auml;quivalenten
+Theil an Geld gew&auml;hrte und die &auml;gyptische Regierung,
+immer bei der Hand, das Unternehmen auf's Gro&szlig;m&uuml;tigste zu
+f&ouml;rdern, ging auf's Bereitwilligste daraus ein. Inde&szlig; stellte
+es sich heraus, da&szlig; die Abl&ouml;sungssumme, welche die Compagnie
+verlangte, 54 Mill. Frs. dem Vicek&ouml;nig zu hoch gegriffen
+schien und man kam nun &uuml;berein, sich einem Schiedsrichter zu
+unterwerfen, wozu beide Parteien den Kaiser Napoleon w&auml;hlten.
+Aber nicht f&uuml;r 54 Millionen entschied sich der Kaiser der Franzosen,
+sondern f&uuml;r 84 Millionen, welche die &auml;gyptische Regierung
+der Compagnie zu zahlen habe. Die anf&auml;ngliche Sch&auml;tzung
+der Compagnie war also bedeutend durch den Ausspruch des
+Kaisers Napoleon &uuml;berboten worden. Man hat behaupten
+wollen, der Umstand, da&szlig; Herr von Lesseps ein Verwandter der
+Kaiserin Eugenie ist, habe nicht wenig dazu beigetragen, eine
+f&uuml;r die Compagnie so au&szlig;erordentlich g&uuml;nstige Entscheidung
+herbeizuf&uuml;hren. Au&szlig;erdem hatte die Compagnie einen neuen
+Geldzuschu&szlig; von 10 Mill. Frs. als Entsch&auml;digung f&uuml;r die
+Dom&auml;ne Tel-el-kebir vom Vicek&ouml;nig erhalten. Trotzdem da&szlig;
+nun die urspr&uuml;nglich veranschlagte Summe von 200 Mill.
+Frs. sich so um fast 100 Millionen erh&ouml;ht fand, stellte es sich
+schon im kommenden Jahre heraus, da&szlig; zur Beendigung des
+Kanals noch wenigstens 100 Millionen erforderlich seien. Deshalb
+ging Anfang 1868 Herr Lesseps nach Paris, um eine neue
+Anleihe zu negociiren. Eine Anleihe als solche scheiterte inde&szlig;,
+es gelang aber Herrn Lesseps eine Lotterie mit Bewilligung
+der franz&ouml;sischen Kammer zu Stande zu bringen, welche bis
+Anfang Juni 1868 40-45 Millionen ergab und endlich
+wurden durch verschiedene Operationen die finanziellen Schwierigkeiten
+des Kanalbaues &uuml;berwunden.</p>
+
+<p>Nach der damaligen Abmachung sollten die Arbeiten bis
+zum 1. October 1869 fertig sein und nach den Arbeiten des
+Hauses Borrel und Lavaley zu schlie&szlig;en, konnte dies auch
+geschehen. Denn um von dem Augenblicke an den Kanal so
+herzustellen, da&szlig; er &uuml;berall an der Wasserlinie eine Breite von
+100 Meter, an der Basis 22 Meter (an einigen Stellen
+inde&szlig; oben 75 Meter und unten blos 12 Meter) mit einer
+Tiefe von &uuml;berall 8 Metern habe, blieben vom Juni 1868
+an noch 34 Millionen Kubikmeter Terrain wegzur&auml;umen &uuml;brig.
+Mit der Arbeitsf&auml;higkeit, welche Borrel und Lavaley zu ihrer
+Disposition hatten und wodurch bis Mai 1868 circa 18 Millionen
+Kubikmeter Erdreich weggeschafft wurde und welche im
+Juli 1868 bis auf 20 Millionen Kubikmeter gesteigert werden
+konnte, stellte es sich heraus, da&szlig; in der That bis Ende des
+Jahres 1869 der Kanal fertig sein w&uuml;rde. Ob aber derselbe
+dann schon f&uuml;r die gr&ouml;&szlig;ten Fahrzeuge passirbar sein w&uuml;rde,
+war eine andere Frage; jedenfalls aber konnten Borrel und
+Lavaley, die mit der Compagnie &uuml;bereingekommen waren, eine
+so und so gro&szlig;e Menge von Erdreich aus der vorgeschriebenen
+Linie des Kanals hinwegzur&auml;umen, ihren Verpflichtungen nachkommen.
+Zur Ausf&uuml;hrung dieser gro&szlig;artigen Arbeit hatten
+Borrel und Lavaley folgende Maschinen, welche s&auml;mmtlich entweder
+in England oder Frankreich und Belgien angefertigt
+sind, zur Disposition: a) 10 mechanische Zermalmer; b) 4
+Handbaggermaschinen; c) 19 kleine Baggermaschinen; d) 58
+gro&szlig;e Baggermaschinen, von denen 20 mit langen Abg&uuml;ssen;
+e) 30 Dampfschiffe, um Schutt wegzufahren, mit Seitenklappen;
+f) 79 Schuttdampfschiffe mit Grundklappen, 37 von diesen
+hielten das Meer; g) 18 Elevateurs; h) 90 schwimmende
+Chalands mit Schuttkisten; i) 30 Dampfwidder; k) 15 Dampfchalands;
+l) 60 Locomobilen; m) 15 Locomotiven; n) 20 Dampferdh&ouml;hler theils
+f&uuml;r trockenen, theils nassen Boden; o) 1800
+Erdwagen; p) 25 Dampfcanots oder Remorqueurs; q) 200
+eiserne Chalands.</p>
+
+<p>Wir brauchen nicht zu erw&auml;hnen, da&szlig; auch noch ein gen&uuml;gendes
+und massenhaftes Material von kleinen Ger&auml;then, als Schaufeln,
+Hacken, Schiebkarren u.s.w. vorhanden war. Borrel und Lavaley
+hatten au&szlig;erdem eine Arbeitskraft von circa 12,000 Menschen auf
+dem Platze, welche theils aus Eingeborenen, die sich freiwillig
+zum Arbeiten gemeldet hatten,
+theils aus Europ&auml;ern bestand. Alle Arbeiten waren contractlich;
+erstere bekamen f&uuml;r 1 Meter Kubikfu&szlig; 1 Fr. 95 Cent.,
+wo das Terrain leicht zu bearbeiten war; wo es hingegen, wie
+in Chalouf, schwierig war, bis 2 Frs. 45 Cent., die Handwerker
+und Europ&auml;er hatten nicht unter 5 Frs. per Tag.</p>
+
+<p>Bald darauf wurden aber wieder viele Stimmen laut, da&szlig;
+nach vollendetem Kanalbaue zwei gro&szlig;e Schiffe neben einander
+nicht w&uuml;rden passiren k&ouml;nnen; inde&szlig; bei den geringsten Dimensionen
+von 75 Meter an der Wasserlinie und 12 Meter an
+der Basis waren wir berechtigt, anzunehmen, da&szlig; dies der
+Fall sein w&uuml;rde oder da&szlig; man dem w&uuml;rde abhelfen k&ouml;nnen.
+Man wollte ferner behaupten, da&szlig; die Ausf&uuml;llung der Bitterseen
+vom Mittelmeere aus zu rasch vor sich gehen w&uuml;rde und
+so durch den hereinbrechenden Strom der Kanalbau besch&auml;digt,
+wenn nicht ganz zerst&ouml;rt werden k&ouml;nnte. Die Anf&uuml;llung des
+Timsahsees im Jahre 1861, wozu nicht weniger als circa 100
+Mill. Kubikmeter Wasser erforderlich waren, welche dem mittell&auml;ndischen
+Meere entzogen wurden, hatte jedoch gezeigt, da&szlig;
+bei so gro&szlig;en Quantit&auml;ten mit verh&auml;ltni&szlig;m&auml;&szlig;ig so geringem
+Falle die Str&ouml;mung mit gro&szlig;er Langsamkeit vor sich geht; und
+so konnte man genau berechnen, da&szlig; zur Ausf&uuml;llung des gro&szlig;en
+und kleinen Beckens des Bittersees, welcher wenigstens 20 Mal
+so viel Volumen Wasser verschlingen w&uuml;rde, als der Timsahsee,
+fast zwei Monate erforderlich sein m&uuml;&szlig;ten.</p>
+
+<p>So war, als wir Mitte Juni 1868 den Kanal besuchten,
+die Sachlage; und wenn wir auch nicht der Meinung der
+Pessimisten waren, welche behaupteten, der Kanal w&uuml;rde nie
+fertig, w&uuml;rde stets wieder versanden oder auch diese Compagnie
+w&uuml;rde nicht die erforderlichen Mittel aufbringen k&ouml;nnen, um
+die Bauten zu Ende zu f&uuml;hren, und es w&uuml;rde so selbstverst&auml;ndlich
+der Kanal in die H&auml;nde der Engl&auml;nder &uuml;bergehen (beil&auml;ufig
+gesagt w&auml;re dies gar kein Schaden f&uuml;r die kommerzielle
+Welt), so waren uns doch auch andererseits starke Zweifel aufgesto&szlig;en,
+ob der Kanal schon Ende 1869 der allgemeinen Benutzung
+w&uuml;rde &uuml;bergeben werden k&ouml;nnen. Denn wenn auch
+die Firma Borrel und Lavaley die vorgeschriebenen 34 Mill.
+Kubikmeter Terrain bis Ende 1869 herausgeschafft haben
+konnte, so war damit lange noch nicht der Kanal fertig. Vor
+Allem w&auml;re &uuml;berdies der Compagnie eine weise Sparsamkeit
+anzuempfehlen gewesen. Wozu n&uuml;tzte es damals, nachdem sie
+alle Privatarbeiten abgegeben hatte an Privatunternehmer
+(Borrel und Lavaley, Dussaud Fr&egrave;res, Couvreur in El Guisr
+u.a.m.), einen so gro&szlig;en Stab zu unterhalten? Seitdem die
+Compagnie sich nicht mehr direct bei den Arbeiten betheiligte,
+wie im Anfange, war es da nicht eine eitle Geldverschleuderung,
+noch immer denselben Personalbestand zu haben, welcher unter
+den hocht&ouml;nenden Namen Agence sup&eacute;rieure und Direction
+g&eacute;n&eacute;rale des travaux ein Personal von &uuml;ber 200 Leuten
+(officiell) aufwies, von denen der geringste Beamte sicher nicht
+unter 5000 Frs., der Director Herr Voisin 50,000 Frs. Gehalt
+bezog?</p>
+
+<p>Man kann von drei Seiten hinkommen, um den Kanal zu
+besuchen: von Port-Said, von Isma&iuml;lia und Suez. Wir
+gingen im Jahre 1868 von letzterem Platze aus, uns auf dem
+S&uuml;&szlig;wasserkanal einschiffend, welcher von Isma&iuml;lia kommt und
+in Suez sein Ende hat. Von diesem Orte an bis nach Isma&iuml;lia
+hatte der Kanal eine L&auml;nge von 90 Kilometern, war
+an der Wasserlinie &uuml;berall 14 Meter breit und hatte eine durchschnittliche
+Tiefe von 1,20 Meter. Es bestand eine regelm&auml;&szlig;ige
+Post, jedoch konnte man auch Extradahabien haben, welche
+von Maulthieren, die immer im schnellen Trabe oder Galop
+gehen, gezogen wurden. Der Verkehr war schon sehr belebt
+durch kleine Privatschiffe; so bezogen schon damals die indischen
+Schiffe und ganz Suez alle Kohlen mittelst des Kanals. Um
+die F&auml;higkeit zu haben, &uuml;berall halten und aussteigen zu k&ouml;nnen,
+zogen wir eine Extradahabie vor, zumal die Posten sehr schmutzig
+und voller Ungeziefer waren. Jede Dahabie hat einen Vorraum
+und einen kleinen Salon, der f&uuml;r vier Personen ger&auml;umig
+ist, sogar ein kleines Ankleidezimmer und Accessoir fehlen nicht.
+Die unvermeidlichen Hausthiere mohamedanischer L&auml;nder, l&auml;stige
+kleine Insecten, fehlen aber auch in den Extradahabien nicht, was
+auch ganz nat&uuml;rlich ist, da der Re&iuml;s oder Capitain in Abwesenheit
+von Passagieren sich sicher nicht zum Schlafen auf das
+Dach der Dahabie, sondern aus die Sophas in derselben legt
+und seine beiden Leute sicher seinem Beispiel folgen. Man
+kann, falls man sich gar nicht aufh&auml;lt, die Fahrt von Suez
+nach Isma&iuml;lia in 10-12 Stunden machen, inde&szlig; war es sehr
+gerathen, einige Stunden in Chalouf zu bleiben, um die dortigen
+Arbeiten zu besichtigen. Hier ist der einzige Ort, wo
+man auf felsiges Terrain, jedoch von lockerer Beschaffenheit,
+stie&szlig;. Tagt&auml;glich fand man hier die sch&ouml;nsten Versteinerungen,
+Fische, S&auml;ugethiere und Pflanzen. Als wir den tiefen Graben
+besuchten, wurde gerade ein ausgezeichnet sch&ouml;ner R&uuml;ckenwirbel
+eines Elephanten ausgegraben. Es herrschte in Chalouf ein reges
+Lebens, gro&szlig;e Dampfpumpen waren fortw&auml;hrend in Th&auml;tigkeit,
+um das eindringende Wasser, welches der nahe S&uuml;&szlig;wasserkanal
+durchsickern lie&szlig;, herauszuschaffen, w&auml;hrend andere
+m&auml;chtige Maschinen die Erde selbst angriffen. Nur in Chalouf
+hatte man jetzt noch das Bild und Profil des Kanals, da die
+anderen Strecken zwischen Port-Said und Isma&iuml;lia alle angef&uuml;llt
+waren. Aber gerade vor Thoresschlu&szlig; den Kanal entstehen sehen
+die riesigen Arbeiten bewundern zu k&ouml;nnen, gerade das hatte
+einen besonderen Reiz. Wenn man jetzt nach Vollendung des Durchstiches
+&uuml;ber den Kanal dahinf&auml;hrt, kann man sich kaum eine richtige
+Idee machen von den Schwierigkeiten, welche besiegt werden mu&szlig;ten.</p>
+
+<p>Nebenbei war hier eine ganze Stadt entstanden; es gab
+Kirchen, Moscheen, Wirtsh&auml;user, Spit&auml;ler, Caf&eacute;s u.s.w.
+Von hier nun wendet sich der S&uuml;&szlig;wasserkanal ab, um die
+Bitterseen, deren Bassin tiefer ist, als die Basis des S&uuml;&szlig;wasserkanals,
+zu vermeiden, und bei der gro&szlig;en Hitze, die im
+Sommer hier herrscht, zogen wir es vor, diesen Theil des
+Weges Nachts zu machen, wo wir dann am anderen Morgen
+fr&uuml;h in Serapeum eintrafen; dies liegt am Nordrande der
+Bitterseen. Vom S&uuml;&szlig;wassercanal f&uuml;hrt eine Zweigbahn nach
+Serapeum. Auch hier konnte man die Arbeiten in ihrer
+ganzen Gro&szlig;artigkeit bewundern und auch hier hatte sich rasch
+ein Ort entwickelt, wie es &uuml;brigens das Zusammensein so
+gro&szlig;er Arbeitermassen von selbst mit sich bringt.</p>
+
+<p>Von Serapeum bis Isma&iuml;lia sind nur noch 20 Kilometer
+und bald landete die Dahabie an dem sch&ouml;nen steinernen Kai;
+vorbeifahrende Wagen, die Menge der Schiffe (unter denen
+manche Dreimaster und stattliche Mittelmeerdampfer), Kirchth&uuml;rme,
+H&auml;user und Hotels, wie man sie nur in den gro&szlig;en
+Seest&auml;dten findet, &uuml;berraschen den Reisenden, so da&szlig; er glaubt
+in Europa zu sein.</p>
+
+<p>Isma&iuml;lia ist eine Stadt von circa 8000 Einwohnern.
+Nach einem vollkommen regelm&auml;&szlig;igen Plane gebaut, ist es
+weit hinaus im Halbkreise von einem S&uuml;&szlig;wasserkanale umgeben,
+welcher von &uuml;ppigen Weiden bordirt ist. Man hat eine
+katholische und zwei griechische Kirchen, eine Moschee, zwei
+Hospit&auml;ler, von denen eins f&uuml;r die arabische Bev&ouml;lkerung bestimmt
+ist. Es befinden sich hier die Geb&auml;ude der Directoren,
+welche an Pracht und Bequemlichkeit in nichts den Sommerwohnungen
+der F&uuml;rsten nachstehen. Die Stra&szlig;en sind breit
+und vor allen Privath&auml;usern breite Blumenbeete und Baumanlagen,
+was einen reizenden Anblick gew&auml;hrt. Namentlich
+der Hauptcentralplatz ist eine allerliebste Anlage und obgleich
+erst seit zwei Jahren geschaffen, so &uuml;ppig, als ob sie seit zehn
+Jahren best&auml;nde. In Isma&iuml;lia ist das beste H&ocirc;tel das H&ocirc;tel
+des voyageurs; es giebt aber noch f&uuml;nf oder sechs andere. Nat&uuml;rlich
+wo Franzosen sind, fehlen nicht die Caf&eacute;s chantants und die
+Roulette; diese ist jetzt in Aegypten so verbreitet, wie in Californien
+und namentlich zur Zeit der Baumwollenperiode wurden
+oft in den schmutzigsten Winkelbuden Summen umgesetzt,
+um die sie die Banken von Homburg, Wiesbaden und Ems
+h&auml;tten beneiden k&ouml;nnen. Aber auch das deutsche Bier hat
+seinen Weg zum Kanal gefunden und in Isma&iuml;lia wie in
+allen anderen St&auml;dten Aegyptens giebt es deutsche Bierbrauer,
+welche ihr Bier von Wien beziehen. Es hatte den Anschein,
+als ob Isma&iuml;lia nach Vollendung des Kanals sein Aufbl&uuml;hen,
+welches es den Arbeiten haupts&auml;chlich verdankt hatte, einb&uuml;&szlig;en
+w&uuml;rde, aber jetzt im Bereiche des Eisenbahnnetzes, wird die
+Stadt doch immer eine gewisse Wichtigkeit behalten, wenngleich
+es sich wohl nie zu einer bedeutenden Stadt hinaufschwingen
+wird.</p>
+
+<p>Der Timsahsee war jetzt vollkommen angef&uuml;llt, er ist s&uuml;dlich
+von der Stadt und circa einen halben Kilometer entfernt und
+hat eine Oberfl&auml;che von 60 Hectaren. Der Canal maritime
+geht an der &ouml;stlichen Seite hindurch. Obgleich das auf dem
+Boden stark aufgeh&auml;ufte Salz, welches sich beim Hereinlassen
+des Mittelmeerwassers nat&uuml;rlich aufl&ouml;ste, anf&auml;nglich keine Fische
+leben lie&szlig;, so ist doch durch die constante Erneuerung des
+Wassers, durch den Abflu&szlig; vom S&uuml;&szlig;wasserkanal her, der Salzgehalt
+so vermindert, da&szlig; eine Menge Fische jetzt darin leben,
+obgleich der Salzgehalt des Wassers noch bedeutend gr&ouml;&szlig;er
+ist, als der des mittell&auml;ndischen Meeres. Das Wasser ist
+&uuml;brigens hell, wie Krystall, und ladet Jeden zum Baden ein.
+Krocodile sind heute nicht mehr zu f&uuml;rchten (behar el timssah
+hei&szlig;t Krocodilsee) und eine gute Badeanstalt am Ufer des
+Sees sorgt f&uuml;r alle Bed&uuml;rfnisse ihrer Clienten.</p>
+
+<p>Von Isma&iuml;lia bis Port-Said benutzte man damals schon
+den Canal maritime der von Port-Said an gerechnet 75 Kilometer
+lang ist (die L&auml;nge des ganzen Kanals betr&auml;gt bis Suez
+160 Kilometer). Es war hier schon t&auml;gliche Dampfverbindung
+und man legte die Fahrt gew&ouml;hnlich in acht Stunden zur&uuml;ck.
+Die Dampfer, kleine Boote, waren &uuml;brigens zweckm&auml;&szlig;ig eingerichtet
+und hatten eine erste und zweite Classe. Der Kanal
+hatte hier &uuml;berall die planm&auml;&szlig;ige Breite, aber noch nicht die
+geh&ouml;rige Tiefe zwischen diesen beiden Pl&auml;tzen. Durch den
+Balahsee kam man zuerst nach El Guisr, einem Punkte, der
+Interesse erregte durch die Ausstellung der Maschinen des
+Herrn Couvreux. Diese Maschinen, Excavateurs genannt,
+griffen mittelst Dampf das trockene Erdreich an, sind also
+Trockenbaggerer; das S&uuml;&szlig;wasser wurde nach diesem Orte durch
+Dampfdruckmaschinen bef&ouml;rdert. Nichts war eigenth&uuml;mlicher
+als der Anblick der colossalen Dampfbaggerer und der Elevateurs,
+die man nun von hier an auf Schritt und Tritt bis
+Port-Said fand. Es gab Baggerer, die in <i>einem</i> Tage bis
+2000 Kubikmeter heraufholen konnten.</p>
+
+<p>Man passirt dann noch den Ort El K&aacute;ntara (die Br&uuml;cke)
+von circa 2000 Einwohnern, schon fr&uuml;her wichtig als ein
+Halteplatz von Karavanen, die nach und von Syrien ziehen.
+In El K&aacute;ntara ist eine Kirche, ein Spital und eine Moschee,
+dann die sehr sehenswerten Etablissements von Borrel und
+Lavaley, welche denen dieser Herren in Chalouf um nichts
+nachstehen; nat&uuml;rlich sind diese Werkst&auml;tten seitdem geschlossen
+worden.</p>
+
+<p>Der einzige Ort von Wichtigkeit ist nun nur noch El Aech
+(sprich Aisch), ein kleines Etablissement circa 15 Kilometer
+von Port-Said entfernt. Bald sah man nun schon die hohen
+Masten der Seefahrer und nach einer Weile fuhr unser kleiner
+Dampfer hindurch zwischen seinen gro&szlig;en Seebr&uuml;dern aus der
+Familie der Lloyd, der Messagerie imp&eacute;riale und anderer
+Gesellschaften, die wie Riesen auf einen Zwerg, so auch auf
+unsere kleine Dampfnu&szlig;schale herabschauten.</p>
+
+<p>Port-Said ist eine vollkommen europ&auml;ische Stadt und hat
+jetzt circa 12,000 Einwohner, welche Bev&ouml;lkerung au&szlig;er aus
+Aegyptern haupts&auml;chlich aus Oesterreichern (Dalmatinern),
+Franzosen, Italienern und Griechen besteht. Letztere, der
+Auswurf ihres Landes, machen inde&szlig; das Leben in Port-Said
+ebenso unsicher, wie in Suez und Alexandria. In allen diesen
+St&auml;dten konnte man zur Zeit des Kanalbaues t&auml;glich einen Mord
+rechnen; zum Gl&uuml;ck f&uuml;r die &uuml;brigen Europ&auml;er, von denen sie
+wie die Pest gemieden werden, schlachteten sie sich meist unter
+einander selbst ab. Die Stadt hat einen &auml;gyptischen Gouverneur
+und einen von der Regierung gepflegten Gesundheitsdienst,
+fast alle maritimen Staaten sind durch Consuln vertreten,
+Deutschland durch Herrn Bronn, welcher fr&uuml;her ebendaselbst
+schon Consul von Preu&szlig;en war. Es giebt Kirchen f&uuml;r
+den katholischen und griechischen Cultus, eine Moschee f&uuml;r die
+Mohamedaner, Hospit&auml;ler und Kl&ouml;ster, in denen nichtsthuende
+griechische oder katholische M&ouml;nche auf Kosten der Bewohner
+Port-Saids ihre B&auml;uche m&auml;sten, eine Menge Hotels (von
+denen das H&ocirc;tel Pagnon das beste sein soll; wir selbst hatten
+unsere Wohnung auf Sr. Majest&auml;t Consulat). Caf&eacute;s mit und
+ohne Musik, &ouml;ffentliche B&auml;der, Clubs, kurz nichts fehlte, um
+Port-Said als eine kleine Gro&szlig;stadt bezeichnen zu k&ouml;nnen.
+Aber auch die Voraussicht, da&szlig; Port-Said eine bedeutende
+Concurrenz Alexandrien machen w&uuml;rde, hat sich nicht bewahrheitet.
+Jetzt nach einem Bestande des Canals von 5 Jahren
+k&ouml;nnen wir nur constatiren, da&szlig; dieser Hafen nicht die Entwicklung
+genommen hat, welche man seiner Lage zu Folge
+berechtigt zu sein glaubte, voraussetzen zu d&uuml;rfen.</p>
+
+<p>Zum Theil ist der Hafen nicht sicher, trotz der enormen
+Molen, welche man construirt hat, zum Theil passiren die
+Schiffe, welche nach Indien gehen, rasch ohne sich hier aufzuhalten.
+Der eigentliche Hafen f&uuml;r Aegypten ist eben Alexandria
+geblieben. Wenn der jetzige Chedive, der ja so gro&szlig;e
+Dinge schon geschaffen hat, eines Tages dazu schreiten w&uuml;rde,
+den in unmittelbarer N&auml;he gelegenen Mensaleh-See auszutrocknen,
+dann w&uuml;rde sich allerdings in der Entwicklung Port-Saids
+eine wesentliche Aenderung zu Gunsten der Stadt
+ergeben.</p>
+
+<p>Sehr sehenswerth war die Fabrikation der gro&szlig;en Steinbl&ouml;cke
+zur Construction der beiden Hafenmolen. Wie schon
+erw&auml;hnt, waren es die Herren Dussaud Fr&egrave;res, welche diese
+Arbeit &uuml;bernommen hatten. Jeder Block hat 10 Kubikmeter
+Gehalt und wiegt 40,000 Pfund. Das Verfahren, sie herzustellen,
+war so einfach wie m&ouml;glich: Mittelst Sand, welcher
+aus dem Hafen gebaggert und mit der vorgeschriebenen Partie
+S&uuml;&szlig;wasser gemischt wurde, brachte man dieses Gemenge unter
+eine Zerreibem&uuml;hle und that es dann mit Kalk und Cement
+in gewollter Menge zusammen. Wenn alles ordentlich durcheinander
+gemischt war, kam diese Masse in h&ouml;lzerne Formen
+und mu&szlig;te dann zwei Monate trocknen, nach welcher Zeit eine
+felsenartige H&auml;rte eintrat.</p>
+
+<p>Seitdem ist in der That der Kanal von Suez am 16. November
+1869 er&ouml;ffnet worden und alle die b&ouml;sen Conjuncturen,
+welche man an die Lebensf&auml;higkeit dieses gigantischen Unternehmens
+gekn&uuml;pft hatte, haben sich als eitel Dunst erwiesen.</p>
+
+<p>Ein riesiges Unternehmen, wozu man f&uuml;nf Jahre Studien,
+wie Stephan sagt, und elf Jahre Ausf&uuml;hrung gebraucht hatte.</p>
+
+<p>Alle seefahrenden Nationen hatten sich bei dieser gro&szlig;artigen
+Feier durch ihre Flotten vertreten lassen und von
+F&uuml;rstlichkeiten waren der Kaiser von Oesterreich, der deutsche
+Kronprinz (damals noch Kronprinz von Preu&szlig;en), die Kaiserin
+Eugenie und Prinz Heinrich der Niederlande erschienen. Alle
+waren G&auml;ste des Chedive, aber nicht sie allein, sondern Tausend
+andere. Ja der Schreiber dieser Zeilen, welcher ebenfalls eine
+Einladung erhalten hatte, der er leider eingetretener Umst&auml;nde
+halber nicht Folge geben konnte, wei&szlig; aus sp&auml;terem Besuche
+in Aegypten, da&szlig; eine Menge <i>ungeladener</i> G&auml;ste flott sich
+unter die Geladenen dr&auml;ngte und auf Kosten des Chedive den
+Festlichkeiten anwohnte. Man berechnet die Zahl der damals
+anwesenden Fremden auf 30,000 Personen.</p>
+
+<p>Der dabei entwickelte Pomp, die Verschwendung, welche
+ostensibel zur Schau getragen wurde, sind unbeschreiblich; aber
+f&uuml;r den Orient, wo Alles auf Aeu&szlig;erlichkeit berechnet ist, kann
+man sie kaum &uuml;bertrieben nennen.</p>
+
+<p>Wenn nun auch der Kanal bei der Er&ouml;ffnung vollst&auml;ndig
+planm&auml;&szlig;ig hergestellt war, so war doch im Mai 1871 erst die
+Ausbaggerung des Kanals soweit vollendet, da&szlig; er in seiner
+ganzen L&auml;nge eine mittlere Tiefe von 8,50 Meter hatte, so
+da&szlig; Schiffe mit 7 Meter Tiefgang ungehindert den Kanal
+passiren konnten.</p>
+
+<p>Im ersten Jahre hat man noch, eingeschlossen die Ausbaggerung
+des Au&szlig;enhafens bei Port-Said, 563,060 Kubikmeter
+ausger&auml;umt, aber eine im December 1871 vorgenommene
+Sondirung in einer Entfernung von je 18,50 Meter vorgenommen
+ergab &uuml;berall die Tiefe als normal. Es best&auml;tigte
+sich denn auch, da&szlig; der Kanal keineswegs so viel zu leiden
+hatte von den Sandwehen der D&uuml;nen oder vom Abschwemmen
+der Ufer durch den Wellenschlag vorbeifahrender Dampfer.
+Ebenso haben die in Port-Said errichteten Molen vollkommen
+gut dem schlechtesten Wetter getrotzt, denn einige Senkungen,
+welche man &uuml;brigens vorausgesehen hatte, haben auf die allgemeine
+Sicherheit keinen Einflu&szlig; gehabt.</p>
+
+<p>Die Leichtigkeit, mit welcher der Verkehr vor sich geht, hat
+&uuml;berhaupt alle die b&ouml;sartigen Voraussetzungen und Meinungen,
+die man anfangs mit der Lebensf&auml;higkeit des Kanals in Verbindung
+brachte, zu nichte gemacht.</p>
+
+<div class='center'>
+<table border="0" cellpadding="4" cellspacing="0" summary="">
+<tr><td align='center'>Im</td><td align='center'>Jahre</td><td align='center'>1870</td><td align='center'>passirten</td><td align='center'>486</td><td align='center'>Schiffe</td></tr>
+<tr><td align='center'>"</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1871</td><td align='center'>"</td><td align='center'>765</td><td align='center'>"</td></tr>
+<tr><td align='center'>"</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1872</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1082</td><td align='center'>"</td></tr>
+<tr><td align='center'>"</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1873</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1173</td><td align='center'>"</td></tr>
+<tr><td align='center'>"</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1874</td><td align='center'>"</td><td align='center'>1264</td><td align='center'>"</td></tr>
+</table></div>
+
+<p>Seit der Einweihung haben bis Ende 1874 4770 Schiffe
+den Kanal passirt mit einem Gesammttonnengehalt von
+8,050,338; davon waren circa vier F&uuml;nftel Dampfer und nur
+ein F&uuml;nftel Segler. Die Einnahmen betrugen vom Beginn der
+Er&ouml;ffnung bis Ende 1874 78,317,352 Frs. Am besten wird
+das stete Wachsen der Einnahme veranschaulicht, wenn wir
+die des ersten Jahres mit 5,159,327 Frs. gegen die des
+Jahres 1874 mit 24,859,383 Frs. halten.</p>
+
+<p>Wir sehen aber, da&szlig; bei Weitem der gr&ouml;&szlig;te Theil der
+Schiffe den Engl&auml;ndern geh&ouml;rt, ihr Land also in Wirklichkeit
+den gr&ouml;&szlig;ten Nutzen vom Durchstich der Landenge von Suez
+gehabt hat. Was w&uuml;rde Lord Palmerston, dieser eifrigste
+Gegner des Suezkanales, gesagt haben, h&auml;tte er ein solches
+Resultat noch erleben k&ouml;nnen.</p>
+
+<p>Die j&auml;hrlichen Ausgaben des Kanals waren auf circa
+5,000,000 Frs. veranschlagt, da aber im ersten Semester
+1872 die Einnahmen sich schon auf mehr als eine gleiche
+Summe bezifferte und da der Transit fortw&auml;hrend im
+Steigen begriffen ist, so kann man mit Zuversicht der Zukunft
+entgegensehen.</p>
+
+<p>Seit dem Juli 1872 hat die Umwandlung des officiellen
+Tonnengehaltes in die des sogenannten "gross tonnage" die
+Einnahmen um 40 bis 50% gesteigert.</p>
+
+<p>L&auml;ngs des ganzen Kanals hatte man von Mitte 1871
+Fluthmesser angebracht auf sechszehn verschiedenen Stationen.
+Von sechs Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends wird viertelst&uuml;ndlich
+die H&ouml;he des Wassers, die Schnelligkeit der Str&ouml;mung
+des Wassers und die Windrichtung gemessen, so da&szlig; man
+jeden Augenblick am Tage die Fluthwelle von Port-Said bis
+Suez in Erfahrung bringen kann. Das aus dem rothen
+Meere kommende Wasser flie&szlig;t gegen das Mittelmeer mit einer
+intermittirenden Geschwindigkeit, welches von der ungleichen
+Gezeitung beider Meere verursacht wird.</p>
+
+<p>Zu erw&auml;hnen ist noch, da&szlig; die Leuchtth&uuml;rme von Port-Said
+und Suez ebenso wie die, welche l&auml;ngs des Kanals
+aufgestellt sind, von electrischem Lichte erleuchtet werden, der
+von Port-Said durch magneto-electrische Maschinen, welche
+durch Dampf in Th&auml;tigkeit gesetzt werden.</p>
+
+<p>Trotz des gro&szlig;en Aufschwungs, den der Kanal genommen
+hat, kn&uuml;pfen sich an seine Existenz nicht unwichtige Fragen,
+welche bei einer eventuellen Unabh&auml;ngigkeitserkl&auml;rung Aegyptens
+zum Austrag kommen d&uuml;rften. Jedenfalls besitzen wir aber
+dermalen in der Verbindung der beiden Meere ein Werk so
+gro&szlig;artig, da&szlig; es bis jetzt durch kein anderes Unternehmen
+&auml;hnlicher Art &uuml;bertroffen worden ist.</p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch2_Bauten_in_Afrika" id="Ch2_Bauten_in_Afrika"></a>2. Bauten in Afrika.</h2>
+
+
+<p>Wenn wir hier die Bauweise der in Afrika befindlichen
+V&ouml;lker, soweit es dessen Norden und Centrum angeht, beschreiben
+wollen, so sehen wir selbstverst&auml;ndlich von den <i>antiken</i>
+Baudenkm&auml;lern ab. Allein die Schilderung der Bauten, welche
+wir in Aegypten namhaft machen k&ouml;nnten, w&uuml;rde B&auml;nde, oder
+der, welche wir in den sogenannten Berberstaaten antreffen, seien
+es nun Reste der Libyer, Ph&ouml;nicier, Griechen, R&ouml;mer und Christen
+der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, w&uuml;rde Folianten
+f&uuml;llen, wenn Jemand sich der M&uuml;he unterziehen wollte,
+ausschlie&szlig;lich diesen Gegenstand zu behandeln.</p>
+
+<p>Indem wir aber wiederum Aegypten au&szlig;er unserem Bereiche
+lassen, so weit es die <i>neuen</i> Bauten jetzt lebender Generationen
+anbetrifft, so glauben wir damit vollkommen im Rechte
+zu sein; denn die Pal&auml;ste, die Moscheen, welche von den
+jetzigen Herrschern des Landes der Pharaonen errichtet worden
+sind, wurden nicht von den Aegyptern selbst erbaut. Ausl&auml;ndische
+Architekten leiteten die Construction, und nur die roheste
+Arbeit wurde von den Eingeborenen selbst verrichtet.</p>
+
+<p>Anders ist es in den Berberstaaten. Obschon auch hier
+der christlich-europ&auml;ische Einflu&szlig; sich nicht leugnen l&auml;&szlig;t,
+namentlich bei den Baulichkeiten von Tripolitanien, Tunesien
+und Algerien, so finden wir hier doch noch mehr einheimisches
+Wesen und Form. Fast ganz rein von europ&auml;ischen Einfl&uuml;ssen
+hat sich die Bauweise in Marokko gestaltet, obschon die monumentalen
+Geb&auml;ude fast alle aus der Periode her datiren, wo
+dieses Reich mit Spanien eng verkn&uuml;pft war.</p>
+
+<p>Die colossalen Bauten von Fes, die Djemma-el-Karuin,
+die Djemma-Mulei-Dris, die Pal&auml;ste des Kaisers, drei an der
+Zahl, das umfangreiche Schlo&szlig; des Sultans in Mikenes, die
+Djemma-el-Fanal in Marokko selbst, das Lustschlo&szlig; des Kaisers
+ebendaselbst, stammen alle aus der Periode des westlichen
+Khalifats.</p>
+
+<p>Im heutigen Nordafrika k&ouml;nnen wir die Bauten der Bewohner
+der St&auml;dte, die D&ouml;rfer des sogenannten Tel- oder
+Atlasgebietes, die Burgen der Bewohner am S&uuml;dwestabhange
+des Atlas und die Bauten der Oasenbewohner unterscheiden.
+Ferner haben wir Zelte, H&uuml;tten und H&ouml;hlen der Bewohner
+Nordafrika's in Betracht zu ziehen.</p>
+
+<p>Was nun bei den H&auml;usern der St&auml;dte (ich nehme hier
+Fes, die Hauptstadt des Kaiserreichs Marokko, als Vorbild)
+am meisten auff&auml;llt, ist, da&szlig; das Aeu&szlig;ere vollkommen schmucklos
+ist, und da&szlig; mit Ausnahme einer niedrigen Th&uuml;r nirgends
+die Einf&ouml;rmigkeit einer wei&szlig; &uuml;berkalkten Mauer durch Fenster
+oder sonstige Oeffnungen unterbrochen wird. Wie bei den
+alten r&ouml;mischen Wohnh&auml;usern gruppirt sich Alles um einen
+Hof, der meistens rechtwinklig und viereckig ist. Im Hofe
+selbst befindet sich fast immer eine Cisterne, die das Regenwasser
+des ganzen Jahres ansammelt, und da, wo es m&ouml;glich
+ist, in Fes z.B., eine Fontaine mit sprudelndem oder immer
+flie&szlig;endem Wasser. Der Hof selbst ist bei den Vornehmen mit
+Marmorplatten oder mit Kieselchen mosaikartig belegt. Aus
+diesen nun, zu dem man von der Stra&szlig;e stets durch einen
+gewundenen Eingang hineinkommt (damit man nicht von derselben
+aus direct in's Innere des Hauses sehen kann), &ouml;ffnen
+sich die Zimmer. Dieselben sind &auml;u&szlig;erst lang, und nur ausnahmsweise
+haben sie eine Breite von mehr als zw&ouml;lf Fu&szlig;.
+Meist sind die Zimmer sehr hoch, mindestens immer zwanzig
+Fu&szlig;. Wenn ein Wohnzimmer z.B. vierzig Fu&szlig; lang w&auml;re
+und f&uuml;nfundzwanzig Fu&szlig; H&ouml;he h&auml;tte, so w&uuml;rden marokkanische
+Architekten diesem Zimmer h&ouml;chstens acht Fu&szlig; Breite geben.
+Eine gro&szlig;e gew&ouml;lbte Th&uuml;r, meist in der Mitte angebracht,
+f&uuml;hrt hinein; dicht neben der Th&uuml;r, rechts und links, befinden
+sich zwei kleine Fenster mit eisernen Gittern, ohne Glas.</p>
+
+<p>Meist sind parterre mehrere solcher Zimmer um den Hof
+herum, und findet sich ein zweiter Stock, so ist die obere Anordnung
+eine &auml;hnliche. Es l&auml;uft sodann um den Hof eine
+S&auml;ulenhalle herum, zu welcher man oft mittelst einer im Bau
+befindlichen steinernen, oft mittelst einer h&ouml;lzernen Treppe
+hinaufkommt. Man liebt es, im Innern der Zimmer in die
+W&auml;nde nischenartige Vertiefungen zu machen, welche oft, mit
+h&ouml;lzernen Th&uuml;ren versehen, als kleine Schr&auml;nke dienen. Der
+Fu&szlig;boden ist meist mit Fliesen ausgelegt, welche in Fes gearbeitet
+werden, oft auch mit kleinen Fliesst&uuml;ckchen, viereckig,
+dreieckig, sternartig von Form, und von den verschiedensten
+Farben. Mit diesen legt man dann die buntesten Muster zusammen
+gro&szlig;e Sterne in der Mitte oder der sogenannte
+Ring des Salomon bilden immer Hauptfiguren. Diese kleinen
+Flieschen, von denen ein einzelnes nicht gr&ouml;&szlig;er als 1&mdash;1-1/2
+Zoll ist, sind gl&auml;nzend glasirt, hei&szlig;en "Sl&auml;dj" und werden
+ebenfalls in Fes fabricirt. Der Gesammtanblick einer solchen
+Art ausgelegten Fu&szlig;bodens ist reizend.</p>
+
+<p>Die W&auml;nde im Zimmer sind vollkommen wei&szlig;, manchmal
+jedoch mittelst Gyps in quadratische Felder abgeheilt. Bei
+den Reichen l&auml;uft oben, anscheinend um das Geb&auml;lk zu unterst&uuml;tzen,
+ein Kranzgesimse herum, oft auch eine breite Borte,
+welche Koranspr&uuml;che enth&auml;lt. Da in Marokko, ausgenommen
+bei jenen kleinen "Kubbas", welche als Grabst&auml;tten f&uuml;r
+Heilige oder F&uuml;rsten dienen, nirgends das <i>Gew&ouml;lbe</i> angewendet
+wird, so sehen wir die Decke der Pal&auml;ste und Wohnungen
+<i>nur</i> aus Holz gearbeitet. Oft wird, um eine solche
+Decke auszuschm&uuml;cken, die gr&ouml;&szlig;te Sorgfalt entwickelt, nicht nur
+in Holzschnitzerei, sondern auch in der Auslegung von Holz,
+man macht also eine Art "Parquetirung". D&uuml;nne, aber
+&auml;u&szlig;erst dicht neben einander liegende Balken bilden das
+Gerippe, dar&uuml;ber liegen Bretter, das Ganze wird dann inwendig
+teppichartig ausgeschnitzt und oft mit farbigen Holzst&uuml;ckchen
+ausgelegt; manchmal enthalten auch die Decken zwischen ihrem
+Teppichmuster gro&szlig;buchstabige Spr&uuml;che. Diese Art, auf eine
+bunte und gef&auml;llige Weise die Plafonds zu schm&uuml;cken, hat sich
+vollkommen gut in Marokko erhalten. Statt die vielen Balken,
+welche den Plafond st&uuml;tzen, offen zu zeigen, sind diese
+auch wohl mit Brettern beschlagen, welche dann &auml;hnlich geschm&uuml;ckt
+werden.</p>
+
+<p>Th&uuml;ren, Fenster und Nischen zeigen alle jenen bekannten
+Hufeisenbogen, den die Araber erfunden haben sollen.
+Sehr oft sind die Bogen selbst auf die phantastischste Art
+wieder ausgew&ouml;lbt und ausgezackt, so da&szlig; in einer Bogenh&auml;lfte
+manchmal bis zehn kleinere Bogen vorkommen. Auch
+die Aufstellung von zwei, drei und vier S&auml;ulen, dicht bei einander,
+findet man heute in Marokko noch in Anwendung.
+Als ich einen l&auml;ngeren Aufenthalt in Uesan beim Hadj Abd-es-Salam,
+dem Gro&szlig;scherif, hatte, zeigte ich ihm eines Tages
+eine Abbildung des L&ouml;wenhofes der Alhambra aus Sedillot's
+Historie des Arabes. Hadj Abd-es-Salam annectirte das
+Buch der Abbildungen wegen (und es ist heute noch in seinem
+Besitze) und verreiste dann auf l&auml;ngere Zeit. Als ich zur&uuml;ckkam,
+hatte er allerdings nicht einen L&ouml;wenhof, aber in seinem
+Garten eine reizende Veranda errichten lassen: ein l&auml;ngliches
+Viereck mit nach vorn ge&ouml;ffneter Seite. Die "kannelirten
+Bogen" wurden von Doppels&auml;ulen getragen, der Fu&szlig;boden
+war aus buntem "Sl&auml;dj" zusammengesetzt zu einem allerliebsten
+Muster, und der Plafond von Holz schillerte von
+blauen und goldenen Feldern.</p>
+
+<p>Die Pal&auml;ste des Sultans, der Gro&szlig;en und Reichen haben
+ganz &auml;hnliche Anordnung, nur da&szlig; ihre Wohnungen statt eines
+Hofes oft drei, vier oder mehrere H&ouml;fe haben und alle R&auml;umlichkeiten
+bedeutend gr&ouml;&szlig;er sind.</p>
+
+<p>Was die Moscheen anbetrifft, so finden sich im ganzen
+westlichen Afrika (nicht blos in Marokko, welches als eigentliches
+Westland bei den Marokkanern den Namen "Rharb-djoani"
+hat) gar keine, die irgendwie christliche Reminiscenzen
+aufkommen lie&szlig;en. Denn die in Algier befindliche Moschee,
+die sp&auml;ter als christliche Kathedrale eingerichtet wurde, und
+welche vom letzten Dei kurz vor der Eroberung Algeriens erbaut
+worden war, zeigt in ihrer ganzen Anlage allerdings
+den Styl einer christlichen Kirche, ist aber auch von christlichen
+Sclaven und Renegaten erbaut worden. Fast durchweg zeigen
+die marokkonischen Moscheen, sowie die der &uuml;brigen Berberstaaten
+einen gro&szlig;en Hof, der manchmal von einer S&auml;ulenhalle
+umgeben ist. Nach Osten zu vermehren sich die S&auml;ulenhallen
+zu verschiedenen Schiffen. So zeigt die Karuin in Fes
+so viele S&auml;ulen, da&szlig; die ganze Moschee 360 haben soll. Die
+S&auml;ulen selbst, die auf einer einfachen Basis ruhen, sind ohne
+Schmuck, und auch das Capital zeigt gro&szlig;e Einfachheit. Die
+hufeisenf&ouml;rmigen Bogen gehen von S&auml;ule zu S&auml;ule, so da&szlig;,
+wo mehrere Schiffe sind, immer vier Bogen an einer S&auml;ule
+entspringen. Fast in allen Moscheen kann man, wie &uuml;berall
+bei arabischen Bauten, die gr&ouml;&szlig;ten Unregelm&auml;&szlig;igkeiten beobachten,
+und die Abwesenheit von Harmonie und Verh&auml;ltnis
+tritt &uuml;berall zu Tage. Es ist als ob z.B. die H&ouml;he der
+S&auml;ulen eine &uuml;beraus gleiche sein m&uuml;&szlig;te, so da&szlig; man die
+S&auml;ulen f&uuml;r eine Veranda von zwanzig Fu&szlig; Breite eben so
+hoch macht wie die, welche das Dach einer Moschee st&uuml;tzen,
+welche vielleicht einen Fl&auml;chenraum von zweihundert Fu&szlig; Geviert
+hat.</p>
+
+<p>Die W&auml;nde in den Moscheen, welche letztere im Rharb
+"Djemma" genannt werden, sind von au&szlig;en in der Regel
+ohne Schmuck, einf&ouml;rmig und fensterlos wie die &uuml;brigen Bauten.
+Im Innern ist dieselbe Anordnung zu bemerken wie in
+den Wohnungen. Die Gebetsnische, "Kybla" genannt, wird
+auch heute oft noch durch ein pr&auml;chtiges Stalactit-Gew&ouml;lbe
+&uuml;berdeckt; auch diese Kunst hat sich in Marokko erhalten.
+Diese Stalactit-Gew&ouml;lbe, wie man sie genannt hat, sind inde&szlig;
+weiter nichts wie einfache Ausw&ouml;lbungen; der Stalactitenschmuck
+ist von Gyps. In der eigentlichen Sculptur haben
+die Araber &uuml;berhaupt nie etwas geleistet, da ihnen Bilder
+aus Stein zu mei&szlig;eln verboten ist. Ihre ganze Kunstfertigkeit
+beschr&auml;nkt sich daher auf Stuccoarbeit, und hier lie&szlig;en sie
+ihren mathematischen Formen die Z&uuml;gel schie&szlig;en. So findet
+man denn in Gyps gearbeitet die wunderbarste Art sich kreuzender
+Linien.</p>
+
+<p>Wenn der Reisende im Hofe der gro&szlig;en Djemma el Karuin
+zwei prachtvolle Marmorfontainen bewundert und dann vielleicht
+sich selber sagen m&ouml;chte, hier haben doch die Araber in
+Steinarbeit etwas geleistet; so wird seine Meinung von den
+Eingeborenen in Fes selbst gleich corrigirt werden: "Diese
+Fontainen sind von 'Oeludj', d.h. christlichen Sclaven, gearbeitet."</p>
+
+<p>Der "Mimber" oder die Treppe, welche in keiner Moschee
+fehlt, von der das "Kotba", d.h. das Freitagsgebet, gelesen
+wird, ist fast immer aus Holz. Hier bemerken wir ebendasselbe,
+was wir schon bei den Mauerarbeiten zu beobachten
+Gelegenheit hatten. Ebenso wenig, wie die Araber gelernt
+haben, aus Stein heraus zu arbeiten, ebenso wenig treffen
+wir bei ihnen jene kunstvollen Holzschnitzereien, welche <i>K&ouml;rper</i>
+haben. Die Gebetstreppen sind daher, was die Form anbetrifft,
+alle roh und primitiv; aber manchmal ist die Oberfl&auml;che
+des Holzes ausgravirt, und wir finden dann dieselben oder
+&auml;hnliche Linienbilder, welche, wenn sie mit <i>krummen</i> Linien
+Bezeichnet sind, "Arabesken" genannt werden, wie wir dieselben
+an den W&auml;nden der Mauern in Stucco kennen gelernt haben.</p>
+
+<p>Man kann also keineswegs sagen, da&szlig; die Araber Afrika's
+zur&uuml;ckgegangen sind. Aber so wie man in Sevilla und Granada
+zur Zeit der Almoraviden und Almohaden, zur Zeit
+der gr&ouml;&szlig;ten Glanzperiode der sogenannten "maurischen Architektur",
+baute, so baut man noch heute. Man hat keineswegs
+verlernt, <i>ebenso</i> zu bauen, aber <i>Fortschritt</i> in der Architektur
+ist nirgends zu finden. Man versteht es vollkommen,
+jene ogivischen Bogen, jene Porzellanmosaiken, jene Stickereien
+auf Gyps und Holz darzustellen, wie zur Zeit der "Abd-er-Rhaman";
+wenn man aber Stillstand in Kunst und Wissenschaft
+als <i>R&uuml;ckschritt</i> bezeichnen kann, dann haben die Araber
+entschieden R&uuml;ckschritte gemacht. So haben sie denn auch
+keineswegs gelernt, ihren Bauten irgendwie Solidit&auml;t zu geben.
+Was <i>heute</i> gebaut ist, verf&auml;llt <i>morgen</i>. W&auml;ren die Alhambra
+und die Giralda nicht in Spanien, w&auml;ren sie der Sorglosigkeit
+einer mohammedanischen Zeit ausgesetzt, was w&uuml;rde
+von diesen Monumenten arabischer Architektur heute noch erhalten
+sein? Und wie lange stehen diese Bauten? Wie lange
+stehen sie im Verh&auml;ltni&szlig; zu den Bau&uuml;berresten, die uns Aegypten,
+Griechenland und Rom &uuml;berlassen haben, und die, trotzdem
+Jahrtausende verstrichen und Zeit und Menschen das Ihrige
+thaten, Alles zu vernichten, manchmal in ihren <i>einzelnen</i>
+Theilen sich so erhalten haben, als ob sie von gestern w&auml;ren.</p>
+
+<p>Die Unsolidit&auml;t der arabischen Bauten kennzeichnet sich
+denn nicht nur in der &auml;u&szlig;eren Architektur, sondern auch in
+der Benutzung des Materials bei den Hauptmauern und
+Pfeilern. In keinem einzigen Geb&auml;ude der Berberstaaten
+finden wir behauene Steine aus Sandstein oder Marmor,
+sondern immer nur gebrannte Thonsteine angewandt. Meist
+aber sind die gro&szlig;en Mauern, namentlich die von monumentalen
+Bauten, aus zwischen Planken schichtweise gepre&szlig;ten
+Steinen, Cement und Kalk errichtet. Diese Mauern halten
+sich aber nur dann einigerma&szlig;en gegen den Zahn der Zeit,
+wenn die &auml;u&szlig;ere Bekleidung vollkommen gut und immer wie
+neu unterhalten wird; sonst ist binnen Kurzem die Baute dem
+Ruin ausgesetzt.</p>
+
+<p>Daher liegen denn auch die Bauten, welche von Yussuf
+ben Taschfin und Mohammed ben Abd-Allah herr&uuml;hren,
+heut in Tr&uuml;mmern, und selbst die, welche vom letzten oder
+vorletzten Kaiser errichtet sind, von Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam
+und Mulei Sliman sind halbe Ruinen. Und
+ist es selbst in Aegypten anders, wo doch der europ&auml;ische
+Geist heute Alles durchdringen soll? H&ouml;rte man nicht oft
+genug den verstorbenen <i>Diebitsch</i> klagen, da&szlig; wenn das
+letzte Ende an einem Palaste fertig sei, der Anfang desselben
+zu verfallen beginne?!</p>
+
+<p>Von den st&auml;dtischen Bauten bleiben uns nur noch die Befestigungsmauern
+derselben und die kleinen Dome zu erw&auml;hnen.
+Erstere sind durchweg aus gepre&szlig;ten Mauern errichtet und
+hinl&auml;nglich stark, um alter Artillerie einige Stunden Widerstand
+leisten zu k&ouml;nnen. Auf denselben f&uuml;hrt ein Weg herum, der
+nach Au&szlig;en durch eine mannshohe krenelirte Mauer aus
+Backstein gesch&uuml;tzt ist. Man bemerkt nirgends irgend einen
+Plan, nirgends fortifikatorischen Sinn, um die Befestigungen
+irgendwie dem Terrain anzupassen; nur die Ausdehnung
+der Stadt selbst giebt das Ma&szlig; der &auml;u&szlig;eren Schutzmauer ab.
+Unterbrochen und flankirt werden diese Umfestigungsmauern
+durch viereckige oder runde Th&uuml;rme, deren H&auml;lfte au&szlig;erhalb
+der Mauern hervorspringt; sie sind in der Regel halb mal
+h&ouml;her und dienen haupts&auml;chlich dazu, die Kanonen aufzunehmen.
+Oft noch durch Gr&auml;ben besch&uuml;tzt, bieten auch diese kein ernstliches
+Hinderni&szlig;. Bastionirte Mauern, Au&szlig;enwerke, m&ouml;gen es
+nun Fleschen, L&uuml;netten oder gekr&ouml;nte Bastionen sein, kennt
+man in den Berberstaaten nicht, und wenn auch die Hauptstadt
+Fes zwei bedeutende Au&szlig;enwerke besitzt, so sind diese
+nicht von den Arabern errichtet, sondern von Renegaten
+(Oeludj) unter der Regierung des Sultan Sliman, Gro&szlig;vaters
+des jetzt regierenden. Was die erw&auml;hnten kleinen Dome anbetrifft,
+so dienen sie, wie schon angef&uuml;hrt, zu Grabst&auml;tten und
+sind die einzigen Geb&auml;ude<a name="FNanchor_1_1" id="FNanchor_1_1"></a><a href="#Footnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a>, bei denen der Araber sich in
+Gew&ouml;lben versucht hat. Meist ist die Grundform viereckig,
+aber <i>nie rund</i>. Die Kuppel hingegen oder das Dach ist
+fast immer <i>rund</i>, h&auml;ufig achteckig. Bei der Ausschm&uuml;ckung
+der W&auml;nde und des Fu&szlig;bodens wird derselbe Plan innegehalten
+wie oben bei den &uuml;brigen Baulichkeiten auseinandergesetzt
+wurde. Die W&ouml;lbung ist meist durch eingeschobene
+Holzquerbalken unterst&uuml;tzt. Das Material besteht entweder
+aus gebrannten Ziegeln oder unbehauenen Feldsteinen. Man
+findet diese Kubba in den St&auml;dten und &uuml;berall auf dem Lande
+zerstreut; in den St&auml;dten bilden sie h&auml;ufig gleichsam eine Art
+von Nebenkapelle, die an eine gro&szlig;e Moschee angebaut ist.</p>
+
+<p>Von den Wohnungen der Landleute n&ouml;rdlich vom Atlas
+l&auml;&szlig;t sich nur wenig sagen. Dieselben bestehen, ob sie nun
+von Berbern oder Arabern (und es giebt in den Berberstaaten
+mehr se&szlig;hafte Araber, als gew&ouml;hnlich angenommen
+wird) herr&uuml;hren, immer nur aus einem Zimmer, das hausartig
+gebaut ist; oft sind sie aus gestampften Massen, oft auch aus
+Feldsteinen aufgebaut. Auf 20 Fu&szlig; L&auml;nge sind sie circa 8
+Fu&szlig; breit und 8 Fu&szlig; hoch und von einem circa 6 Fu&szlig; hohen
+Strohdache bedeckt. Im Innern ist der Fu&szlig;boden gestampfter
+Lehm; der Plafond besteht aus Rohr, welches manchmal auf
+Alo&euml;-Balken, manchmal auf anderen Holz&auml;sten, die einen weniger
+geraden Wuchs haben, ruht.</p>
+
+<p>Sehr h&auml;ufig sind die W&auml;nde der Mauern auswendig und
+inwendig gekalkt, sonst aber ganz ohne Schmuck, mit einer
+niedrigen, circa 4 Fu&szlig; hohen Th&uuml;r, manchmal mit ogivischem
+Bogen, manchmal viereckig. Fenster und Rauchf&auml;nge sind nicht
+vorhanden. Eine Familie hat in der Regel zwei oder drei solcher
+H&auml;user, die, durch Mauern verbunden, einen viereckigen Hof
+einschlie&szlig;en, der zugleich Nachts f&uuml;r das Vieh dient.</p>
+
+<p>Ganz anderer Art sind die Wohnungen der Bewohner s&uuml;dlich
+vom gro&szlig;en Atlas, der Bewohner des Sus- und Nun-Districts.
+Der fortw&auml;hrend unsichere Zustand jener Gegend
+hat es nothwendig gemacht, da&szlig; dort Jedermann darauf bedacht
+sein mu&szlig;te, sich Schutz gegen seinen Nachbar zu suchen.
+So findet man hier denn auch keineswegs kleine oder gro&szlig;e
+D&ouml;rfer, sondern Burgen. Ein solches Schlo&szlig;&mdash;man kann
+sie wegen ihres stattlichen Aussehens in der That so nennen&mdash;ist
+oft so gro&szlig;, da&szlig; es mehrere Familien beherbergt; es
+giebt feste Burgen, die einen Quadratraum von 500 Fu&szlig; einnehmen.
+Diese Bauten sind circa 50 Fu&szlig; hoch, von au&szlig;en
+von starken, oft 5 bis 6 Fu&szlig; breiten Steinmauern (die Steine
+sind entweder unregelm&auml;&szlig;ig gebrochene oder wie man sie gerade
+gefunden hat) aufgef&uuml;hrt und oben krenelirt. Ein Thor,
+zuweilen mit einer Fallth&uuml;r versehen, und immer so eingerichtet,
+da&szlig; aus zwei Seitenzimmern der Eingang durch Scharten beschossen
+werden kann, f&uuml;hrt in einen gro&szlig;en ger&auml;umigen Hof.
+Dieser, sowie die unteren Gem&auml;cher, dienen f&uuml;r's Vieh. In
+den oberen R&auml;umen h&auml;lt sich die Bewohnerschaft auf. Zu
+diesem Stockwerk f&uuml;hrt eine aufziehbare Leiter, und das flache
+Dach, mit gestampfter, auf Balken ruhender Erde gedeckt, dient
+zu gleicher Zeit zur &auml;u&szlig;eren Verteidigung. Eine Cisterne im
+Innern vervollst&auml;ndigt das Ganze. Kellerr&auml;ume sind aber
+ebensowenig bekannt wie n&ouml;rdlich vom Atlas.</p>
+
+<p>Als eigenth&uuml;mlich der Gebirgslandschaft n&ouml;rdlich vom Sus
+erw&auml;hne ich noch die vielen &ouml;ffentlichen Cisternen modernen
+Ursprungs. Man findet sie &uuml;berall und namentlich l&auml;ngs der
+Wege. Sie sind &auml;hnlicher Art wie die r&ouml;mischen, was die
+Form anbetrifft, aber weniger solid und weniger <i>gro&szlig;artig</i>
+gebaut. In der Regel 20 bis 25 Fu&szlig; lang auf 8 bis 10
+Fu&szlig; Breite, sind sie 10 bis 12 Fu&szlig; tief und erheben sich blos
+mit dem <i>gew&ouml;lbten</i> Dache aus dem Erdboden heraus. Aus
+ungehauenen Steinen errichtet, ist das Innere cementirt, und
+durch ein Loch des Gew&ouml;lbes wird das Wasser herausgesch&ouml;pft;
+gespeist werden die Cisternen durch Rinnsale.</p>
+
+<p>Es ist hier nicht der Ort, die Wohnungen der nomadisirenden
+V&ouml;lker Nordafrika's zu beschreiben; aber auch diese haben
+mannigfache Formen und Verschiedenheiten. Das aristokratische
+Zelt der Uled Sidi Schich, immer auf der Spitze mit drei B&uuml;ndeln
+Strau&szlig;federn geschm&uuml;ckt, unterscheidet sich von dem &auml;rmlichen
+Zelte der meisten &ouml;stlichen Triben, wie das gro&szlig;e Haus
+mit mehreren H&ouml;fen der Hauptstadt sich von der einfachen Wohnung
+des Djerdjuragebirges unterscheidet. Aber nicht unerw&auml;hnt
+k&ouml;nnen wir die H&ouml;hlenwohnungen der Bewohner des Ghoriangebirges
+lassen. Meist sind diese H&ouml;hlen in Lehmboden hineingearbeitet,
+und sind einfache Aush&ouml;hlungen, in der Regel von
+kreisrunder Form. Man bemerkt gew&ouml;hnlich eine Vorkammer
+und ein hinteres, gr&ouml;&szlig;eres Gemach; der Plafond ist wie gew&ouml;lbt.
+Oben hinaus befindet sich meist eine Oeffnung zum
+Abzuge des Rauches. <i>Richardson</i> will im Ghoriangebirge
+auch Wohnungen in Felsh&ouml;hlen gesehen haben; es ist &uuml;brigens
+fraglich, ob diese modernen Ursprungs sind. Es ist wahrscheinlich,
+da&szlig; dies antike libysche H&ouml;hlen sind, wie man deren
+namentlich in Cyrenaica noch viele antrifft.</p>
+
+<p>Betrachten wir nun, nachdem wir einen Ueberblick der
+Bauten des n&ouml;rdlichen Afrika's gewonnen haben, die Wohnungen
+der V&ouml;lkerschaften der Sahara.</p>
+
+<p>Mit Ausnahme der zum Theil nomadisirenden Tuareg sind
+alle Bewohner der Sahara se&szlig;haft; denn die Araber, welche
+in die gro&szlig;e W&uuml;ste hineingegangen sind, haben alsbald das
+Zelt gegen das Haus vertauscht.</p>
+
+<p>Im Grunde kommen bei den Bauten der Oasenbewohner
+denn auch dieselben Bauregeln und Pl&auml;ne beim Einrichten ihrer
+Moscheen und Wohnungen in Anwendung, wie bei ihren n&ouml;rdlichen
+Br&uuml;dern. Bei der wohlhabenden Classe befindet sich in
+ihrer Wohnung meist ein Aufzimmer, d.h. ein Fremdenzimmer,
+auf das platte Dach des Hauptgeb&auml;udes hin errichtet. Wie
+immer hat dieses einen Hof, bei den Reichen auch mehrere,
+und auf den Hof &ouml;ffnen sich die langen und schmalen Zimmer.
+In manchen Oasen sind die Geb&auml;ude krenelirt, aber mehr zum
+Schmucke als zur Vertheidigung.</p>
+
+<p>Wenn aber schon bei den Arabern im Norden auf dem
+Tel wenig behauene Steine in Anwendung kommen, so finden
+wir in der W&uuml;ste als Material nur gestampfte Erdmasse oder
+an der Sonne getrocknete Thonziegel. Alles Geb&auml;lk und Holzwerk
+besteht aus dem Holze der Dattelpalme. Man wird leicht
+einsehen, da&szlig; mit so geringem Material nichts Besonderes in
+der Architektur geleistet werden kann.</p>
+
+<p>Dennoch finden wir in den westlichen Oasen der Sahara
+Manches, was auf innigen Contact mit Marokko hinweist.
+Es sind die Grabdenkmale von Sidi-Hammed-ben Nasser in
+Tamagrut, Hauptstadt der Oase Draa, dann das pr&auml;chtige
+Grabmal Mulei-Ali-Scherif's bei Abuam, Hauptstadt von
+Tafilet, inwendig auf's Reichste mit "Sl&auml;dj" ausgeschm&uuml;ckt.
+Ja, man hat sich sogar nicht gescheut, f&uuml;r das Dachwerk (die
+Grabm&auml;ler sind nicht gew&ouml;lbt) Holz vom Atlas kommen zu
+lassen, und die das spitze Dach bildenden Balken und Bretter
+sind h&uuml;bsch mit arabeskenartigem Schnitzwerk und Malerei
+versehen.</p>
+
+<p>Im Uebrigen sind die Moscheen oder Djemmen in den
+Oasen nach denselben Grunds&auml;tzen gebaut; bei den meisten fehlt
+jedoch ein eigentlicher Thurm oder Minaret. Ersetzt werden
+die Minarets durch thurm&auml;hnliche, zwei Stockwerke hohe Anbauten,
+welche nach oben an Umfang abnehmen. Bei sehr
+vielen Geb&auml;uden der Vornehmen in den Ortschaften der Oasen
+finden wir ebenfalls jene thurmartigen Anbauten, die zuweilen
+auch als Wartth&uuml;rme dienen.</p>
+
+<p>Besonders zu erw&auml;hnen sind in der Sahara an den gro&szlig;en
+Stra&szlig;en noch die einfachen Bezeichnungen einer Moschee durch
+Steine. Man deutet gewisserma&szlig;en nur den Grundri&szlig; einer
+Djemma durch Steine an. Sie werden jedoch von jeder vor&uuml;bergehenden
+Karawane zum Gebet benutzt, und auch hier
+zeigt die Ausbuchtung oder Kibla die Gebetsrichtung an.</p>
+
+<p>Die Wohnung der Gro&szlig;en und um so mehr die der &auml;rmeren
+Bev&ouml;lkerung der westlichen Oasen sind alle einst&ouml;ckig. Die der
+ersteren sind oft kastellartig gebaut und befinden sich dann
+au&szlig;erhalb der Ortschaften, so die Wohnungen der marokkanischen
+Prinzen in Tafilet, der Schechs in Tuat, der H&auml;uptlinge der Tuareg
+in Rhat und Air. Architektonische Verzierungen sind hier fast
+gar nicht mehr zu finden, nur findet man die ogivische Th&uuml;r
+noch &uuml;berall vorherrschend. Besonders um sich gegen die Hitze
+zu sichern, findet man die Erdw&auml;nde der H&auml;user sehr dick und
+das Palmbalkendach durch eine enorm hohe Erdschicht &uuml;berdeckt.
+Die Th&uuml;ren sind &uuml;berall so niedrig, da&szlig; man nur tief
+geb&uuml;ckt hineintreten kann. Aber so verg&auml;nglich sind diese
+Bauten, da&szlig; ein ausnahmsweise eintretender Regen oft ganze
+Ortschaften im wahren Sinne des Worten hinwegschmilzt.</p>
+
+<p>In den meisten Oasen sind die St&auml;dte und D&ouml;rfer befestigt;
+einige gr&ouml;&szlig;ere haben sogar Th&uuml;rme an die meist 20 Fu&szlig; hohe
+Mauer angebracht. Die Mauern, oft aus gestampftem Erdboden,
+oft aus Feldstein, durch Thon zusammengehalten, erbaut,
+sind meist krenelirt. Die Thore, welche hindurchf&uuml;hren, sind
+nie gew&ouml;lbt, meist einth&uuml;rig und nur so breit, da&szlig; ein beladenes
+Kameel hindurch gehen kann.</p>
+
+<p>Ist der ganze Tel wie &uuml;bers&auml;et mit jenen kleinen Domgrabm&auml;lern,
+so lassen sich die der gro&szlig;en Sahara, welche an Ausdehnung
+so gro&szlig; wie Australien ist, z&auml;hlen. Die Grabmonumente
+sind der einfachsten Art; ein Haufen Steine, manchmal
+am Kopfende durch einen besonders gro&szlig;en angezeichnet, das
+ist die letzte Grabst&auml;tte der W&uuml;stenbewohner.</p>
+
+<p>Vor allen anderen Oasen zeichnen sich jedoch in der Bauweise
+zwei aus, die Oasen von Siuah und Rhadames, und wenn
+nicht schon die &uuml;bereinstimmende Aussage der Bewohner dieser
+Ortschaften ihren verwandtschaftlichen Ursprung bezeugte, wenn
+nicht dies schon bewiesen w&auml;re durch ihre selbe Sprache, welche, obschon
+beide Oerter durch einen Raum getrennt sind, der durchaus
+W&uuml;ste ist und in gerader Linie wenigstens so viel betr&auml;gt, wie
+von Paris bis K&ouml;nigsberg, so w&uuml;rde die innige Verwandtschaft,
+welche sich in der Bauweise beider Oerter kundgiebt, gleich auf
+gemeinsamen Ursprung hinweisen.</p>
+
+<p>Was besonders die Bauart beider Oerter auszeichnet, sind
+die H&ouml;he der Wohnungen und die bedeckten Stra&szlig;en, welche
+mehr unterirdischen G&auml;ngen gleichen, als offenen Wegen. In
+Rhadames sowohl wie in der heutigen Hauptstadt des alten
+Ammonium, in Siuah, sind die meisten H&auml;user drei Stock, ja
+in Siuah viele f&uuml;nf Stockwerke hoch. W&auml;hrend aber im reichen
+Rhadames sowohl im Innern der H&auml;user als im Aeu&szlig;ern sich
+ein gewisser Luxus kund giebt, alle gewei&szlig;t ist, und die Mauern
+meist aus, wenn auch unbehauenen, Steinen gebaut sind, so macht
+man in Siuah die Wohnungen nur aus Lehm, und trotzdem
+die architektonischen Vorbilder der Aegypter und Griechen
+noch heute vor Augen stehen, sind sie h&ouml;chst mangelhaft gebaut.
+Die Wohnungen der Rhadamser und Siuahner unterscheiden
+sich auch noch dadurch von den &uuml;brigen Wohnh&auml;usern in der
+Sahara, da&szlig; sie keinen, oder selten doch nur einen sehr kleinen
+Hof im Innern haben: Alles ist in Zimmer und kleine Gem&auml;cher
+getheilt. Oben mit platten D&auml;chern versehen, bilden
+diese D&auml;cher in Rhadamas zugleich die <i>Stra&szlig;en</i> f&uuml;r die
+Frauen. Obschon durch Brustwehr von einander getrennt,
+werden diese von den Frauen &uuml;berklettert, und ihr <i>Verkehr</i>
+findet nur &uuml;ber den K&ouml;pfen der M&auml;nner statt. In Rhadames
+herrscht Hufeisenform bei der Th&uuml;rbildung, in Siuah eine viereckige
+Form vor.</p>
+
+<p>Nat&uuml;rlich nicht zum Nomadisiren eingerichtet, verdienen die
+Palmenh&uuml;tten der Beni Mohammed in Draa und Tafilet und
+einzelner Familien in Audjila und Fesan noch Erw&auml;hnung;
+sie sind vollkommen kunstlos aus Palmenzweigen errichtet, bald
+mit plattem, bald mit spitz zulaufendem Dache versehen, und auch
+dieses Dach ist aus Palmenzweigen gefertigt. In Fesan und
+Audjila sind die Seitenmauern dieser H&uuml;tten, welche manchmal
+viereckig, manchmal rund sind, zuweilen aus Stein oder Thon,
+und die Th&uuml;ren immer so niedrig, das man hindurch <i>kriechen</i>
+mu&szlig;.</p>
+
+<p>Vortheilhaft, was Reinlichkeit und symmetrische Anordnung
+betrifft, zeichnen sich die Wohnungen der Tebu aus. In
+Kauar sind sie kreisrund; die Seitenw&auml;nde sind aus Stein
+brusthoch ausgef&uuml;hrt und dann &uuml;berdeckt mit Palmenreisern,
+Stroh und Matten. Dr. <i>Nachtigal</i> sagt von den Bewohnern
+Tibesti's: "Alle ihre Wohnungen so kunstlos, und einfach sie
+sind, zeichnen sich durch die gr&ouml;&szlig;te Nettigkeit und Sauberkeit
+vor denen ihrer arabischen und fesanischen Nachbarn vortheilhaft
+aus. Vor der H&uuml;tte haben sie nicht selten einen geh&auml;rteten
+Erd- oder Lehmplatz, der frisch mit Sand bestreut wird, und
+die hervorragenden M&auml;nner eine Art offener Halle, ebenfalls
+aus Palmenzweigen geflochten, vor ihrer Wohnung, in der sie
+Besuche empfangen."</p>
+
+<p>Es bleibt uns nur noch &uuml;brig, die bewegliche Wohnung
+der nomadisirenden Bev&ouml;lkerung der Sahara zu beschreiben,
+das Zelt der Tuareg. Der Araber ist eigenth&uuml;mlicher Weise
+in der gro&szlig;en Sahara nie heimisch geworden. Ist er ja dahin
+gedrungen, so hat er sich se&szlig;haft gemacht. So haben die
+Mehammedin in Draa und Tafilet das Zelt gegen die Palmenh&uuml;tten
+vertauscht. Die einzelnen Familien aber, die wir in
+Fesan, Rhat und anderen s&uuml;dlichen Oasen finden, haben H&auml;user.
+Nur die nach Kanem vertriebenen Uled Sliman haben
+bis jetzt das Zelt bewahrt, aber es ist kaum zu bezweifeln,
+da&szlig; auch sie &uuml;ber kurz oder lang das bewegliche Haus
+mit dem festen vertauschen werden, wie die Schoa und Uled-Raschid-Araber,
+die noch weiter im Innern Afrika's sich
+eine neue Heimat mitten zwischen den Negern gr&uuml;ndeten.</p>
+
+<p>Das Zelt der Tuareg ist sehr einfacher Art. Im Allgemeinen
+der l&auml;nglichen Form der Araberzelte entsprechend, sind
+die Tuaregzelte bedeutend kleiner und niedriger. Kaum sechs
+Personen haben in ihrem Tuaregzelte Platz. In einem Araberzelte
+wird das Dach immer durch zwei, im Tuaregzelte
+durch eine Zeltstange unterst&uuml;tzt. Der Stoff besteht bei jenen
+aus grobem Haar und wollenen Zeugen, bei diesen aus gegerbtem
+Leder. Nach Duveyrier sind die Lederzelte oft roth
+gef&auml;rbt und gut gen&auml;ht.</p>
+
+<p>In Centralafrika angekommen, bemerken wir vorweg, da&szlig;
+wir <i>nirgends</i> Wohnungen nicht se&szlig;hafter V&ouml;lker haben;
+denn die fr&uuml;her nomadisirenden Pullo haben mit der Erreichung
+ihrer gr&ouml;&szlig;ten Ausdehnbarkeit sich jetzt &uuml;berall dauernde
+Wohnungen gebaut. Die St&auml;mme aber, die vom Nomadenvolke
+par exellence, dem arabischen, abstammen und bis
+nach Centralafrika vorgedrungen sind&mdash;ich nenne davon nur
+die Schua-Araber westlich und s&uuml;dwestlich vom Tschad&mdash;selbst
+diese haben l&auml;ngst ihr Zelt, diese luftige Behausung der
+J&auml;ger- und Hirten-V&ouml;lker, aufgegeben und sich nach Art der
+Neger in soliden Bauten se&szlig;haft gemacht.</p>
+
+<p>Man kann bei den Negern Centralafrika's haupts&auml;chlich
+drei Arten von Wohnungen unterscheiden: gro&szlig;e aus Thon
+oder Luftziegeln erbaute H&auml;user, welche offenbar unter arabisch-berberischem
+Einflu&szlig; entstanden sind, verschiedene H&uuml;ttenwohnungen
+runder Form, entweder aus Strohmatten oder
+aus Thon oder Luftziegeln errichtet, und endlich gro&szlig;e H&auml;user
+mit Giebeld&auml;chern, vielleicht durch europ&auml;ischen Einflu&szlig; von
+der K&uuml;ste aus nach Afrika verpflanzt.</p>
+
+<p>In allen uns bekannten L&auml;ndern Centralafrika's, Bornu,
+Bagermi, Socoto, Gando, Uadai, Adamaua, Bautschi und anderen,
+sind die Wohnungen der F&uuml;rsten, der Gro&szlig;en des
+Reichs, der vornehmen Kaufleute, die Moscheen und Beth&auml;user
+aus soliden Mauern mit flachen D&auml;chern errichtet. Es scheint
+sogar, da&szlig; man einzeln, obschon nie mit behauenen Steinen,
+so doch an manchen Orten mit <i>gebrannten</i> Ziegeln gebaut
+habe. So will <i>Barth</i> in Massen&ntilde;a (III. S. 346) Geb&auml;ude
+aus <i>wirklich gebrannten</i> Backsteinen beobachtet haben und
+er erw&auml;hnt bei der Gelegenheit: "auch die alte Birni (Hauptstadt)
+von Bornu soll aus Backsteinen gebaut gewesen sein."</p>
+
+<p>Was uns anbetrifft, so haben wir jedoch <i>nirgends</i> im
+"schwarzen Afrika" gebrannte Steine in Anwendung gesehen,
+nur Luftziegel und aus Thonziegeln und aus Thon aufgelegte
+oder gepre&szlig;te Mauern. Zu den gro&szlig;en Geb&auml;uden der
+F&uuml;rsten, fast ohne Ausnahme ein Stock hoch, sind trotzdem
+verh&auml;ltni&szlig;m&auml;&szlig;ig dicke Mauern genommen, um das starke, mit
+Thon &uuml;berlegte Dachgeb&auml;lk tragen zu k&ouml;nnen. Von au&szlig;en
+sieht eine solche Burg meist einf&ouml;rmig aus, da oft nur Eine
+Th&uuml;r Unterbrechung in die schlichte Wand bringt. Sehr oft
+ist &uuml;brigens die Br&uuml;stung des flachen Daches auf phantastische
+Art geziert. Das Innere einer solchen F&uuml;rstenwohnung enth&auml;lt
+gro&szlig;e Zimmer und Hofr&auml;ume.</p>
+
+<p>Erstere erhalten Licht durch die Th&uuml;ren und manchmal
+durch gro&szlig;e viereckige Oeffnungen, die sich in den W&auml;nden
+befinden, welche nach den H&ouml;fen zu gerichtet sind; oft sind die
+Gem&auml;cher vollkommen dunkel. Wenn die R&auml;ume sehr gro&szlig;
+sind, so wird die Spannung der Deckbalken durch kolossale
+Thonpfeiler gest&uuml;tzt. In einigen Hauptst&auml;dten sehen wir sogar
+Bogen, hufeisenf&ouml;rmig gew&ouml;lbt, die Decke unterst&uuml;tzen; wie
+die Pfeiler sind dieselben aus geh&auml;rtetem Thon. So finden
+wir bei <i>Barth's</i> (II. 124) Beschreibung des Palastes von
+<i>Kano</i>: "Die Gem&auml;cher sind nicht sehr dunkel, das Hauptgemach
+ist aber sehr sch&ouml;n, ja gro&szlig;artig zu nennen. Der
+ganze Charakter desselben machte um so mehr Eindruck, da
+die Tragbalken nicht zu sehen waren, w&auml;hrend zwei gro&szlig;e
+Kreuzbogen, aus demselben Material wie die W&auml;nde, &uuml;beraus
+sauber gegl&auml;ttet und reich verziert, das Ganze zu tragen
+schienen. In der hinteren Wand waren zwei ger&auml;umige
+Nischen, in deren einer der F&uuml;rst Platz zu nehmen pflegt."</p>
+
+<p>In derselben gro&szlig;artigen Weise sind in centralafrikanischen
+L&auml;ndern die Wohnungen der F&uuml;rsten eingerichtet, die sich dem
+Islam in die Arme geworfen haben; der Einflu&szlig; der Tr&auml;ger
+der Religion ist unverkennbar.</p>
+
+<p>In diesen dem Islam zum Theil huldigenden Staaten sind
+die Moscheen &auml;hnlich wie die in den nordafrikanischen Staaten
+erbaut, nur noch aus bedeutend schlechterem Material; denn
+wenn gebrannte Steine in Bornu, Bagermi, Uadai, Adamaua,
+Kano, Gando und noch anderen Negerk&ouml;nigreichen nicht im
+Gebrauche sind, so hat man auch keinen Kalk, oder wenigstens
+versteht man ihn nicht zu brennen und zu bereiten, das hei&szlig;t
+zu l&ouml;schen. Im gro&szlig;en K&ouml;nigreich Bornu kommen Kalkgesteine
+&uuml;berdies nicht vor oder w&auml;ren nur von den angrenzenden
+L&auml;ndern unter den gr&ouml;&szlig;ten M&uuml;hseligkeiten zu beziehen. Aus
+den zahlreichen Conchylien des Tschad-See's und der Fl&uuml;sse aber
+verstehen die Neger keinen Kalk zu brennen. So bleibt ihnen
+denn weiter nichts Anderes &uuml;brig, als die Luftziegel durch
+Thon zu verbinden oder aus Thon und Sand zusammengepre&szlig;t
+die Hausw&auml;nde zu bilden.</p>
+
+<p>Man findet h&auml;ufig die W&auml;nde der Moscheen und die
+Wohnungen der Gro&szlig;en wie gewei&szlig;t; es r&uuml;hrt dies nicht von
+einer Verkalkung oder Vergypsung her, sondern ist einfach ein
+Ueberstrich von einem sehr wei&szlig;en und feinen Thon. Dieser
+ist so fett und fein, da&szlig; er gar keine Sandpartikelchen enth&auml;lt;
+ganz in der N&auml;he von Kuka findet man im Nordwesten
+der Stadt m&auml;chtige Lager davon einige Fu&szlig; tief unter dem
+schwarzen Humus.</p>
+
+<p>Architektonisch zeichnen sich die Moscheen keineswegs aus.
+Etwa 20 Fu&szlig; hohe, aus Thon aufgef&uuml;hrte Mauern umgeben
+einen offenen Hofraum; nach der nach Mekka gerichteten
+Seite sind durch plumpe, vier- oder achteckige Erdpfeiler
+gebildete Bogeng&auml;nge, meist in zwei oder drei Reihen, vorhanden,
+die dann ein oder zwei Schiffe, wenn man diese so
+nennen will, bilden. Nach dieser Seite zu befinden sich auch
+die Kibla und das Mimber. Irgend eine Ecke einer solchen
+Moschee bildet eine thurmartige Erh&ouml;hung, und dient als
+Minaret oder Sma.</p>
+
+<p>Hier wollen wir denn auch der Befestigungen erw&auml;hnen,
+wie sie in den meisten centralafrikanischen St&auml;dten &uuml;blich sind.</p>
+
+<p>Im Vergleich zu dem schlechten Mauerwerk der heutigen
+Araber- und Berberst&auml;dte in Nordafrika und in Anbetracht,
+da&szlig; in Centralafrika nirgends beim Kriegf&uuml;hren Feuerwaffen
+gro&szlig;en Kalibers gebraucht werden, sind dieselben sehr gut zu
+nennen. Die Befestigungen der Negerortschaften sind derart
+angelegt, da&szlig; man sieht, dieselben sind ganz ihren Verh&auml;ltnissen
+und ihren Umst&auml;nden angemessen, f&uuml;r dortige eventuell
+sich ereignende F&auml;lle geschaffen.</p>
+
+<p>Meist sind die Lehm- oder Thonmauern nach au&szlig;en zu fast
+steil oder doch nur sehr wenig geb&ouml;scht abfallend, circa 20
+bis 30 Fu&szlig; hoch und fast immer mit einem tiefen, jedoch
+nicht sehr breiten Graben nach au&szlig;en umgeben. Kuka z.B.
+hat eine Mauer aus hartem Thon, die circa 25 Fu&szlig; hoch ist
+und nach au&szlig;en zu fast senkrecht in einen 12 Fu&szlig; tiefen Graben
+abf&auml;llt. Nach innen jedoch verbreitert sie sich dachartig
+durch Stufen nach unten, derart, da&szlig; oben die &auml;u&szlig;erste Kante,
+welche zugleich als Brustwehr dient, circa 4 Fu&szlig; hoch und
+nur circa 2 Fu&szlig; breit ist, w&auml;hrend die Basis der ganzen
+Umfassungsmauer ebenso breit wie hoch ist. Die Thore
+durch solche Erdmauern oder Erdw&auml;lle sind manchmal &uuml;berdacht,
+manchmal offen; immer aber ist unten die Th&uuml;r enger
+als oben und vor Erdnachsturz durch Geb&auml;lkauskleidung gesch&uuml;tzt.
+In den St&auml;dten gro&szlig;er Reiche sind die Gr&auml;ben ordentlich
+&uuml;berbr&uuml;ckt mittelst soliden Balkenwerks, so da&szlig; die schwersten
+Lastthiere hin&uuml;ber passiren k&ouml;nnen. Nicht so ist es bei
+den kleineren St&auml;dten auf der Grenze des Islam und des
+Heidenthums.</p>
+
+<p>S&uuml;dlich von Keffi-abd-es-Senga begegnete es mir mehrere
+Male, da&szlig; ich vom Besuche einer solchen schwer zug&auml;nglichen
+Stadt abstehen mu&szlig;te. Ueber den allerdings nicht sehr breiten,
+aber tiefen Graben f&uuml;hrte zum Thore der Stadt nur <i>Ein
+einziger schwankender Palmstamm</i>. Meine noch dazu
+mit gro&szlig;en Elfenbeinz&auml;hnen beladenen Begleiter gingen sicher
+und festen Schrittes hin&uuml;ber; vom Schwindel ergriffen, wollte
+ich inde&szlig; solch ein Seilt&auml;nzerkunstst&uuml;ck nicht wagen und blieb
+zur&uuml;ck. Ja, selbst als eines Tages schon alle Diener hin&uuml;ber
+waren, und nach einem anstrengenden Marsch ein lukullisches
+Negermahl winkte, konnte ich es doch nicht &uuml;ber mich bringen,
+&uuml;ber einen so schwankenden Stamm dahin zu schreiten. Ich
+versuchte hin&uuml;ber zu klettern, fand aber bald, da&szlig; die Neger
+mich auslachten, und ich verzichtete auf diese Art, ihre Stadt
+zu besuchen, da ich zu sehr in ihrer Achtung sinken w&uuml;rde.
+Auch widerstand ich dem Anerbieten, die Schultern eines der
+Neger zu besteigen; es blieb nichts Anderes &uuml;brig, als auf
+den Besuch der Stadt zu verzichten.</p>
+
+<p>Einzelne St&auml;dte haben au&szlig;er dem Walle und dem &auml;u&szlig;eren
+Graben noch einen inneren und f&uuml;gen Verhaue und Dornhecken
+hinzu, um dem Feinde das Ann&auml;hern zu erschweren. So berichtet
+<i>Barth</i> II. S. 211 von den Manga, da&szlig; sie au&szlig;er
+der Erdmauer und dem Graben noch ein Dornverhack hatten,
+das sich 10 Fu&szlig; dick au&szlig;erhalb herumzog; in Band II. S.
+184 von Birmenaua, da&szlig; dies ein kleiner, aber stark befestigter
+Ort sei mit zwei Gr&auml;ben, einem innerhalb, einem au&szlig;erhalb
+der Mauer.</p>
+
+<p>Am unvollkommensten finden wir die H&uuml;tten da, wo der
+mohammedanische Glaube Eingang gefunden hat. So im
+ganzen Norden von Centralafrika. Eine H&uuml;tte in Kuka von
+runder, nach oben spitz zulaufender Form hat circa 12 bis
+15 Fu&szlig; an der Basis im Durchmesser. Das aus Holz oder
+Rohr ausgef&uuml;hrte Ger&uuml;st ist mit Stroh &uuml;berdeckt; eine Th&uuml;r,
+oft gew&ouml;lbt, oft eckig, bildet den Eingang. Aber selbst hier,
+wo in der Stadt der F&uuml;rst und alle Gro&szlig;en, wie die reichen
+Kaufleute Thonwohnungen haben, bildet die H&uuml;tte die Nationalbehausung.
+Das Innere ist &auml;u&szlig;erst reinlich gehalten und
+enth&auml;lt manchmal eine mannshohe Scheidewand aus Matten,
+um verschiedene Familienglieder von andern abzusondern.
+Wenigstens zwei, oft drei bis vier solcher H&uuml;tten bilden ein
+Haus, ein Geh&ouml;ft. Umschlossen sind sie von einer th&ouml;nernen
+Mauer, oderauch von &uuml;bermannshohen Matten, welche durch
+in die Erde gerammte St&auml;mme aufrecht gehalten werden.</p>
+
+<p>Am sch&ouml;nsten finden wir die H&uuml;tten da, wo sie vollkommen
+aus <i>eigenem</i> Bautriebe der Neger hervorgegangen sind, bei
+den Negern, die noch dem Heidenthum anhangen.</p>
+
+<p>So berichtet <i>Barth</i> von den Marghi-H&uuml;tten (II. S. 463):
+"Die H&uuml;tten haben vor ihrer Th&uuml;r Rohrschwellen, die manchmal
+umklappbar sind, und inwendig sind die Fu&szlig;b&ouml;den schon
+gepflastert;" oder II. S. 525 von Adamaua: "In Ssarau besteht
+eine Wohnung aus mehreren H&uuml;tten mit Lehmw&auml;nden
+und vortrefflich geflochtenem Rohrdach; diese H&uuml;tten sind durch
+Lehmw&auml;nde mit einander verbunden, so da&szlig; das Ganze ein
+abgerundetes Dreieck bildet. Die eine H&uuml;tte bildet den Eingang,
+die anderen beiden sind f&uuml;r die Frauen. Die Eingangsh&uuml;tte
+hat eine 3-1/2 Fu&szlig; hohe und 16 Zoll breite <i>eif&ouml;rmige</i>
+Th&uuml;r; es befindet sich hier ein Ruhebett, 7 Fu&szlig; lang und
+5 Fu&szlig; breit und 3 Fu&szlig; &uuml;ber der Flur, au&szlig;erdem eine Feuerstelle.
+Die hellbraunen W&auml;nde der H&uuml;tte sind mit allerdings
+nicht kunstvollen Gegenst&auml;nden von wei&szlig;er Farbe bemalt. Die
+beiden andere H&uuml;tten sind &auml;hnlich, enthalten zwei Rohrbetten,
+wovon eins f&uuml;r die Frau durch eine Scheidewand von dem
+&uuml;brigen Raume der H&uuml;tte getrennt ist. Diese 5 Fu&szlig; hohe
+und 4 Zoll dicke Scheidewand ist ebenfalls braun und mit
+wei&szlig;en Streifen geziert; oben ist sie durch abwechselnd schalenartige
+und pyramidale Aufs&auml;tze gekr&ouml;nt, welche ebenfalls verschiedene
+Farbe haben. Die Th&uuml;ren sind auch hier <i>eif&ouml;rmig</i>
+und noch kleiner, nur 2 Fu&szlig; hoch und 10 Zoll breit. Diese
+heimlichen Wohnungen &uuml;bertreffen durch Harmonie der Farbent&ouml;ne
+ihre Schwestern" u.s.w.</p>
+
+<p>Am vollkommsten fand <i>Barth</i> den H&uuml;ttenbau wohl im
+Lande der Musgu. So berichtet er II. S. 158: "Jeder Hof
+hat drei bis sechs H&uuml;tten, sie sind aus Thon, und die Umschlie&szlig;ungsmauer
+bei den Wohlhabenden aus demselben Material
+die der Aermeren aus Rohr und Holz. Die D&auml;cher sind mit
+Sorgfalt gedeckt und weit besser als Strohd&auml;cher. <i>Die
+Musguh&uuml;tten zeigen in der Form ihrer Giebelung
+selbst Spuren verschiedener Style, die vielleicht
+auf eine gewisse Stufenfolge im Leben zur&uuml;ckzuf&uuml;hren
+sind</i>."</p>
+
+<p>Ueberall findet man in diesen Geh&ouml;ften, die nicht nur die
+St&auml;dte und D&ouml;rfer zusammensetzen, sondern da, wo die Sicherheit
+der Gegend es zul&auml;&szlig;t, auch &uuml;ber die Landschaften vereinzelt
+anzutreffen sind, die dem Neger so unentbehrlichen
+Nebenbaulichkeiten. Wir erw&auml;hnen hier zuerst des Schattendaches,
+welches man in jeder Wohnung antrifft.</p>
+
+<p>Diese Schattend&auml;cher ruhen auf 4 oder 6 Pf&auml;hlen, welche
+nur oben mit einem dicken Strohdache oder Mattenwerk bedeckt
+sind. Unter ihnen ist gew&ouml;hnlich ein Rohrbett und Platz
+genug, da&szlig; auch die Hausfrau ihre Arbeiten im Schatten
+verrichten kann. Dann findet man in jedem Hofraum gro&szlig;e
+Thonbeh&auml;lter, oft auf Steinen ruhend, zum Aufbewahren von
+Korn; manchmal sind sie sehr k&uuml;nstlich eingerichtet. <i>Barth</i>
+sagt III. S. 158 bei der Beschreibung eines Musgu-Hofes:
+"Jeder Hofraum hat einen 12 bis 15 Fu&szlig; hohen Kornbeh&auml;lter
+aus Thon und ein Schattendach. Die Kornbeh&auml;lter haben
+ein gew&ouml;lbtes, ebenfalls aus Thon bestehendes Dach mit einer
+aufspringenden M&uuml;ndung, welche wieder von einem kleinen
+Strohdache gesch&uuml;tzt wird." An einer andern Stelle sagt
+<i>Barth</i>: "Die Kornbeh&auml;lter auf 2 Fu&szlig; Unterlagen haben
+eine H&ouml;he von 15 Fu&szlig; und verj&uuml;ngen sich nach oben. Sie
+haben nur eine Oeffnung am oberen Theile und sind &auml;hnlich
+den &auml;gyptischen Taubenh&auml;usern." Au&szlig;erdem findet man h&auml;ufig
+Veranden vor den H&uuml;tten und &uuml;berdachte Kochstellen.</p>
+
+<p>Die vollendetsten H&uuml;tten trifft man, wie schon gesagt, da,
+wo das Heidenthum herrscht. Eine H&uuml;tte hat in der Regel
+15 Fu&szlig; Durchmesser, und die Thonw&auml;nde, oft dick, oft nur
+1/2 Fu&szlig; d&uuml;nn, sind in der Regel 4 bis 5 Fu&szlig; &uuml;ber der Erde.
+Das Dach ruht ganz frei auf dem runden Thonbau; in den
+meisten Gegenden wird es zu ebener Erde fertig gebaut und
+vollendet erst auf die Thonmauer gleichsam wie ein Deckel gelegt.
+Der Boden ist &uuml;berall festgestampft und bildet manchmal
+einen aus kleinen Steinchen zusammengegossenen Mosaik.</p>
+
+<p>Im Innern der H&uuml;tte sind verschiedene Scheidew&auml;nde und
+au&szlig;er dem beweglichen Rohrbette befindet sich wenigstens ein
+festes Thonbett darin. In kalten Gegenden, z.B. auf dem
+Gora-Gebirge, beobachtete ich, da&szlig; die Thonbetten hohl und
+von <i>inwendig zu heizen</i> waren. Die gr&ouml;&szlig;te Sorgfalt
+wird immer auf die Eingangsh&uuml;tten verwendet; diese haben
+nat&uuml;rlich immer zwei Th&uuml;ren. Eine H&uuml;tte des Sultans von
+Akun, den ich besuchte, zeigte sogar zwei D&auml;cher, wovon das
+obere offenbar nur zum Schmuck angebracht ist. Manche Eingangsh&uuml;tten
+sind colossal gro&szlig;, sowie die des Sultans von
+Keffi-abd-es-Senga; diese diente zugleich als Versammlungort
+seiner G&auml;ste, war viereckig und hatte mit einem au&szlig;erordentlich
+hohen Dache eine Veranda verbunden.</p>
+
+<p>Eine &auml;hnlich gro&szlig;e Empfangshalle traf Schweinfurth auf
+seiner Reise im &ouml;stlichen Centralafrika. Die L.I. Zeitung
+Nr. 1542 vom Jahre 1873 giebt ein anschauliches Bild davon.
+Die gro&szlig;e Festhalle, in der Schweinfurth empfangen wurde,
+war von vielen Hundert Menschen gef&uuml;llt. Es waren die
+achtzig Lieblingsweiber des K&ouml;nigs Munsa anwesend, eine
+Musikbande und alle seine Trabanten. Die Empfangshalle
+selbst hatte die Form unserer modernen gro&szlig;en Eisenbahnhallen.</p>
+
+<p>Die kunstlosen H&uuml;tten der Bassa-Neger auf den Inseln des
+B&eacute;nue verdienen hier insofern nur einer Erw&auml;hnung, als
+wir hier inmitten Afrika's auch auf "Pfahlbauten" sto&szlig;en.</p>
+
+<p>Einen Uebergang zu den, wie es scheint, von den Europ&auml;ern
+von der K&uuml;ste her eingef&uuml;hrten gro&szlig;en Giebelh&auml;usern und den
+H&uuml;tten der Neger bilden die seltsamen Wohnungen der Kado-Neger
+in Segseg, die gewisserma&szlig;en aus Haus und H&uuml;tte zusammengesetzt
+sind. Zwei circa 25 Fu&szlig; von einander entfernte
+H&uuml;tten sind durch ein Haus oder einen Gang verbunden,
+und das Dach bildet mit den beiden D&auml;chern der H&uuml;tte
+ein Ganzes. Nur die eine H&uuml;tte hat eine Th&uuml;r, der Gang
+und die zweite H&uuml;tte haben nur runde L&ouml;cher, um dem Lichte
+Eingang zu verschaffen.</p>
+
+<p>Hier zu erw&auml;hnen sind auch noch jene kleinen H&uuml;tten f&uuml;r
+die Fetische. Manchmal sind dies nur auf Pf&auml;hlen ruhende
+Strohd&auml;cher, unter welchen die G&ouml;tter Schutz gegen die Sonne
+und den Regen finden, manchmal aber auch ordentlich eingerichtete
+H&uuml;tten. Aber jedesmal findet man sie in bedeutend
+verkleinertem Ma&szlig;stabe. Eine Fetischh&uuml;tte ist nie h&ouml;her als
+4 bis 5 Fu&szlig; und hat an der Basis gew&ouml;hnlich 3 bis 4 Fu&szlig;
+Durchmesser. Oft steht ein Fetisch oder eine ganze Fetischfamilie
+nur auf einem Thonteller, der circa 1 Fu&szlig; hoch, nach
+oben sich verj&uuml;ngt und circa 3 bis 4 Fu&szlig; im Durchmesser
+hat. Au&szlig;erdem hat jede H&uuml;tte in den Gegenden, wo Fetischismus
+betrieben wird, einen Fetisch in seiner H&uuml;tte, der oft aus
+Thon oder Holz geformt, oft aber nur ein Bild oder Relief
+an der H&uuml;ttenwand ist.</p>
+
+<p>Je mehr man sich dem Niger n&auml;hert, desto andere Bauformen
+finden wir g&auml;ng und g&auml;be. Freilich bleibt auch hier
+die runde H&uuml;tte noch immer die eigentliche Nationalbehausung
+der Neger; aber wir finden nun bei den Wohnungen der
+F&uuml;rsten, der Gro&szlig;en und Reichen keineswegs mehr gro&szlig;e, nach
+arabischer Art mit plattem Dache versehene H&auml;user, sondern
+Geb&auml;ude, die nach Art der europ&auml;ischen ein Giebeldach haben.
+In Imaha, in Ogbomoscho und Ibadan haben die F&uuml;rsten
+die gro&szlig;artigsten Giebelbauten, bei denen europ&auml;ischer Einflu&szlig;
+wohl kaum zu leugnen ist.</p>
+
+<p>Die F&uuml;rstenwohnung in Illori ist der Art, da&szlig; sie ein
+l&auml;ngliches Viereck von 150 Fu&szlig; L&auml;nge auf 30 Fu&szlig; Breite
+bildet. Die Seitenmauern, circa 6 Fu&szlig; hoch und 2 Zoll dick,
+aus gestampftem Thon errichtet, tragen ein unverh&auml;ltni&szlig;m&auml;&szlig;iges
+hohes Strohdach &agrave; cheval, dessen &uuml;berstehende Seitenw&auml;nde
+&uuml;ber die Mauern hinausreichen, so da&szlig; sie fast den Erdboden
+ber&uuml;hren. Der Raum, der hierdurch entsteht, giebt einen
+schattigen Ruheplatz f&uuml;r die zahlreichen Sclaven ab. Im Innern
+l&auml;uft l&auml;ngs der einen Wand ein Corridor, und von diesem
+aus kommt man mittelst niedriger Th&uuml;ren in die verschiedenen
+Zimmer, von denen einige einen aparten Bodenabschlu&szlig; haben,
+andere aber frei bis unter das Dach hinaufreichen.</p>
+
+<p>H&ouml;chst eigenth&uuml;mlich fand Dr. Nachtigal die heidnischen
+Bewohner im s&uuml;dlichen Bagermi wohnen. Fortw&auml;hrend den
+Ueberf&auml;llen der mohammedanischen Bev&ouml;lkerung ausgesetzt,
+haben sie ihre Wohnungen gleich den V&ouml;geln auf den B&auml;umen
+errichtet, und der gewaltige Baumwollenbaum (Bembax. cottontree)
+eignet sich vortrefflich dazu, derartige Behausungen zu
+empfangen: Der Baumwollenbaum geh&ouml;rt zu den Riesen der
+centralafrikanischen Vegetation. Ungef&auml;hr 50 Fu&szlig; hoch vom
+Boden, gehen von seinem colossalen Stamme starke horizontal
+verlaufende Aeste ab. Auf diese legen die Bagermi-Bewohner
+Balken und errichten darauf ihre H&uuml;tten; selbst der Viehstand
+wird in Zeiten der Gefahr mit nach oben gezogen. Mittelst
+einer aufziehbaren Strickleiter gelangen die Eigent&uuml;mer hinauf.
+In der Nacht werden nach Nachtigal nie Feindseligkeiten
+unternommen, so da&szlig; w&auml;hrend dieser Zeit die Inwohner eines
+solchen Baumdorfes ihre Vorr&auml;the an Wasser und Lebensmitteln
+machen k&ouml;nnen. Und da in Bagermi der Gebrauch
+der Schie&szlig;waffe noch nicht eingef&uuml;hrt ist, so gewinnen die Besitzer
+in ihren hohen, luftigen Bauten eine ziemliche Sicherheit.</p>
+
+<p>Je mehr man sich der K&uuml;ste n&auml;hert, desto mehr schwindet
+die H&uuml;tte, und wenn in den Ortschaften des Konggebirges
+oder an den Abh&auml;ngen desselben auch die H&auml;user der privaten
+nicht alle jene gro&szlig;en kasernenartigen Dimensionen haben, so
+l&auml;&szlig;t sich doch in der Anlage der europ&auml;ische Einflu&szlig; auf den
+ersten Blick heraussehen. Gebrannte und behauene Steine
+findet man erst, wenn man die K&uuml;stenst&auml;dte Afrika's selbst,
+mithin das europ&auml;ische Element erreicht hat.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_1_1" id="Footnote_1_1"></a><a href="#FNanchor_1_1"><span class="label">[1]</span></a> Allerdings sind in Marokko in den sogenannten "maurischen
+B&auml;dern" auch gew&ouml;lbte Kuppeln, aber diese Gew&ouml;lbe sind entweder durch
+horizontal eingeschobene Balken gebildet und getragen, oder durch Uebertragung
+horizontal gelegter Steine gebildet, &auml;hnlich wie man es in den
+gew&ouml;lbten Kammern der griechischen Thesauren beobachtet.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch3_Lagos_an_der_Westkuste_von_Afrika" id="Ch3_Lagos_an_der_Westkuste_von_Afrika"></a>3. Lagos an der Westk&uuml;ste von Afrika.</h2>
+
+
+<p>Keine Stadt an der Westk&uuml;ste von Afrika, vom Cap Spartel
+an gerechnet, bis zum Cap der guten Hoffnung, hat in
+den letzten Jahren einen so raschen Aufschwung genommen
+wie Lagos. Unter dem 6&deg; 26' n&ouml;rdlicher Breite und dem
+3&deg; 22' &ouml;stlicher L. v. Gr. gelegen (nach anderen 6&deg; 28' n.
+Br. und 3&deg; 26' &ouml;stl. L. v. Gr.), war Lagos bis zum Jahre
+1851 portugiesische Schutzstadt und Hauptexportstadt f&uuml;r den
+Sclavenhandel. In diesem Jahre vertrieb ein eingeborener
+F&uuml;rst, Namens Kosoko, den rechtm&auml;&szlig;igen K&ouml;nig Akitoye, weil
+dieser auf Betrieb Englands den Sclavenhandel unterdr&uuml;ckt
+hatte. Kosoko wurde von den Engl&auml;ndern wieder verjagt und
+der rechtm&auml;&szlig;ige K&ouml;nig wieder eingesetzt. Aber trotzdem florirte
+die Negerausfuhr fort, die um so schwieriger hier zu &uuml;berwachen
+und zu verhindern war, als der K&uuml;stenstrich wegen
+Lagunenbildung zahlreiche Verstecke und Schlupfwinkel bietet,
+wohin sich die Sclavenh&auml;ndler bei drohender Gefahr zur&uuml;ckziehen
+konnten.</p>
+
+<p>Am 6. August 1861 erschien deshalb das englische Kriegsschiff
+Prometheus, Com. Bedingfeld; Lagos wurde genommen
+und zur englischen Colonie erkl&auml;rt. Zum Scheine lie&szlig; man
+jedoch den Sohn Akitoye's, Docemo, als K&ouml;nig bestehen, er
+behielt jedoch nur den Titel.</p>
+
+<p>Von den Eingeborenen Eko, auch Oni genannt, erhielt
+Lagos seinen Namen von den Portugiesen. Es liegt auf einer
+halbmondf&ouml;rmigen Insel, hat im S&uuml;den das Meer, im Norden
+die die Insel vom Festland trennende Lagune, und ist von
+den &uuml;brigen schmalen K&uuml;stenstrichen oder Inseln, welche im
+Osten und Westen sich fortziehen, durch enge Meeresarme getrennt.
+Das Festland ist circa 15 engl. Meilen entfernt.
+Von den schmalen Landstreifen, welche urspr&uuml;nglich Festland
+gewesen sind, und die manchmal 3, manchmal bis 10 englische
+Meilen breit sind, geh&ouml;rt ein 60-70 englische Meilen langes
+St&uuml;ck jetzt den Engl&auml;ndern. Alle diese Streifen sind mit
+dichtester Vegetation bedeckt, meistens mit Mangroven-Buschwerk
+bestanden, das von schlanken Cocosnu&szlig;palmen &uuml;berragt
+wird, w&auml;hrend gleich am Festlande jene undurchdringlichen
+Urw&auml;lder beginnen, in denen die Oelpalme und der Baumwollenbaum
+die hervorragendste Rolle spielen.</p>
+
+<p>H&auml;lt man sich f&uuml;r kurze Zeit in diesem von der Natur so
+verschwenderisch ausgestatteten Lande auf, so sollte man glauben,
+es sei hier ein ewiges Paradies was das Klima anbetrifft:
+man glaubt in einer ewig fr&uuml;hlingsm&auml;&szlig;igen Natur
+zu leben. Balsamische D&uuml;fte durchziehen die Luft, der tiefblaue
+Himmel, das saftige Gr&uuml;n der &uuml;ppigen Pflanzenwelt,
+in der Ferne das tiefblaue wogende Meer, lassen den Gedanken
+nicht aufkommen, da&szlig; jeder Athemzug dem K&ouml;rper giftige
+Substanzen zuf&uuml;hrt; und doch ist dem so, wie die gro&szlig;e Sterblichkeit
+der Eingeborenen sowohl wie die der Europ&auml;er ergiebt.
+Eben die lagunenartige Gegend, die Ausd&uuml;nstungen der See,
+die vermodernden Pflanzentheile der nahen S&uuml;mpfe, die Vermischung
+von Salz- und S&uuml;&szlig;wasser nehmen alle Theil an
+jenen Krankheiten, die den Menschen so gef&auml;hrlich sind, und
+meist rasch und t&ouml;dtlich verlaufen.</p>
+
+<p>Die mittlere Temperatur von Lagos ist unbekannt, d&uuml;rfte
+aber zwischen 20&deg; und 22&deg;<a name="FNanchor_2_2" id="FNanchor_2_2"></a><a href="#Footnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a> sein. Der niedrigste beobachtete
+Thermometerstand war 15&deg; C., der h&ouml;chste 35&deg;. Barometrische
+Aufzeichnungen von Lagos liegen gar nicht vor. Als hygrometrische
+Beobachtungen wurden mir 0,2 und 25&deg; genannt,
+inde&szlig; nicht dabei gesagt, mit welchem Instrument und nach
+welchem Systeme dieselben gefunden worden sind. Die fallende
+Wassermenge wird wohl der von Gabun gleichkommen, wo
+man in einem Jahr 250" Regen beobachtet hat. Die nasse
+Jahreszeit w&auml;hrt von April und Mai bis August und September
+und in dieser Zeit sind fast t&auml;glich die heftigsten Tornados
+(Gewitterregen) bei herrschendem Ostwinde. Im November,
+December, Januar und Februar ist fast nie Regen
+beobachtet worden. Der herrschende Wind der trockenen Jahreszeit
+ist West und Nordwest. In dieser Periode herrscht
+Nachts vollkommene Windstille; erst gegen 9 Uhr Morgens
+springt der Wind auf, um bis nach Sonnenuntergang als starke
+Brise zu blasen. Im Januar wird haupts&auml;chlich der Harmattan
+beobachtet, vom Innern her wehend, und von welchem
+die dort lebenden Europ&auml;er noch immer glauben, da&szlig; es
+Nebel sei, w&auml;hrend es nichts Anderes ist, als ein zerflossener
+Rauch jener gro&szlig;en innerafrikanischen Wald- und Grasbr&auml;nde,
+die sich manchmal &uuml;ber Strecken verbreiten, die Tausende von
+Quadratmeilen einnehmen. Zu dieser Zeit ist der Gesundheitszustand
+am besten, namentlich auf &auml;u&szlig;ere Hautkrankheiten
+&uuml;bt der Harmattan einen &uuml;beraus wohlth&auml;tigen Einflu&szlig; aus.</p>
+
+<p>Haupts&auml;chlich dort beobachtete Krankheiten sind, was auf
+die Europ&auml;er sich bezieht, Malaria und b&ouml;sartige Wechselfieber,
+Dyssenterien und Leberkrankheiten. Cholera und gelbes Fieber
+sind in Lagos nie aufgetreten. Es ist &uuml;brigens wohl in Betracht
+zu ziehen, da&szlig; die meisten Europ&auml;er durch ihr eignes
+unm&auml;&szlig;iges Leben sich derartige Krankheiten zuziehen. W&auml;hrend
+das weiche, erschlaffende Leben eine m&auml;&szlig;ige Lebensweise,
+namentlich Enthaltsamkeit von trockenen Weinen und Liqueuren,
+empfiehlt, findet man hier, wie fast &uuml;berall in den Colonien,
+vorzugsweise spanische Weine, Sparkling Hock<a name="FNanchor_3_3" id="FNanchor_3_3"></a><a href="#Footnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> und
+Brandy im Gebrauch, und die schwelgerischen Tafeln, die dort
+stets dem Magen vorgestellt werden, rufen denn nur zu rasch
+jene Krankeiten hervor, denen die Europ&auml;er zum Opfer fallen,
+auf dem Sterbebette noch das m&ouml;rderische Klima verfluchend.
+Bei den Negern beobachtet man au&szlig;erdem noch den Guineawurm,
+Elephantiasis, Pocken, Lepra, Krakra (eine widerliche
+Krankheit) und Yaws, eine Art von b&ouml;ser Framb&ouml;sie.</p>
+
+<p>Die Bev&ouml;lkerung der Schwarzen besteht aus Eingeborenen
+und dorthin eingewanderten und transportirten Negern.
+Erstere geh&ouml;ren alle zu den St&auml;mmen der gro&szlig;en Yoruba-Familie.
+Ohne so sch&ouml;n und hell zu sein wie die Pullo, sind
+die Yoruba keineswegs vollkommen schwarz, sondern haben
+mehr br&auml;unliche Hautfarbe. Sie haben sanfte, nicht stark prononcirte
+Gesichtsz&uuml;ge, und werden von den dortigen Europ&auml;ern
+f&uuml;r die besten und gutm&uuml;tigsten aller Neger gehalten. Als
+die Portugiesen zuerst nach Lagos kamen, fanden sie die Eingeborenen
+sehr geschickt in Verfertigung von Matten und
+Strohflechtereien, die sie auch noch so zart und fein zu flechten
+wissen, da&szlig; man daraus Kleidungsst&uuml;cke machen k&ouml;nnte, und
+die zum Theil auch von den Eingeborenen in fr&uuml;heren Zeiten
+als solche benutzt wurden. Baumwollenweberei, F&auml;rberei,
+Ledergerberei, vorz&uuml;gliche Holzschnitzerei, T&ouml;pferkunst und die
+Verarbeitung edler und unedler Metalle waren den Eingeborenen
+von Lagos bekannt, als die Europ&auml;er dorthin kamen.
+Man kann ihre Zahl auf 35-40,000 sch&auml;tzen. Haussa-Neger
+bilden das zweite Element, sie sind durch etwa 1000 Individuen
+vertreten. Die &uuml;brigen endlich sind Acra-, Fanti- und
+Kru-Neger, etwa 2000 Seelen stark, und einzelne von verschiedenen
+anderen Horden. Alle diese sind urspr&uuml;nglich freie,
+in Lagos von jeher se&szlig;hafte Neger, dann aus dem Innern
+und von der K&uuml;ste als Freie Eingewanderte, oder aber urspr&uuml;nglich
+gewesene Sclaven und deren Nachkommen und zum
+Theil aus dem britischen Westindien, von Sierra Leone, Gambien,
+Liberien, Brasilien oder Cuba zur&uuml;cktransportirte, gekaperte
+ehemalige Sclaven. Allein die von Sierra Leone gekommenen
+Neger sch&auml;tzt man auf 4000 Seelen.</p>
+
+<p>Was die Europ&auml;er anbetrifft, so ist deren Zahl durchschnittlich
+gegen 100, von denen etwa 60 Engl&auml;nder, 20 Deutsche
+und Franzosen sind, und die &uuml;brigen aus Spaniern, Portugiesen
+und Italienern bestehen.</p>
+
+<p>Der Cultus der Eingeborenen, die noch nicht zum Christenthume
+&uuml;bergetreten sind, ist Fetischdienst. Vornehmlich werden
+B&auml;ume fetischirt, aber auch Thiere, z.B. Hunde, stehen in
+Verehrung. Die Anbetung von kleinen, aus Holz und Thon
+gearbeiteten G&ouml;tzenbildern ist sehr allgemein; Herr Philippi
+aus Potsdam, der sich 13 Jahre in Lagos aufhielt, besitzt
+eine ganze Sammlung jener kleinen interessanten Gottheiten.
+Au&szlig;er den allgemein heilig gehaltenen Thieren hat dann noch
+jeder Neger sein Privatheiligthier, von dem er dann nat&uuml;rlich
+auch nicht essen darf, w&auml;hrend die Uebrigen, wenn diese Thiere
+zu den genie&szlig;baren z&auml;hlen, davon essen. So durfte der H&auml;uptling
+Tappa, eine pers&ouml;nliche Bekanntschaft von mir, keine
+H&uuml;hner essen, Docemo, der K&ouml;nig, keine wei&szlig;en Tauben.
+Jeder hat so seine speciellen G&ouml;ttchen, die gewisserma&szlig;en als
+Heiligen den betreffenden Individuen dienen und in den
+Wohnungen den Ehrenplatz einnehmen. Im Ganzen m&ouml;gen
+gegen 25000 Heiden in Lagos sein. F&uuml;r die Umwandlung
+in Christen thut die englische Regierung officiell seit einigen
+Jahren nichts mehr, legt aber auch den Mission&auml;ren, einerlei,
+von welcher Kirche sie abgeschickt worden sind, keine Hindernisse
+in den Weg.</p>
+
+<p>Als Nichtchristen z&auml;hlen zun&auml;chst die Mohammedaner; ihnen
+geh&ouml;ren besonders alle Haussa-Neger an, aber auch viele
+Yoruba. Der Islam hat sich quer durch Afrika seinen Weg
+gebahnt, er wird um so mehr von den Negern angenommen,
+als die moralischen Vorschriften besser mit den alten hergebrachten
+Leben harmoniren, &uuml;berdies die den Mohammedanismus
+predigenden Lehrer gleich Sitten und Gebr&auml;uche der
+Schwarzen selbst annehmen, und nur die Formen und &auml;u&szlig;eren
+Gebr&auml;uche ihres Glaubens verlangen. Au&szlig;erdem predigt der
+Islam Hochmuth. "Sobald ihr Gl&auml;ubige seid, steht ihr &uuml;ber
+Christen und Juden, ihr geh&ouml;rt dann zum ausgew&auml;hlten Volke,
+ihr seid dann gut <tt>par exellence</tt>." Eine solche Lehre gef&auml;llt
+den unm&uuml;ndigen Negern. Es gef&auml;llt ihnen das weit besser,
+als: "Ihr k&ouml;nnt das Himmelreich nur durch Bu&szlig;e und Glauben
+gewinnen, S&uuml;nder bleibt ihr aber immer; seid dem&uuml;thig,
+verachtet den Reichtum &amp;c." Zudem ist der christliche Mission&auml;r
+in unseren Tagen nicht im Stande, auf das Niveau der
+Eingeborenen hinabzusteigen, w&auml;hrend er ebenso wenig vermag,
+diesen zu sich heraufzuziehen, das hei&szlig;t ihm die &auml;u&szlig;eren Annehmlichkeiten
+des Lebens zu bieten, unter denen er selbst seine
+Existenz hat. Wie kann ein armer Neger sich denken, da&szlig;
+die Lehre richtig sei, wo man ihm Verachtung des Reichthums,
+M&auml;&szlig;igung, Demuth und Bu&szlig;e predigt, und er dies von solchen
+M&auml;nnern h&ouml;rt, die gut bekleidet sind, die sch&ouml;ne H&auml;user haben,
+M&ouml;bel besitzen, wie er sich sie nie anschaffen kann, und &uuml;ber
+Geld in H&uuml;lle und F&uuml;lle (nach den Anschauungen der Neger)
+gebieten? Denn wenn auch nach europ&auml;ischen Begriffen die
+Mission&auml;re nicht allzugl&auml;nzend und reich ausgestattet sind, so
+sind sie es doch den Eingeborenen gegen&uuml;ber. Ganz anders
+tritt der Mohammedaner auf: er hat nicht mehr als der
+Neger, er verdient seinen Lebensunterhalt durch seine Arbeit,
+durch Handel; der Eingeborene sieht, wenn der mohammedanische
+Lehrer zu Wohlstand kommt, woher und wie derselbe
+gewonnen ist. Kein mohammedanischer Apostel hat irgendwie
+Gehalt, er bekehrt, um einen neuen Gl&auml;ubigen zu gewinnen,
+ganz aus eigenem Antriebe, ohne von einer Gesellschaft erm&auml;chtigt
+zu sein. Er glaubt auch nicht einmal, da&szlig; dies f&uuml;r
+ihn selbst ein gro&szlig;es Werk sei, er meint dadurch nur die
+Seele des Bekehrten gerettet zu haben, welche nun w&uuml;rdig ist,
+mit ihm nach dem irdischen Tode die verhei&szlig;enen Freuden
+des Paradieses zu theilen.</p>
+
+<p>Die Zahl der Mohammedaner wird auf 4000 gesch&auml;tzt, und
+scheint dieselbe noch fortw&auml;hrend zuzunehmen.</p>
+
+<p>Was die Christen anbetrifft, so haben wir verschiedene
+Glaubensrichtungen in Lagos vertreten, und dies Nichteinheitliche
+der Lehre Jesu tr&auml;gt gewi&szlig; dazu bei, bei Ausbreitung
+des Glaubens die Eingeborenen stutzig zu machen.</p>
+
+<p>Von den Protestanten finden wir die englische <i>high church</i>
+durch die <i>church missionary society</i> vertreten, etwa 1000
+Seelen; die Wesleyaner etwa 700 Seelen, und amerikanische
+Baptisten etwa 30 Seelen. Die r&ouml;misch-katholische Kirche ist
+haupts&auml;chlich durch 3-400 sogenannte <i>emancipados</i> (ehemalige
+Sclaven) aus Brasilien und Cuba repr&auml;sentirt. Die deutschen
+Protestanten halten sich zur Hochkirche. Im ganzen bel&auml;uft
+sich die Zahl der Christen in Lagos auf 3500. F&uuml;r die Protestanten
+besteht ein Seminar mit einem wei&szlig;en und einem
+schwarzen Lehrer und etwa 20 Z&ouml;glingen; ein M&auml;dcheninstitut
+unter einem wei&szlig;en Lehrer und einer wei&szlig;en und einer schwarzen
+Lehrerin mit etwa 20 Sch&uuml;lerinnen; vier gemischte Volksschulen
+mit 8 Lehrern und 430 Sch&uuml;lern; drei kleine Kinderschulen
+mit 5 Lehrerinnen und 320 Sch&uuml;lern. Die Wesleyaner
+haben au&szlig;erdem eine Schule mit 3 Lehrern und 170
+Sch&uuml;lern. Ueber die Schulen der r&ouml;misch-katholischen Mission
+liegen keine numerischen Nachrichten vor.</p>
+
+<p>Die Mohammedaner sorgen f&uuml;r die Bildung ihrer Gl&auml;ubigen
+durch Gebete in der Hauptmoschee, sie haben 12 bis 16
+kleinere Betpl&auml;tze, die zum Theil Medressen (Schulen) sind,
+in denen jedoch weiter nichts gelehrt wird, als mechanisch
+Koranspr&uuml;che herzusagen. Fast mit Sicherheit kann man behaupten,
+da&szlig; die Lehrer selbst den Sinn der Spr&uuml;che und
+Gebete nicht verstehen. Nach den Begriffen der modernen
+Apostel des Islam ist das auch nicht n&ouml;thig, da Gott selbst
+Arabisch versteht, also wohl wei&szlig;, was die Gl&auml;ubigen beten.</p>
+
+<p>Die Regierung besteht derzeit aus einem Gouverneur (von
+der Kriegsflotte), einem Colonialsecret&auml;r, einem Oberrichter
+(<i>high justice</i>), einem Ingenieur, einem Colonialarzt, einem
+Schatzmeister und zwei Polizei-Inspectoren mit 45 Constablern.
+Das Geschwornengericht ist aus Wei&szlig;en und Schwarzen zusammengesetzt.
+Als Garnison steht in Lagos eine Compagnie
+westindischer schwarzer Soldaten, und in letzterer Zeit sind
+darunter als Erg&auml;nzung vorzugsweise Haussa-Leute aufgenommen
+worden. Au&szlig;erdem steht der Regierung ein Kanonenboot
+I.M. der K&ouml;nigin zu Gebote. In Lagos residiren ein norddeutsches,
+ein franz&ouml;sisches und ein italienisches Consulat.</p>
+
+<p>W&auml;hrend Lagos fr&uuml;her krumme, winkelige Stra&szlig;en hatte,
+an beiden Seiten von Negerh&uuml;tten bes&auml;umt, wird jetzt der Ort
+durch sehr breite, gerade Stra&szlig;en durchzogen, die Nachts beleuchtet
+sind. Man unterscheidet vier Hauptstadttheile, Okofagi,
+Ologbowa, Offi und Egga. In letzterem befindet sich der
+Palast von K&ouml;nig Docemo, der aussieht wie eine gro&szlig;e Bude.
+Das Haus, welches der Gouverneur bewohnt, ganz aus Eisen
+errichtet und fertig von England gebracht, befindet sich, wie
+die meisten Wohnungen der Europ&auml;er, auf der der See zugekehrten
+Seite der Insel. Gleich daneben liegt die prachtvolle
+ehemalige O'Swaldische Factorei, die seit einigen Jahren in
+die H&auml;nde eines anderen Hamburger Hauses &uuml;bergegangen ist.</p>
+
+<p>An &ouml;ffentlichen Geb&auml;uden erw&auml;hnen wir noch das Colonial-Secretariat,
+das neue, aus Backstein errichtete Rathhaus, in
+dem zugleich der Gerichtshof ist, eine Caserne mit Spitaleinrichtung,
+ein Colonial-Hospital mit 20 Betten, das jedoch viel
+zu w&uuml;nschen &uuml;brig l&auml;&szlig;t, ein Zollhaus mit Krahn, endlich 10 Kirchen
+f&uuml;r Protestanten und eine im Bau begriffene f&uuml;r Katholiken.</p>
+
+<p>Die H&auml;user der Europ&auml;er sind zweckm&auml;&szlig;ig und meist aus
+gebrannten Ziegeln aufgef&uuml;hrt und fast alle von kleinen G&auml;rten
+umgeben. Cocospalmen, Brodfruchtb&auml;ume und Mangos
+gew&auml;hren Schatten; an wohlschmeckenden Fr&uuml;chten sind die
+Ananas von Lagos als ganz vorz&uuml;glich hervorzuheben.&mdash;Die
+Stadt hat au&szlig;erdem mehrere kleine Dampfer, welche die gro&szlig;en
+Dampfschiffe und Segler, welche die Barre nicht passiren
+k&ouml;nnen, befrachten und ausladen, Hunderte von kleinen Schiffen,
+alle numerirt und den Eingeborenen geh&ouml;rend, unterhalten
+den Verkehr mit dem Festlande, haupts&auml;chlich mit der Stadt
+Ikorodu. Sehr angenehm f&uuml;r die Bewohner von Lagos ist,
+da&szlig; die Lagunen nicht nur &auml;u&szlig;erst fischreich sind, sondern
+jahraus, jahrein t&auml;glich so viel Austern und Granaten (<i>Crangon
+vulgaris</i>) gefangen werden, wie es die Bed&uuml;rfnisse erheischen.
+Deshalb ist denn auch die Fischerei eine der Hauptbesch&auml;ftigungen
+des Volkes; aber au&szlig;erdem finden wir alle
+Handwerker vertreten, als Schreiner, Maurer, Zimmerleute,
+Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser &amp;c.</p>
+
+<p>Die Europ&auml;er sind fast durchaus Handelsleute; es giebt
+Engros-H&auml;user, sogenannte Factoreien, und Detailisten. Gro&szlig;e
+Factoreien giebt es circa 20, von denen die Hamburgische von
+O'Swald die bedeutendste war, die sogar der Factorei der
+West-African-Company den Rang abgelaufen hatte.</p>
+
+<p>Export und Import haben unter der englischen Regierung
+einen bedeutenden Aufschwung genommen, was nat&uuml;rlich auf
+die Eink&uuml;nfte der Colonie bedeutend nachgewirkt hat. 1862
+betrug die Einnahme 5000 Pfd. St., im Jahre 1867 schon
+30,000 Pfd. St. Nach dem Blaubuche betrug 1867 der Werth
+der exportirten Waaren 51,313 Pfd. St., der Werth der importirten
+Gegenst&auml;nde ist nicht angegeben, Lagos hatte aber
+1868 an Zollgeb&uuml;hren (vom Export wird nicht gezollt) eine
+Einnahme von 35,000 Pfd. St.<a name="FNanchor_4_4" id="FNanchor_4_4"></a><a href="#Footnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a>, aus anderen Quellen noch
+4000 Pfd. St., also im Ganzen fast 40,000 Pfd. St.</p>
+
+<p>Exportirt wird haupts&auml;chlich Indigo, Grundn&uuml;sse (<tt>Arachis</tt>),
+Elfenbein, Mais, Baumwolle (1867 f&uuml;r 7112 Tons, die
+Tonne zu 2000 Pfund), Goro- oder Kolan&uuml;sse<a name="FNanchor_5_5" id="FNanchor_5_5"></a><a href="#Footnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a>, welche nach
+Brasilien und Sierra Leone verschickt werden, endlich Oel- und
+Palmn&uuml;sse. Oel wurde 1867 im Gewicht von 12,414 Tonnen,
+N&uuml;sse 9600 Tonnen exportirt. Die N&uuml;sse wurden im Anfang gar
+nicht benutzt, es ist das Verdienst der O'Swald'schen Factorei,
+dieses Product der <i>Elaeis guineensis</i> zuerst ausgen&uuml;tzt zu
+haben. Die Nu&szlig; enth&auml;lt n&auml;mlich bedeutende Mengen von
+Stearin, das Oel wird zum Schmieren und zur Seifefabrikation
+benutzt.</p>
+
+<p>Man f&uuml;hrt ein: Cawries (<tt>kauri, kungena, kerdi, eloda-Cypraea
+moneta L.</tt>), jene kleinen Muscheln aus den ostindischen
+Gew&auml;ssern, die als Scheidem&uuml;nze dienen im gr&ouml;&szlig;ten
+Theil von Centralafrika, Rollen- und Bl&auml;ttertabak von Brasilien,
+Waffen, Pulver, Stabeisen, Messingdraht, Perlen,
+Spiegel, Messer, Manufacturen, Salz, Spirituosen. Von
+Spirituosen, Cawries und Tabak wird 6 Proc. Eingangszoll
+erhoben.</p>
+
+<p>Im Jahre 1873 arbeitete der B&uuml;rgermeister von Lagos,
+Mr. Goldsworthy, zusammen mit dem Gouverneur Herrn
+Glover, um neue Handelsstra&szlig;en nach dem Innern zu er&ouml;ffnen.
+Im vergangenen Jahre machte Goldsworthy eine Reise
+von 200 englischen Meilen in nord&ouml;stlicher Richtung und ber&uuml;hrte
+dabei die Gebiete von Ikale, eine wald- und sumpfreiche
+Gegend mit einzelnen angebauten Strichen, und von
+Onodo, einer H&uuml;gelkette l&auml;ngs der K&uuml;ste und von Ife ber&uuml;hrt.
+Es gelang ihm, die K&auml;mpfe zwischen einzelnen St&auml;mmen
+zu beendigen und wahrscheinlich auch das Efou-Gebiet durch
+eine neue Handelsstra&szlig;e zu er&ouml;ffnen.</p>
+
+<p>Werfen wir schlie&szlig;lich einen R&uuml;ckblick auf Lagos, heute die
+volkreichste Stadt an der ganzen Westk&uuml;ste von Afrika, so bemerken
+wir, da&szlig; der Ort haupts&auml;chlich unter der freisinnigen
+englischen Administration rascheren Aufschwung genommen hat
+wie andere Punkte in Afrika. Selbst das Klima scheint sich
+durch gute sanit&auml;tspolizeiliche Ma&szlig;regeln, als Erweiterung der
+Stra&szlig;en, Pflasterung der Wege, Ausrottung der n&auml;chsten
+Dschengel- und Mangroven-B&uuml;sche verbessert zu haben; in
+fr&uuml;heren Jahren trafen auf die wei&szlig;e Bev&ouml;lkerung wenigstens
+20 Todesf&auml;lle, in den letzten Jahren ist das Verh&auml;ltni&szlig; jedes
+Jahr g&uuml;nstiger geworden. 1869 ist, freilich wohl ausnahmsweise,
+nur Einer von der circa 100 K&ouml;pfe starken wei&szlig;en Bev&ouml;lkerung
+gestorben.</p>
+
+<p>Auch die Gesittung und Civilisation nimmt unter den Eingeborenen
+erfreulich zu. Wenn Europ&auml;er, und besonders die
+Mission&auml;re, beherzigen wollten, da&szlig; ein Volk, welches seither
+fortw&auml;hrend von der Cultur der civilisirten V&ouml;lker abgeschlossen
+gewesen, von einem primitiven Standpunkte sehr schwer innerhalb
+einiger Jahre auf eine solche Culturstufe gebracht werden
+kann, wozu wir selbst fast 2000 Jahre gebraucht haben, so
+w&uuml;rden sie langsamer vorgehen und mehr Geduld haben mit
+ihren Civilisationsbem&uuml;hungen. Wenn man die heutigen Neger
+betrachtet, namentlich die Bewohner jener gro&szlig;en Reiche
+Centralafrika's, und vergleicht den Zustand dieser V&ouml;lker und
+L&auml;nder mit jenen von Europa vor circa 2000 Jahren (nat&uuml;rlich
+Griechen und R&ouml;mer ausgenommen), so wird jeder Mensch,
+der unbefangen urtheilt, sagen: der Vortheil ist hier auf
+Seiten der Schwarzen. Die gro&szlig;en Staaten Bornu, Sokoto
+und Gando &amp;c. legen gl&auml;nzendes Zeugni&szlig; ab, wie weit ohne
+europ&auml;ische Einfl&uuml;sse die Neger f&auml;hig sind, sich zu civilisiren,
+und General Faidherbe hat gewi&szlig; nicht Unrecht, wenn er
+die Schwarzen als f&uuml;r Civilisation empf&auml;nglicher h&auml;lt, als
+Berber und Araber.</p>
+
+<p>Aber trotzdem und trotz vieler gl&auml;nzenden Beispiele, die
+eben beweisen, da&szlig; selbst in k&uuml;rzester Zeit der Neger bei
+sorgf&auml;ltiger Erziehung sich vollkommen mit dem Wei&szlig;en
+gleichzustellen wei&szlig; (ich erinnere nur an Bischof Crowther,
+an Senator Revels, welcher Letztere j&uuml;ngst im Senate der
+Vereinigten Staaten seine erste Rede, die als oratorisches
+Meisterwerk dasteht, gehalten hat), wage ich nicht zu behaupten,
+da&szlig; die Neger eine Zukunft vor sich haben; sie werden
+am Ende von den Wei&szlig;en absorbirt werden.</p>
+
+<p>Wir sehen in Centralafrika, da&szlig; die Pullo, welche sich
+als herrschendes Volk gro&szlig;e Negerreiche unterworfen haben,
+heute, nach noch nicht 100 Jahren, vollkommen von den
+Negern assimilirt worden sind. Obschon die Pullo noch die
+herrschenden sind, auch ihre Pullo-Sprache noch reden, sind
+sie fast ganz schwarz geworden und alle reden heute neben
+ihrem Pullo die Sprache der St&auml;mme, &uuml;ber welche sie
+herrschen. Ebenso haben die Araber in Centralafrika, z.B.
+die Schoa, fast nur noch ihre Sprache erhalten. Und so
+wird es den Negern ergehen den Wei&szlig;en gegen&uuml;ber, wenn sie
+nicht durch eine zu rasch mit ihnen vorgenommene Civilisationsmethode
+(namentlich durch unpassende Bekehrungsversuche)
+vorher ausgerottet werden. Ist dies nicht der Fall,
+so werden sie langsam verdr&auml;ngt werden von den Wei&szlig;en,
+wenn sich einmal f&uuml;r diese das Bed&uuml;rfni&szlig; herausstellen sollte,
+Afrika so ernstlich in Angriff zu nehmen, wie man es mit
+Amerika und j&uuml;ngst mit Australien gethan hat.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_2_2" id="Footnote_2_2"></a><a href="#FNanchor_2_2"><span class="label">[2]</span></a> Hunderttheilig.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_3_3" id="Footnote_3_3"></a><a href="#FNanchor_3_3"><span class="label">[3]</span></a> Rheinwein wird von den Engl&auml;ndern meist als Schaumwein getrunken.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_4_4" id="Footnote_4_4"></a><a href="#FNanchor_4_4"><span class="label">[4]</span></a> Fast Alles zahlt 4 Proc. nur einige Artikel 6 Proc.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_5_5" id="Footnote_5_5"></a><a href="#FNanchor_5_5"><span class="label">[5]</span></a> Als ich 1867 von Lagos nach Europa zur&uuml;ckkehrte, gelang es mir,
+Goro-N&uuml;sse ganz frisch heimzubringen. Unser nun verewigter Liebig, dem ich
+dieselben zur Untersuchung einschickte, fand die N&uuml;sse sehr reichhaltig an
+Coffein; au&szlig;erdem gelang es ihm, im botanischen Garten zu M&uuml;nchen aus
+einer der N&uuml;sse einen Baum heranzuziehen, der im vorigen Sommer
+schon eine H&ouml;he von 5 Fu&szlig; erreicht hatte und laut eines Briefes vom
+9.d.M. von Liebig fortf&auml;hrt, sehr gut zu gedeihen.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch4_Das_Gora-Gebirge_in_Central-Afrika" id="Ch4_Das_Gora-Gebirge_in_Central-Afrika"></a>4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika.</h2>
+
+
+<p>Einer der wichtigsten Gebirgsst&ouml;cke im bekannten Centralafrika
+ist das Gora-Gebirge, denn hier ist die Wasserscheide
+zwischen dem Tschad-See einerseits und dem m&auml;chtigen Niger
+andererseits. Zudem entspringt hier der Gongolaflu&szlig;, einer
+der bedeutendsten Nebenfl&uuml;sse des B&eacute;nue, sowie eine Menge
+kleinere Fl&uuml;sse, die direct in den B&eacute;nue (dieser ist der bedeutendste
+Nebenflu&szlig; des Niger, und vielleicht ebenso bedeutend
+als dieser) sich werfen.</p>
+
+<p>Das Gora-Gebirge erreicht eine absolute H&ouml;he von mehr
+als 7000 Fu&szlig; und besteht seiner Hauptmasse nach aus Granit,
+doch sind an den unteren Abh&auml;ngen auch alle anderen Gesteinsarten
+vertreten. Das Gebirge scheint sehr mineralisch zu
+sein, die Bewohner haben Antimon-, Zinn- und Eisenminen;
+&uuml;ber das Vorkommen von Gold ist den Eingebornen inde&szlig;
+nichts bekannt, noch weniger l&auml;&szlig;t sich sagen, ob Silber vorhanden
+sei, welches &uuml;berhaupt in Centralafrika noch nicht gefunden
+worden ist. Der Boden besteht fast durchweg aus
+einem festen r&ouml;thlichen Lehm und Thon, doch sieht man mitunter
+auch ausgedehnte Strecken mit schwarzem Humus bedeckt.
+Die hervorragendsten Berggipfel sind der Saranda, westlich
+von Bautschi (Jacoba) gelegen, der Goa- und der Gora-Knotenpunkt,
+von dem das ganze ausgedehnte Gebirge seinen Namen
+hat, und von dem die Wasser haupts&auml;chlich entspringen, welche
+dem Niger, B&eacute;nue und dem Tschad zueilen.</p>
+
+<p>Was Natursch&ouml;nheiten anbelangt, so wird es kaum ein
+Gebirge geben, welches hierin die Goraberge &uuml;bertrifft. Ueberall
+bewaldete H&ouml;hen, oft steil emporragende Felsen, rieselnde B&auml;che,
+spritzende Wasserf&auml;lle, herrliche Steilschluchten. Hie und da
+wieder ein St&uuml;ck Ackerland um kleine Ortschaften herumliegend,
+&uuml;ppige G&auml;rten mit Bananen, Gundab&auml;umen, Erdn&uuml;ssen und
+einigen Gem&uuml;sen&mdash;dies das Gesammtbild, wie sich das
+Gora-Gebirge dem Wanderer zeigt. Ja, wenn nicht die eigenth&uuml;mlichen
+konischen D&auml;cher der H&uuml;tten, welche jene Negerd&ouml;rfer
+zusammensetzen, wenn nicht bei n&auml;herer Betrachtung die
+einzelnen B&auml;ume der dichten W&auml;lder, wenn nicht hie und da
+die schwarze Gestalt eines mit Bogen und Pfeil bewaffneten
+Eingeborenen einen daran erinnerten, da&szlig; man sich zwischen
+dem 9. und 11. Grade N. Br. bef&auml;nde, so w&uuml;rde man eher
+glauben, in einer &uuml;ppigen europ&auml;ischen Gebirgslandschaft zu
+sein, als in einer afrikanischen Tropengegend.</p>
+
+<p>Bis auf den Kamm des Gebirges hat man es meist mit
+denselben B&auml;umen zu thun, wie sie in Bornu vorkommen, aber
+darunter befinden sich manche fruchttragende, die in den Tschadebenen
+nicht vorkommen. Auf der westlichen Seite treten hingegen
+die Baumarten in den Vordergrund, wie sie das Nilthal
+vorzugsweise aufweist, und namentlich sind es ausgedehnte
+W&auml;lder des Butterbaumes, <i>Bassia Parki</i>, die nun vorherrschen.
+In den niederen Theilen zeigen sich Bananen und der herrliche
+Gunda-Baum &uuml;berall wild. Indigo, zum Theil wild,
+Baumwolle und Tabak gez&uuml;chtet, kommen allerw&auml;rts vor. Der
+Wald liefert die Yams-Wurzeln, die auch gebaut werden,
+ebenso pflanzen die Eingeborenen in ihrem Garten Ingwer,
+verschiedene Zwiebeln, Erdn&uuml;sse und Kohlsorten.</p>
+
+<p>In einer so &uuml;ppigen Gegend ist nat&uuml;rlich die Thierwelt
+sehr reich vertreten: die niedere sowohl wie die gefl&uuml;gelte zeigt
+dem Europ&auml;er auf Schritt und Tritt Neues. Rei&szlig;ende Thiere,
+namentlich Panther und Leoparden, sind in den Schluchten der
+Berge nichts Seltenes, doch sind sie keineswegs so h&auml;ufig, da&szlig;
+dadurch irgendwie die Sicherheit der Reisenden gef&auml;hrdet w&uuml;rde.</p>
+
+<p>Sehr zahlreich sind allerdings die Hy&auml;nen und B&uuml;ffel vertreten;
+Giraffen kommen hier im Gebirge nirgends vor; Elephanten,
+Nash&ouml;rner und Flu&szlig;pferde treten erst am B&eacute;nue und
+Niger auf; ebenso fehlt hier der Gorilla-Affe, nur Paviane und
+Hundsaffen sind in erstaunlicher Menge vertreten. Wie &uuml;berall,
+wo das Land von Ameisen beherrscht wird, ist auch der
+Ameisenb&auml;r anzutreffen, und jene ungeheueren Thonpyramiden,
+welche man &uuml;ber das ganze Land zerstreut sieht, sind oft von
+der Kralle des Ameisenb&auml;rs angebohrt. Diese Pyramiden,
+von denen auch schon durch Photographie fixirte Ansichten
+existiren, verleihen der Landschaft einen eigenth&uuml;mlichen Reiz.
+Man beobachtet welche von einer H&ouml;he von &uuml;ber 20 Fu&szlig;.</p>
+
+<p>Die Bewohner des Gora-Gebirges sind echte Neger und
+geh&ouml;rten ehedem zum gro&szlig;en Reiche der Haussa-Neger. Bei
+der Invasion der Pullo wurden sie unterjocht, und jetzt bildet
+das Gora-Gebirge einen Theil des Kaiserreichs Sokoto. Zum
+Theil geh&ouml;rt es zu den K&ouml;nigreichen Bautschi und Kano, zum
+Theil zu denen von Saria und Keffi-abd-es-Senga, welche alle
+dem Kaiser von Sokoto unterthan sind.</p>
+
+<p>Mit Ausnahme der St&auml;dtebewohner gehen alle Eingeborenen
+vollkommen nackt und sind Heiden. Die Frauen tragen
+Ringe und Spangen um Arme und Fu&szlig;kn&ouml;chel, jedoch durchbohren
+sie die Ohrlappen nicht wie die europ&auml;ischen Frauen, ihr
+Haar tragen sie ohne Schmuck und kurz abgeschnitten, w&auml;hrend
+die M&auml;nner es nach Art der Bornu-Frauen helmartig zu einem
+Wulst zusammenwachsen lassen. Um den Leib tragen die Frauen
+einen Ledergurt der vorn und hinten mit Bl&auml;ttern behangen
+wird, um damit die Bl&ouml;&szlig;en zu bedecken; die M&auml;nner tragen
+ein Schurzfell, oft kunstvoll gestickt und mit vielen kleinen
+Muscheln geschm&uuml;ckt. Die M&auml;nner sind immer bewaffnet: ein
+Bogen, ein K&ouml;cher mit vergifteten Pfeilen und oft ein gerades,
+in Hagen oder Solingen verfertigtes Schwert macht ihre
+R&uuml;stung aus.</p>
+
+<p>Ihre Religion ist Fetischdienst, obschon die &uuml;ber sie herrschenden
+Pullo den Islam angenommen haben. Aber obgleich
+sie Heiden sind, stehen sie keineswegs auf einer ganz niederen
+Stufe der Cultur; ihre H&uuml;tten sind so regelm&auml;&szlig;ig und gut
+angelegt, da&szlig; man ihnen gewisserma&szlig;en Sinn f&uuml;r Architektur
+und Geschmack nachsagen mu&szlig;; der Boden ist eine Art Mosaik,
+welcher von den Frauen eingegossen und festgeklopft wird. Ihre
+Hauseinrichtungen, was T&ouml;pfe, Holzschnitzereien und andere
+Gegenst&auml;nde anbetrifft, sind kunstvoll und mit Eleganz gearbeitet,
+ihre Werkzeuge verfertigen sie selbst aus Eisen. Um im
+Winter auf den h&ouml;her gelegenen Bergtheilen sich besser gegen
+die K&auml;lte sch&uuml;tzen zu k&ouml;nnen, haben sie in ihren H&uuml;tten eigene
+th&ouml;nerne Feuerbetten angebracht. Dieselben bestehen aus
+th&ouml;nernen B&auml;nken, die inwendig hohl sind; hierin wird Feuer
+gemacht und so gew&auml;hren sie dem darauf liegenden, der die
+schroffe Hitze durch Felle und Matten d&auml;mpft, eine angenehme
+W&auml;rme.</p>
+
+<p>Einer der Hauptst&auml;mme ist der der Bolo-Neger, aber je
+mehr man nach dem S&uuml;den kommt, desto verschiedener werden
+die Bewohner, was Sprache anbetrifft, und fast t&auml;glich hat
+man einen anderen Stamm vor sich. Schon der Umstand,
+da&szlig; sie mich als ersten Wei&szlig;en unbehelligt ihr Gebirge durchziehen
+lie&szlig;en, spricht zu ihren Gunsten. Allerdings machte auf
+sie das Erscheinen eines Wei&szlig;en den gr&ouml;&szlig;ten Eindruck, und
+sie bekundeten das dadurch, da&szlig; h&auml;ufig M&auml;nner und Frauen
+herbeikamen, um mich zu bef&uuml;hlen, ob ich auch wirklich aus
+Fleisch und Blut sei, oder da&szlig; die ganze Jugend eines Ortes
+hinter uns drein zog und "<tt>Thoraua, Thoraua</tt>" (Wei&szlig;er,
+Wei&szlig;er) rief; aber nirgends war irgend von einem feindseligen
+Worte, geschweige einer beleidigenden Handlung gegen mich die
+Rede. Im Gegentheil, oft gab man mir zu verstehen, ich
+m&ouml;chte doch bald nach ihren Gegenden zur&uuml;ckkommen.</p>
+
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch5_Hoflichkeitsformen_und_Umgangsgebrauche_bei_den" id="Ch5_Hoflichkeitsformen_und_Umgangsgebrauche_bei_den"></a>5. H&ouml;flichkeitsformen und Umgangsgebr&auml;uche bei den Marokkanern.</h2>
+
+<p>"Es ssalamu alikum" ist die allgemeine Begr&uuml;&szlig;ung der
+Gl&auml;ubigen, der Araber, und folglich aller Marokkaner, die der
+allein seligmachenden Kirche Mohammeds anh&auml;ngen. "Alikum
+ssalam" ist die Antwort. Beiderseits mu&szlig; der Gru&szlig; immer
+mit sichtbarem Ernste, mit einer gewissen Feierlichkeit ausgesprochen
+werden; ein freundlich l&auml;chelndes Gesicht w&uuml;rde man
+f&uuml;r ganz unpassend halten.</p>
+
+<p>Wie die mohammedanische Religion am Ende weiter nichts
+will, als die ganze Menschheit unter <i>einen</i> religi&ouml;sen Hut
+bringen, und dies dadurch zu erreichen hofft, da&szlig; sie jeden
+anderen glauben als absolut falsch verwirft, so hat dieselbe
+auf alle V&ouml;lker, die den Islam bekennen, einen merkw&uuml;rdig
+nivellirenden Einflu&szlig; ausge&uuml;bt. Und wie haupts&auml;chlich Gewicht
+auf das <i>w&ouml;rtliche Glaubensbekenntni&szlig;</i> gelegt wird und
+eine fortschreitende <i>Entwickelung</i> in der Religion auf's
+Strengste verp&ouml;nt ist, so sehen wir, da&szlig; alle den Islam bekennenden
+V&ouml;lker dahin gekommen sind, wohin der Buchstabenglaube
+f&uuml;hrt: zur offenen Heuchelei, Scheinheiligkeit und zu
+einer entsetzlichen Verdummung und Verthierung des Volkes.</p>
+
+<p>Durch Alles, was die mohammedanischen V&ouml;lker thun und
+reden, zieht sich immer ein heuchlerischer, muckerhafter und
+pharis&auml;ischer Hauch, auch in H&ouml;flichkeiten. Der durch den Gebrauch
+Mohammed's geheiligte Gru&szlig;: "Der Gru&szlig; (Gottes) sei
+mit Euch" wird daher auch nie an Ungl&auml;ubige verschwendet.
+Ein &auml;chter Mohammedaner w&uuml;rde glauben, ewig verdammt zu
+werden, wenn er hierin nicht einen strengen Unterschied machte.
+Tritt er in eine Versammlung, wo Juden und Christen zugegen
+sind, so unterl&auml;&szlig;t er nie zu sagen: "<tt>Ssalam-ala-hali</tt>,"
+Gru&szlig; meinen Leuten, oder will er den Unterschied noch mehr
+hervortreten lassen, so sagt er: "<tt>Ssalam-ala-hal-es-ssalam</tt>,"
+Gru&szlig; den Leuten des Gru&szlig;es, d.h. den Mohammedanern, da
+selbstverst&auml;ndlich den ungl&auml;ubigen Hunden kein Gru&szlig; zukommt.
+Oder auch man sagt. "Gru&szlig; Denen, welche die Religion befolgen,"
+womit selbstverst&auml;ndlich die allein seligmachende Religion
+des Islam gemeint ist, alle anderen Religionen, die
+christliche, die j&uuml;dische &amp;c., f&uuml;hren den Menschen direct vom
+Diesseits in die H&ouml;lle.</p>
+
+<p>Will ein Marokkaner recht h&ouml;flich gegen einen Christen oder
+Juden sein, d.h. ihn beim Begegnen zuerst anreden, so sagt
+er wohl: "<tt>Allah-iaunek</tt>," Gott helfe dir, oder auch: Gott
+gebe dir zu essen. Nie aber w&uuml;rde er einen Glaubensgenossen
+so anreden, denn Alles, auch die H&ouml;flichkeitsbezeigungen, sind
+streng vorgeschriebene Redensarten und Handlungen.</p>
+
+<p>Und es ist eigenth&uuml;mlich: w&auml;hrend &auml;u&szlig;erlich eine gewisse
+Gleichheit der Menschen zu existiren scheint,&mdash;denn der &auml;rmste
+Mann im Lande ist nicht sicher, eines Tages zum ersten
+Minister oder gar zum Sultan, zum Chalif (des gn&auml;digen
+Herrn Mohammed) gemacht zu werden,&mdash;herrscht dennoch ein
+strenger Unterschied in den F&ouml;rmlichkeiten und Gebr&auml;uchen des
+Umgangs zwischen Hohen und Niedern, zwischen Armen und
+Reichen, zwischen Schriftgelehrten und Laien, zwischen Sch&uuml;rfa<a name="FNanchor_6_6" id="FNanchor_6_6"></a><a href="#Footnote_6_6" class="fnanchor">[6]</a>
+und anderen gew&ouml;hnlichen Sterblichen. Ist es nicht &auml;hnlich
+so in der p&auml;pstlichen Kirche? Der Sultan von Marokko betrachtet
+sich als den rechtm&auml;&szlig;igen Nachfolger Mohammeds, als
+seinen Verweser auf Erden. Seiner Idee nach geh&ouml;rt von
+Rechtswegen die ganze Erde ihm: "Jeder kann Sultan oder
+Beherrscher der Gl&auml;ubigen werden, vornehmlich aber die vom
+Blute Mohammeds"<a name="FNanchor_7_7" id="FNanchor_7_7"></a><a href="#Footnote_7_7" class="fnanchor">[7]</a>. Der Papst andererseits betrachtet sich als
+rechtm&auml;&szlig;igen Nachfolger Petri (oder als Stellvertreter Jesu Christi,
+d.h. eigentlich Gottes), seiner Meinung nach geh&ouml;rt von Rechtswegen
+die Herrschaft &uuml;ber die ganze Erde ihm, jeder kann Papst
+werden, der den Laienstand mit dem schwarzen Gewande vertauscht;
+wie der Sultan von Marokko, behauptet er, nicht fehlen zu
+k&ouml;nnen. Wo ist da der Unterschied vor dem <i>unparteiischen</i>
+Menschen? Aber eben so gro&szlig;, wie er in der p&auml;pstlichen Kirche
+zwischen dem mit dreifach goldener Krone bedeckten Papste und
+dem einfachsten Priester der Kirche oder gar dem Bettler ist,
+so gro&szlig; ist auch der Abstand zwischen dem von seinen tausend
+Weibern umgebenen Sultan und dem &auml;rmsten Faki des mohammedanischen
+Reiches.</p>
+
+<p>Wie es bei uns verschiedene Anreden giebt, so auch bei den
+Marokkanern. Der Sultan hat den Titel <i>Sidina</i>, unser
+"gn&auml;diger Herr"; der Scherif, d.h. ein Nachkomme Mohammeds,
+den Titel <i>Sidi</i> oder <i>Mulei</i>, d.h. mein Herr; eine
+Scheriffrau den Titel <i>Lella</i>; einen andern Menschen redet
+man mit <i>Si</i>, <i>Herr</i>, an, welches Si dem Namen vorgesetzt
+wird, <i>aber nur, wenn er lesen und schreiben kann</i>.
+Andere ganz gew&ouml;hnliche Menschen nennt man einfach bei
+Namen, sowohl M&auml;nner und Frauen, wie Kinder. Will man
+solche rufen, so kann man ohne zu versto&szlig;en, falls der Mann
+unbekannt ist, sagen: <tt>ia radjel</tt>, o Mann; <tt>ia marra</tt>, o
+Frau; <tt>ia uld</tt>, o Sohn; <tt>ia bent</tt> oder <tt>ia bekra</tt>, o Tochter,
+o Jungfrau.</p>
+
+<p>Man mu&szlig; sich wohl h&uuml;ten, in Marokko den Titel <i>Sidi</i>,
+mein Herr, gew&ouml;hnlichen Menschen zu geben, nur die Juden
+m&uuml;ssen alle Gl&auml;ubigen so anreden. Auch die Minister, Agha,
+Kaid, Mufti, Kadi, Imam u.s.w. haben, falls sie nicht Sch&uuml;rfa
+sind, kein Recht auf den Titel Sidi.</p>
+
+<p>Beim <i>Begr&uuml;&szlig;en</i> sagt man bis Mittag: Dein Tag sei
+gut; von Mittag bis Abend: Dein Abend sei gut. Zu jeder
+Stunde kann man sagen: Sei willkommen.</p>
+
+<p>Wenn auch vollkommen Unbekannte beim ersten Anreden
+sich duzen, so ist das Duzen doch nicht ausschlie&szlig;lich im Gebrauch.
+Es w&uuml;rde unschicklich sein, den Sultan anders anzureden,
+als in der zweiten Person Pluralis, ebenso lieben es
+auch vornehme Personen, namentlich Religionsm&auml;nner, sich in
+der zweiten Person Pluralis anreden zu lassen. Auch Kinder
+pflegen ihre Eltern mit "Ihr" anzureden. Der gebr&auml;uchlichste
+Gru&szlig;, <tt>es ssalamu alikum</tt>, ist ebenfalls in der zweiten
+Person Pluralis.</p>
+
+<p>Da eine Begr&uuml;&szlig;ung zwischen Leuten, die sich seit Langem
+nicht gesehen, immer unendlich lange dauert, manchmal eine
+halbe Stunde, so hat man die verschiedensten Redensarten, um
+sich nach dem wechselseitigen Befinden zu erkundigen., "Wie
+ist dein Zustand?" "Wie ist deine Zeit?" "Wie bist du?" "Wie
+ist dein Wie?" "Wie bist du gemacht?" u.s.w. Alle diese
+Redensarten werden mit monotoner Stimme wiederholt und
+man hat wohl Acht, dieselben mit h&auml;ufigen "Gott sei gelobt",
+"o gn&auml;diger Herr Mohammed" zu untermischen. Je &ouml;fterer
+man Letzteres thut, desto besser und frommer glaubt man zu
+sein und f&uuml;r desto heiliger wird man gehalten.</p>
+
+<p>Es w&uuml;rde ein gro&szlig;es Verbrechen sein, bei den Leuten
+arabischen Blutes sich nach dem Befinden der Frau des Anderen
+zu erkundigen. Und wenn sie am Rande des Grabes
+st&auml;nde, d&uuml;rfte man das nicht direct thun. Selbst der Vater,
+der Bruder w&uuml;rde es nicht f&uuml;r decent halten, seinen Schwiegersohn,
+seinen Schwager ohne Umschweife nach der Gesundheit
+seiner Tochter, seiner Schwester zu fragen.</p>
+
+<p>Da aber der Marokkaner ebenso gut den Trieb der Neugier
+besitzt, wie wir, so braucht er dann allerlei Umwege, um
+sich nach dem Befinden einer Frau zu erkundigen: "Wie befinden
+sich Adams Kinder?" d.h. alle Menschen, die Frauen
+also auch; oder: "Wie geht es dem Zelte?" d.h. mit Allem
+was darin ist; oder: "Wie geht es der Familie?"&mdash;"Wie befinden
+sich deine Leute?" u.s.w.</p>
+
+<p>Der <i>Ku&szlig;</i> ist allgemein verbreitet. Dennoch kennt man
+nicht den Ku&szlig; der Liebe: den auf den Mund. Man begegnet
+einander, ergreift die Rechte, ohne sie zu dr&uuml;cken, und k&uuml;&szlig;t sodann
+seinen <i>eigenen</i> Zeigefinger. Will man &uuml;ber die Begegnung
+recht seine Freude ausdr&uuml;cken, so wird diese Procedur
+sechs- bis achtmal wiederholt. Ein Untergebener k&uuml;&szlig;t einem Vornehmen
+den Saum seines Kleides oder ist dieser zu Pferde,
+das Knie, die F&uuml;&szlig;e; ist der zu Begr&uuml;&szlig;ende ein gro&szlig;er Heiliger,
+so kann man auch dessen Pferd oder irgend einen beliebigen
+ihm geh&ouml;rigen Gegenstand k&uuml;ssen.</p>
+
+<p>Wei&szlig; der Vornehme oder der Heilige, da&szlig; der Begr&uuml;&szlig;er
+Geld hat oder Geld schenken will, so giebt er wohl seine Hand
+zum K&uuml;ssen, legt dieselbe segnend auf den Kopf oder wehrt
+die dem&uuml;thige Geberde des Begr&uuml;&szlig;ers mit Worten ab. Ist
+ein Untergebener zu Pferde, so steigt er schon von Weitem ab,
+um einen h&ouml;her Stehenden zu begr&uuml;&szlig;en. Zwei Gleiche k&uuml;ssen
+sich wohl die Wangen, und will ein Vornehmer oder ein Heiliger
+Jemand besonders auszeichnen, so k&uuml;&szlig;t er diesem die
+Stirn. Kommt ein Vornehmer, so erheben sich alle Anwesenden
+und verbeugen sich mit vor der Brust gekreuzten Armen.
+Vor dem Sultan, vor dem Gro&szlig;scherif kann man sich auch auf
+die Erde werfen, wie beim Gebet, und die Stirn auf den Boden
+dr&uuml;cken: "<tt>Allah-itohl-amreck</tt>!" Gott verl&auml;ngere die Existenz
+deiner Seele, ruft man.</p>
+
+<p>Der Marokkaner verl&auml;&szlig;t eine Versammlung ohne Gru&szlig;;
+nur wenn er auf l&auml;ngere Zeit verreisen wollte, w&uuml;rde er es
+f&uuml;r n&ouml;thig halten, sich f&ouml;rmlich und durch Worte zu verabschieden.
+Ist aber ein sehr vornehmer Mann, ein Heiliger
+in der Versammlung, so geht man zu ihm, k&uuml;&szlig;t seine Knie,
+seine Hand oder den Saum seines Kleides und verabschiedet
+sich dann, ohne ein Wort zu sagen.</p>
+
+<p>Schon an anderen Orten ist darauf hingewiesen worden,
+wie die marokkanische Geistlichkeit, wenn von einer solchen die
+Rede sein kann, ebensoviel auf &auml;u&szlig;ere Ehrenbezeigungen h&auml;lt,
+wie die der europ&auml;ischen Christenheit. Wenn es auch dort
+nicht Sitte ist, da&szlig; sie sich kenntlich macht von den Laien durch
+besondere Tracht (schwarzer Anzug, wei&szlig;e Cravate), so liebt
+es doch Jeder, der sich vorzugsweise dem Studium der Religion
+hingiebt, da&szlig; man ihn zuerst gr&uuml;&szlig;t, da&szlig; er den Ehrenplatz
+erh&auml;lt und da&szlig; man auf ihn die meiste R&uuml;cksicht nehme. In
+einem so durch die Religion fanatisirten Lande ist es daher
+jedem Reisenden dringend anzurathen, sich mit dieser Klasse
+von Menschen gut zu stellen, und da die mohammedanische
+Geistlichkeit ebenso wie die christliche besondere Vorliebe f&uuml;r
+Geld hat, weil dieses als die erste Bedingung zur Herrschaft
+erscheint, so ist es wohl gerathen, den frommen Leuten davon
+soviel wie m&ouml;glich zukommen zu lassen. Wie richtig handelte
+z.B. Ali Bey in dieser Beziehung bei seinen Reisen durch
+Marokko.</p>
+
+<p>Alle H&ouml;flichkeitsbezeigungen in Marokko m&uuml;ssen in fromme
+Redensarten gekleidet sein. <tt>Allah-iatik-ssaha, Allah-iaunik</tt>,
+Gott gebe dir Kraft, Gott helfe dir, ruft man einem
+Arbeitenden zu, und wenn einer niest, so rufe ihm ein <tt>Nedjak-Allah</tt>,
+Gott rette dich, zu; der Niesende dankt mit "<tt>R'hamek-Allah</tt>",
+Gott sei dir gn&auml;dig.</p>
+
+<p>Eine Sitte oder vielmehr Unsitte existirt, die man in
+Europa auf's H&ouml;chste anst&ouml;&szlig;ig finden w&uuml;rde: das laute Aufsto&szlig;en
+w&auml;hrend des Essens und gleich hernach. Der Aufsto&szlig;ende
+ruft dann selbstgef&auml;llig "<tt>Stafhr-Allah</tt>", Gott verzeih' es,
+oder "<tt>Hamd-Allah</tt>". Gott sei gelobt. Er betrachtet das
+als Zeichen, da&szlig; der Appetit jetzt gestillt sei, und ebenso fassen
+die Mitessenden es auf, die ihn vielleicht heimlicherweise um
+dies seh- und h&ouml;rbare Zeichen seines gesunden Magens beneiden.
+Jedes Essen, jeder Trunk wird begonnen, wie &uuml;berhaupt
+Alles was man unternimmt, mit <tt>Bsm-Allah</tt>, im
+Namen Gottes. Und es w&uuml;rde vollkommen gegen alle Sitte
+sein, <i>aufrecht stehend</i> zu essen oder zu trinken. Dem Trinkenden
+wird ein: "<tt>Ssaha</tt>", Gesundheit, zugerufen.</p>
+
+<p>Es w&uuml;rde nicht nur ein Versto&szlig; gegen den guten Anstand
+sein, wollte man mit der linken Hand essen, sondern auch den
+Religionsvorschriften entgegen sein. Die linke Hand, welche
+zu gewissen Ablutionen benutzt wird, gilt f&uuml;r unrein, nur der
+<i>Teufel</i>, der sich aus religi&ouml;sen Vorschriften nichts macht, bedient
+sich seiner Linken. Man darf sich bei dem <i>Essen</i> nie
+des <i>Messers</i> bedienen, namentlich das Brod darf <i>nicht geschnitten</i>,
+sondern mu&szlig; <i>gebrochen</i> werden. Vor und nach
+dem Essen mu&szlig; man sich die H&auml;nde und nach dem Essen die
+H&auml;nde und den Mund aussp&uuml;len, aber sorgf&auml;ltig darauf achten,
+da&szlig; das zum Mundaussp&uuml;len benutzte <i>Wasser nur aus der
+hohlen Hand</i>, nicht aus einem Gef&auml;&szlig;e genommen wird.
+Zum Reinigen des Mundes bedient der wohlerzogene Mann
+sich nur des Daumens und Zeigefingers seiner Rechten. Man
+soll nicht zu schnell essen, und Derjenige, der einen Vornehmen
+oder h&ouml;her im Range Stehenden bei sich empf&auml;ngt, darf sich
+nicht mit an die Sch&uuml;ssel setzen, sondern mu&szlig; durch Aufwarten
+seine Sorgfalt f&uuml;r den Besuch bekunden. Der Besuchende selbst
+w&uuml;rde sehr gegen die Lebensart versto&szlig;en, wollte er sich um
+seine Bagage oder um seine Diener bek&uuml;mmern. Da&szlig; diese
+in Obhut genommen, da&szlig; die Dienerschaft mit Speise und
+Trank versehen, da&szlig; die Thiere abgef&uuml;ttert werden, darf ihn
+nicht k&uuml;mmern, es ist das Sache des Wirthes. Pr&auml;sentirt man
+dir eine Tasse Thee oder Kaffee, so trinke sie nicht rasch aus,
+sondern nimm das Getr&auml;nk <i>schl&uuml;rfend</i> zu dir; wenn du beim
+Speisen bist, so unterlasse es nie, die Hinzukommenden zum
+Mitessen einzuladen, und diese, falls sie gleiches Ranges sind,
+erzeigen sich als wohlerzogene Leute, wenn sie wenigstens einen
+<i>Bissen</i> mitessen, selbst wenn sie satt sind. Sind sie aber
+niederer Herkunft, so d&uuml;rfen sie das Anerbieten nicht annehmen;
+sind sie hungrig, so erfordert es der Anstand, sich zu setzen
+und zu <i>warten</i>, bis man ihnen die Ueberreste reicht.</p>
+
+<p>Gewisse Gebr&auml;uche, als von den unseren abweichend, sind
+noch besonders hervorzuheben:</p>
+
+<p>Man darf keinen brennenden Spahn mit dem Hauche ausl&ouml;schen,
+sondern nur durch Hin- und Herfahren durch die Luft.
+Wenn man Feuer verlangt zu einer Pfeife oder um Etwas
+anzuz&uuml;nden, so sage man nicht: "gieb mir Feuer," "<tt>attininar</tt>",
+denn "<tt>nar</tt>" bedeutet auch das h&ouml;llische Feuer, sondern
+man sagt: "<tt>attini-l'afiah</tt>". Das Wort "<tt>l'afia</tt>" bedeutet
+Leben, Gesundheit und Feuer, oder "<tt>attini-djemra</tt>", gieb mir
+eine Kohle.</p>
+
+<p>H&ouml;chst unanst&auml;ndig w&uuml;rde es sein, <i>aufrechtstehend</i> ein
+Bed&uuml;rfni&szlig; zu verrichten, man mu&szlig; das in hockender Stellung
+thun und hernach die Ablution nicht verabs&auml;umen, oder wo
+Wasser fehlt, die Ablution durch Sand vollziehen.</p>
+
+<p>Man vermeide, mit Schuhen ein Zimmer oder gar eine
+Moschee zu betreten; an der Schwelle der Th&uuml;r m&uuml;ssen sie
+zur&uuml;ckgelassen werden. Sobald man Jemand auf der Stra&szlig;e
+anreden will und hat ihm etwas Ausf&uuml;hrliches zu sagen, dann
+bleibe man nicht stehen, sondern hocke nieder, <i>denn im Stehen
+lange zu sprechen ist unanst&auml;ndig</i>.</p>
+
+<p>Einen Bittenden mu&szlig; man nie durch eine <i>abschl&auml;gige</i>
+Antwort beleidigen; "<tt>in-schah-Allah</tt>," so Gott will, sagt
+man, oder ist der Bittende zudringlich: "<tt>Rbi-atik</tt>", Gott wird
+<i>dir</i> geben; ein guter Mohammedaner darf keinen Zweifel an
+der Gro&szlig;muth Gottes hegen.</p>
+
+<p>Begeht man eine Ungeschicklichkeit, zerbricht oder wirft man
+aus Versehen Etwas um, <i>so verflucht man zuerst den
+Teufel</i>, denn der ist die Ursache alles Uebels; erst dann sagt
+man: "<tt>smah-li</tt>", verzeih mir, "<tt>ma-fi-schi-bass</tt>", ist kein
+Uebel dabei, erwiedert der Besitzer <i>laut, innerlich</i> aber den
+Urheber und Teufel zum Teufel w&uuml;nschend. Sehr bequem
+f&uuml;r alle Unf&auml;lle sind auch die Redensarten: "<tt>Mektub-Allah</tt>,"
+es war bei Gott geschrieben, oder "<tt>Hakum-Allah</tt>," es war
+von Gott befohlen, oder wenn man einen l&auml;stigen Frager durch
+eine gerade Antwort nicht befriedigen will: "<tt>Baid-alia, cha-bar-and-Allah</tt>",
+das ist weit von mir, Gott wei&szlig; es, oder
+"<tt>Arbi-iarf</tt>," Gott wei&szlig; es.</p>
+
+<p>Hat man sonst nichts zu thun, stockt eine Unterhaltung, so
+ruft man einfach: <tt>Allah</tt> oder <tt>Rbi</tt>, d.h. Gott, <i>Meister</i>,
+oder <tt>Allah-akbar</tt>, Gott ist der Gr&ouml;&szlig;te, oder man bezeugt,
+da&szlig; Gott ein einiger und Mohammed sein Gesandter ist, oder
+endlich, <i>man verflucht die Christen</i>. Grund und Anla&szlig;
+zu diesen Reden brauchen nicht vorhanden zu sein, es geh&ouml;rt
+aber zum <i>guten Ton</i>, sie so oft wie m&ouml;glich auszusto&szlig;en.</p>
+
+<p>F&uuml;r eine empfangene Wohlthat mu&szlig; immer gedankt werden,
+w&auml;re sie auch noch so gering: <tt>Allah-ikter-cheirek</tt>, Gott
+vermehre dein Gut, oder <tt>Allah-iberk-fik</tt>, Gott segne dich.</p>
+
+<p>Auf das Versprechen eines Marokkaners ist nichts zu geben,
+wenn er auch von H&ouml;flichkeit &uuml;berflie&szlig;en w&uuml;rde und die heiligsten
+Eide, wie "beim Haupte des Propheten, bei Gott dem
+Allm&auml;chtigen" &amp;c. geschworen hatte. Es erheischt dann aber
+auch die gute Sitte, da&szlig; man dergleichen Schw&uuml;re nicht genau
+nimmt, nicht daran erinnert.</p>
+
+<p>Ist man zum Besuche, so mu&szlig; man sich ja h&uuml;ten, die
+Gegenst&auml;nde oder den Besitz des Wirthes zu loben, es k&ouml;nnte
+das den Verdacht erwecken, als wolle man Etwas geschenkt
+haben. Thut man es ja, so f&uuml;ge man immer hinzu: <tt>Mabruk</tt>.
+Lobt man z.B. ein Pferd: <tt>mabruk el aud</tt>, das Pferd m&ouml;ge
+dir gl&uuml;cklich sein, oder lobt man ein Kind: <tt>Allah itohl
+amru</tt>, Gott verl&auml;ngere seine Existenz. Lobt man einen Abwesenden,
+so ist es h&ouml;flich, wenn man seine Eigenschaften vergleicht
+mit denen Desjenigen, zu dem man spricht: "ich traf
+letzthin mit Mohammed Ben Omar zusammen, der ebenso viel
+Geist, ebensoviel Ueberlegung besitzt, <i>wie du selbst</i>." Ueberhaupt
+ist es Norm, Jedem die gr&ouml;&szlig;ten Schmeicheleien geradezu
+ins Gesicht zu sagen: "Bei Gott, wie geistreich du bist, Niemand
+ist, wenn es Gott gef&auml;llt, so gro&szlig;m&uuml;thig, wie du; ich habe,
+Gott stehe mir bei, noch keinen so guten Reiter gesehen, wie
+du einer bist" u.s.w. Der Geschmeichelte antwortet mit
+"<tt>Kulschi-and-Allah</tt>", Alles steht bei Gott, oder mit sonst
+einer frommen Redensart.</p>
+
+<p>Bei gewissen Ereignissen im menschlichen Leben haben die
+Marokkaner ihre unver&auml;nderlichen H&ouml;flichkeitsphrasen. Bei
+einer Verheirathung: "Gebe Gott, da&szlig; sie dein Zelt f&uuml;lle"
+(mit Kindern). Wenn ein m&auml;nnlicher Spr&ouml;&szlig;ling geboren
+wird: "Das Kind m&ouml;ge dir Gl&uuml;ck bringen." Zu einem Erkrankten:
+"Sorge nicht, Gott hat die Zahl deiner Krankheitstage
+gez&auml;hlt;" zu Einem, der im Gefecht verwundet wurde:
+"Du bist gl&uuml;cklich, Gott hat dich gezeichnet, um dich nicht
+(beim j&uuml;ngsten Gericht oder beim Eintritt ins Paradies) zu
+vergessen." Will man Jemand &uuml;ber den Verlust eines Angeh&ouml;rigen
+tr&ouml;sten: "Seit dem Tage, wo er empfangen wurde,
+stand sein Tod im Buche Gottes", oder: "es war bei Gott
+geschrieben."</p>
+
+<p>Ueber den Verlust der Frau tr&ouml;stet man noch besonders
+mit: "Halt deinen Schmerz an, Gott wird diesen Verlust ersetzen."</p>
+
+<p>Alle diese Redensarten sind <i>unver&auml;nderlich</i>, wie bei
+uns "guten Tag", "wie gehts" &amp;c. Die Marokkaner haben
+aber auch noch andere Mittel, um sich unbemerkt oder durch
+Zeichensprache ihre Gedanken mitzutheilen. Zum Beispiel in
+einer Versammlung w&auml;re es vielleicht w&uuml;nschenswerth, irgend
+Jemand &uuml;ber die Gesinnung oder Absicht dieses oder jenes
+aufzukl&auml;ren. Er blinzelt ihm mit dem Auge zu, reibt die
+beiden Zeigefinger an einander, d.h. wir sind oder ihr seid
+Freunde und verstehen uns oder ihr seid Gesinnungsgenossen.
+Ein <i>kreuzweises S&auml;gen der beiden Zeigefinger</i> w&uuml;rde
+Feindschaft andeuten. Dergleichen conventionelle Zeichen haben
+die Marokkaner sehr viele, wodurch sie reden k&ouml;nnen, ohne
+damit in eine allgemeine Unterhaltung eingreifen zu m&uuml;ssen.
+Und es wird keineswegs als ein Act der Unh&ouml;flichkeit betrachtet,
+sich solcher Zeichen zu bedienen.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_6_6" id="Footnote_6_6"></a><a href="#FNanchor_6_6"><span class="label">[6]</span></a> Nachkommen des Mohammed.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_7_7" id="Footnote_7_7"></a><a href="#FNanchor_7_7"><span class="label">[7]</span></a> Sollte ja Einer auf den Thron kommen, der nicht Scherif w&auml;re,
+so w&uuml;rde er kraft der Infallibilit&auml;t, die jeder Sultan der Gl&auml;ubigen besitzt,
+schon Papiere beibringen, um zu beweisen, da&szlig; er doch Mohammeds
+Blut in seinen Adern habe.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch6_Beitrag_zur_Kenntni_der_Sitten_der_Berber" id="Ch6_Beitrag_zur_Kenntni_der_Sitten_der_Berber"></a>6. Beitrag zur Kenntni&szlig; der Sitten der Berber in Marokko.</h2>
+
+<p>Die Berber, welche Nordafrika und besonders den nordwestlichen
+Theil des Atlas von Marokko bewohnen, haben
+mehr als andere dem Islam huldigende V&ouml;lker ihre eigenen
+Sitten und Gebr&auml;uche beibehalten. Zum gro&szlig;en Theile ist
+die Gemeinsamkeit der Sprache Ursache dieser Eigenth&uuml;mlichkeit;
+denn wie gro&szlig; auch der Raum ist, den die Berbersprache
+einnimmt, vom atlantischen Ocean bis zum rothen Meere, so
+sind die Dialekte derselben keineswegs der Art, da&szlig; nicht eine
+Verst&auml;ndigung zwischen den verschiedenen St&auml;mmen m&ouml;glich
+w&auml;re.</p>
+
+<p>Vorzugsweise finden wir aber Berber in Marokko, denn
+es d&uuml;rften von der Gesammtbev&ouml;lkerung des Landes zwei
+Drittel berberischen und nur ein Drittel arabischen Blutes
+sein: schlank von Wuchs, wei&szlig; von Hautfarbe, zeigen die Berber
+&uuml;berhaupt alle die Merkmale, die wir gewohnt sind, der
+kaukasischen Race beizulegen; da&szlig; sie die Abk&ouml;mmlinge der
+alten Mauren oder Numider sind, welche unter verschiedenen
+Namen, als G&auml;tuler, Autolaler &amp;c., fast dieselben Gegenden
+inne hatten, die wir heute von den Berberst&auml;mmen bewohnt
+sehen,&mdash;daran zweifelt Niemand.</p>
+
+<p>So finden wir denn auch heute die Berber so leben, wie
+sie es vor tausend Jahren gewohnt waren, d.h. ein Theil
+von ihnen wohnt in St&auml;dten, wenn man gr&ouml;&szlig;ere befestigte
+Ortschaften so nennen will, ein anderer Theil aber wohnt
+nomadisirend, wie das Mela am Schlusse seines dritten Buches
+schon hervorhebt: <tt>hominum pars silvas frequentant et&mdash;pars
+in ubibus agunt</tt>, und da&szlig; heute noch dieselben Verh&auml;ltnisse
+in Bezug auf dies Land und diese V&ouml;lker gang und
+gebe sind, da&szlig; wir auch heute kaum mehr vom Inneren Marokkos
+wissen, als unsere geistigen Vorfahren, die Griechen
+und R&ouml;mer, das wird dann klar, wenn wir die Worte des
+Plinius unterschreiben: "ich wundere mich aber nicht sehr,
+da&szlig; Rittern und Denen, welche aus diesem Orden in den
+Senat traten, Manches unbekannt geblieben war; aber dar&uuml;ber
+wundere ich mich, da&szlig; es auch der Luxus nicht erforscht hat.
+Die Macht desselben ist die wirksamste und gr&ouml;&szlig;te. Denn
+man durchsucht ja die W&auml;lder um Elfenbein, und alle g&auml;tulischen
+Klippen um Stachel- und Purpurschnecken<a name="FNanchor_8_8" id="FNanchor_8_8"></a><a href="#Footnote_8_8" class="fnanchor">[8]</a>."</p>
+
+<p>Ist es nicht, als ob dieser Passus heute geschrieben sei?
+Auch heute, wo der Luxus noch die gr&ouml;&szlig;te Macht ist, ist es
+demselben nicht gelungen, Marokko der Civilisation zu &ouml;ffnen,
+vielleicht aber auch, weil eben der rechte Luxusartikel, der gerade
+den Bewohnern genehm w&auml;re, noch nicht gefunden worden
+ist.</p>
+
+<p>Der vor ohngef&auml;hr tausend Jahren den Berbern aufgedrungene
+Islam hat wenig, oder fast kann man sagen, gar
+keine Ver&auml;nderungen in den Anschauungen und in der Lebensweise
+der Berber hervorgebracht. Die Lehre Mohammeds, <i>nur</i>
+in der arabischen Sprache gelehrt, ist f&uuml;r diese V&ouml;lker, von
+denen nur ausnahmsweise ein Individuum der Koransprache
+m&auml;chtig ist, ein todter Buchstabe geblieben; sogar die &auml;u&szlig;eren
+Vorschriften und Gebr&auml;uche, die der Prophet seinen Anh&auml;ngern
+vorgeschrieben hat, sind f&uuml;r Berber nicht vorhanden.</p>
+
+<p>Nur Eins hat der Islam auch zur Folge gehabt, was ja
+&uuml;berhaupt allen hierarchischen Religionen nur eigen ist und
+ohne das sie nicht w&uuml;rden existiren k&ouml;nnen: das Verdammen
+einer jeden anderen Religion und Ha&szlig; und Verachtung gegen
+alle Die, welche nicht das glauben, was man selbst glaubt.
+Nat&uuml;rlich schlie&szlig;t das ein, da&szlig; man die eigne Lehre, den eignen
+Glauben f&uuml;r den allein richtigen und allein seligmachenden
+h&auml;lt.</p>
+
+<p>Deshalb ist denn auch die Feindschaft, welche Berber gegen
+andere V&ouml;lker hegen, fast nur eine aus der Religion entspringende;
+obschon sie nichts vom eigentlichen Islam verstehen,
+hassen und befeinden sie alle die V&ouml;lker, die eine andere Religion
+haben.</p>
+
+<p>Es ist daher falsch, wenn Richardson und andere Reisende
+behauptet haben, da&szlig; die in Marokko unter den Berbern ans&auml;ssigen
+Juden besser gehalten seien, als die unter den Arabern
+wohnenden. Die Unterdr&uuml;ckung derselben, ihre schimpfliche
+Stellung ist unter den Berbern ebenso gro&szlig; und in die Augen
+springend, wie unter den Arabern.</p>
+
+<p>Was das h&auml;usliche Leben anbetrifft, so liegt zwischen Berbern
+und den &uuml;brigen Mohammedanern der wesentlichste Unterschied
+in der Stellung der Frau; aber auch in allen &uuml;brigen,
+die Sitten und Gebr&auml;uche betreffenden Dingen lassen die Berber
+bis zum heutigen Tage sich vielmehr vom <i>Herkommen</i>
+leiten, als von den Gesetzen des Koran. Aus diesem haben
+sie eben nur <i>das</i> angenommen, was ihrer Eitelkeit und Einbildungskraft
+schmeichelte. So pflegt denn auch die Heirath
+vollkommen nach dem Herkommen, el Ada genannt, stattzufinden.
+Inde&szlig; hat die Frau dennoch nicht die gleichberechtigte
+Stellung, wie sie die Frau heute bei <i>uns</i> einnimmt, sondern
+wird mehr als Eigenthum des Mannes, als etwas zum &uuml;brigen
+Verm&ouml;gen Geh&ouml;rendes betrachtet.</p>
+
+<p>In der Heirath <i>nach uraltem Brauche</i>, <tt>Suadj el Djidi</tt>
+oder Gaislein-Heirath, so genannt, weil das Schlachten eines
+jungen Zickleins die eheliche Verbindung besiegelt, verpflichtet
+sich der Gatte, dem Vater seiner Zuk&uuml;nftigen 60 Metkal zu
+zahlen. Hat er das Geld nicht disponibel, so z&auml;hlt er auf
+seine Freunde, und am Schlachttage verfehlen diese auch nicht,
+sich einzustellen und Jeder legt dem Freier ein kleines Geschenk
+zu F&uuml;&szlig;en. Im Fall der Freier gar keinen Wohnsitz hat, beeilen
+sie sich, Steine herbeizubringen; ein Haus, wir w&uuml;rden
+sagen ein Stall, w&auml;chst schnell aus der Erde, schlanke Alo&euml;-St&auml;mme
+giebt es genug als Geb&auml;lk und die gro&szlig;en und
+langen Rindenst&uuml;cke der Korkeiche bedecken die Wohnung.
+Wenn aber die zur Ehe Verlangte von den Angeh&ouml;rigen dem
+Freier aus irgend einem Grunde verweigert wird<a name="FNanchor_9_9" id="FNanchor_9_9"></a><a href="#Footnote_9_9" class="fnanchor">[9]</a>, dann
+m&uuml;ssen sie, falls der Liebende auf seinem Heirathsprojecte
+besteht, wohl aufpassen, da&szlig; sie ihm keine Gelegenheit geben,
+sich der Wohnung der Geliebten zu n&auml;hern. Thut und kann
+er das, gelingt es ihm, unvermerkt auf der Schwelle seiner
+Ersehnten ein Gaislein zu opfern, dann ist sie ohne Widerruf
+mit ihm verlobt und ihre Anverwandten w&uuml;rden sich der
+Mi&szlig;billigung, ja der Feindschaft Aller aussetzen, wollten sie
+jetzt noch der Heirath hemmend in den Weg treten.</p>
+
+<p>In einigen Triben ist es Sitte, da&szlig; die sich Verm&auml;hlende
+vor der Hochzeit von ihren Verwandten auf einem Maulthiere
+durch das Dorf oder durch den Duar (Zeltdorf) gef&uuml;hrt
+wird. Ueberall ert&ouml;nt das gellende Geschrei und Gejauchze
+der Frauen, die jungen Leute lassen flei&szlig;ig das Pulver
+sprechen. Vor jedem Hause, vor jedem Zelte, vor welchem
+sie vorbei kommt, beeilt man sich, eine kleine Gabe herauszutragen:
+hier sind in einem Strohteller gro&szlig;e Bohnen, dort
+wird Gerste, hier werden trockene Feigen, dort Rosinen pr&auml;sentirt.
+Die junge Dame nimmt von allen Sachen eine Hand
+voll, k&uuml;&szlig;t sie und wirft dann das Ergriffene auf den Teller
+zur&uuml;ck. Aber hinterher schreitet irgend eine ihrer &auml;lteren
+Verwandten, die nun Alles in einen gro&szlig;en Sack einheimst:
+zur Aussteuer f&uuml;r die Neuverm&auml;hlten.</p>
+
+<p>Sobald man sich der Wohnung oder dem Zelte des Gatten
+n&auml;hert, wird die Braut von anderen Frauen umringt, sie
+geben ihr einen Topf mit fl&uuml;ssiger Butter, in die sie die H&auml;nde
+tauchen mu&szlig; als Zeichen des steten Ueberflusses im Haushalte,
+und sodann ein Ei, welches sie zwischen den Ohren des Maulthieres
+zerschlagen mu&szlig;, um dadurch b&ouml;se Zaubereien unsch&auml;dlich
+zu machen. An der Schwelle der Wohnung pr&auml;sentirt
+man der Frau einen Trunk Buttermilch und sie selbst ergreift
+eine Hand voll Korn und Salz um dasselbe ebenfalls als
+Zeichen des Reichthums und Segens rechts und links auszustreuen.</p>
+
+<p>Jetzt ergreift der Mann Besitz von seiner Braut und zum
+Zeichen schie&szlig;t er in unmittelbarer N&auml;he vor ihren F&uuml;&szlig;en eine
+Flinte ab, er ergreift das junge M&auml;dchen und zieht sie ins
+Innere der Wohnung, w&auml;hrend die Verwandten sich zur allgemeinen
+Belustigung zur&uuml;ckziehen. Ein zweiter Schu&szlig; im
+Innern der Behausung ert&ouml;nt, Zeichen, da&szlig; die Heirath vollzogen
+ist; die junge Frau erscheint bald darauf an der Hand
+ihres Gatten, Tanz und Schmausereien, woran das junge
+Paar Theil nimmt, beschlie&szlig;en die Festlichkeit.</p>
+
+<p>Die Frau ist, wie gesagt, ein Besitz, wie jedes andere
+Eigenthum des Mannes, wenigstens bei gewissen St&auml;mmen
+des Atlas. Stirbt ihr Mann, so wird der m&auml;nnliche Anverwandte,
+der der Wittwe zuerst seinen Ha&iuml;k (gro&szlig;es wollenes Umschlagtuch)<a name="FNanchor_10_10" id="FNanchor_10_10"></a><a href="#Footnote_10_10" class="fnanchor">[10]</a>
+&uuml;berwirft, ihr rechtm&auml;&szlig;iger Gemahl.
+Zugleich ist er aber auch verpflichtet, f&uuml;r die etwaigen Kinder
+zu sorgen und deren Verm&ouml;gen zu verwalten.</p>
+
+<p>Scheidungen finden bei den Berbern statt, aber nie auf so
+leichte und grundlose Weise, wie bei den Arabern oder sonstigen
+Mohammedanern, wie denn &uuml;berhaupt alle Berber, m&ouml;gen
+sie nun unter dem Namen Tuareg bei Timbuktu wohnen oder
+als Kabylen im Djurdjura hausen, entschiedene Feinde der
+Polygamie sind. Grund zur Scheidung ist Kinderlosigkeit
+(Berber wie Araber halten Kinderlosigkeit immer f&uuml;r Sterilit&auml;t
+der Frauen); der Vater der zur&uuml;ckgeschickten Frau mu&szlig; das
+Morgengeld wieder herausgeben. Ebenso, falls die Frau Infirmit&auml;ten
+bei der Verheirathung zeigte oder gar schon ihre
+Virginitas verloren hat, kann sie darauf rechnen, auf der
+Stelle zur&uuml;ckgeschickt zu werden.</p>
+
+<p>Die Tochter ist manchmal dazu bestimmt, das Leben ihres
+Vaters oder Bruders mittelst ihrer Sclaverei zu erkaufen,
+aber nie w&uuml;rde sie f&uuml;r einen Oheim, Gro&szlig;vater, Vetter oder
+sonstigen noch entfernteren Verwandten mit ihrer Person eintreten
+k&ouml;nnen; auch herrscht diese Sitte nur bei einigen Berberst&auml;mmen.
+Jemand begeht z.B. einen Mord oder Todtschlag
+in einer anderen Familie, hat aber nicht die Mittel,
+um die Diya, d.h. das Blutgeld, bezahlen zu k&ouml;nnen; will
+er nun nicht selbst das Leben opfern, so kann er dem anderen
+Stamme seine Tochter oder Schwester als Sclavin &uuml;berlassen.
+Diese verliert dadurch v&ouml;llig die Rechte einer Freien, wird
+ebenso angesehen, wie eine Chadem (schwarze Sclavin) und ist
+nun vollkommen Eigenthum der anderen Familie geworden.
+Aber oft genug kommt es vor, da&szlig; die Sclavin, wenn sie jung
+und h&uuml;bsch ist, das Herz eines J&uuml;nglings ihrer neuen Herrschaft
+erobert, ihn heirathet, dadurch frei und dann zugleich
+das Freundschaftsband zwischen zwei ehemals feindlichen St&auml;mmen
+wird.</p>
+
+<p>Es kommt h&auml;ufig vor, da&szlig; zwei M&auml;nner einen Tausch
+mit ihren Frauen auf ganz friedliche Weise zu Wege bringen;
+derjenige, der das in Beider Augen h&auml;&szlig;lichere und weniger
+werthvolle Weib besitzt, d.h. ein solches, welches weniger jung
+und fett als das des Anderen ist, mu&szlig; einiges Gold darauf
+zahlen. Hat aber Jemand seine Tochter einem jungen Manne
+versprochen und l&auml;&szlig;t sich nachher durch Habgier bewegen, sein
+Wort nicht zu halten, so entsteht Krieg. Die ganze Familie,
+die ganze Tribe nimmt sich sodann des Br&auml;utigams an und
+sucht mit Gewalt dessen Anspr&uuml;che geltend zu machen. Ehebruch
+und Verf&uuml;hrungen sind &auml;u&szlig;erst selten, und obschon in
+rohen Formen, halten die Berber gro&szlig;e St&uuml;cke auf Familienleben.
+Aus einer im October 1858 ver&ouml;ffentlichten Gesetzgebung
+der Kabylen vom Orte Thaslent ersehen wir auch,
+da&szlig; es den M&auml;nnern besagter Ortschaft verboten war, mit
+den Frauen zu disputiren, einerlei, ob die Frau angreifender
+Theil war oder nicht. Hatte inde&szlig; die Frau erwiesenerma&szlig;en
+zuerst angefangen, so mu&szlig;te ihr Mann Strafe zahlen, sonst
+aber der, welcher mit ihr Streit gesucht hatte. Die gr&ouml;&szlig;ten
+und heiligsten Pflichten glaubt aber der Berber f&uuml;r sein Gemeinwesen,
+f&uuml;r seinen Stamm zu haben. Ist dem Araber
+zuerst die Religion die Hauptsache, wie denn Mohammed &uuml;berhaupt,
+gerade wie es in der r&ouml;mischen Kirche gelehrt wird,
+die Nationalit&auml;t ausl&ouml;schen will, um an deren Stelle einen
+Religionsstaat zu setzen, so hat der Berber, trotzdem auch er
+den Islam angenommen hat, dies nie begreifen k&ouml;nnen.
+Wenn der Berber sich auch vorzugsweise gern mit seinem
+Schwerte gegen die Christen wendet, so ist's ihm im n&auml;chsten
+Augenblicke aber auch ganz gleich, dasselbe gegen jedweden
+Mohammedaner zu ziehen, sobald sich dieser gegen ihn oder
+gar gegen seinen Stamm vergangen hat. Der Araber f&uuml;hrt
+auch Krieg gegen Mohammedaner; die w&uuml;thendsten K&auml;mpfe
+sind ja zwischen St&auml;mmen arabischen Blutes oder zwischen
+Arabern und T&uuml;rken gefochten worden und entbrennen auch
+jetzt noch immer wieder. Aber heuchlerischer Weise gestehen
+sie das nicht zu, sie behaupten nur gegen die Ungl&auml;ubigen zu
+k&auml;mpfen, und die Araber Algeriens z.B., die einst fortw&auml;hrend
+mit ihrer t&uuml;rkisch-mohammedanischen Regierung in Fehde
+lagen und die so erbittert gegenseitig auf einander waren,
+da&szlig; sie nicht wu&szlig;ten, auf welch grausamste Weise sie einander
+t&ouml;dten sollten&mdash;diese selben Araber haben jetzt ganz und gar
+ihre grausame t&uuml;rkische Herrschaft vergessen. H&ouml;rt man sie
+sprechen, so waren die T&uuml;rken die mildesten, gerechtesten, gottesf&uuml;rchtigsten
+Herrscher, sie waren ja vor allen Dingen "Gl&auml;ubige",
+die Franzosen aber sind Ungl&auml;ubige, m&ouml;gen sie noch
+so gut regieren, sie bleiben aus religi&ouml;sem Hasse immer f&uuml;r
+die Araber die "christlichen Hunde". Fragt man einen Araber:
+w&uuml;rdest du gegen die "Gl&auml;ubigen" k&auml;mpfen? so wird er
+sicher antworten: "Beim Haupte Mohammeds, Gott hat es
+verboten, Gottes Name sei gelobt."</p>
+
+<p>Der Berber kennt von solchen Heucheleien nichts, und durch
+manche St&auml;mme bin ich gekommen, die so wenig auf ihren
+Islam geben, da&szlig; man von ihnen sagte, sie sind so r&auml;uberisch
+und diebisch, da&szlig;, wenn Mohammed in eigner Person k&auml;me
+und habe ein anst&auml;ndiges Kleid an, sie (die Berber) nicht anstehen
+w&uuml;rden, den Propheten auszupl&uuml;ndern.</p>
+
+<p>Wenn ich vorhin anf&uuml;hrte, da&szlig; die Ehre der Familie und
+des eignen Stammes den Berbern als das H&ouml;chste gilt, so
+ist dies so zu verstehen, da&szlig; sie z.B. denjenigen ihrer Leute
+keineswegs f&uuml;r ehrlos halten, der einen Fremden bestiehlt;
+aber ehrlos w&uuml;rde es sei, wollte Jemand einen von einem
+anderen Stamme, der einmal Zutritt erhalten hat oder der
+gar die Anaya<a name="FNanchor_11_11" id="FNanchor_11_11"></a><a href="#Footnote_11_11" class="fnanchor">[11]</a> des Stammes besitzt, bestehlen oder gar ermorden.
+Da&szlig; aber doch solche F&auml;lle vorkommen, ersieht man
+daraus, da&szlig; die Berber hier&uuml;ber und hiergegen ihre eigenen
+(arabisch) geschriebenen Gesetze haben, die nicht wie die meisten
+Gesetze der &uuml;brigen Mohammedaner auf den Koran fu&szlig;en,
+sondern aus uralten Ueberlieferungen bestehen und wohl erst
+im Laufe der Jahrhunderte von der Tholba zu Papier gebracht
+wurden. Wie stark ist z.B. der Gemeinsinn ausgepr&auml;gt,
+wenn es in einem alten Kabylengesetze hei&szlig;t: "Der, dem eine
+Kuh, ein Ochse oder ein Schaf stirbt, hat das Recht, die Gemeinde
+zu zwingen, das Fleisch des Thieres zu kaufen als
+eine H&uuml;lfeleistung.&mdash;So will es der Gebrauch." Dies Gesetz
+ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Der Verlust
+des Viehes wird dem Eigent&uuml;mer dadurch einigerma&szlig;en vers&uuml;&szlig;t,
+weil er das Fleisch doch wenigstens verwerthen kann;
+der Gebrauch will, da&szlig; die Quantit&auml;t, die Jeder nehmen mu&szlig;,
+vom Chef des Ortes bestimmt wird. Sodann ist aber dieses
+Gesetz zugleich ein Schlag dem Koran ins Gesicht, denn Mohammed
+sagt ausdr&uuml;cklich, da&szlig; Fleisch von gestorbenen oder
+gefallenen Thieren als unrein f&uuml;r jeden Mohammedaner
+"<tt>harem</tt>" d.h. verboten ist. Aber was ist dem Berber der
+Koran, wenn es gilt: Einer f&uuml;r Alle, Alle f&uuml;r Einen!</p>
+
+<p>Wie stark im Sinne der Gemeinde-Interessen ist nicht auch
+folgendes Gesetz: "Der, welcher ein Haus, einen Obstgarten,
+ein Feld oder einen Gem&uuml;segarten an Individuen eines anderen
+Dorfes verkauft, mu&szlig; davon seine Br&uuml;der, Verwandte,
+Gesch&auml;ftsfreunde und die Leute seines Dorfes &uuml;berhaupt benachrichtigen,
+und wenn diese den Kauf r&uuml;ckg&auml;ngig machen und
+sich den K&auml;ufer substituiren wollen, so haben sie demselben
+innerhalb dreier Tage den Kaufschilling zur&uuml;ckzuerstatten<a name="FNanchor_12_12" id="FNanchor_12_12"></a><a href="#Footnote_12_12" class="fnanchor">[12]</a>."
+Durch dieses Gesetz konnte die Gemeinde verh&uuml;ten, da&szlig; irgend
+ein ihr mi&szlig;liebiges fremdes Individuum bei ihr Zutritt bekam.
+Es ist wahr, die Gesetze wechseln bei jeder Tribe, von Dorf
+zu Dorf, und es ist das ein sicheres Zeichen, da&szlig; seit
+langer Zeit den Berbern die einheitliche Leitung fehlt; aber
+im Ganzen beruhen sie doch auf denselben Grunds&auml;tzen. Es
+ist eigenth&uuml;mlich und auch das bekundet das hohe Alter solcher
+Gesetzsammlungen, da&szlig; die Berber daf&uuml;r den Ausdruck
+"<tt>kanon</tt>", ein Wort, das offenbar griechischen Ursprungs ist,
+haben und welches, wie General Daumas meint, eine christliche
+Reminiscenz in sich schlie&szlig;t.</p>
+
+<p>In der Gesetzsammlung der Ortschaften, Thaurirt und
+Amokrom, der gro&szlig;en Kabylie, vom Herrn Aucapitaine herausgegeben,
+finden wir ebenfalls die weltlichen und Gemeinde-Angelegenheiten
+den kirchlichen &uuml;bergeordnet und ausdr&uuml;cklich
+hervorgehoben: "Wer sich ins Einvernehmen mit Sch&uuml;rfa, als
+da sind vom Stamme der Uled-Ali, Icheliden oder anderen
+Marabutin setzt, zahlt 50 Realen Strafe." Wenn man nun
+wei&szlig;, da&szlig; die Sch&uuml;rfa, d.h. die Nachkommen Mohammeds,
+unter den Mohammedanern ohngef&auml;hr dieselbe Rolle spielen,
+wie bei uns die Jesuiten, die sich f&uuml;r die besten Nachfolger
+Jesu halten, so wird man nicht umhin k&ouml;nnen, den weisen
+Sinn und den gesunden Verstand der Berber zu bewundern.</p>
+
+<p>Die von den Alten schon erw&auml;hnte Vorliebe der Berber
+f&uuml;r Schmucksachen und sch&ouml;ne Kleidung<a name="FNanchor_13_13" id="FNanchor_13_13"></a><a href="#Footnote_13_13" class="fnanchor">[13]</a> besteht auch heute
+noch. Der gr&ouml;&szlig;te Ehrgeiz der Berber besteht darin, in den
+Besitz eines Tuch-Burnus von schreiendsten Farben zu kommen,
+hochroth und gelb sind als Farben besonders beliebt; kann er
+es erm&ouml;glichen, einen solchen mit Goldstickerei zu kaufen, so
+d&uuml;nkt er sich ein K&ouml;nig zu sein. Das Haar tragen die Berber
+heute nicht mehr nach einer bestimmten Vorschrift, wie es ehedem
+vielleicht Sitte gewesen ist, meist wird der Kopf sogar
+ganz kahl rasirt, aber alle halten darauf, einen Zopf stehen
+zu lassen, meist vom Hinterhaupte ausgehend. Das Haar der
+Berber ist durchweg schwarz; die einzelnen blonden Individuen,
+die man vorzugsweise im Djurdjura-Gebirge in Riffpartien
+und &uuml;berhaupt l&auml;ngs des Mittelmeeres findet, sind allerdings
+manchmal durch einzelne Familien hindurchgehend, aber doch
+nur vereinzelt. Ob diese Blonden von gothischer Abkunft, ob
+sie vandalischen Ursprungs sind, das wird schwerlich je festgestellt
+werden; es ist das auch f&uuml;r das Berbervolk in seiner
+Gesammtheit h&ouml;chst gleichg&uuml;ltig, da der Berber im Ganzen
+schwarzhaarig ist.</p>
+
+<p>Es giebt wohl wenig Berberst&auml;mme, die nicht Ringe als
+Schmuck in Gebrauch haben; hier sind es gro&szlig;e Ohrringe,
+manchmal 2-3 Zoll gro&szlig; und aus Silber bestehend, dort
+kleinere; hier haben ganze St&auml;mme die Gewohnheit, Oberarm-Ringe
+zu tragen aus Serpentinstein<a name="FNanchor_14_14" id="FNanchor_14_14"></a><a href="#Footnote_14_14" class="fnanchor">[14]</a> oder Metall, dort werden
+die verschiedenen Finger mit Ringen &uuml;berladen. Und fast
+scheint es, als ob die M&auml;nner bei den Berbern der eitlere
+Theil w&auml;ren. Allerdings tragen die Frauen die &uuml;blichen
+Fu&szlig;ringe, manchmal werden mehrere &uuml;ber einen Kn&ouml;chel gezw&auml;ngt;
+allerdings haben sie ihre Agraffen, Fingerringe und
+Haargeschmeide, aber schon das fast durchweg dunkle Cost&uuml;m
+der Frauen aus dunkelblauem Kattun (was in der That bei
+den meisten Berberfrauen &uuml;blich ist) zeigt, da&szlig; die Frauen
+weniger auf hervortretende Toiletten geben.</p>
+
+<p>Was die Waffen der Berber anbetrifft, so sind Bogen und
+Pfeile l&auml;ngst durch Schie&szlig;waffen verdr&auml;ngt, nur einige St&auml;mme
+im gro&szlig;en Atlas, sowie die Tuareg machen Gebrauch von der
+Lanze. Alle Berber haben kurze breite Dolche, viele tragen
+sie befestigt am Arme, so die Tuareg und die Berber s&uuml;dlich
+vom Atlas, andere haben sie im Leibg&uuml;rtel stecken oder an
+einer Schnur h&auml;ngen. Ihr Schwert ist s&uuml;dlich vom Atlas
+mehr von gerader Form, n&ouml;rdlich vom Gebirge ist es das
+schwach gekr&uuml;mmte marokkanische; die Schu&szlig;waffen bestehen aus
+Lunten- und Steinschlo&szlig;flinten.</p>
+
+<p>Weil der Islam, der wie andere monotheistische Religionen
+leicht zu einer unumschr&auml;nkten Priesterherrschaft f&uuml;hrt, bei den
+Berbern nicht den Eingang gefunden hat, wie bei den Arabern,
+so haben jene sich einen weit gr&ouml;&szlig;eren Grad von Freiheit und
+Freiheitsliebe bewahrt, und weil sie mehr Sinn f&uuml;r Freiheit
+haben, deshalb sind sie, man kann es wohl behaupten, besser
+als die Araber. Die geknechteten Menschen, einerlei, ob sie
+von einer fremden Gewalt oder von einer fremden Nation
+bedr&uuml;ckt oder von einer einheimischen, z.B. ihrer eignen Regierung
+oder ihrer Geistlichkeit, als Sclaven gebraucht werden,
+haben sich stets als die schlechtesten und sittlich am niedrigsten
+stehenden erwiesen. Deshalb sind die Araber so heruntergekommen,
+weil sie alle ihre Tholba f&uuml;r unfehlbar hielten und
+Alles glaubten, was im Koran stand. Deshalb stehen die
+Griechen auf so niedriger Stufe geistiger Entwicklung, weil sie
+von den T&uuml;rken als Sclaven behandelt wurden; deshalb sind
+Franzosen, Spanier und andere romanische V&ouml;lker weit in
+sittlicher Beziehung hinter den freidenkenden protestantischen
+Germanen zur&uuml;ck. Wir sehen also deutlich, da&szlig; ein Volk, je
+mehr es auf seine Religions&uuml;bungen verwendet, sittlich um so
+mehr verkommen ist; denn ohne ungerecht zu sein, k&ouml;nnen
+wir sagen, da&szlig; durchschnittlich mehr Sittlichkeit und mehr
+Bildung in den protestantischen L&auml;ndern herrscht. Die statistischen
+Zahlen nennen den Unterschied Derer, die lesen und
+schreiben k&ouml;nnen, und geben Aufschlu&szlig; dar&uuml;ber, wo gr&ouml;&szlig;ere
+Achtung vor dem Gesetz und dem &ouml;ffentlichen Eigenthum besteht
+und weniger Verbrechen begangen werden, ob in den protestantischen,
+ob in den katholischen L&auml;ndern. Aber Niemand wird
+wohl behaupten, die Protestanten seien religi&ouml;ser (freilich sagen
+unsere Religionslehrer, die wahre Religion sei nicht bei den
+Katholiken) als die Katholiken. Im Gegentheil; die Katholiken
+gehen flei&szlig;iger zur Kirche, ihr Glaube ist viel inniger und
+fester, ihre frommen Stiftungen zahlreicher, ihr ganzes kirchliches
+Leben ausgedehnter. Aber was ihnen fehlt, ist die
+Freiheit des Denkens und die Schulbildung, welche, um den
+Menschen sittlich zu machen, nothwendig ist. Ganz ebenso ist
+es mit den Mohammedanern; gew&ouml;hnt, nur das zu glauben,
+was ihnen ihr "<i>Buch</i>" sagt, weil dabei eine gewisse Classe
+von Menschen am besten wegkommt, haben sie sich zu Sclaven
+dieses "Buches" und dieser Classe von Menschen gemacht. Sie
+haben l&auml;ngst aufgeh&ouml;rt, dar&uuml;ber nachzudenken, oder haben sich
+eigentlich nie zu dem Gedanken emporschwingen k&ouml;nnen, ihr
+"Buch" einer Kritik zu unterwerfen&mdash;der blinde Glaube
+hat sie dahin gebracht, wohin sie gekommen sind, und andere
+V&ouml;lker, die im blinden Glauben dahin leben, werden ihnen
+folgen.</p>
+
+<p>Der Berber ist davor bewahrt worden: ohne gerade Kritik
+an den Islam zu legen, ist er indifferent geblieben. Ohne
+Contact mit anderen V&ouml;lkern hat er allerdings in Bildung
+und Gesittung keinen h&ouml;heren Standpunkt eingenommen, aber
+er ist frei geblieben und, wie gesagt, die Freiheit hat ihn
+geadelt.</p>
+
+<p>Offenbar w&uuml;rde der Berber deshalb auch eine Zukunft
+haben, k&auml;me er mit gesitteten Nationen in Ber&uuml;hrung, die frei
+in Beziehung auf Religion denken. Die Franzosen constatiren
+mit Genugthuung, da&szlig; mit den Berbern Algeriens leichter
+umzugehen sei, da&szlig; sie sich eher der Civilisation geneigt zeigen,
+als die Araber. General Faidherbe, einer der besten Kenner
+der V&ouml;lker Nordafrika's hat dies wiederholt ausgesprochen.</p>
+
+<p>Was die jetzige Lebensweise der Berber anbetrifft, so ist,
+wie schon erw&auml;hnt, ein Theil in festen Ortschaften, ein Theil
+in Zelten wohnhaft, aber mit Ausnahme der Tuareg treiben
+sie alle Ackerbau. Auch die in Zelten auf den Abh&auml;ngen des
+gro&szlig;en Atlas lebenden Berber haben ihre Aecker. Ebenso
+treiben alle Berber Viehzucht, vorzugsweise die Zeltbewohner.
+Auf dem Tell, d.h. dem fruchtreichen Erdboden, halten sie
+Rinder-, Schaf- und Ziegenheerden; in der Sahara legen sie
+sich auf Kamelzucht. Eigen ist allen die Vorliebe f&uuml;r das
+Pferd. Mit Recht wird das Berberpferd ebenso hoch gesch&auml;tzt,
+wie das arabische.</p>
+
+<p>Die Nahrung der Berber ist einfach und fast nur vegetabilisch.
+Der h&ouml;chste Genu&szlig; ist ihnen eine Sch&uuml;ssel Kuskussu,
+eine Mehlspeise, die aus Gerste oder Weizen bereitet wird und
+die auch von den Tuareg als das <tt>Non plus ultra</tt> aller Gerichte
+gesch&auml;tzt wird. Eigentliches Brod in unserem Sinne ist
+den Berbern nicht bekannt, wohl aber machen sie Mehlfladen
+auf einer Stein- oder Eisenplatte. Oder auch Mehl wird geknetet,
+mit Speck und Datteln durchsetzt und auf hei&szlig;em Sande
+gar gebacken. Bei allen Berbern werden nur zwei Hauptmahlzeiten,
+die Morgens und Abends stattfinden, genossen;
+letztere ist die reichlichere. Man i&szlig;t allgemein mit der Hand
+und aus <i>einer</i> Sch&uuml;ssel, die Frauen und Kinder getrennt
+von den erwachsenen M&auml;nnern; f&uuml;r Suppen und fl&uuml;ssige
+Speisen hat man h&ouml;lzerne L&ouml;ffel. Wenn aber z.B. f&uuml;nf oder
+sieben Personen aus einer Sch&uuml;ssel Suppe essen, so hat man
+in der Regel nicht mehr als zwei, h&ouml;chstens drei L&ouml;ffel, welche
+im Kreise herumgehen. Nat&uuml;rlich wird, da den Berbern alle
+M&ouml;bel, wie St&uuml;hle, B&auml;nke und Tische, abgeben, auf der Erde
+hockend gesessen, die Sch&uuml;ssel selbst, am Boden stehend, bleibt
+in der Mitte. Wird ein Getr&auml;nk, sei es nun saure Milch
+oder Wasser, herumgereicht, so kreist die Sch&uuml;ssel ebenfalls, und
+wie bei Arabern, ist es verg&ouml;nnt, <i>stehend</i> zu essen oder zu
+trinken.</p>
+
+<p>Was die geistigen F&auml;higkeiten der Berber betrifft, so stehen
+sie mindestens aus derselben Stufe, wie die Araber, wenn
+nicht <i>jetzt</i> h&ouml;her. Da&szlig; sie bedeutend empf&auml;nglicher f&uuml;r Civilisation
+sind, als die Araber Nordafrika's, habe ich schon hervorgehoben;
+der freiwillige Besuch, den Tuareg-H&auml;uptlinge vor
+einigen Jahren in Paris machten, ist ein gl&auml;nzendes Zeugni&szlig;
+davon. In Algerien arbeiten Berber des Djurdjura-Gebirges
+oder aus dem marokkanischen gro&szlig;en Atlas gern bei Christen;
+der durch die Religion fanatistrte Araber faullenzt und hungert
+lieber, als da&szlig; er sich herablie&szlig;e, bei den Christen zu
+arbeiten. Aber zu einer guten Entwicklung des Berbervolkes
+w&auml;re allerdings der Contact mit religi&ouml;s vorurtheilsfreien
+Nationen, namentlich protestantischen, nothwendig.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_8_8" id="Footnote_8_8"></a><a href="#FNanchor_8_8"><span class="label">[8]</span></a> Plinius, Naturgeschichte Bd. 5.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_9_9" id="Footnote_9_9"></a><a href="#FNanchor_9_9"><span class="label">[9]</span></a> <tt>v. Feraud, reveue africaine 1862</tt>.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_10_10" id="Footnote_10_10"></a><a href="#FNanchor_10_10"><span class="label">[10]</span></a> <tt>v. Feraud, revue africaine 1862</tt>.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_11_11" id="Footnote_11_11"></a><a href="#FNanchor_11_11"><span class="label">[11]</span></a> Anaya ist das, was die Araber Aman, d.h. Sicherheitsbrief,
+<tt>sauf conduit</tt> nennen.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_12_12" id="Footnote_12_12"></a><a href="#FNanchor_12_12"><span class="label">[12]</span></a> <tt>Journal Akhbar, Alg&egrave;r 1858</tt>.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_13_13" id="Footnote_13_13"></a><a href="#FNanchor_13_13"><span class="label">[13]</span></a> <i>Strabo</i> im XVII. Buche, &uuml;bersetzt v. <i>Venzel</i>: "Sie tr&auml;ufeln sich
+sorgf&auml;ltig ihr Haupthaar und ihren Bart, tragen zur Zierde Gold auf
+den Kleidern, reinigen sich die Z&auml;hne, beschneiden die N&auml;gel und selten
+wird man, wenn sie miteinander spazieren gehen, sehen, dass Einer dem
+anderen gar zu nahe kommt, aus Furcht die Frisur desselben zu verderben."</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_14_14" id="Footnote_14_14"></a><a href="#FNanchor_14_14"><span class="label">[14]</span></a> Werden in Europa zu diesem Gebrauche verfertigt und von Mogador
+und anderen Hafenst&auml;dten aus importiert.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch7_Ueber_Reiz-_und_Nahrungsmittel_afrikanischer_Volker" id="Ch7_Ueber_Reiz-_und_Nahrungsmittel_afrikanischer_Volker"></a>7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer V&ouml;lker.</h2>
+
+
+<h3>1. <i>Goro- oder Kola-Nu&szlig;</i>.</h3>
+
+<p>Die Goro- oder Kola-Nu&szlig;, <tt>cola acuminata R. Br.</tt> oder
+<tt>sterculia acuminata Pal.</tt>, ist eines der verbreitetsten Reizmittel
+bei den centralafrikanischen V&ouml;lkern. Diese Nu&szlig;, von der
+Gr&ouml;&szlig;e einer dicken Kastanie, w&auml;chst auf einem staudenartigen
+Baume, welcher &auml;hnlich dem Kaffeebaume ist. Die Bl&auml;tter
+desselben sind gummibaumartig. Man findet diesen Baum
+oder diese Staude an der ganzen Westk&uuml;ste von Afrika, haupts&auml;chlich
+auf dem sogenannten Kong-Gebirge, aber nach dem
+Innern zu scheint dieselbe nicht weit vorgedrungen zu sein;
+auf dem Gora-Gebirge z.B., einem Gebirgsstock, zwischen
+Tschad-See, B&eacute;nue und Niger gelegen, fehlt die Goro-Staude.
+Wild w&auml;chst sie in einer Oertlichkeit, Namens Gondja. Oestlich
+von Sierra Leone scheint aber die Goro-Staude auch durch
+die Neger angebaut zu werden.</p>
+
+<p>Heinrich Barth sagt, da&szlig; die in Timbuktu vorkommende
+Goro- oder, wie er schreibt, Guro-Nu&szlig; aus den Provinzen
+von Tamgrera, von Tente und Koni komme, da&szlig; die auf
+dem Markte von Kano vorkommende hingegen aus der n&ouml;rdlichen
+Provinz Assanti's komme, von einer Stadt, Namens
+Sselga.</p>
+
+<p>Man unterscheidet die echte Goro-Nu&szlig;, deren Inneres
+dunkelrosenfarbig, von angenehmem bitteren Geschmacke und
+nicht schleimartig ist, mit einer Abart derselben, ebenfalls inwendig
+roth, aber weniger bitter und einen gummiartigen
+Schleim beim Zerkauen abgebend. Diese beiden sind bekannt
+unter dem Namen <tt>sterculia acuminata</tt>. Sodann die wei&szlig;e
+oder unechte Goro-Nu&szlig;, die nur an der K&uuml;ste vorkommt und
+am wenigsten bitter ist. Es ist dies die <tt>sterculia macrocarpa</tt>.</p>
+
+<p>Nach Barth unterscheidet man sodann in Kano je nach
+der Gr&ouml;&szlig;e der Frucht vier besondere Arten: <tt>guria</tt>, die gr&ouml;&szlig;te,
+oft 1-1/2 bis zwei Zoll im Durchmesser haltend, die <tt>marssakatu</tt>,
+die <tt>soara-n-naga</tt> und die <tt>mena</tt>. Nach ihm (Band V. S. 28)
+unterscheidet man in Kano dann die je nach der Jahreszeit
+geernteten: die <tt>dja-n-karagu</tt>, die erste, welche Ende Februar,
+die <tt>gummaguri</tt>, die sp&auml;ter und die <tt>nata</tt>, welche zuletzt gesammelt
+wird und die sich am l&auml;ngsten halten soll. In Timbuktu
+fand Barth drei verschiedene Arten. Aber alle diese
+Unterschiede sind nicht durch wesentliche Verschiedenheiten der
+Nu&szlig; selbst bedingt, sondern bestehen nur in willk&uuml;rlich oder
+durch Gewohnheit angenommenen Merkmalen der Neger.</p>
+
+<p>Wird die Goro-Nu&szlig; alt und trocken, so wird die
+Oberfl&auml;che mehr runzlig und das Fleisch erh&auml;rtet fast wie
+Holz und nimmt eine braunrothe F&auml;rbung an. In diesem
+Zustande wird sie Kola-Nu&szlig; genannt, denn nur frische N&uuml;sse
+hei&szlig;en Goro. Der Geschmack der Nu&szlig; ist aromatisch bitter,
+etwas adstringirend und zerkaut f&auml;rbt sie den Speichel gelb-r&ouml;thlich.
+Sie hinterl&auml;&szlig;t einen s&uuml;&szlig;lichen, s&uuml;&szlig;holzartigen Nachgeschmack.
+Es unterliegt keinem Zweifel, da&szlig; die Goro-Nu&szlig;
+auch tonisch wirkt. Dieser angenehme, bitter-s&uuml;&szlig;e Geschmack
+ist aber nur bei frischen N&uuml;ssen z0u bemerken, getrocknet verlieren
+die Kola-N&uuml;sse fast jeden Geschmack, es ist dann fast,
+kaut man sie, als ob man ungebrannte Kaffeebohnen kaute.
+Aber auch in diesem Zustande m&uuml;ssen sie noch wirksame Bestandtheile
+besitzen, denn nur so kann man es sich erkl&auml;ren,
+da&szlig; die Kola-N&uuml;sse noch eine so gro&szlig;e Verbreitung und Anwendung
+haben.</p>
+
+<p>Die Araber, welche mit den Sudanl&auml;ndern Verbindung
+haben, schreiben der Goro-Nu&szlig; aber auch eine starke erotische
+Kraft zu und gerade dieser Eigenschaften wegen kauen sie dieselbe;
+au&szlig;erdem behaupten sie, und dies gewi&szlig; mit Recht, da&szlig; die
+Nu&szlig; Appetit erregend sei und namentlich der Tabak besonders
+gut darauf schmecke.</p>
+
+<p>Nat&uuml;rlich kann sich, was r&auml;umliche Verbreitung anbetrifft,
+die Goro-Nu&szlig; keineswegs mit Thee, Kaffee, Tabak, Opium
+oder gar alkoholartigen Getr&auml;nken messen; wenn wir aber
+bedenken, da&szlig; mehr oder weniger alle Bewohner des n&ouml;rdlichen
+und nordcentralafrikanischen Continents von diesem Stimulans
+Gebrauch machen, so liegt doch wohl die Frage nahe, <i>weshalb</i>
+ist die Goro-Nu&szlig; so allgemein in Aufnahme gekommen,
+<i>warum</i> ist dieselbe heute gewissen St&auml;mmen centralafrikanischer
+V&ouml;lker ebenso unentbehrlich geworden, wie den meisten
+civilisirten V&ouml;lkern der Thee oder Kaffee?</p>
+
+<p>Die meisten Individuen, die Gebrauch von Thee oder
+Kaffee machen, wissen nichts von den eigentlichen chemischen
+Eigenschaften dieser Vegetabilien. Sie haben wohl nie von
+Koffein geh&ouml;rt; sie w&uuml;rden gar nicht verstehen, wollte man
+ihnen sagen, da&szlig; unsere Physiologen und Chemiker dem Thee
+und Kaffee directe Wirkungen auf das Gehirn zuschreiben,
+und dennoch genie&szlig;en sie unabl&auml;ssig entweder das eine oder
+das andere Getr&auml;nk oder auch beide; sie w&uuml;rden sich vollkommen
+ungl&uuml;cklich f&uuml;hlen, wollte man sie dieser Gen&uuml;sse berauben.
+Die schon mehr Verst&auml;ndigen versuchen wohl die Ausrede, der
+Kaffee wirke tonisch, der Thee adstringirend, aber der gro&szlig;e
+Haufe nimmt Kaffee und Thee zu sich, weil beide Getr&auml;nke
+ihm <i>unbewu&szlig;t</i> ein <i>undefinirbares</i> Vergn&uuml;gen und Wohlbehagen
+verschaffen.</p>
+
+<p>Als ich von meiner Reise nach Centralafrika auf dem
+R&uuml;ckwege Sierra Leone ber&uuml;hrte, fand ich in der Hauptstadt
+dieser Halbinsel, in Freetown, auf dem dortigen Markte einen
+gro&szlig;en Vorrath Goro-N&uuml;sse beider Arten. Ganz auf dieselbe
+Art verpackt, wie die Neger sie von den K&uuml;stenl&auml;ndern in das
+Innere von Afrika forttransportiren, d.h. zwischen feuchtem
+Moose gelagert und das Ganze in einem Bastkorbe verpackt,
+nahm ich einen solchen Korb voll mit nach Europa; die N&uuml;sse
+hielten sich vortrefflich frisch. In Deutschland angekommen,
+schickte ich denn auch sogleich an meinen G&ouml;nner und Freund,
+unseren ber&uuml;hmten Chemiker, Baron Liebig, eine Partie N&uuml;sse.
+Eine davon, welche gepflanzt wurde (im botanischen Garten
+der Universit&auml;t), gedieh bis zum Jahre 1869 zu einer kr&auml;ftigen
+Staude mit pr&auml;chtigen, saftgr&uuml;nen Bl&auml;ttern. Aber am
+interessantesten war f&uuml;r mich, da&szlig; v. Liebig mir mittheilte,
+da&szlig; er in den Goro-N&uuml;ssen mehr Koffe&iuml;n gefunden habe, als
+verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig in den Kaffeebohnen selbst vorkomme. Man
+kann also dreist sagen, da&szlig; auch bei der Goro-Nu&szlig;, wie beim
+Kaffee oder Thee, das unbewu&szlig;t Anziehende der Koffe&iuml;nstoff ist.</p>
+
+<p>Der Preis der Goro-Nu&szlig; ist sehr verschieden, je nach der
+Oertlichkeit und je nach der Gr&ouml;&szlig;e und Art der Frucht. Wei&szlig;e
+N&uuml;sse gelten an der K&uuml;ste Westafrika's 3000 St&uuml;ck einen
+M.-Th.-Thaler, also das St&uuml;ck eine Muschel. Rothe, namentlich
+wenn sie gro&szlig; sind, gelten aber auch hier oder in
+der eigentlichen Heimath das St&uuml;ck f&uuml;nf Muscheln. Nach
+Barth schwankt je nach der Jahreszeit, nach ihrer Gr&ouml;&szlig;e und
+G&uuml;te der Preis einer Nu&szlig; in Timbuktu zwischen 10 und 1000
+Muscheln. In Kuka steigt der Preis bei schlechten Ernten,
+bei mangelhaftem Transport (ein Esel kann circa 6000 N&uuml;sse
+transportiren), oder bei gehemmtem Karawanenverkehr, manchmal
+auf 500, ja auf 1000 Muscheln f&uuml;r eine einzelne Nu&szlig;.
+Aber so gro&szlig; ist die Begierde der Neger nach diesem Artikel,
+da&szlig; auch dann sich noch K&auml;ufer finden. Unter solchen Umst&auml;nden
+theilt man sich gegenseitig die kleinsten St&uuml;cke mit,
+ja unter den gew&ouml;hnlichen Leuten ist so wenig Ekel, da&szlig; sie
+keineswegs Ansto&szlig; daran nehmen, von einem besser Situirten
+ein schon halb ausgesogenes und abgekautes St&uuml;ckchen Nu&szlig;
+zu empfangen, es in den Mund zu nehmen, um es vollends
+seiner bittern und aromatischen Substanz zu berauben.</p>
+
+<p>In allen L&auml;ndern Bornu's, Socoto's, Gando's, Yoruba's &amp;c.
+ist die Uebersendung eines mit Goro-N&uuml;ssen gef&uuml;llten Korbes
+Seitens des Sultans oder F&uuml;rsten an den Fremden das Zeichen
+der Freundschaft und des Willkommens. Je gr&ouml;&szlig;er die
+N&uuml;sse, je gef&uuml;llter der Korb ist, eines um so besseren Empfanges
+kann man versichert sein. Und wie der T&uuml;rke jeden Besucher
+mit einer Pfeife und einer Tasse Kaffee ehrt, so geh&ouml;rt
+es mit zum guten Ton in den civilisirten Negerl&auml;ndern, dem
+Fremden mit einer Goro-Nu&szlig; aufzuwarten. Sind die N&uuml;sse
+selten oder wegen der Jahreszeit oder des Transportes theuer,
+so theilt man sie mit seinem Gef&auml;hrten.</p>
+
+
+<h3>2. <i>Tabak</i>.</h3>
+
+<p>Von allen bet&auml;ubenden Mitteln, die zugleich aufregend wirken,
+ist wohl keines verbreiteter als Tabak, und wenn man zu
+der Annahme berechtigt ist, da&szlig; die Tabakpflanze sich <i>nur</i>
+von Amerika aus verbreitet hat, Amerika aber erst seit einigen
+Jahrhunderten f&uuml;r die &uuml;brige Welt erschlossen wurde, so mu&szlig;
+man noch mehr staunen. Afrika, dieser compacte Erdtheil, der
+sich allen Culturbestrebungen bis jetzt verschlossen gezeigt hat,
+hat die Tabakspflanze bis zu seinem innersten Centrum dringen
+lassen. Nicht etwa, da&szlig; der Tabak, einmal eingef&uuml;hrt, sich
+selbst den Weg gebahnt h&auml;tte, wie gewisse Culturpflanzen und
+auch Unkraute es thun, indem sie mit unwiderstehlicher Macht
+<i>von selbst</i> vorw&auml;rts dringen, es sind die Menschen, die Eingeborenen
+dieses Erdtheiles selbst die Tr&auml;ger und Verbreiter dieser
+Pflanze gewesen. Und es giebt wohl keine Art und Weise,
+den Tabak zu nehmen, die nicht in Afrika Anwendung f&auml;nde;
+hier raucht man, dort wird geschnupft, hier kaut man, dort
+wird Tabak als medizinisches Heilmittel gebraucht. Ja, Duveyrier<a name="FNanchor_15_15" id="FNanchor_15_15"></a><a href="#Footnote_15_15" class="fnanchor">[15]</a>
+behauptet sogar, "da&szlig; arabische Frauen, mit elf Jahren
+verheirathet, M&uuml;tter mit zw&ouml;lf Jahren, mit zwanzig Jahren
+schon Greisinnen, den Tabak als ein Aphrodisiacum gebrauchen,
+indem sie sich gewisse K&ouml;rpertheile mit pulverisirtem Tabak
+bestreuen".</p>
+
+<p>Von verschiedenen Forschern ist die Frage ausgeworfen
+worden, ob bei der in Afrika durchg&auml;ngigen Verbreitung des
+Tabaks die Pflanze nicht dort, wie in Amerika, <i>ureinheimisch</i>
+gewesen sein k&ouml;nne. Ich wage hier&uuml;ber kaum eine
+Meinung, vielweniger noch eine Entscheidung abzugeben. Am
+verbreitetsten in Afrika ist jedenfalls der Bauerntabak, <tt>Nicotiana
+rustica</tt>; aber auch der virginische Tabak, <tt>N. tabacum L.</tt>,
+findet sich in Afrika. Schweinfurth fand ihn bei den Monbuttos
+und im Tell von Algerien wird er durchweg gebaut.
+Inde&szlig; ist es, meine ich, kaum ein Grund, zu glauben, Nicotiana
+rustica d&uuml;rfe darum ureinheimisch in Afrika sein, weil
+einige V&ouml;lker ein eignes Wort daf&uuml;r in ihrer Sprache besitzen
+und nicht eins, welches von "Tabak" abgeleitet sei oder damit
+in Verbindung stehe; auch f&uuml;r andere Gegenst&auml;nde, von denen
+wir bestimmt wissen, da&szlig; sie ihnen von Au&szlig;en zugebracht sind,
+haben sie oft genug das Originalwort verworfen und daf&uuml;r
+ein neues, von ihnen erfundenes oder aus ihrer Sprache entlehntes
+an die Stelle gesetzt. Sodann kommt noch in Betracht:
+kann die <tt>Nicotiana rustica</tt> auf anderem Boden und unter
+anderen klimatischen Verh&auml;ltnissen sich in tabacum veredeln
+oder ist eine R&uuml;ckbildung von einer zur anderen Seite unm&ouml;glich?
+Verschiedene Tabakbauern haben mir gesagt, da&szlig; derartige
+Beobachtungen gemacht w&auml;ren.</p>
+
+<p>Am allgemeinsten ist unter den verschiedenen Weisen den
+Tabak zu nehmen, das Rauchen verbreitet, und wenn es auch
+St&auml;mme und V&ouml;lker giebt, die blos schnupfen oder kauen, so
+giebt es andererseits auch V&ouml;lker in Afrika, bei denen M&auml;nner
+und Frauen, ohne Ausnahme, der Gewohnheit des Rauchens
+huldigen. So z.B. die Kadje- und Bussa-Neger, die
+Tuareg. "<tt>Chez les Touareg</tt>," sagt Henry Duoeyrier S. 184,
+"<tt>hommes et femmes fument et quoique la fum&eacute;e du tabac
+rustique soit tr&egrave;s acre, hommes et femmes la rendent par
+le nez</tt>."</p>
+
+<p>Unsere Damen in Europa k&ouml;nnten also an den afrikanischen
+in dieser Beziehung lernen, denn mit Ausnahme der
+polnischen Aristokratie rauchen bei den <i>&uuml;brigen</i> europ&auml;ischen
+V&ouml;lkern nur die Damen des <tt>demi monde</tt>.</p>
+
+<p>W&auml;hrend aber wir Europ&auml;er zum gr&ouml;&szlig;ten Theile den Tabaksrauch
+nur in die Mundh&ouml;hle einziehen, saugen die afrikanischen
+V&ouml;lker den Rauch derart ein, da&szlig; die <i>ganze Lunge</i>
+davon erf&uuml;llt wird: der immer mehr oder weniger mit Nicotin
+geschw&auml;ngerte Tabak tritt also bei ihnen vermittelst der
+Lungenbl&auml;schen und der Capillarblutgef&auml;&szlig;e direct ins Blut
+&uuml;ber. Nat&uuml;rlich folgt daraus, da&szlig; bei diesen Leuten ein
+schneller Rausch eintritt. Dieser Tabaksrausch scheint aber aller
+angenehmen Eigenschaften zu entbehren, vielmehr nur in einer
+Art von Bewu&szlig;tlosigkeit zu bestehen.</p>
+
+<p>F&uuml;r die allgemeine Verbreitung des Tabaks spricht auch
+noch der Umstand, da&szlig; man in Afrika die einfachsten Gef&auml;&szlig;e,
+um den Tabak "rauchen" zu machen, nebst dem raffinirtesten,
+der Narghile, im Gebrauch hat. Ed. Mohr sagt aus, da&szlig; die
+Matchele-Neger einen Kegel aus Thonerde auf dem Boden
+formen, oben eine topfartige H&ouml;hlung hineindr&uuml;cken, diese mit
+Kohlen etwas trocken brennen und siehe da, der Pfeifenkopf
+ist fertig. Sie f&uuml;llen Tabakbl&auml;tter hinein, bohren seitw&auml;rts
+ein Rohr ein, und nachdem nun das Kraut entz&uuml;ndet, kann
+das Rauchen beginnen. Weit complicirter ist das von Fritsch
+u.A. beobachtete Rauchen aus Antilopenh&ouml;rnern, die schon
+eine rohe und primitive Narghile-Flaschen andeuten. Ganz
+auf &auml;hnliche Art rauchen Abessinier und Galast&auml;mme aus
+Thonkr&uuml;gen oder Flaschenk&uuml;rbissen. Von den Monbutto sagt
+Dr. Schweinfurth<a name="FNanchor_16_16" id="FNanchor_16_16"></a><a href="#Footnote_16_16" class="fnanchor">[16]</a>: "Sie rauchen aus einer Pfeife primitivster,
+aber durchaus praktischer Art, indem sie als Rohr die Mittelrippe
+eines Bananenblattes verwenden. Die vornehmsten unter
+ihnen lassen sich inde&szlig; von ihren Schmieden ein eisernes Rohr,
+gleichfalls von den Dimensionen des aus Bananenlaub geschnittenen
+(etwa f&uuml;nf Fu&szlig; lang), herstellen. Das untere Ende
+dieses Rohrs ist geschlossen und statt dessen seitlich, kurz vor
+dem Ende, ein Einschnitt gemacht, in welchen eine mit Tabak
+gef&uuml;llte <i>D&uuml;te von Bananenlaub</i> gesteckt wird, die als
+Pfeifenkopf dient."</p>
+
+<p>Aber wer wollte alle die Arten und Weisen aufz&auml;hlen,
+auf welche afrikanische V&ouml;lker Tabak rauchen. Ich f&uuml;hre nur
+noch an, da&szlig; die an den Ufern des B&eacute;nue lebenden St&auml;mme
+den Tabak aus Thonk&ouml;pfen rauchen, &auml;hnlich den unsern, und
+daran haben sie so lange Rohre, da&szlig; die Pfeife im Stehen
+geraucht werden kann. Diese St&auml;mme, namentlich die Bassa-Neger,
+sind so verpicht auf's Rauchen, da&szlig; sie z.B., gehen sie
+zu Boot, eigens im Schiffe ein Feuer unterhalten, um jederzeit
+ihre Pfeife wieder anz&uuml;nden zu k&ouml;nnen. Die in den Berberstaaten
+nomadisirenden oder se&szlig;haften Berber und Araber
+bedienen sich ohne Ausnahme eines <i>R&ouml;hrenknochens</i> vom
+Schafe oder von einer Ziege. In das eine Ende der Knochenr&ouml;hre
+wird der Tabak eingestopft und dann direct durchs
+andere Ende der Dampf eingesogen. Die St&auml;dtebewohner
+Nordafrika's huldigen der Narghile oder den Papiercigaretten.
+Die eigentliche Cigarre, also das Tabakrauchen unmittelbar,
+hat bei den Eingeborenen Afrika's bis jetzt wenig Anklang
+gefunden.</p>
+
+<p>Weniger gebr&auml;uchlich ist in Afrika die Sitte des Tabakkauens.
+Ich selbst beobachtete das Tabakkauen nur bei Tebu
+und einigen Negerst&auml;mmen am Tschad-See. Man nimmt dazu
+keinen besonders pr&auml;parirten Tabak, sondern dieselben Bl&auml;tter,
+welche Andere auch geraucht haben w&uuml;rden. Aber allgemein
+ist Brauch, den Saft des zerkauten Tabaks noch dadurch zu
+versch&auml;rfen, da&szlig; man Trona (kohlensaures Natron), welches
+in vielen Theilen Afrika's gefunden wird, hinzusetzt. Besondere
+Beh&auml;lter, des Beschreibens werth, um Tabak und Trona
+aufzubewahren, haben die Eingeborenen nicht; irgend ein alter
+Lappen oder der Zipfel eines Kleides dient dazu.</p>
+
+<p>Noch weniger gebr&auml;uchlich ist das Prisen, es ist gewisserma&szlig;en
+Privilegium vornehmer Eingeborener. Der zu schnupfende
+Tabak wird &auml;u&szlig;erst fein gesto&szlig;en und sodann mischen die
+meisten dazu noch ein Achtel kohlensaures Natron. Reiche
+und angesehene Leute in Marokko erlauben sich heute auch den
+Gebrauch einer europ&auml;ischen Schnupftabaks-Dose oder sie haben
+eine aus Ebenholz gefertigte gro&szlig;e Birne, welche den Schnupftabak
+birgt. Aber in letzterer ist immer nur ein kleines Loch,
+verschlossen durch einen h&ouml;lzernen St&ouml;psel. Und hierbei bemerke
+ich, da&szlig; die frommen mohammedanischen Leute wie bei
+uns<a name="FNanchor_17_17" id="FNanchor_17_17"></a><a href="#Footnote_17_17" class="fnanchor">[17]</a> das Rauchen f&uuml;r s&uuml;ndhafter halten, als das Schnupfen.
+In Marokko rauchen selten die Schriftgelehrten, aber alle
+schnupfen. Zum Aufbewahren des Schnupftabaks haben die
+V&ouml;lker von Mandara eine ausgeh&ouml;hlte Bohne, Schotensame
+eines Baumes. Diese Bohnen haben anderthalb bis zwei
+Zoll Durchmesser, sind aber ganz glatt; durch eine kleine
+Oeffnung bringt man den Tabak hinein und heraus. Eine
+sehr beliebte Methode, den Schnupftabak aufzubewahren, ist,
+ihn in ein St&uuml;ck Zuckerrohr zu sch&uuml;tten, dessen eines Ende mit
+einem alten Lappen verschlossen wird.&mdash;Afrika hat jedenfalls
+eine bedeutende Zukunft f&uuml;r den Anbau des Tabaks. Die in
+Algerien gezogenen Tabakssorten sind vortrefflich, aus Centralafrika
+von mir mitgebrachte Sorten (auf dem Markte von
+Kuka gekauft) wurden in Bremen f&uuml;r ausgezeichnet erkl&auml;rt.
+Und der Tabak scheint in Afrika &uuml;berall zu gedeihen, denn
+selbst in den hei&szlig;esten Oasen der Sahara findet man Tabaksfelder
+und jeder Neger zieht in der Regel seinen Tabaksbedarf
+in seinem eigenen Garten.</p>
+
+
+<h3>3. <i>Kaffee und Thee, Lakbi, Tetsch und andere
+alcoholartige Getr&auml;nke</i>.</h3>
+
+<p>Man kann keineswegs behaupten, da&szlig; Kaffee irgendwo in
+Afrika ein so nationales Getr&auml;nk geworden ist, wie bei verschiedenen
+V&ouml;lkern in Europa. Und gerade da, wo er am
+billigsten f&uuml;r das Volk herzustellen w&auml;re, scheint er am
+wenigsten im Gebrauch zu sein, n&auml;mlich in den s&uuml;dabessinischen
+Provinzen. Dort, wo die Staude oder der Kaffeebaum &uuml;berall
+wild wachsen und von wo sie erst im Anfange des 15. Jahrhunderts
+nach Arabien importirt wurden, scheinen die umwohnenden
+V&ouml;lker kaum die Anwendung der Bohne zu kennen;
+die Abessinier aber trinken keinen Kaffee, weil sie dadurch zu
+s&uuml;ndigen glauben, sie meinen n&auml;mlich, Kaffeetrinken sei nur
+den Mohammedanern eigen.</p>
+
+<p>Der Kaffee wird in Afrika &uuml;berall ohne Milch genommen,
+und die Art ihn durchzuseihen, ihn zu filtriren oder blos durch
+einen Aufgu&szlig; hei&szlig;en Wassers herzustellen, ist ungebr&auml;uchlich.
+"Kaffee machen" ist bei allen afrikanischen V&ouml;lkern nur eine
+"<tt>decoctio</tt>"<a name="FNanchor_18_18" id="FNanchor_18_18"></a><a href="#Footnote_18_18" class="fnanchor">[18]</a>. Und zwar wird nur nach augenblicklichem Bedarfe
+Kaffee f&uuml;r eine Person, h&ouml;chstens f&uuml;r drei bis vier Personen,
+in kleinen Gef&auml;&szlig;en gekocht. Der auf's Feinste zu Mehl
+gesto&szlig;ene Kaffee wird in ein kleines eisernes, mit kochend hei&szlig;em
+Wasser gef&uuml;lltes Gef&auml;&szlig; gethan, dann l&auml;&szlig;t man diese
+Mischung einige Male &uuml;ber Kohlen aufkochen und das Getr&auml;nk
+ist fertig. Diese Kochgef&auml;&szlig;e sind so klein, da&szlig; wenn z.B. f&uuml;r
+eine Person Kaffee bereitet wird, dasselbe auch kein gr&ouml;&szlig;eres
+Quantum Wasser aufnehmen kann, als jene bekannten sogenannten
+t&uuml;rkischen Tassen fassen.</p>
+
+<p>In ganz Afrika, von Aegypten bis Marokko, von Tripolis
+bis nach Kuka, wird auf <i>diese</i> Art der Kaffee bereitet. Aber
+wie Kaffee in allen diesen L&auml;ndern nur als eine Leckerei betrachtet
+wird, so findet man Kaffeeh&auml;user nur in gr&ouml;&szlig;eren
+Orten; bei nomadisirenden St&auml;mmen erlaubt sich h&ouml;chstens noch
+der Schech oder Kaid einer Tribe den Luxus einer t&auml;glichen
+Tasse Kaffee; &uuml;berhaupt kann man sagen, ist Kaffeeverbreitung
+nur n&ouml;rdlich vom Atlas. In den Oasen Tafilet, Draa und
+Tuat sind die wenigen Kaffeeh&auml;user zu z&auml;hlen und die Besitzer
+m&uuml;ssen meistenteils noch irgend einen anderen Erwerbszweig
+nebenbei betreiben, um leben zu k&ouml;nnen. In Fesan besteht
+nur Ein Kaffeehaus in der Hauptstadt Mursuck, und der
+Eigent&uuml;mer ist ein nach diesem Orte verbannter T&uuml;rke, sonst
+w&uuml;rde vielleicht gar keins vorhanden sein. In Kuka, in
+Bautschi, in Kano, in Timbuktu sind Kaffeeh&auml;user unbekannt.
+Man kann also im Allgemeinen sagen, s&uuml;dlich vom 30&deg; n&ouml;rdlicher
+Breite h&ouml;rt in Afrika der Gebrauch des Kaffee's auf;
+denn wenn auch behauptet wird<a name="FNanchor_19_19" id="FNanchor_19_19"></a><a href="#Footnote_19_19" class="fnanchor">[19]</a>: "der Sohn der W&uuml;ste trinkt
+seinen Kaffee ungemischt und den schwarzen, aber wahrhaften
+Satz sammt dem Aufgu&szlig;; zuweilen bringt er es auf 80 Sch&auml;lchen
+am Tage," so ist Ersteres richtig, alle Mohammedaner
+trinken den Kaffee mit dem Satze; aber wo w&auml;re der Beduine,
+und w&auml;re er selbst Chef einer Tribe, der die Mittel h&auml;tte,
+80 Tassen Kaffee zu bezahlen? Kaffee ist nur Luxusgetr&auml;nk
+in ganz Afrika, d.h. in dem Sinne, als Kaffee im Allgemeinen
+zu theuer ist, um als Volksnahrungs- oder Reizmittel gelten zu
+k&ouml;nnen. Schon der erste Anla&szlig;, wie der Kaffee unter den
+Arabern in Yemen Aufnahme gefunden, spricht daf&uuml;r, wenn
+auch das Ganze eine Fabel ist, da&szlig; in demselben Etwas enthalten
+sein mu&szlig;, was eine unwiderstehliche Anziehungskraft
+aus&uuml;bt. Man erz&auml;hlt n&auml;mlich, ein armer Derwisch habe bemerkt,
+da&szlig; seine Schafe und Ziegen jedesmal nach dem Abweiden
+einer gewissen Staude &auml;u&szlig;erst heiter und lustig gewesen
+seien, und als er sodann selbst von dieser Staude Bl&auml;tter
+genossen, habe er dieselbe Wirkung versp&uuml;rt.</p>
+
+<p>Die Sitte, Gischr, d.h. einen Absud von Kaffeeh&uuml;lsen zu
+trinken, wie Hr. v. Maltzan dies in S&uuml;darabien beobachtete,
+kennt man in Afrika nicht. Es hat dies &uuml;brigens gar nichts
+zu Verwunderndes. Denn nach Untersuchungen von Stenhouse
+enthalten die Bl&auml;tter des Kaffeebaumes mehr Koffein als die
+Bohnen<a name="FNanchor_20_20" id="FNanchor_20_20"></a><a href="#Footnote_20_20" class="fnanchor">[20]</a>, also werden die H&uuml;lsen der Bohnen auch wohl das
+belebende Princip enthalten. Ebenso fand ich nicht den Gebrauch
+des Milchzugie&szlig;ens, den Maltzan auch an einigen Orten
+S&uuml;darabiens beobachtete. Abeken auf seiner Reise nach Ober&auml;gypten
+und Nubien fand dort Leute, die eine Abkochung aus
+rohen, ungebrannten Bohnen bereiteten. Abeken fand diese Kaffeebereitung
+so angenehm und schmackhaft, da&szlig; er in seinen letzten
+Lebensjahren immer nur eine Decoction aus ungebrannten
+Bohnen trank. Mir ist dieser Gebrauch nirgends vorgekommen.</p>
+
+<p>Noch weniger hat sich der Thee einb&uuml;rgern k&ouml;nnen; aber
+w&auml;hrend der Kaffeegebrauch im Osten von Nordafrika vorwiegend
+ist&mdash;denn Aegypten allein consumirt mehr Kaffee, als
+Tripolitanien, Tunesien, Algerien, Marokko und die Sudanl&auml;nder
+zusammen&mdash;ist hingegen der Verbrauch von Thee im
+Westen von Nordafrika gr&ouml;&szlig;er. Marokko bezieht mehr Thee
+als alle &uuml;brigen L&auml;nder Nordafrikas zusammen. W&auml;hrend nach
+Marokko j&auml;hrlich wenigstens 5000 Kisten Thee importirt werden,
+bedarf Aegypten, welches doch eine ungef&auml;hr gleiche Bev&ouml;lkerung
+hat, so wenig, da&szlig; unter den amtlich genannten
+Einfuhrartikeln vom Jahre 1868 Thee nicht genannt wird.
+Bibra<a name="FNanchor_21_21" id="FNanchor_21_21"></a><a href="#Footnote_21_21" class="fnanchor">[21]</a> in seinem unten citirten Werke hat also vollkommen
+Recht, wenn er S. 66 sagt: "Von zweien solcher Aufgu&szlig;getr&auml;nke
+mit allen ihren physiologischen Wirkungen auf den
+Organismus ist eins aber sicher &uuml;berfl&uuml;ssig," und hier hat der
+Instinct der Menge entschieden. Beide herrschen nirgends neben
+einander, sondern eines derselben wird stets als Luxusgetr&auml;nk
+consumirt und erscheint nur ausnahmsweise irgend einem einzelnen
+Individuum angemessener, als das allgemein eingef&uuml;hrte.
+Im S&uuml;den findet man auf allen gro&szlig;en M&auml;rkten, so in Kuka,
+wie in Kano, Saria und Timbuktu, Thee zu kaufen.</p>
+
+<p>Thee wird in Afrika nie allein bereitet; der Eingeborene
+von Aegypten sch&uuml;ttet ebenso gut wie der Tunesier und Marokkaner
+zu den Theebl&auml;ttern einige M&uuml;nzbl&auml;tter oder auch
+Absynth, Luisa und andere aromatische Kr&auml;uter. Denn
+so wie man in Marokko den Thee braut, so wird er in ganz
+Afrika bereitet. Marokko ist ja der Religionsstaat schlechtweg,
+und wie alle mohammedanischen Afrikaner Malekiten sind wie
+die Maghrebiner, so bekommen sie auch vorzugsweise von
+Marokko in allen Gebr&auml;uchen, namentlich wenn diese irgendwie
+mit der Religion in Verbindung stehen, ihre Parole. Thee
+ist aber ein religi&ouml;ses Getr&auml;nk. Es <i>giebt</i> fromme Schriftgelehrte,
+die Kaffee nicht trinken, weil Kaffee <i>gebrannt</i> werden
+mu&szlig;, Mohammed aber an irgend einer Stelle im Koran sagt:
+"Alles, was verbrannt ist, ist verboten."</p>
+
+<p>Die Afrikaner trinken nur gr&uuml;nen Thee, eine ziemlich geringe
+Sorte, der ihnen fast ausschlie&szlig;lich von den Engl&auml;ndern
+zugef&uuml;hrt wird. Die eigenth&uuml;mliche Sitte, die Barth in Timbuktu
+beobachtete, da&szlig; man Thee und Zucker zusammen verkauft,
+als ob beide Waaren unzertrennlich w&auml;ren, beobachtete ich
+auch an verschiedenen Orten. Denn wenn man in Afrika bei
+den Meisten bemerkt, da&szlig; sie den Kaffee bitter trinken, pflegen
+sie den Thee jedoch so stark zu s&uuml;&szlig;en, da&szlig; an vielen Orten
+Thee ohne Zucker und Zucker ohne Thee nicht gedacht oder
+verkauft werden kann. Man kennt nirgends die Sitte, Thee
+und Milch zusammen zu mischen. In vielen St&auml;dten Nordafrika's
+genie&szlig;en statt des Thee's verschiedene Leute einen Aufgu&szlig;
+von Gew&uuml;rzen. Ingwer, Nelken, Muscatbl&uuml;then werden mit hei&szlig;em
+Wasser &uuml;bergossen und zu dieser Infusion etwas Zucker gesetzt.</p>
+
+<p>Bedeutend volkst&uuml;mlicher ist Lakbi, ein aus dem Safte
+der Dattelpalme gewonnenes Getr&auml;nk. Man findet Lakbi in
+ganz Nordafrika im Gebrauch vom c.25&deg; &ouml;.L.v.F. an,
+dann im Westen von Nun, im Draathal, in Tafilet und Tuat
+wird nirgends Lakbi getrunken. Aber in Djerid, in den Oasen
+s&uuml;dlich von Konstantine, in ganz Tripolitanien, einschlie&szlig;lich der
+gro&szlig;en Oase Fesan bis nach Aegypten hin, findet man in allen
+Palmhainen immer B&auml;ume, die angezapft sind. Man zieht
+die m&auml;nnliche Palme zum Anzapfen vor, einmal weil dieser
+Baum weniger Werth hat, dann auch, weil der Saft der
+m&auml;nnlichen Palme kr&auml;ftiger sein soll. Das Anzapfen wird
+derart gemacht, da&szlig; oben der j&uuml;ngste Spro&szlig; ausgehoben wird;
+dann wird eine Rinne nach dem &auml;u&szlig;eren Umfange gearbeitet
+und darunter ein Krug oder Topf befestigt. Im Fr&uuml;hjahr
+kann man in den ersten Tagen des Anzapfens bis zu 5 Liter
+erhalten. Die anfangs etwas milchige, fast widerlich s&uuml;&szlig;
+schmeckende Fl&uuml;ssigkeit wird nach Verlauf von 24-36 Stunden
+s&auml;uerlich, f&auml;ngt an zu g&auml;hren und entwickelt nun Alcohol. In
+diesem Zustande ist Lakbi berauschender als Bier, aber schon
+nach abermals 24 Stunden bildet dies Spiritus haltende
+Getr&auml;nk sich in Essig um. Den von R&uuml;ppel erw&auml;hnten <i>Dattelwein</i>,
+"ein widerlich s&uuml;&szlig;es Getr&auml;nk, aus halbgegohrenem Datteldecoct
+bereitet", habe ich nirgends angetroffen.</p>
+
+<p>Bedeutend beschr&auml;nkter ist Meth, Tetsch oder Honigwein.
+Man kann sagen, da&szlig; dies Getr&auml;nk eigentlich nur in Abessinien
+und den n&auml;chst angrenzenden L&auml;ndern getrunken wird. Die
+Bereitung des Tetsch geschieht in Abessinien &auml;hnlich wie in
+England und bei uns, nur da&szlig; statt Hefen und Hopfen eine
+andere bittere Pflanze, Amdat genannt, hinzu gethan wird.
+Das Getr&auml;nk wird in Abessinien gew&ouml;hnlich in gro&szlig;en
+Rindsh&ouml;rnern aufbewahrt, auch die Becher zum Trinken bestehen
+aus Horn. Tetsch ist sehr berauschend. Ausnahmsweise bereiten
+auch centralafrikanische V&ouml;lker Honigwein, aber meistens
+stellen diese ihr bei uns Europ&auml;ern unter dem Namen Busa
+oder auch Merissa bekanntes, berauschendes Getr&auml;nk aus Getreide
+her. Es geh&ouml;rt schon ein guter Magen und ein wenig
+w&auml;hlerischer Geschmack dazu, um das abscheuliche Getr&auml;nk genie&szlig;en
+zu k&ouml;nnen. Und da Busa und Merissa wenig alkoholartig
+sind, so geh&ouml;ren schon ungeheure Quantit&auml;ten dazu, wie
+sie eben nur ein Negermagen zu bergen vermag, um nur einigerma&szlig;en
+Wirkung zu sp&uuml;ren. Dennoch haben verschiedene Reisende<a name="FNanchor_22_22" id="FNanchor_22_22"></a><a href="#Footnote_22_22" class="fnanchor">[22]</a>
+sich an dies schon &auml;u&szlig;erlich so widerlich (chocoladenfarbig)
+aussehende Getr&auml;nk gew&ouml;hnen k&ouml;nnen. Die Maba in
+Wadai vertilgen ungeheure Quantit&auml;ten von Merissa, ebenso
+wird in Bagermi, in Mandala stark Busa getrunken; in Bornu,
+namentlich in der Hauptstadt Kuka, weniger.</p>
+
+<p>Von den Eingeborenen Afrika's wird Wein nur in Marokko
+und Tunis bereitet. Die Weinrebe kommt allerdings wohl in
+Abessinien vor, aber nur in einzelnen Stauden. Ebenso findet
+man in Unter&auml;gypten Weinreben, auch im Norden von Tripolitanien,
+aber nur Europ&auml;er bereiten etwas Wein davon. Es
+liegt das eben in den Verh&auml;ltnissen Nordafrika's, das jetzt
+ganz in den H&auml;nden der Mohammedaner sich befindet, denen
+Wein bekanntlich verboten ist. Aber wie trefflich der Wein in
+Nordafrika wird, sieht man aus den Sorten, die jetzt von
+Algerien aus auf den Markt kommen; sie stehen an G&uuml;te den
+spanischen nicht nach. Im Weinlande Marokko aber verlegen
+sich trotz des Verbotes ihres Propheten genug Leute auf Weinbereitung
+und Weintrinken. Aber der Wein, den die Marokkaner
+durch Kochen herstellen, ist, obwohl sehr stark von Geschmack,
+herzlich schlecht und von Farbe ebenso absto&szlig;end.
+Blume ist gar nicht vorhanden. Der Gebrauch des Weines
+in Marokko ist mehr auf dem Lande als in der Stadt zu
+Hause. Man nennt den Wein <tt>Ssammed</tt>, <tt>Hammed</tt> oder <tt>Schrab</tt>.</p>
+
+<p>Die in Nordafrika se&szlig;haften Juden bereiten auch Schnaps
+aus Feigen, Rosinen und Datteln. Jeder Jude fast hat seinen
+eignen kleinen Destillationsapparat im Hause und macht sich
+nach seinen Bed&uuml;rfnissen seinen Schnaps selbst. Der Schnaps
+der Juden ist gut, auch nicht zu stark, besonders rein im Geschmack.
+Man w&uuml;rde Unrecht thun, wollte man sagen, die
+einzelnen Juden seien S&auml;ufer; obschon sie alle Schnaps trinken,
+sind sie im Ganzen sehr m&auml;&szlig;ig darin. Desto mehr haben sie
+von der mohammedanischen Geistlichkeit zu leiden; oft dringt
+ein Thaleb oder auch ein Scherif in ein j&uuml;disches Hans, bem&auml;chtigt
+sich des ganzen Schnapsvorrathes, um sich wie eine
+Bestie damit vollzusaufen; der arme Jude kann in dem Falle
+noch froh sein, wenn er ohne Pr&uuml;gel dabei wegkommt.</p>
+
+<p>Sonst ist beim eigentlichen Volke in Nordafrika das Schnapstrinken
+nicht gebr&auml;uchlich, erst wenn man den Niger erreicht
+hat, in den Yorubal&auml;ndern, also der K&uuml;ste zu, st&ouml;&szlig;t man auf
+ganze Karawanen mit Kisten, welche Schnapsflaschen enthalten.
+Hier an der ganzen Westk&uuml;ste von Afrika huldigen die Schwarzen
+dem Gotte "Schnaps". Und welch' entsetzliches Getr&auml;nk, das vorzugsweise
+in Frankreich und Deutschland fabricirt wird, wird
+ihnen zugef&uuml;hrt. Es unterliegt denn auch wohl keinem Zweifel
+da&szlig; nicht Kriege, wohl aber dieses entsetzliche Gift jene V&ouml;lker
+in k&uuml;rzester Zeit ausrotten und vertilgen werden. Denn diese
+V&ouml;lker trinken nicht, sondern saufen, wenn sie Schnaps besitzen,
+so lange, bis sie wie todt auf dem Platze liegen bleiben. Und
+Schnaps k&ouml;nnen sie ohne M&uuml;he und ohne gro&szlig;e Arbeit haben.
+Wenn auch der Sclavenhandel fr&uuml;her die Mittel zum Schnaps
+f&uuml;r die Gro&szlig;en jener L&auml;nder geben mu&szlig;te, oder die K&ouml;nige
+auch direct ihre Unterthanen gegen F&auml;sser Schnaps weggaben,
+so geht dies allerdings jetzt nicht mehr, denn an der Westk&uuml;ste
+von Afrika ist dem Sclavenhandel wohl ein Ende gemacht.
+Aber daf&uuml;r tauscht sich gegen Palm&ouml;l, gegen Palmn&uuml;sse jetzt
+Jeder seinen Schnapsbedarf ein und die W&auml;lder sind ja vorl&auml;ufig
+an Oelpalmen so reich, da&szlig; an Mangel nicht zu denken
+ist. W&auml;hrend also fr&uuml;her nur die K&ouml;nige und Vornehmen
+der Schwarzen Schnaps trinken konnten, kann jetzt Jeder diesen
+Artikel bekommen, der das Gl&uuml;ck hat, den Europ&auml;ern N&uuml;sse
+oder Oel zu bringen. Der Schnaps wird eher mit den
+Schwarzen fertig werden, als es das Schwert oder die Flinte
+des Europ&auml;ers verm&ouml;chte.</p>
+
+
+<h3>4. <i>Opium und Haschisch</i>.</h3>
+
+<p>In Afrika hat Opium nur geringen Anhang gefunden und
+wahrscheinlich ist dies Bet&auml;ubungsmittel erst durch die T&uuml;rken
+den Eingeborenen dieses Continents mitgetheilt worden. Die
+Mohnpflanze, dieselbe, wie die bei uns in Europa gezogene,
+entwickelt bei anderen klimatischen Verh&auml;ltnissen in Afrika und
+Asien jene Eigenschaften, gute und b&ouml;se, die in der Heilkunde
+so segensreich wirken, aber bei unn&uuml;tzem und &uuml;berm&auml;&szlig;igem
+Gebrauche sich als eines der bew&auml;hrtesten Mittel erweisen, ganze
+V&ouml;lker der Erde ohne Pulver und Blei von derselben verschwinden
+zu machen.</p>
+
+<p>Um Opium zu erzielen, bauen die Eingeborenen Afrika's
+die Mohnpflanze nur in Aegypten und zwar heute, nach Schweinfurth,
+<i>nur</i> in Ober&auml;gypten. Und dem Anbaue des Zuckerrohrs
+und der Baumwolle wird der Mohn in Aegypten wohl
+bald ganz weichen m&uuml;ssen. Sodann wird aber auch in Marokko,
+namentlich in der Oase Tuat dieses Landes, Mohn des
+Opiums wegen angebaut, aber immer nur der Art, da&szlig; der
+Gewinn des Mohnsamens behufs Oelbereitung die Hauptsache
+bleibt, indem die K&ouml;pfe nur oberfl&auml;chlich geritzt werden, damit
+der Samen seiner H&uuml;lsung unberaubt zur Reife kommen kann.
+Man kann deshalb auch sagen, da&szlig; der Gebrauch des Opiums
+sich nur auf die St&auml;dtebewohner beschr&auml;nkt und zwar nur in
+Nordafrika.</p>
+
+<p>Man raucht den Opium oder man nimmt das Extract in
+Form von kleinen St&uuml;ckchen oder Pillen. Aber nicht wie im
+Orient raucht man Opium allein, indem man ein St&uuml;ckchen
+in eine kleine Pfeife bringt, eine Flamme dar&uuml;ber streichen
+l&auml;&szlig;t und den hei&szlig;en Opiumrauch einathmet, sondern man legt
+das Extract aus eine Narghile und so vermischt man Tabak-
+und Opium-Narcose. In Aegypten, namentlich in Damiette,
+sah ich inde&szlig; auch Opium allein und direct rauchen.</p>
+
+<p>Das in Marokko verbrauchte Opium darf in den gro&szlig;en
+St&auml;dten nur durch von der Regierung bestellte Leute, die
+meistens auch den Tabakverkauf haben, verkauft werden.
+Fr&uuml;her wurde nur &auml;gyptisches Opium verkauft, welches Pilger
+von ihrer Reise in kleinen, 2-3 Zoll gro&szlig;en Kuchen, die einen
+Zoll dick waren, mitbrachten. Jetzt wird in Marokko meistens
+aus Frankreich importirtes Opium, <tt>opium cr&uacute;</tt>. d.h. w&auml;sseriges
+Opiumextract, gebraucht, nur in einzelnen Gegenden stellt man
+selbst Opium her. In Tuat, der gro&szlig;en s&uuml;dlich vom Atlas
+gelegenen Oase, fand ich die meisten Opiumesser und zwar
+Leute, die es so weit gebracht hatten, da&szlig; sie ohne Opium
+nicht mehr existiren konnten; in dieser Oase waren auch alle
+anderen Berauschungsmittel unbekannt. Leider giebt es aber
+auch in Afrika Europ&auml;er genug, die sich dem Opiumgenusse
+hingeben. Einer der gelehrtesten M&auml;nner in Keilschriften war
+derart dem Opium zugethan, da&szlig; er ohne dasselbe zu leben
+vollkommen unf&auml;hig war, er nahm Opium in roher Form und
+rauchte Tabak, den er in Opiumtinctur gelegt und macerirt
+hatte. Schon seit Jahren ist er dem Gifte erlegen. Ich selbst
+hatte unter Opiumgenu&szlig; monatelang zu leiden.</p>
+
+<p>Erkrankt in Rhadames an einer blutigen Dyssenterie, hatte
+ich gro&szlig;e Gaben von Opium genommen und konnte ich mich
+des Gebrauchs nicht entschlagen, da ein Aufh&ouml;ren im Opiumessen
+oder auch nur ein Vermindern der Gaben gleich wieder
+heftige Diarrh&ouml;en zur Folge hatte, bis pl&ouml;tzlich der Genu&szlig;
+frischer Datteln (die sonst in der Regel gegenteilig wirken)
+Besserung erzielte.</p>
+
+<p>Keineswegs befand ich mich dabei in einem angenehmen
+Zustande; allerdings ist das "Bessersein", das Befreitsein von
+einer l&auml;stigen Krankheit schon Etwas, allerdings versp&uuml;rt man
+eine Erleichterung, eine Behendigkeit in allen Gliedern, aber
+angenehme Empfindungen, sensuelle Erregungen traten nie bei
+mir ein. Es ist ja auch vollkommen constatirt, da&szlig; best&auml;ndiger
+Opiumgenu&szlig; erotisch d&auml;mpfend ist. Das Haschen, das
+Jagen nach Opium hat wohl nur seinen Grund darin, da&szlig;
+es ein gewisses Wohlbehagen, eine <i>k&ouml;rperliche</i> und in Folge
+davon auch eine geistige Gleichg&uuml;ltigkeit gegen Alles, was
+Einen umgiebt, mit sich im Gefolge hat.</p>
+
+<p>Viel verbreiteter als Opium ist Haschisch in Afrika. Aber
+die Angabe v. Bibra's, da&szlig; es 300 Millionen Haschischesser
+auf der Erde &uuml;berhaupt gebe, m&ouml;chte ich doch nicht unterschreiben.
+In Afrika z.B., wo von Marokko jedenfalls das
+gr&ouml;&szlig;te Contingent gestellt wird, w&uuml;rde man h&ouml;chstens sagen
+k&ouml;nnen, da&szlig; von der ungef&auml;hren Bev&ouml;lkerung dieses Landes,
+die man auf circa 6,500,000 Seelen rechnen kann, h&ouml;chstens
+die H&auml;lfte Haschisch nimmt. Von Westen nach dem Osten
+nimmt in Afrika der Hanfgenu&szlig; ab, ebenso von Norden nach
+S&uuml;den. In Tunis, in Algerien giebt es noch viele Haschischkneipen,
+weniger schon in Tripolitanien und Aegypten. Schweinfurth
+fand Hanfesser nur im Delta, doch kommen sie sporadisch
+auch wohl noch weiter nach dem S&uuml;den zu vor. In Fesan
+baut man Hanf nur an einzelnen Orten, nach Duveyrier besonders
+in Tragen. Frauen huldigen sehr selten in Afrika
+dem Hanfe. Im S&uuml;den wird nur vereinzelt <tt>cannabis indica</tt>
+genommen und ist dort wohl von den Arabern importirt
+worden, entgegengesetzt der Ansicht von Escayrac de Lauture,
+der die cannabis indica aus dem S&uuml;den stammen lassen will.
+Hervorgerufen war wohl diese Ansicht dadurch, da&szlig; man
+fr&uuml;her glaubte, die cannabis indica sei unterschieden von der
+<tt>cannabis sativa</tt>. Das ist nicht der Fall. Auch hier bringen
+die topographischen und klimatischen Einfl&uuml;sse bei <i>derselben</i>
+Pflanze nur andere und zwar im S&uuml;den kr&auml;ftigere Eigenschaften
+hervor.</p>
+
+<p>Aber wie die Eigenschaften des Hanfes je mehr und mehr
+nach Norden an Wirksamkeit zu verlieren scheinen, so scheint
+auch die Empf&auml;nglichkeit f&uuml;r dies Narcoticum im Norden
+schwieriger vor sich zu gehen, als in einem s&uuml;dlichen Klima<a name="FNanchor_23_23" id="FNanchor_23_23"></a><a href="#Footnote_23_23" class="fnanchor">[23]</a>.
+Professor Preyer in Jena konnte mit guten Haschischbl&auml;ttern,
+die ich frisch und direct von Tripolis hatte kommen lassen,
+keine besonderen Rauschresultate erzielen; v. Liebig fand in
+Bl&auml;ttern derselben Sendung keine anderen wirksamen Bestandtheile,
+als in der <tt>cannabis sativa</tt>.</p>
+
+<p>Man k&ouml;nnte also fast sagen, um eines vollkommenen
+Rausches theilhaftig zu werden, mu&szlig; man in s&uuml;dlichen L&auml;ndern
+gezogenen Hanf in s&uuml;dlichen L&auml;ndern nehmen.</p>
+
+<p>Ich habe an anderen Orten meine an mir selbst angestellten
+Beobachtungen niedergelegt. Und wenn ich diesen
+im Jahre 1866 angestellten Versuch mit denen vergleiche, die
+Dr. Lay, Dr. Moreau, v. Bibra, Dr. Baierlacher u. A. vorgenommen,
+so kann ich nur best&auml;tigen, da&szlig; in der Hauptsache
+meine Empfindungen mit denen der genannten Beobachter
+&uuml;bereinstimmen.</p>
+
+<p>Der wirksame Stoff in der cannabis indica ist ein von
+Gastinel hergestelltes und von ihm Haschischin genanntes
+Alcaloid von sch&ouml;ner gr&uuml;ner, jedoch nicht von Chlorophyll herr&uuml;hrender
+Farbe. Genommen wird Hanf in Theeform oder
+man pulverisirt die getrockneten Bl&auml;tter und schluckt sie mit
+Wasser hinab, oder man raucht dieselben, oder sie werden zu
+einer mit Zucker und Gew&uuml;rzen verarbeiteten Pastete, "Madjun"
+genannt, gegessen<a name="FNanchor_24_24" id="FNanchor_24_24"></a><a href="#Footnote_24_24" class="fnanchor">[24]</a>. Letztere Form findet man nur in den
+St&auml;dten.</p>
+
+<p>Fast in ganz Afrika wird vorzugsweise Hanf <i>geraucht</i>,
+wenigstens f&auml;ngt man hiermit an; erst im zweiten Stadium
+wird Haschisch gegessen. Das Rauchen hat einfach deshalb
+nicht so gro&szlig;en Erfolg, weil selbst ge&uuml;bte Veteranen im Narghilerauchen
+es schwer vertragen, den bei&szlig;enden und &auml;tzenden
+Dampf durch die Lunge direct mit dem Blute in Ber&uuml;hrung
+zu bringen. Es ist deshalb auch &uuml;bertrieben, wenn einzelne
+Reisende berichten, es gebe Hanfraucher, die es bis auf 30
+Pfeifen und mehr t&auml;glich bringen k&ouml;nnten. Abgesehen davon,
+da&szlig; die Haschischpfeifenk&ouml;pfe nicht gr&ouml;&szlig;er sind, als das Viertel
+eines Fingerhutes einer Dame, so ziehen die auf Hanf erpichtesten
+Raucher selten mehr als zwei bis drei Z&uuml;ge aus dem
+Pfeifchen, pausiren sodann lange Zeit oder lassen die Pfeife
+ausgehen, oder aber, wenn sie reich und gro&szlig;m&uuml;thig sind,
+reichen sie die Pfeife zum Mitrauchen einem Nebensitzenden.</p>
+
+<p>Das wirksame Princip des Hanfes sitzt besonders in den
+Bl&auml;ttern und den feinsten Stengeln und zwar zu der Zeit,
+wenn der Same eben reif geworden ist. Im Samen selbst,
+der stark &ouml;lartig ist, scheint Haschischin wenig oder gar nicht
+enthalten zu sein; die Haschischesser werfen denn auch den
+Samen fort, wenn sie die Bl&auml;tter bereiten. In den L&auml;ndern
+Afrika's, die ich durchreist habe, habe ich nie von einem Harz,
+"Churrus" genannt<a name="FNanchor_25_25" id="FNanchor_25_25"></a><a href="#Footnote_25_25" class="fnanchor">[25]</a>, welches aus den Bl&auml;ttern schwitzt, reden
+h&ouml;ren, noch habe ich es selbst zu sehen bekommen.</p>
+
+<p>Die Wirkungen des Haschisch lassen sich dahin zusammenfassen,
+da&szlig; im Anfange bei kleinen Dosen die E&szlig;lust stark angeregt
+wird, w&auml;hrend fortgesetzter Gebrauch und gro&szlig;e Dosen
+eine St&ouml;rung aller Lebensprozesse im K&ouml;rper bewirken. Wem
+cannabis indica zur Gewohnheit geworden ist, kann sich davon
+schwerer entw&ouml;hnen, als der Trunkenbold von alkoholartigen
+Getr&auml;nken, der Opiophage vom Opium. Auf das Nervensystem
+wirkt nach den Resultaten der Versuche, die als glaubw&uuml;rdig
+vorliegen, das Haschisch so, da&szlig; mit einer Erleichterung im
+"F&uuml;hlen alles K&ouml;rperlichen" (man glaubt zu schweben) eine
+gro&szlig;e momentane <i>Ged&auml;chtni&szlig;st&auml;rke</i> verbunden ist, man
+erinnert sich an Ereignisse, welche einem seit Jahren nicht
+mehr ins Ged&auml;chtni&szlig; gekommen sind. Und auch k&ouml;rperlich
+scheinen die Gegenst&auml;nde sich zu <i>vergr&ouml;&szlig;ern</i> und zu <i>verl&auml;ngern</i>:
+Stra&szlig;en werden endlos, H&auml;user scheinen in den
+Himmel hineinzuragen. Dr. Mornau sagt treffend<a name="FNanchor_26_26" id="FNanchor_26_26"></a><a href="#Footnote_26_26" class="fnanchor">[26]</a>: "Die
+Grenzen der M&ouml;glichkeit, das Ma&szlig; des Raumes in der Zeit
+h&ouml;ren auf, die Secunde ist ein Jahrhundert und mit einem
+Schritte &uuml;berschreitet man die Welt;" und weiter sagt derselbe
+Beobachter: "im Gehen sei ihm eine Stra&szlig;e unendlich verl&auml;ngert
+vorgekommen." Ganz dieselben Beobachtungen habe ich
+auch gemacht.</p>
+
+<p>Es kommen sodann schlie&szlig;lich bei geringstem Anlasse Sinnest&auml;uschungen
+vor, eine unbemalte Wand erscheint in den sch&ouml;nsten
+Farben, das Gquieke einer Th&uuml;r ert&ouml;nt wie symphonische Concerte
+und wenn einerseits das Ged&auml;chtni&szlig; neu belebt erscheint, vergi&szlig;t
+man oft bei einem ganz kurzen Redesatze den Anfang
+desselben, als ob man seit Stunden geredet h&auml;tte.</p>
+
+<p>So achtungswerth aber auch die Namen gewisser Reisenden
+sind, so m&ouml;chte ich nicht die Ansicht mit vertreten, da&szlig; Haschisch
+eine Wirkung hervorrufen k&ouml;nnte, einen Menschen, wie Treevelgar
+erz&auml;hlt, in zehnt&auml;gige Katalepsie zu versetzen. Dagegen
+finde ich den von O'Shangnessy<a name="FNanchor_27_27" id="FNanchor_27_27"></a><a href="#Footnote_27_27" class="fnanchor">[27]</a> mitgetheilen Fall von einer
+durch Haschisch bewirkten <i>vor&uuml;bergehenden</i> Katalepsie vollkommen
+glaubw&uuml;rdig. Fallen doch fast alle veralteten Hanfesser
+in eine mehr oder weniger lange anhaltende Starrsucht.</p>
+
+<p>Jedenfalls wird man nicht zu viel sagen, wenn man behauptet,
+da&szlig; die cannabis indica, eines der heftigsten Reizmittel,
+im Stande ist, nicht nur die herrlichsten Empfindungen,
+die bezauberndsten Bilder zu schaffen, sondern auch den Menschen
+gewisserma&szlig;en momentan der Erde zu entr&uuml;cken, aber
+auch andererseits wegen des Giftes, das darin liegt, eines der
+gef&auml;hrlichsten Pr&auml;parate, das mit unwiderstehlicher Gewalt
+den Menschen, der sich ihm hingegeben, festh&auml;lt und nach Kurzem
+t&ouml;dtet.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_15_15" id="Footnote_15_15"></a><a href="#FNanchor_15_15"><span class="label">[15]</span></a><tt> Les Touareg du Nord, p. 185</tt>.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_16_16" id="Footnote_16_16"></a><a href="#FNanchor_16_16"><span class="label">[16]</span></a> Zeitschr. der Gesellsch. f&uuml;r Erdk. VII. Bd. V. Heft.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_17_17" id="Footnote_17_17"></a><a href="#FNanchor_17_17"><span class="label">[17]</span></a> Papst Urban VIII. erlie&szlig; 1624 eine Bulle gegen das Tabakschnupfen
+in den Kirchen, aber trotz dieses unfehlbaren Edicts schnupfen
+heute fast alle Priester in den Kirchen wie <i>au&szlig;erhalb</i>.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_18_18" id="Footnote_18_18"></a><a href="#FNanchor_18_18"><span class="label">[18]</span></a> Europ&auml;ische Aerzte verordnen &uuml;brigens auch nur eine <tt>decoctio</tt>,
+keine <tt>infusio</tt> des Kaffee's</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_19_19" id="Footnote_19_19"></a><a href="#FNanchor_19_19"><span class="label">[19]</span></a> Ausland 1872. S. 948.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_20_20" id="Footnote_20_20"></a><a href="#FNanchor_20_20"><span class="label">[20]</span></a> Dr. v. Bibra, Narcotische Genu&szlig;mittel. N&uuml;rnberg 1855.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_21_21" id="Footnote_21_21"></a><a href="#FNanchor_21_21"><span class="label">[21]</span></a> Dr. v. Bibra, Narcotische Genu&szlig;mittel.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_22_22" id="Footnote_22_22"></a><a href="#FNanchor_22_22"><span class="label">[22]</span></a> Auch Schweinfurth sagt, er habe auf seiner letzten Reise ein gutes,
+dem deutschen Biere &auml;hnliches Getr&auml;nk gefunden.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_23_23" id="Footnote_23_23"></a><a href="#FNanchor_23_23"><span class="label">[23]</span></a> Globus 1866 und Land und Leute in Afrika, R&uuml;thmann, Bremen 1870</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_24_24" id="Footnote_24_24"></a><a href="#FNanchor_24_24"><span class="label">[24]</span></a> Ich f&uuml;hre hier an, da&szlig; wenn Europ&auml;er mit Hanf Versuche anstellen
+wollen, sie sich mit gr&ouml;&szlig;ter Vorsicht dabei des Madjun bedienen
+m&ouml;gen, da in der Regel auch Cantharibenpulver dazwischen gemischt ist.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_25_25" id="Footnote_25_25"></a><a href="#FNanchor_25_25"><span class="label">[25]</span></a> v. Bibra, S. 266.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_26_26" id="Footnote_26_26"></a><a href="#FNanchor_26_26"><span class="label">[26]</span></a> v. Bibra, S. 272.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_27_27" id="Footnote_27_27"></a><a href="#FNanchor_27_27"><span class="label">[27]</span></a> v. Bibra, S. 284.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch8_Aufbruch_zur_Libyschen_Wuste" id="Ch8_Aufbruch_zur_Libyschen_Wuste"></a>8. Aufbruch zur Libyschen W&uuml;ste.</h2>
+
+
+<p>"Wie ein Afrikareisender mit einer Schlittenpartie seine
+Reise in die Libysche W&uuml;ste antritt", h&auml;tte ich dieses Mal
+mein Tagebuch &uuml;berschreiben k&ouml;nnen. Das ist auch wohl noch
+nicht dagewesen, und doch,&mdash;denn als ich meine zweite Reise
+antrat, mu&szlig;te ich ja auch nach einigen Tagem&auml;rschen, wenn
+auch nicht durch oder &uuml;ber Schnee, so doch daran vorbei und
+noch dazu in Afrika selbst, auf dem gro&szlig;en Atlas.</p>
+
+<p>Diesmal galt es nun zwar nicht, den mit Schnee bedeckten
+Atlas zu &uuml;bersteigen, sondern auf angenehmste Weise &uuml;ber den
+herrlichsten aller Alpenp&auml;sse zu kutschiren, &uuml;ber den Spl&uuml;gen.
+Am Morgen in der Fr&uuml;he sollte es weiter gehen, und so geschah
+es auch. Eine ziemlich zahlreiche Reisegesellschaft, drei
+gro&szlig;e Postwagen voll Menschen beiderlei Geschlechts, von jeglichem
+Alter, von jedem Stande. Ich hatte f&uuml;r mich einen
+Coup&eacute;platz bekommen und No&euml;l<a name="FNanchor_28_28" id="FNanchor_28_28"></a><a href="#Footnote_28_28" class="fnanchor">[28]</a> im selben Wagen einen
+Interieurplatz. Neben mir (die Coup&eacute;s haben nur zwei Pl&auml;tze)
+sa&szlig; noch eine junge Dame, ein M&auml;dchen, ein Backfisch, ein
+Kind&mdash;eine jede dieser Bezeichnungen w&uuml;rde auf sie gepa&szlig;t
+haben&mdash;nicht h&uuml;bsch, nicht h&auml;&szlig;lich, Schweizern, mit einer
+entsetzlichen Aussprache des Deutschen und ungemein sch&uuml;chtern,
+verlegen und bl&ouml;de. Der Backfisch, nennen wir sie so, war in
+Belfort in Pension gewesen, um Franz&ouml;sisch zu lernen; unter
+der Zeit waren seine Eltern von der Schweiz, wo sie ans&auml;ssig
+gewesen waren, nach Bergamo gezogen und jetzt, nach beendigtem
+Cursus, sollte der Backfisch wieder heim zu den Eltern.
+Und das ging ganz gut, wie ein Packet wurde er bef&ouml;rdert.
+In Chur logirten wir z.B. im "Luckmanier" zusammen, der
+Backfisch wurde von der Wirthin empfangen u. Abends, als
+der Wirth geh&ouml;rt hatte, ich reise nach Italien, kam er zu mir,
+ob ich nicht den Backfisch unter meine Obhut bis Como oder
+Lecco nehmen wolle, dort w&uuml;rde er von verwandten Fischern
+in Empfang genommen werden. Nat&uuml;rlich sagte ich nicht "nein"
+und merkw&uuml;rdig genug traf es sich, da&szlig; im Interieur eine
+nach&mdash;der T&uuml;rkei, nach Trapezunt reisende Dame sich unter
+No&euml;l's Schutz begab.</p>
+
+<p>Ich unterlasse es, von den Sch&ouml;nheiten der <tt>Via mala</tt> zu
+sprechen, offenbar der sch&ouml;nste und gro&szlig;artigste Pa&szlig;, der &uuml;ber
+die Alpen f&uuml;hrt und welcher, da der Baumbestand aus Nadelh&ouml;lzern
+besteht, zu jeder Zeit gr&uuml;n ist. Ja, ich m&ouml;chte sagen,
+der natursch&ouml;nheitliche Reiz wird im Winter eher erh&ouml;ht, als
+vermindert durch die starken Contraste des blendendwei&szlig;en
+Schnees und des tiefen, fast schwarzen Gr&uuml;ns der Fichten und
+Kiefern. Als s&auml;mmtliche Passagiere obligaterweise an der
+Stelle ausgestiegen waren, wo die Via mala am engsten ist
+und wo eine Br&uuml;cke &uuml;ber den Schlund f&uuml;hrt, die man auch
+Teufelsbr&uuml;cke h&auml;tte nennen k&ouml;nnen, ging es weiter und Mittags
+erreichten wir Spl&uuml;gen.</p>
+
+<p>Eine gemeinschaftliche <tt>Table d'h&ocirc;te</tt> brachte alle Reisenden
+zusammen und der gute Veltliner Wein, wie das warme
+Zimmer f&uuml;hrten eine recht animirte Unterhaltung herbei, denn
+zur H&auml;lfte waren die Reisenden Italiener, welche, froh, bald
+die Grenze ihrer <tt>cara Italia</tt> erreicht zu haben, nicht verfehlten,
+ein Glas mehr, als gew&ouml;hnlich, zu trinken. Mit dem
+Orte Spl&uuml;gen hat man aber keineswegs die Pa&szlig;h&ouml;he erreicht.
+Im Gegentheil, jetzt beginnt erst das <i>steile</i> Steigen und eine
+Viertelstunde oberhalb des Dorfes fanden wir ein ganzes
+Schlittendep&ocirc;t. Die Postkutschen wurden verlassen und je
+Zwei wurden in einen eleganten Schlitten gepackt; wir hatten
+die Schneegrenze erreicht. Nat&uuml;rlich geht dieselbe im December
+noch tiefer, bis Chur selbst, hinunter und f&auml;ngt im Januar
+und Februar gar unterhalb Chur an, aber im November
+und October f&auml;llt Schnee nur bis Spl&uuml;gen und etwas
+oberhalb.</p>
+
+<p>Hatten wir am Tage vorher abscheulich nebliges Wetter
+gehabt, so war unsere <tt>Via-mala</tt>-Tour, unsere Schlittenpartie
+&uuml;ber den Spl&uuml;gen, durch den sonnigsten, italienischen Himmel
+verherrlicht. Aber kalt war es. Trotz des S&uuml;dwindes, der
+allerdings stundenlang &uuml;ber Gletscher und Schneefelder fegte,
+fror man bis auf's Innerste. Wie froh war ich, da&szlig; ich
+meinen grauen Mantel und die Pelzdecke mitgenommen hatte.
+Drei Stunden brauchten wir zu dieser Schlittenfahrt und man
+kann sich einen Begriff machen, welche Schneemassen im Laufe
+des Winters auf den Alpen angeh&auml;uft werden, wenn ich sage,
+da&szlig; wir manchmal Stellen passirten, wo der Schnee schon
+(durch Anwehen) 10-12' hoch lag. Auf der S&uuml;dseite, noch
+mitten im Schnee, liegt die italienische Douane, w&auml;hrend
+man die Grenze schon fr&uuml;her auf der Kante des Passes selbst
+passirt hat.</p>
+
+<p>Die Zollbeamten waren diesmal &auml;u&szlig;erst milde; hielten sie
+mich f&uuml;r irgend eine besondere Pers&ouml;nlichkeit (denn in den Augen
+aller dieser Leute passirte No&euml;l immer als mein Diener), oder
+ist die Praxis &uuml;berhaupt milder geworden, genug, es wurde
+nur ein Koffer pro forma ge&ouml;ffnet und damit war Alles
+fertig. Ich war namentlich froh wegen meiner Patronen, die
+ich ja gern versteuert h&auml;tte, von denen ich aber f&uuml;rchten mu&szlig;te,
+sie w&uuml;rden confiscirt werden.</p>
+
+<p>Bald darauf erreichten wir die s&uuml;dliche Schneegrenze und
+in ebenso guten Postkutschen ging es weiter. Den herrlichen
+Punkt, wo ein Gie&szlig;bach ins Thal hinab braust und wo man
+der Fernsicht halber eigens eine Kanzel erbaut hat, von der
+man die sch&ouml;nste Aussicht genie&szlig;en kann, passirten wir noch
+eben bei Licht, dann noch eine halbe Stunde das sch&ouml;nste
+Alpengl&uuml;hen, wie ich es nie leuchtender und intensiver gesehen
+habe, und tiefe Nacht senkte sich rasch auf uns herab. Nach
+zwei Stunden, d.h. um 6-1/2 Uhr Abends, waren wir in
+Chiavenna.</p>
+
+<p>Das Hotel zur Post, von dem Herrn Schreiber gehalten,
+ist ber&uuml;hmt in ganz Italien und auch wir konnten mit dem
+Nachtmahl, welches uns aufgetischt wurde, nur zufrieden sein;
+ja, das Lob seines Valtelliner machte, da&szlig; er uns noch eine
+Flasche, nat&uuml;rlich f&uuml;r unser Geld, heraufholte. Wir schieden
+um 10 Uhr als gute Freunde (im ganzen H&ocirc;tel ist nur
+deutsche Bedienung) und weiter ging's bis Colico, welchen Ort
+wir um 1 Uhr Nachts erreichten. In Colico selbst wurde
+nur umgeladen in einen anderen Wagen, der nach Lecco bestimmt
+war.</p>
+
+<p>Aus dieser sch&ouml;nen Tour l&auml;ngs des Lago di Como, die ich
+&uuml;brigens zu Lande schon einmal, zur See schon mehreremal
+gemacht habe, merkten wir nun zwar nichts von den Reizen
+der Natur, aber die milderen L&uuml;fte und zur Seite des Wagens
+die belaubten Olivenb&auml;ume bekundeten auch so genug, da&szlig; wir
+uns auf der anderen Seite der Alpen bef&auml;nden.</p>
+
+<p>In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Backfisches
+ledig. Als wir uns aus dem Omnibus Einer nach dem
+Anderen entwickelten, stand ein Herr bereit: "Sind Sie
+Fr&auml;ulein M&uuml;ller?" (Meier, Schulze oder Schmidt, so ungef&auml;hr
+klingt der Name). "Ja, ich bin es." Und damit fiel die
+junge Dame in verwandtschaftliche Arme.</p>
+
+<p>Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der Bahn bis
+Mailand weiter und direct ins H&ocirc;tel Reichmann, n&auml;chtigten
+daselbst und fuhren ohne Unterbrechung nach Brindisi, wo wir
+Abends um 10 Uhr anlangten. Von den anderen Herren
+war noch Niemand hier, ich vermuthete, Alle seien wegen des
+Cholerager&uuml;chtes &uuml;ber Triest gegangen. Zu meiner Freude
+h&ouml;rte ich aber bald darauf, da&szlig; die Cholera erloschen sei.</p>
+
+<p>In Brindisi ist ein vorz&uuml;gliches H&ocirc;tel, das des <tt>Indes
+orientales</tt>. Die Absicht, in eine Locomda zu gehen, gab ich
+auf, da ein italienischer Reisegef&auml;hrte mir unterwegs sagte,
+man bek&auml;me dort unfehlbar <tt>pedocchi</tt> d.h. die Thierchen,
+welche die Franzosen im Gegensatze zu den Fl&ouml;hen, der leichten
+Cavallerie, die schwere nennen. N&auml;her brauche ich diese
+menschenfreundlichen Thierchen wohl nicht zu bezeichnen. Ich
+dachte aber, es ist noch fr&uuml;h genug; wenn man sich ihrer in
+Afrika nicht wird erwehren <i>k&ouml;nnen</i>, dann mu&szlig; man mit
+ihnen haushalten.</p>
+
+<p>Komisch erschien mir die Extravaganz der italienischen Damen
+in den neuesten Moden: fu&szlig;hohe Chignons aller m&ouml;glichen
+Formen, selbst die H&ouml;rner der Pullo-Frauen<a name="FNanchor_29_29" id="FNanchor_29_29"></a><a href="#Footnote_29_29" class="fnanchor">[29]</a>, die
+Wulste der Mandara-Damen<a name="FNanchor_30_30" id="FNanchor_30_30"></a><a href="#Footnote_30_30" class="fnanchor">[30]</a> sind nicht ausgeschlossen; ich
+glaube, keine Damen der Welt entwickeln so viel Phantasie in
+der Herstellung aller nur m&ouml;glichen Haartouren, als die sch&ouml;nen
+Milaneserinnen. Sehr h&auml;ufig sieht man vorn auf der Stirn
+kleine L&ouml;ckchen glatt angeklebt mit Pomade, ein entsetzlich
+schlechter Geschmack. Alles dies gilt nur von der vornehmen
+Welt, das Volk ist in dieser Beziehung vern&uuml;nftiger.</p>
+
+<p>Mein Zimmer in der Bel-Etage des H&ocirc;tels von Brindisi
+ging auf den Hafen, und wenn auch keine gro&szlig;artige Aussicht
+geboten ist, so hat man doch immer ein belebtes Bild.</p>
+
+<p>Ich verbrachte meine Zeit damit, da&szlig; ich dem englischen
+Consul einen Besuch machte, um seine herrliche Sammlung
+von Antiken u.s.w. zu besehen. Er empfing mich sehr freundlich
+und hatte, wie er sagte, aus der "Times" schon mein
+Kommen &uuml;ber Brindisi erfahren. Sodann suchte ich den Archidiakon
+Farentini auf, der die Bibliothek unter sich hat, in der
+sich nebenbei ebenfalls ein kleines arch&auml;ologisches Museum befindet,
+welches einzelne h&uuml;bsche Sachen, z.B. ein prachtvolles
+Lacrimale<a name="FNanchor_31_31" id="FNanchor_31_31"></a><a href="#Footnote_31_31" class="fnanchor">[31]</a> und interessante Broncestatuetten enth&auml;lt. Bei
+der Gelegenheit zeigte er mir auch eine h&ouml;chst merkw&uuml;rdige
+Vase, welche sich im Reliquien-Schreine des Doms befindet,
+von so feink&ouml;rnigem Granit, wie ich ihn nie gesehen. Sie soll
+durch Kreuzfahrer aus Pal&auml;stina gekommen sein, so sagen die
+&auml;ltesten Chroniken. Ob sie, wie Pater Farentini behauptet,
+ph&ouml;nicischen Ursprunges ist, wage ich nicht zu best&auml;tigen. Nach
+dem Volksglauben &auml;ltester Zeit soll dies dieselbe Vase sein,
+in der Jesus Wasser in Wein verwandelt hat. Pater Giov.
+Farentini f&uuml;gte aber hinzu: "Ich f&uuml;r meinen Theil halte sie
+nur werth als ein h&ouml;chst interessantes Kunstwerk, die damit
+verkn&uuml;pfte heilige Legende &uuml;berlassen wir dem Volke." Ein
+liebensw&uuml;rdiger alter Mann, dieser Domherr, der sich ein &uuml;ber
+das andere Mal selbst besegnete (<tt>benedetto io</tt>), da&szlig; er meine
+Bekanntschaft gemacht habe. Am n&auml;chsten Tage wollte er mir
+noch einige Merkw&uuml;rdigkeiten in der Stadt und Umgegend
+zeigen, obschon Brindisi in dieser Beziehung sehr arm ist.</p>
+
+<p>Nur langsam erholt sich diese einst so wichtige Stadt,
+welche im Alterthum &uuml;ber 100,000 Einwohner, jetzt kaum
+10,000 Seelen hat.</p>
+
+<p>Strabo, welcher ausf&uuml;hrlich von dieser alten Stadt handelt,
+sagt<a name="FNanchor_32_32" id="FNanchor_32_32"></a><a href="#Footnote_32_32" class="fnanchor">[32]</a>. Brundusium soll, wie gesagt wird, eine Colonie der
+Kreter sein, die mit dem Theseus aus Knossus dahin kamen.
+Sodann lobt Strabo den Hafen der Stadt, nach ihm ungleich
+besser als der Tarents, und f&uuml;gt hinzu, dieser, wie es dem
+Anscheine nach aussieht, einzige Hafen theilt sich inwendig in
+eine Menge kleinerer Busen, so da&szlig; der gesammte Hafen die
+Gestalt eines Hirschkopfes bekommt, daher die Stadt auch ihren
+Namen erhalten haben soll, denn in der Sprache der Messapier
+hei&szlig;t ein Hirschkopf Brundusium.</p>
+
+<p>Brundusium ist auch nach Strabo der gew&ouml;hnliche Hafen,
+aus dem man ausf&auml;hrt, wenn man nach Griechenland oder
+Asien &uuml;bersetzen will, und alle Griechen und Asiaten landen
+auch hier, wenn sie Rom sehen wollen. Brundusium gilt als
+Geburtsst&auml;tte des Trag&ouml;diendichters Pacuvius, und Virgil ist
+hier gestorben.</p>
+
+<p>Mit dem Zusammensinken des r&ouml;mischen Reiches h&ouml;rte die
+Bl&uuml;the der Stadt aus, nat&uuml;rlich weil der Verkehr zwischen
+Morgenland und Abendland stockte. Und als dann zur Zeit
+der Kreuzz&uuml;ge auf einmal wieder ein lebhafter, wenn auch
+feindlicher Zusammensto&szlig; zwischen Occident und Orient stattfand,
+hob sich Brundusium rasch wieder und erlangte eine Einwohnerzahl,
+die auf 60,000 Seelen veranschlagt wird. Kaiser
+Barbarossa bevorzugte namentlich den Hafen und er ist auch
+der Erbauer des Castells. Mit dem Falle Jerusalems, mit
+der Beendigung der Kreuzz&uuml;ge hing auch der Verfall Brundusiums
+zusammen.</p>
+
+<p>Erst jetzt, wo Brindisi wieder Hauptausgangspunkt und
+Ankunftsort f&uuml;r Abendland und Morgenland geworden ist,
+hebt sich die Stadt wieder. Da aber jetzt die diese Stra&szlig;e
+Ziehenden bei Weitem nicht so lange im Hafen weilen wie im
+Alterthum, so ist der Aufschwung der Stadt ein viel langsamerer.
+Aber Brindisi wird jedenfalls, wird diese Linie beibehalten,
+immer eine gewisse Wichtigkeit bewahren.</p>
+
+<p>Die Stadt selbst macht auch nur einen sehr d&uuml;rftigen Eindruck;
+zwar sind die Stra&szlig;en mit herrlichen Quadern gepflastert,
+aber meist sehr schmal, die H&auml;user zum gr&ouml;&szlig;ten Theile einst&ouml;ckig,
+und dann macht es einen h&ouml;chst traurigen Eindruck,
+da&szlig; so viele Bauten unvollendet gelassen, zum Theil schon
+wieder Ruine geworden sind. Was war die Ursache davon?
+Hatte man kein Geld, keine Lust zum Weiterbauen? Aber wie
+erquickt Einen das herrliche Gr&uuml;n, wie l&auml;cheln Einem die
+allbekannten Opuntien und langbl&auml;tterigen Alo&euml;s zu, wie bekannt
+und heimisch winkt der hohe Palmbaum! Dazu das
+lebendige Treiben auf der Stra&szlig;e. Die wirklich madonnenhaften
+Antlitze der jungen M&auml;dchen, denn eine durchweg sch&ouml;ne
+Bev&ouml;lkerung ist in Apulien und namentlich der weibliche Theil,
+ist fast durchaus sch&ouml;n zu nennen.</p>
+
+<p>Und so wie es ist mu&szlig; es auch sein; ich m&ouml;chte nichts
+von dem wissen, wie wir uns Italien seit jeher vorgestellt
+haben und wie es in der That ist. Da scandalirt man &uuml;ber
+den Schmutz<a name="FNanchor_33_33" id="FNanchor_33_33"></a><a href="#Footnote_33_33" class="fnanchor">[33]</a> der neapolitanischen Bev&ouml;lkerung, &uuml;ber die
+<tt>shocking</tt> Nacktheit der dort herumlaufenden, herumkriechenden
+Kinder, aber man mache einmal aus Neapel eine nach holl&auml;ndischer
+Art abgewaschene Stadt&mdash;und Neapel ist nicht
+mehr Neapel.</p>
+
+<p>Ein ununterbrochener Regen go&szlig; herab, auf der Post fand
+ich einen Brief von Ernst<a name="FNanchor_34_34" id="FNanchor_34_34"></a><a href="#Footnote_34_34" class="fnanchor">[34]</a>, dem an der Grenze die Patronen
+confiscirt waren, der sonst aber wohlbehalten mit Taubert<a name="FNanchor_35_35" id="FNanchor_35_35"></a><a href="#Footnote_35_35" class="fnanchor">[35]</a>
+in Triest angekommen war. Auch Jordan<a name="FNanchor_36_36" id="FNanchor_36_36"></a><a href="#Footnote_36_36" class="fnanchor">[36]</a> schrieb
+von dort vom 20.: er sei mit Remel&eacute;<a name="FNanchor_37_37" id="FNanchor_37_37"></a><a href="#Footnote_37_37" class="fnanchor">[37]</a> und drei Dienern
+in Triest angekommen, habe meine beiden Diener gefunden
+und Freitag Nachts h&auml;tten sie sich an Bord begeben. Zittel<a name="FNanchor_38_38" id="FNanchor_38_38"></a><a href="#Footnote_38_38" class="fnanchor">[38]</a>
+und Schweinfurth<a name="FNanchor_39_39" id="FNanchor_39_39"></a><a href="#Footnote_39_39" class="fnanchor">[39]</a> k&ouml;nnten nun m&ouml;glicherweise am selben
+Abend noch hierher kommen, wenn sie nicht auch die Route
+Triest genommen h&auml;tten; am Abend vorher hatte ich sie vergebens
+erwartet.</p>
+
+<p>Als ich meine Briefe postirt hatte, legte sich der Platzregen,
+welcher den ganzen Morgen mit ununterbrochener Wuth herabgestr&ouml;mt
+war, und bald darauf erschien der Archidiakon Farentini,
+um mich abzuholen. Er zeigte mir zuerst eine h&ouml;chst
+merkw&uuml;rdige Kirche, eine sehr alte Baute, die urspr&uuml;nglich frei
+angelegt, sp&auml;ter durch den Ueberbau einer anderen Kirche zu
+einer Krypta gemacht und jetzt wieder durch Hinwegr&auml;umung
+des umgebenden Terrains eine &uuml;berirdische Kirche geworden
+ist. Sie r&uuml;hrt aus dem 5. oder 6. Jahrhundert her. Sodann
+gingen wir nach einer Rotunde, einer Ruine, von der
+die Reiseb&uuml;cher behaupten, sie sei als christliche Kirche gebaut,
+was inde&szlig; keineswegs erwiesen ist. Jedenfalls r&uuml;hren die
+S&auml;ulen, die Capit&auml;ler von verschiedener Ordnung von alten
+r&ouml;mischen oder griechischen Tempeln her. Es war mittlerweile
+dunkel geworden und wir verabschiedeten uns von einander.</p>
+
+<p>Bei meiner Nachhausekunft fand ich Zittel und Ascherson
+vor. Sie waren beide &uuml;ber Rom und Neapel Nachmittags
+in Brindisi eingetroffen und Ascherson hatte den kurzen Aufenthalt
+schon benutzt, um zu botanisiren; ganz mit Pflanzen beladen
+kam er nach Hause. Wir dinirten noch gemeinschaftlich
+und gingen dann um 7 Uhr an Bord. Zuerst hatten No&euml;l
+und ich, Ascherson und Zittel je eine Caj&uuml;te f&uuml;r uns, als aber
+dann in unsere Cabinen noch fremde Leute hineingesteckt wurden,
+tauschten wir derart, da&szlig; wir Vier zusammenkamen. Ich
+konnte die Nacht gar nicht schlafen, die Betten waren sehr
+hart und schmal und gegen Morgen entstand ein H&ouml;llenl&auml;rm,
+denn um 3 Uhr kam ein Londoner Expre&szlig;train, den auch
+Schweinfurth benutzt hatte, von Bologna und um 8 Uhr
+Morgens kurz vor Fr&uuml;hst&uuml;ckszeit, als wir auf dem Deck erschienen,
+waren wir schon <tt>en route</tt>; es war k&ouml;stliches Wetter,
+das Meer leicht gewellt, was aber dem sehr gro&szlig;en Dampfer
+keine Bewegung verursachte.</p>
+
+<p>Um 10 Uhr Morgens fuhren wir bei der griechischen
+Stadt Navarin vorbei; auch an dem Tage herrliches Wetter,
+wenn auch etwas tr&uuml;ber. Je mehr wir nach dem S&uuml;den
+kamen, desto milder wurde die Lufttemperatur und Abends
+hatten wir immer das sch&ouml;nste Meerleuchten, und die Zeit
+w&auml;re gewi&szlig; so angenehm wie m&ouml;glich vergangen, wenn nicht
+Regenwetter eingetreten w&auml;re, welches uns n&ouml;thigte unter
+Deck zu bleiben. Die letzten beiden Tage hatten wir sogar
+Sturm; Zittel und Ascherson waren seekrank, Schweinfurth,
+No&euml;l und ich hielten uns vortrefflich; aber Zittel mu&szlig;te einen
+ganzen Tag im Bette liegen, da er sich stark erk&auml;ltet hatte und
+heftige Halsschmerzen bekam. Und doch war es so warm.
+20 Grad im Schatten.</p>
+
+<p>Um 12 Uhr Mittags kamen wir in den Hafen von Alexandrien;
+wir mu&szlig;ten die Quarant&auml;ne am Bord des Schiffes
+bis &uuml;bermorgen Mittag halten. Alle Sachen waren angekommen
+und alles Andere war von Menshausen, einem deutschen
+Kaufmanne, besorgt. Der Vicek&ouml;nig war in Kairo und
+v. Jasmund auch, der dort sich augenblicklich mit dem Prinzen
+von Hohenzollern aufhielt. In Alexandria war projectirt,
+nur einen Tag zu bleiben, in Kairo drei bis vier, um dann
+gleich bis Minieh oder Siut (Hauptstadt von Ober&auml;gypten am
+Nil) vorw&auml;rts zu gehen.</p>
+
+<p>Welch' bewegtes Leben hier in Skendria oder Alexandria!
+Wir lagen am Eingange des Hafens auf der Rhede. Rechts
+der sch&ouml;ne Mex-Palast von Said Pascha, links der Leuchtthurm
+und der schneewei&szlig;e Palast von Mehemed Ali, der Mastenwald,
+mit der Stadt im Hintergrunde vor uns. In der
+Ferne ein &uuml;ppiger Palmenwald: dies das Panorama von
+unserem Schiffe. Auf dem Schiffe selbst zerlumpte Soldaten
+mit gelber Sch&auml;rpe, Abzeichen der Quarant&auml;ne. Daf&uuml;r, da&szlig;
+ich mit Menshausen sprach, kam der wie ein B&auml;nkels&auml;nger
+aussehende Soldat gleich mit offener Hand auf mich los:
+"<tt>nrid backschisch</tt>", "ich m&ouml;chte Trinkgeld." Er war sehr bedonnert,
+als ich ihn in arabischer Sprache fragte, wie er dazu
+k&auml;me und mit welchem Rechte er bettele. Nat&uuml;rlich gab ich
+ihm trotzdem sein Backschisch.</p>
+
+<p>Schweinfurth war wieder hergestellt und Zittel und Ascherson
+nat&uuml;rlich wie durch Zauber ihrer Krankheit hier im sicheren
+Hafen &uuml;berhoben. Mit den &uuml;brigen Herren auf dem Lloydschiffe,
+welches auch gekommen war und einen Flintenschu&szlig;
+weit von uns lag, tauschten wir, sobald wir uns durchs Fernrohr
+erkannten, laute Hurrahrufe aus und sp&auml;ter kamen Jordan
+und Remel&eacute; her&uuml;ber, um uns (nat&uuml;rlich immer in respectvoller
+Distance, da sie f&uuml;nf, wir aber nur zwei Tage Quarant&auml;ne
+halten sollten) zu begr&uuml;&szlig;en. Die Armen mu&szlig;ten darauf
+aber das Schiff verlassen, um am Lande die Quarant&auml;ne abzuhalten.
+Das ist langweilig und kostspielig f&uuml;r sie; aber
+am&uuml;sant mu&szlig;te es ihnen sein, die zahlreichen Pilger zu beobachten,
+welche, an dem Tage von Marokko kommend, ein
+englischer Dampfer gebracht hatte, etwa 1000 an der Zahl.
+Das war ein sonderbarer Anblick; ein bunteres Bild konnte man
+kaum sehen, als sie in kleinen Barken zu 8-10 Mann nach dem
+Quarant&auml;ne-Geb&auml;ude geschafft wurden. Aber bunt kann man
+eigentlich nicht sagen, weil alle entweder in einem schmutziggrauen,
+schmutzigbraunen oder schwarzen Burnus eingewickelt
+waren und offenbar die schlechtesten Gew&auml;nder trugen, die sie
+&uuml;berhaupt in ihrer Heimath von ihren Angeh&ouml;rigen hatten
+auftreiben k&ouml;nnen. Wie merkw&uuml;rdig, da&szlig; sich dieser Pilgerzug
+mitten durch die civilisirtesten L&auml;nder und V&ouml;lker hindurch
+immer noch erh&auml;lt, denn eine Abnahme des Pilgerns ist wohl
+kaum zu sp&uuml;ren. Und wie merkw&uuml;rdig, da&szlig; die christlichen
+Engl&auml;nder es heute unternehmen, die fanatischen Gl&auml;ubigen
+zu ihrer heiligen St&auml;tte zu f&uuml;hren. Auf der einen Seite geben
+sie j&auml;hrlich Hunderttausende von Pfund Sterling aus, um dem
+Umsichgreifen des Islam durch christliche Missionen ein Ziel
+zu setzen, auf der anderen Seite leisten sie demselben Vorschub
+dadurch, da&szlig; sie das Pilgern erleichtern, denn es kann nicht
+gel&auml;ugnet werden, da&szlig; die j&auml;hrlichen Zusammenk&uuml;nfte am
+Berge Ararat und beim schwarzen Steine in Mekka die Mohammedaner
+zu immer neuem Fanatismus anfachen. Das ist
+bei den mohammedanischen Pilgerfahrten so gut der Fall, wie
+bei den katholischen. Uebrigens Angesichts unserer eigenen
+Pilgerreisen inmitten des civilisirten Europa ist es kaum erlaubt,
+dar&uuml;ber zu staunen; denn dem Unparteiischen mu&szlig; es
+schlie&szlig;lich einerlei sein, ob er in Nordafrika dumme Schafheerden
+nach Mekka str&ouml;men sieht, oder solche von Frankreich,
+von Belgien, vom Rhein aus auf dem Wege nach Rom erblickt.
+Hier sowohl wie dort wird Dasselbe erstrebt: In
+Mekka wie in Rom ist f&uuml;r den Hohenpriester die Hauptsache,
+Geld zu bekommen, f&uuml;r die Pilger, sich Verdienste und Vergebung
+der S&uuml;nden zu erwerben. Einen Unterschied verm&ouml;gen
+wir absolut nicht zu finden. Dummheit und Aberglaube sind
+bei den Mohammedanern wie Christen die Triebfedern.</p>
+
+<p>Langeweile hatten wir an Bord nicht; die Passagiere waren
+noch fast alle geblieben, nur die India-Reisenden gingen am
+selben Tage mit einem direct nach Suez gehenden Zuge ab.
+Ein solcher Quarant&auml;ne-Zug wird verschlossen, darf nirgends
+halten und ohne Aufenthalt geht es in Suez wieder an Bord.
+Der Hafen ist ungemein belebt; Dampfer kommen und gehen;
+einige, die von inficirten H&auml;fen kommen, werden mit der gelben
+Flagge, dem Abzeichen, da&szlig; sie in Quarant&auml;ne sind, geschm&uuml;ckt;
+andere, die aus gesunden H&auml;fen ausgelaufen sind,
+bleiben ohne gelbes Abzeichen und d&uuml;rfen gleich mit der Stadt
+communiciren.</p>
+
+<p>Endlich schlug die ersehnte Stunde: zwei Cavassen vom
+Generalconsulat kamen an Bord, und uns und unsere Sachen
+einladend ging es fort und bald darauf hielten wir vor Abbat's
+H&ocirc;tel, an einem der sch&ouml;nsten Pl&auml;tze Alexandriens gelegen.
+Ich ging zuerst zu Menshausen und dann auf's Consulat.
+Herr v. Jasmund empfing mich sehr freundlich. F&uuml;r den
+Abend war ich mit allen meinen Begleitern zum Essen auf's
+Consulat geladen.</p>
+
+<p>Jordan und Remel&eacute; waren gestern Abend auch noch aus
+der Quarant&auml;ne befreit werden, welche also keineswegs so
+streng beobachtet und gehalten wurde, wie urspr&uuml;nglich war
+angeordnet worden, und so waren wir denn Alle vereint im
+H&ocirc;tel Abbat, wo wir zum ersten Male erfahren sollten, mit
+&auml;gyptischen Preisen zu rechnen. Allein f&uuml;r die Diener mu&szlig;te
+ich t&auml;glich 40 Frcs. ausgeben. Im Uebrigen konnte man mit
+den Zimmern, dem Essen und der Bedienung zufrieden sein,
+obschon die H&ocirc;tels in Alexandrien nicht so gut sind, wie die
+in Kairo, da in der Hafenstadt die Passagiere nur ein bis
+zwei Tage zu bleiben pflegen, wogegen sie in Kairo manchmal
+Monate lang weilen.</p>
+
+<p>In Alexandria wurde meine ganze Zeit durch gesch&auml;ftliche
+Angelegenheiten in Anspruch genommen. Nur Abends hatten
+wir Ruhe, uns an einem Glase Bier zu erlaben.</p>
+
+<p>Bei unserer demn&auml;chstigen Abreise von Alexandrien war
+am Schalter wieder eine entsetzliche Wirthschaft: Es ist unglaublich,
+mit welcher Gem&uuml;thsruhe der Billeteur die sich dr&auml;ngenden
+und ungeduldigen Reisenden am Schalter abfertigt.
+Werden sie gar zu l&auml;stig, h&ouml;rt er einige "<tt>goddam</tt>" oder "<tt>au
+sacre nom de Dieu</tt>" oder Kreuz-Millionen-Donnerwetter,
+dann entfernt er sich f&uuml;r f&uuml;nf Minuten, nimmt eine Tasse
+Kaffee, um mit neuen Kr&auml;ften dem Publicum entgegentreten
+zu k&ouml;nnen. Endlich war an mich die Reihe gekommen, ich
+hatte meine Billets, die Bagage wurde eingeschrieben und bald
+darauf ging's fort. Da Ascherson, Jordan und Remel&eacute; noch
+zur&uuml;ckblieben, um mit einem anderen Zuge nachzufahren, so
+lud Herr v. Jasmund uns ein, in sein Coup&eacute; zu steigen. Die
+Generalkonsuln in Alexandrien bekommen jedesmal ein eigenes
+Coup&eacute;, wenn sie reisen.</p>
+
+<p>Ich unterlasse es, &uuml;ber die Fahrt auch nur ein Wort zu
+sagen, doch mu&szlig; ich erw&auml;hnen, da&szlig; wir in Kassar Sayet,
+beim Uebergange des linken Nilarmes, mit Nubar Pascha,
+der von Kairo nach Alexandria fuhr, zusammenkamen und
+demselben vorgestellt wurden. Eigenth&uuml;mlich, ich hatte mir den
+Mann ganz anders gedacht, mehr diplomatenm&auml;&szlig;ig, d.h. wie
+bei uns die Staatsm&auml;nner auszusehen pflegen. Damit will
+ich aber keineswegs sagen, da&szlig; Nubar eine gew&ouml;hnliche Physiognomie
+habe, im Gegentheil, namentlich sein Auge ist wundersch&ouml;n.
+Im Franz&ouml;sischen dr&uuml;ckt er sich gewandt aus. Er
+theilte uns mit, der Vicek&ouml;nig w&uuml;nsche der Expedition einen
+so wenig officiellen Anstrich wie m&ouml;glich zu geben und deshalb
+m&uuml;&szlig;ten wir von einer milit&auml;rischen Escorte abstehen. Dahingegen
+garantire er absolute Sicherheit der Gegend zwischen
+dem Nil und den Uah-Oasen. Die Unterredung dauerte nur
+kurze Zeit, da die Z&uuml;ge bald darauf wieder abfuhren. Mir
+war nichts angenehmer, aus der l&auml;stigen Escorte ledig zu sein.
+Wie ich denn &uuml;berhaupt bemerken mu&szlig;, da&szlig; der Gedanke einer
+milit&auml;rischen Begleitung keineswegs von mir, sondern urspr&uuml;nglich
+vom Chedive selbst ausging und zwar so gestellt
+wurde, da&szlig; ich glauben mu&szlig;te, dem Chedive sei daran gelegen,
+eine milit&auml;rische Bedeckung mitzugeben.</p>
+
+<p>Mit dem Zuge, den wir benutzten, erreicht man Kairo in
+f&uuml;nftehalb Stunden. Um 1 Uhr waren wir denn auch angelangt,
+nachdem schon l&auml;ngere Zeit vorher die Pyramiden,
+die Gr&auml;ber der Chalifen, die schlanken Minarets der Mohammed-Ali-Moschee
+ihren Willkommengru&szlig; uns entgegen gesandt
+hatten.</p>
+
+<p>Angekommen, begaben wir uns sogleich ins Nil-H&ocirc;tel,
+nachdem ich vorher vergeblich versucht hatte, die Diener in
+einem billigeren H&ocirc;tel unterzubringen. Nachmittags besuchten
+wir das Consulat, fanden aber, da&szlig; unser deutscher Viceconsul
+Travers auf einer Tour nach Minieh war, um den Prinzen
+von Hohenzollern dorthin zu begleiten. Abends waren wir
+im Theater und h&ouml;rten die "Aida" von Verdi, welche in
+dieser Saison zum ersten Male aufgef&uuml;hrt wurde. Wer h&auml;tte
+nicht von den Wundern geh&ouml;rt, welche der Chedive durch
+Zaubergewalt in seiner Hauptstadt seit Jahren entstehen
+l&auml;&szlig;t? Wenn auch nicht alle gleich an Pracht, wie solche bei
+Er&ouml;ffnung des Suez-Kanals dem Auge sich darbot, zeigen doch
+die Werke, welche der Vicek&ouml;nig seitdem nach und nach ins
+Leben rief, um die Freuden des Lebens durch Kunstgen&uuml;sse zu
+erh&ouml;hen, einen derartig gro&szlig;en Anstrich, da&szlig; es sich wohl verlohnt,
+dabei zu verweilen.</p>
+
+<p>Einen Lieblingsgedanken, eine Oper zu besitzen, verwirklichte
+Ismael Pascha bald, nachdem die Feierlichkeiten der Kanaler&ouml;ffnung
+vor&uuml;ber waren, indem er auf dem pr&auml;chtigen Esbekieh-Platze
+ein Geb&auml;ude mit Allem, was dazu geh&ouml;rt, f&uuml;r eine
+italienische Oper herrichten lie&szlig;. Um dasselbe w&uuml;rdig einzuweihen,
+veranla&szlig;te er den Ma&euml;stro Verdi, eigens eine Oper
+daf&uuml;r zu componiren. Den geschichtlichen Stoff lieferte Mariette,
+die literarische Redaction besorgte Ghislanzoni.</p>
+
+<p>Pr&auml;cis 8 Uhr begann man mit der Ouverture, welche von
+einem vollkommen einge&uuml;bten Orchester meisterhaft vorgetragen
+wurde. Ebenso tadellos war die ganze Auff&uuml;hrung. S&auml;nger
+und S&auml;ngerinnen sind durchweg ersten Ranges, namentlich der
+Tenor (Radames) Sigr. Fancelli, von einer St&auml;rke und H&ouml;he
+der Stimme, wie man ihn gewi&szlig; selten an einer der gr&ouml;&szlig;ten
+B&uuml;hnen Deutschlands findet. Was die S&auml;ngerinnen anbetrifft,
+so waren dieselben in der Saison nur aus Deutschland
+recrutirt, die Aida wurde von Fr&auml;ulein Stolz, Amneris von
+Fr&auml;ulein Waldmann repr&auml;sentirt. Beide waren in ihrer Art
+vorz&uuml;glich.</p>
+
+<p>Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, da&szlig; man bei
+der Cost&uuml;mirung auf gr&ouml;&szlig;te Genauigkeit gesehen hat, um
+Kleidung und alte Gegenst&auml;nde so herzustellen, wie sie durch
+die Aegyptologen uns bekannt und wie sie uns in den Museen
+aufbewahrt sind. Dazu ist Alles mit einer Pracht hergerichtet,
+wie es eben nur ein F&uuml;rst zu leisten vermag, dessen Mittel
+fast unbeschr&auml;nkt sind.</p>
+
+<p>Was das Sujet anbetrifft, so ist es der &auml;gyptischen Geschichte
+entnommen. Aegypten und Abessinien liegen seit
+Jahren in Krieg miteinander. Der Feldherr des K&ouml;nigs von
+Aegypten, Namens Radames hat die Tochter des &auml;thiopischen
+K&ouml;nigs Amonasro, Namens Aida, gefangen genommen, er
+giebt sie der Tochter seines &auml;gyptischen K&ouml;nigs, Namens Amneris,
+zur Sclavin. Radames verliebt sich aber in Aida und
+wird von Aida wieder geliebt. Sp&auml;ter wird der &auml;thiopische
+K&ouml;nig Amonasro auch noch gefangen genommen. Amonasro
+und Aida finden sich wieder, Beide, Vater und Tochter, Gefangene
+am &auml;gyptischen Hofe. Man begnadigt Beide und will sie ziehen
+lassen. Amonasro aber &uuml;berredet seine Tochter, die Liebe Radames'
+zubenutzen, um ihn &uuml;ber einen Kriegsplan auszuforschen;
+sie weicht endlich den Bitten des Vaters und Radames widersteht
+nicht dem Flehen der Aida. Er f&auml;ngt an, den Plan zu verrathen,
+aber gerade in dem Momente kommt Amneris hinzu.
+Radames flieht nicht, er klagt sich selbst an, die K&ouml;nigstochter
+&uuml;berliefert ihn aus Eifersucht den Priestern, er wird zum Tode
+verurtheilt und kann dann trotz der bitteren Reue der Amneris
+nicht gerettet werden. Lebendig in einem Grabe eingemauert,
+theilt Aida freiwillig sein Loos.</p>
+
+<p>Eine solche Auff&uuml;hrung, wie sie in Kairo Statt hatte,
+mu&szlig; selbst den verw&ouml;hntesten Geschmack befriedigen. Die
+Musik freilich wird wohl nicht &uuml;berall Beifall finden. Die
+Freunde der Harmonie werden sagen, es sind zu viel Wagner'sche
+Ankl&auml;nge vorhanden, die Wagnerianer werden die
+Musik zu d&uuml;nn und zu wenig &uuml;berw&auml;ltigend finden. In der
+That ist Verdi bei dieser Composition ganz aus seiner Rolle
+gefallen. Der Componist des "Ernani", des "Trovatore" hat
+sich im Wagnerianismus versuchen wollen, aber nichts als
+zwangvolle S&auml;tze sind entstanden, welche das Publicum kalt lassen.</p>
+
+<p>Die innere Einrichtung des Opernhauses ist reizend. Die
+B&uuml;hne ist verh&auml;ltni&szlig;m&auml;&szlig;ig gro&szlig;, ebenso der Orchesterraum.
+Links hat der Chedive eine Prosceniumsloge, die gleich hoch
+<i>allen</i> Logenreihen ist, darunter eine kleine dicht am Orchester.
+Rechts ist die chedivische Haremsloge, durch ein so feines
+Eisengitter verschleiert, da&szlig; die Meisten glauben, dies wei&szlig;e
+Gewebe seien T&uuml;llgardinen, aber in der That besteht es aus
+dem feinsten Eisendraht. Daran schlie&szlig;en sich vier andere, &auml;hnlich
+verschleierte Logen, f&uuml;r andere Haremsdamen hoher W&uuml;rdentr&auml;ger.</p>
+
+<p>Das Opernhaus hat vier Logenreihen &uuml;bereinander. Im
+ersten Stock, also parallel mit den Logen ersten Ranges, befindet
+sich ein gro&szlig;es und f&uuml;rstlich eingerichtetes Foyer, zug&auml;nglich
+f&uuml;r Jedermann. Daneben sind Restaurationslocale,
+die man &uuml;brigens auch unten findet.</p>
+
+<p>Zu der Zeit wurde das Opernhaus erheblich vergr&ouml;&szlig;ert,
+weil die damaligen R&auml;ume zur Aufbewahrung der Decorationen
+keineswegs gen&uuml;gten.</p>
+
+<p>Am folgenden Tage wurden wir um 10-1/2 Uhr zum Vicek&ouml;nige
+befohlen; wir holten Herrn v. Jasmund ab. Der
+Vicek&ouml;nig residirt in einem neuen Palais im neuen Stadttheile
+Ismaelia. Nach wenigen Vorstellungen, die zwischen Ali
+Pascha, dem Ceremonienmeister und dann einem Anderen, der
+der Gro&szlig;siegelbewahrer ist, stattfanden, f&uuml;hrte man uns die
+Treppe hinauf, wo wir oben vom Vicek&ouml;nige empfangen wurden.
+Aus dem gro&szlig;en Saale f&uuml;hrte er uns in ein kleines
+Zimmer. Die Unterhaltnng drehte sich nat&uuml;rlich nur um die
+Expedition. Zuerst aber, nachdem wir vorgestellt waren, hielt
+Herr v. Jasmund einen kleinen <tt>speech</tt>, worin er dem Vicek&ouml;nige
+dankte f&uuml;r das, was er f&uuml;r die wissenschaftliche Expedition
+gethan. Dann erwiderte der Vicek&ouml;nig, wie gl&uuml;cklich
+er sich sch&auml;tze, mit solchen Leuten eine solche Expedition organisiren
+zu k&ouml;nnen, und dann stattete ich meine Gr&uuml;&szlig;e ab und
+dankte im Namen des Kaisers und K&ouml;nigs. Als ich dies
+sagte, erhob sich der Chedive von seinem Platze, aus Ehrfurcht
+vor dem Namen Sr. Majest&auml;t und Sr. Kaiserlichen Hoheit
+des Kronprinzen.</p>
+
+<p>Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte
+3/4 Stunden) &uuml;ber die Expedition und hierbei beklagte sich der
+Vicek&ouml;nig bitter &uuml;ber Bakers Expedition, der unn&uuml;tz Menschenblut
+vergossen und f&uuml;r Abschaffung des Sclavenhandels nichts
+gethan habe. Diese vom Vicek&ouml;nige gesprochenen Worte bekr&auml;ftigten
+also in der That, da&szlig; Sir Samuel gar nichts erreicht
+hat, da&szlig; seine Expedition vielmehr nach der Aussage des
+Chedive nur unheilvoll wirkte. Ich begriff nun auch, warum
+die &auml;gyptische Regierung meiner Expedition so wenig officiellen
+Charakter, wie m&ouml;glich, geben wollte. Gegen Samuel Baker
+scheint der Chedive jedoch sich ganz anders ge&auml;u&szlig;ert zu haben;
+wenigstens lesen wir in Bakers "Ismailia", da&szlig; der Chedive
+seine Dienste durch die Verleihung des Osmanieh-Orden belohnte,
+und da&szlig; Baker selbst meint, sein fester Glaube auf
+die Unterst&uuml;tzung der Vorsehung sei nicht unbelohnt geblieben,
+also seine Aufgaben f&uuml;r gel&ouml;st hielt. Das kann ich best&auml;tigen,
+da&szlig; der Chedive keineswegs gesonnen schien, die Baker'sche
+Expedition aufzugeben, sondern in Colonel Gordon einen w&uuml;rdigen
+Mann fand, der da wieder ankn&uuml;pfte, wo Baker sein
+Unternehmen abgebrochen hatte.</p>
+
+<p>Der Vicek&ouml;nig, 1830 geboren, also jetzt 45 Jahre alt, hat
+eine gedrungene Gestalt, ein sympathisches Gesicht, freundliche
+Augen, im Ganzen ein sehr intelligentes Aeu&szlig;ere. Jedenfalls,
+nach seiner Physiognomie zu schlie&szlig;en, ein Mann, der mehr
+liebt, das Gute zu thun, als das B&ouml;se.</p>
+
+<p>Als wir uns verabschiedet hatten, begab ich mich mit v.
+Jasmund nach seinem H&ocirc;tel, um noch einige Punkte wegen
+des Dampfers, der Kamele &amp;c. zu pr&auml;cisiren und zu Papier
+zu bringen.</p>
+
+<p>Dar&uuml;ber war es Mittag geworden. Nach Tische kam Jasmund,
+mich abzuholen zu einem Besuche bei Hussein Pascha,
+dem zweiten Sohne des Vicek&ouml;nigs, der den &ouml;ffentlichen Arbeiten
+vorsteht. Es handelte sich n&auml;mlich darum, die Papiere
+bez&uuml;glich des Nivellements der Eisenbahnstrecke von Siut zu
+bekommen, damit wir bei unserem Vorgehen von diesem
+Punkte eine bestimmte Basis h&auml;tten. Hussein wohnt auf der
+Kasbah und im selben Palais oder Harem, in welchem der
+gro&szlig;e Mohammed Ali sein Leben ausgehaucht hat. Ein gro&szlig;artiges
+Geb&auml;ude von colossalen Dimensionen, dessen Bel-Etage
+ein immenses Kreuz bildet, derart, da&szlig; 1 das Audienzzimmer,
+2 den Saal und 3, 3, 3 noch andere
+Zimmer umfassen. Wie im chedivischen
+Palaste, war auch hier Alles auf's Geschmachvollste,
+auf's Reichste und ohne
+Ueberladung decorirt. Aber die Kasbah
+hat nicht nur diesen einen Palast, sondern
+es ist dies ein Complex von Forts, Schl&ouml;ssern und
+Moscheen. Da ist z.B. das Palais, in dem der Vicek&ouml;nig
+die Beiramsfestlichkeiten abh&auml;lt, da ist vor Allem die ganz aus
+Alabaster, oder besser gesagt, aus &auml;gyptischem Marmor erbaute
+Moschee Mehemed Ali's.</p>
+
+<div class='center'>
+<table border="1" cellpadding="0" cellspacing="0" summary="">
+<tr><td>
+<table border="0" cellpadding="0" cellspacing="0" summary="">
+<tr>
+<td><table border="1" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px">1</td></tr></table></td>
+<td><table border="0" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px"></td></tr></table></td>
+<td><table border="1" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px">3</td></tr></table></td>
+</tr>
+<tr>
+<td colspan="3" align="center"><table border="0" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td style="height: 100px">2</td></tr></table></td>
+</tr>
+<tr>
+<td><table border="1" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px">3</td></tr></table></td>
+<td><table border="0" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px"></td></tr></table></td>
+<td><table border="1" width="100" cellpadding="0" cellspacing="0" summary=""><tr><td align="center" style="height: 100px">3</td></tr></table></td>
+</tr>
+</table>
+</td></tr>
+</table></div>
+
+<p>M&ouml;gen nun auch die Architekten sagen, was sie wollen,
+m&ouml;gen sie behaupten, diese Bauten zeigen keinen bestimmten
+Stil, m&ouml;gen sie glauben, die Minarets seien im Verh&auml;ltnis
+zu ihrer bedeutenden H&ouml;he zu d&uuml;nn oder zu wenig umfangreich,
+es steht fest, da&szlig; gerade diese Moschee eine der Hauptzierden
+Kairos ist, da&szlig; man ohne sie sich Kairo nicht mehr
+vorstellen k&ouml;nnte. Und in ihren einzelnen Theilen wie im
+Ganzen kann man sie nur sch&ouml;n nennen, im Innern, wie im
+Aeu&szlig;ern. Nur der h&auml;&szlig;liche Uhrthurm auf der Westfa&ccedil;ade
+des Hofes, aus Holz erbaut, pa&szlig;t nicht zum Ensemble. Wir
+besuchten nat&uuml;rlich auch das Innere, es wurden uns die obligaten
+Schuhe &uuml;bergezogen, aber ich merkte einen Fortschritt,
+sie waren nicht wie fr&uuml;her aus Stroh, sondern aus Tuch und
+wurden festgebunden durch B&auml;nder.</p>
+
+<p>Eine stark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt und
+gesagt, es sei das der Ort, wo eventuell der t&uuml;rkische Sultan
+seinen Sitz n&auml;hme; dies scheint mir problematisch, ich glaube
+vielmehr, es ist eine Einrichtung f&uuml;r den Harem.</p>
+
+<p>Nachdem wir dann die unvergleichlich sch&ouml;ne Aussicht von
+dem Punkte aus genossen hatten, wo beim Massacre der
+Mameluken einer derselben sich durch einen k&uuml;hnen Sprung
+in die Tiefe gerettet haben soll, ein Punkt, von welchem aus
+man die Stadt, die Gr&auml;ber der Chalifen, das rothe Gebirge
+(<tt>Gebel ahmer</tt>), das Mokhatan-Gebirge, die Pyramiden, den
+Nil, ein gro&szlig;es St&uuml;ck des &uuml;ppigen Nil-Delta und die unendliche
+Sahara &uuml;berblickt, ein Punkt, von dem aus man das
+vollkommenste Bild &uuml;ber Aegypten gewinnt, wo man den
+Charakter dieses Landes mit einem Blick &uuml;berschauen kann&mdash;nachdem
+wir dies in uns aufgenommen, stiegen wir zur
+Hassan-Moschee, am Fu&szlig;e der Kasbah gelegen, hinab.</p>
+
+<p>Die Hassan- Moschee gilt &uuml;berall als die sch&ouml;nste Moschee
+von Kairo und doch keineswegs mit Recht. Die Gro&szlig;artigkeit
+der Steinmauern bestreite ich nicht, aber die schon zugeschnittenen
+Quadern wurden von den Pyramiden entnommen. Die
+Zartheit, das K&uuml;hne des Tropfsteingew&ouml;lbes, das Unglaubliche
+der Stalaktiten-Kuppeln gebe ich gern zu, aber das Material
+dazu ist von Holz, und mit Widerwillen fast wird man hier
+an das Verg&auml;ngliche, an das Unsolide aller maurischen Bauten
+erinnert. Dazu kommt, da&szlig; diese Holz-Stalaktiten-Bauten
+derart vernachl&auml;ssigt und zerfallen sind, da&szlig; alle Sch&ouml;nheit
+schon zu Grunde gegangen ist.</p>
+
+<p>Was aber f&uuml;r den mit der religi&ouml;sen Geschichte der Mohammedaner
+Vertrauten ungleich mehr auff&auml;llt, ist der Grundri&szlig;
+der Moschee. Bis jetzt hat noch kein Architekt darauf aufmerksam
+gemacht. Im gew&ouml;hnlichen Stil besteht n&auml;mlich jede
+Moschee aus zwei K&ouml;rpern: dem bedeckten, nach Osten gerichteten
+Theile, aus manchmal vielen S&auml;ulenhallen bestehend, und
+dem unbedeckten Hofe im Westen, beide in der Regel viereckig.
+Die Hassan-Moschee aber hat im Hofe als Grundri&szlig; ein vollkommenes
+<i>Kreuz</i>. Wenn man wei&szlig;, wie furchtbar der Moslim
+Alles ha&szlig;t, was nur irgendwie an die Form des Kreuzes erinnert,
+so mu&szlig; man sich wundern, da&szlig; dies hier so pr&auml;gnant
+zum Ausdruck gekommen ist. Jedenfalls ist es unbewu&szlig;t geschehen,
+denn der uns begleitende Priester gab mir den Schl&uuml;ssel
+dazu folgenderma&szlig;en: Jeder der Kreuzfl&uuml;gel, welche, beil&auml;ufig
+gesagt, &uuml;berw&ouml;lbt sind, dient zur Aufnahme der Anh&auml;nger der
+vier rechtgl&auml;ubigen Bekenner, so da&szlig; in dem einen die Malekiten,
+im anderen die Schaffe&iuml;ten, im dritten die Hambaliten,
+im vierten die Hanesiten Platz finden. Sultan Hassan liegt
+in der Moschee begraben und rund um sein Grab sieht man
+die unvertilgbaren Spuren von Blutlachen, Zeugen der Ermordung
+von Mameluken, welche sich beim Massacre in die
+Moschee gefl&uuml;chtet hatten.</p>
+
+<p>Hiernach begleiteten wir v. Jasmund nach Hause und
+fuhren, Zittel und ich, sodann zu Mariette Bei, dem Director
+des Bulac-Museums, fanden ihn aber nicht zu Hause. Das
+Museum konnten wir auch nur sehr fl&uuml;chtig besehen, da es
+dunkel wurde.</p>
+
+<p>Nach dem Essen gingen die Anderen noch etwas spazieren,
+ich schrieb, machte auch einen Gang auf die Esbekieh und hiernach
+trafen Zittel und ich uns wieder im Nil-H&ocirc;tel. Wir
+sa&szlig;en Abends noch lange im Mondschein, der Mond stand hoch,
+fast im Zenith &uuml;ber uns. Die bl&uuml;henden, wie Heliotrop duftenden
+Akazien, die milden L&uuml;fte, Alles war zauberisch sch&ouml;n.
+Solche duftende ruhige N&auml;chte giebt es nur in Nordafrika,
+wo die N&auml;chte Winters und Sommers sich fast stets durch
+absolute Windlosigkeit der Atmosph&auml;re auszeichnen.</p>
+
+<p>Ein wichtiges Gesch&auml;ft war dann noch abzuwickeln, n&auml;mlich
+gute Diener zu engagiren. Eine gewisse Erleichterung gew&auml;hrte
+Kairo in sofern, als alle unbesch&auml;ftigten fremden Leute, alte
+und junge, in der Stadt einem Schich unterstehen, der, so
+lange sie in Kairo sind, f&uuml;r ihr Betragen der Polizei haftbar
+ist. Dieser Schich besorgte mir sodann Leute, so viel ich
+brauchte, und da au&szlig;erdem die Polizei sich noch drein mischte,
+konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, gute und brave
+Leute engagirt zu haben. Gleich von vornherein kann ich dies
+auch hier best&auml;tigen, denn im Ganzen hatten wir recht treue
+Diener; und wenn selbst der fromme Doctor der Theologie,
+welcher Prof. Ascherson's Diener war, diesen so unversch&auml;mt
+betrog, so folgte er wohl nur religi&ouml;sen Motiven oder glaubte
+vielmehr seine Betr&uuml;gereien durch den Mantel der Religion
+bedecken zu k&ouml;nnen. Ein alter Diener, den ich in Tripolis
+aus der Sclaverei befreit und &uuml;ber Cyrenaica und Siuah
+hierher gebracht hatte, fand mich hier wieder. Es war r&uuml;hrend,
+als er kam, mir die Hand k&uuml;&szlig;te, weinte und mir das
+Certificat zur&uuml;ckstellte mit den Worten: "Jetzt brauche ich es
+nicht mehr, jetzt habe ich Dich wiedergefunden."</p>
+
+<p>Nachdem viele Eink&auml;ufe besorgt waren, gingen wir sodann
+zur Sitzung des <tt>Institut d'&Eacute;gypte</tt>, wo man uns zu Ehren
+eine Versammlung anberaumt hatte. Da waren alle Notabilit&auml;ten
+der Wissenschaft Aegyptens vertreten. Mariette Bei,
+der ber&uuml;hmte Aegyptolog, pr&auml;sidirte. Die Sitzung war in
+einem Saale des Ministeriums des Innern. Nach einer einleitenden
+Rede und nach Verlesung des <tt>proc&egrave;s verbal</tt> der
+letzten Verhandlung verlas ich eine Rede in franz&ouml;sischer
+Sprache. Es war recht feierlich, v. Jasmund war auch da
+und Schweinfurth von Alexandrien her&uuml;ber gekommen.</p>
+
+<p>Nach diesem kurzen Aufenthalte in Alexandrien und Kairo
+wurde Siut erreicht, von wo die eigentliche Expedition beginnen
+sollte. Aber gleich beim Beginne stellten sich die Schwierigkeiten
+bedeutend gr&ouml;&szlig;er heraus, als man vermuthet hatte,
+denn es galt, die Kamele mit Futter zu beladen, da man sich
+Angesichts einer absolut vegetationslosen W&uuml;ste befand. Nachdem
+die Bohnen, welche zu einer Reise von zwanzig Tagen
+nothwendig wurden, an Ort und Stelle waren, traten wir
+am 18. December den Marsch in die W&uuml;ste an. Dieselbe
+offenbarte denn auch gleich an den ersten Tagen ihre ganzen
+Schrecken und Gefahren, denn man befand sich in der trostlosesten
+Ein&ouml;de. Allerdings nicht so vegetationslos, da&szlig; nicht
+hier und da noch einige Kr&auml;uter gespro&szlig;t h&auml;tten, aber keineswegs
+so krautreich, da&szlig; man darin h&auml;tte Kamele weiden
+k&ouml;nnen.</p>
+
+<p>Nur dieser Theil der Sahara, die sogenannte Libysche
+W&uuml;ste, kennzeichnet sich durch eine so au&szlig;erordentliche Armuth
+an Pflanzen, denn in der ganzen &uuml;brigen Sahara nehmen
+Karawanen nie Futter f&uuml;r die Kamele mit, sondern die Thiere
+begn&uuml;gen sich mit dem, was sie unterwegs finden. Nur s&uuml;dlich
+von Tedjerri in Fessan hat man auch ein Terrain zu
+durchziehen, wo man f&uuml;r einige Tage Datteln als Kamelfutter
+mitzunehmen pflegt.</p>
+
+<p>Wir erreichten dann zun&auml;chst die kleine Oase Farafrah,
+keineswegs dem Nil zun&auml;chst gelegen, im Gegentheil, sie ist
+von Sinah am Nil die entfernteste. Aber ich hatte diesen
+Weg vorgezogen, weil er ein vollkommen neuer, <i>noch nie
+von Europ&auml;ern begangener</i> war. Das Erscheinen einer
+so gro&szlig;en Karavane, 100 Kamele und circa 80 Mann, rief
+nat&uuml;rlich die gr&ouml;&szlig;te Angst, der alsbald das Staunen folgte,
+bei den Eingeborenen hervor, aber als sie schnell gewahr wurden,
+da&szlig; wir in friedlicher Absicht gekommen waren, etablirte sich
+ein leidliches Verh&auml;ltni&szlig; zwischen uns, soweit der Fanatismus
+der Bewohner es gestattete.</p>
+
+<p>Sodann mu&szlig;ten wir nach einigen Tagen uns nach Dachel
+wenden, da wir in Farafrah weder f&uuml;r uns noch f&uuml;r unsere
+Kamele Vorr&auml;the auftreiben konnten. Wir folgten derselben
+Route, welche vor uns Cailliaud gezogen war, und erreichten
+nach einer Woche diese freundlichste aller Uah-Oasen. Und so
+freundlich uns die Landschaft und der Hauptort Gasr entgegenlachten,
+so zuvorkommend wurden wir hier auch empfangen
+von der Beh&ouml;rde und der ganzen Bev&ouml;lkerung. Erw&auml;hnen
+mu&szlig; ich allerdings, da&szlig; die Farafrenser &uuml;ber unsere Ankunft
+noch nicht unterrichtet waren, als wir dort eintrafen, in Dachel
+hingegen die Beh&ouml;rde von Siut aus schon instruirt war, uns
+freundlich aufzunehmen.</p>
+
+<p>Aber auch hier in Dachel waren die Vorr&auml;the nicht so
+reichlich, wie man uns es vorgespiegelt hatte, und ich war gezwungen,
+nach Siut zur&uuml;ckzusenden, um sechzig neue Kamelladungen
+Bohnen kommen zu lassen. Aber ehe dieselben eintrafen,
+vermochte ich Prof. Jordan, vorauszugehen. Freilich
+hatte er mit gro&szlig;en Schwierigkeiten zu k&auml;mpfen, aber als dann
+Zittel auch bald nachr&uuml;cken konnte, wurde abermals weiter
+vorgegangen und die Expedition erreichte fast den 27&deg; O.L.
+v. Gr. und blieb vor einer m&auml;chtigen, von Norden nach S&uuml;den
+streichenden D&uuml;ne liegen. Hier fand ich dieselbe lagern, als
+ich selbst nach einiger Zeit dort eintraf.</p>
+
+<p>Eine Recognoscirung, die Zittel zu Fu&szlig;e schon vorher gemacht
+hatte, eine andere, die ich selbst mit Prof. Jordan
+unternahm, stellte nun zur Evidenz heraus, da&szlig; an ein weiteres
+Vorgehen nach Westen nicht zu denken sei. Wir befanden uns
+Angesichts eines Sandmeeres, welches aus 100-150 Meter
+hohen Sandketten mit steilen B&ouml;schungen bestand. Die
+Zwischenr&auml;ume zwischen diesen Sandketten waren ebenfalls
+mit Sand bedeckt, zeigten <i>kein nacktes Gestein</i>. Es traten
+nun zwei entscheidende Gr&uuml;nde ein, die uns zwangen, von
+weiterem Vorgehen nach Westen abzustehen. Erstens waren
+es die hohen, von <i>Norden nach S&uuml;den</i> ziehenden D&uuml;nen,
+welche zu <i>jeder Uebersteigung</i> mehrere Stunden n&ouml;thig
+machten und wodurch wir sodann h&ouml;chstens per Tag 20 Kilometer
+h&auml;tten vordringen k&ouml;nnen mit der <i>gewissen</i> Aussicht,
+nach acht Tagen s&auml;mmtliche Kamele todt oder "<tt>batal</tt>"<a name="FNanchor_40_40" id="FNanchor_40_40"></a><a href="#Footnote_40_40" class="fnanchor">[40]</a> gehabt
+zu haben. Zweitens war es unm&ouml;glich, im Sandmeer
+Wegzeichen zu errichten; der geringste Samum w&uuml;rde sie umgeweht
+haben; mithin war eine weitere Dep&ocirc;tbildung, die
+unumg&auml;nglich nothwendig war, sowie eine constante Verbindung
+mit dem Hauptdep&ocirc;t Dachel nicht zu erm&ouml;glichen.</p>
+
+<p>Sobald daher das Unausf&uuml;hrbare, Kufra von Westen aus
+mit den uns zu Gebote stehenden Locomobilen zu erreichen,
+constatirt war, beschlossen wir, mit den D&uuml;nen nach Norden
+zu gehen, um wom&ouml;glich einen Durchgang, ein Aufh&ouml;ren der
+D&uuml;nen zu finden oder Siuah zu erreichen. Die D&uuml;nen h&ouml;rten
+nicht auf, wir waren w&auml;hrend 14 Tagen stets zwischen hohen
+Ketten von Sandbergen und legten einen der sonderbarsten
+M&auml;rsche zur&uuml;ck, welche je in Afrika gemacht worden sind.
+<i>Ohne F&uuml;hrer</i> waren wir, wie das Schiff auf dem Meere,
+nur dem Compa&szlig; vertrauend, angewiesen, der einmal angenommenen
+Richtung zu folgen. War diese falsch oder w&auml;ren
+wir durch die &ouml;ftere nothwendig werdende Uebersteigung der
+D&uuml;nen zu weit abgekommen, so mu&szlig;te voraussichtlich Siuah
+verfehlt werden<a name="FNanchor_41_41" id="FNanchor_41_41"></a><a href="#Footnote_41_41" class="fnanchor">[41]</a>. Oder w&auml;ren wir von einem <i>mehrt&auml;gigen</i>
+Samum &uuml;berrascht worden, so w&auml;re voraussichtlich unser Loos
+ein noch schlimmeres gewesen, indem wir nur f&uuml;r eine bestimmte
+Zahl von Tagen Wasser hatten. Ich konnte es &uuml;berhaupt
+nur &uuml;bernehmen, die Karavane nach Siuah zu f&uuml;hren,
+weil ich dort bekannt war und die Formation der Ufer und
+die Lage der Seen &ouml;stlich und westlich von Siuah mir noch
+vor Augen stand. Ich brauchte deshalb nicht zu f&uuml;rchten,
+falls ich zu weit westlich oder &ouml;stlich herausk&auml;me, unorientirt
+zu bleiben.</p>
+
+<p>Und gl&uuml;cklich erreichten wir denn auch die Oase des Jupiter
+Ammon, wo wir bei der Beh&ouml;rde den freundlichsten Empfang
+fanden. Schon nach wenigen Tagen brachen wir wieder auf,
+gingen bis Setra zusammen in &ouml;stlicher Richtung und sodann
+trennten Zittel und ich uns von Jordan, um wiederum <i>ohne
+F&uuml;hrer und auf nie begangenem</i> Wege direct nach
+Farafrah zu gehen, w&auml;hrend Jordan mit einem in Siuah gemietheten
+F&uuml;hrer nach Uah-el-behari ging, um die auf den
+Karten verzeichneten Behar-bela-ma zu untersuchen.</p>
+
+<p>Farafrah wurde gl&uuml;cklich von uns erreicht, vonwo Zittel
+sogleich nach Dachel weiter ging, um unseren dortigen um
+uns in Sorge lebenden Gef&auml;hrten die Nachricht unserer gl&uuml;cklichen
+R&uuml;ckkehr zu &uuml;bermitteln. Ich selbst blieb noch einen
+Tag l&auml;nger in Farafrah und ging dann auf <i>neuem</i>, noch
+nie begangenem Wege nach Dachel, haupts&auml;chlich um die Gebirgsz&uuml;ge
+zu durchschneiden, welche wir fr&uuml;her im Westen von
+unserem ersten Marsche von Farafrah nach Dachel erblickt
+hatten. In Dachel vereinten wir uns dann nach einigen
+Tagen zu gemeinsamem Vorgehen &uuml;ber Chargeh nach Esneh,
+welches wir am 1. April ohne Unfall erreichten.</p>
+
+<p>Ich komme nun auf die Resultate zu sprechen und hebe
+hervor, da&szlig; uns au&szlig;er der allgemeinen Erforschung der Libyschen
+W&uuml;ste haupts&auml;chlich zwei Punkte als beachtenswerth
+waren bezeichnet worden: die Untersuchung der verschiedenen
+Behar-bela-ma und die Depression der Libyschen W&uuml;ste.</p>
+
+<p>Ein Bahr-bela-ma von Dachel ausgehend und nord&ouml;stlich
+von Beharieh in das von Ost nach West gerichtete Bahr-bela-ma
+von Pacho und Belzoni m&uuml;ndend existirt nicht. Es breitet
+sich zwischen ihnen ein einzig Kalksteinplateau &uuml;ber 300
+Meter hoch aus. In der Sitzung des <tt>Institut &Eacute;gyptien</tt>
+hatte ich schon darauf aufmerksam gemacht, da&szlig; Bahr-bela-ma
+in der Sahara nichts ist, als das gleichbedeutende Wort
+Wadi, das hundertmal vorkommt. Wenn es sich aber durch
+die geographischen Verh&auml;ltnisse bestimmt erweisen l&auml;&szlig;t, da&szlig;
+ein Bahr-bela-ma als eine L&auml;ngseinsenkung nicht existirt, so
+ist andererseits durch die geologische Untersuchung des Bodens
+auf das Schlagendste nachgewiesen, da&szlig; der Nil nie in dieser
+Richtung hat flie&szlig;en k&ouml;nnen. Nirgends wurden von unserer
+Expedition fluviatile Niederschl&auml;ge, sondern &uuml;berall nur maritime
+Bildungen constatirt. Das Bahr-bela-ma als ein continuirliches
+Thal, oder gar als ein westliches Flu&szlig;bett des
+Nil mu&szlig; daher definitiv aus der Welt geschafft und von den
+Karten gestrichen werden.</p>
+
+<p>Die zweite zu l&ouml;sende Aufgabe betraf die Depressionsfrage,
+ob n&auml;mlich die von mir 1869 entdeckte Depression sich &uuml;ber
+die ganze Libysche W&uuml;ste erstreckt, oder vielmehr von dem
+Libyschen K&uuml;stenplateau (diesen Ausdruck m&ouml;chte ich vorschlagen
+f&uuml;r den jetzt gebr&auml;uchlichen "Libysches W&uuml;stenplateau") sich
+bedeutend nach S&uuml;den zu ausdehnt. Hierin lag zugleich die
+Aufgabe einer Erforschung der ganzen Libyschen W&uuml;ste; denn
+als Endziel war die Erreichung der Oase Kufra in Aussicht
+genommen.</p>
+
+<p>Gleich beim Verlassen der Oase Dachel konnten wir eine
+merkliche Steigerung beobachten, wie ja &uuml;berhaupt, mit Ausnahme
+von Siuah, alle Uah-Oasen h&ouml;her als der Ocean gelegen
+sind und nur relativ Depressionen bilden. In Regenfeld
+waren wir schon &uuml;ber 300 M. gestiegen, und als wir dann
+nach Nord einige Grade zu West den Weg fortsetzten, fanden
+wir zwar eine allm&auml;lige Absenkung aber erst in Siuah konnten
+wir eine eigentliche absolute Depression constatiren. Die
+Producte des Meeres, die hier gefunden wurden, die Abwesenheit
+von S&uuml;&szlig;wasserbildungen oder gar von Nilschlamm
+schlie&szlig;en aber auch hier jeden Gedanken aus, da&szlig; der Nil sich
+durch diese Depression in die Syrte ergossen habe.</p>
+
+<p>Unser Vormarsch in Regenfeld war verhindert worden
+durch hohe Sandd&uuml;nen, welche von NNW. zu SSO. Richtung
+hatten und 100-150 M. hoch waren. Ein Vormarsch in
+westlicher Richtung war somit unm&ouml;glich geworden, theils wegen
+der Kamele und theils weil aus Mangel an Wegweisern keine
+Depositorien mehr angelegt werden konnten. Denn zwischen
+den D&uuml;nen war nicht etwa bloses Gestein, sondern tiefer
+Sand, welcher das Errichten von Wegzeichen unm&ouml;glich machte.
+Wir hatten also Ein einziges Sandmeer vor uns, nur unterbrochen
+durch 1&mdash;1-1/2 Kilometer auseinanderstehende Sandketten.</p>
+
+<p>Die Sandd&uuml;nen sind Meeresprodukt; ihre Formenver&auml;nderungen
+sind im Allgemeinen constant. Da&szlig; die Winde, die
+hier meist von NNW. nach SSO. wehen, w&auml;hrend der
+Chamsin gleiche Richtung, aber aus entgegengesetztem Pole hat,
+sie verursachen, glaube ich nicht; denn dann m&uuml;&szlig;ten sie in
+der Grundform in der dem Winde entgegengesetzten Richtung
+laufen, sie verlaufen aber mit dem Winde.</p>
+
+<p>Was die W&auml;rmeverh&auml;ltnisse anbetrifft, so hatten wir
+diesmal sehr geringe Schwankungen. W&auml;hrend auf fr&uuml;heren
+Reisen in der W&uuml;ste im Winter eine Differenz von 30&ordm; beobachtet
+wurde, hatten wir diesmal im Februar, welcher sich
+als der k&auml;lteste Monat herausstellte, einen Unterschied, der
+bedeutend geringer war, wenig mehr als die H&auml;lfte. Eine
+mittlere Zahl kann ich noch nicht aus meinen viermal t&auml;glich
+angestellten Beobachtungen geben. Aber im Februar hatten
+wir sieben Tage, wo das Thermometer unter Null war, und
+am 16. zeigte das Thermometer sogar -5&deg;. Die gr&ouml;&szlig;te
+W&auml;rme, welche im Februar beobachtet wurde, betrug nicht
+mehr als 24&deg; und dies nur an zwei Tagen. Auffallend war
+die Erscheinung eines dreit&auml;gigen Regens in der Libyschen
+W&uuml;ste, und zwar erstreckte sich dieser Regenfall &uuml;ber ein ziemlich
+gro&szlig;es Terrain: denn in Dachel und Farafrah hatte es
+an denselben Tagen auch geregnet, w&auml;hrend man aber in dem
+dem Mittelmeere n&auml;her gelegenen Siuah keinen feuchten Niederschlag
+gehabt hatte. So war denn auch der Feuchtigkeitsgehalt
+der W&uuml;ste ein ungemein bedeutender und nur, wenn
+S&uuml;dwind eintrat, zeigte sich pl&ouml;tzlich eine auffallende Trockenheit
+in der Atmosph&auml;re. Leider mu&szlig;ten Untersuchungen &uuml;ber
+den Electricit&auml;tgehalt der Luft ausgesetzt werden, weil die
+magnetische Nadel des mitgenommenen Electrometers sich als
+zu schwach erwies; sie reagirte gar nicht. Aeu&szlig;erst interessant
+waren die Untersuchungen &uuml;ber Ozongehalt, wie man sich aus
+den demn&auml;chst zur Ver&ouml;ffentlichung kommenden Beobachtungen
+Zittels wird &uuml;berzeugen k&ouml;nnen. Je offener der Himmel war,
+und je entfernter wir von bewohnten Pl&auml;tzen waren, desto
+mehr Ozon wurde bemerkt. Bei herrschendem Samum war
+&auml;u&szlig;erst wenig Ozon vorhanden.</p>
+
+<p>Ich unterlasse es hier, ausf&uuml;hrlich &uuml;ber die von uns angetroffenen
+V&ouml;lker in den Oasen zu reden. Bekannt ist, da&szlig;
+die Bev&ouml;lkerung von Siuah berberischer Herkunft ist. In Uah-el-Beharieh,
+Farafrah und Dachel ist zweifelsohne die Abstammung
+der Bewohner dieselbe, wie die der Fellahin im Nilthale;
+doch haben sich in Uah-el-Beharieh und Dachel einzelne Araber
+fr&uuml;her se&szlig;haft gemacht. Hervorheben m&uuml;&szlig;te ich noch, da&szlig; es
+Prof. Ascherson gelungen ist, nachzuweisen, da&szlig; nicht Farafrah
+die Oase Trinythis der Alten ist, sondern da&szlig; dieser Name
+mit der <tt>Oasis magna</tt> in Verbindung gebracht werden mu&szlig;.</p>
+
+<p>Was die arch&auml;ologischen Ergebnisse anbetrifft, so beruhen
+dieselben auf genauen photographischen Bildern, welche die
+Expedition von den Tempeln in Chargeh und Dachel gemacht
+hat. Zu diesem Behufe mu&szlig;te der Tempel in Dachel erst
+ganz vom Schutte und Sand ausger&auml;umt und zum Theil
+50 Centner schwere Bl&ouml;cke entfernt werden. Prof. Ebers in
+Leipzig, der die G&uuml;te hatte, die Bilder durchzusehen, hat auf
+den Tempelw&auml;nden von Dachel den Namen des Kaisers Vespasian
+gelesen und der ber&uuml;hmte Aegyptologe ist der Ansicht,
+da&szlig; die feineren Skulpturen von allgemeinen K&uuml;nstlern hergestellt
+seien, w&auml;hrend die gr&ouml;beren von Dachelaner Steinhauern
+selbst ausgef&uuml;hrt worden w&auml;ren. Viel ergiebiger und
+interessanter zeigten sich die Inschriften des Tempels von
+Chargeh. Wir sehen dort den opfernden K&ouml;nig Darius, dem
+Ammon Libationen und Rauchopfer anbietend. Darius wird
+als Liebling des Ammon von "Heb" (dies der alte Name f&uuml;r
+Chargeh) bezeichnet, auch ein bisher Ebers unbekannter Vorname
+des Darius, "Basetut", ist angef&uuml;hrt. Nach Ebers wurde
+der Tempel von Chargeh erst nach dem Tode Darius vollendet;
+daher die vielen leeren K&ouml;nigsschilder, welche urspr&uuml;nglich f&uuml;r
+den Namen des Darius bestimmt waren. Die sehr interessanten
+Inschriften, schrieb mir Ebers, beweisen, da&szlig; das ganze
+&auml;gyptische Pantheon, Ammon an der Spitze, in der Oase verehrt
+wurde, da&szlig; dort eine &auml;gyptische Priesterschaft mit reichlicher
+Versorgung dem Cultus vorstand, da&szlig; Chargeh Heb
+hie&szlig;, da&szlig; Darius als K&ouml;nig Aegypten und wahrscheinlich auch
+die Oasen besucht hat. Da&szlig; auf einer der Platten, welche in
+Kairo Brugsch vorgelegt wurde, dieser Gelehrte den alten
+Namen der Hauptstadt der Oase Dachel als "Mondstadt" bezeichnet
+fand, glaube ich schon mitgetheilt zu haben.</p>
+
+<p>In Betreff der Ausbeute der mich begleitenden Fachgelehrten
+kann ich noch nichts Detaillirtes mittheilen. Inde&szlig; gereicht
+es mir zur Freude, sagen zu k&ouml;nnen, da&szlig; die botanischen Ergebnisse
+des Prof. Ascherson keineswegs so gering gewesen ist,
+wie wir f&uuml;rchteten. Gab es auch manchmal ganz vegetationslose
+Strecken, so boten aber gerade die Oasen in der Zeit, als
+wir dort waren, ein um so reicheres Pflanzenleben. Prof.
+Jordan hat alle wichtigen Punkte astronomisch bestimmt.
+T&auml;glich wurden Breitenbestimmungen gemacht und die Declination
+der Magnetnadel notirt. Und was Zittel anbetrifft,
+so sind dessen Funde in pal&auml;ontologischer Beziehung wahrhaft
+&uuml;berraschend gewesen. Der Wahn der einf&ouml;rmigen Numinulitenformation,
+welche man fr&uuml;her f&uuml;r die ganze Libysche
+W&uuml;ste annahm, ist somit gr&uuml;ndlich zerst&ouml;rt.</p>
+
+<p>Dies die wissenschaftlichen Resultate der Expedition. Praktische
+hat dieselbe keine aufzuweisen, wenn nicht das bewiesen
+w&auml;re, da&szlig; der Europ&auml;er in Afrika auch ohne F&uuml;hrer reisen
+kann, da&szlig; durch Mitnahme von eisernen Wasserbeh&auml;ltern man
+in der W&uuml;ste nicht blos Wege, wo Brunnen oder Wasserl&ouml;cher
+sind, zu nehmen braucht, sondern monatelang ohne solche
+existieren kann. Selbst die ausgedehnten Eisensrunde werden
+nie zu verwerthen sein, weil es in der Libyschen W&uuml;ste an
+zwei Bedingungen, sie zu verarbeiten, fehlt: Kohlen und Wasser.
+Aber praktische Resultate hat die Expedition auch nie erzielen
+wollen, und obschon dieselbe Kufra aus un&uuml;berwindlichen Hindernissen
+nicht erreichen konnte, wird nicht bestritten werden
+k&ouml;nnen, da&szlig; sie der Hauptsache nach ihre Aufgaben gel&ouml;st und
+auf alle F&auml;lle in Anstrebung des vorgesteckten Zieles ihre
+Pflicht gethan hat.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_28_28" id="Footnote_28_28"></a><a href="#FNanchor_28_28"><span class="label">[28]</span></a> No&euml;l ist der junge stattliche Afrikaner, welcher in Folge der Bestimmung
+Sr. Maj. des Kaisers von Deutschland in Lichtenfelde bei Berlin
+eine deutschen Begriffen entsprechende Bildung geno&szlig;, nun aber, da
+ihm das n&ouml;rdliche Klima nicht bekam, auf Befehl des Kaisers mit nach
+Aegypten ging, um dort noch eine weitere Ausbildung zu erhalten.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_29_29" id="Footnote_29_29"></a><a href="#FNanchor_29_29"><span class="label">[29]</span></a> Centralafrikanischer Volksstamm.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_30_30" id="Footnote_30_30"></a><a href="#FNanchor_30_30"><span class="label">[30]</span></a> Mandara ist eine Landschaft in Nordafrika, welche von einem
+eigenth&uuml;mlichen Negervolke von &uuml;brigens ausgezeichneter K&ouml;rperbildung
+bewohnt wird.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_31_31" id="Footnote_31_31"></a><a href="#FNanchor_31_31"><span class="label">[31]</span></a> Das ist eines jener Thr&auml;nengl&auml;ser, die sich oft in Gr&auml;bern der
+Alten bei Todtenurnen finden und worin angeblich die Hinterbliebenen
+den Verstorbenen ihre Thr&auml;nen mitgaben.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_32_32" id="Footnote_32_32"></a><a href="#FNanchor_32_32"><span class="label">[32]</span></a> Buch VI, S.10, deutsche Uebersetzung von Penzel.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_33_33" id="Footnote_33_33"></a><a href="#FNanchor_33_33"><span class="label">[33]</span></a> Den Schmutz der internationalen Waggons verdamme ich trotzdem.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_34_34" id="Footnote_34_34"></a><a href="#FNanchor_34_34"><span class="label">[34]</span></a> Mein deutscher Diener.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_35_35" id="Footnote_35_35"></a><a href="#FNanchor_35_35"><span class="label">[35]</span></a> Herrn Remel&eacute;'s Diener.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_36_36" id="Footnote_36_36"></a><a href="#FNanchor_36_36"><span class="label">[36]</span></a> Der Astronom der Expedition.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_37_37" id="Footnote_37_37"></a><a href="#FNanchor_37_37"><span class="label">[37]</span></a> Photograph.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_38_38" id="Footnote_38_38"></a><a href="#FNanchor_38_38"><span class="label">[38]</span></a> Arch&auml;eolog und Geod&auml;t.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_39_39" id="Footnote_39_39"></a><a href="#FNanchor_39_39"><span class="label">[39]</span></a> Schweinfurth reiste im selben Winter nach Chargeh, aber
+unabhaengig von der Expedition.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_40_40" id="Footnote_40_40"></a><a href="#FNanchor_40_40"><span class="label">[40]</span></a> <tt>Batal</tt> = tragunf&auml;hig.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_41_41" id="Footnote_41_41"></a><a href="#FNanchor_41_41"><span class="label">[41]</span></a> Eine Breitenbeobachtung konnte Jordan freilich Abends machen, aber
+zu einer L&auml;ngen-Nahme fehlte die Zeit.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch9_Das_jetzige_Alexandrien" id="Ch9_Das_jetzige_Alexandrien"></a>9. Das jetzige Alexandrien.</h2>
+
+
+<p>Mehr als zweiundzwanzig Hundert Jahre steht die Stadt,
+welche den Namen des gro&szlig;en Mannes tr&auml;gt, der nach Aegypten
+gekommen war, um im weltber&uuml;hmten Orakelheiligthum
+des Ammonium die Frage zu stellen, ob er wirklich ein Sohn
+des Zeus sei. Gewaltig sind die St&uuml;rme der menschlichen Geschichte
+&uuml;ber die Stadt dahingebraust, welche einst der Glanzpunkt
+der Welt in wissenschaftlicher und commerzieller Beziehung
+war. Alexandrien, die Stadt des Museum und Serapeum,
+war aber trotz seiner Weltlage im Jahre 1790 so herabgekommen,
+da&szlig;, als die Franzosen unter Bonaparte landeten, es nur
+mehr circa 6000 Einwohner hatte. Es geh&ouml;rte aber auch die
+ganze Wirtschaft knechtischer Beys dazu, um ein Land und
+die St&auml;dte so ruiniren zu k&ouml;nnen, wie wir Aegypten und seine
+Oerter am Anfang dieses Jahrhunderts sehen. Verwundert
+fragt man sich: wie war es m&ouml;glich, da&szlig; eine Stadt, so ungemein
+g&uuml;nstig gelegen, so tief hatte sinken k&ouml;nnen?</p>
+
+<p>In der That hat Alexandrien, wie keine andere Stadt am
+Mittelmeere, eine vorteilhafte Lage. Wegen des ausgezeichneten
+Hafens braucht es nicht zu bef&uuml;rchten, von Port Said, das
+allerdings an der M&uuml;ndung des Kanals von Suez liegt, &uuml;berfl&uuml;gelt
+zu werden, und mittelst der Eisenbahnen und Dampfschiffe
+auf den Kan&auml;len ist es ohnedie&szlig; mit dem gro&szlig;en Kanal
+in intimster Beziehung. Alexandrien liegt an einer der gr&ouml;&szlig;ten
+Verkehrsadern unserer Zeit, einer Verkehrsstra&szlig;e, welche
+voraussichtlich immer als eine der am lebhaftesten pulsirenden
+Handelswege fortbestehen wird. Aber nicht allein das ist es,
+gleichsam als Etape zwischen Ostindien und Oceanien einerseits
+und Europa andererseits zu dienen; die Stadt Alexander des
+Gro&szlig;en liegt an der M&uuml;ndung des einzigen schiffbaren Flusses
+von Nordafrika, welcher mit seiner m&auml;chtigen Ver&auml;stelung ein
+ungeheures Gebiet beherrscht. Welche Zukunft erschlie&szlig;t sich
+der Stadt, wenn die Producte aus Centralafrika nilabw&auml;rts
+ihr zugef&uuml;hrt werden. Denn jetzt vermittelt der Nil blos Das,
+was an Erzeugnissen l&auml;ngs seines 300 Meilen langen Stammes
+producirt wird. Welche Zukunft wird aber Alexandrien
+haben, wenn die Felsen der Katarakte gesprengt und man mit
+Dampfschiffen direct vom Mittelmeere bis zu den See'n Innerafrikas,
+den gro&szlig;en Wasserreservoirs des Nils, wird fahren
+k&ouml;nnen!</p>
+
+<p>Aber wenn man auch Alexandrien ein immer mehr g&uuml;nstig sich
+gestaltendes Prognostikon stellen kann, so hat die Stadt keineswegs
+Ursache, mit ihrer heutigen Entwickelung unzufrieden zu
+sein. Es ist der Gro&szlig;vater des jetzigen Chedive, Mohammed
+Ali, dem die Stadt ihren jetzigen Aufschwung verdankt. Dadurch,
+da&szlig; er der Stadt den Kanal herstellte, wurde ihr nicht nur
+gutes Trinkwasser, sondern auch ein leichter Verkehrsweg mit
+dem Innern geschaffen. Mohammed Ali war auch der Erste,
+welcher den Schiffen der christlichen Nationen den Eingang in
+den alten Hafen er&ouml;ffnete; bis vor seiner Regierung mu&szlig;ten sie
+den neuen, wenig sicheren Hafen benutzen.</p>
+
+<p>Alexandrien mit etwa 200,000 Einwohnern zerf&auml;llt in zwei
+Stadttheile, von denen der eine von der europ&auml;ischen Bev&ouml;lkerung
+der andere von den Eingeborenen bewohnt wird. Der arabische<a name="FNanchor_42_42" id="FNanchor_42_42"></a><a href="#Footnote_42_42" class="fnanchor">[42]</a>
+Stadttheil ist im Nordwesten und Westen gelegen; die
+Stra&szlig;en sind eng, unregelm&auml;&szlig;ig, im Sommer staubig, im
+Winter mit undurchdringlichem Schmutz erf&uuml;llt; die H&auml;user sind
+meist einst&ouml;ckig und h&ouml;chst launenhaft gebaut. Hier steht eins
+mit halber Front, diagonalartig zur Stra&szlig;e, dort h&auml;ngt eins
+mit dem oberen Stockwerk &uuml;ber; hier ist eins in die Stra&szlig;e
+selbst hineingebaut, dort ist eins, welches einen weiten Hof
+vor sich hat. Fenster sind sp&auml;rlich vorhanden, namentlich im
+Erdgeschosse; ist eine Bel-Etage vorhanden, so findet man h&auml;ufig
+sehr viele, mit feinem Holzgitter verschlossene Fenster. Sehr
+praktisch ist der zickzackartige Bau des oberen Geschosses, der
+Art, da&szlig; regelm&auml;&szlig;ig vorspringende Winkel, mit Fenstern versehen,
+angelegt sind. Alte Geb&auml;ude findet man in der Alexandrinischen
+Araberstadt fast gar nicht, so da&szlig; sie keineswegs ein
+interessantes Aussehen hat, sich h&ouml;chstens gut bei Mondscheinbeleuchtung
+ausnimmt. So durchzogen wir sie denn auch eines
+Abends, ehe wir die libysche Expedition antraten, und besuchten
+sodann ein Kaffeehaus der Eingeborenen, um eine Mokka zu
+schl&uuml;rfen und einen Tschibuk zu saugen. Aber auch hier f&auml;ngt
+die Civilisation an, mit m&auml;chtiger Gewalt einzudringen. Im
+ganzen arabischen Viertel ist jetzt Gasbeleuchtung. Wie lange
+wird es dauern und die Stra&szlig;en werden gepflastert, sie werden
+gerade gemacht, besprengt, mit schattigen B&auml;umen bepflanzt
+und statt der kleinen Gew&ouml;lbe und Boutiken mit pr&auml;chtigen
+Verkaufsl&auml;den geschm&uuml;ckt werden. Das Letztere w&auml;re namentlich
+w&uuml;nschenswert; denn gezwungen durch die Kleinheit ihrer Verkaufsbuden,
+r&uuml;cken die Kaufleute ihre Waaren weit in die Stra&szlig;en
+hinein, verengern so die Passage und f&uuml;llen die Luft mit den
+sich mischenden Ger&uuml;chen gekochter Speisen, frischen Gem&uuml;sen,
+rohen Fleisches, kurz aller Gegenst&auml;nde, die sie feil haben.</p>
+
+<p>Das muselm&auml;nnische Alexandrien hat hundert Moscheen, von
+denen jedoch keine einzige ausgezeichnet und ber&uuml;hmt ist, verschiedene
+Sauya<a name="FNanchor_43_43" id="FNanchor_43_43"></a><a href="#Footnote_43_43" class="fnanchor">[43]</a> und Medressen<a name="FNanchor_44_44" id="FNanchor_44_44"></a><a href="#Footnote_44_44" class="fnanchor">[44]</a> und eine Menge Funduks und
+Karawanseraien, um Menschen und Thiere zu beherbergen.
+Es versteht sich von selbst, da&szlig; in diesen Funduks nur die Eingeborenen
+logiren. Die Bev&ouml;lkerung des arabischen Theiles
+von Alexandrien betr&auml;gt etwa 100,000 Einwohner, also die
+H&auml;lfte der Gesammtbev&ouml;lkerung.</p>
+
+<p>Ganz anders erscheint das europ&auml;ische Quartier, welches,
+wie aus dem fr&uuml;her Gesagten hervorgeht, eine eigentliche
+Sch&ouml;pfung der Neuzeit ist. Breite und gerade Stra&szlig;en, zum
+Theil mit sch&ouml;nen Baumreihen bestanden, hier und da ein
+reizender Platz mit immergr&uuml;nen Pflanzen und duftigen Blumen,
+an den Seiten pr&auml;chtige, mehrst&ouml;ckige H&auml;user, massive Bauten
+mit den elegantesten L&auml;den, herrliches Pflaster (die Steine dazu
+hat man von Triest kommen lassen, <i>jedes St&uuml;ck</i> hat circa 5
+Francs gekostet bei einer Gr&ouml;&szlig;e von 15 Zentimeter quadratischer
+Oberfl&auml;che auf 20 Centimeter Tiefe), mit sch&ouml;nem Trottoir f&uuml;r
+Fu&szlig;g&auml;nger, machen das europ&auml;ische Alexandrien zu einer der
+sch&ouml;nsten St&auml;dte am Mittelmeere. Dazu kommt eine ausreichende
+Gasbeleuchtung und eine k&uuml;nstliche Wasseranstalt (auch die
+arabische Stadt wird mit Wasser aus derselben versorgt), welche
+bei Moharrem-Bai Nilwasser in ein Reservoir pumpt, aus der
+die ganze Stadt mit dem besten Trinkwasser der Welt versorgt
+wird<a name="FNanchor_45_45" id="FNanchor_45_45"></a><a href="#Footnote_45_45" class="fnanchor">[45]</a>. Der mittlere Verbrauch von Wasser bel&auml;uft sich auf
+8000 kubische Meter t&auml;glich.</p>
+
+<p>Auf dem Platze Mohammed Ali's, auch <tt>Place des consuls</tt>
+genannt, concentrirt sich am meisten das europ&auml;ische Leben;
+hier sieht man die gl&auml;nzendsten L&auml;den, hier ist das franz&ouml;sische
+Generalconsulat, das Stadthaus, mehrere gro&szlig;e Hotels und
+seit zwei Jahren&mdash;Allah und Mohammed verzeihe dem Chedive
+und seinen R&auml;then diese christliche oder vielmehr heidnische
+Ketzerei&mdash;erhebt sich inmitten der breiten Allee die &uuml;ber lebensgro&szlig;e
+Statue des Begr&uuml;nders der jetzigen Dynastie. Die Statue
+Mohammed Alis ist aus Bronce und im Ganzen 11,50 Meter
+hoch, wovon 6,50 Meter auf das aus toscanischem Marmor
+gemei&szlig;elte Piedestal kommen, w&auml;hrend die Reiterstatue selbst
+5 Meter hoch ist. Die Statue ist von prachtvoller Wirkung.
+Mohammed Ali in orientalischer Tracht, den Kopf beturbant,
+sitzt in gebietender Stellung zu Ro&szlig;, seinem energischen
+Gesichtsausdruck sieht man es an, da&szlig; er der Mann ist, welcher
+das t&uuml;rkische Joch absch&uuml;ttelte, der, h&auml;tten nicht die Gro&szlig;m&auml;chte
+ihr Veto dazwischen gerufen, sein Schwert bis nach Stambul
+selbst hineingetragen haben w&uuml;rde. Furchtsam umstehen die
+Fellahin das Denkmal, fromme Fl&uuml;che und Verw&uuml;nschungen
+murmelt der scheinheilige Taleb oder Faki beim Anblick dieses
+gewaltigen Mannes; am liebsten w&uuml;rde er gleich das "Bild"
+vernichten. Aber der Preis und die Belohnung, welche er sich
+daf&uuml;r im Paradies unfehlbar erwerben w&uuml;rde, scheint doch
+nicht so sicher zu sein, als die irdische Strafe, welche einem
+solchen Versuche auf der Stelle folgen w&uuml;rde. Ismael, der
+jetzige Regent von Aegypten, kennt seine Leute, er wei&szlig;, was
+er ihnen bieten kann und er wei&szlig;, da&szlig; der einigerma&szlig;en denkende
+Mohammedaner heute der irdischen Belohnung und der
+irdischen Strafe vor den unsicheren zuk&uuml;nftigen Versprechungen
+oder den jenseitigen Qualen den Vorzug giebt. <tt>Tout comme
+chez nous</tt>. Wer f&uuml;rchtet sich heute bei uns vor den Flammen der
+H&ouml;lle und vor der Aussicht, Milliarden von Jahren dem Allerh&ouml;chsten
+ein Hallelujah zu singen!&mdash;Aber das irdische Gesetz
+und das eigne Pflichtgef&uuml;hl, die Liebe zum Guten und Sch&ouml;nen,
+der Ha&szlig; des B&ouml;sen und H&auml;&szlig;lichen, welche uns <i>jetzt</i> schon
+erblich, m&ouml;chte ich sagen, &uuml;berliefert werden, das sind heute
+die gro&szlig;en Triebfedern, welche die menschliche Ordnung und
+Gesellschaft zusammenhalten m&uuml;ssen.</p>
+
+<p>Da&szlig; f&uuml;r die religi&ouml;sen Bed&uuml;rfnisse der Europ&auml;er reichlich
+gesorgt ist, versteht sich von selbst in einer orientalischen Stadt,
+wo die meisten Europ&auml;er Katholiken sind oder der griechischen
+Kirche angeh&ouml;ren. Es giebt 3 katholische Kirchen, 4 f&uuml;r den
+griechischen Ritus, 3 protestantische, 1 koptische und 1 maronitische
+Kirche. Die Juden haben 3 Synagogen. Da&szlig; M&ouml;nche
+und Kl&ouml;ster nicht fehlen in einer so gro&szlig;en Stadt am Mittelmeere,
+der Geburtsst&auml;tte so vieler Religionen, braucht wohl
+kaum gesagt zu werden. Der koptische Patriarch residirt auch
+in der Regel in Alexandrien.&mdash;An Wohlth&auml;tigkeitsanstalten
+besitzt die Stadt 4 Hospit&auml;ler, das f&uuml;r Milit&auml;r und Civilpersonen
+eingerichtete Gouvernementshospital, das allgemeine
+europ&auml;ische Hospital, das Diaconissenhospital und ein griechisches.
+Von den barmherzigen Schwestern wird auch ein Findlinghaus
+geleitet.&mdash;Die Schulen sind alle in den H&auml;nden der
+Geistlichkeit, aber es d&uuml;rfte, seit Herr Dor, ein Schweizer,
+die Leitung des Unterrichts in Aegypten &uuml;bernommen hat, bald
+eine g&uuml;nstige Ver&auml;nderung eintreten; auch eine deutsche Schule
+ist unter den Auspicien des deutschen Generalconsulats gegr&uuml;ndet
+worden. Von den &uuml;brigen europ&auml;ischen Schulen nenne ich das
+Institut der Lazaristen (<tt>coll&egrave;ge des Lazaristes</tt>), &auml;hnlich eingerichtet,
+wie ein franz&ouml;sisches Lyceum: man unterrichtet in
+franz&ouml;sischer Sprache Lateinisch und Griechisch. Das Arabische,
+Neugriechische, Italienische ist facultativ. Englisch und Zeichnen
+und Musikunterricht werden besonders bezahlt, der Pensionpreis
+betr&auml;gt 1000 Francs j&auml;hrlich. Die 12 Lehrer sind s&auml;mmtlich
+Geistliche. Die Schule wurde 1873 von 60 Sch&uuml;lern besucht.
+Das italienische Lyceum steht unter italienischer Regierungscontrole;
+die Zahl der Sch&uuml;ler betrug 255 im selben Jahre.
+Die Schule der schottischen Kirche, die der apostolischen Amerikaner,
+die der Griechen, die allgemeine, unter dem Protectorat
+des &auml;gyptischen Erbprinzen stehende Schule mit unentgeltlichem
+Unterricht sind alle mehr oder weniger stark frequentirt. Auch die
+Juden haben eine von etwa 120 Sch&uuml;lern besuchte Anstalt. Au&szlig;erdem
+giebt es 6 M&auml;dchenschulen. Sowohl von den Kirchen, wie auch
+von den Schulen haben mehrere ein monumentales Aeu&szlig;ere.</p>
+
+<p>Die Vereinigung der ersten Gelehrten, welche jedoch kein
+eignes Geb&auml;ude besitzen, ich meine <tt>l'Institut &Eacute;gyptien</tt> ist
+seit Anfang dieses Jahres nach Kairo verlegt worden. Es
+giebt sodann viele Wohlth&auml;tigkeitsvereine und auch gesellige;
+von den letzteren sind die bedeutendsten der B&ouml;rsencirkel, der
+philharmonische Gesellschaftskreis, vorwiegend aus Franzosen
+bestehend, und der Club der Deutschen. F&uuml;r das geistige Leben ist
+durch eine &ouml;ffentliche Bibliothek und durch das Erscheinen von 9
+Zeitungen gesorgt, von denen 3 in italienischer, 1 in englischer, 2
+in griechischer und die &uuml;brigen in franz&ouml;sischer Sprache erscheinen.</p>
+
+<p>Im h&uuml;bsch gelegenen und elegant erbauten Siziniatheater
+werden italienische Opern aufgef&uuml;hrt, au&szlig;erdem giebt es noch
+ein kleines Theater, Namens Alsieri. Erw&auml;hnen wir schlie&szlig;lich
+noch, da&szlig; franz&ouml;sische, englische, italienische und griechische
+Freimaurerlogen in Alexandrien sind, im Ganzen 8, an der
+Zahl, so glauben wir aller Anstalten Erw&auml;hnung gethan zu
+haben. Nur m&ouml;chte ich f&uuml;r etwaige nach Aegypten Reisende
+hervorheben, da&szlig; es dort eine Reihe guter H&ocirc;tels giebt, von
+denen 2 ersten Ranges, da&szlig; Kaffeeh&auml;user und Restaurationen
+in gro&szlig;er Anzahl vorhanden sind, ja da&szlig; es sogar viele deutsche
+Bierstuben giebt, wo Wiener Bier verzapft wird. In der
+Stadt Alexander des Gro&szlig;en, des Ptolem&auml;us Philadelphus,
+deutsches Bier von deutschen Jungfrauen geschenkt! In der Stadt
+des Pompejus, der Cleopatra Gas- und Dampffabriken!
+Welche Gegens&auml;tze und doch so gro&szlig; nicht, wie man denkt!
+Denn in der Stadt, wo das weltber&uuml;hmte Museum mit 700,000
+B&uuml;chern oder vielmehr Schriftrollen war und die im Serapeum
+eine zweite Bibliothek mit 200,000 B&auml;nden besa&szlig; und deren
+Stra&szlig;en eben so wohl und gerade angelegt waren, wie
+jetzt die des europ&auml;ischen Viertels<a name="FNanchor_46_46" id="FNanchor_46_46"></a><a href="#Footnote_46_46" class="fnanchor">[46]</a>, in der zur Zeit, als
+die R&ouml;mer die Herrschaft antraten, nach Diodorus Siculus
+fast eine Million Einwohner sich befanden, soll die Zukunft
+erst wieder eine gleiche Bl&uuml;the und Bev&ouml;lkerung hervorbringen,
+wie wir solche zu Zeiten der Ptolem&auml;er dort vorfanden.</p>
+
+<p>Von den 200,000 Einwohnern kommen auf die europ&auml;ische
+Bev&ouml;lkerung von Alexandrien circa 100,000 Seelen<a name="FNanchor_47_47" id="FNanchor_47_47"></a><a href="#Footnote_47_47" class="fnanchor">[47]</a> und sind
+dahin auch die T&uuml;rken und ihre Descendenz zu rechnen, mit
+einem ziemlich zahlreichen Contingent. Sie bewohnen die Halbinsel,
+welche, ehedem als selbe nur durch einen steinernen Damm
+mit dem Festlande verbunden war, Insel Pharos hie&szlig;.
+Die Stra&szlig;en dieses Viertels sind auch ziemlich breit und gerade,
+und besser im Stande gehalten als im arabischen Viertel. Hier
+wohnen die Paschas, Beys, Effendis und hohen W&uuml;rdentr&auml;ger des
+K&ouml;nigreichs. An der westlichen, &auml;u&szlig;ersten Spitze des Vorgebirges
+<tt>Ras es Tin</tt> oder Feigenvorgebirge genannt, lie&szlig;
+Mohammed Ali ein nach dem Plane des Serail in Konstantinopel
+erbautes Schlo&szlig; errichten. Dasselbe wird noch von dem
+Vicek&ouml;nig benutzt; auch Harem und Dienstzimmer f&uuml;r die Minister
+befinden sich in demselben. Das Harem steht ganz isolirt
+inmitten des sch&ouml;nen Gartens. Dicht daneben ist auch das Arsenal.</p>
+
+<p>Der alte Hafen von Alexandrien hat seit 1870 eine vollkommene
+Umwandlung erlitten, indem die gro&szlig;artigsten Molenbauten<a name="FNanchor_48_48" id="FNanchor_48_48"></a><a href="#Footnote_48_48" class="fnanchor">[48]</a>
+ganz neue Bassins schufen. Im Jahre 1876 wird
+Alexandrien ein &auml;u&szlig;eres Hafenbecken besitzen mit einer Oberfl&auml;che
+von 350 Hektaren und einer Tiefe von wenigstens 10 Meter.
+Dieser Vorhafen wird nach der offenen Seite durch einen
+Wellenbrecher gesch&uuml;tzt sein, welcher 2340 Meter lang und 8
+Meter hoch sein soll. Die Bl&ouml;cke dazu werden zum Theil
+k&uuml;nstlich hergestellt und werden 20,000 ben&ouml;thigt, jeder 10
+Kubikmeter gro&szlig; und 20 Tonnen<a name="FNanchor_49_49" id="FNanchor_49_49"></a><a href="#Footnote_49_49" class="fnanchor">[49]</a> wiegend. Dieser Wogenbrecher
+hat zwei Eing&auml;nge, einer zwischen dem Nordende und
+<tt>Ras el Tin</tt>, 600 Meter breit, f&uuml;r kleinere Schiffe, ein anderer
+am s&uuml;dlichen Ende, 800 Meter breit, f&uuml;r gro&szlig;e Fahrzeuge.</p>
+
+<p>Das innere Hafenbecken wird 72 Hektaren Oberfl&auml;che haben
+und wenigstens 8,50 Meter tief sein. Auch dieser Hafen wird
+durch besondere Molen gesch&uuml;tzt sein und hydraulische Kr&auml;ne zur
+Leichterung der Schiffe erhalten. Die j&auml;hrliche Schiffsbewegung
+bel&auml;uft sich jetzt auf circa 3000 einkommende und ebenso viel ausfahrende
+Schiffe mit einem Gehalt von circa 1,500,000 Tonnen.</p>
+
+<p>Der "Guide" von Fran&ccedil;ois Levernay, dem wir die Zahlen
+f&uuml;r diesen Aufsatz entnommen, giebt die mittlere Jahrestemperatur
+von Alexandrien zu +20&ordm; C. an, mit einem Maximum
+von 27&ordm; und einem Minimum von 7&ordm;. Ich glaube, sorgf&auml;ltiger
+angestellte Beobachtungen w&uuml;rden eine um einige Grad w&auml;rmere
+Temperatur ergeben. In Alexandrien ist noch nie Frost beobachtet
+worden; in der Libyschen W&uuml;ste, obschon sich dieselbe
+bedeutend weiter nach S&uuml;den erstreckt, f&auml;llt das Thermometer
+jeden Winter unter Null. Der k&auml;lteste Monat in Alexandrien
+ist der Januar, Juli und August sind die hei&szlig;este Zeit. Der
+Nord und Nord-Nord-West-Wind sind, wie in ganz Unter&auml;gypten,
+die vorherrschenden, erst Ende April und im Mai weht der
+Chamsin (d.h. der w&auml;hrend 50 Tagen wehende S&uuml;d-S&uuml;d-Ost-Wind)
+und bringt oft eine unertr&auml;gliche Hitze, die jedoch nur
+w&auml;hrend des Windes selbst anh&auml;lt. W&auml;hrend des Chamsin ist
+selbst am Meeresstrande die Luft kaum mit Feuchtigkeit geschw&auml;ngert,
+w&auml;hrend der &uuml;brigen Monate ist aber gerade in
+Alexandrien ein ungemein hoher Feuchtigkeitsgehalt, was den
+Aufenthalt in den Sp&auml;tsommerwochen so unangenehm macht.
+Die Quantit&auml;t des Regenfalls variirt zwischen 100 und 335
+Mm. j&auml;hrlich; doch macht man auch hier die Wahrnehmung,
+da&szlig; mit der steigenden Baumcultur auch die Menge des Regenfalles
+sich j&auml;hrlich in Alexandrien vermehrt. St&uuml;rme sind in
+Alexandrien selten, Hagel f&auml;llt durchschnittlich ein- oder zweimal
+des Jahres, im M&auml;rz oder April; Nebel, aber von kurzer
+Dauer, treten im M&auml;rz, November und December auf.</p>
+
+<p>Wie der Chedive, der Hof und die ganze Regierung im
+Sommer von Kairo nach Alexandrien &uuml;bersiedeln, der frischen
+Meeresbrisen wegen, so folgen auch die meisten Europ&auml;er diesem
+Beispiel. Aber sie wohnen dann weniger in Alexandrien selbst,
+als im nahe gelegenen Ramleh, einem Orte, welcher vor wenigen
+Jahren seinen Namen (Sand) noch verdiente, jetzt aber
+ein reizender Villencomplex geworden ist. Ramleh hat im
+Sommer 6500, im Winter 3200 Einwohner und man findet
+dort alle Annehmlichkeiten einer Villegiatur. Griechische, franz&ouml;sische
+und italienische Schulen, Schauspiele, Restaurants und
+ein H&ocirc;tel deutet darauf hin, da&szlig; Ramleh binnen Kurzem das
+Scheveningen Alexandriens sein wird.</p>
+
+<p>Aber auch an reizenden Spazierg&auml;ngen fehlt es den Alexandrinern
+nicht. L&auml;ngs des Mahmudie-Kanals findet man an
+den Seiten schattiger Alleen die herrlichsten G&auml;rten und darin
+versteckt die geschmackvollsten Villen. Keine herrlichere Spazierfahrt
+kann man sich denken, als l&auml;ngs dieses von Hunderten
+von gr&ouml;&szlig;eren und kleineren Schiffen, sowie von eleganten Dahabien
+belebten Kanals. Auch der &ouml;ffentliche Garten ist hier gelegen,
+wo t&auml;gliche Milit&auml;rmusik die elegante Welt anzieht.
+Wenn man Abends die Hunderte von feinen Landauern mit
+den sch&ouml;nen griechischen Damen in elegantester Toilette daherfahren
+sieht, dann glaubt man nicht in Afrika zu sein, sondern
+man denkt unwillk&uuml;rlich an die wagenbelebte Chiaja in Neapel.
+Aber es ist Alles erst im Werden, denn mit Sicherheit fast
+l&auml;&szlig;t sich voraussagen, da&szlig; Alexandrien wieder werden wird,
+was es war, ein Emporium f&uuml;r den Welthandel, die bedeutendste
+Handelsstadt des Mittelmeeres.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_42_42" id="Footnote_42_42"></a><a href="#FNanchor_42_42"><span class="label">[42]</span></a> Wenn ich "arabisch" sage, so ist damit die eingeborne Bev&ouml;lkerung
+von Aegypten gemeint, welche aber keineswegs arabisch ist. Ich folge in
+dieser Bezeichnung nur einen angenommenen Gebrauche.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_43_43" id="Footnote_43_43"></a><a href="#FNanchor_43_43"><span class="label">[43]</span></a> Sauha ist Kloster, Hochschule und Asyl; letzteres hat aber in
+Aegypten heute keine Bedeutung mehr.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_44_44" id="Footnote_44_44"></a><a href="#FNanchor_44_44"><span class="label">[44]</span></a> Medressa ist Schule.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_45_45" id="Footnote_45_45"></a><a href="#FNanchor_45_45"><span class="label">[45]</span></a> Die Eingeborenen und auch fremde Araber und Berber behaupten,
+da&szlig; das Nilwasser das s&uuml;&szlig;este und beste Wasser der Welt sei und
+sagen wie die R&ouml;mer von ihrer Fontana Trevi, wer einmal aus dem Nil
+getrunken habe, den z&ouml;ge es immer wieder nach Aegypten hin.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_46_46" id="Footnote_46_46"></a><a href="#FNanchor_46_46"><span class="label">[46]</span></a> Siehe Tafel 5, Zeitschrift f&uuml;r Erdkunde 1872. Kiepert, Zur Topographie
+des alten Alexandrien.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_47_47" id="Footnote_47_47"></a><a href="#FNanchor_47_47"><span class="label">[47]</span></a> Der Zahl nach kommen zuerst Griechen, dann Italiener, dann
+Engl&auml;nder (Maltheser), dann Franzosen, endlich Deutsche; die &uuml;brigen
+Nationen sind in geringer Zahl vorhanden.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_48_48" id="Footnote_48_48"></a><a href="#FNanchor_48_48"><span class="label">[48]</span></a> Die Kosten dieser Bauten, mit deren Ausf&uuml;hrung das Haus Greenfield
+u. Comp. betraut ist, sind auf 50,000,000 Francs veranschlagt.
+(<tt>Guide annuaire d'&Eacute;gypte 1873</tt>.)</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_49_49" id="Footnote_49_49"></a><a href="#FNanchor_49_49"><span class="label">[49]</span></a> Eine Tonne gleich 2240 Pfund.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch10_Kairo_Hauptstadt_von_Aegypten" id="Ch10_Kairo_Hauptstadt_von_Aegypten"></a>10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten.</h2>
+
+
+<p>Ehe wir die Beschreibung von Aegyptens Hauptstadt unternehmen,
+kehren wir zur Vergangenheit zur&uuml;ck und besonders
+auch k&uuml;mmern wir uns um die Etymologie des Namens der
+Stadt selbst. Die modernen V&ouml;lker haben alle mehr oder
+weniger eine gleiche Benennung. Wir Deutsche schreiben Cairo
+und Kairo und sprechen Kairo oder Ka&iuml;ro; die Franzosen
+sagen und schreiben. <tt>Caire</tt> oder <tt>le grand Caire</tt>; die Engl&auml;nder
+schreiben Cairo, ebenso die Italiener, welche aber Ka&iuml;ro
+sprechen. Der gemeine Mann Aegyptens wei&szlig; aber von
+"Kairo" nichts, denn selbst das Wort "<tt>el K&acirc;hira</tt>", die Unterjocherin<a name="FNanchor_50_50" id="FNanchor_50_50"></a><a href="#Footnote_50_50" class="fnanchor">[50]</a>,
+welche Veranlassung zur Bildung des Wortes
+Ka&iuml;ro gewesen, ist nur den Gebildeten bekannt. Das Volk
+der Hauptstadt, sowie die Eingeborenen des Landes nennen
+die Stadt Masr. Auch dieses Wort finden wir von den
+Europ&auml;ern auf die verschiedenste Art geschrieben: Masr, Misr,
+Messr, Masser, Messer und noch einige andere Schreibarten.</p>
+
+<p>In der nachfolgenden Erkl&auml;rung dieses Namens folge ich
+durchaus der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalisten
+Wetzstein in Berlin, der die G&uuml;te hatte, mir seine bez&uuml;glichen
+Forschungen hier&uuml;ber mitzutheilen, die um so werthvoller sind,
+weil sie zum Theil neue Gesichtspunkte er&ouml;ffnen und vollkommen
+originell sind.</p>
+
+<p>Wetzstein sagt: Die Hauptstadt Aegyptens hei&szlig;t bekanntlich
+im Lande selbst Misr<a name="FNanchor_51_51" id="FNanchor_51_51"></a><a href="#Footnote_51_51" class="fnanchor">[51]</a>. Da nun dieser Name urspr&uuml;nglich der
+Name des ganzen Landes ist, denn schon im alten Testamente
+hie&szlig; Aegypten Misraim, so hat man hier eine Uebertragung
+des Landnamens auf die Landeshauptstadt zu constatiren;
+<tt>medinat Misr</tt>, die Hauptstadt Aegyptens, ist also zur Stadt
+Misr geworden. F&uuml;r eine solche Uebertragung bietet die geographische
+Nomenclatur der Araber viele Beispiele. Hier nur
+einige: Syrien hie&szlig; bei den Arabern der Halbinsel schon in
+den &auml;ltesten Zeiten Sch&acirc;m, d.h. das Nordland, und sein
+Hauptmarkt, bis wohin die arabischen Karavanen gingen, war
+in vormohammedanischer Zeit Bosr&acirc;, die Hauptstadt Haur&acirc;n's;
+eine Reise nach Syrien war also in der Regel f&uuml;r die Araber
+gleichbedeutend mit der Reise nach Bosr&acirc;. Daher hei&szlig;t bei
+ihnen in jener Zeit Bosr&acirc; immer Sch&acirc;m im Sinne von
+"Markt" von Sch&acirc;m (Syrien). Als nun in den ersten Jahrhunderten
+des Islam Bosr&acirc; ver&ouml;dete und die Karavanen bis
+Damask gehen mu&szlig;ten, ging die Benennung Sch&acirc;m naturgem&auml;&szlig;
+auf die Stadt &uuml;ber, so da&szlig; der Name Damaskus
+vollst&auml;ndig unterging<a name="FNanchor_52_52" id="FNanchor_52_52"></a><a href="#Footnote_52_52" class="fnanchor">[52]</a> und Sch&acirc;m seitdem zugleich Syrien und
+Damask bedeutet. Nur blieb an den Ruinen von Bosr&acirc; noch
+der Name Alt-Sch&acirc;m (t&uuml;rkisch: Eski-Sch&acirc;m) haften.</p>
+
+<p>Ein anderes Beispiel: Die Hauptstadt von Bahrein, d.h.
+von dem nord&ouml;stlichen K&uuml;stenstriche der arabischen Halbinsel,
+war im Alterthum der ber&uuml;hmte Handelsplatz Gerrha (arabisch
+H'g&eacute;r), der Ausgangs- und Zielpunkt der aus und nach Bahrein
+expedirten Karawanen. Auch dieses Emporium verlor
+unter den Arabern seinen Eigennamen und nahm den des
+Landes Bahrein an.</p>
+
+<p>Dasselbe geschah mit der alten Hauptstadt Jem&acirc;ma, dem
+heutigen Wahabiten-Reiche, westlich von Bahrein. Sie hie&szlig;
+Hagr; aber die arabischen Geographen erw&auml;hnen selten diesen
+Namen. Meistens nennen sie die Stadt entweder Medinat-el-Jem&acirc;ma
+oder geradezu Jem&acirc;ma, wie das Land selbst. Diesen
+Beispielen f&uuml;gen wir noch die Stadt Ramla (bei Lydda) bei,
+welche bis zum Beginn der Kreuzz&uuml;ge von gro&szlig;em Umfange
+und Hauptstadt der Provinz Felistin (damals Westpal&auml;stina)
+war; sie wird in den arabischen Schriften jener Zeit geradezu
+Felistin im Sinne von "Hauptstadt Pal&auml;stina's" genannt.
+Liest man, Jemand habe in Felistin &uuml;bernachtet, oder von
+Felistin nach J&acirc;h&acirc; oder Jerusalem sei eine Tagereise, so ist
+immer Ramla gemeint.</p>
+
+<p>Diese Bezeichnungsweise ist oft verwirrend und kann das
+Verst&auml;ndni&szlig; einer geographischen oder historischen Angabe
+erschweren. Entstanden wird sie sein durch die Redeweise der
+Karawanen, insofern z.B. die aus Arabien abgehende K&acirc;filat-Misr,
+Karawane von Misr, immer zugleich die nach dessen
+Hauptstadt dirigirte war, und man darf annehmen, da&szlig; Misr
+schon Jahrhunderte lang <i>vor dem Islam</i> bei den Arabern
+jene doppelte Bedeutung hatte.</p>
+
+<p>Uebrigens w&auml;re auch folgende Erkl&auml;rung denkbar: Unter
+den Ptolem&auml;ern entstand zwischen Heliopolis und Memphis
+ein Waffenplatz, der wahrscheinlich das volkreiche Memphis im
+Zaume halten sollte und zur Erinnerung an Alexander's Feldzug
+in Asien Babylon genannt wurde. Nach und nach ver&ouml;dete
+Memphis, indem es einen kleinen Theil seiner Bev&ouml;lkerung
+und seines Baumaterials an dieses Babylon abgab,
+welches in den ersten Jahrhunderten der christlichen Aera
+(abgesehen von Alexandrien) der Hauptort Aegyptens geworden
+zu sein scheint. Denn als des Chalifen Omar's Feldherr
+<tt>'Amr-ibn-el-'&Agrave;&#351;&icirc;</tt> im Jahre 19 der Higra Babylon erobert
+hatte, befand er sich thats&auml;chlich im Besitze des ganzen Landes
+und brauchte nur noch Alexandrien zu erobern. Dieses Babylon
+hie&szlig; nun zum Unterschiede von der ber&uuml;hmten gleichnamigen
+Stadt am Euphrat "das &auml;gyptische Babylon", B&acirc;beli&ucirc;n
+Misr, welche Bezeichnung sich, da die Araber lange Ortsnamen
+hassen, in Misr verk&uuml;rzte, so da&szlig; Land und Landeshauptstadt
+gleichnamig wurden. Doch ist die <tt>primo loco</tt> gegebene Erkl&auml;rung
+dieser unbedingt vorzuziehen.</p>
+
+<p>Die &uuml;brigen Namen der Hauptstadt Aegyptens anlangend,
+so hie&szlig; dieselbe in den ersten Jahrhunderten des Islam el
+Fost&acirc;t aus folgender Veranlassung. Als der vorerw&auml;hnte
+<tt>'Amr-ibn-el-'&Agrave;&#351;&icirc;</tt> Babylon belagerte, stand sein Lager an der
+Nordseite der Stadt, und um sein Zelt, welches el Fost&acirc;t hie&szlig;,
+bildete sich nach und nach eine Baracken- und H&uuml;ttenstadt, die
+sich erhielt und vergr&ouml;&szlig;erte, da ein Theil des Lagers auch
+nach Eroberung der Stadt stehen blieb. Diese nomadische
+Niederlassung verwandelte sich nach und nach in eine Vorstadt
+Babylons, die nach ihrem Mittelpunkte dem ehemaligen Feldherrn-Zelte,
+el Fost&acirc;t genannt und deren Name allm&auml;lig auf
+die ganze Stadt angewendet wurde, so da&szlig; die alte Benennung
+Babylon au&szlig;er Brauch kam. Doch findet man sie noch bei
+den Geographen, welche sie bald Babelj&ucirc;n, bald Hisn-el-I&ucirc;n
+(Festung des I&ucirc;n) schreiben, indem die erste Silbe, welche
+man f&uuml;r das arabische <tt>Bab</tt> Thor hielt, wegfiel.</p>
+
+<p>Der Name el Fost&acirc;t wurde seit der Occupation Aegyptens
+durch den Fatimiten <tt>el Moizz li-din-Allah</tt> (369 d.H.) verdr&auml;ngt.
+Als Ganhal, sein Feldherr, mit dem westafrikanischen
+Heere vor die Hauptstadt r&uuml;ckte, ging er mit der Bev&ouml;lkerung
+den Vertrag ein, da&szlig; seine Soldaten die Stadt selbst nicht
+betreten, sondern au&szlig;erhalb derselben in Baracken und Zelten
+untergebracht werden sollten. Dieses Lager, welches sich wie
+350 Jahre fr&uuml;her dasjenige des <tt>'Amr-ibn-el-'&Agrave;&#351;&icirc;</tt> allm&auml;lig in
+eine milit&auml;rische Colonie verwandelte und zugleich die Unterw&uuml;rfigkeit
+der Stadt gew&auml;hrleistete, erhielt den Namen el K&acirc;hira
+"die Unterjocherin", der sich gerade wie fr&uuml;her el Fost&acirc;t der
+ganzen Stadt mittheilte.</p>
+
+<p>Man unterscheidet bis auf den heutigen Tag die Stadttheile
+el K&acirc;hira, el Fost&acirc;t und das urspr&uuml;ngliche Misr. In
+amtlichen Acten, bei denen es auf Genauigkeit der Ortsangaben
+ankommt, hei&szlig;t die Stadt K&acirc;hirat Misr "Kairo in Aegypten",
+oder auch Misr el K&acirc;hira, was der gew&ouml;hnliche Mann als
+die "siegreiche Stadt Misr" deutet.</p>
+
+<p>Indem wir so der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalen
+folgten, f&uuml;gen wir noch hinzu, da&szlig; Wetzstein etymologisch
+das Wort Misr simitischen Ursprungs erkl&auml;rt und sich der
+Ansicht zuneigt, es bedeute "die beiden eingeschlossenen L&auml;nder",
+n&auml;mlich Ober- und Unter-Aegypten. Wetzstein meint n&auml;mlich:
+"geh&ouml;re diese Benennung urspr&uuml;nglich einer alt&auml;gyptischen, d.h.
+einer Ruschitischen Sprache an, so lie&szlig;e sich nichts &uuml;ber ihre
+Bedeutung sagen, denn das Koptische sei ein zu verkommenes
+Idiom und das Hieroglyphische mit seinen Schwestern eine zu
+unbekannte Sprachform, als da&szlig; sie Aufschl&uuml;sse geben k&ouml;nnten."</p>
+
+<p>Genug! Wenn auch nicht an derselben Stelle gelegen,
+wissen wir und m&uuml;ssen das festhalten, da&szlig; die heutige Hauptstadt
+der Aegypter bei den Alten Babylon (bei den lateinischen
+Schriftstellern Babylonia), bei den ersten Arabern Fost&acirc;t hie&szlig;
+und da&szlig; sie heute bei den Europ&auml;ern mit den verschiedenen
+Variationen Kairo, bei den Aegyptern selbst Masr genannt
+wird. Die Namen Masr el-kahirah als Neustadt oder Masr
+el-attica als Altstadt haben nur officiellen Sprachgebrauch
+erlangt.</p>
+
+<p>Man hat behaupten wollen, die Vorg&auml;ngerin Kairo's, die
+Stadt Memphis, sei g&uuml;nstiger gelegen gewesen, als die
+jetzige Hauptstadt Aegyptens. Ich w&uuml;&szlig;te nicht, worauf man
+dieses Urtheil st&uuml;tzen wollte. Der nat&uuml;rlich vortheilhafteste
+Platz w&auml;re wohl an der Spitze des Delta's selbst gewesen,
+aber die Entwicklung der Stadt selbst zeugt, da&szlig; man keineswegs
+eine ung&uuml;nstige Position zur Anlage einer Stadt gew&auml;hlt
+habe. Es ist heute freilich leicht zu sagen, die und die Stadt
+hat eine &auml;u&szlig;erst g&uuml;nstige geographische Lage. In unserer Zeit
+der Eisenbahnen, der Kunststra&szlig;en, der Kan&auml;le &amp;c. &uuml;berl&auml;&szlig;t
+man sich gar zu leicht der Ansicht, die nat&uuml;rliche Lage der
+Stadt habe das Bl&uuml;hen und Gedeihen derselben verursacht,
+wenn es doch nichts Anderes war als eben jene modernen
+Kunstmittel.</p>
+
+<p>Kairo liegt auf dem 30&ordm; 2' 4'' N.B. und auf dem 28&ordm;
+58' 30'' O.L. von Paris. Die Erhebung der Stadt &uuml;ber
+dem Meere betr&auml;gt durchschnittlich 13 Meter; obschon einzelne
+Stadtteile h&ouml;her sind, so liegt die Hassan-Moschee 30 Meter
+h&ouml;her, als der Spiegel des Mittelmeeres.</p>
+
+<p>Die mittlere Jahrestemperatur ist 23&ordm; C. Selten f&auml;llt im
+Winter der Thermometer unter 10&ordm; und steigt nur w&auml;hrend
+der Zeit der Chamsinwinde auf &uuml;ber 40&ordm;. W&auml;hrend fr&uuml;her
+feuchter Niederschlag zu den Seltenheiten geh&ouml;rte, hat man
+die Beobachtung gemacht, da&szlig; jetzt mit jedem Jahre die Regenf&auml;lle
+im Zunehmen begriffen sind; offenbar Folge der so sehr
+vermehrten Baumpflanzungen in der Stadt selbst und in der
+n&auml;chsten Umgebung derselben. Aber es liegen noch keine bestimmten
+Daten hier&uuml;ber vor und so heben wir eben nur die
+allgemeine Thatsache hervor.</p>
+
+<p>Obschon man wegen der immerhin bedeutenden Hitze nicht
+sagen kann, da&szlig; Kairo ein angenehmes Klima habe, so kann
+man doch auch keineswegs behaupten, es sei eine ungesunde
+Stadt. Im Sommer pflegen wegen der unertr&auml;glichen Hitze
+die dort wohnenden Europ&auml;er, auch der Hof, die ersten W&uuml;rdentr&auml;ger
+und reiche Eingeborene die Stadt zu meiden. Im
+Winter hingegen ist sie Aufenthaltsort zahlreicher Reisender
+und noch zahlreicherer Kranker, welche dort Herstellung ihrer
+Gesundheit zu finden hoffen. Namentlich f&uuml;r Schwinds&uuml;chtige
+wird die Luft Kairo's und, wie es scheint, mit Recht, empfohlen.
+Die sogenannte &auml;gyptische Augenkrankheit eine Entz&uuml;ndung
+der Schleimhaut, der Conjunctiva des Auges, sowohl des
+Augapfels, als auch der Augenlider, welche ansteckend und in
+Aegypten endemisch ist, eine seit Hippokrates Zeit bekannte
+Krankheit, wurde durch die franz&ouml;sische Invasion unter
+Napoleon I. und durch die Engl&auml;nder nach Europa gebracht;
+inde&szlig; bef&auml;llt sie erwiesenerma&szlig;en Europ&auml;er weniger, als die
+Eingeborenen und Letztere werden besonders davon afficirt, weil
+sie nicht durch gr&ouml;&szlig;te Reinlichkeit die fortw&auml;hrenden sch&auml;dlichen
+Einwirkungen des Staubes, von dem die Luft stets geschw&auml;ngert
+ist, unwirksam machen. Und zwar wirkt der Staub, der
+unmittelbar in den Stra&szlig;en aufgewirbelt wird und aus den
+kleinsten Partikeln zersetzter organischer Stoffe besteht, ebenso
+sch&auml;dlich, als der kaum sichtbare Staub der Samum-Winde.
+Woran die Europ&auml;er am meisten leiden, das sind Krankheiten
+der Leber und der Milz, letztere zum Theil hervorgerufen
+durch terti&auml;re Wechselfieber, und sind erstere radical nur zu heilen
+durch Ortsver&auml;nderung, durch R&uuml;ckkehr nach Europa. Die
+Pest kommt seit Jahren nicht mehr in Kairo vor und die
+Cholera eben auch nicht h&auml;ufiger, als in Europa.</p>
+
+<p>Kairo ist eine unbefestigte Stadt, denn was die K&acirc;sbah
+betrifft, welche urspr&uuml;nglich zur Verteidigung der Chalifenstadt
+diente, nebst hohen Mauern, welche im Mittelalter die Stadt
+umfriedigten, so ist erstere l&auml;ngst ihres Festungscharakters beraubt,
+letztere aber sind geschleift und abgetragen worden, oder
+in Ruinen zerfallen. Jedoch zahlreiche Mauern im Innern
+der Stadt, ehemals &auml;u&szlig;ere Stadtmauern, zeugen von der best&auml;ndigen
+Umwandlung und Vergr&ouml;&szlig;erung der Stadt, sowie
+die jetzige &auml;u&szlig;ere Mauer ebenfalls schon inmitten der Hauptstadt
+sich befindet. Heute ist es kaum noch gestattet, von Masr
+el K&acirc;hirah, von Masr el Attika, von Bulak u.s.w. als unterschiedlichen
+St&auml;dten zu reden, namentlich wird es ebenso falsch
+sein, zu sagen, Bulak sei als <i>Hafen</i> Kairo's von dieser <i>Stadt</i>
+zu unterscheiden, sowie man Unrecht h&auml;tte, Moabit nicht zu
+Berlin zu rechnen. Heute liegt in der That Kairo am Nil:
+Bulak ist ein Stadttheil der Hauptstadt geworden. H&ouml;chstens
+darf man jetzt noch den Unterschied zwischen <i>dem</i> Stadttheile
+machen, der seinen <i>morgenl&auml;ndischen</i> Charakter bewahrt
+hat und dem, der ganz <i>europ&auml;isch</i> ist.</p>
+
+<p>Der erste Stadttheil, der sich an die Citadelle lehnt, welche
+selbst auf einem der &auml;u&szlig;ersten Ausl&auml;ufer des Mokattam-Gebirges
+gelegen ist, den man unter dem Namen Chalifenstadt
+begreifen kann, ist ein gro&szlig;es Labyrinth krummer und enger
+Stra&szlig;en, oft durch Ueberbauten dunkel und so unscheinbar,
+da&szlig; man meinen sollte, man bef&auml;nde sich in einer Gasse des
+Hauptortes der Oase des Jupiter Ammon. Hier kennt man
+kein Pflaster, hier giebt es Abends keine Beleuchtung, geschweige
+denn von Gas zu reden; zahlreiche Sackgassen n&ouml;tigen den
+nicht Eingeweihten, stets auf seine Schritte zur&uuml;ckzukommen,
+vom Eintritt eines bestimmten Platzes an bis zu einer bestimmten
+Grenze wird der Fremde, passirt er Nachts diesen
+Stadttheil, von einer klaffenden Meute hungriger Hunde verfolgt,
+welche wild und herrenlos, wie sie sind, doch unter sich
+eine genaue Besitzeintheilung hergestellt haben der Art, da&szlig;
+immer ein Theil eines Quartiers oder einer Stra&szlig;e von einer
+Meute besetzt gehalten wird, die auf's Eifrigste &uuml;ber die Unverletzlichkeit
+ihres Territoriums wacht. Wehe dem Fremden, der
+Nachts ohne Stock durch eine von diesen wilden Bestien bewachte
+Stra&szlig;e geht, namentlich wenn er ein Ungl&auml;ubiger und
+in europ&auml;ischer Tracht ist; aber noch mehr wehe, wenn einer
+ihres Gleichen, ein fremder Hund, sich unter sie verirren sollte,
+er ist unrettbar verloren, gelingt es ihm nicht, auf sein eignes
+Gebiet zur&uuml;ckzufl&uuml;chten.</p>
+
+<p>Aber nicht immer haben wir enge und unscheinbare
+Gassen, in diesem Ur-Kairo ist Alles Ueberraschung. Hier
+giebt es auch Moscheen von allen Formen und allen Farben,
+einfache und prachtvolle, reich mit Arabesken und Sculpturen
+geschm&uuml;ckte und solche, welche &auml;u&szlig;erlich nur eine nackte Wand
+zeigen. Hier bemerkt man auch jene reich sculptirten Brunnen,
+meistens fromme Stiftungen, welche bis vor Kurzem, wo das
+Trinkwasser in Kairo so sp&auml;rlich war, zu den gr&ouml;&szlig;ten Wohlthaten
+z&auml;hlten, die ein frommer Moslim seiner Vaterstadt vermachen
+konnte. Hier findet man auch jene reizenden Muscharabiehen
+aus Holz geschnitzt, welche die Eifersucht des gestrengen
+Haremgebieters erfand. Muscharabiehen sind Jalousien, welche
+sich stark ausgebuchtet vor den Fenstern befinden. Sie sind
+auf's Kunstvollste aus Holz geschnitzt, oft so fein und zierlich,
+da&szlig; es sich von Weitem wie Filigran-Arbeit ausnimmt.
+Geheimnisvoll ragen sie im Halbdunkel der Stra&szlig;en aus den
+H&auml;usern hervor; manchmal scheinen sie sich bei den &uuml;berh&auml;ngenden
+Etagen der H&auml;user zu ber&uuml;hren. Dahinter lauert die
+junge Frau des Hausherrn, verlangende Blicke wirft sie auf
+das Leben zu ihren F&uuml;&szlig;en, sie h&ouml;rt es, sie sieht auch Alles,
+ohne selbst bemerkt zu werden; gl&uuml;hend err&ouml;thet sie, wenn ein
+jugendlicher Frangi vor&uuml;bergeht, der ihr viel vorteilhafter
+d&uuml;nkt, als jener alte, wei&szlig;b&auml;rtige Mann, dem sie gezwungen
+war, ihr Leben zu opfern. Da erblickt sie gar in einer Carrosse
+dahersausend zwei h&uuml;bsche Christendamen, sie sind unverschleiert.
+Sie l&auml;cheln, sie freuen sich des Lebens, w&auml;hrend sie selbst, die
+Aermste, hinter ihrer Muscharabieh eine Thr&auml;ne im Auge zerdr&uuml;ckt
+und ihr freudenloses Leben beklagt! Aber was ist das?
+Da biegt um die Ecke ein eleganter Pha&euml;ton, laut schreiend
+vor ihm rufen die L&auml;ufer ihr ewiges "<tt>Guarda, Guarda</tt>"
+oder <tt>schemalak ia chodja, l'iminak</tt><a name="FNanchor_53_53" id="FNanchor_53_53"></a><a href="#Footnote_53_53" class="fnanchor">[53]</a>. Darin sitzen im
+Wagen zwei reizende Moslemata<a name="FNanchor_54_54" id="FNanchor_54_54"></a><a href="#Footnote_54_54" class="fnanchor">[54]</a>, kaum verschleiert die
+d&uuml;nne T&uuml;llspitze ihr fr&ouml;hlich l&auml;chelndes Gesicht; sie scheinen aber
+auch gar keine Lust zu haben, ihr Antlitz verbergen zu wollen,
+im Gegentheil, man sieht, da&szlig; sie nur scheinbar diesen Zwang
+mitmachen. Es sind Prinzessinnen, T&ouml;chter oder Nichten des
+Chedive; ahnungsvoll zieht sich unsere Sch&ouml;ne aus ihrer
+Muscharabieh zur&uuml;ck; ein dunkles Gef&uuml;hl sagt ihr, da&szlig; auch
+f&uuml;r ihres Gleichen bald die Stunde der Befreiung schlagen
+wird.</p>
+
+<p>Hier finden wir auch jene gro&szlig;en Bazarstra&szlig;en, wo die
+Produkte der drei Erdtheile sich einander begegnen und wo in
+immer gesch&auml;ftiger Weise w&auml;hrend des ganzen Tages das regste
+Leben und Treiben herrscht und Gro&szlig;- und Kleinhandel getrieben
+wird. Von einigen dieser Bazars soll sp&auml;ter noch die
+Rede sein.</p>
+
+<p>Der andere Stadttheil, ganz neu und vorzugsweise eine
+Sch&ouml;pfung des jetzigen Chedive, daher auch Ismaelia genannt,
+mit seinen seenartigen G&auml;rten, seinen breiten wohlgepflasterten
+und t&auml;glich besprengten Stra&szlig;en, seinen Pal&auml;sten und Theatern,
+seinen Gascandelabern und prachtvollen L&auml;den ist vollkommen
+europ&auml;isch. Dies moderne Kairo, welches heute schon
+von den Fluthen des Nils ber&uuml;hrt wird, steht in Nichts den
+sch&ouml;nsten St&auml;dten Europas nach. Was luxuri&ouml;se Ausstattung
+der Geb&auml;ude und ihrer Fanden anbetrifft, so k&ouml;nnen sich die
+der &auml;gyptischen Hauptstadt ganz messen mit denen am Ring in
+Wien oder denen der Boulevards von Paris.</p>
+
+<p>Mit Recht sagt Levernay (<tt>guide annuaire d'&Eacute;gypte 1873
+p. 254</tt>): Hier ist die Vereinigung des Orients mit dem Occident,
+hier ist das Symbol der religi&ouml;sen Freiheit; hier ist das
+B&uuml;ndni&szlig; der Handelsfreiheit (?)<a name="FNanchor_55_55" id="FNanchor_55_55"></a><a href="#Footnote_55_55" class="fnanchor">[55]</a> und der V&ouml;lkergemeinschaft;
+findet man nicht in dieser Stadt zusammenlebend den flachshaarigen
+Scandinavier an der Seite des wollhaarigen Furer,
+den fanatischen Magrebiner von der K&uuml;ste des atlantischen
+Oceans an der Seite des gelbh&auml;utigen Indiers oder den s&uuml;dlichen
+Araber mit kaffeebrauner Haut an der Seite des halbeurop&auml;ischen
+T&uuml;rken? Und dazwischen Tartaren, Perser,
+Turkomannen, Kurden und Chinesen. Ja, hier sieht man
+Hand in Hand gehend den gelehrtesten Professor aus der
+Hauptstadt der Denker mit dem von Steppe zu Steppe vagabondirenden
+Nomaden, welcher, ohne Gesetze lebend, nur seinem
+eigenen Willen folgt. Ja, es ist ein eigenth&uuml;mliches Leben
+in Kairo und gl&uuml;cklich Der, welcher Empf&auml;ngnis hat f&uuml;r die
+Sitten fremder V&ouml;lker oder der gar die Gabe besitzt, dem
+Gedankengange der Eingeborenen momentan folgen zu k&ouml;nnen.
+Hier an der &auml;ltesten Wiege menschlicher Cultur reichen sich
+Tag f&uuml;r Tag Asiaten, Europ&auml;er und Afrikaner die Hand, und
+wie schon zu verschiedenen Malen von hier aus die menschliche
+Entwickelung zu ihren jeweiligen h&ouml;chstem Triumphen gelangte,
+so scheint auch jetzt ein neues Leben, ein neues
+gewaltiges Ringen zum Vorw&auml;rtskommen erwacht zu sein.</p>
+
+<p>Die Zahl der Bev&ouml;lkerung von Kairo d&uuml;rfte man auf
+circa 400,000 Seelen f&uuml;r das Jahr 1875 beziffern. Genaue
+statistische Erhebungen sind in mohammedanischen St&auml;dten zur
+Zeit noch nicht auszuf&uuml;hren. Denn selbst wenn eine amtliche
+Z&auml;hlung vorgenommen wird, so st&ouml;&szlig;t diese immer auf un&uuml;berwindliche
+Hindernisse wegen der Haremverh&auml;ltnisse und
+der weiblichen Sclaven.</p>
+
+<p>Von diesen 400,000 Einwohnern d&uuml;rften incl. 800 Perser
+etwa 20,000 Europ&auml;er sein. Aber man denke nicht, da&szlig; etwa
+die 380,000 verbleibenden Menschen alle einer Nationalit&auml;t
+angeh&ouml;ren. Da sind die verschiedensten schwarzen St&auml;mme,
+da sind Syrier, &auml;chte Araber, seit Jahrhunderten in Aegypten
+lebende Araber, Inder, Chinesen, endlich Fellahin und Kopten
+und eine gro&szlig;e Anzahl von T&uuml;rken. Alle diese stellt man,
+obschon sie es keineswegs sind, als "Eingeborene" oder "Rechtgl&auml;ubige"
+den fremden Europ&auml;ern gegen&uuml;ber. Da&szlig; man die
+Perser ebenfalls als besondere Nationalit&auml;t trennt, verdanken
+sie dem Umstande, weil sie in Aegypten besondere Consuln
+haben.</p>
+
+<p>Man z&auml;hlte im Jahre 1873 in Kairo 4200 Griechen,
+7000 Italiener, 4000 Franzosen, 1600 Engl&auml;nder, 1200
+Oestreicher und Ungarn, 800 Deutsche, 500 Perser, 120 Spanier,
+50 Russen, 25 Belgier, 9 Brasilianer, 5 Portugiesen,
+2 Schweden und 1 Nordamerikaner. Was die letzte Zahl
+anbetrifft, so scheint sie uns nicht richtig zu sein, da allein in
+der chedivischen Armee an hundert nordamerikanische Officiere
+dienen, von denen wir bei den eigenen Verh&auml;ltnissen in Aegypten
+kaum glauben k&ouml;nnen, da&szlig; sie ihre Nationalit&auml;t aufgegeben
+haben. Wenn wir &uuml;berhaupt zu diesen Zahlen gr&ouml;&szlig;ere Zuversicht
+haben d&uuml;rfen, weil sie eben auf amtliche Ermittelung
+der bez&uuml;glichen Consulate fu&szlig;en, so sind sie doch auch noch
+fern davon, eine so absolute Sicherheit zu gew&auml;hren, wie wir
+gewohnt sind, von unseren amtlichen, statistischen Erhebungen
+zu erwarten.</p>
+
+<p>Kairo hat wenigstens 300 Moscheen, wenn man alle kleinen
+Kapellen und Beth&auml;user mitrechnet, also ein Gotteshaus auf
+circa 1200 Individuen; denn von den 400,000 Einwohnern
+sind, wenn wir die Kopten mitrechnen, wenigstens 50,000
+Christen. Diese letzteren haben 44 Kirchen, was ohngef&auml;hr
+dasselbe Verh&auml;ltni&szlig; ergiebt, und rechnet man in Kairo 7000
+Juden und f&uuml;r dieselben 13 Synagogen, so erh&auml;lt man das
+Resultat, da&szlig; diese am g&uuml;nstigsten daran sind, denn es beziffert
+sich f&uuml;r sie die Zahl der zu einem Tempel Geh&ouml;rigen auf
+einige mehr als 500.</p>
+
+<p>In der Hauptstadt des Chedive herrscht nat&uuml;rlich die vollste
+religi&ouml;se Freiheit, aber erst seit einigen Jahren. Wie aber
+Alles, was ma&szlig;los ist, zu Unzutr&auml;glichkeiten f&uuml;hrt, so auch
+diese vollkommene religi&ouml;se Freiheit. Es offenbart sich dies
+am meisten bei jenen gro&szlig;en mohammedanischen Prozessionen,
+welche oft stundenlang den Verkehr auf den Stra&szlig;en hemmen.
+Die Zeiten sind allerdings l&auml;ngst vor&uuml;ber, wo ein Andersdenkender
+beim Zuschauen einer solchen mohammedanischen
+Prozession sein Leben gef&auml;hrdet sah, und da die Muselmanen
+ja &uuml;berhaupt nicht die Sitte des Hutabnehmens haben, so ist
+vom "Huteintreiben" oder "Hutabschlagen", wie das in unseren
+toleranten und civilisirten L&auml;ndern vorkommt, nie die Rede.</p>
+
+<p>Unerw&auml;hnt darf man auch nicht lassen, da&szlig; dies die einzigen
+Ausschreitungen sind, welche sich der Cult dem staatlichen
+Gemeinwesen gegen&uuml;ber erlaubt, denn nicht w&uuml;rde der unbestraft
+bleiben, w&auml;re er ein auch noch so hoher Geistlicher, der
+sich dem Staats-Gesetze widersetzen wollte.</p>
+
+<p>Ueberhaupt lebt man in keinem Lande der Welt so sicher
+als in Aegypten und speciell in Kairo. Es ist wahr, da&szlig; auch
+hier manchmal gro&szlig;e Diebst&auml;hle ver&uuml;bt werden, und ich erinnere
+nur an den ber&uuml;hmten Diamantendiebstahl Ende des Jahres
+1874; aber er wurde in dem europ&auml;ischen Viertel und von
+Europ&auml;ern vollzogen. Von Mordtaten, Raubanf&auml;llen und
+gr&ouml;&szlig;eren Verbrechen h&ouml;rt man fast nie.</p>
+
+<p>Wenden wir uns zu einzelnen gro&szlig;en Bauten und Anlagen,
+so zieht vor allen im alten Stadttheile die Citadelle unsere
+Aufmerksamkeit auf sich. Schon von Weitem, wenn man mit
+der Bahn sich n&auml;hert, sieht man die hohe Kuppel und die
+eleganten schlanken Minarets der Moschee des Mohammed
+Ali, welche die Citadelle als kr&ouml;nendes Werk &uuml;berragt. Denn
+die Citadelle ist keineswegs <i>eine</i> Baute, sondern besteht aus
+verschiedenen fortifikatorischen Geb&auml;uden, aus Pal&auml;sten, Kasernen
+und kleineren Geb&auml;uden. Aber der aus Alabaster errichtete
+Dom, unter dem die Gebeine des gro&szlig;en Begr&uuml;nders der
+beutigen Dynastie ruhen, mit seinen imposanten Formen, in
+seiner dominirenden Lage, ist doch das Geb&auml;ude, welches den
+Fremden am meisten fesselt.</p>
+
+<p>Hier auf der Citadelle ist auch der ber&uuml;hmte Brunnen in
+den Fels hinabgehauen; er ist fast 100 Meter tief und so
+breit, da&szlig; man bis zur Quelle mittelst Stufen hinabsteigen
+kann. Er hei&szlig;t Josephs-Brunnen, hat aber nichts mit dem
+biblischen Joseph gemein, sondern wurde von Joseph ben Agub
+oder Saladin, dem ersten aglubitischen Sultan, erbaut, damit
+im Falle einer Belagerung die Citadelle nicht des Wassers
+ermangele. Mittelst zweier Sch&ouml;pfr&auml;der (<tt>Norias oder Sakias</tt>)
+wird das Wasser an die Oberfl&auml;che gehoben. Der Anblick von
+der Plattform der Citadelle auf die gro&szlig;e Stadt zu ihren
+F&uuml;&szlig;en, auf Bulak, Rodha und den gewaltigen Nil, auf die
+Pyramiden und im Hintergrunde die mit dem Himmel verschwimmende
+Sahara geh&ouml;rt zu dem Gro&szlig;artigsten, was man
+sich denken kann; die k&uuml;hnste Phantasie findet hier ihre Befriedigung.
+Und wenn man das Gl&uuml;ck hat, bei der Betrachtung
+dieses Bildes die &uuml;ber dem Mokattam-Gebirge heraufsteigende
+Sonne als Fr&uuml;hbeleuchtung zu haben, so spottet das
+Ganze jeder Beschreibung, und selbst der eingebildetste Pedant,
+der n&ouml;rgelndste Philister wird von der Gro&szlig;artigkeit dieses
+Panoramas &uuml;berw&auml;ltigt werden.</p>
+
+<p>Von den &uuml;brigen Moscheen nennen wir zuerst die des
+Amru, die &auml;lteste, ungef&auml;hr um 640 errichtete, aber von ihrer
+ehemaligen Pracht ist wenig mehr &uuml;brig. Bei allen mohammedanischen
+Gottesh&auml;usern, wie auch bei ihren Profanbauten
+kann man die Bemerkung machen, da&szlig; die Mohammedaner
+mit gro&szlig;er Vorliebe Bauten unternehmen, aber nie daran
+denken, ihre Bauten zu <i>erhalten</i>. Die Amru-Moschee ist
+ein Rechteck von 120 Meter zu 75 Meter. Der S&auml;ulenwald
+an der Ostseite des Hofes aus 21 S&auml;ulenreihen, in jeder
+Reihe 6 S&auml;ulen, ist imposant.</p>
+
+<p>Interessant f&uuml;r die Geschichte der Architektur ist die im
+Jahre 877 von Ahmed ebn Tulun erbaute Moschee, 80 M.
+lang aus 76 M. Breite. Man findet schon ogivische Bogen
+in Anwendung und au&szlig;erdem die W&auml;nde mit Kusischen Legenden
+geschm&uuml;ckt. Nach arabischen Inschriften soll der das Geb&auml;ude
+umgebende Karnies aus zusammengestampftem Amber
+gemacht gewesen sein, um den Eintretenden Wohlger&uuml;che zuzuf&uuml;hren.
+Jetzt ist nichts mehr davon zu bemerken und auch
+diese Moschee zeigt Verfall.</p>
+
+<p>Die gro&szlig;e und gl&auml;nzende el Asar-Moschee ist insofern von
+Wichtigkeit, als mit ihr die Hochschule verkn&uuml;pft ist, die bedeutendste
+der ganzen mohammedanischen Welt. Fast 10,000
+Studenten folgen hier dem Unterrichte von &uuml;ber 300 Professoren.
+Es wird aber fast nichts, als Religion gelehrt und
+besonders sind es die vier rechtgl&auml;ubigen Riten, die Hambaliten,
+Schaffe&iuml;ten, Hanesiten und Malekiten, welche hier ihre
+Vorlesungen halten. Schaffe&iuml;ten und Malekiten haben die
+meisten Zuh&ouml;rer: erstere &uuml;ber 4500, letztere 3700. Die Hanesiten,
+wozu sich alle T&uuml;rken rechnen, haben ca. 1000, die
+Hambaliten nur ca. 50 Studenten. Alle diese Sch&uuml;ler haben
+freien Unterricht und freie Kost nebst Bekleidung, ebenso sind
+auch die Professoren vom Staate besoldet. Au&szlig;er Religion
+wird etwas Poesie, Grammatik und Gesetzgebung, letztere
+nat&uuml;rlich auf Koran und Sunnah basirt, getrieben. Mit dieser
+Moschee ist verbunden ein gro&szlig;es Blinden-Hospital, eine Sauya
+f&uuml;r Pilger, deren Asylrecht heute aber im Strome der Civilisation
+untergegangen ist.</p>
+
+<p>Eine merkw&uuml;rdige Universit&auml;t, wo man weiter nichts treibt,
+als religi&ouml;se Forschungen, &uuml;ber nichts Anderes nachdenkt, als
+&uuml;ber Dinge, die au&szlig;erhalb dem Bereiche des Wirklichen liegen
+und deren Resultate deshalb f&uuml;r das Land, f&uuml;r die Menschheit
+von gar keinem Nutzen sind.</p>
+
+<p>Die Moschee, welche am meisten die Bewunderung der
+Europ&auml;er auf sich zieht, die Hassan-Moschee, hat mich immer
+ziemlich kalt gelassen. Zum Theil kommt das wohl daher,
+da&szlig; ich nie Vorliebe f&uuml;r jenen <i>unm&ouml;glichen</i> Stalactitenbau
+habe gewinnen k&ouml;nnen, zum Theil, da&szlig; einen die Quadern zu
+sehr an die Bauten der alten Aegypter erinnern. Solche Vandalen,
+die nicht die Energie besitzen, zu einem so gro&szlig;artigen
+Geb&auml;ude eigenes Material zu nehmen, sondern andere Bauten
+<i>zerst&ouml;ren</i>, um sie zu den ihrigen zu benutzen, soll man die
+wohl achten? Und sieht man nun gar, wie die famosen
+Stalactiten-Nischen in der Hassan-Moschee nicht aus Stucco
+oder Stein bestehen, sondern elende Holznachbildung sind, so
+schwindet vollends alle Sympathie. Die Moschee wurde 1356
+vom Sultan Hassan erbaut. Das danebenstehende Minaret
+hat 80 Meter H&ouml;he; f&uuml;gt man die H&ouml;he des Bodens, auf dem
+die Moschee erbaut ist&mdash;30 Meter&mdash;hinzu, so hat man die
+H&ouml;he von Assuan.</p>
+
+<p>Ich &uuml;bergehe die &uuml;brigen Moscheen, welche alle, wie z.B.
+die von Kalaum auch el Barkuk genannt, oder die von Sitti
+Seinab oder die der Hassanein oder die von el Moged f&uuml;r
+diejenigen, welche sich f&uuml;r &auml;gyptisch-mohammedanische Architektur
+interessieren, sehenswerth sind, deren Besuch man sich aber sonst
+ersparen kann.</p>
+
+<p>In der Stadt selbst hat der Chedive merkw&uuml;rdiger Weise
+keinen einzigen Palast, der von Au&szlig;en irgendwie Anspruch auf
+architektonische Sch&ouml;nheit machen k&ouml;nnte.</p>
+
+<p>Wie alle gouvernementalen Geb&auml;ude ist seine dermalige
+Wohnung ein &auml;u&szlig;erst fensterreiches Geb&auml;ude, <i>ganz ohne
+Styl</i>. Inwendig lassen diese chedivischen Pal&auml;ste allerdings
+nichts zu w&uuml;nschen &uuml;brig, weder an Eleganz noch an Pracht,
+noch auch an Geschmack der Decoration oder an zweckm&auml;&szlig;iger
+Raumvertheilung.</p>
+
+<p>Die neue B&ouml;rse, die Bibliothek, die Wohnungen der ersten
+Beamten zeichnen sich durch nichts Besonderes aus. Was die
+Bibliothek anbetrifft, so besitzt dieselbe ca. 30,000 arabische
+B&auml;nde, fast nur Handschriften, darunter viele &auml;u&szlig;erst kostbare.
+Da sieht man vor allen anderen jene B&uuml;cher von au&szlig;erordentlicher
+Gr&ouml;&szlig;e, deren Buchstaben von Gold mit so gro&szlig;er
+Regelm&auml;&szlig;igkeit gemalt erscheinen, da&szlig; man meinen sollte, sie
+seien gedruckt. Nat&uuml;rlich ist der Inhalt weiter nichts als der
+Text des Koran.</p>
+
+<p>Will man sch&ouml;ne Geb&auml;ude modernsten Styls, villenartig
+gebaut, von reizenden G&auml;rten umgeben sehen, so wandere man
+durch den neuen Stadttheil. Hier liegt auch die schmucke
+deutsche protestantische Kirche, hier hat der Minister der Justiz,
+jetzt Scherif Pascha, sein von feenhaften G&auml;rten umgebenes
+Palais.</p>
+
+<p>Was die Theatergeb&auml;ude betrifft, so l&auml;&szlig;t sich bez&uuml;glich der
+Bauten selbst nichts sagen, als da&szlig; es provisorische Geb&auml;ude
+sind, bestimmt, mit der Zeit anderen monumentalen Platz zu
+machen. Was aber innere Ausstattung, Inscenirung, Personal
+und Leitung betrifft, so stehen sowohl die chedivische italienische
+Oper, als auch das franz&ouml;sische Schauspiel unseren ersten und
+besten B&uuml;hnen w&uuml;rdig zur Seite. Hier&uuml;ber herrscht nur eine
+Stimme.</p>
+
+<p>Den gr&ouml;&szlig;ten Zauber und Reiz besitzt Neu-Kairo heute in
+jenem Esbekieh-Garten, mitten in der Stadt gelegen, den ich
+selbst noch bis zum Jahre 1868 als einen gro&szlig;en pf&uuml;tzenreichen
+Platz von hohen Sykomoren beschattet gekannt habe.
+Umfriedigt von Prachtbauten, &auml;hnlich wie die der Rue Rivoli
+zu Paris, ist der harten von einem hohen eisernen Gitter
+umgeben. Zahlreiche Thore, deren Eing&auml;nge mit Selbstz&auml;hlern
+versehen sind, geben Einla&szlig;. Bei dem sonderbaren Hange der
+Orientalen, stunden-, ja tagelang faulenzend auf irgend einem
+einladenden Platze sich dem <tt>Dolce far niente</tt> hinzugeben, war
+die Vorschrift, ein unbedeutendes Entr&eacute;e zu erheben, unerl&auml;&szlig;lich,
+denn nur durch eine solche Ma&szlig;regel konnte der pr&auml;chtige
+Park rein gehalten werden von jenem ungemein stark in Kairo
+vertretenen Contingent, das seine Sache auf nichts gestellt hat
+und h&ouml;chstens vom bequemsten Betteln lebt und sicherlich mit
+angeborener Frechheit die sch&ouml;nsten und anziehendsten Punkte
+des gro&szlig;en Gartens in Besitz genommen haben w&uuml;rde.</p>
+
+<p>Es ist wunderbar, wenn man die Beschreibungen fr&uuml;herer
+Reisender durchgeht und liest, was die Esbekieh <i>war</i> und
+nun staunt, was sie jetzt ist.</p>
+
+<p>Die ganze Esbekieh-Anlage von achteckiger Form mit
+einem Umfange von 940 Meter nimmt ein Areal von ca.
+82,500 Quadratmetern ein. Die L&auml;nge der Wege betr&auml;gt
+2 Kilometer 300 Meter. Das Fl&uuml;&szlig;chen und die von ihm gebildeten
+Teiche, Alles durch Kunst geschaffen, bedecken eine
+Oberfl&auml;che von fast 5000 Quadratmeter. Die Teiche sind
+2 Meter tief.</p>
+
+<p>Au&szlig;er den kostbarsten Gew&auml;chsen aller L&auml;nder und Zonen,
+welche trotz des kurzen Zeitraumes ihres jetzigen Bestandes
+dort seit 20 Jahren gegr&uuml;nt zu haben scheinen, findet der
+Spazierg&auml;nger in diesem Garten Alles vereint, was nur das
+Leben angenehm macht. Da sind reizende Buden, wo Liqueure,
+Eis und Scherbets verkauft werden. Hier ist eine Bierhalle,
+wo das beste Drehersche oder M&uuml;nchener Bier in Eis dem
+durstigen Nordl&auml;nder Labung bietet, Kaffeeh&auml;user mit reizenden
+Kiosken gut eingerichtete Restaurationen, ein kleines Theater-Concert,
+ein arabisches Kaffeehaus, Schaukeln, Carroussels, verschiedene
+andere Kioske und Sammelpl&auml;tze, endlich <tt>last not
+least</tt> eine Grotte<a name="FNanchor_56_56" id="FNanchor_56_56"></a><a href="#Footnote_56_56" class="fnanchor">[56]</a> aus Tuffsteinen, die ganz und gar auf's
+Treueste die Natur nachahmt und aus der das Wasser in
+Cascaden hervorsprudelt, welches die See'n und den Bach speist.</p>
+
+<p>Diese Grotte ist von einem k&uuml;nstlich aufgebauten Pic &uuml;berragt,
+aus gro&szlig;en Tropfsteinbl&ouml;cken und Steinen errichtet. Man
+gelangt hinauf mittelst eines schattigen Weges oder auch auf
+&auml;u&szlig;eren und inneren Pfaden, die man durch den k&uuml;nstlich
+geschaffenen Fels gearbeitet hat. Ans der obersten Spitze hat
+man ein Belvedere angebracht, von wo aus man nicht nur
+den ganzen Garten &uuml;bersehen kann, sondern von dem aus
+auch das ganze Panorama von Kairo zu den F&uuml;&szlig;en des entz&uuml;ckten
+Beschauers liegt.&mdash;Die Eisenarbeiten sind alle in
+Paris gefertigt.</p>
+
+<p>Der Esbekieh-Garten bedarf zur Speisung seiner Springbrunnen,
+zum Besprengen der Wege, zum Unterhalten der
+Teiche eines t&auml;glichen Wasserquantums von 800 Kubikmeter;
+die Erleuchtung bei Abend, welche feenhaft ist, wird durch
+106 Candelaber bewerkstelligt; alle diese Candelaber haben
+Blumenform, 5 Zweige mit je 5 Tulpen, so da&szlig; im Ganzen
+allabendlich 2500 Flammen brennen. Dazu spielt jeden Tag,
+sobald die Sonne sich unter den Horizont senkt, ein ausgezeichnetes
+Milit&auml;rorchester europ&auml;ische Symphonien und St&uuml;cke,
+auch wohl arabische Weisen, welch' letztere ungemein an
+Wagner'sche Compositionen erinnern.</p>
+
+<p>Leider ist der Esbekieh-Garten lange nicht so besucht, wie
+er es verdiente, es ist eine f&uuml;r Kairo zu vornehme Anstalt;
+nicht etwa, weil das niedrige Entr&eacute;e von den Besuchern als
+unerschwinglich bezeichnet w&uuml;rde; es sind auch die Gen&uuml;sse
+innerhalb desselben dem Publicum zu theuer. Dazu kommt,
+da&szlig; das vornehme europ&auml;ische Publicum, an der Spitze die
+Vertreter der europ&auml;ischen L&auml;nder, blasirt, das vornehme
+mohammedanische apathisch und unempf&auml;nglich f&uuml;r solche Gen&uuml;sse
+sich verh&auml;lt, der gew&ouml;hnliche Mittelstand der Eingeborenen
+aber in diesem Entr&eacute;e gleich eine Steuer des Chedive wittert
+und der gemeine europ&auml;ische Mann lieber in den &uuml;brigen
+Vergn&uuml;gungslocalen Kairo's seine Unterhaltung sucht.</p>
+
+<p>Diese sind keineswegs in geringer Anzahl vorhanden. Der
+Deutsche findet in zahllosen Bierh&auml;usern l&auml;ngs der Esbekieh
+nicht nur Drehersches, sondern auch bairisches Bier und zwar
+wohlgek&uuml;hlt in Eis; der Franzose findet &uuml;berall seine Caf&eacute;'s;
+der Italiener findet in den Conditoreien und auf der Stra&szlig;e
+seine Sorbetti und in zahlreichen Restaurants kann der Engl&auml;nder,
+von Engl&auml;ndern bedient, sein Beefsteak und sein Glas
+"<tt>half and half</tt>" trinken. Nur der russische Traktir fehlt noch,
+aber wie lange wird es dauern und irgend ein speculativer
+Kopf erbaut ein solches mit einer m&auml;chtigen Orgel versehen
+an der Seite einer Fonda, wo man <tt>Polenta</tt> und <tt>Olla potrida</tt>
+verkauft.</p>
+
+<p>Denn wenn man Abends durch die auf's Gl&auml;nzendste von
+Gas beleuchteten Stra&szlig;en geht und h&ouml;rt, wie einem allerorts
+Musik entgegenschallt, hier des Italieners "<tt>o che la morte
+honora</tt>" oder "<tt>madre in felice corro a salvarti</tt>" dort des
+Deutschen "Wacht am Rhein"; hier des Franzosen "<tt>partant
+pour la Syrie</tt>" dort des Engl&auml;nders "<tt>god save the queen</tt>",
+wenn man sieht, da&szlig; alle diese Musikbanden aus nationalen
+Kr&auml;ften bestehen (Kaffee- und Weinh&auml;user mit deutschen und
+deutsch-b&ouml;hmischen Musikbanden, S&auml;ngern und S&auml;ngerinnen
+giebt es ein Dutzend in Kairo), so sollte man nicht glauben,
+in der Stadt zu sein, welche noch bis vor wenigen Jahren
+als das &auml;chteste Bild einer orientalischen Stadt hingestellt
+wurde.</p>
+
+<p>Und geht man gar in die elegant eingerichteten Spielsalons,
+wo hier eine Roulette, dort K&ouml;nig Pharao den G&auml;sten
+das Geld aus der Tasche lockt und die meistens als Aush&auml;ngeschild
+die elegantesten <tt>Caf&eacute;s chantants</tt> oder auch kleine
+Theater mit Ballerinen zeigen, so sollte man nicht meinen, da&szlig;
+man nur einige Stunden weit von den Pyramiden des Cheops
+und des Cephren sich bef&auml;nde.</p>
+
+<p>Aber trotz dieses modernen Kairo ist noch ein gut St&uuml;ck
+Alt-Kairo, d.h. orientalischer Stadt &uuml;brig. Jedoch verschwindet
+es allm&auml;lig schneller und schneller, und vielleicht schon nach
+einem Menschenalter wird jene alte orientalische Stadt, jene
+Stadt mit den maurischen Hufeisenbauten, mit den schlanken
+Minarets, mit den engen &uuml;berdachten Gassen und ihren noch
+engeren Kaufl&auml;den&mdash;sie wird verschwunden sein, und finden
+k&ouml;nnen wir sie dann nur noch in den B&uuml;chern und Reiseberichten
+Derer, welche sie zu der Zeit besuchten. Und um so
+spurloser wird das alte Kairo vom Erdboden verschwinden,
+als die Wohnungen der Eingeborenen aus losem, schlechtem
+Material errichtet und selbst die Moscheen und Pal&auml;ste aus
+Quadern erbaut sind, welche man von alten Monumentalbauten
+zusammengeschleppt hat; sind doch jetzt schon <i>alle</i>
+Moscheen und die Mehrzahl der Pal&auml;ste fr&uuml;herer Vicek&ouml;nige
+halbe Ruinen.</p>
+
+<p>Wenn man aber sieht, mit welcher R&uuml;cksichtslosigkeit mitten
+durch die Quartiere der Eingeborenen eine gerade breite Stra&szlig;e
+gezogen wird, wie man weder die Medressen (Schulen) noch
+die Moscheen schont, wie man Untiefen auff&uuml;llt, H&uuml;gel abtr&auml;gt,
+dann mu&szlig; man staunen ob der Energie des Chedive.
+Aber "Gott soll ihn ewig mit den ungl&auml;ubigen Christenhunden
+brennen lassen!" murmelt der fromme Mohammedaner, der
+aus seinem Heim vertrieben wird, welches seine Vorfahren
+inne gehabt hatten und wo er selbst schon seit Jahren wohnte.
+Aber er "murmelt" es nur, offen es auszusprechen, wagt er
+nicht. Ja er preist sich gl&uuml;cklich, wenn die chedivische Regierung
+ihm <i>umsonst</i> ein St&uuml;ck Land anweist in einem ganz
+anderen Viertel der Stadt, mit der Erlaubnis, ein Haus zu
+bauen nach europ&auml;ischem Style.</p>
+
+<p>So vollziehen sich die Expropriationen in Aegypten und
+speciell in Kairo. Von Entsch&auml;digungen ist nirgends eine
+Rede. Sobald der Chedive beschlossen hat, eine Stra&szlig;e durch
+den orientalischen Stadttheil zu legen, wie er sich solche auf
+dem Plane der Stadt vorzeichnet, erhalten die betreffenden
+Anwohner des Viertels Befehl, innerhalb einiger Tage ihre
+Immobilien zu r&auml;umen. Von Entsch&auml;digung wird nicht gesprochen;
+nur wenn europ&auml;ische Unterthanen von einer solchen
+Ma&szlig;regel betroffen werden, dann bekommen sie vollen Ersatz
+f&uuml;r ihr genommenes Grundeigentum.</p>
+
+<p>Die Stra&szlig;e, welche fr&uuml;her als Glanzpunkt des europ&auml;ischen
+Lebens galt, die Muski, ist heute entthront; zwar findet man
+immer noch elegante L&auml;den, aber elegantere giebt es in der
+Ismaelia (der neue Stadttheil von Kairo) und die Stra&szlig;e ist
+viel zu eng, als da&szlig; sie jemals ihren Rang wieder einnehmen
+k&ouml;nnte, n&auml;mlich die "Unter den Linden" Kairo's zu sein. Dazu
+kommt noch, da&szlig; man aus Utilit&auml;tsr&uuml;cksichten geglaubt hat,
+davon abstehen zu m&uuml;ssen, sie mit Pflasterung zu versehen.
+Aber die Muski ist noch immer das Herz von Kairo, hier
+pulsirt das gr&ouml;&szlig;te Leben, welches in seinem Dahinfluthen Aehnliches
+zeigt mit den Wogen des Strand von London. Hier ist
+auch die Vermittelungsstra&szlig;e vom modernen europ&auml;ischen zum
+alten orientalischen Kairo.</p>
+
+<p>Wandern wir rasch durch die verschiedenen orientalischen
+Quartiere, durch die Bazars, ehe sie f&uuml;r immer verschwinden,
+um einer modernen "<tt>Avenue</tt>" oder einem "<tt>Boulevard</tt>" Platz
+zu machen.</p>
+
+<p>Da ist der Khan el Khalil im Gammeliah-Quartier; der
+Name r&uuml;hrt daher, weil hier die Kamele (Gammel, Gemmel
+oder Djemel) ihre Waaren aufnehmen und abladen. Hier sind
+alle orientalischen Artikel zu haben. An endlosen, nicht sehr
+breiten &uuml;berdachten Stra&szlig;en hocken in engen Verkaufsl&auml;den
+die Eigent&uuml;mer. Die L&auml;den sind meistens so eng, da&szlig; Alles
+und Jedes im Bereiche des Hockenden ist. Hier finden wir
+alle Requisiten des orientalischen Rauchers. Hier sieht man
+jene reichen Teppiche aus Persien oder Damask, elegante
+orientalische Stoffe, Elfenbein und Strau&szlig;enfedern und im
+Allgemeinen alle Artikel aus dem Sudan und Asien; reich
+eingelegte Waffen, Schmucksachen, unverarbeitete Edelsteine,
+Vasen etc. Die Hauptmarkttage von Khan el Khalil sind Montags
+und Donnerstags.</p>
+
+<p>Diese gro&szlig;e Markthalle, wo fast ausschlie&szlig;lich eingeborene
+Kaufleute ihre Buden haben, wo aber manches europ&auml;ische
+Haus mit gro&szlig;en Summen betheiligt ist, hat nat&uuml;rlich an
+allen Ecken und Enden feste und "fliegende" Caf&eacute;'s. Erstere
+sind solche, wo der Kauadji eine gr&ouml;&szlig;ere oder kleinere R&auml;umlichkeit
+besitzt, welche von seinen G&auml;sten besucht wird, in denen
+man mitunter auch Musik findet. Letztere bestehen auf der
+Stra&szlig;e selbst einfach aus einem kleinen Kochapparat, wo Kaffee
+bereitet wird, den der Caf&eacute;tier seinen bestimmten Kunden zutr&auml;gt.
+Jeder Budenbesitzer schl&uuml;rft mehrere Male des Tages
+seinen Mokka, und da gr&ouml;&szlig;ere K&auml;ufe, welche nat&uuml;rlich l&auml;ngere
+Zeit in Anspruch nehmen, nur mit einer Tasse Kaffee in der
+Hand abgemacht werden, so haben solche fliegende Cafetiers
+auch eine ganz gute Kundschaft.</p>
+
+<p>Hier findet man vereinzelt auch jene Haschisch-Buden, d.h.
+Kaffeeh&auml;user, wo neben dem Tabaksrauchapparat, der in
+Narghileh, Tschibuck und Cigaretten besteht, vorzugsweise
+Haschisch geraucht und gegessen wird.</p>
+
+<p>Gehen wir weiter, so kommen wir zum Hamsani-Bazar,
+wo man haupts&auml;chlich Parf&uuml;merien, Papier, Porzellan, Krystallsachen,
+Kattunstoffe, Kramwaaren und Arzneien kaufen kann.
+Erstere, die Parf&uuml;merien, sind bei den Orientalen ein stark
+begehrter Gegenstand. Im Allgemeinen haben sie auch Vorliebe
+f&uuml;r dieselben Wohlger&uuml;che, wie wir Europ&auml;er, aber bei einzelnen,
+welche bei uns die seine Gesellschaft schon zu "<tt>mauvais
+odeur</tt>" rechnet und welcher sich bei uns nur der <tt>demi monde</tt>
+bedient, n&auml;mlich Moschus und Patschuli&mdash;diese erkl&auml;rt der
+Orientale als den Inbegrif des Vollkommensten, was man
+dem Geruchsorgan bieten k&ouml;nne.</p>
+
+<p>Auch in vergangenen Jahrhunderten war dies so, die Liebhaberei
+f&uuml;r derartige D&uuml;fte ist nicht neu. Als Beweis f&uuml;hre
+ich Leo<a name="FNanchor_57_57" id="FNanchor_57_57"></a><a href="#Footnote_57_57" class="fnanchor">[57]</a> an, der in seiner Beschreibung "von der sehr gro&szlig;en
+und bewunderungsw&uuml;rdigen Stadt Kairo" sagt: "Auf einer
+anderen Seite (er hatte soeben das auch zu seiner Zeit so
+hei&szlig;ende Can el Halili beschrieben) der erw&auml;hnten Stra&szlig;e ist
+eine Gegend f&uuml;r Diejenigen, die mit R&auml;ucherwerken, z.B. Zibeth,
+Moschus, Ambra und Benzoin handeln; diese Wohlger&uuml;che sind
+in solcher Menge vorhanden, da&szlig; wenn Jemand 25 Pfund
+verlangt, man ihm wohl 100 Pfund zeigen kann."</p>
+
+<p>Hieran reihen sich noch andere Bazars, der von Gurich,
+wo haupts&auml;chlich Seidenstoffe, Wollfabrikate und Tuche verkauft
+werden; ein eigener Zuckerbazar fehlt auch nicht und auch ein
+Waffenbazar dicht bei der ber&uuml;hmten Hassan-Moschee existirt
+noch immer. Man findet hier europ&auml;ische und &auml;gyptische
+Waffen, das Material inde&szlig;, die Klingen, L&auml;ufe und Schl&ouml;sser
+kommen vom Abendlande, nur die Zusammensetzung und die
+Ausbesserungen werden hier vorgenommen.</p>
+
+<p>Der Waffenmarkt hat &uuml;brigens bedeutend abgenommen,
+seitdem das Faustrecht in Aegypten aufgeh&ouml;rt hat, an der
+Tagesordnung zu sein. Jeder Eingeborene sucht allerdings
+auch heute noch seinen Stolz darin, dermaleinst eine Flinte zu
+besitzen, um der Jagd, die ja in Aegypten frei ist, fr&ouml;hnen zu
+k&ouml;nnen; aber eine <i>Notwendigkeit</i>, eine Waffe zu haben
+und zu tragen, wie das fr&uuml;her der Fall war, namentlich vor
+Mohammed-Alis Zeiten, die liegt heute nicht mehr vor.</p>
+
+<p>Wenn nun auch Kairo nicht die erste Handelsstadt des
+Pharaonenreiches ist, das ist heute Alexandrien, so ist der
+Warenumsatz und gesch&auml;ftliche Verkehr doch immerhin ein bedeutender
+und durchaus der Einwohnerzahl Kairos gem&auml;&szlig;.</p>
+
+<p>Der Haupthandel, namentlich der Engros-Handel, befindet
+sich in den H&auml;nden der Griechen, nach ihnen kommen die Engl&auml;nder,
+Italiener, Franzosen und Deutschen; aber der gr&ouml;&szlig;te
+Kaufmann, der, welcher allein mehr Gesch&auml;fte macht, als alle
+Eingeborenen und Ausl&auml;nder zusammengenommen, das ist der
+Chedive. Noch gr&ouml;&szlig;er, denn als Regent, zeigt sich Ismael
+als Gesch&auml;ftsmann.</p>
+
+<p>Die kaufm&auml;nnischen Gesch&auml;fte werden zwischen den Eingeborenen
+und europ&auml;ischen Handelsleuten mittelst Makler (arab.
+<tt>samsar</tt>, italienisch <tt>sensale</tt>) abgemacht. Meist wird der Verkauf
+mittelst Credit abgeschlossen, selten gleich baare Zahlung
+geleistet. Gew&ouml;hnlich sind die Eingeborenen die p&uuml;nktlichsten
+Zahler, obschon sie es auch an der knauserigsten Feilscherei
+nicht fehlen lassen und um einen Para mehr oder weniger
+Himmel und H&ouml;lle in Bewegung setzen m&ouml;chten.</p>
+
+<p>Unter den Ausfuhrartikeln, welche stets in Kairo lagern,
+nennen wir als wichtig: Gummi, Elfenbein, Sennesbl&auml;tter,
+Datteln, Weihrauch, Perlmutter, sogenannter Mokkakaffee, der
+aber zum gr&ouml;&szlig;ten Theil aus den Landstrichen s&uuml;dlich von
+Abessynien kommt, Strau&szlig;enfedern, Felle, Opium, Schildpatt,
+Tamarinden, Wachs, Knochen, H&ouml;rner, Lumpen.</p>
+
+<p>In industrieller Beziehung steht die Fabrikation von halbseidenen
+Stoffen oben an. Es giebt in Kairo augenblicklich
+500 Webest&uuml;hle, welche jenen unter dem Namen Kutnieh oder
+Alagieh bekannten halbseidenen Stoff fabriciren. Ferner ist
+die Zahl der Indigof&auml;rbereien nicht unbedeutend; fast alle
+Kattunstoffe werden ungef&auml;rbt importirt, aber die Eingeborenen
+tragen sie nur indigogef&auml;rbt.</p>
+
+<p>Auch die Gerbereien werden <tt>en gros</tt> betrieben. Die Bewohner
+von Kairo verstehen ebenso gut das Leder zu gerben
+und zuzubereiten, wie die von Cordova, von Marokko oder
+Saffi, von welchen St&auml;dten die feinen Leder ihre speciellen
+Namen als Corduan, Maroccain oder Saffian erhalten haben.
+Auch Posamentirarbeiten, Mattenflechterei und Korbmacherei
+erfreut sich in der Hauptstadt eines gro&szlig;en Aufschwunges.</p>
+
+<p>Wollstoffe, grobe Leinwand, welche vorz&uuml;glich in Fayum
+gewebt wird, haben in Kairo ihren haupts&auml;chlichsten Umsatz f&uuml;r
+das ganze Land. In Bulak giebt es eine Papierfabrik, eine
+Kanonengie&szlig;erei und eine bedeutende Schiffswerft. Bulak mu&szlig;
+jetzt &uuml;berhaupt schon als ein integrirender Stadttheil Kairo's
+betrachtet werden, und da wollen wir nicht unerw&auml;hnt lassen,
+da&szlig; das Sehenswertheste in diesem Stadttheile das von Herrn
+<i>Mariette</i> gegr&uuml;ndete &auml;gyptologische Museum ist.</p>
+
+<p>Auch ein Irrenhaus, ein Bagno f&uuml;r weibliche Verbrecher,
+eine Kunst- und Gewerbeschule, das Arsenal, eine arabische
+und persische Druckerei befinden sich in Bulak.</p>
+
+<p>Und <tt>vis-&agrave;-vis</tt> von Bulak ist die Perle des Nils, der Palast
+und Garten von Gesirah. Wer je einmal die Wunderm&auml;rchen von
+"Tausend und Eine Nacht" gelesen hat, der glaubt, da&szlig; hier diese
+Zaubereien Wirklichkeit geworden sind. Der Palast selbst erinnert
+an das Meisterst&uuml;ck der Alhambra, den L&ouml;wenhof. Der Garten
+aber &uuml;bertrifft an Ueppigkeit der Pflanzen, an prachtvollen
+Anlagen, an seltenen exotischen Gew&auml;chsen selbst noch den der
+Esbekieh inmitten der Hauptstadt.</p>
+
+<p>Die Graspl&auml;tze, Stauden und Blumen, die Statuetten,
+Grotten, Felspartien, B&auml;che, Br&uuml;cken, Candelaber, Springbrunnen
+&amp;c., alles dies belebt von Thieren aller Art und
+Gr&ouml;&szlig;e, machen diesen Garten zu einer Zauberei eigner Art.
+Namentlich Abends und Nachts, wenn einer jener officiellen
+chedivischen B&auml;lle abgehalten wird, glaubt man beim Lichte
+jener 1000 Gasflammen der Wirklichkeit entr&uuml;ckt zu sein.</p>
+
+<p>In der Mitte des Gartens ist jener herrliche Salamlik,
+ein Sommerpalast des Chedive, von einem Walde von S&auml;ulen
+getragen.</p>
+
+<p>Eine Zierde dieses Wundergartens wird das Aquarium
+sein, welches von eben jenem f&auml;higen Baumeister errichtet wird,
+Herrn <i>Combay</i>, welcher die prachtvolle Grotte im
+Esbekieh-Garten erbaut hat. Dasselbe erh&auml;lt eine Grundfl&auml;che von
+4800 Quadratmetern und besteht aus zwei Etagen. Die Idee
+ist ebenso gro&szlig;artig, wie k&uuml;hn. Die pr&auml;chtig nachgebildeten
+Stalaktiten, welche vom Gew&ouml;lbe herab sich in die Grotten
+senken, die Korallen und Seegew&auml;chse, welche vom Boden aufsteigen,
+wirken wunderbar, und hier auf der Grenze zweier
+Meere, des rothen und des mittell&auml;ndischen, inmitten eines der
+m&auml;chtigsten Str&ouml;me der Erde werden wir bald ein Aquarium
+besitzen, wie kein zweites auf der Welt, welches jedenfalls an
+Reichhaltigkeit lebender Bewohner von Salz- und S&uuml;&szlig;wasser
+selbst die Aquarien von Brighton und Neapel aus dem Felde
+schlagen wird.</p>
+
+<p>Wie Bulak heute nur ein Theil Kairo's ist, so ist Masr
+el Attikah (Alt-Kairo, fr&uuml;her officiell so unterschieden als abgetrennte
+Stadt vom eigentlichen Masr, w&auml;hrend wir im Verlaufe
+dieser Abhandlung mit Alt-Kairo das bezeichnen, was
+orientalisch ist, und Neu-Kairo das nennen, was neu ist, also
+vorz&uuml;glich den Stadttheil Ismaelia) es ebenfalls.</p>
+
+<p>Geht man von der Esbekieh aus &uuml;ber den Abdin-Platz bei
+der Sitti Seinab vorbei, so befindet man sich angesichts des
+protestantischen und katholischen Kirchhofs und angesichts jenes
+Riesen-Aquaducts, den Saladin herstellen lie&szlig;, um dadurch die
+Befestigungen der Citadelle zu vervollst&auml;ndigen. Diese Wasserleitung
+ruht auf 289 Bogen und hat eine L&auml;nge von etwas
+&uuml;ber 2 Quadrat-Meilen. Eine schattige Alle f&uuml;hrt, sobald man
+unter der Wasserleitung durch ist, nach Masr el Attikah.</p>
+
+<p>Von den 8 christlichen Kirchen, welche hier sind, ist f&uuml;r den
+Fremden die am interessantesten, in welcher das H&auml;uschen sich
+befindet, worin nach der Legende die heilige Familie geweilt
+haben soll; sie geh&ouml;rt den nichtunirten Griechen.</p>
+
+<p>Gegen&uuml;ber liegt die Insel Rhoda, welche zwar nicht zur
+Stadt Kairo geh&ouml;rt, aber wegen des hier befindlichen Nilmessers,
+Mekias von den Eingeborenen<a name="FNanchor_58_58" id="FNanchor_58_58"></a><a href="#Footnote_58_58" class="fnanchor">[58]</a> genannt, welcher sich
+urspr&uuml;nglich in Memphis befand, wird gewi&szlig; jeder Europ&auml;er,
+der als Reisender nach Aegypten kommt, zur Insel hin&uuml;berfahren.</p>
+
+<p>Aber auch auf dieser Insel giebt es pr&auml;chtige Pal&auml;ste und
+G&auml;rten, namentlich der Palast von Ibrahim Pascha ist eines
+Besuches werth. Auf dem s&uuml;dlichsten Ende der Insel befindet
+sich eine Pulverm&uuml;hle.</p>
+
+<p>Masr el Attikah ist mit Bulak durch eine Reihe sch&ouml;ner
+Pal&auml;ste, Villen und G&auml;rten verbunden. Das Palais von
+Soliman Pascha, unmittelbar am Nil gelegen, der Khalig-Kanal,
+bei dem allj&auml;hrlich die Festlichkeiten stattfinden, welche
+bei der Nil&uuml;berschwemmung seit Tausenden von Jahren gefeiert
+werden, eine gro&szlig;e Salpeterfabrik, das gro&szlig;e Hospital
+Gasr el Ain, welches sowohl f&uuml;r Milit&auml;r- als Civilpersonen
+eingerichtet ist, endlich das gro&szlig;e Schlo&szlig; Gasr el Nil, ein
+Hospital und eine ungeheure Kaserne, alle diese Bauten bereiten
+den Wanderer gewisserma&szlig;en auf eine der kolossalsten
+Thaten des Chedive vor, welche derselbe im Verlaufe seiner
+so wirksamen und ruhmgekr&ouml;nten Regierung hat ausf&uuml;hren
+lassen. Wir meinen die feste Nilbr&uuml;cke, im Februar 1872
+eingeweiht; sie hat eine L&auml;nge von 406 Meter, hat auf dem
+rechten Nilufer eine Drehscheibe von 30 Meter Durchschnitt auf
+einem Thurme ruhend, der 50 Fu&szlig; tief in das Nilbett eingesenkt
+ist. Die Br&uuml;cke hat 2,300,000 Frcs. gekostet. Ebenb&uuml;rtig
+stellt sie sich den besten Br&uuml;ckenbauten der civilisirten
+Staaten an die Seite.</p>
+
+<p>Aber wir halten, am anderen Ufer des Nils angekommen,
+an, denn die Beschreibung von Giseh, welches jetzt die
+Abfahrtsstation f&uuml;r Ober-Aegypten mit der Bahn geworden ist,
+die Pyramiden, auf der anderen Seite der versteinerten Welt
+Matarieh und Heliopolis, die Abassieh und die hei&szlig;en B&auml;der
+von Hamman Heluan geh&ouml;ren nicht in den Rahmen dieses
+Bildes, der ja nur eine Uebersicht von Kairo, wie es jetzt ist,
+entwerfen sollte.</p>
+
+<p>Eigenth&uuml;mlich genug, da&szlig; die Generalconsulate und politischen
+Agenturen nicht in der Hauptstadt Aegyptens, sondern
+in Alexandrien sind. Dasselbe sehen wir sich wiederholen am
+westlichsten Punkte von Afrika, in Marokko, mit dem Unterschiede,
+da&szlig; im Innern von Marokko &uuml;berhaupt noch keine
+Vertreter christlicher M&auml;chte zu finden sind, w&auml;hrend Tanger
+von den Staaten, die sich am meisten f&uuml;r das Land interessiren.
+Generalconsulate und Viceconsulate, beide von <i>einer</i> Macht,
+beherbergt. Kairo hat blos Consulate.</p>
+
+<p>Der Grund dieser Abnormit&auml;t, dieser stiefm&uuml;tterlichen Behandlung
+der Hauptstadt schreibt sich aus den alten Zeiten
+her, wo der Christ sich jede Art roher Behandlung gefallen
+lassen mu&szlig;te. Wurde nun einmal ein einfacher Consul geohrfeigt
+von einem Mameluk oder &auml;gyptischen Pascha, so konnte
+das eher verschmerzt werden; wurde aber ein Generalconsul
+mit F&uuml;&szlig;en getreten, so mu&szlig;te man schon Notiz davon nehmen<a name="FNanchor_59_59" id="FNanchor_59_59"></a><a href="#Footnote_59_59" class="fnanchor">[59]</a>.
+Zudem konnte ein Generalconsul eher in einer Hafenstadt gesch&uuml;tzt
+werden, als im Innern des Landes.</p>
+
+<p>Da aber alle diese Ursachen l&auml;ngst aufgeh&ouml;rt haben, so
+sollte auch jener abnorme Zustand aufh&ouml;ren. Oder denkt man
+vielleicht, mit der Souver&auml;nit&auml;t von Aegypten m&uuml;&szlig;ten ohnedies
+neue diplomatische Verbindungen eintreten und die Unabh&auml;ngigkeit
+des Landes werde wohl nicht lange mehr auf sich warten
+lassen? Das einzige Land Persien hat sein Viceconsulat in
+Alexandrien, sein Generalconsulat aber in Kairo, und auch dies
+best&auml;tigt meine vorhin ausgesprochene Ursache.</p>
+
+<p>Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften in Kairo haben
+fast alle ihre eigenen Kirchen, so die katholische der V&auml;ter des
+heiligen Grabes, die unirten Griechen, die orthodoxen Griechen,
+die katholischen Armenier, die nichtkatholischen Armenier, die
+unirten Syrier, die katholischen Maroniten, die reformirten
+deutsch-franz&ouml;sischen Christen, die amerikanischen Protestanten,
+die katholischen Kopten und die Jesuiten.</p>
+
+<p>Auch die Juden theilen sich in Talmudisten und Thoraimisten,
+d.h. solche, welche nur das Gesetz Moses anerkennen.</p>
+
+<p>Das Schulwesen in Kairo hat einen ganz neuen Aufschwung
+genommen unter der umsichtigen Leitung des Schweizers, Herrn
+Dohr. Sein Hauptstreben ist dahin gerichtet, die weibliche
+mohammedanische Jugend der Bildung theilhaftig werden zu
+lassen, derer sie bedarf, und wenn dies gelingt, so ist damit
+ein Hauptfactor zur wirklichen Civilisation des ganzen Volkes
+gegeben.</p>
+
+<p>Hospit&auml;ler giebt es zwei, das schon genannte in Gasr el
+Nil, welches j&auml;hrlich an 5000 Kranke aufnimmt, und das
+europ&auml;ische, dessen Kranke in den Fl&uuml;geln des gro&szlig;en Gasr
+el Ain untergebracht werden. Die Aufnahme der Kranken
+ist hier nicht gratis, sondern der Patient zahlt je 12, 6 und
+3 Frcs. f&uuml;r den Tag. Dies Hospital steht unter Aufsicht eines
+der Consuln, welche zu diesem Zwecke einen der Ihrigen allj&auml;hrlich
+hierzu auserw&auml;hlen.</p>
+
+<p>Sollen wir schlie&szlig;lich noch ein Wort &uuml;ber die Absteigequartiere
+der Europ&auml;er sagen, so beginnen wir mit dem sowohl
+&auml;u&szlig;erlich, wie innerlich gleich gro&szlig;artig ausgestatteten
+New-H&ocirc;tel, an der Esbekieh gelegen; es ist Eigenthum des
+Chedive und wird besonders von nach Indien reisenden Engl&auml;ndern
+besucht.</p>
+
+<p>Schaper's H&ocirc;tel, jetzt Herrn Zech, einem Schwaben, geh&ouml;rig,
+ebenfalls am Esbekieh-Platz gelegen, besonders von vornehmen
+Reisenden frequentirt; Art und Weise durchaus englisch.</p>
+
+<p>Nil-H&ocirc;tel am Ende einer von der Muskistra&szlig;e ausgehenden
+Sackgasse, besonders von Deutschen und Nordamerikanern besucht,
+mit reizendem Garten und trefflicher deutscher Bedienung
+bei vorz&uuml;glicher franz&ouml;sischer K&uuml;che.</p>
+
+<p>Andere H&ocirc;tels ersten Ranges, wie <tt>H&ocirc;tel d'Orient</tt>, <tt>H&ocirc;tel
+des Ambassadeurs</tt>, <tt>H&ocirc;tel Royal</tt> sind gleichfalls zu empfehlen.
+Auch gute H&ocirc;tels zweiten Ranges fehlen nicht, z.B. <tt>H&ocirc;tel
+des Colonies, de France, des Princes, du Commerce</tt> u.a.</p>
+
+<p>Mit allen Hotels sind europ&auml;ische B&auml;der verkn&uuml;pft; von
+den zahlreichen maurischen B&auml;dern ist das den Europ&auml;ern
+am meisten zu empfehlende das Bad Tombaly nahe dem
+Scharieh-Thore.</p>
+
+<p>Das ist das Kairo im Jahre 1875; heute schon halb eine
+europ&auml;ische Stadt, wird diese St&auml;tte uralter &auml;gyptischer Cultur&mdash;denn
+Kairo ist doch eigentlich weiter nichts, als ein verj&uuml;ngtes
+Memphis&mdash;bald wieder ein neues, ganz der neuesten Civilisation
+und Cultur sich anpassendes Kleid angelegt haben und
+nach Absch&uuml;ttelung des Staubes und der Asche wie ein Ph&ouml;nix
+aus derselben emporsteigen.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_50_50" id="Footnote_50_50"></a><a href="#FNanchor_50_50"><span class="label">[50]</span></a> Uebersetzung nach Wetzstein; andere &uuml;bersetzen auch "die Siegerin".</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_51_51" id="Footnote_51_51"></a><a href="#FNanchor_51_51"><span class="label">[51]</span></a> Ich folge <i>hier</i> der Schreibweise Wetzsteins.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_52_52" id="Footnote_52_52"></a><a href="#FNanchor_52_52"><span class="label">[52]</span></a> Es ist dies in sofern interessant, als das Umgekehrte Regel ist, wenigstens
+in der Neuzeit. Von verschiedenen V&ouml;lkern wird das t&uuml;rkische Reich
+nach seiner Hauptstadt Stambul genannt, also das Land nach der Hauptstadt.
+Im ganzen Orient benennt man das Kaiserreich der Preu&szlig;en nach
+seiner alten Hauptstadt Muscu. Wir selbst nennen die Berberstaaten
+Tripolis, Tunis, Algier nach ihren Hauptst&auml;dten. In Deutschland haben
+die kleinen L&auml;nder fast alle ihre Benennung nach den Hauptst&auml;dten.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_53_53" id="Footnote_53_53"></a><a href="#FNanchor_53_53"><span class="label">[53]</span></a> Aufgepa&szlig;t, aufgepa&szlig;t, rechts Herr, links!</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_54_54" id="Footnote_54_54"></a><a href="#FNanchor_54_54"><span class="label">[54]</span></a> Weiblicher Plural von Moslim.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_55_55" id="Footnote_55_55"></a><a href="#FNanchor_55_55"><span class="label">[55]</span></a> Was das anbetrifft, so m&uuml;ssen wir doch anderer Meinung sein.
+In einem Lande, wo eigentlich nur <i>ein</i> Kaufmann ist, n&auml;mlich der
+Chedive, kann von Handelsfreiheit nicht wohl die Rede sein.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_56_56" id="Footnote_56_56"></a><a href="#FNanchor_56_56"><span class="label">[56]</span></a> Siehe p. 275: <tt>guide annuaire par Fr. Levernay</tt>.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_57_57" id="Footnote_57_57"></a><a href="#FNanchor_57_57"><span class="label">[57]</span></a> Uebersetzung von Lorsbach p. 519.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_58_58" id="Footnote_58_58"></a><a href="#FNanchor_58_58"><span class="label">[58]</span></a> [Greek: neiloschopion] der Griechen.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_59_59" id="Footnote_59_59"></a><a href="#FNanchor_59_59"><span class="label">[59]</span></a> Der Schlag mit dem Fliegenwedel ins Gesicht des franz&ouml;sischen
+Consuls in Algier f&uuml;hrte zur Unterwerfung der Regentschaft; leider wurden
+&auml;hnliche Insulten von anderen M&auml;chten nicht so energisch geahndet, sonst
+h&auml;tte das Piratenwesen etc. nicht aufkommen, wenigstens nie eine solche
+Macht werden k&ouml;nnen und die sch&auml;ndliche Menschenr&auml;uberei, welche bis
+1830 trotz der europ&auml;ischen M&auml;chte von den muselmanischen Beys und
+Deys betrieben wurde, w&auml;re viel eher unterdr&uuml;ckt und ausgerottet worden.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch11_Meine_Heimkehr_aus_der_Libyschen_Wuste" id="Ch11_Meine_Heimkehr_aus_der_Libyschen_Wuste"></a>11. Meine Heimkehr aus der Libyschen W&uuml;ste.</h2>
+
+
+<p>Schon einen halben Tag vorher, als wir noch inmitten der
+&ouml;desten Steinw&uuml;ste waren, bemerkten wir die N&auml;he des lebenspendenden
+Nilthales. Es war gegen 2 Uhr Nachmittags, und
+in verschiedenen Gruppen zu Fu&szlig; gehend waren wir den langsamen
+Kamelen vorausgeeilt; wir unterhielten uns gerade
+&uuml;ber die M&ouml;glichkeit, noch am selben Abende oder fr&uuml;h am
+Morgen an's Nilthal zu kommen, als lautes Gejodel hinter
+uns ausbrach. Es waren unsere Diener, die nun heranst&uuml;rmten
+und uns auf eine hohe Dampfs&auml;ule aufmerksam machten,
+die gerade vor uns im Osten majest&auml;tisch gen Himmel aufwirbelte.
+Sie konnte nur aus einem jener Fabrikschornsteine
+herr&uuml;hren, welche man jetzt in Aegypten, vom Delta an bis
+nach Assuom hinauf, als Zeugen einer h&ouml;heren Kultur antrifft.</p>
+
+<p>Mit erneuertem Eifer eilten wir voran und eine Stunde
+vor Sonnenuntergang hatten wir den Rand der Sahara, das
+felsige Steil-Ufer des Nil, erreicht. Ja, auf einem erh&ouml;hten
+Vorsprunge konnten wir, in weiter Entfernung allerdings, den
+Nil selbst und seinen gr&uuml;nen Rahmen, die schlanken Palmen,
+erkennen. Sobald die Kamele herangekommen waren, wurde
+dann noch mit Vorsicht der Abstieg ausgef&uuml;hrt, wollten wir
+doch vor allen Dingen noch am selben Abende der traurigen
+Hammada (steinigen Hochebene) entfliehen und der W&uuml;ste f&uuml;r
+immer Lebewohl sagen.</p>
+
+<p>Aber wenn wir auch die Genugthuung hatten, am Fu&szlig;e
+des felsigen Ufers unsere Zelte aufschlagen zu k&ouml;nnen, so war
+es doch zu sp&auml;t geworden, um das eigentliche Nilthal, das,
+welches unter der unmittelbaren Einwirkung des belebenden
+Wassers steht, erreichen zu k&ouml;nnen. Die Schwierigkeiten, die
+beladenen Kamele durch die enge, absch&uuml;ssige Felsspalte hinabzutreiben,
+waren so gro&szlig;, da&szlig; es schon dunkelte, als wir
+unten am Ausgange der majest&auml;tischen Schlucht ankamen.
+Aber ein prachtvoller Lagerplatz war es. Da standen unsere
+Zelte am Fu&szlig;e der j&auml;h abfallenden Kalkw&auml;nde, vor uns &ouml;ffneten
+sie sich, der Ausgang winkte uns Leben entgegen, hinter
+uns th&uuml;rmten sie sich himmelhoch auf, eine riesige Mauer als
+Scheidewand der ewig todten Sahara vom fruchtbarsten Thale
+der Welt. Und nun ging der Mond auf und ergo&szlig; sein
+Licht &uuml;ber unser malerisches Lager; die Feuer prasselten, behaglich
+hatten sich die m&uuml;den Kamele in den weichen Sand
+gestreckt und zermalmten langsam ihr wohlverdientes Futter;
+die deutschen Diener provocirten jubelnd durch Revolver und
+Gewehrsch&uuml;sse das vielfache Echo, w&auml;hrend wir Anderen uns
+vor unsere Zelte gesetzt hatten und die Freuden der Nilreise
+erwogen, welche wir sicher schon am andern Tage antreten zu
+k&ouml;nnen hofften.</p>
+
+<p>Das war unser letztes Lager, unsere letzte W&uuml;stennacht,
+die gewi&szlig; Jedem von uns unverge&szlig;lich sein wird.</p>
+
+<p>Fr&uuml;her als sonst waren wir am anderen Morgen bereit.
+Schnell wurden die Zelte gerollt, die Kamele beladen und
+vorw&auml;rts ging es. Aber so schnell war dennoch Esneh, wo
+wir uns einzuschiffen hoffen konnten, nicht erreicht. Wir waren
+allerdings im Nilthale, aber noch weit von Esneh, dessen
+Palmen noch nicht einmal zu sehen waren. Ein regelrechter
+Tagemarsch mu&szlig;te noch zur&uuml;ckgelegt werden und zwar kein
+angenehmer, denn das Thermometer zeigte im Schatten &uuml;ber
+30 Grad. Inde&szlig; zogen wir immer l&auml;ngs der fruchtbaren
+Nilfelder nach S&uuml;den und rechts das hohe Ufer bot in seiner
+wechselvollen Form Unterhaltung genug, um die Zeit rasch
+schwinden zu machen.</p>
+
+<p>Nachmittags erreichten wir denn auch die ersten menschlichen
+Bauten, zwar nur Ruinen, aber interessanter Art. Es
+waren die Reste eines ehemaligen bedeutenden koptischen Klosters,
+welches auch heute noch f&uuml;r die &auml;gyptischen Christen ein ber&uuml;hmter
+Wallfahrtsort ist. Hierher kam in der Mitte des
+vierten Jahrhunderts der Pater Pachomius, ein Held der
+koptischen Kirche. Die Kirche des Klosters, eine Rotunde, ist
+noch gut erhalten, ja einige Zellen, mit Matten belegt, geben
+Zeugni&szlig;, da&szlig; manchmal Tage lang noch Gottesdienst hier
+verrichtet wird. Einige in Stein gehauene griechische Inschriften
+deuten auf das hohe Alter des merkw&uuml;rdigen Klosters
+hin. Am interessantesten sind aber die h&uuml;bschen Mausoleen in
+der N&auml;he des Klosters; hier ruhen die Gebeine der christlichen
+M&auml;rtyrer, welche im Jahre 303 n. Chr. auf Befehl vom
+Kaiser Diocletian hingerichtet wurden. Reizende Grabkapellen,
+deren h&uuml;bsche architektonische Formen sich nur vergleichen
+lassen mit der ber&uuml;hmten Nekropolis in Chargeh und die um
+so bemerkenswerter sind, weil sie zu den wenigen Bau&uuml;berresten
+geh&ouml;ren, welche aus <i>ungebrannten</i> Thonziegeln errichtet
+sind.</p>
+
+<p>Jetzt tauchten auch die G&auml;rten von Esneh auf und bald
+darauf erblickte man die gr&ouml;&szlig;eren Geb&auml;ude und die schlanken
+Minarets der Moscheen. Unser Factotum, Mohammed Daud,
+hatte ich vorausgeschickt, um uns beim Mudir anzumelden, und
+eine halbe Stunde vor der Stadt kam uns auf einem pr&auml;chtigen
+wei&szlig;en Berberhengste der Unter-Mudir entgegen, um uns
+willkommen zu hei&szlig;en. Zittel und ich waren vorausgegangen
+und betraten bald darauf das h&uuml;bsche Lustschlo&szlig; des Chedive,
+unmittelbar am Nil gelegen.</p>
+
+<p>Sobald wir im Schlosse, welches der Chedive ganz zu
+unserer Verf&uuml;gung gestellt hatte, eingerichtet waren, namentlich
+Jeder von uns sein Zimmer in Besitz genommen hatte, stellten
+sich die Honoratioren der Stadt ein und im gro&szlig;en Saale
+wurde Empfang gehalten. Wir aber forschten vor Allem, ob
+in Esneh ein Trunk Bier zu haben sei, und siehe da, die Stadt
+erwies sich in dieser Beziehung sehr civilisirt, denn bald darauf
+standen vermiedene Flaschen Ale auf dem Tische. Seltsames
+Verlangen, welches wohl nur der Deutsche, vielleicht auch der
+Engl&auml;nder besitzt&mdash;ich glaube, in Esneh ist w&auml;hrend der
+kurzen Zeit unseres Aufenthalts so viel Bier wie nie vorher
+verkauft worden.</p>
+
+<p>Das Schlo&szlig; des Vicek&ouml;nigs war reizend gelegen, obschon
+es sich sonst keineswegs durch architektonische Sch&ouml;nheit auszeichnete.
+Von Mohammed Ali erbaut, der fast jeden Winter
+einige Monate in Esneh zuzubringen pflegte, zeigt es im Allgemeinen
+dieselbe Anordnung der vicek&ouml;niglichen Palais aus
+jener Periode, d.h. l&auml;nglich viereckig ist das innere Parterre
+durch ein gro&szlig;es Kreuz getheilt. Sonderbare Vorliebe, welche
+die Aegypter f&uuml;r's Kreuz besitzen, denn sogar die ber&uuml;hmte
+Mulei-Hassan-Moschee in Kairo zeigt ja, wie ich fr&uuml;her schon
+erw&auml;hnte, in der Grundform ein Kreuz. In der Bel-Etage war
+ein gro&szlig;er Saal mit verschiedenen Zimmern daneben; letztere
+hatten wir unter uns vertheilt; der Salon, nach t&uuml;rkischer
+Sitte nur mit einem Divan, der sich rund um die W&auml;nde
+zog, m&ouml;blirt, diente als gemeinsames Speisezimmer und als
+Empfangszimmer. Die Teppiche waren &uuml;beraus sch&ouml;n und
+auch die M&ouml;belstoffe, Gardinen etc. waren einst sch&ouml;n gewesen,
+aber vom Zahne der Zeit etwas angegriffen.</p>
+
+<p>Ich schlief in der ersten Nacht im Bette Mohammed Ali's,
+aber in den folgenden N&auml;chten zog ich mein Feldbett doch
+vor. In den Wandschr&auml;nken der Zimmer fand sich &uuml;berdies
+der reichste Vorrath von Leinenzeug, seidenen und wollenen
+Decken, Kissen etc., vielleicht seit zwanzig Jahren unber&uuml;hrt
+liegend, denn der jetzige Chedive und seine beiden Vorg&auml;nger
+haben nie in diesem Palaste gen&auml;chtigt.</p>
+
+<p>Ringsum ist ein reizender Garten, da wetteifern Palmen
+mit Oliven, Feigen mit Agaven, Granaten mit Orangen in
+ewig gr&uuml;ner Pracht, wer am ersten seine duftenden Bl&uuml;then
+offenbaren soll. Und vor dem Palais selbst ist, ehe man zu
+den Fluthen des Nils kommt, ein zweiter sch&ouml;ner Platz, stets
+schattig, denn herrliche Lebek-Akazien &uuml;berw&ouml;lben ihn.</p>
+
+<p>Unsere Freude, den Nil erreicht zu haben, wieder in civilisirter
+Umgebung sein zu k&ouml;nnen, wurde aber etwas getr&uuml;bt,
+weil kein Dampfer, um uns zu holen, gekommen war. Leider
+war der Brief, den ich von der Jupiter-Ammons-Oase aus
+an unseren Generalconsul in Alexandrien geschickt hatte, acht
+Tage sp&auml;ter angekommen, durch die unverzeihliche Nachl&auml;ssigkeit
+des arabischen Boten, welcher geglaubt hatte. "Acht Tage
+fr&uuml;her oder acht Tage sp&auml;ter, was macht das aus?" So
+fanden wir nur ein Telegramm vor, welches besagte, es sei
+Befehl gegeben, uns von Assuan her eine Dahabieh zu besorgen,
+da Dampfer des niedrigen Wasserstandes wegen nicht
+mehr fahren k&ouml;nnten. Letzteres war nun allerdings eine Unwahrheit,
+aber jedenfalls war die Zeit zu kurz geworden, um
+jetzt noch einen Dampfer von Kairo zu erwarten.</p>
+
+<p>Wir mu&szlig;ten uns also mit Geduld in unser Schicksal ergeben
+und Jeder nutzte die Zeit aus, so gut es ging. Zittel
+durchforschte noch einmal die interessanten Schichten des Nilufers,
+Jordan operirte mit dem Theodolit, Ascherson suchte
+mit seinem Diener Korb Pflanzen und Herr Remel&eacute; photographirte
+im Tempel; nur ich selbst hatte meine Th&auml;tigkeit geschlossen,
+denn mit der Erreichung des Nils hatte die Reise
+ihr Ende erreicht. Aber ganz unth&auml;tig war ich auch nicht,
+lag mir doch ob, unsere ganze Expedition noch stromabw&auml;rts
+bis zum Mittelmeere zu f&uuml;hren, und da gab es noch Mancherlei
+zu besorgen und anzuordnen.</p>
+
+<p>Esneh mit circa 7000 Einwohnern ist g&uuml;nstiger gelegen,
+als Siut, insofern als es unmittelbar am Nil liegt, aber
+dennoch ist letztere Stadt bedeutend wichtiger f&uuml;r Handel und
+Wandel. Der jetzige Name Esneh ist der alte, urspr&uuml;nglich
+&auml;gyptische, wie Quatrem&egrave;re und Champollion aus koptischen
+Urkunden nachgewiesen haben. Letzterer bringt das Wort mit
+<tt>Sna</tt> was auf koptisch Garten bedeutet, in Verbindung. Der
+griechische Name Latopolis kommt, wie Strabo (Bd. XVII,
+S. 817) sagt, von der Verehrung des Fisches Latos her, dem
+hier mit Minerva g&ouml;ttliche Ehre erwiesen wurde. Dies bezeugt
+der pr&auml;chtige Tempel, dessen Vorhalle, unter Mohammed Ali's
+Regierung blo&szlig;gelegt, zu den wohlerhaltensten Denkm&auml;lern
+geh&ouml;rt, welche Aegypten besitzt.</p>
+
+<p>Im Ganzen genommen liegt Esneh &auml;u&szlig;erst malerisch auf
+circa 25-30 Fu&szlig; hohem Nilufer. Der Palast des Chedive, die
+gro&szlig;e Cavallerie-Caserne, welche jetzt allerdings leer steht und
+welcher der Verfall droht, das Mudirats-Geb&auml;ude, die Wohnung
+des Schich el Bled, alle am Nil gelegen, dann die
+gro&szlig;e Zahl der imposanten und bunt bekalkten Taubenschl&auml;ge
+verleihen der Stadt ein gr&ouml;&szlig;eres Aussehen, als sie in Wirklichkeit
+hat. Ich habe fr&uuml;her schon dieser colossalen Taubenschl&auml;ge
+erw&auml;hnt; ein einziger solcher Thurm, viel luxuri&ouml;ser
+gebaut, als die danebenstehende menschliche Wohnung, beherbergt
+oft 500 und mehr Tauben. Hauptzweck der Taubenzucht
+ist die Erzielung von Guano, und Leute in Esneh gaben
+mir die Versicherung, da&szlig; der Jahresbetrag eines gro&szlig;en
+Taubenschlags oft f&uuml;r 40 bis 50 Ducaten Guano betrage.
+Man sieht also, da&szlig; nicht allein die Gew&auml;sser des Nils es
+sind, welche die fruchtbaren Fluren erzeugen, sondern da&szlig; auch
+noch durch D&uuml;nger nachgeholfen werden mu&szlig;.</p>
+
+<p>Und da ich doch einmal bei den Tauben verweile, m&ouml;chte
+ich hier die interessante, schon von Darwin mitgeteilte Thatsache
+hervorheben, da&szlig; die Tauben, um zu trinken, direct in
+den Nil fliegen; nat&uuml;rlich gehen sie in so seichtes Wasser, da&szlig;
+sie Grund finden. Aber wie lange wird es dauern und Gewohnheit,
+Notwendigkeit und Zuchtwahl werden zusammenwirken,
+es werden sich Schwimmh&auml;utchen an den F&uuml;&szlig;en bilden
+und nach 10,000 Jahren oder mehr hat Aegypten vielleicht
+schwimmende Tauben.</p>
+
+<p>Eine Eigenth&uuml;mlichkeit hat Esneh noch, welche sich vielleicht
+in den anderen &auml;gyptischen St&auml;dten auch findet, aber nicht so
+hervortritt, n&auml;mlich ein ganzes Viertel, wo nur Het&auml;ren wohnen.
+In der N&auml;he sind t&uuml;rkische Kaffeeh&auml;user und von da
+konnten wir die interessantesten Beobachtungen anstellen. Da
+sah man eine ganze ethnographische Musterkarte weiblicher
+Gesch&ouml;pfe: hier eine blendend wei&szlig;e Deltabewohnerin, vielleicht
+mit tscherkessischem Blute in ihren Adern, dort eine pechschwarze
+Dame aus Fur, hier eine rothe Dongolanerin, dort eine Fellahin
+aus dem Nilthal mit goldgelber Haut und gro&szlig;en schwarzen
+Augen, hier eine J&uuml;din, dort eine Christin, hier eine
+Mohammedanerin, dort eine Schwarze, welche vielleicht noch
+Heidin war, kurz, fast alle Racen, jedes Alter und jede Religion
+war vertreten.</p>
+
+<p>Wir luden diese zuvorkommenden Wesen ein, uns im
+Palais einen Besuch zu machen, aber da erfuhren wir, da&szlig;
+sie aus der Grenze ihres Stadtviertels ohne besondere Erlaubni&szlig;
+des Gouverneurs nicht herausgehen durften. Unser Photograph,
+Herr Remel&eacute;, wollte n&auml;mlich ein Gesammtbild dieser
+ethnographisch interessanten Frauen herstellen. Die Erlaubni&szlig;
+war inde&szlig; schnell erwirkt. Unter F&uuml;hrung des Unter-Mudir
+und verschiedener Polizisten erschienen sie Nachmittags, gewi&szlig;
+30 an der Zahl, im Garten des chedivischen Palais. Alle
+waren im h&ouml;chsten Putze und die Aermste hatte mindestens
+40-50 Goldst&uuml;cke zu einer Kette vereint um den Hals.
+Gro&szlig;e goldene und silberne Armb&auml;nder, Fu&szlig;spangen, bunte
+Kleider, goldgestickte Schuhe, Alles hatten sie angethan, um
+m&ouml;glichst vorteilhaft zu erscheinen. Nat&uuml;rlich mu&szlig;te die
+Sitzung bezahlt werden, aber es gelang Herrn Remel&eacute; doch,
+zwei h&ouml;chst gelungene Aufnahmen zu machen.</p>
+
+<p>Sonst hat die Stadt nichts von Interesse; der Marktplatz,
+die Buden, die Stra&szlig;en sind eng und klein, aber es ist Alles
+zu haben. Mehrere von Griechen gehaltene Schenken sind mit
+leiblichen Bed&uuml;rfnissen aller Art wohl versehen.</p>
+
+<p>Doch noch einmal kehren wir zur&uuml;ck zu dem Tempel, der
+gleich hinter dem Marktplatze gelegen ist und sicher zu den
+staunenswertesten Denkm&auml;lern Aegyptens geh&ouml;rt. Dabei kam
+mir der Gedanke, wie angenehm es f&uuml;r uns gewesen war, diese
+alten &auml;gyptischen Bauten immer in aufsteigender Weise kennen
+gelernt zu haben. Nachdem wir zuerst auf unserer Hinreise die
+ziemlich kunstlos gearbeiteten Hypogeen (Katakomben) von
+Beni Hassan, die Gr&uuml;fte von Siut, gesehen, waren wir zum
+kleinen Tempel in Dachel, dann aber zum viel pr&auml;chtigeren
+gro&szlig;en von Chargeh gekommen und nun hatten wir hier ein
+Werk vor uns, das uns die Pracht und die Herrlichkeit der
+&auml;gyptischen Baukunst auf's Vollkommenste vergegenw&auml;rtigte.
+Leider ist der gr&ouml;&szlig;te Theil des Tempels noch unter Schutt,
+nur der Porticus ist zug&auml;nglich. Aber seine gewaltigen Dimensionen
+deuten genugsam auf die bedeutenden Bauten hin,
+welche uns augenblicklich der neidische Boden zusammengefallener
+H&uuml;tten und H&auml;user verbirgt.</p>
+
+<p>24 S&auml;ulen, &uuml;ber 33 Fu&szlig; hoch, in vier Reihen stehend, mit
+einer Peripherie von 16 Fu&szlig; jede S&auml;ule, lassen in diesem
+Vortempel nur ahnen, welche gro&szlig;artige Verh&auml;ltnisse dahinter
+liegen. Die franz&ouml;sische Expedition sch&auml;tzt die Grundfl&auml;che des
+ganzen Tempels auf 5000 Quadratmeter, und Alles ist mit
+Hieroglyphen und bildlichen Darstellungen bedeckt. "K&ouml;nnte
+ein Steinmetz auch ein Zehntel Quadratmeter in <i>einem</i>
+Tage mit solchen Hieroglyphen bedecken, so w&auml;ren doch
+50,000 Tage zur Beendigung der ganzen Decoration n&ouml;thig<a name="FNanchor_60_60" id="FNanchor_60_60"></a><a href="#Footnote_60_60" class="fnanchor">[60]</a>."</p>
+
+<p>Man sieht &uuml;berall den Widderkopf des Jupiter Ammon;
+auch &uuml;ber der Th&uuml;r, welche ins Innere des Tempels f&uuml;hrt
+und die vermauert ist, sieht man ein widderk&ouml;pfiges Bild.
+Die S&auml;ulen, deren Architrav, die Decke des Tempels sind alle
+wohl erhalten und die <i>erhaben</i> gearbeiteten Hieroglyphen im
+Innern des Porticus sind von einer Genauigkeit der Arbeit,
+als ob sie erst gestern aus der Hand des K&uuml;nstlers hervorgegangen
+w&auml;ren. Warum sind in dem Innern der Tempel
+die Hieroglyphen erhaben, an der &auml;u&szlig;eren Seite aber meist
+vertieft gearbeitet? Das sind Fragen, die Einem einfallen;
+vielleicht hat ein Brugsch oder Lepsius, oder gar schon Champollion
+darauf geantwortet. Ich wei&szlig; es nicht, ich verweise
+daher den, der sich mit diesen Gegenst&auml;nden eingehend besch&auml;ftigen
+will, auf die dahin einschl&auml;gige Literatur. Interesse
+hat eine solche Baute gewi&szlig; f&uuml;r Jedermann; auch der Gleichg&uuml;ltigste
+mu&szlig; bewundern und selbst der blasirteste Mensch
+mu&szlig; verstummen unter dem m&auml;chtigen Eindrucke dieses Menschenwerks.
+Schade, da&szlig; die Dunkelheit nicht erlaubt, die
+Deckengem&auml;lde genauer zu betrachten, wo namentlich ein
+Thierkreis, durch die Sauberkeit seiner Arbeit ausgezeichnet,
+von gro&szlig;em Interesse sein soll. Ich habe ihn nicht gesehen;
+die Dunkelheit wird hervorgebracht durch Schutt, der, fast so
+hoch wie der Tempel selbst, davor liegt; man mu&szlig; mittelst
+einer Treppe hinabsteigen.</p>
+
+<p>F&uuml;nf Tage waren wir in Esneh, von Assuan kam immer
+noch kein Schiff. Am vierten Tage aber hatten wir schon
+einen Entschlu&szlig; gefa&szlig;t. Vertraut mit den Versprechungen,
+welche &auml;gyptische Beamte zu machen, aber nicht zu halten
+pflegen, hatten wir eingesehen, da&szlig; auf eine Dahabieh nicht
+zu rechnen sei. "Kairo ist weit und der Chedive thront hoch",
+denken auch die &auml;gyptischen Mudire in Ober&auml;gypten. M&ouml;glich,
+da&szlig; keine Dahabieh in Assuan zu haben war, m&ouml;glich, da&szlig;
+man dahin noch gar nicht um eine solche telegraphirt hatte;
+genug, es kam keine.</p>
+
+<p>Aber in Esneh selbst fanden sich zwei allerdings kleine,
+aber doch taugliche Schiffe, und mit H&uuml;lfe des Mudir wurden
+sie gemiethet. Der Mudir verstand etwas Englisch und war
+einer der besten &auml;gyptischen Provinzialbeamten, den ich noch
+gesehen hatte: Wie fein und "<tt>gentlemanlike</tt>" war sein Benehmen
+gegen das des Siuter Mudir, der ein ehemaliger
+Sclave von Abbas Pascha war! Der Mudir von Esneh
+hatte aber auch fr&uuml;her an der Spitze der Asisieh-Dampfer-Compagnie
+gestanden, er war noch fr&uuml;her See-Capitain gewesen
+und hatte als solcher die Welt kennen gelernt.</p>
+
+<p>Auch die anderen Honoratioren der Stadt waren ordentliche
+Leute. Da war der Unter-Mudir, ein sehr gef&auml;lliger
+Mann; da war der Medicinalrath, der etwas Franz&ouml;sisch redete,
+sich auch eine &auml;gyptische Zeitung, die in franz&ouml;sischer Sprache
+erschien, hielt, sie nur nie las. Er war so liebensw&uuml;rdig, sie
+mir t&auml;glich zu schicken, aber ich gestehe, nachdem ich einige
+Mal dies Blatt, "<tt>l'Egypte</tt>" genannt, durchgesehen hatte, stand
+ich ebenfalls davon ab, es zu lesen. Kann man sich einen
+langweiligeren Inhalt denken: einige amtliche Bekanntmachungen,
+Ausz&uuml;ge aus den Verhandlungen irgend welcher obscurer
+franz&ouml;sischer Gesellschaften, irgend ein franz&ouml;sischer Sensationsroman
+und einige Annoncen. Selbst telegraphische Berichte
+waren nicht einmal vorhanden und politische Nachrichten, Leitartikel
+oder sonstige Raisonnements fehlten g&auml;nzlich. Gl&uuml;ckliche
+&auml;gyptische Beamte, die mit einem solchen officiellen Blatte abgespeist
+werden, "<tt>l'Egypte</tt>" ist das Organ der Regierung.</p>
+
+<p>Da war dann noch der Mufti, der Kadhi, der Schich el
+Midjelis<a name="FNanchor_61_61" id="FNanchor_61_61"></a><a href="#Footnote_61_61" class="fnanchor">[61]</a>, der Ukil<a name="FNanchor_62_62" id="FNanchor_62_62"></a><a href="#Footnote_62_62" class="fnanchor">[62]</a> des Palais des Vicek&ouml;nigs und einige
+andere Notablen, die uns alle Abende einen Besuch machten;
+aber einen kurzen, das mu&szlig; ich zu ihrer Ehre nachr&uuml;hmen;
+die langen Sitzungen, wie sie uns von der Beh&ouml;rde in Dachel
+t&auml;glich aufoctroyirt wurden, hatten wir hier nicht mehr zu
+erdulden.</p>
+
+<p>Bezaubernd in gewisser Weise waren auch die Tage in
+Esneh, so recht f&uuml;r's <tt>Dolce far niente</tt> angethan. Wenn des
+Morgens in die offenen Fenster hinein die sich mischenden
+D&uuml;fte des Jasmin und Orangenbaumes zogen, wenn die
+Schwalben ihr jubelndes Zwitschern erschallen lie&szlig;en und wir
+selbst, Zittel und ich, uns auf die Terrasse begaben, um in
+aller Ruhe Kaffee zu schl&uuml;rfen, zu schreiben oder zu lesen,&mdash;oder
+aber, wenn Abends die Sonne sich hinter die Nilufer
+gesenkt hatte und nun die gegen&uuml;berliegenden wei&szlig;lichen Kalkberge
+in den herrlichsten Farben geschm&uuml;ckt prangten, der
+Himmel und der Nil selbst von ganz anderen Tinten &uuml;bergossen
+erschien, als man es je anderswo schauen mag&mdash;so
+lie&szlig;en alle diese Bilder Eindr&uuml;cke zur&uuml;ck, welche nur Der zu
+w&uuml;rdigen wei&szlig;, der selbst Aehnliches erlebt und gesehen hat.</p>
+
+<p>Mittags hatten wir die Dahabiehen gemiethet, Nachmittags
+um 5 Uhr konnten wir schon abfahren. Aber die Dahabiehen
+sind keineswegs alle von gleicher Beschaffenheit. Man hat sehr
+gro&szlig;e und sch&ouml;ne, so wie die europ&auml;ischen Nilreisenden sich
+dieselben in Kairo zu einer Reise auf dem Nil miethen; man
+hat kleinere f&uuml;r eingeborene Reisende und solche, die gleichsam
+f&uuml;r den Waarentransport eingerichtet sind.</p>
+
+<p>Uns standen zwei kleinere zu Gebote, die mit vielen Nachtheilen
+den Vortheil verbanden, da&szlig; sie schneller fortzubewegen
+und besonders, da&szlig; sie bedeutend billiger waren, als die gro&szlig;en
+Dahabiehen. Wir verteilten uns also in die zwei Schiffchen
+und zwar so, da&szlig; Zittel, Ascherson und ich mit zwei
+europ&auml;ischen Dienern das eine, Herr Remel&eacute; und Jordan
+mit drei ebenfalls europ&auml;ischen Dienern das andere Schiff
+einnahmen. R&auml;umlich waren letztere besser daran, als wir,
+denn bei gleich gro&szlig;en Caj&uuml;ten waren sie zu Zweien, wir aber
+zu Dreien. Jedes Schiff hatte n&auml;mlich an seinem hinteren
+Theile zwei kleine Cabinen; in unserem bezogen Zittel und ich
+die eine, Ascherson die andere; letztere diente zugleich als
+Speisesaal und als Ort, wo unsere Kisten standen; beide Caj&uuml;ten
+waren durch einen nicht n&auml;her zu bezeichnenden Ort getrennt,
+dessen unangenehme Einschaltung wir aber dadurch
+unsch&auml;dlich machten, da&szlig; wir uns Allen den Zutritt verboten.</p>
+
+<p>Oben auf den beiden Caj&uuml;ten wurde gesteuert, dort schliefen
+der Rais, unsere beiden europ&auml;ischen Diener und der Schich
+unserer eingeborenen Leute. Die Mitte des Schiffes hatte
+Raum f&uuml;r den Mastbaum, f&uuml;r drei improvisirte B&auml;nke, welche
+die sechs Ruderer inne hatten, und unter Deck war unsere
+Bagage; ganz am Vordertheile des Schiffes befand sich eine
+Art von K&uuml;che. Das war die Einrichtung des Schiffes. An
+M&ouml;beln hatten wir Feldtische und St&uuml;hle von einem Dampfschiffe
+des Chedive, welches vor Kurzem bei den Ssilsilla-Bergen
+oberhalb Esneh gescheitert war. Unsere eignen Feldst&uuml;hle
+waren durch die Reise ganz unbrauchbar geworden.</p>
+
+<p>An Proviant hatten wir drei Schafe, mehrere Puter, Eier,
+Mehl, Butter, Reis, Linsen, Brod, Kaffee, Wein und Bier; in
+dieser Beziehung waren wir also wohl versorgt, und um ja zu
+vermeiden, da&szlig; an Bord des anderen Schiffes nicht Unzufriedenheit
+ausbr&auml;che, theilte ich die Lebensmittel und Getr&auml;nke
+stets so, da&szlig; jedes Schiff die H&auml;lfte bekam, trotzdem wir zu
+drei Herren, das andere Fahrzeug aber nur mit zweien besetzt
+war.</p>
+
+<p>Langsam entschwand Esneh unseren Blicken. Es war der
+erste Abend, den wir wieder auf dem Nil verlebten, ein herrlicher
+in jeder Art, und nun konnten wir auch schon mit ziemlicher
+Gewi&szlig;heit vorher berechnen, wann wir in Kairo, wann
+wir in Alexandria und wann wir in Neapel sein w&uuml;rden,
+besonders Zittel und ich, die wir gemeinsam zur&uuml;ckreisen wollten,
+wir gaben uns oft diesem frohen Gedanken hin. Da
+sa&szlig;en wir nun oben auf der Cabine, ein Glas Bier vor uns,
+schauten auf die in pr&auml;chtigen Farben schimmernden Berge,
+auf die ruhigen Fluthen des Nil, auf die Barken, die leise
+dar&uuml;ber hinglitten, auf die friedlichen Ufer, wo hier ein Sch&auml;fer
+seine Heerde heimtrieb, dort B&uuml;ffel, die das steile Geh&auml;nge
+hinanklommen, hier M&auml;nner mit Sicheln bewaffnet, Heub&uuml;ndel
+einheimsend, hier die jungen Fellahm&auml;dchen, die K&uuml;he zum
+Melken herantreibend,&mdash;ein Bild der Ruhe und des Friedens.
+Und diese Leute sollen so bedr&uuml;ckt sein, da&szlig; sie kaum mehr
+das Geld erschwingen k&ouml;nnen? So fragte ich mich beim Anblick
+dieses Bildes. Es leuchtete doch nur Zufriedenheit und
+Frohsinn aus aller Leute Gesicht. Hier wurde laut gelacht,
+dort wurde gesungen. Wie stimmt das mit den Klagen &uuml;ber
+unerschwingliche Steuern?</p>
+
+<p>Ach, es ist leider nur zu wahr, in Aegypten giebt es wohl
+gar keine Gegenst&auml;nde mehr, die unbesteuert sind und die
+Steuern sind wirklich f&uuml;r das Volk fast unerschwinglich. Die
+Zufriedenheit und der frohe Sinn, die ewige Heiterkeit der
+armen Fellahin erkl&auml;rt sich nur daraus, da&szlig; sie es nie besser
+gewohnt waren. Seit mehr als 4000 Jahren immer im
+Sclavenjoch, ist es einer Generation am Ende einerlei, ob sie
+mehr bezahlen mu&szlig;, als die andern fr&uuml;her bezahlten. Auch
+die V&auml;ter haben keine Reichth&uuml;mer gesammelt und haben, trotzdem
+sie vielleicht weniger steuerten, auch nichts hinterlassen.</p>
+
+<p>Was war das? Da t&ouml;nte von der anderen Barke mit
+einem Male "Ein lustiger Musikante marschirte einst am Nil" &amp;c.
+her&uuml;ber und hernach noch andere Lieder. Das Singen ist ansteckend;
+wir antworteten und so etablirten sich Wechselges&auml;nge
+oder auch, wenn die beiden Barken ganz nahe waren, sangen
+wir zusammen. Zittel mit seiner wirklich sch&ouml;nen Stimme
+mu&szlig;te die Palme zuerkannt werden,&mdash;doch nein, ich &uuml;bertraf
+ihn. Denn wenn ich mit der Kraft meines ganzen K&ouml;rpers
+und mit unbeschreiblichem Ausdruck mein Schnadah&uuml;pfln sang,
+dann folgte immer ein allgemeines "bis, bis, noch ein Mal!"
+Ja, wie von einem Niemann oder Betz, wie von einer Lucca
+oder Patti (ich vereinige den Zauber und den Schmelz der
+verschiedensten Stimmen, einerlei, ob aus m&auml;nnlichen oder
+weiblichen Kehlen) wurde stets mein Lied drei oder vier Mal
+zu h&ouml;ren verlangt.</p>
+
+<p>Die N&auml;chte auf dem Schiffe waren nicht allzu angenehm.
+Da&szlig; Ungeziefer der verschiedensten Art einheimisch war, sollten
+wir bald genug erfahren, aber in unserem Fahrzeuge waren
+au&szlig;erdem noch Wasserratten, die auf l&auml;stige Art oft unseren
+ohnedies nicht festen Schlaf st&ouml;rten. Ja, eines Nachts sprang
+eine freche Ratte durch das kleine Fenster gerade auf mein
+Gesicht und als ich erschreckt in die H&ouml;he fuhr, mit einem Satze
+auf Zittels Kopf, der dicht an meiner Seite schlief. Als sie
+auch hier keinen angenehmen Empfang fand, verschwand sie in
+unserem Brodkorbe, den sie sich als Lieblingsaufenthalt ausersehen
+hatte.</p>
+
+<p>Das war die erste Nacht, aber man gew&ouml;hnte sich an derartige
+Unannehmlichkeiten, und die m&auml;chtig wirkende Sonnengluth
+bei Tage suchte man durch leichtere Kleidung zu d&auml;mpfen, oder
+es wurde an seichten Stellen ein Bad genommen, das freilich
+nur eine momentane Abk&uuml;hlung bewirkte.</p>
+
+<p>Wir n&auml;herten uns Theben, wo reich die Wohnungen sind
+an Besitzthum:</p>
+
+<div class="blockquot"><p>"Hundert hat sie der Thor', und es ziehen zweihundert aus jedem,
+R&uuml;stige M&auml;nner zum Streit mit Rossen daher und Geschirren."</p></div>
+
+<p>So singt Homer, aber ach!&mdash;nur Ruinen deuten heute noch
+auf die einstige Gr&ouml;&szlig;e der Stadt, nach der im grauesten Alterthume,
+wie Herodot uns sagt, ganz Aegypten genannt wurde.</p>
+
+<p>Pocht nur, ihr modernen St&auml;dte und Staaten, auf eure
+Unverg&auml;nglichkeit, du prahlerisches Rom mit deinen paar Tausend
+Jahren nennst dich die "ewige Stadt". Blicke auf Theben
+zur&uuml;ck, dem nicht einmal der Name geblieben ist. Ja, es ist
+traurig, die heutigen Bewohner des Ortes kennen den Namen
+Theben nicht. Angesichts der colossalen Ruinen, Angesichts
+eines Tempels, in welchem der Dom von St. Peter f&uuml;nfmal
+stehen kann, ahnen sie nicht einmal die Bedeutung und die
+Macht, die fr&uuml;her diese St&auml;tte hatte.</p>
+
+<p>Man h&auml;tte es sich selbst nie verzeihen k&ouml;nnen, bei Theben
+vorbeizufahren, ohne wenigstens die haupts&auml;chlichsten Denkm&auml;ler
+gesehen zu haben. "Auf Luxor zu halten!" riefen wir, und
+siehe da: auf einem stattlichen Hause unmittelbar am Nil flatterte
+eine gro&szlig;e deutsche Fahne empor. Auf dem deutschen
+Consulate hatte man zwei mit deutschen Flaggen versehene
+Dahabiehen bemerkt, und da man ohnedies von unserer Ankunft
+unterrichtet war, wollte uns der Consul dadurch eine Aufmerksamkeit
+beweisen. Des Consuls Salutsch&uuml;sse wurden von
+unseren Schiffen sogleich erwidert und bald darauf legten wir
+dicht bei seinem Hause vor Anker und begaben uns hinauf.
+Ein liebensw&uuml;rdiger Mann, dieser Vertreter Deutschlands, dem
+nur Eins fehlt, n&auml;mlich Gehalt, was doch immerhin nothwendig
+w&auml;re bei der &ouml;fteren Repr&auml;sentation und der Gastfreundschaft,
+welche dieser freundliche Kopte allen Deutschen erweist. Es
+w&auml;re dies um so w&uuml;nschenswerther, als die Vertreter der
+&uuml;brigen M&auml;chte in Theben, z.B. die von England, Frankreich
+und Oesterreich, auch Gehalt beziehen. Allerdings sind dort
+keine Deutschen zu besch&uuml;tzen oder sonst irgendwie deutsche
+Interessen wahrzunehmen, aber wenn man schon einmal die
+Nothwendigkeit eines deutschen Consuls f&uuml;r einen Ort anerkannt
+hat, dann soll man ihn auch honoriren.</p>
+
+<p>Es macht einen angenehmen Eindruck, im Hause des Consuls
+einen europ&auml;isch eingerichteten Salon zu finden, an den
+W&auml;nden: unseren Kaiser, den Kronprinzen, die Schlachten mit
+den Franzosen und verschiedene Photographien von Deutschen,
+die Luxor, so hei&szlig;t dieser Theil von Theben, wo die Consulate
+sich befinden, besucht haben.</p>
+
+<p>Hier befindet sich auch das ber&uuml;hmte Fremdenbuch, worin
+Engl&auml;nder und Franzosen unsern Lepsius so begeiferten, indem
+sie unkluger Weise ihm die Zerst&ouml;rung der Ruinen schuld
+gaben. Kindischere Bemerkungen &uuml;ber die Tr&uuml;mmerfelder von
+Theben sind wohl nie geschrieben worden. Sie bedachten wohl
+nicht, da&szlig; Theben schon zur Zeit Strabo's zerst&ouml;rt war. Strabo
+(Bd. XVII, S. 816) sagt ausdr&uuml;cklich: "Es ist mit Tempeln,
+die gr&ouml;&szlig;tenteils von Chambyses zerst&ouml;rt worden sind, erf&uuml;llet
+und wird gegenw&auml;rtig als kleiner Flecken bewohnt &amp;c." Also
+schon vor ca. 1900 Jahren war Theben, so wie es heute ist,
+aber vor ca. 3500 Jahren war es in seiner Glanzperiode, an
+Rom dachte man damals noch nicht. Dies Fremdenbuch wurde
+von D&uuml;michen, als er unseren Kronprinzen auf seiner &auml;gyptischen
+Reise begleitete, an Lepsius geschickt, der es zur&uuml;cksandte
+mit der einfachen Bemerkung, er habe Kenntni&szlig; davon genommen.
+Auf dem Consulate sind &uuml;brigens zwei Fremdenb&uuml;cher,
+ein allgemeines und ein nur f&uuml;r Deutsche bestimmtes.
+Das allgemeine Album r&uuml;hrt noch aus der Zeit her, wo der
+Consul verschiedene andere Nationen gleichzeitig mit vertrat.</p>
+
+<p>Das Verbrechen von Lepsius bestand in Wirklichkeit darin,
+da&szlig; er viele der Tempel von Schutt reinigen lie&szlig; und zu der
+Zeit die Erlaubni&szlig; erhielt, gefundene Kunstgegenst&auml;nde nach
+Berlin bringen zu d&uuml;rfen; aber zerbrochen hat Lepsius nichts.
+Eine solche Barbarei z.B., wie das Ausbrechen des Thierkreises
+aus dem Tempel zu Dendera ist, ist nie von Deutschen
+begangen worden. Derselbe ist jetzt im Louvre.</p>
+
+<p>Nach einem kurzen Besuche auf dem Consulate, wo der
+&uuml;bliche Kaffee, Scherbet und Araki geschl&uuml;rft und ein Tschibuk
+geraucht wurde, gingen wir sodann, den Tempel von Luxor zu
+sehen und ritten darauf nach dem Heiligthum von Karnak,
+dem gr&ouml;&szlig;ten Geb&auml;ude der Erde, welches jemals einer Gottheit
+geweiht war. Da eine Beschreibung dieser Bauten mit ihren
+Obelisken, Pylonen und Sphinxen nicht in meiner Absicht liegt,
+so fahre ich gleich fort im Berichten unserer Erlebnisse.</p>
+
+<p>Wir waren Abends am Bord unseres Schiffes, schwelgend
+in der Erinnerung an jene staunenswerten Kunstwerke l&auml;ngst
+vergangener Generationen, nicht vergangener V&ouml;lker, denn die
+heutigen Nilthalbewohner sind doch am Ende nur die Abk&ouml;mmlinge
+jener Titanen, welche diese Riesenwerke aufbauten,
+deren Kraft und Sch&ouml;nheit wir jetzt t&auml;glich zu bewundern Gelegenheit
+hatten.</p>
+
+<p>Und der folgende Tag sollte fast einen noch gr&ouml;&szlig;eren Genu&szlig;
+gew&auml;hren: wir setzten hin&uuml;ber auf die andere Seite des
+Nils, auf die linke, um die K&ouml;nigsgr&auml;ber, die Memnon-Colosse,
+das Rameseum mit seinen herrlichen Bildwerken &amp;c. in Augenschein
+zu nehmen. Ein ganzer Tag ging damit hin und dennoch
+sahen wir keineswegs alle Denkm&auml;ler, sondern nur die
+bemerkenswerthesten. Dankend mu&szlig; ich erw&auml;hnen, da&szlig; uns
+vom Consulate ein sehr intelligenter F&uuml;hrer mitgegeben war,
+ein geborener Schlauberger, der dadurch die Backschische der
+Deutschen reichlicher zu flie&szlig;en machen hoffte, da&szlig; er bei jeder
+Gelegenheit, und wenn diese auch von einem Steingem&auml;uer
+(in Ermangelung eines Zaunes) gebrochen werden mu&szlig;te, auf
+die Franzosen schimpfte, wie er andererseits muthma&szlig;lich nicht
+verfehlte, auf die Deutschen zu schimpfen, wenn er Franzosen
+zu f&uuml;hren hatte.</p>
+
+<p>Abends vereinigte uns ein solennes Souper auf dem Consulate.
+Man mu&szlig; aber ein solches Essen mitgemacht haben,
+um &uuml;ber die Zahl der G&auml;nge und Gerichte einen Begriff zu
+erhalten. Einigerma&szlig;en wird man sich eine Idee machen
+k&ouml;nnen, wenn ich sage, da&szlig; drei unserer complicirtesten Diners
+zusammengesetzt etwa ein koptisches bilden w&uuml;rden. Um uns
+besonders zu ehren und uns ganz in die koptische Sitte einzuf&uuml;hren,
+hatte der Consul es auf einer messingenen Riesensch&uuml;ssel
+auftragen lassen, und w&auml;hrend er selbst die Honneurs
+machte, ohne am Essen Theil zu nehmen, bat er uns, mit den
+Fingern zuzugreifen. Sein Sohn aber, ein liebensw&uuml;rdiger
+junger Mann, der gut Englisch und etwas Deutsch sprach,
+nahm Theil an unserem Mahle. Als ich aber sah, da&szlig; einige
+von unserer Gesellschaft &uuml;ber das adamitische Essen ungeduldig
+zu werden anfingen (der Gang nach den K&ouml;nigsgr&uuml;ften war
+ganz danach gewesen, den Appetit mehr als gew&ouml;hnlich zu
+reizen), bat ich den Consul, Messer und Gabeln bringen zu lassen,
+und nun ging es rascher von Statten. Aber fast h&auml;tte man
+sich diese wieder weggew&uuml;nscht, denn es folgten so viele Gerichte,
+so viele Speisen, da&szlig; es kaum m&ouml;glich war, von allen
+auch nur zu kosten. Rothwein, Champagner, dann und wann
+ein Gl&auml;schen Araki, um den Magen zu schnellerer Bew&auml;ltigung
+der Speisen zu reizen, bildeten das Getr&auml;nk und am Schlusse
+selbstverst&auml;ndlich eine Tasse Mokka mit dem Tschibuk.</p>
+
+<p>Es war schon dunkel, als wir dankend vom Consul Abschied
+nahmen, uns an Bord begaben und noch am selbigen
+Abend abfuhren. Da erleuchteten, als wir dem Consulate
+gegen&uuml;ber waren, bengalische Flammen sein Haus und gluth&uuml;bergossen
+zeigte sich daneben der Tempel von Luxor mit
+seinem hohen Obelisk, dessen Bruder jetzt auf dem Concordienplatze
+in Paris steht. Flinten- und Revolversch&uuml;sse t&ouml;nten
+dazwischen als Gru&szlig; f&uuml;r uns in die Heimath. Aber diesmal
+konnten wir den liebensw&uuml;rdigen Consul &uuml;berbieten, denn wir
+hatten noch viel Magnesiumdraht &uuml;brig behalten: wie durch
+Zauber erhellten wir die ganze Gegend mit sonnengleichem
+Lichte, noch einmal sahen wir den Karnaktempel, Medinet Abu,
+die Memnonss&auml;ulen, das Rameseum und alle die Herrlichkeiten
+der alten hundertthorigen Stadt und dann war lautlose Stille
+und tiefschwarze Nacht h&uuml;llte uns ein, selbst die Ruderer sangen
+nicht, sondern trieben durch leise Ruderschl&auml;ge die Schiffe gen
+Norden.</p>
+
+<p>Nachts kamen die Schiffe meistens auseinander; das, worauf
+Jordan war, hatte, weil es kleiner war, zwei Ruderer weniger;
+der Rais (Capitain) schlief gern, das Fahrwasser schien er nicht
+zu kennen, so da&szlig; es h&auml;ufig aufrannte, aber des Morgens
+kamen wir doch immer wieder zusammen.</p>
+
+<p>Unser Botaniker Abu Haschisch erwarb sich, wie &uuml;berall in
+den Oasen, so auch bei unseren Matrosen, schnell die Sympathie
+derselben; sie hatten ein Gedicht auf ihn gemacht und
+unterlie&szlig;en nicht, ihn mehrere Male t&auml;glich zu besingen. Da war
+in ihrer Poesie von einem Garten, von Granatbl&uuml;then, von
+Pflanzen, von einem Quell die Rede, und namentlich wurde in
+gebundenen Worten sein Hemd besungen, welches diese Ehre
+durch einen ungeheuren Tintenklecks erworben hatte. Am
+Tage war n&auml;mlich die Hitze so gro&szlig;, da&szlig; wir Alle, wie schon
+erw&auml;hnt, in einem m&ouml;glichst leichten Cost&uuml;m auftraten.</p>
+
+<p>Hatten wir in Theben das gro&szlig;artigste der &auml;gyptischen
+Baukunst betrachten k&ouml;nnen, so bot uns Dendera Gelegenheit,
+den Triumph der griechischen und &auml;gyptischen Architektur zu
+bewundern; denn der Denderatempel, vollkommen von Schutt
+befreit und in allen Theilen erhalten, ist das Vollendetste,
+was von den neueren &auml;gyptischen Bauwerken noch erhalten
+ist.</p>
+
+<p>Sodann fuhren wir ohne weiteren Aufenthalt (nur in
+Girgeh wurde eine Stunde angehalten, um Proviant einzunehmen)
+nach Siut, von wo aus unsere Expedition abgegangen
+war. Obgleich wir in fr&uuml;her Morgenstunde, um 6 Uhr, landeten,
+war Herr Khaiat, des deutschen Consuls Sohn, schon
+in Homra, dem Hasenplatze von Sint. In der Erwartung,
+da&szlig; wir kommen w&uuml;rden, hatte er die ganze Nacht dort zugebracht.
+Hier hatten wir einen l&auml;ngeren Anfenthalt, Jordan
+hatte noch eine astronomische Messung zu machen, sodann
+waren noch s&auml;mmtliche Kisten, unsere Sammlungen enthaltend,
+an Bord zu nehmen. W&auml;hrend der Zeit lie&szlig; es sich das Consulat
+nicht nehmen, ein Fr&uuml;hst&uuml;ck zu arrangiren. Dem Consul
+und seinem Sohne, welche von der koptischen zur reformirt-koptischen
+Kirche &uuml;bergetreten sind, pflichten wir den gr&ouml;&szlig;ten
+Dank. W&auml;hrend der ganzen Expedition haben Beide mit
+unerm&uuml;dlicher Sorgfalt mit uns Verbindung gehalten, unsere
+Post besorgt, uns Lebensmittel und Alles, was sonst n&ouml;thig
+war, nachgeschickt. Ohne sie w&auml;re der Verlauf der ganzen
+Expedition keineswegs so zusammenh&auml;ngend und ohne St&ouml;rung
+von Statten gegangen.</p>
+
+<p>Durch ihre Vermittlung gelang es uns auch, die Erlaubni&szlig;
+zu bekommen, uns einem Dampfer eines Pascha's anh&auml;ngen
+zu d&uuml;rfen, zwar nur bis Monfalut, aber wir gewannen
+dadurch doch bedeutend an Zeit. Und dann erreichten
+wir bald mit g&uuml;nstigem Chamsin-Winde<a name="FNanchor_63_63" id="FNanchor_63_63"></a><a href="#Footnote_63_63" class="fnanchor">[63]</a> Rhoda, die s&uuml;dlichste
+Eisenbahnstation. Abends dort angekommen, gelang es uns
+noch am selben Tage, alle unsere Bagage auszuladen und in
+einem Gep&auml;ckwagen der Eisenbahn zu verpacken. Der Chedive
+hatte uns bereitwilligst freie Fahrt bis Kairo bewilligt. Die
+Nacht, welche wir in zwei Zimmern des Stationsgeb&auml;udes zubrachten,
+geh&ouml;rte allerdings nicht zu den angenehmsten: Schnaken
+und tausend Insecten plagten uns derart, da&szlig; an Schlaf
+nicht zu denken war.</p>
+
+<p>Anderen Tages f&uuml;hlte man sich fast wie in Europa; die
+Eisenbahn hat etwas eigenth&uuml;mlich Heimisches; da, wo das
+Dampfro&szlig; schnaubt, glaubt man schon mit einem Fu&szlig;e wieder
+in der Heimath zu sein, und in der That, von Rhoda aus
+steht man ja mit jedem gr&ouml;&szlig;eren Orte Europas, ja der ganzen
+Welt in ununterbrochener Dampffahrt-Verbindung. Vorsorglich
+hatte ich Herrn Friedmann, dem Besitzer des Nil-H&ocirc;tel,
+telegraphirt, uns Wagen an der Station Giseh bei Kairo
+bereit zu halten; wir fanden solche auch und im Trapp ging's
+dann nach der Chalifenstadt hinein, durch die sch&ouml;ne neue Allee
+von Lebeckb&auml;umen, die, wie durch Zauber entstanden, von Kairo
+bis zu den Pyramiden f&uuml;hrt, &uuml;ber die neue Br&uuml;cke und dann
+direct ins Nilh&ocirc;tel, den sichersten Hafen f&uuml;r Reisende, welche,
+wie wir, so lange den civilisirten Gen&uuml;ssen fern gestanden
+hatten.</p>
+
+<p>Und wie sahen wir aus! Als wir das H&ocirc;tel betraten,
+riefen mir zwei Amerikanerinnen "<tt>shocking, shocking</tt>" entgegen
+und flohen in den Gartenpavillon. Vor einem Spiegel sah ich
+denn auch, da&szlig; ich keineswegs ein gesellschaftsm&auml;&szlig;iges Aussehen
+hatte; Schwei&szlig;, Staub und Hitze von der Eisenbahnfahrt hatten
+mein Gesicht, das ohnehin verbrannt war, zu einem Mohrenantlitz
+gestempelt, in allen m&ouml;glichen dunkeln Farben schillernd. Ein
+Bad brachte jedoch Alles in Ordnung und Abends bei der
+<tt>Table d'h&ocirc;te</tt> fand unsere ganze Reisegesellschaft einen freundlichen
+Empfang.</p>
+
+<p>Ueber meinen Aufenthalt in Kairo habe ich diesmal nicht
+viel zu sagen. Nat&uuml;rlich wurden wir vom Chedive wieder in
+Audienz empfangen, auch war abermals eine Sitzung des Institut
+<tt>&Eacute;gyptien</tt> und Gesellschaften bei unseren Freunden&mdash;uns
+aber zog es, je n&auml;her wir Europa kamen, desto m&auml;chtiger
+der Heimath entgegen.</p>
+
+<p>Zittel's und mein urspr&uuml;nglicher Plan, unsere resp. Frauen
+nach Cairo kommen zu lassen, mu&szlig;te aufgegeben werden. Die
+Hitze und der Staub waren nun schon so unertr&auml;glich, da&szlig;
+die Damen von einer solchen Reise keine Annehmlichkeit und
+keinen Genu&szlig; gehabt h&auml;tten, aber daf&uuml;r gaben wir uns in
+Neapel Rendezvous. Und nachdem alles Gesch&auml;ftliche abgewickelt
+war, ging es in Alexandria an Bord. Zittel und ich
+hatten uns f&uuml;r das franz&ouml;sische Boot entschieden, aber es war
+so &uuml;bervoll, da&szlig; wir keine Cabine bekommen konnten, sondern
+uns blos mit einem Platze erster Classe ohne Bett begn&uuml;gen
+mu&szlig;ten. Das war freilich schlimm, denn es standen uns noch
+immerhin vier N&auml;chte bevor. Zittel eroberte sich inde&szlig; eines
+der zwei Sophas und ich begn&uuml;gte mich mit einem Seitentische
+oberhalb seines Lagers. Eine eigenth&uuml;mliche Gesellschaft war
+am Bord dieses Dampfers, ein Abbild des heutigen Franzosenthums.
+Mit Ausnahme von einigen Amerikanern und uns
+bestand die ganze Passagiergesellschaft aus Schauspielern,
+Pfaffen und Pf&auml;ffinnen&mdash;Kirche und Theater.</p>
+
+<p>Da war ein Kapuzinerm&ouml;nch, da waren Augustiner, Dominikaner
+und einige Weltgeistliche, im Ganzen, mit einem
+protestantischen Reverend, vierzehn heilige Leute; da waren
+Schwestern vom heiligen Herzen Jesu und andere auffallend
+gekleidete Nonnen; den ganzen Tag hatten sie ein kleines
+Brevier in der Hand und den unvermeidlichen Rosenkranz,
+welchen Buddhisten, Mohammedaner und Katholiken in br&uuml;derlicher
+Liebe gleichm&auml;&szlig;ig als Gebetz&auml;hler adoptirt haben.</p>
+
+<p>Nicht so langweilig wie diese augenverdrehende Gesellschaft
+war das lustige Theaterv&ouml;lkchen, ja eines Abends hatten wir
+sogar den Genu&szlig;, von einer der Damen, mit Begleitung des
+am Bord befindlichen Pianos, h&uuml;bsche Lieder vorgetragen zu
+h&ouml;ren. Nirgends ist man auf dem Mittelmeere besser aufgehoben,
+als an Bord der franz&ouml;sischen Messagerie nationale<a name="FNanchor_64_64" id="FNanchor_64_64"></a><a href="#Footnote_64_64" class="fnanchor">[64]</a>.
+Die Officiere wie der Capitain sind meist gebildete, liebensw&uuml;rdige
+Leute und, bei der weltverbreiteten Bedeutung dieser
+franz&ouml;sischen Dampfer, sind sie frei von jener krankhaften Neigung,
+in jedem Deutschen einen Feind zu sehen. Die Cabinen sind vortrefflich
+und jede nur zu zwei Betten eingerichtet. Die K&uuml;che
+vorz&uuml;glich, ebenso die Getr&auml;nke.</p>
+
+<p>Wir hatten die Annehmlichkeit, an einem kleinen Tische
+allein zu speisen, nur zwei Yankees, die Erbauer der Pacific-Bahn,
+ein &auml;gyptisch-arabischer Kaufmann, ein Jude und der
+katholische Patriarch von Jerusalem waren unsere Genossen.
+Man kann sich denken, da&szlig; da die Unterhaltung eine &auml;u&szlig;erst
+mannigfaltige war, wenngleich die Verschiedenartigkeit der
+Sprachen bisweilen wohl etwas hindernd erschien.</p>
+
+<p>Die Fahrt durch die unvergleichlich sch&ouml;ne Meerenge von
+Messina, die Einfahrt in den Busen von Neapel werden f&uuml;r
+Jeden von uns gewi&szlig; unverge&szlig;lich sei. Da ankerten wir nun
+im Angesichte der stolzen K&ouml;nigin des Mittelmeeres, ungeduldig
+des Zeichens gew&auml;rtig, das Schiff verlassen zu d&uuml;rfen. Eifrig
+suchten wir unter den hundert kleinen Booten, die den Dampfer
+umkreisten, ob nicht in einem unsere Frauen sein k&ouml;nnten.
+Aber vergebens, keine blonde Dame war unter ihnen. Hier war
+ein Boot mit h&uuml;bschen schwarzen Damen, auf Verwandte wartend,
+dort waren H&ocirc;teldiener, um Fremde zu angeln; hier
+hatte ein Policinello in schaukelnder Jolle sein Theater aufgestellt,
+hier trillerte ein Leierkasten, dort kam ein Schiff mit
+M&ouml;nchen, ja es dr&auml;ngte sich sogar eine ganze Musikbande
+heran; aber so sehr wir auch suchten, unsere Frauen waren
+nicht erschienen.</p>
+
+<p>Endlich erlaubte man uns, an's Land zu gehen. Die
+italienische Douane war h&ouml;flich und nachsichtig, und in schneller
+Fahrt eilten wir zum <tt>H&ocirc;tel de Russie</tt>, <tt>vis-&agrave;-vis</tt> von St. Lucia
+unmittelbar am Golf gelegen. Aber eine neue Entt&auml;uschung
+erwartete uns: "Zwei Damen logiren hier nicht," sagte uns
+der Portier.&mdash;Aber eine genauere Nachforschung Zittel's
+brachte uns die Gewi&szlig;heit, da&szlig; am Abend vorher unsere Frauen
+angekommen, doch momentan spazieren gefahren seien. Man
+kann sich unsere Ungeduld denken, die inde&szlig; eine nicht zu lange
+Probe zu bestehen hatte; denn kaum hatten wir Jeder unser
+Zimmer bezogen, als m&auml;chtig gro&szlig;e Camelien-Bouquets hineingeworfen
+wurden und gleich mit ihnen die Frauen hereinst&uuml;rmten.
+Ein Wiedersehen nach f&uuml;nfmonatlicher Trennung
+kann Jeder, der verheirathet ist, sich ausmalen, zumal wenn
+so weite R&auml;ume, so beschwerlich zu durchziehende Gegenden
+von der Heimath einen entfernten.</p>
+
+<p>Ich verweile nicht bei Neapel, wo an einigen angenehm
+verlebten Tagen die Reize dieser bevorzugten Stadt uns den
+freundlichsten Empfang auf europ&auml;ischem Boden bereiteten.
+Die Chiaja, das neue zoologische Institut unter der Direction
+des Deutschen Dorn<a name="FNanchor_65_65" id="FNanchor_65_65"></a><a href="#Footnote_65_65" class="fnanchor">[65]</a>, eines hervorragenden Gelehrten, Sorrent,
+Capri und Abends unter den Fischerhallen von St. Lucia
+bilden unverwischliche Glanzpunkte Neapels. In Pompeji war
+ich mit Baron v. Keudell, einer alten Bekanntschaft von mir,
+zusammengetroffen; Se. Excellenz lud mich freundlich ein, ihn
+in Rom zu besuchen. Der Einladung folgend, traf es sich
+aber so ungl&uuml;cklich, da&szlig; wir an dem Abende, wo meine Frau
+und ich den Vorzug haben sollten, bei ihm zuzubringen, nicht
+zu Hause waren, da wir die Einladung zu sp&auml;t erhalten hatten;
+am anderen Morgen vor der Abreise hatte ich inde&szlig; Gelegenheit,
+die prachtvolle Wohnung der deutschen Gesandtschaft auf dem
+Capitol zu bewundern. Herr v. Keudell zeigte mir selbst die
+R&auml;umlichkeiten, den Garten und die k&ouml;stliche Aussicht.</p>
+
+<p>"<i>Nach Deutschland</i>" dr&auml;ngte es immer lebhafter in
+mir, und nur in Mailand, der Stadt des Marmor-Doms,
+hatten wir dann noch einen eint&auml;gigen Aufenthalt. Im H&ocirc;tel
+Reichmann fanden wir eine ganz freundliche Aufnahme, und
+wenn dies Hotel eine kleine Weile seinen Nimbus einb&uuml;&szlig;en
+konnte, so ist derselbe seit Kurzem wieder hergestellt. Herr
+Reichmann <tt>jun.</tt> verwaltet jetzt auf's Ausgezeichnetste dies von
+den Deutschen am liebsten besuchte H&ocirc;tel.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_60_60" id="Footnote_60_60"></a><a href="#FNanchor_60_60"><span class="label">[60]</span></a> <tt>Jollois description p. 14</tt>.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_61_61" id="Footnote_61_61"></a><a href="#FNanchor_61_61"><span class="label">[61]</span></a> Pr&auml;sident des Gemeinderathes.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_62_62" id="Footnote_62_62"></a><a href="#FNanchor_62_62"><span class="label">[62]</span></a> Verwalter.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_63_63" id="Footnote_63_63"></a><a href="#FNanchor_63_63"><span class="label">[63]</span></a> Chamsin hei&szlig;t f&uuml;nfzig, die Eingeborenen nennen diesen Wind so,
+weil er 50 Tage lang wehen soll aus SSO.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_64_64" id="Footnote_64_64"></a><a href="#FNanchor_64_64"><span class="label">[64]</span></a> <tt>Messagerie nationale</tt> hat, wenn Frankreich Kaiserreich oder
+K&ouml;nigreich ist, den Titel <tt>m. imp&eacute;riale</tt> oder <tt>m. royale</tt>.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_65_65" id="Footnote_65_65"></a><a href="#FNanchor_65_65"><span class="label">[65]</span></a> Kein Deutscher, der Neapel besucht, sollte vers&auml;umen, das Geb&auml;ude
+des zoologischen Instituts, an der Chiaja gelegen, zu besuchen. Dort
+bekommt man den besten Begriff eines reichen Aquariums, wie ein solches
+weder in Brighton, noch Hamburg oder Berlin vorhanden ist.</p></div>
+</div>
+
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<h2><a name="Ch12_Bei_den_Zeltbewohnern_in_Marokko" id="Ch12_Bei_den_Zeltbewohnern_in_Marokko"></a>12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko,</h2>
+
+<h3>eine ethnographische Schilderung.</h3>
+
+
+<h3><i>Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Begr&auml;bni&szlig;.</i></h3>
+
+<p>Wie gesch&auml;ftig die Frauen seit dem Morgen schon die
+Esel zusammentreiben! Unter Lachen und Schreien haben die
+Knaben und J&uuml;nglinge dabei geholfen, die Langohren vor
+einem gro&szlig;en Zelte (es geh&ouml;rt dem Kaid Abu Ssalam) zusammenzuhalten.</p>
+
+<p>Heute wird eine gro&szlig;e Festlichkeit vor sich gehen; man
+erwartet st&uuml;ndlich die Entbindung der zweiten Frau des Kaids,
+der Lella Mariam, einer jungen, reizenden Frau von vornehmstem
+Zelte. Kaid Abu Ssalam, der selbst nicht aus dem
+Geschlechte Mohammed's ist, sonst aber auch aus einem gro&szlig;en
+Zelte<a name="FNanchor_66_66" id="FNanchor_66_66"></a><a href="#Footnote_66_66" class="fnanchor">[66]</a> stammt, hat durch seinen Reichthum es m&ouml;glich gemacht,
+eine Scherifa zur Frau zu bekommen, d.h. eine Dame
+vom Stamme des Propheten. Um so mehr ist das zu bewundern,
+als Abu Ssalam schon eine Frau besitzt und Lella
+Mariam nicht nur jung und sch&ouml;n, ihr Alter betrug 15 Jahre,
+sondern auch reich ist. Aber welch' stattlicher Mann ist auch
+Kaid Abu Ssalam und wie geachtet und unabh&auml;ngig im ganzen
+Lande! Selbst der Sultan liebt ihn.</p>
+
+<p>Vom Stamme der Beni-Amer hatte er vor etwa 30 Jahren,
+als die Ungl&auml;ubigen das Gebiet von Tlem&szlig;en besetzten,
+die dortige Gegend verlassen und nach einer dreij&auml;hrigen
+Wanderung, immer nach Westen ziehend und oft genug mit
+der langen Flinte sich einen Weg bahnend, hat er den eigentlichen
+Westen erreicht, den Rharb el djoani, das gelobte Land
+der Gl&auml;ubigen. Der Sultan ertheilte gern die Erlaubnis
+zum Bleiben, und nachdem die &uuml;blichen Abgaben geregelt
+waren, erhielt Abu Ssalam, es war das schon zu Lebzeiten
+des Sultans Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam, die Erlaubni&szlig;,
+seinen Stamm an die Ufer des Ued Ssebu zu
+f&uuml;hren.</p>
+
+<p>Abu Ssalam herrschte &uuml;ber drei Duar (Zeltd&ouml;rfer), von
+denen das gr&ouml;&szlig;ere sich aus circa 30 Zelten zusammensetzte
+und dem er selbst vorstand; die beiden kleineren, aus je 20
+und 24 Zelten aufgeschlagen, waren von seinen j&uuml;ngeren
+Br&uuml;dern beherrscht. Bei dem J&uuml;ngsten lebte au&szlig;erdem noch
+ihr gemeinschaftlicher Vater, der Hadj Omar-ben-Edris, der
+aber schon lange die Kaidschaft an seinen &auml;ltesten Sohn abgetreten
+hatte.</p>
+
+<p>Die drei Duar, so ziemlich in einer Linie gelegen, machten
+Front nach Westen und lehnten sich an einen Bergr&uuml;cken;
+hier bestand derselbe aus herrlichen Wiesen, w&auml;hrend nach dem
+Gipfel zu immergr&uuml;ne B&auml;ume, aus Korkeichen, Lentisken und
+Juniperen bestehend, den Berg bedeckten. Etwa eine Viertelstunde
+unterhalb der drei Zeltd&ouml;rfer schl&auml;ngelte sich der Ued
+Ssebu vorbei und ganz in der Ferne ergl&auml;nzte der blaue
+Ocean. Der Raum zwischen den D&ouml;rfern und dem Flusse
+war durchweg beackert, aber unmittelbar neben den Zeltd&ouml;rfern
+befanden sich auch kleine Gem&uuml;seg&auml;rtchen, eingez&auml;unt von gro&szlig;en
+Dorngeb&uuml;schen des stacheligen Lotusstrauches, das, obschon
+todt, dennoch hinl&auml;nglichen Schutz gew&auml;hrte gegen weidende
+Thiere.</p>
+
+<p>Von dem gro&szlig;en Zelte Abu Ssalam's also zogen sie ab,
+eine ganze Karawane lachender Frauen und M&auml;dchen, einige
+zwanzig Esel mit leeren ledernen Schl&auml;uchen beladen vor sich
+hertreibend. Wohl manche mochte hoffen, heute bei der Festlichkeit
+das Herz eines J&uuml;nglings zu fesseln; die jungen
+M&auml;dchen erz&auml;hlten sich, wie viele Armb&auml;nder sie anlegen w&uuml;rden.
+Da sagte eine Andere, sie w&uuml;rde ihr Haar frisch machen
+lassen<a name="FNanchor_67_67" id="FNanchor_67_67"></a><a href="#Footnote_67_67" class="fnanchor">[67]</a>, und unter Jubeln und Lachen war der Ssebu
+erreicht.</p>
+
+<p>Das F&uuml;llen der Schl&auml;uche aus einem m&auml;chtigen Strome
+ist leichte Arbeit. Die jungen M&auml;dchen gingen bis an die
+Knie in den Strom, lie&szlig;en das Wasser hineinlaufen und nachdem
+sodann noch Einige die Zeit benutzten, ein Bad zu nehmen,
+wurden die Schl&auml;uche, je zwei, einem Esel aufgeladen
+und zur&uuml;ck ging es zum Duar.</p>
+
+<p>Unter der Zeit war die Geburt vor sich gegangen und
+Abu Ssalam's gr&ouml;&szlig;ter Wunsch war erf&uuml;llt, seine junge Frau
+hatte ihm einen kr&auml;ftigen Knaben geschenkt. Zu Ehren seines
+Vaters erhielt derselbe noch <i>am selben Tage</i> den Namen
+Omar. Es ist Sitte, da&szlig; das Namengeben noch am Tage
+der Geburt geschieht. Wie war nun die Geburt vor sich gegangen?
+Wir k&ouml;nnen nur nach H&ouml;rensagen berichten, denn
+nie, und wenn auch die Frau dadurch vom Tode h&auml;tte gerettet
+werden k&ouml;nnen, darf ein Mann, ein Arzt oder Geburtshelfer
+bei einem solchen Acte zugegen sein.</p>
+
+<p>Es scheint, da&szlig; bei Lella Mariam die Geburt leicht von
+Statten ging; Abends vorher waren H&uuml;lfsweiber gekommen,
+und als am anderen Morgen die Frauen vom Wasserholen
+zur&uuml;ckkamen, ert&ouml;nte durch die Duar der Ruf: "<tt>El Hamd ul
+Lahi mabruck uldo</tt>", "Gott sei gelobt, der Sohn sei ihm zum
+Segen". Und vor dem Zelte, aus einem Arbater Teppiche,
+sa&szlig; Abu Ssalam und empfing die Gl&uuml;ckw&uuml;nsche der m&auml;nnlichen
+Bev&ouml;lkerung der drei Zeltd&ouml;rfer. Auch manche alte Frau, ja
+manches junge M&auml;dchen kam herbei, beugte rasch ein Knie und
+k&uuml;&szlig;te Abu Ssalam's Hand den Gru&szlig; fl&uuml;sternd: "<tt>Rbi ithol
+amru</tt>", Gott verl&auml;ngere seine Existenz. Und er konnte recht
+stolz sein, unser Abu Ssalam; sein hei&szlig;er Wunsch, einen Nachfolger,
+einen Sohn zu haben, war erf&uuml;llt. Zwar sein Stamm
+konnte so leicht nicht aussterben; den Stammbaum direct bis
+zum Chalifen Omar zur&uuml;ckf&uuml;hrend, waren die Beni-Amer jetzt
+einer der m&auml;chtigsten St&auml;mme unter den Arabern, ihre Duar
+zogen sich durch ganz Nordafrika. Seine eignen Leute n&auml;herer
+Verwandtschaft, die er nach dem Rharb (Marokko) gef&uuml;hrt
+hatte, z&auml;hlten &uuml;ber 100 Leute m&auml;nnlichen Geschlechts. Genau
+hatte Abu Ssalam sie nie gez&auml;hlt, denn ein rechter Gl&auml;ubiger
+z&auml;hlt die Seinigen nicht. Aber er selbst hatte von seiner
+zuerst angeheirateten Frau Minana nur zwei T&ouml;chter, und
+Minana mit ihren 21 Jahren schien ihm wenig Hoffnung zu
+machen, ihm noch einen Sohn zu geben. Daher hatte er denn
+auch vor etwa neun Monaten die liebliche Lella Mariam geheirathet.</p>
+
+<p>Jede Vorkehrung war aber auch diesmal getroffen worden,
+damit Abu Ssalam einen Sohn bek&auml;me. Er selbst war nicht
+nur vor mehreren Monaten nach Uesan gepilgert, um die
+Intervention Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's anzurufen, er
+hatte sogar das feste Versprechen Sidi's<a name="FNanchor_68_68" id="FNanchor_68_68"></a><a href="#Footnote_68_68" class="fnanchor">[68]</a> erlangt, da&szlig; der
+Allerh&ouml;chste ihm einen Sohn schenken w&uuml;rde, und der Gro&szlig;scherif
+hatte freundlich daf&uuml;r ein Pferd als Geschenk anzunehmen
+geruht; ja, um ganz sicher zu gehen, war er nach Fes
+zum Grabmal Mulei Edris gepilgert und hatte den Tholba
+(Schriftgelehrten) der Djemma (Gotteshaus) des Mulei Edris
+f&uuml;nfzig Duros geopfert; mu&szlig;te da Allah ihm nicht einen
+Sohn schenken?</p>
+
+<p>"Gott segne den Gro&szlig;scherif!" rief Abu Ssalam, "Gott
+gew&auml;hre Mulei Edris alle Freuden des Paradieses," f&uuml;gte er
+hinzu, "denn sie waren es, die mir den Knaben schenkten."
+Und da kam auch schon Lella Mariam aus dem kleinen Zelte,
+welches neben dem Zelte ihres Mannes war, nicht in Festgew&auml;ndern,
+aber doch in einen neuen Haik geh&uuml;llt. Sie hatte
+vor sich das Kn&auml;blein und niederknieend legte sie den neuen
+Familienstammhalter vor ihren Gatten hin. Sie selbst in
+aufgel&ouml;stem Haare<a name="FNanchor_69_69" id="FNanchor_69_69"></a><a href="#Footnote_69_69" class="fnanchor">[69]</a>, da sie genau nach den Vorschriften des
+Gesandten Gottes lebte, hielt sich knieend abseits, da ihr
+Mann sie doch nicht, weil sie unrein war, ber&uuml;hren durfte.
+Nachdem die junge Mutter und das Kn&auml;blein den Segen vom
+Manne und Vater erhalten und der daneben sitzende Fakih
+(Doctor der Theologie) der Zeltd&ouml;rfer das F&ouml;tah (erstes Capitel
+des Koran) gebetet hatte, ging sie ins Zelt zur&uuml;ck; schon
+am anderen Morgen machte sich die junge Frau an ihre gew&ouml;hnlichen
+Besch&auml;ftigungen, denn ein Wochenbett abhalten, wie
+bei uns die Frauen in Europa es zu thun gewohnt sind,
+kennt man in Marokko nicht.</p>
+
+<p>Am selben Abend aber war gro&szlig;es Festessen vor dem Zelte
+Abu Ssalam's. Er hatte viele Hammel und Ziegen schlachten
+lassen zu Ehren des Tages und die Frauen des Duars hatten
+den ganzen Tag Kuskussu bereiten m&uuml;ssen, der in gr&ouml;&szlig;eren
+h&ouml;lzernen Sch&uuml;sseln f&uuml;r die G&auml;ste hingesetzt wurde.</p>
+
+<p>Was mich anbetrifft, so wollte ich gern N&auml;heres &uuml;ber den
+Geburtsact erfahren. Auf mein Befragen erz&auml;hlte man mir,
+es sei Sitte, wenn eine Frau in N&ouml;then sei, so lasse man
+zuerst einen Fakih kommen, der durch Weihrauch und fromme
+Spr&uuml;che den Teufel zu bannen versuche, denn der Teufel ist
+auch in Marokko die Ursache allen Uebels. Hilft das nicht,
+so bekommt die Frau Koranspr&uuml;che, die auf eine h&ouml;lzerne
+Tafel geschrieben werden, zu trinken, indem die Spr&uuml;che von
+der Tafel abgewaschen werden; hilft auch das Verfahren noch
+nicht, so werden Koranspr&uuml;che auf Papier geschrieben, zerstampft
+und mit Wasser gemischt der Leidenden eingegeben.
+Aber manchmal hat der Satan das Weib derart in Besitz genommen,
+da&szlig; er selbst durch das heilige Buch nicht ausgetrieben
+wird. Dann werden allerlei Amulete angewandt, z.B. die
+in ein Leders&auml;ckchen eingen&auml;hten Haare eines gro&szlig;en Heiligen,
+die man der Krei&szlig;enden auf die Brust legt, oder Wasser vom
+Brunnen Semsem, welches man ihr zu trinken giebt, oder
+Staub aus dem Tempel von Mekka<a name="FNanchor_70_70" id="FNanchor_70_70"></a><a href="#Footnote_70_70" class="fnanchor">[70]</a>, welchen man auf ihr
+Ruhebett legt. In einigen F&auml;llen l&auml;&szlig;t sodann der Teufel
+seine Beute los und der Vorgang erfolgt f&uuml;r die Mutter auf
+gl&uuml;ckliche Weise. Es kommen jedoch genug F&auml;lle vor, wo der
+Iblis (Teufel) derart sich des Weibes bem&auml;chtigt, da&szlig; er
+keinem Mittel weichen will; die H&uuml;lfsweiber nehmen dann
+selbst den Kampf mit ihm auf. Unter Beschw&ouml;rungen und
+fortw&auml;hrend rufend: <tt>Rham-ek-Lab</tt>! (Gott erbarme sich
+Deiner!) wird die Frau ergriffen, ein starkes Band um den
+R&uuml;cken und unter die Achsel durchgeschlungen und so in die
+Luft gezogen. Dadurch wollen sie die Wehen beschleunigen,
+und zeigt sich m&ouml;glicherweise ein Theil des Kindes, entweder
+der Kopf oder die F&uuml;&szlig;e, so versuchen sie, diese Theile zu ergreifen
+und durch starkes Rei&szlig;en und Ziehen das Kind zu
+Tage zu bef&ouml;rdern. Nur selten gelingt das, meist wird das
+Kind zerrissen und fast immer ist der Tod der Mutter Folge
+dieses barbarischen Verfahrens: Gott verfluche den Teufel!</p>
+
+<p>Der kleine Omar wuchs kr&auml;ftig heran; wie sollte er auch
+nicht! Zwei Jahre hatte ihn seine Mutter Lella Mariam selbst
+ges&auml;ugt und nur wenig war er w&auml;hrend dieser Zeit Tags
+vom R&uuml;cken seiner Mutter gekommen und Nachts aus dem
+Schoo&szlig;e derselben. Denn die Frauen pflegen ihre Kinder so
+aufzuziehen, da&szlig; sie mit Ausnahme der Augenblicke, wo dem
+Kleinen die Brust gereicht wird, Tags &uuml;ber in einer Falte
+des Haiks (gro&szlig;es Umschlagetuch) auf dem R&uuml;cken der Mutter
+in <i>reitender</i> Stellung sich befinden. Es hat das zur Folge,
+da&szlig; die meisten Marokkaner sowohl m&auml;nnlichen wie weiblichen
+Geschlechtes S&auml;belbeine haben. Nachts aber ruht das Kindchen
+vor seiner Mutter, die w&auml;hrend der zwei Jahre best&auml;ndig
+allein lebt, obschon es ihrem Manne nach Ablauf von drei
+Perioden gestattet ist, sie wieder zu besuchen und mit ihr Umgang
+zu pflegen. Nachdem die zwei Jahre vorbei waren und
+Omar statt der s&uuml;&szlig;en Muttermilch jetzt saure Buttermilch und
+Abends Kuskussu zu essen bekam, wurde ihm auch zum ersten
+Male das Kopfhaar geschoren; aber sein Vater Abu Ssalam
+gab wohl Acht, da&szlig; am Scheitel des Kopfes eine Locke,
+Gotaya, sowie an der rechten Seite des Kopfes au&szlig;erdem ein
+Streifen von Haaren in der Form eines Halbmondes stehen
+blieb, denn die Kinder der Beni-Amer hatten seit undenklichen
+Zeiten einen solchen Schmuck getragen. Am selben Tage gab
+er seinem Zelte<a name="FNanchor_71_71" id="FNanchor_71_71"></a><a href="#Footnote_71_71" class="fnanchor">[71]</a> einen Hammel zum Besten, sonstige Festlichkeiten
+fanden nicht statt.</p>
+
+<p>Daf&uuml;r wurde aber die Beschneidung Omar's in seinem
+achten Jahre desto festlicher begangen. Omar war jetzt ein
+kr&auml;ftiger Bursche geworden; fortw&auml;hrend in der freien Natur
+hatte er tagelang die Schafe und Ziegen seines Vaters mit
+h&uuml;ten helfen und gew&ouml;hnlich auch das Pferd mit zur Schwemme
+reiten m&uuml;ssen; er verstand es schon, die eignen Kamele oder
+die der etwa ankommenden Fremden mit niederknien zu machen
+und der Thaleb<a name="FNanchor_72_72" id="FNanchor_72_72"></a><a href="#Footnote_72_72" class="fnanchor">[72]</a> der Zeltd&ouml;rfer hatte ihn das erste Capitel
+des Koran gelehrt.</p>
+
+<p>Der feierliche Augenblick war gekommen, wodurch der kleine
+Omar jetzt in die Gemeinschaft der Muselmanen aufgenommen
+werden sollte. Um den Glanz des Festes noch mehr zu erh&ouml;hen,
+hatte Abu Ssalam es &uuml;bernommen, s&auml;mmtliche gleichalterige
+Knaben der drei Zeltd&ouml;rfer der Beni-Amer, und es
+waren deren noch sieben, auf seine Kosten beschneiden zu
+lassen. Ja, ohne den Neid und die Mi&szlig;gunst seines eignen
+Fakih's (Doctor der Theologie) und der Tholba<a name="FNanchor_73_73" id="FNanchor_73_73"></a><a href="#Footnote_73_73" class="fnanchor">[73]</a> der Duars
+zu erregen, weil sie auch ihre Geb&uuml;hren bekamen, hatte er
+einen in hohem Ansehen stehenden Schriftgelehrten aus Fes
+kommen lassen. Die Geb&uuml;hr f&uuml;r die Beschneidung, 3 Metkal,
+erlegte er im Voraus. Wie reich aber mu&szlig;te Abu Ssalam
+sein, da&szlig; er so gro&szlig;e Summen zahlen konnte, denn zahlte er
+doch, wie schon gesagt, seinen eignen Schriftgelehrten die n&auml;mliche
+Summe. Und wenn man bedenkt, da&szlig; man in Marokko
+f&uuml;r die Beschneidung sonst nichts zu bezahlen braucht, der bemittelte
+Mann h&ouml;chstens eine Ma&szlig; Korn oder ein Huhn oder
+einige Eier dem Schriftgelehrten f&uuml;r seine Bem&uuml;hung giebt,
+so kann man ermessen, wie freudig die Eltern ihre S&ouml;hne
+herbeibrachten. Das Gl&uuml;ck, vom heiligen Sidi Mussa aus
+Fes beschnitten zu werden, war zu gro&szlig;. Abu Ssalam aber
+hatte es von jeher als eine Regel der Klugheit betrachtet,
+mit den heiligen Leuten, mit der Geistlichkeit, auf gutem Fu&szlig;e
+zu leben und er hatte l&auml;ngst eingesehen, da&szlig; man mit der
+Geistlichkeit nur dann auf gutem Fu&szlig;e lebt, <i>wenn man sie
+t&uuml;chtig zahlt</i>. Aber daf&uuml;r war er auch des Paradieses
+sicher; der Segen, den sie ihm ertheilten, war <i>l&auml;nger</i> als
+der f&uuml;r die &uuml;brigen Gl&auml;ubigen, und durch die vielen Wohlthaten,
+die er den Fakih's und Tholba erwiesen hatte und
+noch immer erwies, war Abu Ssalam selbst in den Ruf gro&szlig;er
+Fr&ouml;mmigkeit gekommen.</p>
+
+<p>Die acht Knaben wurden vor das Djemmazelt<a name="FNanchor_74_74" id="FNanchor_74_74"></a><a href="#Footnote_74_74" class="fnanchor">[74]</a> in einer
+Reihe aufgestellt, und nachdem vom Fakih Sidi Mussa ein
+langes Gebet war gesprochen worden, ging er auf Omar zu,
+der von seinem Vater gehalten und ermahnt wurde, standhaft
+zu sein, ergriff sodann das Pr&auml;putium und trennte es mit
+einem raschen Schnitte von der &uuml;brigen Haut; das noch &uuml;brig
+gebliebene Frenulum wurde mit einem zweiten Schnitte getrennt
+und sodann kam ein anderer Thaleb und streuete pulverisirten
+Sch&ouml;b (Alaun) auf die blutenden R&auml;nder. Standhaft
+hatte der Knabe Omar ausgehalten, seine Z&auml;hne zusammenbei&szlig;end
+murmelte er fortw&auml;hrend: "Gott ist der gr&ouml;&szlig;te, es
+giebt nur einen Gott." Sein Vater trug ihn, Omar war fast
+ohnm&auml;chtig geworden, nun gleich ins v&auml;terliche Haus zur&uuml;ck,
+w&auml;hrend ein Sclave ein ganz neues Hemd und eine neue
+wei&szlig;wollene Djilaba<a name="FNanchor_75_75" id="FNanchor_75_75"></a><a href="#Footnote_75_75" class="fnanchor">[75]</a> vor ihm hertrug, Festgeschenke seines
+Vaters, welche aber erst angelegt werden durften, wenn der
+Kranke vollkommen genesen war. Die Beschneidung der
+&uuml;brigen Knaben erfolgte auf dieselbe Weise, nur da&szlig; einige
+von ihnen ein entsetzliches Geschrei ausstie&szlig;en, und merkw&uuml;rdiger
+Weise war einer unter ihnen ohne Pr&auml;putium, oder doch nur
+mit einer Andeutung davon. Nat&uuml;rlich wurde er gleich f&uuml;r
+heilig erkl&auml;rt, denn wie selten trifft es sich, da&szlig; ein Mensch
+beschnitten zur Welt kommt. Die Geschichte (d.h. nach der
+Auffassung der Marokkaner) nennt nur Mulei Edris, Sidna
+Mohammed, Sidna Brahim, Sidna Daud und Sidna Mussa
+als von Gott beschnittene Leute, d.h. ohne Pr&auml;putium zur
+Welt gekommen. Der so ausgezeichnete Knabe, Namens
+Hamd-Allahi, hat denn auch sp&auml;ter eine wichtige Rolle gespielt;
+er war von Gott beschnitten, er war ein Heiliger vor Gott
+und wer wei&szlig;, ob er nicht einst berufen ist, alle Menschen
+zum Islam zur&uuml;ckzuf&uuml;hren, damit alle Menschen des Paradieses
+teilhaftig werden, das Gott ihnen durch seinen Liebling
+Mohammed verhei&szlig;en hat.</p>
+
+<p>Aber wie segensreich sollte &uuml;berhaupt diese Beschneidung
+f&uuml;r die acht Knaben werden, wie &uuml;berhaupt f&uuml;r den ganzen
+Stamm der Beni-Amer! Die Beschneidung n&auml;mlich war vollzogen
+worden mit einem Mus min Hedjr<a name="FNanchor_76_76" id="FNanchor_76_76"></a><a href="#Footnote_76_76" class="fnanchor">[76]</a> (Steinmesser).
+Seit undenklichen Zeiten vererbte sich ein Steinmesser vom
+Vater auf den Sohn in diesem Stamme der Beni-Amer, und
+einer schriftlichen Tradition zu Folge soll die Beschneiduug
+Sidni Omar's, des Stammvaters der Beni-Amer und zweiten
+Chalifen, mit diesem selben Messer vorgenommen worden sein.
+Wie ein Heiligthum wurde dasselbe in der Familie bewahrt,
+und selbst als es bei der Eroberung der Provinz Tlemsen
+durch die Ungl&auml;ubigen, bei der Pl&uuml;nderung des Duars durch
+die Christenhunde, verloren gegangen war, kam es durch ein
+Wunder wieder in den Besitz des Kaids Abu Ssalam. Der Chalif
+Sidni Omar hatte es ihm selbst eines Nachts zur&uuml;ckgebracht, er
+fand es unter seinem Kopfkissen. Alle umliegenden St&auml;mme beneideten
+die Beni-Amer um einen so k&ouml;stlichen Schatz. Die
+meisten Marokkaner lassen sich mit gew&ouml;hnlichen Rasirmessern
+beschneiden, d.h. diese haben den Namen Rasirmesser, sind
+aber weiter nichts, als die elendesten Klingen dieser Art.</p>
+
+<p>Omar verbrachte nun die n&auml;chsten Jahre damit, den Koran
+zu lernen, d.h. schriftlich und auswendig; denn heute gilt es
+in Marokko f&uuml;r einen Mann, der einst Kaid seines Stammes
+sein will, f&uuml;r unerl&auml;&szlig;lich, <i>selbst</i> lesen und schreiben zu
+k&ouml;nnen. Nicht, als ob er jemals diese Wissenschaften praktisch
+verwerthen w&uuml;rde, aber es geh&ouml;rt zum guten Ton, und wie
+auch in Marokko in dieser Beziehung die Mode anf&auml;ngt, unerbittlich
+zu sein, so mu&szlig;te sich Omar den langweiligen Unterrichtsstunden
+im Koranlesen und Buchstabenmalen unterwerfen.
+Sein Vater war gl&uuml;cklicher gewesen; zu seiner Zeit erheischte
+man noch nicht von den jungen Leuten, Lesen und Schreiben
+zu lernen. Omar machte dann in Gemeinsamkeit mit seinem
+Vater mehrere Reisen in Marokko, denn Kaid Abu Ssalam
+hatte den Entschlu&szlig; gefa&szlig;t, die Pilgerfahrt nach Mekka erst
+dann zu machen, wenn sein Sohn eine Frau habe: dann solle
+die ganze Familie das Haus Gottes besuchen. Aber er lernte
+doch Fes kennen, er sah in Mikenes den Sultan, er unternahm
+eine Siara (Pilgerreise) nach der heiligen Stadt Uesan,
+er kam nach Tanger, um dort die Feuerschiffe der ungl&auml;ubigen
+Hunde zu bewundern, und hatte das achtzehnte Jahr erreicht,
+um daran denken zu k&ouml;nnen, eine Frau zu nehmen.</p>
+
+<p>Bei den freien Zeltbewohnern Marokko's ist es keineswegs
+Sitte, da&szlig; die Frauen sich verschleiern, wie in den St&auml;dten;
+J&uuml;nglinge und Jungfrauen haben daher auch Gelegenheit, sich
+zu sehen, kennen zu lernen und zu lieben. Auf dem Lande
+werden daher auch h&auml;ufig genug Heirathen aus wahrer Neigung
+geschlossen. Omar hatte seit l&auml;ngerer Zeit Gelegenheit
+gehabt, die Reize und Vorz&uuml;ge eines jungen M&auml;dchens kennen
+zu lernen, welches nur einige Stunden von seinem Duar entfernt
+lebte. Es war das Aischa bent Abu Thaleb vom Stamme
+der Uled Hassan. Die beiden V&auml;ter waren seit Langem durch
+Freundschaft verbunden; der Duar der Uled Hassan lag auf
+dem Wege vom Ssebu nach Fes. Wenn nun Abu Ssalam
+nach der Hauptstadt reiste, was h&auml;ufig genug vorkam, so
+n&auml;chtigte er nicht im allgemeinen Dar diaf (Fremdenzelt) der
+Uled Hassan, sondern ging zum Zeltendes Abu Thaleb selbst,
+und umgekehrt machte es dieser so, wenn sein Weg ihn in die
+N&auml;he des Ued Ssebu f&uuml;hrte.</p>
+
+<p>Omar war dann mehrere Male in Begleitung seines Vaters
+gewesen und seit vier Jahren war ihm die wunderbare Sch&ouml;nheit
+Aischa's aufgefallen; Aischa selbst mochte, als er sie zum
+ersten Male sah, 10 Jahre alt sein, jetzt hatte sie 14. Kein
+M&auml;dchen hatte seiner Meinung nach so feurige Gazellenaugen,
+keine hatte einen kleineren Granatmund und l&auml;ngeres schwarzes
+Haar, keine hatte so volle Formen und kleinere H&auml;nde
+und F&uuml;&szlig;e.</p>
+
+<p>In seinen Augen verstand kein anderes M&auml;dchen so gut
+die Ziegen zu melken wie Aischa, oder mit gleich lieblicher
+Anmuth einen Teller Brod anzubieten oder eine Schale mit
+Milch zu credenzen. Aber was war Alles dies gegen den
+Zauber ihrer Stimme? Zwar hatte Omar selbst nur einmal
+mit ihr gesprochen, als er erm&uuml;det das Zelt ihres Vaters erreichte
+und um einen Trunk Wasser bat. Da scho&szlig; Aischa
+wie ein Reh davon, und aus dem Schlauche eine Tasse f&uuml;llend,
+&uuml;berreichte sie dieselbe mit den Worten: "<tt>Bism Allah</tt>!"
+(im Namen Gottes). Das war Alles, was Aischa direct zu
+ihm gesprochen hatte. Aber von dem Augenblicke sagte Omar
+zu sich: "Du kannst nur Aischa zum Weibe nehmen und keine
+andere." Er glaubte nun auch zu wissen, da&szlig; Aischa gern
+seine Frau werden w&uuml;rde, er schien bei ihr eine gewisse Sympathie
+f&uuml;r sich bemerkt zu haben, und ohne da&szlig; man mit
+Worten seine Gedanken auszutauschen braucht, merken die
+jungen Leute in Marokko ebenso leicht wie bei uns, was
+Liebe ist.</p>
+
+<p>Omar war im Fr&uuml;hling, nur von Gef&auml;hrten und Sclaven
+begleitet, von Fes zur&uuml;ckgekommen, er hatte wieder bei Abu
+Thaleb die Nacht zugebracht, er hatte die gro&szlig;en Augen Aischa's
+wiedergesehen, er hatte sie plaudern h&ouml;ren mit ihren Gespielinnen
+und von dem Augenblicke war sein Entschlu&szlig; gefa&szlig;t.
+Als er am anderen Abend den eignen elterlichen Duar erreichte,
+rief er seine Mutter bei Seite; er gestand ihr seine
+Liebe zu Aischa und bat sie, mit dem Vater deshalb zu sprechen.</p>
+
+<p>Obschon seine Mutter, Lella Mariam, eigentlich ein anderes
+junges M&auml;dchen f&uuml;r ihren Sohn im Auge hatte, er sollte eine
+weitl&auml;ufige Verwandte, die ebenfalls Scherifa (aus dem Stamme
+des Propheten) war, heirathen, so lag ihr das Gl&uuml;ck ihres
+einzigen Sohnes doch viel zu sehr am Herzen, als da&szlig; sie
+h&auml;tte Schwierigkeiten erheben wollen. Zudem wu&szlig;te sie wohl,
+da&szlig;, obwohl sie gro&szlig;en Einflu&szlig; auf ihren Mann hatte, die
+Entscheidung einer so wichtigen Angelegenheit von ihm abhing.
+Sie beeilte sich daher, ihrem Manne Mittheilung davon zu
+machen, und wunderte sich, da&szlig; derselbe ihres Sohnes Liebe
+ziemlich gleichg&uuml;ltig, fast kalt aufnahm.</p>
+
+<p>Kaid Abu Ssalam war ein praktischer Mann, auch er hatte
+l&auml;ngst eine Schwiegertochter im Auge; das war aber keineswegs
+Aischa, die Tochter seines armen Freundes, sondern Sasia, die
+Tochter eines reichen Kaids der Uled Sidi Schich, deren Zelte
+in der N&auml;he von Udjda standen. Seit Jahren hatten die
+V&auml;ter dieses Project gen&auml;hrt. Die Uled Sidi Schich waren
+ebenfalls aus der Provinz Tlemsen vertrieben, aber sie waren
+nur &uuml;ber die Grenze gegangen. Safia mu&szlig;te um diese Zeit
+etwa 13 Jahre alt sein und noch vor Kurzem hatte ihr Vater
+an Abu Ssalam geschrieben, nach Udjda zu kommen und seinen
+Sohn mitzubringen und dieser hatte es versprochen.&mdash;Jetzt
+sollte aus dieser Heirath, die Abu Ssalam fast schon als abgemacht
+fand, nichts werden, er sollte sein Wort brechen.&mdash;Aber
+Omar, der einzige Sohn, kam selbst, er beschwor den
+Vater, ihm Aischa zu verschaffen, er w&uuml;rde sterben, wenn Aischa
+nicht sein Weib w&uuml;rde, und dann flehte die Mutter, Lella
+Mariam, zu Gunsten des Sohnes; wie konnte da der Vater,
+der Gatte widerstehen?</p>
+
+<p>Vor allen Dingen schickte er daher Leute ab an den Kaid
+der Uled Sidi Schichs, um ihm anzuzeigen, er k&ouml;nne und
+wolle sein Versprechen nicht halten, sein Sohn Omar habe sich
+eine andere Frau genommen. Sodann ging man gleich an
+die Brautwerbung, um jetzt die Hochzeit so rasch wie m&ouml;glich
+zum Abschlu&szlig; zu bringen.</p>
+
+<p>Unter dem Vorwande, nach Fes reisen zu wollen, brach
+Abu Ssalam, von seiner Frau Mariam begleitet, auf und
+erreichte Nachmittags den Duar der Uled Hassen, um bei
+seinem Freunde Abu Thaleb abzusteigen. Die Begleitung der
+Lella Mariam erregte nat&uuml;rlich das gr&ouml;&szlig;te Aufsehen und im
+ganzen Zeltdorfe fl&uuml;sterten die Frauen und jungen M&auml;dchen
+&uuml;ber dieses Ereigni&szlig; und prophezeiheten eine baldige Hochzeit.
+Abu Thaleb, der, wie schon gesagt, nicht beg&uuml;tert war, besa&szlig;
+nur ein Zelt, aber durch eine Scheidewand von wollenen
+Stoffen war eine Abtheilung f&uuml;r seine Frau hergestellt und in
+diese begab sich sogleich Lella Mariam zur Mutter Aischa's.</p>
+
+<p>Sie fing damit an, von gleichg&uuml;ltigen Sachen zu sprechen
+und kam dann allm&auml;lig auf die Vorz&uuml;ge ihres Sohnes; sie
+pries dessen Kraft und Sch&ouml;nheit, sie deutete an, da&szlig; er dereinst
+Kaid seiner St&auml;mme werden w&uuml;rde, sie betonte, da&szlig; er
+von v&auml;terlicher Seite das Blut des Chalifen Omar, von m&uuml;tterlicher
+das des Propheten habe und meinte schlie&szlig;lich, da&szlig; jedes
+M&auml;dchen gl&uuml;cklich sein m&uuml;sse, das er sich als Frau auserw&auml;hlen
+w&uuml;rde. Sodann f&uuml;gte sie noch hinzu, da&szlig; Aischa ein h&uuml;bsches
+und tugendhaftes M&auml;dchen sei, die wohl f&uuml;r Omar passen
+m&ouml;chte. Aischa, wohl ahnend was kommen w&uuml;rde, war gleich
+im Anfange dem Zelte entschl&uuml;pft und hatte sich drau&szlig;en etwas
+zu thun gemacht. Die Mutter Aischa's hingegen hatte nicht
+genug Lob f&uuml;r ihre Tochter, keine sei so schlau wie sie, keine
+verstehe so dauerhafte Haiks (Umschlaget&uuml;cher) zu weben wie
+sie, keine verstehe die K&uuml;gelchen zum Kuskussu so fein zu reiben
+wie sie und ihre Keuschheit und Sittsamkeit sei &uuml;ber alles Lob
+erhaben; aber schlie&szlig;lich meinte auch sie, da&szlig; Aischa wohl f&uuml;r
+Omar passen w&uuml;rde.</p>
+
+<p>Als nach dem Abendessen, welches die beiden M&auml;nner gemeinsam
+eingenommen hatten, ein jeder sich mit seiner Frau
+allein befand,&mdash;Aischa selbst war f&uuml;r die Nacht zu einer Freundin
+gegangen,&mdash;erfuhren sie von ihren Frauen den Gedankenaustausch
+und Abu Ssalam beschlo&szlig; nun, am anderen Morgen
+von Aischa's Vater ihre Hand f&uuml;r seinen Sohn zu verlangen.
+Ob Aischa einwilligen w&uuml;rde, daran dachte er wenig, zumal
+er nach seines Sohnes Worten vermuthen durfte, da&szlig; eine
+gegenseitige Neigung vorhanden sei.</p>
+
+<p>Da Kaid Abu Ssalam entschlossen, seinem Sohne (er hatte
+ja nur den einzigen) schon bei Lebzeiten einen Theil seiner
+Heerden abzutreten, so war er bald mit Aischa's Vater, dem
+Abu Thaleb, einig, er bezahlte ihm 200 Duoros, also einen
+bedeutend h&ouml;heren Preis<a name="FNanchor_77_77" id="FNanchor_77_77"></a><a href="#Footnote_77_77" class="fnanchor">[77]</a>, als sonst &uuml;blich ist. Es wurde
+au&szlig;erdem festgesetzt, da&szlig; Aischa drei neue silberne Spangen
+(um das Gewand festzustecken), zwei silberne Armb&auml;nder, zwei
+silberne Fu&szlig;ringe, im Ganzen im Gewichte von f&uuml;nf Pfund
+Silber, bek&auml;me, da&szlig; sie zwei Sack Korn, eine neue gro&szlig;e
+kupferne Gidra<a name="FNanchor_78_78" id="FNanchor_78_78"></a><a href="#Footnote_78_78" class="fnanchor">[78]</a>, einen Teppich von Arbat, im Werthe von
+20 Duoros, ein neues Hemd, einen neuen Haik, ein neues
+seidenes Kopftuch und eine neue seidene Sch&uuml;rze als Aussteuer
+bek&auml;me, da&szlig; endlich das Maulthier, auf dem sie hergeleitet
+w&uuml;rde, Eigenthum ihres Mannes bliebe. Es war also genau
+so viel der Braut an Gegenst&auml;nden mitzugeben, als der
+Schwiegervater dem Abu Thaleb an Geld gezahlt hatte; einer
+alten Sitte gem&auml;&szlig; hatte &uuml;berdies Aischa noch f&uuml;r ihren Zuk&uuml;nftigen
+das Hemd selbst zu n&auml;hen, welches er am Hochzeitstage
+zu tragen hatte, auch eine rothe M&uuml;tze mu&szlig;te sie ihm
+mitbringen, wof&uuml;r der Br&auml;utigam am Festtage der Braut
+einen silbernen Ring und eine Halsschnur von Bernstein
+&uuml;berreichte.</p>
+
+<p>Nachdem die beiden V&auml;ter dieses unter sich abgemacht
+hatten, begaben sie sich zum Kadhi der Uled Hassan, wo alle
+diese Bestimmungen zu Papier gebracht und von Beiden unterzeichnet
+wurden; auch wurde der Tag der Heimf&uuml;hrung der
+Braut, der Hochzeitstag, bestimmt und Alles dies durch ein
+gemeinsames F&ouml;tah (Segen, d.h. das erste Capitel des Koran
+wird gesprochen) besiegelt.</p>
+
+<p>Abu Ssalam mit seiner Eheh&auml;lfte zog sodann eiligst nach
+Hause, denn da die Hochzeit schon nach acht Tagen stattfinden
+sollte, mu&szlig;ten jetzt rasch die Vorbereitungen zur Festlichkeit
+gemacht werden. Es mu&szlig;ten die Einladungen ergehen an
+nahe wohnende Freunde, Geschenke f&uuml;r die Geistlichkeit mu&szlig;ten
+gemacht werden, damit diese den Segen Gottes auf das neue
+Ehepaar herabflehe, L&auml;mmer und Ziegen mu&szlig;ten ausgesucht
+werden zum Schlachten, und Tag f&uuml;r Tag waren die Frauen
+der drei Duar besch&auml;ftigt, Kuskussuk&uuml;gelchen<a name="FNanchor_79_79" id="FNanchor_79_79"></a><a href="#Footnote_79_79" class="fnanchor">[79]</a> zu rollen, denn
+Hunderte von Personen waren am Hochzeitstage zu bewirthen.</p>
+
+<p>So nahete der Tag. Einige Tage vorher sa&szlig; Aischa schon
+mit umwickelten H&auml;nden und F&uuml;&szlig;en; denn w&auml;hrend sonst die+
+Frauen es f&uuml;r gen&uuml;gend halten, w&auml;hrend einer Nacht, um eine
+rothe F&auml;rbung hervorzubringen, ihre Gliedma&szlig;en in zerstampftes
+Hennahkraut einzuwickeln, hatte Aischa's Mutter, um eine
+recht rothe Farbe hervorzurufen, es f&uuml;r nothwendig gehalten,
+dies w&auml;hrend mehrerer Tage hindurch zu thun. Ihre Augenlider
+wurden mit Koh&ouml;l geschw&auml;rzt, ebenso die Brauen, und
+auf ihre Stirn hatte ihre Mutter ihr ein reizendes Bl&uuml;mchen
+gezeichnet, w&auml;hrend auf die Au&szlig;enfl&auml;che der rothen Hand
+verschiedene schwarze Zickzacklinien gemalt wurden. Ihre
+Freundinnen und Gespielinnen waren alsdann beh&uuml;lflich, sie
+anzukleiden, nachdem Aischa im nahen Flusse ein Bad mit
+ihnen genommen hatte. Aber weniger prunkvoll, wie dies die
+St&auml;dterinnen zu thun pflegen, war das bald geschehen: ein
+seidenes Tuch um den Kopf geschlungen, nur mit M&uuml;he das
+lange hervorquellende Haar zur&uuml;ckhaltend, welches sorgf&auml;ltig
+gek&auml;mmt, ge&ouml;lt und geflochten war, ein neues Hemd, ein
+neuer wei&szlig;er Haik, der &uuml;ber den Kopf und um den ganzen
+Leib geschlungen wurde, eine seidene Sch&uuml;rze von Fes, das
+war nebst rothen Pant&ouml;ffelchen an den F&uuml;&szlig;en der ganze Anzug;
+denn Hosen, Westen, Kaftane und dergleichen Kleider, wie
+sie die St&auml;dterinnen in Fes, Mikenes oder einer anderen
+Stadt tragen, kennen die T&ouml;chter eines Zeltes nicht. Sodann
+wurde Aischa mit Rosenwasser &uuml;bersprengt, mit Bochor und
+Djaui (Sandelholz und Weihrauch) durchr&auml;uchert und in die
+Kubba auf's Maulthier gesetzt.</p>
+
+<p>Unter Thr&auml;nen hatte sie Abschied von ihrer Mutter und
+von ihren Freundinnen genommen, denn die Sitte erheischte,
+da&szlig; diese daheim blieben; nur die m&auml;nnliche Bev&ouml;lkerung der
+Uled Hassan und zu beiden Seiten des Maulthieres zwei ehrw&uuml;rdige
+Greise, ihr Vater und ihr Oheim v&auml;terlicher Seits,
+begleiteten sie. Fr&uuml;h aufgebrochen, waren sie schon Mittags
+Angesichts der drei Duar der Beni-Amer, und sobald der Zug
+sichtbar war, kamen s&auml;mmtliche Leute der Beni-Amer und
+viele Fremde der Umgegend, die Pferde hatten, auf sie losgesprengt
+und bewillkommneten die Braut durch Flintensch&uuml;sse.
+Der Br&auml;utigam war aber nicht dabei.</p>
+
+<p>Im Duar des Br&auml;utigams selbst angekommen, wurde sie
+sogleich nach dem Zelte ihrer Schwiegermutter gef&uuml;hrt, und
+jetzt, unter lauter ihr fremden Frauen, zeigte sie sich zum ersten
+Male ihren neuen weiblichen Verwandten; denn wenn die
+Frauen des Zeltes auch nicht verschleiert sind, so war Aischa
+doch in der Kubba, d.h. in einer Art K&auml;fig, der auf dem
+Maulthiere ruhte, hergekommen und war somit allen Blicken
+entzogen. Die Frauen verbringen jetzt die Zeit mit Essen und
+Trinken. Unterde&szlig; haben sich aber auch die M&auml;nner versammelt,
+sie ziehen vor das Zelt des Br&auml;utigams, der, in neue
+Gew&auml;nder geh&uuml;llt, heraustritt. Sein Kopf ist vollkommen mit
+einem Turban umwickelt, nur ein schmaler Spalt f&uuml;r die Augen
+ist gelassen. Man hei&szlig;t ihn ein Pferd besteigen und sodann
+reiten Alle aus dem Duar heraus, um ein Lab, d.h. ein
+Wettrennen mit Schie&szlig;en, abzuhalten. Der Br&auml;utigam allein
+nimmt nicht Theil. Er h&auml;lt gegen&uuml;ber dem Zelte, wo man
+wei&szlig;, da&szlig; die Braut mit den &uuml;brigen alten und jungen
+Frauen sich aufh&auml;lt, und nimmt so gewisserma&szlig;en Angesichts
+seiner Braut eine Parade ab. Weder kann er sie sehen, noch
+sie ihn, denn das Zelt ist bis auf einige Schlitze dicht zusammengezogen
+und sein Kopf ist verh&uuml;llt. Endlich ergreift,
+nachdem Alle schon mehrere Male das Pulver haben sprechen
+lassen, Omar ebenfalls eine Flinte, er schwingt sie um seinen
+Kopf, er saust davon, macht Kehrt, um im rasendsten Ritte
+auf's Zelt seiner Braut loszugehen, und angekommen, dr&uuml;ckt
+er seine Flinte ab, schwenkt seitw&auml;rts, nachdem er noch die
+Flinte hoch in die Luft geschleudert und geschickt wieder aufgefangen
+hat.</p>
+
+<p>Es wird Abend und der Br&auml;utigam wird nach seinem
+Zelte zur&uuml;ckgef&uuml;hrt. Nun beginnen allgemeine Schmausereien;
+aber die Frauen, immer in ihrer Mitte noch die Braut Aischa
+behaltend, setzen den Kampf gegen die Kuskussusch&uuml;sseln allein
+fort, frischen Muth dazu dann und wann durch eine Tasse
+stark mit M&uuml;nze aromatisirten Thee's schl&uuml;rfend. Die meisten
+M&auml;nner und J&uuml;nglinge essen im Freien, denn die Zelte bieten
+weder Raum noch Helligkeit, nur der Br&auml;utigam bleibt allein.
+Es scheint sich ein wahrer Wettstreit unter den G&auml;sten im
+Essen zu entwickeln; aber wenn man wei&szlig;, wie ausnahmsweise
+und selten in Marokko den Leuten die Gelegenheit geboten
+wird, Fleisch zu essen, so kann man sich vorstellen, wie es
+dann bei einem Mahle hergeht, wo Fleisch in H&uuml;lle und F&uuml;lle
+vorhanden ist und man seine H&ouml;flichkeit und Freude am besten
+dadurch kund zu geben meint, wenn man so viel i&szlig;t, als man
+&uuml;berhaupt nur essen kann.</p>
+
+<p>Die Dunkelheit ist nun v&ouml;llig hereingebrochen. Da sieht
+man pl&ouml;tzlich aus dem Zelte der Frauen einen Zug herauskommen,
+voran die Braut, sie allein verschleiert; ihr zur Seite
+gehen andere junge M&auml;dchen, in der einen Hand eine Papierlaterne
+tragend, in der anderen ein mit Rosenwasser geschw&auml;ngertes
+Tuch, womit sie der Braut wohlriechende Luft
+zuwehen; andere Frauen, und zwar zun&auml;chst die Schwiegermutter
+Lella Mariam, folgen, alle haben Laternen. Sie gehen
+auf das Zelt Omars zu, der fortw&auml;hrend allein geblieben war,
+und da von der anderen Seite auch die M&auml;nner herbeigekommen
+waren, so ruft Abu Thaleb: "Omar ben Abu
+Ssalam, bist Du im Zelte, so erscheine und bezeuge im Namen
+des einigen Gottes, da&szlig; Du meine Tochter Aischa als Deine
+Frau aufnehmen und ern&auml;hren willst." Omar erschien und
+bezeugte es im Namen Gottes. Sodann ruft sein Vater:
+"Ich bezeuge im Namen des H&ouml;chsten, da&szlig; ich an Abu Thaleb
+200 Duro gezahlt habe; hast Du sie bekommen, o Freund?"&mdash;"Mit
+H&uuml;lfe Gottes habe ich das Geld empfangen und la&szlig;
+Deinen Sohn morgen zeugen, ob die Morgengabe Aischa's
+richtig ist."&mdash;Darauf wurde das F&ouml;tah gebetet und die
+Mutter Omars, die Braut ihm zuschiebend, schlug das Zelt
+&uuml;ber Beide herab, und Omar und Aischa lagen einander in
+den Armen.</p>
+
+<p>Drau&szlig;en wurden aber die Schwelgereien im Essen fortgesetzt.
+Kaid Abu Ssalam hatte S&auml;nger und Lautenspieler
+kommen lassen, T&auml;nzerinnen hatten sich eingestellt, kurz, es
+fehlte nichts einer, einem so reichen und m&auml;chtigen Kaid w&uuml;rdigen
+Hochzeitsfeier. Aber st&uuml;rmischer Jubel brach los, als
+einige Zeit nachher Lella Mariam, die Mutter Omar's, die
+vor dem Zelte Platz genommen hatte, aufstand und ein
+Hemd, das der gewesenen Braut Aischa, durch die Luft
+schwenkte. Das Hemd enthielt Blutstropfen, Omar konnte
+also den sichtbaren Beweis der Jungfr&auml;ulichkeit seiner Braut
+liefern und dieser mu&szlig;te Allen, die an der Hochzeitsfeier Theil
+nahmen, gezeigt werden. Kann dieser nicht beigebracht werden,
+so ist &uuml;berhaupt die Heirath, <i>wenn der Gatte will</i>,
+als nicht geschehen zu betrachten.</p>
+
+<p>Drei Tage dauerten diese Schmausereien, w&auml;hrend welcher
+Zeit aber das junge Paar meistens allein blieb, um ganz das
+Gl&uuml;ck der ersten Liebe zu genie&szlig;en; vielleicht h&auml;tte auch Kaid
+Abu Ssalam die Festlichkeit noch l&auml;nger ausgedehnt, da bei
+sehr reichen Familien acht Tage lang festirt wird, wenn nicht
+ein Ereigni&szlig; eingetreten w&auml;re, das den Lustbarkeiten ein j&auml;hes
+Ende setzte.</p>
+
+<p>Wohl durch zu viele Arbeit, die der alte Omar, Vater
+Abu Thalebs, seinem Magen aufgeb&uuml;rdet hatte, vielleicht auch
+durch Ueberma&szlig; des sonst ungewohnten Fleischgenusses, erkrankte
+er und schon nach einigen Stunden hatte er aufgeh&ouml;rt zu leben.</p>
+
+<p>Sobald man den Tod des alten Omar als sicher constatirt
+hatte, wurden alle alten Weiber vor sein Zelt beordert, um
+das Klagen und Weinen zu besorgen, w&auml;hrend die M&auml;nner
+den noch warmen Leichnam wuschen, r&auml;ucherten und in ein
+neues St&uuml;ck Kattun einwickelten. Dies dauerte einige Stunden,
+sodann wurde eine Tragbahre geholt und der Verstorbene
+hinaufgelegt, denn bei den Zeltbewohnern herrscht die Sitte,
+den Todten in einen Sarg oder eine Truhe zu legen, nicht.
+Vier M&auml;nner bem&auml;chtigten sich der Bahre und sodann ging es
+fort in so schnellem Schritte, als man, ohne zu laufen, nur
+gehen konnte. Best&auml;ndig wurde nach einf&ouml;rmiger Melodie
+gesungen: <tt>Lah illaha Il Allaha</tt>, und wenn dies etwa hundert
+Mal wiederholt worden war, bildete der Satz: <tt>Mohammed
+ressul ul Lah</tt> den Schlu&szlig;, um aber gleich wieder von vorn
+anzufangen. Alle zwanzig Schritte l&ouml;sten sich die Leute im
+Tragen ab, damit Jeder der Ehre, den Todten zur letzten
+St&auml;tte zu tragen, theilhaftig werden k&ouml;nne. Nach dem Gottesacker
+der Beni-Amer, der ziemlich entfernt vom Duar gelegen
+war, waren aber schon vorher einige Leute geschickt worden,
+um die Gruft zu bereiten, und als der Trauerzug ankam, war
+Alles in Ordnung.</p>
+
+<p>Ein letztes F&ouml;tah wurde gebetet und die Sure: "Sag',
+Gott ist der Einzige und Ewige. Gott zeugt nicht und ist
+nicht gezeugt und kein Gesch&ouml;pf gleicht ihm," wurde von allen
+Anwesenden gelesen<a name="FNanchor_80_80" id="FNanchor_80_80"></a><a href="#Footnote_80_80" class="fnanchor">[80]</a> und darauf unter dem Ausrufe: "<tt>Bism
+Allah</tt>!" (im Namen Gottes) der Leichnam in die Gruft gelegt.
+Ein Jeder der Anwesenden warf eine Hand voll Sand
+auf den K&ouml;rper und hierauf wurde durch Hacken die Grube
+schnell mit Erde gef&uuml;llt. Damit nicht etwa Hy&auml;nen das Grab
+er&ouml;ffnen k&ouml;nnten, wurden sodann zum Schlusse schwere Steine
+&uuml;ber das Ganze gelegt. Zur&uuml;ck wurde der Weg eben so rasch
+und ebenfalls unter dem Gesange: "<tt>Lah illaha Il Allaha</tt>"
+gemacht. Acht Tage lang mu&szlig;ten au&szlig;erdem Trauerweiber, die
+zum Theil bezahlt waren, klagen und weinen, die M&auml;nner
+aber gingen ihren gew&ouml;hnlichen Besch&auml;ftigungen nach, pflegten
+sich aber auch Abends beim Trauerzelte einzufinden, weniger
+um der Vorz&uuml;ge und Tugenden zu gedenken, die der verstorbene
+Omar ben Edris gehabt haben sollte, als um an der Mahlzeit
+Theil zu nehmen, die sein Sohn w&auml;hrend der achtt&auml;gigen
+Klagezeit allen Mittrauernden spenden mu&szlig;te. Die Trauer
+durch besondere Kleider, z.B. schwarze Gew&auml;nder, auszudr&uuml;cken,
+ist aber bei den Zeltbewohnern so wenig Sitte, wie bei den
+mohammedanischen St&auml;dtern.</p>
+
+<p>Da&szlig; der Kaid der Uled Sidi Schich die Kr&auml;nkung nicht
+ruhig hinnahm, weil man seine Tochter verschm&auml;ht hatte, versteht
+sich von selbst. Und so erschien er denn eines Tages
+mit zwanzig Reitern nach gefahrvollen M&auml;rschen; es gelang
+ihm auch, eine Nachts au&szlig;engebliebene Heerde fortzutreiben.
+Doch die schnell aufgebotenen Beni-Amer, im Verein mit einigen
+Uled Hassan, ereilten die R&auml;uber, ein kurzes Gefecht entspann
+sich, einige Kugeln wurden gewechselt. Die Uled Sidi Schich
+zogen nat&uuml;rlich den K&uuml;rzeren, im Triumphe wurde die geraubte
+Heerde zur&uuml;ckgebracht und seit der Zeit lebt Omar zufrieden
+und ruhig am Ued Ssebu, lebt wie sein Vater und seine Vorfahren
+gelebt hatten und wie seine S&ouml;hne und Nachkommen
+unwandelbar nach denselben Sitten und Gebr&auml;uchen weiter
+leben werden.</p>
+
+<div class="footnotes"><h3>Fu&szlig;noten:</h3>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_66_66" id="Footnote_66_66"></a><a href="#FNanchor_66_66"><span class="label">[66]</span></a> Wie man bei uns sagt, er stammt aus einem gro&szlig;en Hause, so
+sagt man in Marokko min cheima kebira ("von einem gro&szlig;en Zelte").</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_67_67" id="Footnote_67_67"></a><a href="#FNanchor_67_67"><span class="label">[67]</span></a> In Marokko flechten und k&auml;mmen die Frauen und M&auml;dchen ihr
+Haar keineswegs alle Tage, sondern nur bei festlichen Gelegenheiten.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_68_68" id="Footnote_68_68"></a><a href="#FNanchor_68_68"><span class="label">[68]</span></a> Sidi ist der Titel des Gro&szlig;scherifs der heiligen Stadt Uesan.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_69_69" id="Footnote_69_69"></a><a href="#FNanchor_69_69"><span class="label">[69]</span></a> Mohammed sagt im Koran: "Niemand trage seine Haare in Flechten
+bis zu den Schultern herab." Weil, S. 251.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_70_70" id="Footnote_70_70"></a><a href="#FNanchor_70_70"><span class="label">[70]</span></a> Obschon es Mohammed ausdr&uuml;cklich verboten ist, Staub aus
+dem Tempel von Mekka als Reliquie mitzunehmen, thun es die meisten
+marokkanischen Pilger doch.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_71_71" id="Footnote_71_71"></a><a href="#FNanchor_71_71"><span class="label">[71]</span></a> Man sagt so, nat&uuml;rlich sind die Insassen des Zeltes gemeint.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_72_72" id="Footnote_72_72"></a><a href="#FNanchor_72_72"><span class="label">[72]</span></a> Schreiber.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_73_73" id="Footnote_73_73"></a><a href="#FNanchor_73_73"><span class="label">[73]</span></a> Plural von Thaleb.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_74_74" id="Footnote_74_74"></a><a href="#FNanchor_74_74"><span class="label">[74]</span></a> In jedem marokkanischen Duar befindet sich ein Zelt, das zum
+Abhalten des freit&auml;glichen Chothagebetes bestimmt ist und Situn el
+Djemma hei&szlig;t; in der Regel dient es auch als Herberge f&uuml;r Fremde und
+hei&szlig;t dann Situn el Diaf.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_75_75" id="Footnote_75_75"></a><a href="#FNanchor_75_75"><span class="label">[75]</span></a> Wollenes Uebergewand.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_76_76" id="Footnote_76_76"></a><a href="#FNanchor_76_76"><span class="label">[76]</span></a> In einzelnen Familien haben sich behufs der Beschneidung Steinmesser
+oder vielmehr scharfe Steinscherben vom Vater auf den Sohn
+vererbt und wahrscheinlich sind sie aus Arabien mit her&uuml;bergebracht
+worden.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_77_77" id="Footnote_77_77"></a><a href="#FNanchor_77_77"><span class="label">[77]</span></a> Der gew&ouml;hnliche Preis ist auf 60 franz&ouml;sische Thaler, in Marokko
+Doro oder Duoro genannt, fixiert.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_78_78" id="Footnote_78_78"></a><a href="#FNanchor_78_78"><span class="label">[78]</span></a> Kupferner Kessel.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_79_79" id="Footnote_79_79"></a><a href="#FNanchor_79_79"><span class="label">[79]</span></a> Die Kuskussuk&uuml;gelchen aus Weizen- oder Gerstenmehl, auf einem
+Palm- oder Strohteller gerieben, sind von der Gr&ouml;&szlig;e unserer Perlgr&uuml;tze.
+Getrocknet halten sie sich monatelang, ja &uuml;ber ein Jahr. Man nimmt sie
+auch als Provision auf Reisen mit.</p></div>
+
+<div class="footnote"><p><a name="Footnote_80_80" id="Footnote_80_80"></a><a href="#FNanchor_80_80"><span class="label">[80]</span></a> Der Araber braucht das Wort "ikra" er liest, nicht blos von der
+Handlung in unserem Sinne, d.h. wenn man aus einem Buche etwas
+abliest, sondern auch, wenn Jemand aus dem Koran oder sonst einem
+Buche ein Capitel hersagt.</p></div>
+</div>
+
+
+<p>Leipzig,</p>
+
+<p>Druck von Alexander Edelmann.</p>
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und
+Erforschung Africa's., by Gerhard Rohlfs
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITR„GE ZUR ENTDECKUNG ***
+
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+(and you!) can copy and distribute it in the United States without
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+Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
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+things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
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+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
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+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
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+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+ the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
+ you already use to calculate your applicable taxes. The fee is
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+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
+ Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments
+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
+ address specified in Section 4, "Information about donations to
+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
+ you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
+ does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
+ License. You must require such a user to return or
+ destroy all copies of the works possessed in a physical medium
+ and discontinue all use of and all access to other copies of
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+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
+ of receipt of the work.
+
+- You comply with all other terms of this agreement for free
+ distribution of Project Gutenberg-tm works.
+
+1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
+electronic work or group of works on different terms than are set
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+both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
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+Foundation as set forth in Section 3 below.
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+1.F.
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+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
+1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
+
+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
+warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
+If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
+1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
+trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
+providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
+with this agreement, and any volunteers associated with the production,
+promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ https://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
+</pre>
+
+</body>
+</html>
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
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+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
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+++ b/old/16280-8.txt
@@ -0,0 +1,7351 @@
+The Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und Erforschung
+Africa's., by Gerhard Rohlfs
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Beiträge zur Entdeckung und Erforschung Africa's.
+ Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+Author: Gerhard Rohlfs
+
+Release Date: July 13, 2005 [EBook #16280]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK BEITR„GE ZUR ENTDECKUNG ***
+
+
+
+
+Produced by Magnus Pfeffer, Ralph Janke and the Online
+Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This
+file was produced from images generously made available
+by the Bibliotheque nationale de France (BnF/Gallica) at
+http://gallica.bnf.fr.
+
+
+
+
+
+
+Beiträge
+
+zur Entdeckung und Erforschung
+
+Africa's.
+
+Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+von
+
+Gerhard Rohlfs.
+
+ * * * * *
+
+Leipzig,
+
+Verlag der Dürr'schen Buchhandlung
+
+1876
+
+Mit dem Stahlstich-Portrait des Verfassers
+
+
+Beiträge
+
+zur
+
+Entdeckung und Erforschung Afrika's.
+
+[Illustration: Nach einer Photographie Gerhard Rohlfs]
+
+[Illustration: Handwriting]
+
+Contributions
+
+à la découverte cf á l'exploration
+
+de l'Afrique
+
+Récite des anneés 1870-1875
+
+Herr Gerhard Rohlfs
+
+Leipzig
+
+Dürr
+
+1876
+
+
+Beiträge
+
+zur Entdeckung und Erforschung
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+Afrika's.
+
+Berichte aus den Jahren 1870-1875
+
+von
+
+Gerhard Rohlfs.
+
+ * * * * *
+
+Leipzig,
+
+Verlag der Dürr'schen Buchhandlung
+
+1876
+
+
+
+
+
+
+
+INHALT
+
+
+1. Der Kanal von Suez
+2. Bauten in Afrika
+3. Lagos an der Westküste von Afrika
+4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika
+5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern
+6. Beitrag zur Kenntnis der Sitten der Berber in Marokko
+7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker
+8. Aufbruch zur Libyschen Wüste
+9. Das jetzige Alexandrien
+10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten
+11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste
+12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnografische Schilderung
+
+
+
+
+
+
+1. Der Kanal von Suez.
+
+
+Es hat kaum ein großartigeres Unternehmen mehr das Interesse der
+gebildeten Welt in Anspruch genommen, als der Durchstich des Isthmus von
+Suez, eine Unternehmung, wie sie eben nur der vor nichts
+zurückschreckende Geist des 19. Jahrhunderts erdenken konnte. Und keine
+Arbeit ist mehr besprochen und beschrieben worden, als gerade dieser
+Kanal, Stimmen haben sich dafür und dagegen erhoben; Enthusiasten
+wollten den Kanal in ein paar Jahren vollenden, unterschätzten die
+Schwierigkeiten, setzten die Kosten zu gering an; ihre Gegner sprachen
+von unüberwindlichen Hindernissen, vom Niveauunterschiede der beiden zu
+verbindenden Meere, von nicht zu besiegenden Sandstürmen der Wüste, vom
+Mangel an Geld und endlich, falls der Kanal zu Stande käme, von den zu
+großen Kosten, welche die Rheder für ihre durchgehenden Fahrzeuge zu
+entrichten haben würden.
+
+Im Jahre 1854, als Hr. von Lesseps vom Vicekönig die Autorisation bekam
+zur Anlegung eines maritimen Kanals durch die Landenge, constituirte
+sich infolge dessen eine internationale Commission, bestehend aus
+Ingenieuren von England, Oesterreich, Spanien, Frankreich, den
+Niederlanden und Preußen, um einen Plan auszuarbeiten, und nachdem diese
+Commission festgestellt hatte, daß kein Niveauunterschied zwischen den
+beiden getrennten Meeren vorhanden sei, hatte sie die Bildung des Kanals
+von Suez und eine Subscription zur Folge. Die auszuführenden Arbeiten
+waren auf 200 Mill. Frs. veranschlagt worden, welche Summe aufgebracht
+wurde. Im Jahre 1859 begannen die ersten Arbeiten unter der
+unmittelbaren Direction der Compagnie selbst.
+
+Diese bestanden hauptsächlich in Menschenwerk; das ägyptische
+Gouvernement hatte contractlich 20,000 Fellahin oder Leibeigene zu
+liefern, welche eine monatliche Dienstzeit hatten, wobei sie auf Kosten
+der Compagnie ernährt und abgelohnt wurden. Jeden Monat löste ein Haufen
+anderer Zwangsarbeiter den alten ab.
+
+Als nun Ende 1865 die Unzulänglichkeit dieser Arbeiten sich
+herausstellte, schloß die Compagnie mit dem Hause Borrel und Lavaley
+einen Contract, demzufolge das genannte Haus es übernahm, sämmtliche
+Erdarbeiten, die Ausgrabung und Ausbaggerung des Kanals durch Maschinen
+bewerkstelligen zu wollen. Zugleich wurde der Firma Dussaud Frères die
+Vollendung der großen Molen von Port-Said überwiesen und die Arbeiten,
+welche dieses Haus durch seine colossalen künstlichen Steinblockbauten
+in Algier, Cherbourg u.s.w. ausgeführt und dem man neuerdings noch die
+Construction des Hafens von Smyrna übergeben hatte, waren hinlänglich
+Bürge, daß ihnen die Molen von Port-Said würden ebenbürtig zur Seite
+gestellt werden können.
+
+Es handelte sich nun aber darum, das ägyptische Gouvernement, welches
+sich verpflichtet hatte, während des Kanalbaues so und so viele Arbeiter
+zu liefern, dahin zu bringen, daß es für die jetzt unnöthig gewordenen
+Menschenkräfte einen äquivalenten Theil an Geld gewährte und die
+ägyptische Regierung, immer bei der Hand, das Unternehmen auf's
+Großmütigste zu fördern, ging auf's Bereitwilligste daraus ein. Indeß
+stellte es sich heraus, daß die Ablösungssumme, welche die Compagnie
+verlangte, 54 Mill. Frs. dem Vicekönig zu hoch gegriffen schien und man
+kam nun überein, sich einem Schiedsrichter zu unterwerfen, wozu beide
+Parteien den Kaiser Napoleon wählten. Aber nicht für 54 Millionen
+entschied sich der Kaiser der Franzosen, sondern für 84 Millionen,
+welche die ägyptische Regierung der Compagnie zu zahlen habe. Die
+anfängliche Schätzung der Compagnie war also bedeutend durch den
+Ausspruch des Kaisers Napoleon überboten worden. Man hat behaupten
+wollen, der Umstand, daß Herr von Lesseps ein Verwandter der Kaiserin
+Eugenie ist, habe nicht wenig dazu beigetragen, eine für die Compagnie
+so außerordentlich günstige Entscheidung herbeizuführen. Außerdem hatte
+die Compagnie einen neuen Geldzuschuß von 10 Mill. Frs. als
+Entschädigung für die Domäne Tel-el-kebir vom Vicekönig erhalten.
+Trotzdem daß nun die ursprünglich veranschlagte Summe von 200 Mill. Frs.
+sich so um fast 100 Millionen erhöht fand, stellte es sich schon im
+kommenden Jahre heraus, daß zur Beendigung des Kanals noch wenigstens
+100 Millionen erforderlich seien. Deshalb ging Anfang 1868 Herr Lesseps
+nach Paris, um eine neue Anleihe zu negociiren. Eine Anleihe als solche
+scheiterte indeß, es gelang aber Herrn Lesseps eine Lotterie mit
+Bewilligung der französischen Kammer zu Stande zu bringen, welche bis
+Anfang Juni 1868 40-45 Millionen ergab und endlich wurden durch
+verschiedene Operationen die finanziellen Schwierigkeiten des Kanalbaues
+überwunden.
+
+Nach der damaligen Abmachung sollten die Arbeiten bis zum 1. October
+1869 fertig sein und nach den Arbeiten des Hauses Borrel und Lavaley zu
+schließen, konnte dies auch geschehen. Denn um von dem Augenblicke an
+den Kanal so herzustellen, daß er überall an der Wasserlinie eine Breite
+von 100 Meter, an der Basis 22 Meter (an einigen Stellen indeß oben 75
+Meter und unten blos 12 Meter) mit einer Tiefe von überall 8 Metern
+habe, blieben vom Juni 1868 an noch 34 Millionen Kubikmeter Terrain
+wegzuräumen übrig. Mit der Arbeitsfähigkeit, welche Borrel und Lavaley
+zu ihrer Disposition hatten und wodurch bis Mai 1868 circa 18 Millionen
+Kubikmeter Erdreich weggeschafft wurde und welche im Juli 1868 bis auf
+20 Millionen Kubikmeter gesteigert werden konnte, stellte es sich
+heraus, daß in der That bis Ende des Jahres 1869 der Kanal fertig sein
+würde. Ob aber derselbe dann schon für die größten Fahrzeuge passirbar
+sein würde, war eine andere Frage; jedenfalls aber konnten Borrel und
+Lavaley, die mit der Compagnie übereingekommen waren, eine so und so
+große Menge von Erdreich aus der vorgeschriebenen Linie des Kanals
+hinwegzuräumen, ihren Verpflichtungen nachkommen. Zur Ausführung dieser
+großartigen Arbeit hatten Borrel und Lavaley folgende Maschinen, welche
+sämmtlich entweder in England oder Frankreich und Belgien angefertigt
+sind, zur Disposition: a) 10 mechanische Zermalmer; b) 4
+Handbaggermaschinen; c) 19 kleine Baggermaschinen; d) 58 große
+Baggermaschinen, von denen 20 mit langen Abgüssen; e) 30 Dampfschiffe,
+um Schutt wegzufahren, mit Seitenklappen; f) 79 Schuttdampfschiffe mit
+Grundklappen, 37 von diesen hielten das Meer; g) 18 Elevateurs; h) 90
+schwimmende Chalands mit Schuttkisten; i) 30 Dampfwidder; k) 15
+Dampfchalands; l) 60 Locomobilen; m) 15 Locomotiven; n) 20
+Dampferdhöhler theils für trockenen, theils nassen Boden; o) 1800
+Erdwagen; p) 25 Dampfcanots oder Remorqueurs; q) 200 eiserne Chalands.
+
+Wir brauchen nicht zu erwähnen, daß auch noch ein genügendes und
+massenhaftes Material von kleinen Geräthen, als Schaufeln, Hacken,
+Schiebkarren u.s.w. vorhanden war. Borrel und Lavaley hatten außerdem
+eine Arbeitskraft von circa 12,000 Menschen auf dem Platze, welche
+theils aus Eingeborenen, die sich freiwillig zum Arbeiten gemeldet
+hatten, theils aus Europäern bestand. Alle Arbeiten waren contractlich;
+erstere bekamen für 1 Meter Kubikfuß 1 Fr. 95 Cent., wo das Terrain
+leicht zu bearbeiten war; wo es hingegen, wie in Chalouf, schwierig war,
+bis 2 Frs. 45 Cent., die Handwerker und Europäer hatten nicht unter 5
+Frs. per Tag.
+
+Bald darauf wurden aber wieder viele Stimmen laut, daß nach vollendetem
+Kanalbaue zwei große Schiffe neben einander nicht würden passiren
+können; indeß bei den geringsten Dimensionen von 75 Meter an der
+Wasserlinie und 12 Meter an der Basis waren wir berechtigt, anzunehmen,
+daß dies der Fall sein würde oder daß man dem würde abhelfen können.
+Man wollte ferner behaupten, daß die Ausfüllung der Bitterseen vom
+Mittelmeere aus zu rasch vor sich gehen würde und so durch den
+hereinbrechenden Strom der Kanalbau beschädigt, wenn nicht ganz zerstört
+werden könnte. Die Anfüllung des Timsahsees im Jahre 1861, wozu nicht
+weniger als circa 100 Mill. Kubikmeter Wasser erforderlich waren, welche
+dem mittelländischen Meere entzogen wurden, hatte jedoch gezeigt, daß
+bei so großen Quantitäten mit verhältnißmäßig so geringem Falle die
+Strömung mit großer Langsamkeit vor sich geht; und so konnte man genau
+berechnen, daß zur Ausfüllung des großen und kleinen Beckens des
+Bittersees, welcher wenigstens 20 Mal so viel Volumen Wasser
+verschlingen würde, als der Timsahsee, fast zwei Monate erforderlich
+sein müßten.
+
+So war, als wir Mitte Juni 1868 den Kanal besuchten, die Sachlage; und
+wenn wir auch nicht der Meinung der Pessimisten waren, welche
+behaupteten, der Kanal würde nie fertig, würde stets wieder versanden
+oder auch diese Compagnie würde nicht die erforderlichen Mittel
+aufbringen können, um die Bauten zu Ende zu führen, und es würde so
+selbstverständlich der Kanal in die Hände der Engländer übergehen
+(beiläufig gesagt wäre dies gar kein Schaden für die kommerzielle Welt),
+so waren uns doch auch andererseits starke Zweifel aufgestoßen, ob der
+Kanal schon Ende 1869 der allgemeinen Benutzung würde übergeben werden
+können. Denn wenn auch die Firma Borrel und Lavaley die vorgeschriebenen
+34 Mill. Kubikmeter Terrain bis Ende 1869 herausgeschafft haben konnte,
+so war damit lange noch nicht der Kanal fertig. Vor Allem wäre überdies
+der Compagnie eine weise Sparsamkeit anzuempfehlen gewesen. Wozu nützte
+es damals, nachdem sie alle Privatarbeiten abgegeben hatte an
+Privatunternehmer (Borrel und Lavaley, Dussaud Frères, Couvreur in El
+Guisr u.a.m.), einen so großen Stab zu unterhalten? Seitdem die
+Compagnie sich nicht mehr direct bei den Arbeiten betheiligte, wie im
+Anfange, war es da nicht eine eitle Geldverschleuderung, noch immer
+denselben Personalbestand zu haben, welcher unter den hochtönenden Namen
+Agence supérieure und Direction générale des travaux ein Personal von
+über 200 Leuten (officiell) aufwies, von denen der geringste Beamte
+sicher nicht unter 5000 Frs., der Director Herr Voisin 50,000 Frs.
+Gehalt bezog?
+
+Man kann von drei Seiten hinkommen, um den Kanal zu besuchen: von
+Port-Said, von Ismaïlia und Suez. Wir gingen im Jahre 1868 von letzterem
+Platze aus, uns auf dem Süßwasserkanal einschiffend, welcher von
+Ismaïlia kommt und in Suez sein Ende hat. Von diesem Orte an bis nach
+Ismaïlia hatte der Kanal eine Länge von 90 Kilometern, war an der
+Wasserlinie überall 14 Meter breit und hatte eine durchschnittliche
+Tiefe von 1,20 Meter. Es bestand eine regelmäßige Post, jedoch konnte
+man auch Extradahabien haben, welche von Maulthieren, die immer im
+schnellen Trabe oder Galop gehen, gezogen wurden. Der Verkehr war schon
+sehr belebt durch kleine Privatschiffe; so bezogen schon damals die
+indischen Schiffe und ganz Suez alle Kohlen mittelst des Kanals. Um die
+Fähigkeit zu haben, überall halten und aussteigen zu können, zogen wir
+eine Extradahabie vor, zumal die Posten sehr schmutzig und voller
+Ungeziefer waren. Jede Dahabie hat einen Vorraum und einen kleinen
+Salon, der für vier Personen geräumig ist, sogar ein kleines
+Ankleidezimmer und Accessoir fehlen nicht. Die unvermeidlichen
+Hausthiere mohamedanischer Länder, lästige kleine Insecten, fehlen aber
+auch in den Extradahabien nicht, was auch ganz natürlich ist, da der
+Reïs oder Capitain in Abwesenheit von Passagieren sich sicher nicht zum
+Schlafen auf das Dach der Dahabie, sondern aus die Sophas in derselben
+legt und seine beiden Leute sicher seinem Beispiel folgen. Man kann,
+falls man sich gar nicht aufhält, die Fahrt von Suez nach Ismaïlia in
+10-12 Stunden machen, indeß war es sehr gerathen, einige Stunden in
+Chalouf zu bleiben, um die dortigen Arbeiten zu besichtigen. Hier ist
+der einzige Ort, wo man auf felsiges Terrain, jedoch von lockerer
+Beschaffenheit, stieß. Tagtäglich fand man hier die schönsten
+Versteinerungen, Fische, Säugethiere und Pflanzen. Als wir den tiefen
+Graben besuchten, wurde gerade ein ausgezeichnet schöner Rückenwirbel
+eines Elephanten ausgegraben. Es herrschte in Chalouf ein reges Lebens,
+große Dampfpumpen waren fortwährend in Thätigkeit, um das eindringende
+Wasser, welches der nahe Süßwasserkanal durchsickern ließ,
+herauszuschaffen, während andere mächtige Maschinen die Erde selbst
+angriffen. Nur in Chalouf hatte man jetzt noch das Bild und Profil des
+Kanals, da die anderen Strecken zwischen Port-Said und Ismaïlia alle
+angefüllt waren. Aber gerade vor Thoresschluß den Kanal entstehen sehen
+die riesigen Arbeiten bewundern zu können, gerade das hatte einen
+besonderen Reiz. Wenn man jetzt nach Vollendung des Durchstiches über
+den Kanal dahinfährt, kann man sich kaum eine richtige Idee machen von
+den Schwierigkeiten, welche besiegt werden mußten.
+
+Nebenbei war hier eine ganze Stadt entstanden; es gab Kirchen, Moscheen,
+Wirtshäuser, Spitäler, Cafés u.s.w. Von hier nun wendet sich der
+Süßwasserkanal ab, um die Bitterseen, deren Bassin tiefer ist, als die
+Basis des Süßwasserkanals, zu vermeiden, und bei der großen Hitze, die
+im Sommer hier herrscht, zogen wir es vor, diesen Theil des Weges Nachts
+zu machen, wo wir dann am anderen Morgen früh in Serapeum eintrafen;
+dies liegt am Nordrande der Bitterseen. Vom Süßwassercanal führt eine
+Zweigbahn nach Serapeum. Auch hier konnte man die Arbeiten in ihrer
+ganzen Großartigkeit bewundern und auch hier hatte sich rasch ein Ort
+entwickelt, wie es übrigens das Zusammensein so großer Arbeitermassen
+von selbst mit sich bringt.
+
+Von Serapeum bis Ismaïlia sind nur noch 20 Kilometer und bald landete
+die Dahabie an dem schönen steinernen Kai; vorbeifahrende Wagen, die
+Menge der Schiffe (unter denen manche Dreimaster und stattliche
+Mittelmeerdampfer), Kirchthürme, Häuser und Hotels, wie man sie nur in
+den großen Seestädten findet, überraschen den Reisenden, so daß er
+glaubt in Europa zu sein.
+
+Ismaïlia ist eine Stadt von circa 8000 Einwohnern. Nach einem vollkommen
+regelmäßigen Plane gebaut, ist es weit hinaus im Halbkreise von einem
+Süßwasserkanale umgeben, welcher von üppigen Weiden bordirt ist. Man hat
+eine katholische und zwei griechische Kirchen, eine Moschee, zwei
+Hospitäler, von denen eins für die arabische Bevölkerung bestimmt ist.
+Es befinden sich hier die Gebäude der Directoren, welche an Pracht und
+Bequemlichkeit in nichts den Sommerwohnungen der Fürsten nachstehen.
+Die Straßen sind breit und vor allen Privathäusern breite Blumenbeete
+und Baumanlagen, was einen reizenden Anblick gewährt. Namentlich der
+Hauptcentralplatz ist eine allerliebste Anlage und obgleich erst seit
+zwei Jahren geschaffen, so üppig, als ob sie seit zehn Jahren bestände.
+In Ismaïlia ist das beste Hôtel das Hôtel des voyageurs; es giebt aber
+noch fünf oder sechs andere. Natürlich wo Franzosen sind, fehlen nicht
+die Cafés chantants und die Roulette; diese ist jetzt in Aegypten so
+verbreitet, wie in Californien und namentlich zur Zeit der
+Baumwollenperiode wurden oft in den schmutzigsten Winkelbuden Summen
+umgesetzt, um die sie die Banken von Homburg, Wiesbaden und Ems hätten
+beneiden können. Aber auch das deutsche Bier hat seinen Weg zum Kanal
+gefunden und in Ismaïlia wie in allen anderen Städten Aegyptens giebt es
+deutsche Bierbrauer, welche ihr Bier von Wien beziehen. Es hatte den
+Anschein, als ob Ismaïlia nach Vollendung des Kanals sein Aufblühen,
+welches es den Arbeiten hauptsächlich verdankt hatte, einbüßen würde,
+aber jetzt im Bereiche des Eisenbahnnetzes, wird die Stadt doch immer
+eine gewisse Wichtigkeit behalten, wenngleich es sich wohl nie zu einer
+bedeutenden Stadt hinaufschwingen wird.
+
+Der Timsahsee war jetzt vollkommen angefüllt, er ist südlich von der
+Stadt und circa einen halben Kilometer entfernt und hat eine Oberfläche
+von 60 Hectaren. Der Canal maritime geht an der östlichen Seite
+hindurch. Obgleich das auf dem Boden stark aufgehäufte Salz, welches
+sich beim Hereinlassen des Mittelmeerwassers natürlich auflöste,
+anfänglich keine Fische leben ließ, so ist doch durch die constante
+Erneuerung des Wassers, durch den Abfluß vom Süßwasserkanal her, der
+Salzgehalt so vermindert, daß eine Menge Fische jetzt darin leben,
+obgleich der Salzgehalt des Wassers noch bedeutend größer ist, als der
+des mittelländischen Meeres. Das Wasser ist übrigens hell, wie Krystall,
+und ladet Jeden zum Baden ein. Krocodile sind heute nicht mehr zu
+fürchten (behar el timssah heißt Krocodilsee) und eine gute Badeanstalt
+am Ufer des Sees sorgt für alle Bedürfnisse ihrer Clienten.
+
+Von Ismaïlia bis Port-Said benutzte man damals schon den Canal maritime
+der von Port-Said an gerechnet 75 Kilometer lang ist (die Länge des
+ganzen Kanals beträgt bis Suez 160 Kilometer). Es war hier schon
+tägliche Dampfverbindung und man legte die Fahrt gewöhnlich in acht
+Stunden zurück. Die Dampfer, kleine Boote, waren übrigens zweckmäßig
+eingerichtet und hatten eine erste und zweite Classe. Der Kanal hatte
+hier überall die planmäßige Breite, aber noch nicht die gehörige Tiefe
+zwischen diesen beiden Plätzen. Durch den Balahsee kam man zuerst nach
+El Guisr, einem Punkte, der Interesse erregte durch die Ausstellung der
+Maschinen des Herrn Couvreux. Diese Maschinen, Excavateurs genannt,
+griffen mittelst Dampf das trockene Erdreich an, sind also
+Trockenbaggerer; das Süßwasser wurde nach diesem Orte durch
+Dampfdruckmaschinen befördert. Nichts war eigenthümlicher als der
+Anblick der colossalen Dampfbaggerer und der Elevateurs, die man nun von
+hier an auf Schritt und Tritt bis Port-Said fand. Es gab Baggerer, die
+in _einem_ Tage bis 2000 Kubikmeter heraufholen konnten.
+
+Man passirt dann noch den Ort El Kántara (die Brücke) von circa 2000
+Einwohnern, schon früher wichtig als ein Halteplatz von Karavanen, die
+nach und von Syrien ziehen. In El Kántara ist eine Kirche, ein Spital
+und eine Moschee, dann die sehr sehenswerten Etablissements von Borrel
+und Lavaley, welche denen dieser Herren in Chalouf um nichts nachstehen;
+natürlich sind diese Werkstätten seitdem geschlossen worden.
+
+Der einzige Ort von Wichtigkeit ist nun nur noch El Aech (sprich Aisch),
+ein kleines Etablissement circa 15 Kilometer von Port-Said entfernt.
+Bald sah man nun schon die hohen Masten der Seefahrer und nach einer
+Weile fuhr unser kleiner Dampfer hindurch zwischen seinen großen
+Seebrüdern aus der Familie der Lloyd, der Messagerie impériale und
+anderer Gesellschaften, die wie Riesen auf einen Zwerg, so auch auf
+unsere kleine Dampfnußschale herabschauten.
+
+Port-Said ist eine vollkommen europäische Stadt und hat jetzt circa
+12,000 Einwohner, welche Bevölkerung außer aus Aegyptern hauptsächlich
+aus Oesterreichern (Dalmatinern), Franzosen, Italienern und Griechen
+besteht. Letztere, der Auswurf ihres Landes, machen indeß das Leben in
+Port-Said ebenso unsicher, wie in Suez und Alexandria. In allen diesen
+Städten konnte man zur Zeit des Kanalbaues täglich einen Mord rechnen;
+zum Glück für die übrigen Europäer, von denen sie wie die Pest gemieden
+werden, schlachteten sie sich meist unter einander selbst ab. Die Stadt
+hat einen ägyptischen Gouverneur und einen von der Regierung gepflegten
+Gesundheitsdienst, fast alle maritimen Staaten sind durch Consuln
+vertreten, Deutschland durch Herrn Bronn, welcher früher ebendaselbst
+schon Consul von Preußen war. Es giebt Kirchen für den katholischen und
+griechischen Cultus, eine Moschee für die Mohamedaner, Hospitäler und
+Klöster, in denen nichtsthuende griechische oder katholische Mönche auf
+Kosten der Bewohner Port-Saids ihre Bäuche mästen, eine Menge Hotels
+(von denen das Hôtel Pagnon das beste sein soll; wir selbst hatten
+unsere Wohnung auf Sr. Majestät Consulat). Cafés mit und ohne Musik,
+öffentliche Bäder, Clubs, kurz nichts fehlte, um Port-Said als eine
+kleine Großstadt bezeichnen zu können. Aber auch die Voraussicht, daß
+Port-Said eine bedeutende Concurrenz Alexandrien machen würde, hat sich
+nicht bewahrheitet. Jetzt nach einem Bestande des Canals von 5 Jahren
+können wir nur constatiren, daß dieser Hafen nicht die Entwicklung
+genommen hat, welche man seiner Lage zu Folge berechtigt zu sein
+glaubte, voraussetzen zu dürfen.
+
+Zum Theil ist der Hafen nicht sicher, trotz der enormen Molen, welche
+man construirt hat, zum Theil passiren die Schiffe, welche nach Indien
+gehen, rasch ohne sich hier aufzuhalten. Der eigentliche Hafen für
+Aegypten ist eben Alexandria geblieben. Wenn der jetzige Chedive, der ja
+so große Dinge schon geschaffen hat, eines Tages dazu schreiten würde,
+den in unmittelbarer Nähe gelegenen Mensaleh-See auszutrocknen, dann
+würde sich allerdings in der Entwicklung Port-Saids eine wesentliche
+Aenderung zu Gunsten der Stadt ergeben.
+
+Sehr sehenswerth war die Fabrikation der großen Steinblöcke zur
+Construction der beiden Hafenmolen. Wie schon erwähnt, waren es die
+Herren Dussaud Frères, welche diese Arbeit übernommen hatten. Jeder
+Block hat 10 Kubikmeter Gehalt und wiegt 40,000 Pfund. Das Verfahren,
+sie herzustellen, war so einfach wie möglich: Mittelst Sand, welcher aus
+dem Hafen gebaggert und mit der vorgeschriebenen Partie Süßwasser
+gemischt wurde, brachte man dieses Gemenge unter eine Zerreibemühle und
+that es dann mit Kalk und Cement in gewollter Menge zusammen. Wenn alles
+ordentlich durcheinander gemischt war, kam diese Masse in hölzerne
+Formen und mußte dann zwei Monate trocknen, nach welcher Zeit eine
+felsenartige Härte eintrat.
+
+Seitdem ist in der That der Kanal von Suez am 16. November 1869 eröffnet
+worden und alle die bösen Conjuncturen, welche man an die
+Lebensfähigkeit dieses gigantischen Unternehmens geknüpft hatte, haben
+sich als eitel Dunst erwiesen.
+
+Ein riesiges Unternehmen, wozu man fünf Jahre Studien, wie Stephan sagt,
+und elf Jahre Ausführung gebraucht hatte.
+
+Alle seefahrenden Nationen hatten sich bei dieser großartigen Feier
+durch ihre Flotten vertreten lassen und von Fürstlichkeiten waren der
+Kaiser von Oesterreich, der deutsche Kronprinz (damals noch Kronprinz
+von Preußen), die Kaiserin Eugenie und Prinz Heinrich der Niederlande
+erschienen. Alle waren Gäste des Chedive, aber nicht sie allein, sondern
+Tausend andere. Ja der Schreiber dieser Zeilen, welcher ebenfalls eine
+Einladung erhalten hatte, der er leider eingetretener Umstände halber
+nicht Folge geben konnte, weiß aus späterem Besuche in Aegypten, daß
+eine Menge _ungeladener_ Gäste flott sich unter die Geladenen drängte
+und auf Kosten des Chedive den Festlichkeiten anwohnte. Man berechnet
+die Zahl der damals anwesenden Fremden auf 30,000 Personen.
+
+Der dabei entwickelte Pomp, die Verschwendung, welche ostensibel zur
+Schau getragen wurde, sind unbeschreiblich; aber für den Orient, wo
+Alles auf Aeußerlichkeit berechnet ist, kann man sie kaum übertrieben
+nennen.
+
+Wenn nun auch der Kanal bei der Eröffnung vollständig planmäßig
+hergestellt war, so war doch im Mai 1871 erst die Ausbaggerung des
+Kanals soweit vollendet, daß er in seiner ganzen Länge eine mittlere
+Tiefe von 8,50 Meter hatte, so daß Schiffe mit 7 Meter Tiefgang
+ungehindert den Kanal passiren konnten.
+
+Im ersten Jahre hat man noch, eingeschlossen die Ausbaggerung des
+Außenhafens bei Port-Said, 563,060 Kubikmeter ausgeräumt, aber eine im
+December 1871 vorgenommene Sondirung in einer Entfernung von je 18,50
+Meter vorgenommen ergab überall die Tiefe als normal. Es bestätigte sich
+denn auch, daß der Kanal keineswegs so viel zu leiden hatte von den
+Sandwehen der Dünen oder vom Abschwemmen der Ufer durch den Wellenschlag
+vorbeifahrender Dampfer. Ebenso haben die in Port-Said errichteten Molen
+vollkommen gut dem schlechtesten Wetter getrotzt, denn einige Senkungen,
+welche man übrigens vorausgesehen hatte, haben auf die allgemeine
+Sicherheit keinen Einfluß gehabt.
+
+Die Leichtigkeit, mit welcher der Verkehr vor sich geht, hat überhaupt
+alle die bösartigen Voraussetzungen und Meinungen, die man anfangs mit
+der Lebensfähigkeit des Kanals in Verbindung brachte, zu nichte gemacht.
+
+
+
+Im Jahre 1870 passirten 486 Schiffe.
+ " " 1871 " 765 "
+ " " 1872 " 1082 "
+ " " 1873 " 1173 "
+ " " 1874 " 1264 "
+
+Seit der Einweihung haben bis Ende 1874 4770 Schiffe den Kanal passirt
+mit einem Gesammttonnengehalt von 8,050,338; davon waren circa vier
+Fünftel Dampfer und nur ein Fünftel Segler. Die Einnahmen betrugen vom
+Beginn der Eröffnung bis Ende 1874 78,317,352 Frs. Am besten wird das
+stete Wachsen der Einnahme veranschaulicht, wenn wir die des ersten
+Jahres mit 5,159,327 Frs. gegen die des Jahres 1874 mit 24,859,383 Frs.
+halten.
+
+Wir sehen aber, daß bei Weitem der größte Theil der Schiffe den
+Engländern gehört, ihr Land also in Wirklichkeit den größten Nutzen vom
+Durchstich der Landenge von Suez gehabt hat. Was würde Lord Palmerston,
+dieser eifrigste Gegner des Suezkanales, gesagt haben, hätte er ein
+solches Resultat noch erleben können.
+
+Die jährlichen Ausgaben des Kanals waren auf circa 5,000,000 Frs.
+veranschlagt, da aber im ersten Semester 1872 die Einnahmen sich schon
+auf mehr als eine gleiche Summe bezifferte und da der Transit
+fortwährend im Steigen begriffen ist, so kann man mit Zuversicht der
+Zukunft entgegensehen.
+
+Seit dem Juli 1872 hat die Umwandlung des officiellen Tonnengehaltes in
+die des sogenannten "gross tonnage" die Einnahmen um 40 bis 50%
+gesteigert.
+
+Längs des ganzen Kanals hatte man von Mitte 1871 Fluthmesser angebracht
+auf sechszehn verschiedenen Stationen. Von sechs Uhr Morgens bis sechs
+Uhr Abends wird viertelstündlich die Höhe des Wassers, die Schnelligkeit
+der Strömung des Wassers und die Windrichtung gemessen, so daß man jeden
+Augenblick am Tage die Fluthwelle von Port-Said bis Suez in Erfahrung
+bringen kann. Das aus dem rothen Meere kommende Wasser fließt gegen das
+Mittelmeer mit einer intermittirenden Geschwindigkeit, welches von der
+ungleichen Gezeitung beider Meere verursacht wird.
+
+Zu erwähnen ist noch, daß die Leuchtthürme von Port-Said und Suez ebenso
+wie die, welche längs des Kanals aufgestellt sind, von electrischem
+Lichte erleuchtet werden, der von Port-Said durch magneto-electrische
+Maschinen, welche durch Dampf in Thätigkeit gesetzt werden.
+
+Trotz des großen Aufschwungs, den der Kanal genommen hat, knüpfen sich
+an seine Existenz nicht unwichtige Fragen, welche bei einer eventuellen
+Unabhängigkeitserklärung Aegyptens zum Austrag kommen dürften.
+Jedenfalls besitzen wir aber dermalen in der Verbindung der beiden Meere
+ein Werk so großartig, daß es bis jetzt durch kein anderes Unternehmen
+ähnlicher Art übertroffen worden ist.
+
+
+
+
+2. Bauten in Afrika.
+
+
+Wenn wir hier die Bauweise der in Afrika befindlichen Völker, soweit es
+dessen Norden und Centrum angeht, beschreiben wollen, so sehen wir
+selbstverständlich von den _antiken_ Baudenkmälern ab. Allein die
+Schilderung der Bauten, welche wir in Aegypten namhaft machen könnten,
+würde Bände, oder der, welche wir in den sogenannten Berberstaaten
+antreffen, seien es nun Reste der Libyer, Phönicier, Griechen, Römer und
+Christen der ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung, würde Folianten
+füllen, wenn Jemand sich der Mühe unterziehen wollte, ausschließlich
+diesen Gegenstand zu behandeln.
+
+Indem wir aber wiederum Aegypten außer unserem Bereiche lassen, so weit
+es die _neuen_ Bauten jetzt lebender Generationen anbetrifft, so glauben
+wir damit vollkommen im Rechte zu sein; denn die Paläste, die Moscheen,
+welche von den jetzigen Herrschern des Landes der Pharaonen errichtet
+worden sind, wurden nicht von den Aegyptern selbst erbaut. Ausländische
+Architekten leiteten die Construction, und nur die roheste Arbeit wurde
+von den Eingeborenen selbst verrichtet.
+
+Anders ist es in den Berberstaaten. Obschon auch hier der
+christlich-europäische Einfluß sich nicht leugnen läßt, namentlich bei
+den Baulichkeiten von Tripolitanien, Tunesien und Algerien, so finden
+wir hier doch noch mehr einheimisches Wesen und Form. Fast ganz rein von
+europäischen Einflüssen hat sich die Bauweise in Marokko gestaltet,
+obschon die monumentalen Gebäude fast alle aus der Periode her datiren,
+wo dieses Reich mit Spanien eng verknüpft war.
+
+Die colossalen Bauten von Fes, die Djemma-el-Karuin, die
+Djemma-Mulei-Dris, die Paläste des Kaisers, drei an der Zahl, das
+umfangreiche Schloß des Sultans in Mikenes, die Djemma-el-Fanal in
+Marokko selbst, das Lustschloß des Kaisers ebendaselbst, stammen alle
+aus der Periode des westlichen Khalifats.
+
+Im heutigen Nordafrika können wir die Bauten der Bewohner der Städte,
+die Dörfer des sogenannten Tel- oder Atlasgebietes, die Burgen der
+Bewohner am Südwestabhange des Atlas und die Bauten der Oasenbewohner
+unterscheiden. Ferner haben wir Zelte, Hütten und Höhlen der Bewohner
+Nordafrika's in Betracht zu ziehen.
+
+Was nun bei den Häusern der Städte (ich nehme hier Fes, die Hauptstadt
+des Kaiserreichs Marokko, als Vorbild) am meisten auffällt, ist, daß das
+Aeußere vollkommen schmucklos ist, und daß mit Ausnahme einer niedrigen
+Thür nirgends die Einförmigkeit einer weiß überkalkten Mauer durch
+Fenster oder sonstige Oeffnungen unterbrochen wird. Wie bei den alten
+römischen Wohnhäusern gruppirt sich Alles um einen Hof, der meistens
+rechtwinklig und viereckig ist. Im Hofe selbst befindet sich fast immer
+eine Cisterne, die das Regenwasser des ganzen Jahres ansammelt, und da,
+wo es möglich ist, in Fes z.B., eine Fontaine mit sprudelndem oder immer
+fließendem Wasser. Der Hof selbst ist bei den Vornehmen mit
+Marmorplatten oder mit Kieselchen mosaikartig belegt. Aus diesen nun, zu
+dem man von der Straße stets durch einen gewundenen Eingang hineinkommt
+(damit man nicht von derselben aus direct in's Innere des Hauses sehen
+kann), öffnen sich die Zimmer. Dieselben sind äußerst lang, und nur
+ausnahmsweise haben sie eine Breite von mehr als zwölf Fuß. Meist sind
+die Zimmer sehr hoch, mindestens immer zwanzig Fuß. Wenn ein Wohnzimmer
+z.B. vierzig Fuß lang wäre und fünfundzwanzig Fuß Höhe hätte, so würden
+marokkanische Architekten diesem Zimmer höchstens acht Fuß Breite geben.
+Eine große gewölbte Thür, meist in der Mitte angebracht, führt hinein;
+dicht neben der Thür, rechts und links, befinden sich zwei kleine
+Fenster mit eisernen Gittern, ohne Glas.
+
+Meist sind parterre mehrere solcher Zimmer um den Hof herum, und findet
+sich ein zweiter Stock, so ist die obere Anordnung eine ähnliche. Es
+läuft sodann um den Hof eine Säulenhalle herum, zu welcher man oft
+mittelst einer im Bau befindlichen steinernen, oft mittelst einer
+hölzernen Treppe hinaufkommt. Man liebt es, im Innern der Zimmer in die
+Wände nischenartige Vertiefungen zu machen, welche oft, mit hölzernen
+Thüren versehen, als kleine Schränke dienen. Der Fußboden ist meist mit
+Fliesen ausgelegt, welche in Fes gearbeitet werden, oft auch mit kleinen
+Fliesstückchen, viereckig, dreieckig, sternartig von Form, und von den
+verschiedensten Farben. Mit diesen legt man dann die buntesten Muster
+zusammen große Sterne in der Mitte oder der sogenannte Ring des Salomon
+bilden immer Hauptfiguren. Diese kleinen Flieschen, von denen ein
+einzelnes nicht größer als 1--1-1/2 Zoll ist, sind glänzend glasirt,
+heißen "Slädj" und werden ebenfalls in Fes fabricirt. Der Gesammtanblick
+einer solchen Art ausgelegten Fußbodens ist reizend.
+
+Die Wände im Zimmer sind vollkommen weiß, manchmal jedoch mittelst Gyps
+in quadratische Felder abgeheilt. Bei den Reichen läuft oben,
+anscheinend um das Gebälk zu unterstützen, ein Kranzgesimse herum, oft
+auch eine breite Borte, welche Koransprüche enthält. Da in Marokko,
+ausgenommen bei jenen kleinen "Kubbas", welche als Grabstätten für
+Heilige oder Fürsten dienen, nirgends das _Gewölbe_ angewendet wird, so
+sehen wir die Decke der Paläste und Wohnungen _nur_ aus Holz gearbeitet.
+Oft wird, um eine solche Decke auszuschmücken, die größte Sorgfalt
+entwickelt, nicht nur in Holzschnitzerei, sondern auch in der Auslegung
+von Holz, man macht also eine Art "Parquetirung". Dünne, aber äußerst
+dicht neben einander liegende Balken bilden das Gerippe, darüber liegen
+Bretter, das Ganze wird dann inwendig teppichartig ausgeschnitzt und oft
+mit farbigen Holzstückchen ausgelegt; manchmal enthalten auch die Decken
+zwischen ihrem Teppichmuster großbuchstabige Sprüche. Diese Art, auf
+eine bunte und gefällige Weise die Plafonds zu schmücken, hat sich
+vollkommen gut in Marokko erhalten. Statt die vielen Balken, welche den
+Plafond stützen, offen zu zeigen, sind diese auch wohl mit Brettern
+beschlagen, welche dann ähnlich geschmückt werden.
+
+Thüren, Fenster und Nischen zeigen alle jenen bekannten Hufeisenbogen,
+den die Araber erfunden haben sollen. Sehr oft sind die Bogen selbst auf
+die phantastischste Art wieder ausgewölbt und ausgezackt, so daß in
+einer Bogenhälfte manchmal bis zehn kleinere Bogen vorkommen. Auch die
+Aufstellung von zwei, drei und vier Säulen, dicht bei einander, findet
+man heute in Marokko noch in Anwendung. Als ich einen längeren
+Aufenthalt in Uesan beim Hadj Abd-es-Salam, dem Großscherif, hatte,
+zeigte ich ihm eines Tages eine Abbildung des Löwenhofes der Alhambra
+aus Sedillot's Historie des Arabes. Hadj Abd-es-Salam annectirte das
+Buch der Abbildungen wegen (und es ist heute noch in seinem Besitze) und
+verreiste dann auf längere Zeit. Als ich zurückkam, hatte er allerdings
+nicht einen Löwenhof, aber in seinem Garten eine reizende Veranda
+errichten lassen: ein längliches Viereck mit nach vorn geöffneter Seite.
+Die "kannelirten Bogen" wurden von Doppelsäulen getragen, der Fußboden
+war aus buntem "Slädj" zusammengesetzt zu einem allerliebsten Muster,
+und der Plafond von Holz schillerte von blauen und goldenen Feldern.
+
+Die Paläste des Sultans, der Großen und Reichen haben ganz ähnliche
+Anordnung, nur daß ihre Wohnungen statt eines Hofes oft drei, vier oder
+mehrere Höfe haben und alle Räumlichkeiten bedeutend größer sind.
+
+Was die Moscheen anbetrifft, so finden sich im ganzen westlichen Afrika
+(nicht blos in Marokko, welches als eigentliches Westland bei den
+Marokkanern den Namen "Rharb-djoani" hat) gar keine, die irgendwie
+christliche Reminiscenzen aufkommen ließen. Denn die in Algier
+befindliche Moschee, die später als christliche Kathedrale eingerichtet
+wurde, und welche vom letzten Dei kurz vor der Eroberung Algeriens
+erbaut worden war, zeigt in ihrer ganzen Anlage allerdings den Styl
+einer christlichen Kirche, ist aber auch von christlichen Sclaven und
+Renegaten erbaut worden. Fast durchweg zeigen die marokkonischen
+Moscheen, sowie die der übrigen Berberstaaten einen großen Hof, der
+manchmal von einer Säulenhalle umgeben ist. Nach Osten zu vermehren sich
+die Säulenhallen zu verschiedenen Schiffen. So zeigt die Karuin in Fes
+so viele Säulen, daß die ganze Moschee 360 haben soll. Die Säulen
+selbst, die auf einer einfachen Basis ruhen, sind ohne Schmuck, und auch
+das Capital zeigt große Einfachheit. Die hufeisenförmigen Bogen gehen
+von Säule zu Säule, so daß, wo mehrere Schiffe sind, immer vier Bogen an
+einer Säule entspringen. Fast in allen Moscheen kann man, wie überall
+bei arabischen Bauten, die größten Unregelmäßigkeiten beobachten, und
+die Abwesenheit von Harmonie und Verhältnis tritt überall zu Tage. Es
+ist als ob z.B. die Höhe der Säulen eine überaus gleiche sein müßte, so
+daß man die Säulen für eine Veranda von zwanzig Fuß Breite eben so hoch
+macht wie die, welche das Dach einer Moschee stützen, welche vielleicht
+einen Flächenraum von zweihundert Fuß Geviert hat.
+
+Die Wände in den Moscheen, welche letztere im Rharb "Djemma" genannt
+werden, sind von außen in der Regel ohne Schmuck, einförmig und
+fensterlos wie die übrigen Bauten. Im Innern ist dieselbe Anordnung zu
+bemerken wie in den Wohnungen. Die Gebetsnische, "Kybla" genannt, wird
+auch heute oft noch durch ein prächtiges Stalactit-Gewölbe überdeckt;
+auch diese Kunst hat sich in Marokko erhalten. Diese Stalactit-Gewölbe,
+wie man sie genannt hat, sind indeß weiter nichts wie einfache
+Auswölbungen; der Stalactitenschmuck ist von Gyps. In der eigentlichen
+Sculptur haben die Araber überhaupt nie etwas geleistet, da ihnen Bilder
+aus Stein zu meißeln verboten ist. Ihre ganze Kunstfertigkeit beschränkt
+sich daher auf Stuccoarbeit, und hier ließen sie ihren mathematischen
+Formen die Zügel schießen. So findet man denn in Gyps gearbeitet die
+wunderbarste Art sich kreuzender Linien.
+
+Wenn der Reisende im Hofe der großen Djemma el Karuin zwei prachtvolle
+Marmorfontainen bewundert und dann vielleicht sich selber sagen möchte,
+hier haben doch die Araber in Steinarbeit etwas geleistet; so wird seine
+Meinung von den Eingeborenen in Fes selbst gleich corrigirt werden:
+"Diese Fontainen sind von 'Oeludj', d.h. christlichen Sclaven,
+gearbeitet."
+
+Der "Mimber" oder die Treppe, welche in keiner Moschee fehlt, von der
+das "Kotba", d.h. das Freitagsgebet, gelesen wird, ist fast immer aus
+Holz. Hier bemerken wir ebendasselbe, was wir schon bei den
+Mauerarbeiten zu beobachten Gelegenheit hatten. Ebenso wenig, wie die
+Araber gelernt haben, aus Stein heraus zu arbeiten, ebenso wenig treffen
+wir bei ihnen jene kunstvollen Holzschnitzereien, welche _Körper_ haben.
+Die Gebetstreppen sind daher, was die Form anbetrifft, alle roh und
+primitiv; aber manchmal ist die Oberfläche des Holzes ausgravirt, und
+wir finden dann dieselben oder ähnliche Linienbilder, welche, wenn sie
+mit _krummen_ Linien Bezeichnet sind, "Arabesken" genannt werden, wie
+wir dieselben an den Wänden der Mauern in Stucco kennen gelernt haben.
+
+Man kann also keineswegs sagen, daß die Araber Afrika's zurückgegangen
+sind. Aber so wie man in Sevilla und Granada zur Zeit der Almoraviden
+und Almohaden, zur Zeit der größten Glanzperiode der sogenannten
+"maurischen Architektur", baute, so baut man noch heute. Man hat
+keineswegs verlernt, _ebenso_ zu bauen, aber _Fortschritt_ in der
+Architektur ist nirgends zu finden. Man versteht es vollkommen, jene
+ogivischen Bogen, jene Porzellanmosaiken, jene Stickereien auf Gyps und
+Holz darzustellen, wie zur Zeit der "Abd-er-Rhaman"; wenn man aber
+Stillstand in Kunst und Wissenschaft als _Rückschritt_ bezeichnen kann,
+dann haben die Araber entschieden Rückschritte gemacht. So haben sie
+denn auch keineswegs gelernt, ihren Bauten irgendwie Solidität zu geben.
+Was _heute_ gebaut ist, verfällt _morgen_. Wären die Alhambra und die
+Giralda nicht in Spanien, wären sie der Sorglosigkeit einer
+mohammedanischen Zeit ausgesetzt, was würde von diesen Monumenten
+arabischer Architektur heute noch erhalten sein? Und wie lange stehen
+diese Bauten? Wie lange stehen sie im Verhältniß zu den Bauüberresten,
+die uns Aegypten, Griechenland und Rom überlassen haben, und die,
+trotzdem Jahrtausende verstrichen und Zeit und Menschen das Ihrige
+thaten, Alles zu vernichten, manchmal in ihren _einzelnen_ Theilen sich
+so erhalten haben, als ob sie von gestern wären.
+
+Die Unsolidität der arabischen Bauten kennzeichnet sich denn nicht nur
+in der äußeren Architektur, sondern auch in der Benutzung des Materials
+bei den Hauptmauern und Pfeilern. In keinem einzigen Gebäude der
+Berberstaaten finden wir behauene Steine aus Sandstein oder Marmor,
+sondern immer nur gebrannte Thonsteine angewandt. Meist aber sind die
+großen Mauern, namentlich die von monumentalen Bauten, aus zwischen
+Planken schichtweise gepreßten Steinen, Cement und Kalk errichtet. Diese
+Mauern halten sich aber nur dann einigermaßen gegen den Zahn der Zeit,
+wenn die äußere Bekleidung vollkommen gut und immer wie neu unterhalten
+wird; sonst ist binnen Kurzem die Baute dem Ruin ausgesetzt.
+
+Daher liegen denn auch die Bauten, welche von Yussuf ben Taschfin und
+Mohammed ben Abd-Allah herrühren, heut in Trümmern, und selbst die,
+welche vom letzten oder vorletzten Kaiser errichtet sind, von Mulei
+Abd-er-Rhaman-ben-Hischam und Mulei Sliman sind halbe Ruinen. Und ist es
+selbst in Aegypten anders, wo doch der europäische Geist heute Alles
+durchdringen soll? Hörte man nicht oft genug den verstorbenen
+_Diebitsch_ klagen, daß wenn das letzte Ende an einem Palaste fertig
+sei, der Anfang desselben zu verfallen beginne?!
+
+Von den städtischen Bauten bleiben uns nur noch die Befestigungsmauern
+derselben und die kleinen Dome zu erwähnen. Erstere sind durchweg aus
+gepreßten Mauern errichtet und hinlänglich stark, um alter Artillerie
+einige Stunden Widerstand leisten zu können. Auf denselben führt ein Weg
+herum, der nach Außen durch eine mannshohe krenelirte Mauer aus
+Backstein geschützt ist. Man bemerkt nirgends irgend einen Plan,
+nirgends fortifikatorischen Sinn, um die Befestigungen irgendwie dem
+Terrain anzupassen; nur die Ausdehnung der Stadt selbst giebt das Maß
+der äußeren Schutzmauer ab. Unterbrochen und flankirt werden diese
+Umfestigungsmauern durch viereckige oder runde Thürme, deren Hälfte
+außerhalb der Mauern hervorspringt; sie sind in der Regel halb mal höher
+und dienen hauptsächlich dazu, die Kanonen aufzunehmen. Oft noch durch
+Gräben beschützt, bieten auch diese kein ernstliches Hinderniß.
+Bastionirte Mauern, Außenwerke, mögen es nun Fleschen, Lünetten oder
+gekrönte Bastionen sein, kennt man in den Berberstaaten nicht, und wenn
+auch die Hauptstadt Fes zwei bedeutende Außenwerke besitzt, so sind
+diese nicht von den Arabern errichtet, sondern von Renegaten (Oeludj)
+unter der Regierung des Sultan Sliman, Großvaters des jetzt regierenden.
+Was die erwähnten kleinen Dome anbetrifft, so dienen sie, wie schon
+angeführt, zu Grabstätten und sind die einzigen Gebäude[1], bei denen
+der Araber sich in Gewölben versucht hat. Meist ist die Grundform
+viereckig, aber _nie rund_. Die Kuppel hingegen oder das Dach ist fast
+immer _rund_, häufig achteckig. Bei der Ausschmückung der Wände und des
+Fußbodens wird derselbe Plan innegehalten wie oben bei den übrigen
+Baulichkeiten auseinandergesetzt wurde. Die Wölbung ist meist durch
+eingeschobene Holzquerbalken unterstützt. Das Material besteht entweder
+aus gebrannten Ziegeln oder unbehauenen Feldsteinen. Man findet diese
+Kubba in den Städten und überall auf dem Lande zerstreut; in den Städten
+bilden sie häufig gleichsam eine Art von Nebenkapelle, die an eine große
+Moschee angebaut ist.
+
+Von den Wohnungen der Landleute nördlich vom Atlas läßt sich nur wenig
+sagen. Dieselben bestehen, ob sie nun von Berbern oder Arabern (und es
+giebt in den Berberstaaten mehr seßhafte Araber, als gewöhnlich
+angenommen wird) herrühren, immer nur aus einem Zimmer, das hausartig
+gebaut ist; oft sind sie aus gestampften Massen, oft auch aus
+Feldsteinen aufgebaut. Auf 20 Fuß Länge sind sie circa 8 Fuß breit und 8
+Fuß hoch und von einem circa 6 Fuß hohen Strohdache bedeckt. Im Innern
+ist der Fußboden gestampfter Lehm; der Plafond besteht aus Rohr, welches
+manchmal auf Aloë-Balken, manchmal auf anderen Holzästen, die einen
+weniger geraden Wuchs haben, ruht.
+
+Sehr häufig sind die Wände der Mauern auswendig und inwendig gekalkt,
+sonst aber ganz ohne Schmuck, mit einer niedrigen, circa 4 Fuß hohen
+Thür, manchmal mit ogivischem Bogen, manchmal viereckig. Fenster und
+Rauchfänge sind nicht vorhanden. Eine Familie hat in der Regel zwei oder
+drei solcher Häuser, die, durch Mauern verbunden, einen viereckigen Hof
+einschließen, der zugleich Nachts für das Vieh dient.
+
+Ganz anderer Art sind die Wohnungen der Bewohner südlich vom großen
+Atlas, der Bewohner des Sus- und Nun-Districts. Der fortwährend
+unsichere Zustand jener Gegend hat es nothwendig gemacht, daß dort
+Jedermann darauf bedacht sein mußte, sich Schutz gegen seinen Nachbar zu
+suchen. So findet man hier denn auch keineswegs kleine oder große
+Dörfer, sondern Burgen. Ein solches Schloß--man kann sie wegen ihres
+stattlichen Aussehens in der That so nennen--ist oft so groß, daß es
+mehrere Familien beherbergt; es giebt feste Burgen, die einen
+Quadratraum von 500 Fuß einnehmen. Diese Bauten sind circa 50 Fuß hoch,
+von außen von starken, oft 5 bis 6 Fuß breiten Steinmauern (die Steine
+sind entweder unregelmäßig gebrochene oder wie man sie gerade gefunden
+hat) aufgeführt und oben krenelirt. Ein Thor, zuweilen mit einer
+Fallthür versehen, und immer so eingerichtet, daß aus zwei Seitenzimmern
+der Eingang durch Scharten beschossen werden kann, führt in einen großen
+geräumigen Hof. Dieser, sowie die unteren Gemächer, dienen für's Vieh.
+In den oberen Räumen hält sich die Bewohnerschaft auf. Zu diesem
+Stockwerk führt eine aufziehbare Leiter, und das flache Dach, mit
+gestampfter, auf Balken ruhender Erde gedeckt, dient zu gleicher Zeit
+zur äußeren Verteidigung. Eine Cisterne im Innern vervollständigt das
+Ganze. Kellerräume sind aber ebensowenig bekannt wie nördlich vom Atlas.
+
+Als eigenthümlich der Gebirgslandschaft nördlich vom Sus erwähne ich
+noch die vielen öffentlichen Cisternen modernen Ursprungs. Man findet
+sie überall und namentlich längs der Wege. Sie sind ähnlicher Art wie
+die römischen, was die Form anbetrifft, aber weniger solid und weniger
+_großartig_ gebaut. In der Regel 20 bis 25 Fuß lang auf 8 bis 10 Fuß
+Breite, sind sie 10 bis 12 Fuß tief und erheben sich blos mit dem
+_gewölbten_ Dache aus dem Erdboden heraus. Aus ungehauenen Steinen
+errichtet, ist das Innere cementirt, und durch ein Loch des Gewölbes
+wird das Wasser herausgeschöpft; gespeist werden die Cisternen durch
+Rinnsale.
+
+Es ist hier nicht der Ort, die Wohnungen der nomadisirenden Völker
+Nordafrika's zu beschreiben; aber auch diese haben mannigfache Formen
+und Verschiedenheiten. Das aristokratische Zelt der Uled Sidi Schich,
+immer auf der Spitze mit drei Bündeln Straußfedern geschmückt,
+unterscheidet sich von dem ärmlichen Zelte der meisten östlichen Triben,
+wie das große Haus mit mehreren Höfen der Hauptstadt sich von der
+einfachen Wohnung des Djerdjuragebirges unterscheidet. Aber nicht
+unerwähnt können wir die Höhlenwohnungen der Bewohner des
+Ghoriangebirges lassen. Meist sind diese Höhlen in Lehmboden
+hineingearbeitet, und sind einfache Aushöhlungen, in der Regel von
+kreisrunder Form. Man bemerkt gewöhnlich eine Vorkammer und ein
+hinteres, größeres Gemach; der Plafond ist wie gewölbt. Oben hinaus
+befindet sich meist eine Oeffnung zum Abzuge des Rauches. _Richardson_
+will im Ghoriangebirge auch Wohnungen in Felshöhlen gesehen haben; es
+ist übrigens fraglich, ob diese modernen Ursprungs sind. Es ist
+wahrscheinlich, daß dies antike libysche Höhlen sind, wie man deren
+namentlich in Cyrenaica noch viele antrifft.
+
+Betrachten wir nun, nachdem wir einen Ueberblick der Bauten des
+nördlichen Afrika's gewonnen haben, die Wohnungen der Völkerschaften der
+Sahara.
+
+Mit Ausnahme der zum Theil nomadisirenden Tuareg sind alle Bewohner der
+Sahara seßhaft; denn die Araber, welche in die große Wüste
+hineingegangen sind, haben alsbald das Zelt gegen das Haus vertauscht.
+
+Im Grunde kommen bei den Bauten der Oasenbewohner denn auch dieselben
+Bauregeln und Pläne beim Einrichten ihrer Moscheen und Wohnungen in
+Anwendung, wie bei ihren nördlichen Brüdern. Bei der wohlhabenden Classe
+befindet sich in ihrer Wohnung meist ein Aufzimmer, d.h. ein
+Fremdenzimmer, auf das platte Dach des Hauptgebäudes hin errichtet. Wie
+immer hat dieses einen Hof, bei den Reichen auch mehrere, und auf den
+Hof öffnen sich die langen und schmalen Zimmer. In manchen Oasen sind
+die Gebäude krenelirt, aber mehr zum Schmucke als zur Vertheidigung.
+
+Wenn aber schon bei den Arabern im Norden auf dem Tel wenig behauene
+Steine in Anwendung kommen, so finden wir in der Wüste als Material nur
+gestampfte Erdmasse oder an der Sonne getrocknete Thonziegel. Alles
+Gebälk und Holzwerk besteht aus dem Holze der Dattelpalme. Man wird
+leicht einsehen, daß mit so geringem Material nichts Besonderes in der
+Architektur geleistet werden kann.
+
+Dennoch finden wir in den westlichen Oasen der Sahara Manches, was auf
+innigen Contact mit Marokko hinweist. Es sind die Grabdenkmale von
+Sidi-Hammed-ben Nasser in Tamagrut, Hauptstadt der Oase Draa, dann das
+prächtige Grabmal Mulei-Ali-Scherif's bei Abuam, Hauptstadt von Tafilet,
+inwendig auf's Reichste mit "Slädj" ausgeschmückt. Ja, man hat sich
+sogar nicht gescheut, für das Dachwerk (die Grabmäler sind nicht
+gewölbt) Holz vom Atlas kommen zu lassen, und die das spitze Dach
+bildenden Balken und Bretter sind hübsch mit arabeskenartigem
+Schnitzwerk und Malerei versehen.
+
+Im Uebrigen sind die Moscheen oder Djemmen in den Oasen nach denselben
+Grundsätzen gebaut; bei den meisten fehlt jedoch ein eigentlicher Thurm
+oder Minaret. Ersetzt werden die Minarets durch thurmähnliche, zwei
+Stockwerke hohe Anbauten, welche nach oben an Umfang abnehmen. Bei sehr
+vielen Gebäuden der Vornehmen in den Ortschaften der Oasen finden wir
+ebenfalls jene thurmartigen Anbauten, die zuweilen auch als Wartthürme
+dienen.
+
+Besonders zu erwähnen sind in der Sahara an den großen Straßen noch die
+einfachen Bezeichnungen einer Moschee durch Steine. Man deutet
+gewissermaßen nur den Grundriß einer Djemma durch Steine an. Sie werden
+jedoch von jeder vorübergehenden Karawane zum Gebet benutzt, und auch
+hier zeigt die Ausbuchtung oder Kibla die Gebetsrichtung an.
+
+Die Wohnung der Großen und um so mehr die der ärmeren Bevölkerung der
+westlichen Oasen sind alle einstöckig. Die der ersteren sind oft
+kastellartig gebaut und befinden sich dann außerhalb der Ortschaften, so
+die Wohnungen der marokkanischen Prinzen in Tafilet, der Schechs in
+Tuat, der Häuptlinge der Tuareg in Rhat und Air. Architektonische
+Verzierungen sind hier fast gar nicht mehr zu finden, nur findet man die
+ogivische Thür noch überall vorherrschend. Besonders um sich gegen die
+Hitze zu sichern, findet man die Erdwände der Häuser sehr dick und das
+Palmbalkendach durch eine enorm hohe Erdschicht überdeckt. Die Thüren
+sind überall so niedrig, daß man nur tief gebückt hineintreten kann.
+Aber so vergänglich sind diese Bauten, daß ein ausnahmsweise
+eintretender Regen oft ganze Ortschaften im wahren Sinne des Worten
+hinwegschmilzt.
+
+In den meisten Oasen sind die Städte und Dörfer befestigt; einige
+größere haben sogar Thürme an die meist 20 Fuß hohe Mauer angebracht.
+Die Mauern, oft aus gestampftem Erdboden, oft aus Feldstein, durch Thon
+zusammengehalten, erbaut, sind meist krenelirt. Die Thore, welche
+hindurchführen, sind nie gewölbt, meist einthürig und nur so breit, daß
+ein beladenes Kameel hindurch gehen kann.
+
+Ist der ganze Tel wie übersäet mit jenen kleinen Domgrabmälern, so
+lassen sich die der großen Sahara, welche an Ausdehnung so groß wie
+Australien ist, zählen. Die Grabmonumente sind der einfachsten Art; ein
+Haufen Steine, manchmal am Kopfende durch einen besonders großen
+angezeichnet, das ist die letzte Grabstätte der Wüstenbewohner.
+
+Vor allen anderen Oasen zeichnen sich jedoch in der Bauweise zwei aus,
+die Oasen von Siuah und Rhadames, und wenn nicht schon die
+übereinstimmende Aussage der Bewohner dieser Ortschaften ihren
+verwandtschaftlichen Ursprung bezeugte, wenn nicht dies schon bewiesen
+wäre durch ihre selbe Sprache, welche, obschon beide Oerter durch einen
+Raum getrennt sind, der durchaus Wüste ist und in gerader Linie
+wenigstens so viel beträgt, wie von Paris bis Königsberg, so würde die
+innige Verwandtschaft, welche sich in der Bauweise beider Oerter
+kundgiebt, gleich auf gemeinsamen Ursprung hinweisen.
+
+Was besonders die Bauart beider Oerter auszeichnet, sind die Höhe der
+Wohnungen und die bedeckten Straßen, welche mehr unterirdischen Gängen
+gleichen, als offenen Wegen. In Rhadames sowohl wie in der heutigen
+Hauptstadt des alten Ammonium, in Siuah, sind die meisten Häuser drei
+Stock, ja in Siuah viele fünf Stockwerke hoch. Während aber im reichen
+Rhadames sowohl im Innern der Häuser als im Aeußern sich ein gewisser
+Luxus kund giebt, alle geweißt ist, und die Mauern meist aus, wenn auch
+unbehauenen, Steinen gebaut sind, so macht man in Siuah die Wohnungen
+nur aus Lehm, und trotzdem die architektonischen Vorbilder der Aegypter
+und Griechen noch heute vor Augen stehen, sind sie höchst mangelhaft
+gebaut. Die Wohnungen der Rhadamser und Siuahner unterscheiden sich auch
+noch dadurch von den übrigen Wohnhäusern in der Sahara, daß sie keinen,
+oder selten doch nur einen sehr kleinen Hof im Innern haben: Alles ist
+in Zimmer und kleine Gemächer getheilt. Oben mit platten Dächern
+versehen, bilden diese Dächer in Rhadamas zugleich die _Straßen_ für die
+Frauen. Obschon durch Brustwehr von einander getrennt, werden diese von
+den Frauen überklettert, und ihr _Verkehr_ findet nur über den Köpfen
+der Männer statt. In Rhadames herrscht Hufeisenform bei der Thürbildung,
+in Siuah eine viereckige Form vor.
+
+Natürlich nicht zum Nomadisiren eingerichtet, verdienen die Palmenhütten
+der Beni Mohammed in Draa und Tafilet und einzelner Familien in Audjila
+und Fesan noch Erwähnung; sie sind vollkommen kunstlos aus Palmenzweigen
+errichtet, bald mit plattem, bald mit spitz zulaufendem Dache versehen,
+und auch dieses Dach ist aus Palmenzweigen gefertigt. In Fesan und
+Audjila sind die Seitenmauern dieser Hütten, welche manchmal viereckig,
+manchmal rund sind, zuweilen aus Stein oder Thon, und die Thüren immer
+so niedrig, das man hindurch _kriechen_ muß.
+
+Vortheilhaft, was Reinlichkeit und symmetrische Anordnung betrifft,
+zeichnen sich die Wohnungen der Tebu aus. In Kauar sind sie kreisrund;
+die Seitenwände sind aus Stein brusthoch ausgeführt und dann überdeckt
+mit Palmenreisern, Stroh und Matten. Dr. _Nachtigal_ sagt von den
+Bewohnern Tibesti's: "Alle ihre Wohnungen so kunstlos, und einfach sie
+sind, zeichnen sich durch die größte Nettigkeit und Sauberkeit vor denen
+ihrer arabischen und fesanischen Nachbarn vortheilhaft aus. Vor der
+Hütte haben sie nicht selten einen gehärteten Erd- oder Lehmplatz, der
+frisch mit Sand bestreut wird, und die hervorragenden Männer eine Art
+offener Halle, ebenfalls aus Palmenzweigen geflochten, vor ihrer
+Wohnung, in der sie Besuche empfangen."
+
+Es bleibt uns nur noch übrig, die bewegliche Wohnung der nomadisirenden
+Bevölkerung der Sahara zu beschreiben, das Zelt der Tuareg. Der Araber
+ist eigenthümlicher Weise in der großen Sahara nie heimisch geworden.
+Ist er ja dahin gedrungen, so hat er sich seßhaft gemacht. So haben die
+Mehammedin in Draa und Tafilet das Zelt gegen die Palmenhütten
+vertauscht. Die einzelnen Familien aber, die wir in Fesan, Rhat und
+anderen südlichen Oasen finden, haben Häuser. Nur die nach Kanem
+vertriebenen Uled Sliman haben bis jetzt das Zelt bewahrt, aber es ist
+kaum zu bezweifeln, daß auch sie über kurz oder lang das bewegliche Haus
+mit dem festen vertauschen werden, wie die Schoa und
+Uled-Raschid-Araber, die noch weiter im Innern Afrika's sich eine neue
+Heimat mitten zwischen den Negern gründeten.
+
+Das Zelt der Tuareg ist sehr einfacher Art. Im Allgemeinen der
+länglichen Form der Araberzelte entsprechend, sind die Tuaregzelte
+bedeutend kleiner und niedriger. Kaum sechs Personen haben in ihrem
+Tuaregzelte Platz. In einem Araberzelte wird das Dach immer durch zwei,
+im Tuaregzelte durch eine Zeltstange unterstützt. Der Stoff besteht bei
+jenen aus grobem Haar und wollenen Zeugen, bei diesen aus gegerbtem
+Leder. Nach Duveyrier sind die Lederzelte oft roth gefärbt und gut
+genäht.
+
+In Centralafrika angekommen, bemerken wir vorweg, daß wir _nirgends_
+Wohnungen nicht seßhafter Völker haben; denn die früher nomadisirenden
+Pullo haben mit der Erreichung ihrer größten Ausdehnbarkeit sich jetzt
+überall dauernde Wohnungen gebaut. Die Stämme aber, die vom Nomadenvolke
+par exellence, dem arabischen, abstammen und bis nach Centralafrika
+vorgedrungen sind--ich nenne davon nur die Schua-Araber westlich und
+südwestlich vom Tschad--selbst diese haben längst ihr Zelt, diese
+luftige Behausung der Jäger- und Hirten-Völker, aufgegeben und sich nach
+Art der Neger in soliden Bauten seßhaft gemacht.
+
+Man kann bei den Negern Centralafrika's hauptsächlich drei Arten von
+Wohnungen unterscheiden: große aus Thon oder Luftziegeln erbaute Häuser,
+welche offenbar unter arabisch-berberischem Einfluß entstanden sind,
+verschiedene Hüttenwohnungen runder Form, entweder aus Strohmatten oder
+aus Thon oder Luftziegeln errichtet, und endlich große Häuser mit
+Giebeldächern, vielleicht durch europäischen Einfluß von der Küste aus
+nach Afrika verpflanzt.
+
+In allen uns bekannten Ländern Centralafrika's, Bornu, Bagermi, Socoto,
+Gando, Uadai, Adamaua, Bautschi und anderen, sind die Wohnungen der
+Fürsten, der Großen des Reichs, der vornehmen Kaufleute, die Moscheen
+und Bethäuser aus soliden Mauern mit flachen Dächern errichtet. Es
+scheint sogar, daß man einzeln, obschon nie mit behauenen Steinen, so
+doch an manchen Orten mit _gebrannten_ Ziegeln gebaut habe. So will
+_Barth_ in Massenña (III. S. 346) Gebäude aus _wirklich gebrannten_
+Backsteinen beobachtet haben und er erwähnt bei der Gelegenheit: "auch
+die alte Birni (Hauptstadt) von Bornu soll aus Backsteinen gebaut
+gewesen sein."
+
+Was uns anbetrifft, so haben wir jedoch _nirgends_ im "schwarzen Afrika"
+gebrannte Steine in Anwendung gesehen, nur Luftziegel und aus
+Thonziegeln und aus Thon aufgelegte oder gepreßte Mauern. Zu den großen
+Gebäuden der Fürsten, fast ohne Ausnahme ein Stock hoch, sind trotzdem
+verhältnißmäßig dicke Mauern genommen, um das starke, mit Thon überlegte
+Dachgebälk tragen zu können. Von außen sieht eine solche Burg meist
+einförmig aus, da oft nur Eine Thür Unterbrechung in die schlichte Wand
+bringt. Sehr oft ist übrigens die Brüstung des flachen Daches auf
+phantastische Art geziert. Das Innere einer solchen Fürstenwohnung
+enthält große Zimmer und Hofräume.
+
+Erstere erhalten Licht durch die Thüren und manchmal durch große
+viereckige Oeffnungen, die sich in den Wänden befinden, welche nach den
+Höfen zu gerichtet sind; oft sind die Gemächer vollkommen dunkel. Wenn
+die Räume sehr groß sind, so wird die Spannung der Deckbalken durch
+kolossale Thonpfeiler gestützt. In einigen Hauptstädten sehen wir sogar
+Bogen, hufeisenförmig gewölbt, die Decke unterstützen; wie die Pfeiler
+sind dieselben aus gehärtetem Thon. So finden wir bei _Barth's_ (II.
+124) Beschreibung des Palastes von _Kano_: "Die Gemächer sind nicht sehr
+dunkel, das Hauptgemach ist aber sehr schön, ja großartig zu nennen. Der
+ganze Charakter desselben machte um so mehr Eindruck, da die Tragbalken
+nicht zu sehen waren, während zwei große Kreuzbogen, aus demselben
+Material wie die Wände, überaus sauber geglättet und reich verziert, das
+Ganze zu tragen schienen. In der hinteren Wand waren zwei geräumige
+Nischen, in deren einer der Fürst Platz zu nehmen pflegt."
+
+In derselben großartigen Weise sind in centralafrikanischen Ländern die
+Wohnungen der Fürsten eingerichtet, die sich dem Islam in die Arme
+geworfen haben; der Einfluß der Träger der Religion ist unverkennbar.
+
+In diesen dem Islam zum Theil huldigenden Staaten sind die Moscheen
+ähnlich wie die in den nordafrikanischen Staaten erbaut, nur noch aus
+bedeutend schlechterem Material; denn wenn gebrannte Steine in Bornu,
+Bagermi, Uadai, Adamaua, Kano, Gando und noch anderen Negerkönigreichen
+nicht im Gebrauche sind, so hat man auch keinen Kalk, oder wenigstens
+versteht man ihn nicht zu brennen und zu bereiten, das heißt zu löschen.
+Im großen Königreich Bornu kommen Kalkgesteine überdies nicht vor oder
+wären nur von den angrenzenden Ländern unter den größten Mühseligkeiten
+zu beziehen. Aus den zahlreichen Conchylien des Tschad-See's und der
+Flüsse aber verstehen die Neger keinen Kalk zu brennen. So bleibt ihnen
+denn weiter nichts Anderes übrig, als die Luftziegel durch Thon zu
+verbinden oder aus Thon und Sand zusammengepreßt die Hauswände zu
+bilden.
+
+Man findet häufig die Wände der Moscheen und die Wohnungen der Großen
+wie geweißt; es rührt dies nicht von einer Verkalkung oder Vergypsung
+her, sondern ist einfach ein Ueberstrich von einem sehr weißen und
+feinen Thon. Dieser ist so fett und fein, daß er gar keine
+Sandpartikelchen enthält; ganz in der Nähe von Kuka findet man im
+Nordwesten der Stadt mächtige Lager davon einige Fuß tief unter dem
+schwarzen Humus.
+
+Architektonisch zeichnen sich die Moscheen keineswegs aus. Etwa 20 Fuß
+hohe, aus Thon aufgeführte Mauern umgeben einen offenen Hofraum; nach
+der nach Mekka gerichteten Seite sind durch plumpe, vier- oder
+achteckige Erdpfeiler gebildete Bogengänge, meist in zwei oder drei
+Reihen, vorhanden, die dann ein oder zwei Schiffe, wenn man diese so
+nennen will, bilden. Nach dieser Seite zu befinden sich auch die Kibla
+und das Mimber. Irgend eine Ecke einer solchen Moschee bildet eine
+thurmartige Erhöhung, und dient als Minaret oder Sma.
+
+Hier wollen wir denn auch der Befestigungen erwähnen, wie sie in den
+meisten centralafrikanischen Städten üblich sind.
+
+Im Vergleich zu dem schlechten Mauerwerk der heutigen Araber- und
+Berberstädte in Nordafrika und in Anbetracht, daß in Centralafrika
+nirgends beim Kriegführen Feuerwaffen großen Kalibers gebraucht werden,
+sind dieselben sehr gut zu nennen. Die Befestigungen der
+Negerortschaften sind derart angelegt, daß man sieht, dieselben sind
+ganz ihren Verhältnissen und ihren Umständen angemessen, für dortige
+eventuell sich ereignende Fälle geschaffen.
+
+Meist sind die Lehm- oder Thonmauern nach außen zu fast steil oder doch
+nur sehr wenig geböscht abfallend, circa 20 bis 30 Fuß hoch und fast
+immer mit einem tiefen, jedoch nicht sehr breiten Graben nach außen
+umgeben. Kuka z.B. hat eine Mauer aus hartem Thon, die circa 25 Fuß hoch
+ist und nach außen zu fast senkrecht in einen 12 Fuß tiefen Graben
+abfällt. Nach innen jedoch verbreitert sie sich dachartig durch Stufen
+nach unten, derart, daß oben die äußerste Kante, welche zugleich als
+Brustwehr dient, circa 4 Fuß hoch und nur circa 2 Fuß breit ist, während
+die Basis der ganzen Umfassungsmauer ebenso breit wie hoch ist. Die
+Thore durch solche Erdmauern oder Erdwälle sind manchmal überdacht,
+manchmal offen; immer aber ist unten die Thür enger als oben und vor
+Erdnachsturz durch Gebälkauskleidung geschützt. In den Städten großer
+Reiche sind die Gräben ordentlich überbrückt mittelst soliden
+Balkenwerks, so daß die schwersten Lastthiere hinüber passiren können.
+Nicht so ist es bei den kleineren Städten auf der Grenze des Islam und
+des Heidenthums.
+
+Südlich von Keffi-abd-es-Senga begegnete es mir mehrere Male, daß ich
+vom Besuche einer solchen schwer zugänglichen Stadt abstehen mußte.
+Ueber den allerdings nicht sehr breiten, aber tiefen Graben führte zum
+Thore der Stadt nur _Ein einziger schwankender Palmstamm_. Meine noch
+dazu mit großen Elfenbeinzähnen beladenen Begleiter gingen sicher und
+festen Schrittes hinüber; vom Schwindel ergriffen, wollte ich indeß
+solch ein Seiltänzerkunststück nicht wagen und blieb zurück. Ja, selbst
+als eines Tages schon alle Diener hinüber waren, und nach einem
+anstrengenden Marsch ein lukullisches Negermahl winkte, konnte ich es
+doch nicht über mich bringen, über einen so schwankenden Stamm dahin zu
+schreiten. Ich versuchte hinüber zu klettern, fand aber bald, daß die
+Neger mich auslachten, und ich verzichtete auf diese Art, ihre Stadt zu
+besuchen, da ich zu sehr in ihrer Achtung sinken würde. Auch widerstand
+ich dem Anerbieten, die Schultern eines der Neger zu besteigen; es blieb
+nichts Anderes übrig, als auf den Besuch der Stadt zu verzichten.
+
+Einzelne Städte haben außer dem Walle und dem äußeren Graben noch einen
+inneren und fügen Verhaue und Dornhecken hinzu, um dem Feinde das
+Annähern zu erschweren. So berichtet _Barth_ II. S. 211 von den Manga,
+daß sie außer der Erdmauer und dem Graben noch ein Dornverhack hatten,
+das sich 10 Fuß dick außerhalb herumzog; in Band II. S. 184 von
+Birmenaua, daß dies ein kleiner, aber stark befestigter Ort sei mit zwei
+Gräben, einem innerhalb, einem außerhalb der Mauer.
+
+Am unvollkommensten finden wir die Hütten da, wo der mohammedanische
+Glaube Eingang gefunden hat. So im ganzen Norden von Centralafrika. Eine
+Hütte in Kuka von runder, nach oben spitz zulaufender Form hat circa 12
+bis 15 Fuß an der Basis im Durchmesser. Das aus Holz oder Rohr
+ausgeführte Gerüst ist mit Stroh überdeckt; eine Thür, oft gewölbt, oft
+eckig, bildet den Eingang. Aber selbst hier, wo in der Stadt der Fürst
+und alle Großen, wie die reichen Kaufleute Thonwohnungen haben, bildet
+die Hütte die Nationalbehausung. Das Innere ist äußerst reinlich
+gehalten und enthält manchmal eine mannshohe Scheidewand aus Matten, um
+verschiedene Familienglieder von andern abzusondern. Wenigstens zwei,
+oft drei bis vier solcher Hütten bilden ein Haus, ein Gehöft.
+Umschlossen sind sie von einer thönernen Mauer, oderauch von
+übermannshohen Matten, welche durch in die Erde gerammte Stämme aufrecht
+gehalten werden.
+
+Am schönsten finden wir die Hütten da, wo sie vollkommen aus _eigenem_
+Bautriebe der Neger hervorgegangen sind, bei den Negern, die noch dem
+Heidenthum anhangen.
+
+So berichtet _Barth_ von den Marghi-Hütten (II. S. 463): "Die Hütten
+haben vor ihrer Thür Rohrschwellen, die manchmal umklappbar sind, und
+inwendig sind die Fußböden schon gepflastert;" oder II. S. 525 von
+Adamaua: "In Ssarau besteht eine Wohnung aus mehreren Hütten mit
+Lehmwänden und vortrefflich geflochtenem Rohrdach; diese Hütten sind
+durch Lehmwände mit einander verbunden, so daß das Ganze ein
+abgerundetes Dreieck bildet. Die eine Hütte bildet den Eingang, die
+anderen beiden sind für die Frauen. Die Eingangshütte hat eine 3-1/2 Fuß
+hohe und 16 Zoll breite _eiförmige_ Thür; es befindet sich hier ein
+Ruhebett, 7 Fuß lang und 5 Fuß breit und 3 Fuß über der Flur, außerdem
+eine Feuerstelle. Die hellbraunen Wände der Hütte sind mit allerdings
+nicht kunstvollen Gegenständen von weißer Farbe bemalt. Die beiden
+andere Hütten sind ähnlich, enthalten zwei Rohrbetten, wovon eins für
+die Frau durch eine Scheidewand von dem übrigen Raume der Hütte getrennt
+ist. Diese 5 Fuß hohe und 4 Zoll dicke Scheidewand ist ebenfalls braun
+und mit weißen Streifen geziert; oben ist sie durch abwechselnd
+schalenartige und pyramidale Aufsätze gekrönt, welche ebenfalls
+verschiedene Farbe haben. Die Thüren sind auch hier _eiförmig_ und noch
+kleiner, nur 2 Fuß hoch und 10 Zoll breit. Diese heimlichen Wohnungen
+übertreffen durch Harmonie der Farbentöne ihre Schwestern" u.s.w.
+
+Am vollkommsten fand _Barth_ den Hüttenbau wohl im Lande der Musgu. So
+berichtet er II. S. 158: "Jeder Hof hat drei bis sechs Hütten, sie sind
+aus Thon, und die Umschließungsmauer bei den Wohlhabenden aus demselben
+Material die der Aermeren aus Rohr und Holz. Die Dächer sind mit
+Sorgfalt gedeckt und weit besser als Strohdächer. _Die Musguhütten
+zeigen in der Form ihrer Giebelung selbst Spuren verschiedener Style,
+die vielleicht auf eine gewisse Stufenfolge im Leben zurückzuführen
+sind_."
+
+Ueberall findet man in diesen Gehöften, die nicht nur die Städte und
+Dörfer zusammensetzen, sondern da, wo die Sicherheit der Gegend es
+zuläßt, auch über die Landschaften vereinzelt anzutreffen sind, die dem
+Neger so unentbehrlichen Nebenbaulichkeiten. Wir erwähnen hier zuerst
+des Schattendaches, welches man in jeder Wohnung antrifft.
+
+Diese Schattendächer ruhen auf 4 oder 6 Pfählen, welche nur oben mit
+einem dicken Strohdache oder Mattenwerk bedeckt sind. Unter ihnen ist
+gewöhnlich ein Rohrbett und Platz genug, daß auch die Hausfrau ihre
+Arbeiten im Schatten verrichten kann. Dann findet man in jedem Hofraum
+große Thonbehälter, oft auf Steinen ruhend, zum Aufbewahren von Korn;
+manchmal sind sie sehr künstlich eingerichtet. _Barth_ sagt III. S. 158
+bei der Beschreibung eines Musgu-Hofes: "Jeder Hofraum hat einen 12 bis
+15 Fuß hohen Kornbehälter aus Thon und ein Schattendach. Die
+Kornbehälter haben ein gewölbtes, ebenfalls aus Thon bestehendes Dach
+mit einer aufspringenden Mündung, welche wieder von einem kleinen
+Strohdache geschützt wird." An einer andern Stelle sagt _Barth_: "Die
+Kornbehälter auf 2 Fuß Unterlagen haben eine Höhe von 15 Fuß und
+verjüngen sich nach oben. Sie haben nur eine Oeffnung am oberen Theile
+und sind ähnlich den ägyptischen Taubenhäusern." Außerdem findet man
+häufig Veranden vor den Hütten und überdachte Kochstellen.
+
+Die vollendetsten Hütten trifft man, wie schon gesagt, da, wo das
+Heidenthum herrscht. Eine Hütte hat in der Regel 15 Fuß Durchmesser, und
+die Thonwände, oft dick, oft nur 1/2 Fuß dünn, sind in der Regel 4 bis 5
+Fuß über der Erde. Das Dach ruht ganz frei auf dem runden Thonbau; in
+den meisten Gegenden wird es zu ebener Erde fertig gebaut und vollendet
+erst auf die Thonmauer gleichsam wie ein Deckel gelegt. Der Boden ist
+überall festgestampft und bildet manchmal einen aus kleinen Steinchen
+zusammengegossenen Mosaik.
+
+Im Innern der Hütte sind verschiedene Scheidewände und außer dem
+beweglichen Rohrbette befindet sich wenigstens ein festes Thonbett
+darin. In kalten Gegenden, z.B. auf dem Gora-Gebirge, beobachtete ich,
+daß die Thonbetten hohl und von _inwendig zu heizen_ waren. Die größte
+Sorgfalt wird immer auf die Eingangshütten verwendet; diese haben
+natürlich immer zwei Thüren. Eine Hütte des Sultans von Akun, den ich
+besuchte, zeigte sogar zwei Dächer, wovon das obere offenbar nur zum
+Schmuck angebracht ist. Manche Eingangshütten sind colossal groß, sowie
+die des Sultans von Keffi-abd-es-Senga; diese diente zugleich als
+Versammlungort seiner Gäste, war viereckig und hatte mit einem
+außerordentlich hohen Dache eine Veranda verbunden.
+
+Eine ähnlich große Empfangshalle traf Schweinfurth auf seiner Reise im
+östlichen Centralafrika. Die L.I. Zeitung Nr. 1542 vom Jahre 1873 giebt
+ein anschauliches Bild davon. Die große Festhalle, in der Schweinfurth
+empfangen wurde, war von vielen Hundert Menschen gefüllt. Es waren die
+achtzig Lieblingsweiber des Königs Munsa anwesend, eine Musikbande und
+alle seine Trabanten. Die Empfangshalle selbst hatte die Form unserer
+modernen großen Eisenbahnhallen.
+
+Die kunstlosen Hütten der Bassa-Neger auf den Inseln des Bénue verdienen
+hier insofern nur einer Erwähnung, als wir hier inmitten Afrika's auch
+auf "Pfahlbauten" stoßen.
+
+Einen Uebergang zu den, wie es scheint, von den Europäern von der Küste
+her eingeführten großen Giebelhäusern und den Hütten der Neger bilden
+die seltsamen Wohnungen der Kado-Neger in Segseg, die gewissermaßen aus
+Haus und Hütte zusammengesetzt sind. Zwei circa 25 Fuß von einander
+entfernte Hütten sind durch ein Haus oder einen Gang verbunden, und das
+Dach bildet mit den beiden Dächern der Hütte ein Ganzes. Nur die eine
+Hütte hat eine Thür, der Gang und die zweite Hütte haben nur runde
+Löcher, um dem Lichte Eingang zu verschaffen.
+
+Hier zu erwähnen sind auch noch jene kleinen Hütten für die Fetische.
+Manchmal sind dies nur auf Pfählen ruhende Strohdächer, unter welchen
+die Götter Schutz gegen die Sonne und den Regen finden, manchmal aber
+auch ordentlich eingerichtete Hütten. Aber jedesmal findet man sie in
+bedeutend verkleinertem Maßstabe. Eine Fetischhütte ist nie höher als 4
+bis 5 Fuß und hat an der Basis gewöhnlich 3 bis 4 Fuß Durchmesser. Oft
+steht ein Fetisch oder eine ganze Fetischfamilie nur auf einem
+Thonteller, der circa 1 Fuß hoch, nach oben sich verjüngt und circa 3
+bis 4 Fuß im Durchmesser hat. Außerdem hat jede Hütte in den Gegenden,
+wo Fetischismus betrieben wird, einen Fetisch in seiner Hütte, der oft
+aus Thon oder Holz geformt, oft aber nur ein Bild oder Relief an der
+Hüttenwand ist.
+
+Je mehr man sich dem Niger nähert, desto andere Bauformen finden wir
+gäng und gäbe. Freilich bleibt auch hier die runde Hütte noch immer die
+eigentliche Nationalbehausung der Neger; aber wir finden nun bei den
+Wohnungen der Fürsten, der Großen und Reichen keineswegs mehr große,
+nach arabischer Art mit plattem Dache versehene Häuser, sondern Gebäude,
+die nach Art der europäischen ein Giebeldach haben. In Imaha, in
+Ogbomoscho und Ibadan haben die Fürsten die großartigsten Giebelbauten,
+bei denen europäischer Einfluß wohl kaum zu leugnen ist.
+
+Die Fürstenwohnung in Illori ist der Art, daß sie ein längliches Viereck
+von 150 Fuß Länge auf 30 Fuß Breite bildet. Die Seitenmauern, circa 6
+Fuß hoch und 2 Zoll dick, aus gestampftem Thon errichtet, tragen ein
+unverhältnißmäßiges hohes Strohdach à cheval, dessen überstehende
+Seitenwände über die Mauern hinausreichen, so daß sie fast den Erdboden
+berühren. Der Raum, der hierdurch entsteht, giebt einen schattigen
+Ruheplatz für die zahlreichen Sclaven ab. Im Innern läuft längs der
+einen Wand ein Corridor, und von diesem aus kommt man mittelst niedriger
+Thüren in die verschiedenen Zimmer, von denen einige einen aparten
+Bodenabschluß haben, andere aber frei bis unter das Dach hinaufreichen.
+
+Höchst eigenthümlich fand Dr. Nachtigal die heidnischen Bewohner im
+südlichen Bagermi wohnen. Fortwährend den Ueberfällen der
+mohammedanischen Bevölkerung ausgesetzt, haben sie ihre Wohnungen gleich
+den Vögeln auf den Bäumen errichtet, und der gewaltige Baumwollenbaum
+(Bembax. cottontree) eignet sich vortrefflich dazu, derartige
+Behausungen zu empfangen: Der Baumwollenbaum gehört zu den Riesen der
+centralafrikanischen Vegetation. Ungefähr 50 Fuß hoch vom Boden, gehen
+von seinem colossalen Stamme starke horizontal verlaufende Aeste ab. Auf
+diese legen die Bagermi-Bewohner Balken und errichten darauf ihre
+Hütten; selbst der Viehstand wird in Zeiten der Gefahr mit nach oben
+gezogen. Mittelst einer aufziehbaren Strickleiter gelangen die
+Eigentümer hinauf. In der Nacht werden nach Nachtigal nie
+Feindseligkeiten unternommen, so daß während dieser Zeit die Inwohner
+eines solchen Baumdorfes ihre Vorräthe an Wasser und Lebensmitteln
+machen können. Und da in Bagermi der Gebrauch der Schießwaffe noch nicht
+eingeführt ist, so gewinnen die Besitzer in ihren hohen, luftigen Bauten
+eine ziemliche Sicherheit.
+
+Je mehr man sich der Küste nähert, desto mehr schwindet die Hütte, und
+wenn in den Ortschaften des Konggebirges oder an den Abhängen desselben
+auch die Häuser der privaten nicht alle jene großen kasernenartigen
+Dimensionen haben, so läßt sich doch in der Anlage der europäische
+Einfluß auf den ersten Blick heraussehen. Gebrannte und behauene Steine
+findet man erst, wenn man die Küstenstädte Afrika's selbst, mithin das
+europäische Element erreicht hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 1: Allerdings sind in Marokko in den sogenannten "maurischen
+Bädern" auch gewölbte Kuppeln, aber diese Gewölbe sind entweder durch
+horizontal eingeschobene Balken gebildet und getragen, oder durch
+Uebertragung horizontal gelegter Steine gebildet, ähnlich wie man es in
+den gewölbten Kammern der griechischen Thesauren beobachtet.]
+
+
+
+
+3. Lagos an der Westküste von Afrika.
+
+
+Keine Stadt an der Westküste von Afrika, vom Cap Spartel an gerechnet,
+bis zum Cap der guten Hoffnung, hat in den letzten Jahren einen so
+raschen Aufschwung genommen wie Lagos. Unter dem 6° 26' nördlicher
+Breite und dem 3° 22' östlicher L. v. Gr. gelegen (nach anderen 6° 28'
+n. Br. und 3° 26' östl. L. v. Gr.), war Lagos bis zum Jahre 1851
+portugiesische Schutzstadt und Hauptexportstadt für den Sclavenhandel.
+In diesem Jahre vertrieb ein eingeborener Fürst, Namens Kosoko, den
+rechtmäßigen König Akitoye, weil dieser auf Betrieb Englands den
+Sclavenhandel unterdrückt hatte. Kosoko wurde von den Engländern wieder
+verjagt und der rechtmäßige König wieder eingesetzt. Aber trotzdem
+florirte die Negerausfuhr fort, die um so schwieriger hier zu überwachen
+und zu verhindern war, als der Küstenstrich wegen Lagunenbildung
+zahlreiche Verstecke und Schlupfwinkel bietet, wohin sich die
+Sclavenhändler bei drohender Gefahr zurückziehen konnten.
+
+Am 6. August 1861 erschien deshalb das englische Kriegsschiff
+Prometheus, Com. Bedingfeld; Lagos wurde genommen und zur englischen
+Colonie erklärt. Zum Scheine ließ man jedoch den Sohn Akitoye's, Docemo,
+als König bestehen, er behielt jedoch nur den Titel.
+
+Von den Eingeborenen Eko, auch Oni genannt, erhielt Lagos seinen Namen
+von den Portugiesen. Es liegt auf einer halbmondförmigen Insel, hat im
+Süden das Meer, im Norden die die Insel vom Festland trennende Lagune,
+und ist von den übrigen schmalen Küstenstrichen oder Inseln, welche im
+Osten und Westen sich fortziehen, durch enge Meeresarme getrennt. Das
+Festland ist circa 15 engl. Meilen entfernt. Von den schmalen
+Landstreifen, welche ursprünglich Festland gewesen sind, und die
+manchmal 3, manchmal bis 10 englische Meilen breit sind, gehört ein
+60-70 englische Meilen langes Stück jetzt den Engländern. Alle diese
+Streifen sind mit dichtester Vegetation bedeckt, meistens mit
+Mangroven-Buschwerk bestanden, das von schlanken Cocosnußpalmen überragt
+wird, während gleich am Festlande jene undurchdringlichen Urwälder
+beginnen, in denen die Oelpalme und der Baumwollenbaum die
+hervorragendste Rolle spielen.
+
+Hält man sich für kurze Zeit in diesem von der Natur so verschwenderisch
+ausgestatteten Lande auf, so sollte man glauben, es sei hier ein ewiges
+Paradies was das Klima anbetrifft: man glaubt in einer ewig
+frühlingsmäßigen Natur zu leben. Balsamische Düfte durchziehen die Luft,
+der tiefblaue Himmel, das saftige Grün der üppigen Pflanzenwelt, in der
+Ferne das tiefblaue wogende Meer, lassen den Gedanken nicht aufkommen,
+daß jeder Athemzug dem Körper giftige Substanzen zuführt; und doch ist
+dem so, wie die große Sterblichkeit der Eingeborenen sowohl wie die der
+Europäer ergiebt. Eben die lagunenartige Gegend, die Ausdünstungen der
+See, die vermodernden Pflanzentheile der nahen Sümpfe, die Vermischung
+von Salz- und Süßwasser nehmen alle Theil an jenen Krankheiten, die den
+Menschen so gefährlich sind, und meist rasch und tödtlich verlaufen.
+
+Die mittlere Temperatur von Lagos ist unbekannt, dürfte aber zwischen
+20° und 22°[2] sein. Der niedrigste beobachtete Thermometerstand war 15°
+C., der höchste 35°. Barometrische Aufzeichnungen von Lagos liegen gar
+nicht vor. Als hygrometrische Beobachtungen wurden mir 0,2 und 25°
+genannt, indeß nicht dabei gesagt, mit welchem Instrument und nach
+welchem Systeme dieselben gefunden worden sind. Die fallende Wassermenge
+wird wohl der von Gabun gleichkommen, wo man in einem Jahr 250" Regen
+beobachtet hat. Die nasse Jahreszeit währt von April und Mai bis August
+und September und in dieser Zeit sind fast täglich die heftigsten
+Tornados (Gewitterregen) bei herrschendem Ostwinde. Im November,
+December, Januar und Februar ist fast nie Regen beobachtet worden. Der
+herrschende Wind der trockenen Jahreszeit ist West und Nordwest. In
+dieser Periode herrscht Nachts vollkommene Windstille; erst gegen 9 Uhr
+Morgens springt der Wind auf, um bis nach Sonnenuntergang als starke
+Brise zu blasen. Im Januar wird hauptsächlich der Harmattan beobachtet,
+vom Innern her wehend, und von welchem die dort lebenden Europäer noch
+immer glauben, daß es Nebel sei, während es nichts Anderes ist, als ein
+zerflossener Rauch jener großen innerafrikanischen Wald- und Grasbrände,
+die sich manchmal über Strecken verbreiten, die Tausende von
+Quadratmeilen einnehmen. Zu dieser Zeit ist der Gesundheitszustand am
+besten, namentlich auf äußere Hautkrankheiten übt der Harmattan einen
+überaus wohlthätigen Einfluß aus.
+
+Hauptsächlich dort beobachtete Krankheiten sind, was auf die Europäer
+sich bezieht, Malaria und bösartige Wechselfieber, Dyssenterien und
+Leberkrankheiten. Cholera und gelbes Fieber sind in Lagos nie
+aufgetreten. Es ist übrigens wohl in Betracht zu ziehen, daß die meisten
+Europäer durch ihr eignes unmäßiges Leben sich derartige Krankheiten
+zuziehen. Während das weiche, erschlaffende Leben eine mäßige
+Lebensweise, namentlich Enthaltsamkeit von trockenen Weinen und
+Liqueuren, empfiehlt, findet man hier, wie fast überall in den Colonien,
+vorzugsweise spanische Weine, Sparkling Hock[3] und Brandy im Gebrauch,
+und die schwelgerischen Tafeln, die dort stets dem Magen vorgestellt
+werden, rufen denn nur zu rasch jene Krankeiten hervor, denen die
+Europäer zum Opfer fallen, auf dem Sterbebette noch das mörderische
+Klima verfluchend. Bei den Negern beobachtet man außerdem noch den
+Guineawurm, Elephantiasis, Pocken, Lepra, Krakra (eine widerliche
+Krankheit) und Yaws, eine Art von böser Frambösie.
+
+Die Bevölkerung der Schwarzen besteht aus Eingeborenen und dorthin
+eingewanderten und transportirten Negern. Erstere gehören alle zu den
+Stämmen der großen Yoruba-Familie. Ohne so schön und hell zu sein wie
+die Pullo, sind die Yoruba keineswegs vollkommen schwarz, sondern haben
+mehr bräunliche Hautfarbe. Sie haben sanfte, nicht stark prononcirte
+Gesichtszüge, und werden von den dortigen Europäern für die besten und
+gutmütigsten aller Neger gehalten. Als die Portugiesen zuerst nach Lagos
+kamen, fanden sie die Eingeborenen sehr geschickt in Verfertigung von
+Matten und Strohflechtereien, die sie auch noch so zart und fein zu
+flechten wissen, daß man daraus Kleidungsstücke machen könnte, und die
+zum Theil auch von den Eingeborenen in früheren Zeiten als solche
+benutzt wurden. Baumwollenweberei, Färberei, Ledergerberei, vorzügliche
+Holzschnitzerei, Töpferkunst und die Verarbeitung edler und unedler
+Metalle waren den Eingeborenen von Lagos bekannt, als die Europäer
+dorthin kamen. Man kann ihre Zahl auf 35-40,000 schätzen. Haussa-Neger
+bilden das zweite Element, sie sind durch etwa 1000 Individuen
+vertreten. Die übrigen endlich sind Acra-, Fanti- und Kru-Neger, etwa
+2000 Seelen stark, und einzelne von verschiedenen anderen Horden. Alle
+diese sind ursprünglich freie, in Lagos von jeher seßhafte Neger, dann
+aus dem Innern und von der Küste als Freie Eingewanderte, oder aber
+ursprünglich gewesene Sclaven und deren Nachkommen und zum Theil aus dem
+britischen Westindien, von Sierra Leone, Gambien, Liberien, Brasilien
+oder Cuba zurücktransportirte, gekaperte ehemalige Sclaven. Allein die
+von Sierra Leone gekommenen Neger schätzt man auf 4000 Seelen.
+
+Was die Europäer anbetrifft, so ist deren Zahl durchschnittlich gegen
+100, von denen etwa 60 Engländer, 20 Deutsche und Franzosen sind, und
+die übrigen aus Spaniern, Portugiesen und Italienern bestehen.
+
+Der Cultus der Eingeborenen, die noch nicht zum Christenthume
+übergetreten sind, ist Fetischdienst. Vornehmlich werden Bäume
+fetischirt, aber auch Thiere, z.B. Hunde, stehen in Verehrung. Die
+Anbetung von kleinen, aus Holz und Thon gearbeiteten Götzenbildern ist
+sehr allgemein; Herr Philippi aus Potsdam, der sich 13 Jahre in Lagos
+aufhielt, besitzt eine ganze Sammlung jener kleinen interessanten
+Gottheiten. Außer den allgemein heilig gehaltenen Thieren hat dann noch
+jeder Neger sein Privatheiligthier, von dem er dann natürlich auch nicht
+essen darf, während die Uebrigen, wenn diese Thiere zu den genießbaren
+zählen, davon essen. So durfte der Häuptling Tappa, eine persönliche
+Bekanntschaft von mir, keine Hühner essen, Docemo, der König, keine
+weißen Tauben. Jeder hat so seine speciellen Göttchen, die gewissermaßen
+als Heiligen den betreffenden Individuen dienen und in den Wohnungen den
+Ehrenplatz einnehmen. Im Ganzen mögen gegen 25000 Heiden in Lagos sein.
+Für die Umwandlung in Christen thut die englische Regierung officiell
+seit einigen Jahren nichts mehr, legt aber auch den Missionären,
+einerlei, von welcher Kirche sie abgeschickt worden sind, keine
+Hindernisse in den Weg.
+
+Als Nichtchristen zählen zunächst die Mohammedaner; ihnen gehören
+besonders alle Haussa-Neger an, aber auch viele Yoruba. Der Islam hat
+sich quer durch Afrika seinen Weg gebahnt, er wird um so mehr von den
+Negern angenommen, als die moralischen Vorschriften besser mit den
+alten hergebrachten Leben harmoniren, überdies die den Mohammedanismus
+predigenden Lehrer gleich Sitten und Gebräuche der Schwarzen selbst
+annehmen, und nur die Formen und äußeren Gebräuche ihres Glaubens
+verlangen. Außerdem predigt der Islam Hochmuth. "Sobald ihr Gläubige
+seid, steht ihr über Christen und Juden, ihr gehört dann zum
+ausgewählten Volke, ihr seid dann gut =par exellence=." Eine solche
+Lehre gefällt den unmündigen Negern. Es gefällt ihnen das weit besser,
+als: "Ihr könnt das Himmelreich nur durch Buße und Glauben gewinnen,
+Sünder bleibt ihr aber immer; seid demüthig, verachtet den Reichtum &c."
+Zudem ist der christliche Missionär in unseren Tagen nicht im Stande,
+auf das Niveau der Eingeborenen hinabzusteigen, während er ebenso wenig
+vermag, diesen zu sich heraufzuziehen, das heißt ihm die äußeren
+Annehmlichkeiten des Lebens zu bieten, unter denen er selbst seine
+Existenz hat. Wie kann ein armer Neger sich denken, daß die Lehre
+richtig sei, wo man ihm Verachtung des Reichthums, Mäßigung, Demuth und
+Buße predigt, und er dies von solchen Männern hört, die gut bekleidet
+sind, die schöne Häuser haben, Möbel besitzen, wie er sich sie nie
+anschaffen kann, und über Geld in Hülle und Fülle (nach den Anschauungen
+der Neger) gebieten? Denn wenn auch nach europäischen Begriffen die
+Missionäre nicht allzuglänzend und reich ausgestattet sind, so sind sie
+es doch den Eingeborenen gegenüber. Ganz anders tritt der Mohammedaner
+auf: er hat nicht mehr als der Neger, er verdient seinen Lebensunterhalt
+durch seine Arbeit, durch Handel; der Eingeborene sieht, wenn der
+mohammedanische Lehrer zu Wohlstand kommt, woher und wie derselbe
+gewonnen ist. Kein mohammedanischer Apostel hat irgendwie Gehalt, er
+bekehrt, um einen neuen Gläubigen zu gewinnen, ganz aus eigenem
+Antriebe, ohne von einer Gesellschaft ermächtigt zu sein. Er glaubt auch
+nicht einmal, daß dies für ihn selbst ein großes Werk sei, er meint
+dadurch nur die Seele des Bekehrten gerettet zu haben, welche nun würdig
+ist, mit ihm nach dem irdischen Tode die verheißenen Freuden des
+Paradieses zu theilen.
+
+Die Zahl der Mohammedaner wird auf 4000 geschätzt, und scheint dieselbe
+noch fortwährend zuzunehmen.
+
+Was die Christen anbetrifft, so haben wir verschiedene
+Glaubensrichtungen in Lagos vertreten, und dies Nichteinheitliche der
+Lehre Jesu trägt gewiß dazu bei, bei Ausbreitung des Glaubens die
+Eingeborenen stutzig zu machen.
+
+Von den Protestanten finden wir die englische _high church_ durch die
+_church missionary society_ vertreten, etwa 1000 Seelen; die Wesleyaner
+etwa 700 Seelen, und amerikanische Baptisten etwa 30 Seelen. Die
+römisch-katholische Kirche ist hauptsächlich durch 3-400 sogenannte
+_emancipados_ (ehemalige Sclaven) aus Brasilien und Cuba repräsentirt.
+Die deutschen Protestanten halten sich zur Hochkirche. Im ganzen beläuft
+sich die Zahl der Christen in Lagos auf 3500. Für die Protestanten
+besteht ein Seminar mit einem weißen und einem schwarzen Lehrer und etwa
+20 Zöglingen; ein Mädcheninstitut unter einem weißen Lehrer und einer
+weißen und einer schwarzen Lehrerin mit etwa 20 Schülerinnen; vier
+gemischte Volksschulen mit 8 Lehrern und 430 Schülern; drei kleine
+Kinderschulen mit 5 Lehrerinnen und 320 Schülern. Die Wesleyaner haben
+außerdem eine Schule mit 3 Lehrern und 170 Schülern. Ueber die Schulen
+der römisch-katholischen Mission liegen keine numerischen Nachrichten
+vor.
+
+Die Mohammedaner sorgen für die Bildung ihrer Gläubigen durch Gebete in
+der Hauptmoschee, sie haben 12 bis 16 kleinere Betplätze, die zum Theil
+Medressen (Schulen) sind, in denen jedoch weiter nichts gelehrt wird,
+als mechanisch Koransprüche herzusagen. Fast mit Sicherheit kann man
+behaupten, daß die Lehrer selbst den Sinn der Sprüche und Gebete nicht
+verstehen. Nach den Begriffen der modernen Apostel des Islam ist das
+auch nicht nöthig, da Gott selbst Arabisch versteht, also wohl weiß, was
+die Gläubigen beten.
+
+Die Regierung besteht derzeit aus einem Gouverneur (von der
+Kriegsflotte), einem Colonialsecretär, einem Oberrichter (_high
+justice_), einem Ingenieur, einem Colonialarzt, einem Schatzmeister und
+zwei Polizei-Inspectoren mit 45 Constablern. Das Geschwornengericht ist
+aus Weißen und Schwarzen zusammengesetzt. Als Garnison steht in Lagos
+eine Compagnie westindischer schwarzer Soldaten, und in letzterer Zeit
+sind darunter als Ergänzung vorzugsweise Haussa-Leute aufgenommen
+worden. Außerdem steht der Regierung ein Kanonenboot I.M. der Königin zu
+Gebote. In Lagos residiren ein norddeutsches, ein französisches und ein
+italienisches Consulat.
+
+Während Lagos früher krumme, winkelige Straßen hatte, an beiden Seiten
+von Negerhütten besäumt, wird jetzt der Ort durch sehr breite, gerade
+Straßen durchzogen, die Nachts beleuchtet sind. Man unterscheidet vier
+Hauptstadttheile, Okofagi, Ologbowa, Offi und Egga. In letzterem
+befindet sich der Palast von König Docemo, der aussieht wie eine große
+Bude. Das Haus, welches der Gouverneur bewohnt, ganz aus Eisen errichtet
+und fertig von England gebracht, befindet sich, wie die meisten
+Wohnungen der Europäer, auf der der See zugekehrten Seite der Insel.
+Gleich daneben liegt die prachtvolle ehemalige O'Swaldische Factorei,
+die seit einigen Jahren in die Hände eines anderen Hamburger Hauses
+übergegangen ist.
+
+An öffentlichen Gebäuden erwähnen wir noch das Colonial-Secretariat, das
+neue, aus Backstein errichtete Rathhaus, in dem zugleich der Gerichtshof
+ist, eine Caserne mit Spitaleinrichtung, ein Colonial-Hospital mit 20
+Betten, das jedoch viel zu wünschen übrig läßt, ein Zollhaus mit Krahn,
+endlich 10 Kirchen für Protestanten und eine im Bau begriffene für
+Katholiken.
+
+Die Häuser der Europäer sind zweckmäßig und meist aus gebrannten Ziegeln
+aufgeführt und fast alle von kleinen Gärten umgeben. Cocospalmen,
+Brodfruchtbäume und Mangos gewähren Schatten; an wohlschmeckenden
+Früchten sind die Ananas von Lagos als ganz vorzüglich
+hervorzuheben.--Die Stadt hat außerdem mehrere kleine Dampfer, welche
+die großen Dampfschiffe und Segler, welche die Barre nicht passiren
+können, befrachten und ausladen, Hunderte von kleinen Schiffen, alle
+numerirt und den Eingeborenen gehörend, unterhalten den Verkehr mit dem
+Festlande, hauptsächlich mit der Stadt Ikorodu. Sehr angenehm für die
+Bewohner von Lagos ist, daß die Lagunen nicht nur äußerst fischreich
+sind, sondern jahraus, jahrein täglich so viel Austern und Granaten
+(_Crangon vulgaris_) gefangen werden, wie es die Bedürfnisse erheischen.
+Deshalb ist denn auch die Fischerei eine der Hauptbeschäftigungen des
+Volkes; aber außerdem finden wir alle Handwerker vertreten, als
+Schreiner, Maurer, Zimmerleute, Schneider, Schuster, Schmiede, Schlosser
+&c.
+
+Die Europäer sind fast durchaus Handelsleute; es giebt Engros-Häuser,
+sogenannte Factoreien, und Detailisten. Große Factoreien giebt es circa
+20, von denen die Hamburgische von O'Swald die bedeutendste war, die
+sogar der Factorei der West-African-Company den Rang abgelaufen hatte.
+
+Export und Import haben unter der englischen Regierung einen bedeutenden
+Aufschwung genommen, was natürlich auf die Einkünfte der Colonie
+bedeutend nachgewirkt hat. 1862 betrug die Einnahme 5000 Pfd. St., im
+Jahre 1867 schon 30,000 Pfd. St. Nach dem Blaubuche betrug 1867 der
+Werth der exportirten Waaren 51,313 Pfd. St., der Werth der importirten
+Gegenstände ist nicht angegeben, Lagos hatte aber 1868 an Zollgebühren
+(vom Export wird nicht gezollt) eine Einnahme von 35,000 Pfd. St.[4],
+aus anderen Quellen noch 4000 Pfd. St., also im Ganzen fast 40,000 Pfd.
+St.
+
+Exportirt wird hauptsächlich Indigo, Grundnüsse (=Arachis=),
+Elfenbein, Mais, Baumwolle (1867 für 7112 Tons, die Tonne zu 2000
+Pfund), Goro- oder Kolanüsse[5], welche nach Brasilien und Sierra Leone
+verschickt werden, endlich Oel- und Palmnüsse. Oel wurde 1867 im Gewicht
+von 12,414 Tonnen, Nüsse 9600 Tonnen exportirt. Die Nüsse wurden im
+Anfang gar nicht benutzt, es ist das Verdienst der O'Swald'schen
+Factorei, dieses Product der _Elaeis guineensis_ zuerst ausgenützt zu
+haben. Die Nuß enthält nämlich bedeutende Mengen von Stearin, das Oel
+wird zum Schmieren und zur Seifefabrikation benutzt.
+
+Man führt ein: Cawries (=kauri, kungena, kerdi, eloda-Cypraea moneta
+L.=), jene kleinen Muscheln aus den ostindischen Gewässern, die als
+Scheidemünze dienen im größten Theil von Centralafrika, Rollen- und
+Blättertabak von Brasilien, Waffen, Pulver, Stabeisen, Messingdraht,
+Perlen, Spiegel, Messer, Manufacturen, Salz, Spirituosen. Von
+Spirituosen, Cawries und Tabak wird 6 Proc. Eingangszoll erhoben.
+
+Im Jahre 1873 arbeitete der Bürgermeister von Lagos, Mr. Goldsworthy,
+zusammen mit dem Gouverneur Herrn Glover, um neue Handelsstraßen nach
+dem Innern zu eröffnen. Im vergangenen Jahre machte Goldsworthy eine
+Reise von 200 englischen Meilen in nordöstlicher Richtung und berührte
+dabei die Gebiete von Ikale, eine wald- und sumpfreiche Gegend mit
+einzelnen angebauten Strichen, und von Onodo, einer Hügelkette längs
+der Küste und von Ife berührt. Es gelang ihm, die Kämpfe zwischen
+einzelnen Stämmen zu beendigen und wahrscheinlich auch das Efou-Gebiet
+durch eine neue Handelsstraße zu eröffnen.
+
+Werfen wir schließlich einen Rückblick auf Lagos, heute die volkreichste
+Stadt an der ganzen Westküste von Afrika, so bemerken wir, daß der Ort
+hauptsächlich unter der freisinnigen englischen Administration rascheren
+Aufschwung genommen hat wie andere Punkte in Afrika. Selbst das Klima
+scheint sich durch gute sanitätspolizeiliche Maßregeln, als Erweiterung
+der Straßen, Pflasterung der Wege, Ausrottung der nächsten Dschengel-und
+Mangroven-Büsche verbessert zu haben; in früheren Jahren trafen auf die
+weiße Bevölkerung wenigstens 20 Todesfälle, in den letzten Jahren ist
+das Verhältniß jedes Jahr günstiger geworden. 1869 ist, freilich wohl
+ausnahmsweise, nur Einer von der circa 100 Köpfe starken weißen
+Bevölkerung gestorben.
+
+Auch die Gesittung und Civilisation nimmt unter den Eingeborenen
+erfreulich zu. Wenn Europäer, und besonders die Missionäre, beherzigen
+wollten, daß ein Volk, welches seither fortwährend von der Cultur der
+civilisirten Völker abgeschlossen gewesen, von einem primitiven
+Standpunkte sehr schwer innerhalb einiger Jahre auf eine solche
+Culturstufe gebracht werden kann, wozu wir selbst fast 2000 Jahre
+gebraucht haben, so würden sie langsamer vorgehen und mehr Geduld haben
+mit ihren Civilisationsbemühungen. Wenn man die heutigen Neger
+betrachtet, namentlich die Bewohner jener großen Reiche Centralafrika's,
+und vergleicht den Zustand dieser Völker und Länder mit jenen von
+Europa vor circa 2000 Jahren (natürlich Griechen und Römer ausgenommen),
+so wird jeder Mensch, der unbefangen urtheilt, sagen: der Vortheil ist
+hier auf Seiten der Schwarzen. Die großen Staaten Bornu, Sokoto und
+Gando &c. legen glänzendes Zeugniß ab, wie weit ohne europäische
+Einflüsse die Neger fähig sind, sich zu civilisiren, und General
+Faidherbe hat gewiß nicht Unrecht, wenn er die Schwarzen als für
+Civilisation empfänglicher hält, als Berber und Araber.
+
+Aber trotzdem und trotz vieler glänzenden Beispiele, die eben beweisen,
+daß selbst in kürzester Zeit der Neger bei sorgfältiger Erziehung sich
+vollkommen mit dem Weißen gleichzustellen weiß (ich erinnere nur an
+Bischof Crowther, an Senator Revels, welcher Letztere jüngst im Senate
+der Vereinigten Staaten seine erste Rede, die als oratorisches
+Meisterwerk dasteht, gehalten hat), wage ich nicht zu behaupten, daß die
+Neger eine Zukunft vor sich haben; sie werden am Ende von den Weißen
+absorbirt werden.
+
+Wir sehen in Centralafrika, daß die Pullo, welche sich als herrschendes
+Volk große Negerreiche unterworfen haben, heute, nach noch nicht 100
+Jahren, vollkommen von den Negern assimilirt worden sind. Obschon die
+Pullo noch die herrschenden sind, auch ihre Pullo-Sprache noch reden,
+sind sie fast ganz schwarz geworden und alle reden heute neben ihrem
+Pullo die Sprache der Stämme, über welche sie herrschen. Ebenso haben
+die Araber in Centralafrika, z.B. die Schoa, fast nur noch ihre Sprache
+erhalten. Und so wird es den Negern ergehen den Weißen gegenüber, wenn
+sie nicht durch eine zu rasch mit ihnen vorgenommene
+Civilisationsmethode (namentlich durch unpassende Bekehrungsversuche)
+vorher ausgerottet werden. Ist dies nicht der Fall, so werden sie
+langsam verdrängt werden von den Weißen, wenn sich einmal für diese das
+Bedürfniß herausstellen sollte, Afrika so ernstlich in Angriff zu
+nehmen, wie man es mit Amerika und jüngst mit Australien gethan hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 2: Hunderttheilig.]
+
+[Footnote 3: Rheinwein wird von den Engländern meist als Schaumwein
+getrunken.]
+
+[Footnote 4: Fast Alles zahlt 4 Proc. nur einige Artikel 6 Proc.]
+
+[Footnote 5: Als ich 1867 von Lagos nach Europa zurückkehrte, gelang es
+mir, Goro-Nüsse ganz frisch heimzubringen. Unser nun verewigter Liebig,
+dem ich dieselben zur Untersuchung einschickte, fand die Nüsse sehr
+reichhaltig an Coffein; außerdem gelang es ihm, im botanischen Garten zu
+München aus einer der Nüsse einen Baum heranzuziehen, der im vorigen
+Sommer schon eine Höhe von 5 Fuß erreicht hatte und laut eines Briefes
+vom 9.d.M. von Liebig fortfährt, sehr gut zu gedeihen.]
+
+
+
+
+4. Das Gora-Gebirge in Central-Afrika.
+
+
+Einer der wichtigsten Gebirgsstöcke im bekannten Centralafrika ist das
+Gora-Gebirge, denn hier ist die Wasserscheide zwischen dem Tschad-See
+einerseits und dem mächtigen Niger andererseits. Zudem entspringt hier
+der Gongolafluß, einer der bedeutendsten Nebenflüsse des Bénue, sowie
+eine Menge kleinere Flüsse, die direct in den Bénue (dieser ist der
+bedeutendste Nebenfluß des Niger, und vielleicht ebenso bedeutend als
+dieser) sich werfen.
+
+Das Gora-Gebirge erreicht eine absolute Höhe von mehr als 7000 Fuß und
+besteht seiner Hauptmasse nach aus Granit, doch sind an den unteren
+Abhängen auch alle anderen Gesteinsarten vertreten. Das Gebirge scheint
+sehr mineralisch zu sein, die Bewohner haben Antimon-, Zinn- und
+Eisenminen; über das Vorkommen von Gold ist den Eingebornen indeß nichts
+bekannt, noch weniger läßt sich sagen, ob Silber vorhanden sei, welches
+überhaupt in Centralafrika noch nicht gefunden worden ist. Der Boden
+besteht fast durchweg aus einem festen röthlichen Lehm und Thon, doch
+sieht man mitunter auch ausgedehnte Strecken mit schwarzem Humus
+bedeckt. Die hervorragendsten Berggipfel sind der Saranda, westlich von
+Bautschi (Jacoba) gelegen, der Goa- und der Gora-Knotenpunkt, von dem
+das ganze ausgedehnte Gebirge seinen Namen hat, und von dem die Wasser
+hauptsächlich entspringen, welche dem Niger, Bénue und dem Tschad
+zueilen.
+
+Was Naturschönheiten anbelangt, so wird es kaum ein Gebirge geben,
+welches hierin die Goraberge übertrifft. Ueberall bewaldete Höhen, oft
+steil emporragende Felsen, rieselnde Bäche, spritzende Wasserfälle,
+herrliche Steilschluchten. Hie und da wieder ein Stück Ackerland um
+kleine Ortschaften herumliegend, üppige Gärten mit Bananen, Gundabäumen,
+Erdnüssen und einigen Gemüsen--dies das Gesammtbild, wie sich das
+Gora-Gebirge dem Wanderer zeigt. Ja, wenn nicht die eigenthümlichen
+konischen Dächer der Hütten, welche jene Negerdörfer zusammensetzen,
+wenn nicht bei näherer Betrachtung die einzelnen Bäume der dichten
+Wälder, wenn nicht hie und da die schwarze Gestalt eines mit Bogen und
+Pfeil bewaffneten Eingeborenen einen daran erinnerten, daß man sich
+zwischen dem 9. und 11. Grade N. Br. befände, so würde man eher glauben,
+in einer üppigen europäischen Gebirgslandschaft zu sein, als in einer
+afrikanischen Tropengegend.
+
+Bis auf den Kamm des Gebirges hat man es meist mit denselben Bäumen zu
+thun, wie sie in Bornu vorkommen, aber darunter befinden sich manche
+fruchttragende, die in den Tschadebenen nicht vorkommen. Auf der
+westlichen Seite treten hingegen die Baumarten in den Vordergrund, wie
+sie das Nilthal vorzugsweise aufweist, und namentlich sind es
+ausgedehnte Wälder des Butterbaumes, _Bassia Parki_, die nun
+vorherrschen. In den niederen Theilen zeigen sich Bananen und der
+herrliche Gunda-Baum überall wild. Indigo, zum Theil wild, Baumwolle und
+Tabak gezüchtet, kommen allerwärts vor. Der Wald liefert die
+Yams-Wurzeln, die auch gebaut werden, ebenso pflanzen die Eingeborenen
+in ihrem Garten Ingwer, verschiedene Zwiebeln, Erdnüsse und Kohlsorten.
+
+In einer so üppigen Gegend ist natürlich die Thierwelt sehr reich
+vertreten: die niedere sowohl wie die geflügelte zeigt dem Europäer auf
+Schritt und Tritt Neues. Reißende Thiere, namentlich Panther und
+Leoparden, sind in den Schluchten der Berge nichts Seltenes, doch sind
+sie keineswegs so häufig, daß dadurch irgendwie die Sicherheit der
+Reisenden gefährdet würde.
+
+Sehr zahlreich sind allerdings die Hyänen und Büffel vertreten; Giraffen
+kommen hier im Gebirge nirgends vor; Elephanten, Nashörner und
+Flußpferde treten erst am Bénue und Niger auf; ebenso fehlt hier der
+Gorilla-Affe, nur Paviane und Hundsaffen sind in erstaunlicher Menge
+vertreten. Wie überall, wo das Land von Ameisen beherrscht wird, ist
+auch der Ameisenbär anzutreffen, und jene ungeheueren Thonpyramiden,
+welche man über das ganze Land zerstreut sieht, sind oft von der Kralle
+des Ameisenbärs angebohrt. Diese Pyramiden, von denen auch schon durch
+Photographie fixirte Ansichten existiren, verleihen der Landschaft einen
+eigenthümlichen Reiz. Man beobachtet welche von einer Höhe von über 20
+Fuß.
+
+Die Bewohner des Gora-Gebirges sind echte Neger und gehörten ehedem zum
+großen Reiche der Haussa-Neger. Bei der Invasion der Pullo wurden sie
+unterjocht, und jetzt bildet das Gora-Gebirge einen Theil des
+Kaiserreichs Sokoto. Zum Theil gehört es zu den Königreichen Bautschi
+und Kano, zum Theil zu denen von Saria und Keffi-abd-es-Senga, welche
+alle dem Kaiser von Sokoto unterthan sind.
+
+Mit Ausnahme der Städtebewohner gehen alle Eingeborenen vollkommen nackt
+und sind Heiden. Die Frauen tragen Ringe und Spangen um Arme und
+Fußknöchel, jedoch durchbohren sie die Ohrlappen nicht wie die
+europäischen Frauen, ihr Haar tragen sie ohne Schmuck und kurz
+abgeschnitten, während die Männer es nach Art der Bornu-Frauen helmartig
+zu einem Wulst zusammenwachsen lassen. Um den Leib tragen die Frauen
+einen Ledergurt der vorn und hinten mit Blättern behangen wird, um damit
+die Blößen zu bedecken; die Männer tragen ein Schurzfell, oft kunstvoll
+gestickt und mit vielen kleinen Muscheln geschmückt. Die Männer sind
+immer bewaffnet: ein Bogen, ein Köcher mit vergifteten Pfeilen und oft
+ein gerades, in Hagen oder Solingen verfertigtes Schwert macht ihre
+Rüstung aus.
+
+Ihre Religion ist Fetischdienst, obschon die über sie herrschenden Pullo
+den Islam angenommen haben. Aber obgleich sie Heiden sind, stehen sie
+keineswegs auf einer ganz niederen Stufe der Cultur; ihre Hütten sind so
+regelmäßig und gut angelegt, daß man ihnen gewissermaßen Sinn für
+Architektur und Geschmack nachsagen muß; der Boden ist eine Art Mosaik,
+welcher von den Frauen eingegossen und festgeklopft wird. Ihre
+Hauseinrichtungen, was Töpfe, Holzschnitzereien und andere Gegenstände
+anbetrifft, sind kunstvoll und mit Eleganz gearbeitet, ihre Werkzeuge
+verfertigen sie selbst aus Eisen. Um im Winter auf den höher gelegenen
+Bergtheilen sich besser gegen die Kälte schützen zu können, haben sie
+in ihren Hütten eigene thönerne Feuerbetten angebracht. Dieselben
+bestehen aus thönernen Bänken, die inwendig hohl sind; hierin wird Feuer
+gemacht und so gewähren sie dem darauf liegenden, der die schroffe Hitze
+durch Felle und Matten dämpft, eine angenehme Wärme.
+
+Einer der Hauptstämme ist der der Bolo-Neger, aber je mehr man nach dem
+Süden kommt, desto verschiedener werden die Bewohner, was Sprache
+anbetrifft, und fast täglich hat man einen anderen Stamm vor sich. Schon
+der Umstand, daß sie mich als ersten Weißen unbehelligt ihr Gebirge
+durchziehen ließen, spricht zu ihren Gunsten. Allerdings machte auf sie
+das Erscheinen eines Weißen den größten Eindruck, und sie bekundeten das
+dadurch, daß häufig Männer und Frauen herbeikamen, um mich zu befühlen,
+ob ich auch wirklich aus Fleisch und Blut sei, oder daß die ganze Jugend
+eines Ortes hinter uns drein zog und "=Thoraua, Thoraua=" (Weißer,
+Weißer) rief; aber nirgends war irgend von einem feindseligen Worte,
+geschweige einer beleidigenden Handlung gegen mich die Rede. Im
+Gegentheil, oft gab man mir zu verstehen, ich möchte doch bald nach
+ihren Gegenden zurückkommen.
+
+
+
+
+5. Höflichkeitsformen und Umgangsgebräuche bei den Marokkanern.
+
+
+"Es ssalamu alikum" ist die allgemeine Begrüßung der Gläubigen, der
+Araber, und folglich aller Marokkaner, die der allein seligmachenden
+Kirche Mohammeds anhängen. "Alikum ssalam" ist die Antwort. Beiderseits
+muß der Gruß immer mit sichtbarem Ernste, mit einer gewissen
+Feierlichkeit ausgesprochen werden; ein freundlich lächelndes Gesicht
+würde man für ganz unpassend halten.
+
+Wie die mohammedanische Religion am Ende weiter nichts will, als die
+ganze Menschheit unter _einen_ religiösen Hut bringen, und dies dadurch
+zu erreichen hofft, daß sie jeden anderen glauben als absolut falsch
+verwirft, so hat dieselbe auf alle Völker, die den Islam bekennen, einen
+merkwürdig nivellirenden Einfluß ausgeübt. Und wie hauptsächlich Gewicht
+auf das _wörtliche Glaubensbekenntniß_ gelegt wird und eine
+fortschreitende _Entwickelung_ in der Religion auf's Strengste verpönt
+ist, so sehen wir, daß alle den Islam bekennenden Völker dahin gekommen
+sind, wohin der Buchstabenglaube führt: zur offenen Heuchelei,
+Scheinheiligkeit und zu einer entsetzlichen Verdummung und Verthierung
+des Volkes.
+
+Durch Alles, was die mohammedanischen Völker thun und reden, zieht sich
+immer ein heuchlerischer, muckerhafter und pharisäischer Hauch, auch in
+Höflichkeiten. Der durch den Gebrauch Mohammed's geheiligte Gruß: "Der
+Gruß (Gottes) sei mit Euch" wird daher auch nie an Ungläubige
+verschwendet. Ein ächter Mohammedaner würde glauben, ewig verdammt zu
+werden, wenn er hierin nicht einen strengen Unterschied machte. Tritt er
+in eine Versammlung, wo Juden und Christen zugegen sind, so unterläßt er
+nie zu sagen: "=Ssalam-ala-hali=," Gruß meinen Leuten, oder will er
+den Unterschied noch mehr hervortreten lassen, so sagt er:
+"=Ssalam-ala-hal-es-ssalam=," Gruß den Leuten des Grußes, d.h. den
+Mohammedanern, da selbstverständlich den ungläubigen Hunden kein Gruß
+zukommt. Oder auch man sagt. "Gruß Denen, welche die Religion befolgen,"
+womit selbstverständlich die allein seligmachende Religion des Islam
+gemeint ist, alle anderen Religionen, die christliche, die jüdische &c.,
+führen den Menschen direct vom Diesseits in die Hölle.
+
+Will ein Marokkaner recht höflich gegen einen Christen oder Juden sein,
+d.h. ihn beim Begegnen zuerst anreden, so sagt er wohl:
+"=Allah-iaunek=," Gott helfe dir, oder auch: Gott gebe dir zu
+essen. Nie aber würde er einen Glaubensgenossen so anreden, denn Alles,
+auch die Höflichkeitsbezeigungen, sind streng vorgeschriebene
+Redensarten und Handlungen.
+
+Und es ist eigenthümlich: während äußerlich eine gewisse Gleichheit der
+Menschen zu existiren scheint,--denn der ärmste Mann im Lande ist nicht
+sicher, eines Tages zum ersten Minister oder gar zum Sultan, zum Chalif
+(des gnädigen Herrn Mohammed) gemacht zu werden,--herrscht dennoch ein
+strenger Unterschied in den Förmlichkeiten und Gebräuchen des Umgangs
+zwischen Hohen und Niedern, zwischen Armen und Reichen, zwischen
+Schriftgelehrten und Laien, zwischen Schürfa[6] und anderen gewöhnlichen
+Sterblichen. Ist es nicht ähnlich so in der päpstlichen Kirche? Der
+Sultan von Marokko betrachtet sich als den rechtmäßigen Nachfolger
+Mohammeds, als seinen Verweser auf Erden. Seiner Idee nach gehört von
+Rechtswegen die ganze Erde ihm: "Jeder kann Sultan oder Beherrscher der
+Gläubigen werden, vornehmlich aber die vom Blute Mohammeds"[7]. Der
+Papst andererseits betrachtet sich als rechtmäßigen Nachfolger Petri
+(oder als Stellvertreter Jesu Christi, d.h. eigentlich Gottes), seiner
+Meinung nach gehört von Rechtswegen die Herrschaft über die ganze Erde
+ihm, jeder kann Papst werden, der den Laienstand mit dem schwarzen
+Gewande vertauscht; wie der Sultan von Marokko, behauptet er, nicht
+fehlen zu können. Wo ist da der Unterschied vor dem _unparteiischen_
+Menschen? Aber eben so groß, wie er in der päpstlichen Kirche zwischen
+dem mit dreifach goldener Krone bedeckten Papste und dem einfachsten
+Priester der Kirche oder gar dem Bettler ist, so groß ist auch der
+Abstand zwischen dem von seinen tausend Weibern umgebenen Sultan und dem
+ärmsten Faki des mohammedanischen Reiches.
+
+Wie es bei uns verschiedene Anreden giebt, so auch bei den Marokkanern.
+Der Sultan hat den Titel _Sidina_, unser "gnädiger Herr"; der Scherif,
+d.h. ein Nachkomme Mohammeds, den Titel _Sidi_ oder _Mulei_, d.h. mein
+Herr; eine Scheriffrau den Titel _Lella_; einen andern Menschen redet
+man mit _Si_, _Herr_, an, welches Si dem Namen vorgesetzt wird, _aber
+nur, wenn er lesen und schreiben kann_. Andere ganz gewöhnliche Menschen
+nennt man einfach bei Namen, sowohl Männer und Frauen, wie Kinder. Will
+man solche rufen, so kann man ohne zu verstoßen, falls der Mann
+unbekannt ist, sagen: =ia radjel=, o Mann; =ia marra=, o Frau;
+=ia uld=, o Sohn; =ia bent= oder =ia bekra=, o Tochter, o
+Jungfrau.
+
+Man muß sich wohl hüten, in Marokko den Titel _Sidi_, mein Herr,
+gewöhnlichen Menschen zu geben, nur die Juden müssen alle Gläubigen so
+anreden. Auch die Minister, Agha, Kaid, Mufti, Kadi, Imam u.s.w. haben,
+falls sie nicht Schürfa sind, kein Recht auf den Titel Sidi.
+
+Beim _Begrüßen_ sagt man bis Mittag: Dein Tag sei gut; von Mittag bis
+Abend: Dein Abend sei gut. Zu jeder Stunde kann man sagen: Sei
+willkommen.
+
+Wenn auch vollkommen Unbekannte beim ersten Anreden sich duzen, so ist
+das Duzen doch nicht ausschließlich im Gebrauch. Es würde unschicklich
+sein, den Sultan anders anzureden, als in der zweiten Person Pluralis,
+ebenso lieben es auch vornehme Personen, namentlich Religionsmänner,
+sich in der zweiten Person Pluralis anreden zu lassen. Auch Kinder
+pflegen ihre Eltern mit "Ihr" anzureden. Der gebräuchlichste Gruß,
+=es ssalamu alikum=, ist ebenfalls in der zweiten Person Pluralis.
+
+Da eine Begrüßung zwischen Leuten, die sich seit Langem nicht gesehen,
+immer unendlich lange dauert, manchmal eine halbe Stunde, so hat man die
+verschiedensten Redensarten, um sich nach dem wechselseitigen Befinden
+zu erkundigen., "Wie ist dein Zustand?" "Wie ist deine Zeit?" "Wie bist
+du?" "Wie ist dein Wie?" "Wie bist du gemacht?" u.s.w. Alle diese
+Redensarten werden mit monotoner Stimme wiederholt und man hat wohl
+Acht, dieselben mit häufigen "Gott sei gelobt", "o gnädiger Herr
+Mohammed" zu untermischen. Je öfterer man Letzteres thut, desto besser
+und frommer glaubt man zu sein und für desto heiliger wird man gehalten.
+
+Es würde ein großes Verbrechen sein, bei den Leuten arabischen Blutes
+sich nach dem Befinden der Frau des Anderen zu erkundigen. Und wenn sie
+am Rande des Grabes stände, dürfte man das nicht direct thun. Selbst der
+Vater, der Bruder würde es nicht für decent halten, seinen
+Schwiegersohn, seinen Schwager ohne Umschweife nach der Gesundheit
+seiner Tochter, seiner Schwester zu fragen.
+
+Da aber der Marokkaner ebenso gut den Trieb der Neugier besitzt, wie
+wir, so braucht er dann allerlei Umwege, um sich nach dem Befinden einer
+Frau zu erkundigen: "Wie befinden sich Adams Kinder?" d.h. alle
+Menschen, die Frauen also auch; oder: "Wie geht es dem Zelte?" d.h. mit
+Allem was darin ist; oder: "Wie geht es der Familie?"--"Wie befinden
+sich deine Leute?" u.s.w.
+
+Der _Kuß_ ist allgemein verbreitet. Dennoch kennt man nicht den Kuß der
+Liebe: den auf den Mund. Man begegnet einander, ergreift die Rechte,
+ohne sie zu drücken, und küßt sodann seinen _eigenen_ Zeigefinger. Will
+man über die Begegnung recht seine Freude ausdrücken, so wird diese
+Procedur sechs- bis achtmal wiederholt. Ein Untergebener küßt einem
+Vornehmen den Saum seines Kleides oder ist dieser zu Pferde, das Knie,
+die Füße; ist der zu Begrüßende ein großer Heiliger, so kann man auch
+dessen Pferd oder irgend einen beliebigen ihm gehörigen Gegenstand
+küssen.
+
+Weiß der Vornehme oder der Heilige, daß der Begrüßer Geld hat oder Geld
+schenken will, so giebt er wohl seine Hand zum Küssen, legt dieselbe
+segnend auf den Kopf oder wehrt die demüthige Geberde des Begrüßers mit
+Worten ab. Ist ein Untergebener zu Pferde, so steigt er schon von Weitem
+ab, um einen höher Stehenden zu begrüßen. Zwei Gleiche küssen sich wohl
+die Wangen, und will ein Vornehmer oder ein Heiliger Jemand besonders
+auszeichnen, so küßt er diesem die Stirn. Kommt ein Vornehmer, so
+erheben sich alle Anwesenden und verbeugen sich mit vor der Brust
+gekreuzten Armen. Vor dem Sultan, vor dem Großscherif kann man sich auch
+auf die Erde werfen, wie beim Gebet, und die Stirn auf den Boden
+drücken: "=Allah-itohl-amreck=!" Gott verlängere die Existenz
+deiner Seele, ruft man.
+
+Der Marokkaner verläßt eine Versammlung ohne Gruß; nur wenn er auf
+längere Zeit verreisen wollte, würde er es für nöthig halten, sich
+förmlich und durch Worte zu verabschieden. Ist aber ein sehr vornehmer
+Mann, ein Heiliger in der Versammlung, so geht man zu ihm, küßt seine
+Knie, seine Hand oder den Saum seines Kleides und verabschiedet sich
+dann, ohne ein Wort zu sagen.
+
+Schon an anderen Orten ist darauf hingewiesen worden, wie die
+marokkanische Geistlichkeit, wenn von einer solchen die Rede sein kann,
+ebensoviel auf äußere Ehrenbezeigungen hält, wie die der europäischen
+Christenheit. Wenn es auch dort nicht Sitte ist, daß sie sich kenntlich
+macht von den Laien durch besondere Tracht (schwarzer Anzug, weiße
+Cravate), so liebt es doch Jeder, der sich vorzugsweise dem Studium der
+Religion hingiebt, daß man ihn zuerst grüßt, daß er den Ehrenplatz
+erhält und daß man auf ihn die meiste Rücksicht nehme. In einem so durch
+die Religion fanatisirten Lande ist es daher jedem Reisenden dringend
+anzurathen, sich mit dieser Klasse von Menschen gut zu stellen, und da
+die mohammedanische Geistlichkeit ebenso wie die christliche besondere
+Vorliebe für Geld hat, weil dieses als die erste Bedingung zur
+Herrschaft erscheint, so ist es wohl gerathen, den frommen Leuten davon
+soviel wie möglich zukommen zu lassen. Wie richtig handelte z.B. Ali Bey
+in dieser Beziehung bei seinen Reisen durch Marokko.
+
+Alle Höflichkeitsbezeigungen in Marokko müssen in fromme Redensarten
+gekleidet sein. =Allah-iatik-ssaha, Allah-iaunik=, Gott gebe dir
+Kraft, Gott helfe dir, ruft man einem Arbeitenden zu, und wenn einer
+niest, so rufe ihm ein =Nedjak-Allah=, Gott rette dich, zu; der
+Niesende dankt mit "=R'hamek-Allah=", Gott sei dir gnädig.
+
+Eine Sitte oder vielmehr Unsitte existirt, die man in Europa auf's
+Höchste anstößig finden würde: das laute Aufstoßen während des Essens
+und gleich hernach. Der Aufstoßende ruft dann selbstgefällig
+"=Stafhr-Allah=", Gott verzeih' es, oder "=Hamd-Allah=". Gott
+sei gelobt. Er betrachtet das als Zeichen, daß der Appetit jetzt
+gestillt sei, und ebenso fassen die Mitessenden es auf, die ihn
+vielleicht heimlicherweise um dies seh- und hörbare Zeichen seines
+gesunden Magens beneiden. Jedes Essen, jeder Trunk wird begonnen, wie
+überhaupt Alles was man unternimmt, mit =Bsm-Allah=, im Namen
+Gottes. Und es würde vollkommen gegen alle Sitte sein, _aufrecht
+stehend_ zu essen oder zu trinken. Dem Trinkenden wird ein:
+"=Ssaha=", Gesundheit, zugerufen.
+
+Es würde nicht nur ein Verstoß gegen den guten Anstand sein, wollte man
+mit der linken Hand essen, sondern auch den Religionsvorschriften
+entgegen sein. Die linke Hand, welche zu gewissen Ablutionen benutzt
+wird, gilt für unrein, nur der _Teufel_, der sich aus religiösen
+Vorschriften nichts macht, bedient sich seiner Linken. Man darf sich bei
+dem _Essen_ nie des _Messers_ bedienen, namentlich das Brod darf _nicht
+geschnitten_, sondern muß _gebrochen_ werden. Vor und nach dem Essen muß
+man sich die Hände und nach dem Essen die Hände und den Mund ausspülen,
+aber sorgfältig darauf achten, daß das zum Mundausspülen benutzte
+_Wasser nur aus der hohlen Hand_, nicht aus einem Gefäße genommen wird.
+Zum Reinigen des Mundes bedient der wohlerzogene Mann sich nur des
+Daumens und Zeigefingers seiner Rechten. Man soll nicht zu schnell
+essen, und Derjenige, der einen Vornehmen oder höher im Range Stehenden
+bei sich empfängt, darf sich nicht mit an die Schüssel setzen, sondern
+muß durch Aufwarten seine Sorgfalt für den Besuch bekunden. Der
+Besuchende selbst würde sehr gegen die Lebensart verstoßen, wollte er
+sich um seine Bagage oder um seine Diener bekümmern. Daß diese in Obhut
+genommen, daß die Dienerschaft mit Speise und Trank versehen, daß die
+Thiere abgefüttert werden, darf ihn nicht kümmern, es ist das Sache des
+Wirthes. Präsentirt man dir eine Tasse Thee oder Kaffee, so trinke sie
+nicht rasch aus, sondern nimm das Getränk _schlürfend_ zu dir; wenn du
+beim Speisen bist, so unterlasse es nie, die Hinzukommenden zum Mitessen
+einzuladen, und diese, falls sie gleiches Ranges sind, erzeigen sich als
+wohlerzogene Leute, wenn sie wenigstens einen _Bissen_ mitessen, selbst
+wenn sie satt sind. Sind sie aber niederer Herkunft, so dürfen sie das
+Anerbieten nicht annehmen; sind sie hungrig, so erfordert es der
+Anstand, sich zu setzen und zu _warten_, bis man ihnen die Ueberreste
+reicht.
+
+Gewisse Gebräuche, als von den unseren abweichend, sind noch besonders
+hervorzuheben:
+
+Man darf keinen brennenden Spahn mit dem Hauche auslöschen, sondern nur
+durch Hin- und Herfahren durch die Luft. Wenn man Feuer verlangt zu
+einer Pfeife oder um Etwas anzuzünden, so sage man nicht: "gieb mir
+Feuer," "=attininar=", denn "=nar=" bedeutet auch das
+höllische Feuer, sondern man sagt: "=attini-l'afiah=". Das Wort
+"=l'afia=" bedeutet Leben, Gesundheit und Feuer, oder
+"=attini-djemra=", gieb mir eine Kohle.
+
+Höchst unanständig würde es sein, _aufrechtstehend_ ein Bedürfniß zu
+verrichten, man muß das in hockender Stellung thun und hernach die
+Ablution nicht verabsäumen, oder wo Wasser fehlt, die Ablution durch
+Sand vollziehen.
+
+Man vermeide, mit Schuhen ein Zimmer oder gar eine Moschee zu betreten;
+an der Schwelle der Thür müssen sie zurückgelassen werden. Sobald man
+Jemand auf der Straße anreden will und hat ihm etwas Ausführliches zu
+sagen, dann bleibe man nicht stehen, sondern hocke nieder, _denn im
+Stehen lange zu sprechen ist unanständig_.
+
+Einen Bittenden muß man nie durch eine _abschlägige_ Antwort beleidigen;
+"=in-schah-Allah=," so Gott will, sagt man, oder ist der Bittende
+zudringlich: "=Rbi-atik=", Gott wird _dir_ geben; ein guter
+Mohammedaner darf keinen Zweifel an der Großmuth Gottes hegen.
+
+Begeht man eine Ungeschicklichkeit, zerbricht oder wirft man aus
+Versehen Etwas um, _so verflucht man zuerst den Teufel_, denn der ist
+die Ursache alles Uebels; erst dann sagt man: "=smah-li=", verzeih
+mir, "=ma-fi-schi-bass=", ist kein Uebel dabei, erwiedert der
+Besitzer _laut, innerlich_ aber den Urheber und Teufel zum Teufel
+wünschend. Sehr bequem für alle Unfälle sind auch die Redensarten:
+"=Mektub-Allah=," es war bei Gott geschrieben, oder
+"=Hakum-Allah=," es war von Gott befohlen, oder wenn man einen
+lästigen Frager durch eine gerade Antwort nicht befriedigen will:
+"=Baid-alia, cha-bar-and-Allah=", das ist weit von mir, Gott weiß
+es, oder "=Arbi-iarf=," Gott weiß es.
+
+Hat man sonst nichts zu thun, stockt eine Unterhaltung, so ruft man
+einfach: =Allah= oder =Rbi=, d.h. Gott, _Meister_, oder
+=Allah-akbar=, Gott ist der Größte, oder man bezeugt, daß Gott ein
+einiger und Mohammed sein Gesandter ist, oder endlich, _man verflucht
+die Christen_. Grund und Anlaß zu diesen Reden brauchen nicht vorhanden
+zu sein, es gehört aber zum _guten Ton_, sie so oft wie möglich
+auszustoßen.
+
+Für eine empfangene Wohlthat muß immer gedankt werden, wäre sie auch
+noch so gering: =Allah-ikter-cheirek=, Gott vermehre dein Gut, oder
+=Allah-iberk-fik=, Gott segne dich.
+
+Auf das Versprechen eines Marokkaners ist nichts zu geben, wenn er auch
+von Höflichkeit überfließen würde und die heiligsten Eide, wie "beim
+Haupte des Propheten, bei Gott dem Allmächtigen" &c. geschworen hatte.
+Es erheischt dann aber auch die gute Sitte, daß man dergleichen Schwüre
+nicht genau nimmt, nicht daran erinnert.
+
+Ist man zum Besuche, so muß man sich ja hüten, die Gegenstände oder den
+Besitz des Wirthes zu loben, es könnte das den Verdacht erwecken, als
+wolle man Etwas geschenkt haben. Thut man es ja, so füge man immer
+hinzu: =Mabruk=. Lobt man z.B. ein Pferd: =mabruk el aud=, das
+Pferd möge dir glücklich sein, oder lobt man ein Kind: =Allah itohl
+amru=, Gott verlängere seine Existenz. Lobt man einen Abwesenden, so
+ist es höflich, wenn man seine Eigenschaften vergleicht mit denen
+Desjenigen, zu dem man spricht: "ich traf letzthin mit Mohammed Ben Omar
+zusammen, der ebenso viel Geist, ebensoviel Ueberlegung besitzt, _wie du
+selbst_." Ueberhaupt ist es Norm, Jedem die größten Schmeicheleien
+geradezu ins Gesicht zu sagen: "Bei Gott, wie geistreich du bist,
+Niemand ist, wenn es Gott gefällt, so großmüthig, wie du; ich habe, Gott
+stehe mir bei, noch keinen so guten Reiter gesehen, wie du einer bist"
+u.s.w. Der Geschmeichelte antwortet mit "=Kulschi-and-Allah=",
+Alles steht bei Gott, oder mit sonst einer frommen Redensart.
+
+Bei gewissen Ereignissen im menschlichen Leben haben die Marokkaner ihre
+unveränderlichen Höflichkeitsphrasen. Bei einer Verheirathung: "Gebe
+Gott, daß sie dein Zelt fülle" (mit Kindern). Wenn ein männlicher
+Sprößling geboren wird: "Das Kind möge dir Glück bringen." Zu einem
+Erkrankten: "Sorge nicht, Gott hat die Zahl deiner Krankheitstage
+gezählt;" zu Einem, der im Gefecht verwundet wurde: "Du bist glücklich,
+Gott hat dich gezeichnet, um dich nicht (beim jüngsten Gericht oder beim
+Eintritt ins Paradies) zu vergessen." Will man Jemand über den Verlust
+eines Angehörigen trösten: "Seit dem Tage, wo er empfangen wurde, stand
+sein Tod im Buche Gottes", oder: "es war bei Gott geschrieben."
+
+Ueber den Verlust der Frau tröstet man noch besonders mit: "Halt deinen
+Schmerz an, Gott wird diesen Verlust ersetzen."
+
+Alle diese Redensarten sind _unveränderlich_, wie bei uns "guten Tag",
+"wie gehts" &c. Die Marokkaner haben aber auch noch andere Mittel, um
+sich unbemerkt oder durch Zeichensprache ihre Gedanken mitzutheilen. Zum
+Beispiel in einer Versammlung wäre es vielleicht wünschenswerth, irgend
+Jemand über die Gesinnung oder Absicht dieses oder jenes aufzuklären. Er
+blinzelt ihm mit dem Auge zu, reibt die beiden Zeigefinger an einander,
+d.h. wir sind oder ihr seid Freunde und verstehen uns oder ihr seid
+Gesinnungsgenossen. Ein _kreuzweises Sägen der beiden Zeigefinger_
+würde Feindschaft andeuten. Dergleichen conventionelle Zeichen haben die
+Marokkaner sehr viele, wodurch sie reden können, ohne damit in eine
+allgemeine Unterhaltung eingreifen zu müssen. Und es wird keineswegs als
+ein Act der Unhöflichkeit betrachtet, sich solcher Zeichen zu bedienen.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 6: Nachkommen des Mohammed.]
+
+[Footnote 7: Sollte ja Einer auf den Thron kommen, der nicht Scherif
+wäre, so würde er kraft der Infallibilität, die jeder Sultan der
+Gläubigen besitzt, schon Papiere beibringen, um zu beweisen, daß er doch
+Mohammeds Blut in seinen Adern habe.]
+
+
+
+
+6. Beitrag zur Kenntniß der Sitten der Berber in Marokko.
+
+
+Die Berber, welche Nordafrika und besonders den nordwestlichen Theil des
+Atlas von Marokko bewohnen, haben mehr als andere dem Islam huldigende
+Völker ihre eigenen Sitten und Gebräuche beibehalten. Zum großen Theile
+ist die Gemeinsamkeit der Sprache Ursache dieser Eigenthümlichkeit; denn
+wie groß auch der Raum ist, den die Berbersprache einnimmt, vom
+atlantischen Ocean bis zum rothen Meere, so sind die Dialekte derselben
+keineswegs der Art, daß nicht eine Verständigung zwischen den
+verschiedenen Stämmen möglich wäre.
+
+Vorzugsweise finden wir aber Berber in Marokko, denn es dürften von der
+Gesammtbevölkerung des Landes zwei Drittel berberischen und nur ein
+Drittel arabischen Blutes sein: schlank von Wuchs, weiß von Hautfarbe,
+zeigen die Berber überhaupt alle die Merkmale, die wir gewohnt sind, der
+kaukasischen Race beizulegen; daß sie die Abkömmlinge der alten Mauren
+oder Numider sind, welche unter verschiedenen Namen, als Gätuler,
+Autolaler &c., fast dieselben Gegenden inne hatten, die wir heute von
+den Berberstämmen bewohnt sehen,--daran zweifelt Niemand.
+
+So finden wir denn auch heute die Berber so leben, wie sie es vor
+tausend Jahren gewohnt waren, d.h. ein Theil von ihnen wohnt in Städten,
+wenn man größere befestigte Ortschaften so nennen will, ein anderer
+Theil aber wohnt nomadisirend, wie das Mela am Schlusse seines dritten
+Buches schon hervorhebt: =hominum pars silvas frequentant et--pars in
+ubibus agunt=, und daß heute noch dieselben Verhältnisse in Bezug auf
+dies Land und diese Völker gang und gebe sind, daß wir auch heute kaum
+mehr vom Inneren Marokkos wissen, als unsere geistigen Vorfahren, die
+Griechen und Römer, das wird dann klar, wenn wir die Worte des Plinius
+unterschreiben: "ich wundere mich aber nicht sehr, daß Rittern und
+Denen, welche aus diesem Orden in den Senat traten, Manches unbekannt
+geblieben war; aber darüber wundere ich mich, daß es auch der Luxus
+nicht erforscht hat. Die Macht desselben ist die wirksamste und größte.
+Denn man durchsucht ja die Wälder um Elfenbein, und alle gätulischen
+Klippen um Stachel- und Purpurschnecken[8]."
+
+Ist es nicht, als ob dieser Passus heute geschrieben sei? Auch heute, wo
+der Luxus noch die größte Macht ist, ist es demselben nicht gelungen,
+Marokko der Civilisation zu öffnen, vielleicht aber auch, weil eben der
+rechte Luxusartikel, der gerade den Bewohnern genehm wäre, noch nicht
+gefunden worden ist.
+
+Der vor ohngefähr tausend Jahren den Berbern aufgedrungene Islam hat
+wenig, oder fast kann man sagen, gar keine Veränderungen in den
+Anschauungen und in der Lebensweise der Berber hervorgebracht. Die Lehre
+Mohammeds, _nur_ in der arabischen Sprache gelehrt, ist für diese
+Völker, von denen nur ausnahmsweise ein Individuum der Koransprache
+mächtig ist, ein todter Buchstabe geblieben; sogar die äußeren
+Vorschriften und Gebräuche, die der Prophet seinen Anhängern
+vorgeschrieben hat, sind für Berber nicht vorhanden.
+
+Nur Eins hat der Islam auch zur Folge gehabt, was ja überhaupt allen
+hierarchischen Religionen nur eigen ist und ohne das sie nicht würden
+existiren können: das Verdammen einer jeden anderen Religion und Haß und
+Verachtung gegen alle Die, welche nicht das glauben, was man selbst
+glaubt. Natürlich schließt das ein, daß man die eigne Lehre, den eignen
+Glauben für den allein richtigen und allein seligmachenden hält.
+
+Deshalb ist denn auch die Feindschaft, welche Berber gegen andere Völker
+hegen, fast nur eine aus der Religion entspringende; obschon sie nichts
+vom eigentlichen Islam verstehen, hassen und befeinden sie alle die
+Völker, die eine andere Religion haben.
+
+Es ist daher falsch, wenn Richardson und andere Reisende behauptet
+haben, daß die in Marokko unter den Berbern ansässigen Juden besser
+gehalten seien, als die unter den Arabern wohnenden. Die Unterdrückung
+derselben, ihre schimpfliche Stellung ist unter den Berbern ebenso groß
+und in die Augen springend, wie unter den Arabern.
+
+Was das häusliche Leben anbetrifft, so liegt zwischen Berbern und den
+übrigen Mohammedanern der wesentlichste Unterschied in der Stellung der
+Frau; aber auch in allen übrigen, die Sitten und Gebräuche betreffenden
+Dingen lassen die Berber bis zum heutigen Tage sich vielmehr vom
+_Herkommen_ leiten, als von den Gesetzen des Koran. Aus diesem haben sie
+eben nur _das_ angenommen, was ihrer Eitelkeit und Einbildungskraft
+schmeichelte. So pflegt denn auch die Heirath vollkommen nach dem
+Herkommen, el Ada genannt, stattzufinden. Indeß hat die Frau dennoch
+nicht die gleichberechtigte Stellung, wie sie die Frau heute bei _uns_
+einnimmt, sondern wird mehr als Eigenthum des Mannes, als etwas zum
+übrigen Vermögen Gehörendes betrachtet.
+
+In der Heirath _nach uraltem Brauche_, =Suadj el Djidi= oder
+Gaislein-Heirath, so genannt, weil das Schlachten eines jungen Zickleins
+die eheliche Verbindung besiegelt, verpflichtet sich der Gatte, dem
+Vater seiner Zukünftigen 60 Metkal zu zahlen. Hat er das Geld nicht
+disponibel, so zählt er auf seine Freunde, und am Schlachttage verfehlen
+diese auch nicht, sich einzustellen und Jeder legt dem Freier ein
+kleines Geschenk zu Füßen. Im Fall der Freier gar keinen Wohnsitz hat,
+beeilen sie sich, Steine herbeizubringen; ein Haus, wir würden sagen ein
+Stall, wächst schnell aus der Erde, schlanke Aloë-Stämme giebt es genug
+als Gebälk und die großen und langen Rindenstücke der Korkeiche bedecken
+die Wohnung. Wenn aber die zur Ehe Verlangte von den Angehörigen dem
+Freier aus irgend einem Grunde verweigert wird[9], dann müssen sie,
+falls der Liebende auf seinem Heirathsprojecte besteht, wohl aufpassen,
+daß sie ihm keine Gelegenheit geben, sich der Wohnung der Geliebten zu
+nähern. Thut und kann er das, gelingt es ihm, unvermerkt auf der
+Schwelle seiner Ersehnten ein Gaislein zu opfern, dann ist sie ohne
+Widerruf mit ihm verlobt und ihre Anverwandten würden sich der
+Mißbilligung, ja der Feindschaft Aller aussetzen, wollten sie jetzt noch
+der Heirath hemmend in den Weg treten.
+
+In einigen Triben ist es Sitte, daß die sich Vermählende vor der
+Hochzeit von ihren Verwandten auf einem Maulthiere durch das Dorf oder
+durch den Duar (Zeltdorf) geführt wird. Ueberall ertönt das gellende
+Geschrei und Gejauchze der Frauen, die jungen Leute lassen fleißig das
+Pulver sprechen. Vor jedem Hause, vor jedem Zelte, vor welchem sie
+vorbei kommt, beeilt man sich, eine kleine Gabe herauszutragen: hier
+sind in einem Strohteller große Bohnen, dort wird Gerste, hier werden
+trockene Feigen, dort Rosinen präsentirt. Die junge Dame nimmt von allen
+Sachen eine Hand voll, küßt sie und wirft dann das Ergriffene auf den
+Teller zurück. Aber hinterher schreitet irgend eine ihrer älteren
+Verwandten, die nun Alles in einen großen Sack einheimst: zur Aussteuer
+für die Neuvermählten.
+
+Sobald man sich der Wohnung oder dem Zelte des Gatten nähert, wird die
+Braut von anderen Frauen umringt, sie geben ihr einen Topf mit flüssiger
+Butter, in die sie die Hände tauchen muß als Zeichen des steten
+Ueberflusses im Haushalte, und sodann ein Ei, welches sie zwischen den
+Ohren des Maulthieres zerschlagen muß, um dadurch böse Zaubereien
+unschädlich zu machen. An der Schwelle der Wohnung präsentirt man der
+Frau einen Trunk Buttermilch und sie selbst ergreift eine Hand voll Korn
+und Salz um dasselbe ebenfalls als Zeichen des Reichthums und Segens
+rechts und links auszustreuen.
+
+Jetzt ergreift der Mann Besitz von seiner Braut und zum Zeichen schießt
+er in unmittelbarer Nähe vor ihren Füßen eine Flinte ab, er ergreift das
+junge Mädchen und zieht sie ins Innere der Wohnung, während die
+Verwandten sich zur allgemeinen Belustigung zurückziehen. Ein zweiter
+Schuß im Innern der Behausung ertönt, Zeichen, daß die Heirath vollzogen
+ist; die junge Frau erscheint bald darauf an der Hand ihres Gatten, Tanz
+und Schmausereien, woran das junge Paar Theil nimmt, beschließen die
+Festlichkeit.
+
+Die Frau ist, wie gesagt, ein Besitz, wie jedes andere Eigenthum des
+Mannes, wenigstens bei gewissen Stämmen des Atlas. Stirbt ihr Mann, so
+wird der männliche Anverwandte, der der Wittwe zuerst seinen Haïk
+(großes wollenes Umschlagtuch)[10] überwirft, ihr rechtmäßiger Gemahl.
+Zugleich ist er aber auch verpflichtet, für die etwaigen Kinder zu
+sorgen und deren Vermögen zu verwalten.
+
+Scheidungen finden bei den Berbern statt, aber nie auf so leichte und
+grundlose Weise, wie bei den Arabern oder sonstigen Mohammedanern, wie
+denn überhaupt alle Berber, mögen sie nun unter dem Namen Tuareg bei
+Timbuktu wohnen oder als Kabylen im Djurdjura hausen, entschiedene
+Feinde der Polygamie sind. Grund zur Scheidung ist Kinderlosigkeit
+(Berber wie Araber halten Kinderlosigkeit immer für Sterilität der
+Frauen); der Vater der zurückgeschickten Frau muß das Morgengeld wieder
+herausgeben. Ebenso, falls die Frau Infirmitäten bei der Verheirathung
+zeigte oder gar schon ihre Virginitas verloren hat, kann sie darauf
+rechnen, auf der Stelle zurückgeschickt zu werden.
+
+Die Tochter ist manchmal dazu bestimmt, das Leben ihres Vaters oder
+Bruders mittelst ihrer Sclaverei zu erkaufen, aber nie würde sie für
+einen Oheim, Großvater, Vetter oder sonstigen noch entfernteren
+Verwandten mit ihrer Person eintreten können; auch herrscht diese Sitte
+nur bei einigen Berberstämmen. Jemand begeht z.B. einen Mord oder
+Todtschlag in einer anderen Familie, hat aber nicht die Mittel, um die
+Diya, d.h. das Blutgeld, bezahlen zu können; will er nun nicht selbst
+das Leben opfern, so kann er dem anderen Stamme seine Tochter oder
+Schwester als Sclavin überlassen. Diese verliert dadurch völlig die
+Rechte einer Freien, wird ebenso angesehen, wie eine Chadem (schwarze
+Sclavin) und ist nun vollkommen Eigenthum der anderen Familie geworden.
+Aber oft genug kommt es vor, daß die Sclavin, wenn sie jung und hübsch
+ist, das Herz eines Jünglings ihrer neuen Herrschaft erobert, ihn
+heirathet, dadurch frei und dann zugleich das Freundschaftsband zwischen
+zwei ehemals feindlichen Stämmen wird.
+
+Es kommt häufig vor, daß zwei Männer einen Tausch mit ihren Frauen auf
+ganz friedliche Weise zu Wege bringen; derjenige, der das in Beider
+Augen häßlichere und weniger werthvolle Weib besitzt, d.h. ein solches,
+welches weniger jung und fett als das des Anderen ist, muß einiges Gold
+darauf zahlen. Hat aber Jemand seine Tochter einem jungen Manne
+versprochen und läßt sich nachher durch Habgier bewegen, sein Wort nicht
+zu halten, so entsteht Krieg. Die ganze Familie, die ganze Tribe nimmt
+sich sodann des Bräutigams an und sucht mit Gewalt dessen Ansprüche
+geltend zu machen. Ehebruch und Verführungen sind äußerst selten, und
+obschon in rohen Formen, halten die Berber große Stücke auf
+Familienleben. Aus einer im October 1858 veröffentlichten Gesetzgebung
+der Kabylen vom Orte Thaslent ersehen wir auch, daß es den Männern
+besagter Ortschaft verboten war, mit den Frauen zu disputiren, einerlei,
+ob die Frau angreifender Theil war oder nicht. Hatte indeß die Frau
+erwiesenermaßen zuerst angefangen, so mußte ihr Mann Strafe zahlen,
+sonst aber der, welcher mit ihr Streit gesucht hatte. Die größten und
+heiligsten Pflichten glaubt aber der Berber für sein Gemeinwesen, für
+seinen Stamm zu haben. Ist dem Araber zuerst die Religion die
+Hauptsache, wie denn Mohammed überhaupt, gerade wie es in der römischen
+Kirche gelehrt wird, die Nationalität auslöschen will, um an deren
+Stelle einen Religionsstaat zu setzen, so hat der Berber, trotzdem auch
+er den Islam angenommen hat, dies nie begreifen können. Wenn der Berber
+sich auch vorzugsweise gern mit seinem Schwerte gegen die Christen
+wendet, so ist's ihm im nächsten Augenblicke aber auch ganz gleich,
+dasselbe gegen jedweden Mohammedaner zu ziehen, sobald sich dieser gegen
+ihn oder gar gegen seinen Stamm vergangen hat. Der Araber führt auch
+Krieg gegen Mohammedaner; die wüthendsten Kämpfe sind ja zwischen
+Stämmen arabischen Blutes oder zwischen Arabern und Türken gefochten
+worden und entbrennen auch jetzt noch immer wieder. Aber heuchlerischer
+Weise gestehen sie das nicht zu, sie behaupten nur gegen die Ungläubigen
+zu kämpfen, und die Araber Algeriens z.B., die einst fortwährend mit
+ihrer türkisch-mohammedanischen Regierung in Fehde lagen und die so
+erbittert gegenseitig auf einander waren, daß sie nicht wußten, auf
+welch grausamste Weise sie einander tödten sollten--diese selben Araber
+haben jetzt ganz und gar ihre grausame türkische Herrschaft vergessen.
+Hört man sie sprechen, so waren die Türken die mildesten, gerechtesten,
+gottesfürchtigsten Herrscher, sie waren ja vor allen Dingen "Gläubige",
+die Franzosen aber sind Ungläubige, mögen sie noch so gut regieren, sie
+bleiben aus religiösem Hasse immer für die Araber die "christlichen
+Hunde". Fragt man einen Araber: würdest du gegen die "Gläubigen"
+kämpfen? so wird er sicher antworten: "Beim Haupte Mohammeds, Gott hat
+es verboten, Gottes Name sei gelobt."
+
+Der Berber kennt von solchen Heucheleien nichts, und durch manche Stämme
+bin ich gekommen, die so wenig auf ihren Islam geben, daß man von ihnen
+sagte, sie sind so räuberisch und diebisch, daß, wenn Mohammed in eigner
+Person käme und habe ein anständiges Kleid an, sie (die Berber) nicht
+anstehen würden, den Propheten auszuplündern.
+
+Wenn ich vorhin anführte, daß die Ehre der Familie und des eignen
+Stammes den Berbern als das Höchste gilt, so ist dies so zu verstehen,
+daß sie z.B. denjenigen ihrer Leute keineswegs für ehrlos halten, der
+einen Fremden bestiehlt; aber ehrlos würde es sei, wollte Jemand einen
+von einem anderen Stamme, der einmal Zutritt erhalten hat oder der gar
+die Anaya[11] des Stammes besitzt, bestehlen oder gar ermorden. Daß aber
+doch solche Fälle vorkommen, ersieht man daraus, daß die Berber hierüber
+und hiergegen ihre eigenen (arabisch) geschriebenen Gesetze haben, die
+nicht wie die meisten Gesetze der übrigen Mohammedaner auf den Koran
+fußen, sondern aus uralten Ueberlieferungen bestehen und wohl erst im
+Laufe der Jahrhunderte von der Tholba zu Papier gebracht wurden. Wie
+stark ist z.B. der Gemeinsinn ausgeprägt, wenn es in einem alten
+Kabylengesetze heißt: "Der, dem eine Kuh, ein Ochse oder ein Schaf
+stirbt, hat das Recht, die Gemeinde zu zwingen, das Fleisch des Thieres
+zu kaufen als eine Hülfeleistung.--So will es der Gebrauch." Dies Gesetz
+ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Der Verlust des Viehes wird
+dem Eigentümer dadurch einigermaßen versüßt, weil er das Fleisch doch
+wenigstens verwerthen kann; der Gebrauch will, daß die Quantität, die
+Jeder nehmen muß, vom Chef des Ortes bestimmt wird. Sodann ist aber
+dieses Gesetz zugleich ein Schlag dem Koran ins Gesicht, denn Mohammed
+sagt ausdrücklich, daß Fleisch von gestorbenen oder gefallenen Thieren
+als unrein für jeden Mohammedaner "=harem=" d.h. verboten ist. Aber
+was ist dem Berber der Koran, wenn es gilt: Einer für Alle, Alle für
+Einen!
+
+Wie stark im Sinne der Gemeinde-Interessen ist nicht auch folgendes
+Gesetz: "Der, welcher ein Haus, einen Obstgarten, ein Feld oder einen
+Gemüsegarten an Individuen eines anderen Dorfes verkauft, muß davon
+seine Brüder, Verwandte, Geschäftsfreunde und die Leute seines Dorfes
+überhaupt benachrichtigen, und wenn diese den Kauf rückgängig machen und
+sich den Käufer substituiren wollen, so haben sie demselben innerhalb
+dreier Tage den Kaufschilling zurückzuerstatten[12]." Durch dieses
+Gesetz konnte die Gemeinde verhüten, daß irgend ein ihr mißliebiges
+fremdes Individuum bei ihr Zutritt bekam. Es ist wahr, die Gesetze
+wechseln bei jeder Tribe, von Dorf zu Dorf, und es ist das ein sicheres
+Zeichen, daß seit langer Zeit den Berbern die einheitliche Leitung
+fehlt; aber im Ganzen beruhen sie doch auf denselben Grundsätzen. Es ist
+eigenthümlich und auch das bekundet das hohe Alter solcher
+Gesetzsammlungen, daß die Berber dafür den Ausdruck "=kanon=", ein
+Wort, das offenbar griechischen Ursprungs ist, haben und welches, wie
+General Daumas meint, eine christliche Reminiscenz in sich schließt.
+
+In der Gesetzsammlung der Ortschaften, Thaurirt und Amokrom, der großen
+Kabylie, vom Herrn Aucapitaine herausgegeben, finden wir ebenfalls die
+weltlichen und Gemeinde-Angelegenheiten den kirchlichen übergeordnet und
+ausdrücklich hervorgehoben: "Wer sich ins Einvernehmen mit Schürfa, als
+da sind vom Stamme der Uled-Ali, Icheliden oder anderen Marabutin setzt,
+zahlt 50 Realen Strafe." Wenn man nun weiß, daß die Schürfa, d.h. die
+Nachkommen Mohammeds, unter den Mohammedanern ohngefähr dieselbe Rolle
+spielen, wie bei uns die Jesuiten, die sich für die besten Nachfolger
+Jesu halten, so wird man nicht umhin können, den weisen Sinn und den
+gesunden Verstand der Berber zu bewundern.
+
+Die von den Alten schon erwähnte Vorliebe der Berber für Schmucksachen
+und schöne Kleidung[13] besteht auch heute noch. Der größte Ehrgeiz der
+Berber besteht darin, in den Besitz eines Tuch-Burnus von schreiendsten
+Farben zu kommen, hochroth und gelb sind als Farben besonders beliebt;
+kann er es ermöglichen, einen solchen mit Goldstickerei zu kaufen, so
+dünkt er sich ein König zu sein. Das Haar tragen die Berber heute nicht
+mehr nach einer bestimmten Vorschrift, wie es ehedem vielleicht Sitte
+gewesen ist, meist wird der Kopf sogar ganz kahl rasirt, aber alle
+halten darauf, einen Zopf stehen zu lassen, meist vom Hinterhaupte
+ausgehend. Das Haar der Berber ist durchweg schwarz; die einzelnen
+blonden Individuen, die man vorzugsweise im Djurdjura-Gebirge in
+Riffpartien und überhaupt längs des Mittelmeeres findet, sind allerdings
+manchmal durch einzelne Familien hindurchgehend, aber doch nur
+vereinzelt. Ob diese Blonden von gothischer Abkunft, ob sie vandalischen
+Ursprungs sind, das wird schwerlich je festgestellt werden; es ist das
+auch für das Berbervolk in seiner Gesammtheit höchst gleichgültig, da
+der Berber im Ganzen schwarzhaarig ist.
+
+Es giebt wohl wenig Berberstämme, die nicht Ringe als Schmuck in
+Gebrauch haben; hier sind es große Ohrringe, manchmal 2-3 Zoll groß und
+aus Silber bestehend, dort kleinere; hier haben ganze Stämme die
+Gewohnheit, Oberarm-Ringe zu tragen aus Serpentinstein[14] oder Metall,
+dort werden die verschiedenen Finger mit Ringen überladen. Und fast
+scheint es, als ob die Männer bei den Berbern der eitlere Theil wären.
+Allerdings tragen die Frauen die üblichen Fußringe, manchmal werden
+mehrere über einen Knöchel gezwängt; allerdings haben sie ihre Agraffen,
+Fingerringe und Haargeschmeide, aber schon das fast durchweg dunkle
+Costüm der Frauen aus dunkelblauem Kattun (was in der That bei den
+meisten Berberfrauen üblich ist) zeigt, daß die Frauen weniger auf
+hervortretende Toiletten geben.
+
+Was die Waffen der Berber anbetrifft, so sind Bogen und Pfeile längst
+durch Schießwaffen verdrängt, nur einige Stämme im großen Atlas, sowie
+die Tuareg machen Gebrauch von der Lanze. Alle Berber haben kurze breite
+Dolche, viele tragen sie befestigt am Arme, so die Tuareg und die Berber
+südlich vom Atlas, andere haben sie im Leibgürtel stecken oder an einer
+Schnur hängen. Ihr Schwert ist südlich vom Atlas mehr von gerader Form,
+nördlich vom Gebirge ist es das schwach gekrümmte marokkanische; die
+Schußwaffen bestehen aus Lunten- und Steinschloßflinten.
+
+Weil der Islam, der wie andere monotheistische Religionen leicht zu
+einer unumschränkten Priesterherrschaft führt, bei den Berbern nicht den
+Eingang gefunden hat, wie bei den Arabern, so haben jene sich einen weit
+größeren Grad von Freiheit und Freiheitsliebe bewahrt, und weil sie mehr
+Sinn für Freiheit haben, deshalb sind sie, man kann es wohl behaupten,
+besser als die Araber. Die geknechteten Menschen, einerlei, ob sie von
+einer fremden Gewalt oder von einer fremden Nation bedrückt oder von
+einer einheimischen, z.B. ihrer eignen Regierung oder ihrer
+Geistlichkeit, als Sclaven gebraucht werden, haben sich stets als die
+schlechtesten und sittlich am niedrigsten stehenden erwiesen. Deshalb
+sind die Araber so heruntergekommen, weil sie alle ihre Tholba für
+unfehlbar hielten und Alles glaubten, was im Koran stand. Deshalb stehen
+die Griechen auf so niedriger Stufe geistiger Entwicklung, weil sie von
+den Türken als Sclaven behandelt wurden; deshalb sind Franzosen, Spanier
+und andere romanische Völker weit in sittlicher Beziehung hinter den
+freidenkenden protestantischen Germanen zurück. Wir sehen also deutlich,
+daß ein Volk, je mehr es auf seine Religionsübungen verwendet, sittlich
+um so mehr verkommen ist; denn ohne ungerecht zu sein, können wir sagen,
+daß durchschnittlich mehr Sittlichkeit und mehr Bildung in den
+protestantischen Ländern herrscht. Die statistischen Zahlen nennen den
+Unterschied Derer, die lesen und schreiben können, und geben Aufschluß
+darüber, wo größere Achtung vor dem Gesetz und dem öffentlichen
+Eigenthum besteht und weniger Verbrechen begangen werden, ob in den
+protestantischen, ob in den katholischen Ländern. Aber Niemand wird wohl
+behaupten, die Protestanten seien religiöser (freilich sagen unsere
+Religionslehrer, die wahre Religion sei nicht bei den Katholiken) als
+die Katholiken. Im Gegentheil; die Katholiken gehen fleißiger zur
+Kirche, ihr Glaube ist viel inniger und fester, ihre frommen Stiftungen
+zahlreicher, ihr ganzes kirchliches Leben ausgedehnter. Aber was ihnen
+fehlt, ist die Freiheit des Denkens und die Schulbildung, welche, um den
+Menschen sittlich zu machen, nothwendig ist. Ganz ebenso ist es mit den
+Mohammedanern; gewöhnt, nur das zu glauben, was ihnen ihr "_Buch_" sagt,
+weil dabei eine gewisse Classe von Menschen am besten wegkommt, haben
+sie sich zu Sclaven dieses "Buches" und dieser Classe von Menschen
+gemacht. Sie haben längst aufgehört, darüber nachzudenken, oder haben
+sich eigentlich nie zu dem Gedanken emporschwingen können, ihr "Buch"
+einer Kritik zu unterwerfen--der blinde Glaube hat sie dahin gebracht,
+wohin sie gekommen sind, und andere Völker, die im blinden Glauben dahin
+leben, werden ihnen folgen.
+
+Der Berber ist davor bewahrt worden: ohne gerade Kritik an den Islam zu
+legen, ist er indifferent geblieben. Ohne Contact mit anderen Völkern
+hat er allerdings in Bildung und Gesittung keinen höheren Standpunkt
+eingenommen, aber er ist frei geblieben und, wie gesagt, die Freiheit
+hat ihn geadelt.
+
+Offenbar würde der Berber deshalb auch eine Zukunft haben, käme er mit
+gesitteten Nationen in Berührung, die frei in Beziehung auf Religion
+denken. Die Franzosen constatiren mit Genugthuung, daß mit den Berbern
+Algeriens leichter umzugehen sei, daß sie sich eher der Civilisation
+geneigt zeigen, als die Araber. General Faidherbe, einer der besten
+Kenner der Völker Nordafrika's hat dies wiederholt ausgesprochen.
+
+Was die jetzige Lebensweise der Berber anbetrifft, so ist, wie schon
+erwähnt, ein Theil in festen Ortschaften, ein Theil in Zelten wohnhaft,
+aber mit Ausnahme der Tuareg treiben sie alle Ackerbau. Auch die in
+Zelten auf den Abhängen des großen Atlas lebenden Berber haben ihre
+Aecker. Ebenso treiben alle Berber Viehzucht, vorzugsweise die
+Zeltbewohner. Auf dem Tell, d.h. dem fruchtreichen Erdboden, halten sie
+Rinder-, Schaf- und Ziegenheerden; in der Sahara legen sie sich auf
+Kamelzucht. Eigen ist allen die Vorliebe für das Pferd. Mit Recht wird
+das Berberpferd ebenso hoch geschätzt, wie das arabische.
+
+Die Nahrung der Berber ist einfach und fast nur vegetabilisch. Der
+höchste Genuß ist ihnen eine Schüssel Kuskussu, eine Mehlspeise, die aus
+Gerste oder Weizen bereitet wird und die auch von den Tuareg als das
+=Non plus ultra= aller Gerichte geschätzt wird. Eigentliches Brod
+in unserem Sinne ist den Berbern nicht bekannt, wohl aber machen sie
+Mehlfladen auf einer Stein- oder Eisenplatte. Oder auch Mehl wird
+geknetet, mit Speck und Datteln durchsetzt und auf heißem Sande gar
+gebacken. Bei allen Berbern werden nur zwei Hauptmahlzeiten, die Morgens
+und Abends stattfinden, genossen; letztere ist die reichlichere. Man ißt
+allgemein mit der Hand und aus _einer_ Schüssel, die Frauen und Kinder
+getrennt von den erwachsenen Männern; für Suppen und flüssige Speisen
+hat man hölzerne Löffel. Wenn aber z.B. fünf oder sieben Personen aus
+einer Schüssel Suppe essen, so hat man in der Regel nicht mehr als
+zwei, höchstens drei Löffel, welche im Kreise herumgehen. Natürlich
+wird, da den Berbern alle Möbel, wie Stühle, Bänke und Tische, abgeben,
+auf der Erde hockend gesessen, die Schüssel selbst, am Boden stehend,
+bleibt in der Mitte. Wird ein Getränk, sei es nun saure Milch oder
+Wasser, herumgereicht, so kreist die Schüssel ebenfalls, und wie bei
+Arabern, ist es vergönnt, _stehend_ zu essen oder zu trinken.
+
+Was die geistigen Fähigkeiten der Berber betrifft, so stehen sie
+mindestens aus derselben Stufe, wie die Araber, wenn nicht _jetzt_
+höher. Daß sie bedeutend empfänglicher für Civilisation sind, als die
+Araber Nordafrika's, habe ich schon hervorgehoben; der freiwillige
+Besuch, den Tuareg-Häuptlinge vor einigen Jahren in Paris machten, ist
+ein glänzendes Zeugniß davon. In Algerien arbeiten Berber des
+Djurdjura-Gebirges oder aus dem marokkanischen großen Atlas gern bei
+Christen; der durch die Religion fanatistrte Araber faullenzt und
+hungert lieber, als daß er sich herabließe, bei den Christen zu
+arbeiten. Aber zu einer guten Entwicklung des Berbervolkes wäre
+allerdings der Contact mit religiös vorurtheilsfreien Nationen,
+namentlich protestantischen, nothwendig.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 8: Plinius, Naturgeschichte Bd. 5.]
+
+[Footnote 9: =v. Feraud, reveue africaine 1862=.]
+
+[Footnote 10: =v. Feraud, revue africaine 1862=.]
+
+[Footnote 11: Anaya ist das, was die Araber Aman, d.h. Sicherheitsbrief,
+=sauf conduit= nennen.]
+
+[Footnote 12: =Journal Akhbar, Algèr 1858=.]
+
+[Footnote 13: _Strabo_ im XVII. Buche, übersetzt v. _Venzel_: "Sie
+träufeln sich sorgfältig ihr Haupthaar und ihren Bart, tragen zur Zierde
+Gold auf den Kleidern, reinigen sich die Zähne, beschneiden die Nägel
+und selten wird man, wenn sie miteinander spazieren gehen, sehen, dass
+Einer dem anderen gar zu nahe kommt, aus Furcht die Frisur desselben zu
+verderben."]
+
+[Footnote 14: Werden in Europa zu diesem Gebrauche verfertigt und von
+Mogador und anderen Hafenstädten aus importiert.]
+
+
+
+
+7. Ueber Reiz- und Nahrungsmittel afrikanischer Völker.
+
+
+1. _Goro- oder Kola-Nuß_.
+
+Die Goro- oder Kola-Nuß, =cola acuminata R. Br.= oder =sterculia
+acuminata Pal.=, ist eines der verbreitetsten Reizmittel bei den
+centralafrikanischen Völkern. Diese Nuß, von der Größe einer dicken
+Kastanie, wächst auf einem staudenartigen Baume, welcher ähnlich dem
+Kaffeebaume ist. Die Blätter desselben sind gummibaumartig. Man findet
+diesen Baum oder diese Staude an der ganzen Westküste von Afrika,
+hauptsächlich auf dem sogenannten Kong-Gebirge, aber nach dem Innern zu
+scheint dieselbe nicht weit vorgedrungen zu sein; auf dem Gora-Gebirge
+z.B., einem Gebirgsstock, zwischen Tschad-See, Bénue und Niger gelegen,
+fehlt die Goro-Staude. Wild wächst sie in einer Oertlichkeit, Namens
+Gondja. Oestlich von Sierra Leone scheint aber die Goro-Staude auch
+durch die Neger angebaut zu werden.
+
+Heinrich Barth sagt, daß die in Timbuktu vorkommende Goro- oder, wie er
+schreibt, Guro-Nuß aus den Provinzen von Tamgrera, von Tente und Koni
+komme, daß die auf dem Markte von Kano vorkommende hingegen aus der
+nördlichen Provinz Assanti's komme, von einer Stadt, Namens Sselga.
+
+Man unterscheidet die echte Goro-Nuß, deren Inneres dunkelrosenfarbig,
+von angenehmem bitteren Geschmacke und nicht schleimartig ist, mit einer
+Abart derselben, ebenfalls inwendig roth, aber weniger bitter und einen
+gummiartigen Schleim beim Zerkauen abgebend. Diese beiden sind bekannt
+unter dem Namen =sterculia acuminata=. Sodann die weiße oder
+unechte Goro-Nuß, die nur an der Küste vorkommt und am wenigsten bitter
+ist. Es ist dies die =sterculia macrocarpa=.
+
+Nach Barth unterscheidet man sodann in Kano je nach der Größe der Frucht
+vier besondere Arten: =guria=, die größte, oft 1-1/2 bis zwei Zoll
+im Durchmesser haltend, die =marssakatu=, die =soara-n-naga=
+und die =mena=. Nach ihm (Band V. S. 28) unterscheidet man in Kano
+dann die je nach der Jahreszeit geernteten: die =dja-n-karagu=, die
+erste, welche Ende Februar, die =gummaguri=, die später und die
+=nata=, welche zuletzt gesammelt wird und die sich am längsten
+halten soll. In Timbuktu fand Barth drei verschiedene Arten. Aber alle
+diese Unterschiede sind nicht durch wesentliche Verschiedenheiten der
+Nuß selbst bedingt, sondern bestehen nur in willkürlich oder durch
+Gewohnheit angenommenen Merkmalen der Neger.
+
+Wird die Goro-Nuß alt und trocken, so wird die Oberfläche mehr runzlig
+und das Fleisch erhärtet fast wie Holz und nimmt eine braunrothe Färbung
+an. In diesem Zustande wird sie Kola-Nuß genannt, denn nur frische Nüsse
+heißen Goro. Der Geschmack der Nuß ist aromatisch bitter, etwas
+adstringirend und zerkaut färbt sie den Speichel gelb-röthlich. Sie
+hinterläßt einen süßlichen, süßholzartigen Nachgeschmack. Es unterliegt
+keinem Zweifel, daß die Goro-Nuß auch tonisch wirkt. Dieser angenehme,
+bitter-süße Geschmack ist aber nur bei frischen Nüssen zu bemerken,
+getrocknet verlieren die Kola-Nüsse fast jeden Geschmack, es ist dann
+fast, kaut man sie, als ob man ungebrannte Kaffeebohnen kaute. Aber auch
+in diesem Zustande müssen sie noch wirksame Bestandtheile besitzen, denn
+nur so kann man es sich erklären, daß die Kola-Nüsse noch eine so große
+Verbreitung und Anwendung haben.
+
+Die Araber, welche mit den Sudanländern Verbindung haben, schreiben der
+Goro-Nuß aber auch eine starke erotische Kraft zu und gerade dieser
+Eigenschaften wegen kauen sie dieselbe; außerdem behaupten sie, und dies
+gewiß mit Recht, daß die Nuß Appetit erregend sei und namentlich der
+Tabak besonders gut darauf schmecke.
+
+Natürlich kann sich, was räumliche Verbreitung anbetrifft, die Goro-Nuß
+keineswegs mit Thee, Kaffee, Tabak, Opium oder gar alkoholartigen
+Getränken messen; wenn wir aber bedenken, daß mehr oder weniger alle
+Bewohner des nördlichen und nordcentralafrikanischen Continents von
+diesem Stimulans Gebrauch machen, so liegt doch wohl die Frage nahe,
+_weshalb_ ist die Goro-Nuß so allgemein in Aufnahme gekommen, _warum_
+ist dieselbe heute gewissen Stämmen centralafrikanischer Völker ebenso
+unentbehrlich geworden, wie den meisten civilisirten Völkern der Thee
+oder Kaffee?
+
+Die meisten Individuen, die Gebrauch von Thee oder Kaffee machen,
+wissen nichts von den eigentlichen chemischen Eigenschaften dieser
+Vegetabilien. Sie haben wohl nie von Koffein gehört; sie würden gar
+nicht verstehen, wollte man ihnen sagen, daß unsere Physiologen und
+Chemiker dem Thee und Kaffee directe Wirkungen auf das Gehirn
+zuschreiben, und dennoch genießen sie unablässig entweder das eine oder
+das andere Getränk oder auch beide; sie würden sich vollkommen
+unglücklich fühlen, wollte man sie dieser Genüsse berauben. Die schon
+mehr Verständigen versuchen wohl die Ausrede, der Kaffee wirke tonisch,
+der Thee adstringirend, aber der große Haufe nimmt Kaffee und Thee zu
+sich, weil beide Getränke ihm _unbewußt_ ein _undefinirbares_ Vergnügen
+und Wohlbehagen verschaffen.
+
+Als ich von meiner Reise nach Centralafrika auf dem Rückwege Sierra
+Leone berührte, fand ich in der Hauptstadt dieser Halbinsel, in
+Freetown, auf dem dortigen Markte einen großen Vorrath Goro-Nüsse beider
+Arten. Ganz auf dieselbe Art verpackt, wie die Neger sie von den
+Küstenländern in das Innere von Afrika forttransportiren, d.h. zwischen
+feuchtem Moose gelagert und das Ganze in einem Bastkorbe verpackt, nahm
+ich einen solchen Korb voll mit nach Europa; die Nüsse hielten sich
+vortrefflich frisch. In Deutschland angekommen, schickte ich denn auch
+sogleich an meinen Gönner und Freund, unseren berühmten Chemiker, Baron
+Liebig, eine Partie Nüsse. Eine davon, welche gepflanzt wurde (im
+botanischen Garten der Universität), gedieh bis zum Jahre 1869 zu einer
+kräftigen Staude mit prächtigen, saftgrünen Blättern. Aber am
+interessantesten war für mich, daß v. Liebig mir mittheilte, daß er in
+den Goro-Nüssen mehr Koffeïn gefunden habe, als verhältnismäßig in den
+Kaffeebohnen selbst vorkomme. Man kann also dreist sagen, daß auch bei
+der Goro-Nuß, wie beim Kaffee oder Thee, das unbewußt Anziehende der
+Koffeïnstoff ist.
+
+Der Preis der Goro-Nuß ist sehr verschieden, je nach der Oertlichkeit
+und je nach der Größe und Art der Frucht. Weiße Nüsse gelten an der
+Küste Westafrika's 3000 Stück einen M.-Th.-Thaler, also das Stück eine
+Muschel. Rothe, namentlich wenn sie groß sind, gelten aber auch hier
+oder in der eigentlichen Heimath das Stück fünf Muscheln. Nach Barth
+schwankt je nach der Jahreszeit, nach ihrer Größe und Güte der Preis
+einer Nuß in Timbuktu zwischen 10 und 1000 Muscheln. In Kuka steigt der
+Preis bei schlechten Ernten, bei mangelhaftem Transport (ein Esel kann
+circa 6000 Nüsse transportiren), oder bei gehemmtem Karawanenverkehr,
+manchmal auf 500, ja auf 1000 Muscheln für eine einzelne Nuß. Aber so
+groß ist die Begierde der Neger nach diesem Artikel, daß auch dann sich
+noch Käufer finden. Unter solchen Umständen theilt man sich gegenseitig
+die kleinsten Stücke mit, ja unter den gewöhnlichen Leuten ist so wenig
+Ekel, daß sie keineswegs Anstoß daran nehmen, von einem besser Situirten
+ein schon halb ausgesogenes und abgekautes Stückchen Nuß zu empfangen,
+es in den Mund zu nehmen, um es vollends seiner bittern und aromatischen
+Substanz zu berauben.
+
+In allen Ländern Bornu's, Socoto's, Gando's, Yoruba's &c. ist die
+Uebersendung eines mit Goro-Nüssen gefüllten Korbes Seitens des Sultans
+oder Fürsten an den Fremden das Zeichen der Freundschaft und des
+Willkommens. Je größer die Nüsse, je gefüllter der Korb ist, eines um
+so besseren Empfanges kann man versichert sein. Und wie der Türke jeden
+Besucher mit einer Pfeife und einer Tasse Kaffee ehrt, so gehört es mit
+zum guten Ton in den civilisirten Negerländern, dem Fremden mit einer
+Goro-Nuß aufzuwarten. Sind die Nüsse selten oder wegen der Jahreszeit
+oder des Transportes theuer, so theilt man sie mit seinem Gefährten.
+
+
+2. _Tabak_.
+
+Von allen betäubenden Mitteln, die zugleich aufregend wirken, ist wohl
+keines verbreiteter als Tabak, und wenn man zu der Annahme berechtigt
+ist, daß die Tabakpflanze sich _nur_ von Amerika aus verbreitet hat,
+Amerika aber erst seit einigen Jahrhunderten für die übrige Welt
+erschlossen wurde, so muß man noch mehr staunen. Afrika, dieser compacte
+Erdtheil, der sich allen Culturbestrebungen bis jetzt verschlossen
+gezeigt hat, hat die Tabakspflanze bis zu seinem innersten Centrum
+dringen lassen. Nicht etwa, daß der Tabak, einmal eingeführt, sich
+selbst den Weg gebahnt hätte, wie gewisse Culturpflanzen und auch
+Unkraute es thun, indem sie mit unwiderstehlicher Macht _von selbst_
+vorwärts dringen, es sind die Menschen, die Eingeborenen dieses
+Erdtheiles selbst die Träger und Verbreiter dieser Pflanze gewesen. Und
+es giebt wohl keine Art und Weise, den Tabak zu nehmen, die nicht in
+Afrika Anwendung fände; hier raucht man, dort wird geschnupft, hier kaut
+man, dort wird Tabak als medizinisches Heilmittel gebraucht. Ja,
+Duveyrier[15] behauptet sogar, "daß arabische Frauen, mit elf Jahren
+verheirathet, Mütter mit zwölf Jahren, mit zwanzig Jahren schon
+Greisinnen, den Tabak als ein Aphrodisiacum gebrauchen, indem sie sich
+gewisse Körpertheile mit pulverisirtem Tabak bestreuen".
+
+Von verschiedenen Forschern ist die Frage ausgeworfen worden, ob bei der
+in Afrika durchgängigen Verbreitung des Tabaks die Pflanze nicht dort,
+wie in Amerika, _ureinheimisch_ gewesen sein könne. Ich wage hierüber
+kaum eine Meinung, vielweniger noch eine Entscheidung abzugeben. Am
+verbreitetsten in Afrika ist jedenfalls der Bauerntabak, =Nicotiana
+rustica=; aber auch der virginische Tabak, =N. tabacum L.=,
+findet sich in Afrika. Schweinfurth fand ihn bei den Monbuttos und im
+Tell von Algerien wird er durchweg gebaut. Indeß ist es, meine ich, kaum
+ein Grund, zu glauben, Nicotiana rustica dürfe darum ureinheimisch in
+Afrika sein, weil einige Völker ein eignes Wort dafür in ihrer Sprache
+besitzen und nicht eins, welches von "Tabak" abgeleitet sei oder damit
+in Verbindung stehe; auch für andere Gegenstände, von denen wir bestimmt
+wissen, daß sie ihnen von Außen zugebracht sind, haben sie oft genug das
+Originalwort verworfen und dafür ein neues, von ihnen erfundenes oder
+aus ihrer Sprache entlehntes an die Stelle gesetzt. Sodann kommt noch in
+Betracht: kann die =Nicotiana rustica= auf anderem Boden und unter
+anderen klimatischen Verhältnissen sich in tabacum veredeln oder ist
+eine Rückbildung von einer zur anderen Seite unmöglich? Verschiedene
+Tabakbauern haben mir gesagt, daß derartige Beobachtungen gemacht wären.
+
+Am allgemeinsten ist unter den verschiedenen Weisen den Tabak zu
+nehmen, das Rauchen verbreitet, und wenn es auch Stämme und Völker
+giebt, die blos schnupfen oder kauen, so giebt es andererseits auch
+Völker in Afrika, bei denen Männer und Frauen, ohne Ausnahme, der
+Gewohnheit des Rauchens huldigen. So z.B. die Kadje- und Bussa-Neger,
+die Tuareg. "=Chez les Touareg=," sagt Henry Duoeyrier S. 184,
+"=hommes et femmes fument et quoique la fumée du tabac rustique soit
+très acre, hommes et femmes la rendent par le nez=."
+
+Unsere Damen in Europa könnten also an den afrikanischen in dieser
+Beziehung lernen, denn mit Ausnahme der polnischen Aristokratie rauchen
+bei den _übrigen_ europäischen Völkern nur die Damen des =demi
+monde=.
+
+Während aber wir Europäer zum größten Theile den Tabaksrauch nur in die
+Mundhöhle einziehen, saugen die afrikanischen Völker den Rauch derart
+ein, daß die _ganze Lunge_ davon erfüllt wird: der immer mehr oder
+weniger mit Nicotin geschwängerte Tabak tritt also bei ihnen vermittelst
+der Lungenbläschen und der Capillarblutgefäße direct ins Blut über.
+Natürlich folgt daraus, daß bei diesen Leuten ein schneller Rausch
+eintritt. Dieser Tabaksrausch scheint aber aller angenehmen
+Eigenschaften zu entbehren, vielmehr nur in einer Art von
+Bewußtlosigkeit zu bestehen.
+
+Für die allgemeine Verbreitung des Tabaks spricht auch noch der Umstand,
+daß man in Afrika die einfachsten Gefäße, um den Tabak "rauchen" zu
+machen, nebst dem raffinirtesten, der Narghile, im Gebrauch hat. Ed.
+Mohr sagt aus, daß die Matchele-Neger einen Kegel aus Thonerde auf dem
+Boden formen, oben eine topfartige Höhlung hineindrücken, diese mit
+Kohlen etwas trocken brennen und siehe da, der Pfeifenkopf ist fertig.
+Sie füllen Tabakblätter hinein, bohren seitwärts ein Rohr ein, und
+nachdem nun das Kraut entzündet, kann das Rauchen beginnen. Weit
+complicirter ist das von Fritsch u.A. beobachtete Rauchen aus
+Antilopenhörnern, die schon eine rohe und primitive Narghile-Flaschen
+andeuten. Ganz auf ähnliche Art rauchen Abessinier und Galastämme aus
+Thonkrügen oder Flaschenkürbissen. Von den Monbutto sagt Dr.
+Schweinfurth[16]: "Sie rauchen aus einer Pfeife primitivster, aber
+durchaus praktischer Art, indem sie als Rohr die Mittelrippe eines
+Bananenblattes verwenden. Die vornehmsten unter ihnen lassen sich indeß
+von ihren Schmieden ein eisernes Rohr, gleichfalls von den Dimensionen
+des aus Bananenlaub geschnittenen (etwa fünf Fuß lang), herstellen. Das
+untere Ende dieses Rohrs ist geschlossen und statt dessen seitlich, kurz
+vor dem Ende, ein Einschnitt gemacht, in welchen eine mit Tabak gefüllte
+_Düte von Bananenlaub_ gesteckt wird, die als Pfeifenkopf dient."
+
+Aber wer wollte alle die Arten und Weisen aufzählen, auf welche
+afrikanische Völker Tabak rauchen. Ich führe nur noch an, daß die an den
+Ufern des Bénue lebenden Stämme den Tabak aus Thonköpfen rauchen,
+ähnlich den unsern, und daran haben sie so lange Rohre, daß die Pfeife
+im Stehen geraucht werden kann. Diese Stämme, namentlich die
+Bassa-Neger, sind so verpicht auf's Rauchen, daß sie z.B., gehen sie zu
+Boot, eigens im Schiffe ein Feuer unterhalten, um jederzeit ihre Pfeife
+wieder anzünden zu können. Die in den Berberstaaten nomadisirenden oder
+seßhaften Berber und Araber bedienen sich ohne Ausnahme eines
+_Röhrenknochens_ vom Schafe oder von einer Ziege. In das eine Ende der
+Knochenröhre wird der Tabak eingestopft und dann direct durchs andere
+Ende der Dampf eingesogen. Die Städtebewohner Nordafrika's huldigen der
+Narghile oder den Papiercigaretten. Die eigentliche Cigarre, also das
+Tabakrauchen unmittelbar, hat bei den Eingeborenen Afrika's bis jetzt
+wenig Anklang gefunden.
+
+Weniger gebräuchlich ist in Afrika die Sitte des Tabakkauens. Ich selbst
+beobachtete das Tabakkauen nur bei Tebu und einigen Negerstämmen am
+Tschad-See. Man nimmt dazu keinen besonders präparirten Tabak, sondern
+dieselben Blätter, welche Andere auch geraucht haben würden. Aber
+allgemein ist Brauch, den Saft des zerkauten Tabaks noch dadurch zu
+verschärfen, daß man Trona (kohlensaures Natron), welches in vielen
+Theilen Afrika's gefunden wird, hinzusetzt. Besondere Behälter, des
+Beschreibens werth, um Tabak und Trona aufzubewahren, haben die
+Eingeborenen nicht; irgend ein alter Lappen oder der Zipfel eines
+Kleides dient dazu.
+
+Noch weniger gebräuchlich ist das Prisen, es ist gewissermaßen
+Privilegium vornehmer Eingeborener. Der zu schnupfende Tabak wird
+äußerst fein gestoßen und sodann mischen die meisten dazu noch ein
+Achtel kohlensaures Natron. Reiche und angesehene Leute in Marokko
+erlauben sich heute auch den Gebrauch einer europäischen
+Schnupftabaks-Dose oder sie haben eine aus Ebenholz gefertigte große
+Birne, welche den Schnupftabak birgt. Aber in letzterer ist immer nur
+ein kleines Loch, verschlossen durch einen hölzernen Stöpsel. Und
+hierbei bemerke ich, daß die frommen mohammedanischen Leute wie bei
+uns[17] das Rauchen für sündhafter halten, als das Schnupfen. In Marokko
+rauchen selten die Schriftgelehrten, aber alle schnupfen. Zum
+Aufbewahren des Schnupftabaks haben die Völker von Mandara eine
+ausgehöhlte Bohne, Schotensame eines Baumes. Diese Bohnen haben
+anderthalb bis zwei Zoll Durchmesser, sind aber ganz glatt; durch eine
+kleine Oeffnung bringt man den Tabak hinein und heraus. Eine sehr
+beliebte Methode, den Schnupftabak aufzubewahren, ist, ihn in ein Stück
+Zuckerrohr zu schütten, dessen eines Ende mit einem alten Lappen
+verschlossen wird.--Afrika hat jedenfalls eine bedeutende Zukunft für
+den Anbau des Tabaks. Die in Algerien gezogenen Tabakssorten sind
+vortrefflich, aus Centralafrika von mir mitgebrachte Sorten (auf dem
+Markte von Kuka gekauft) wurden in Bremen für ausgezeichnet erklärt. Und
+der Tabak scheint in Afrika überall zu gedeihen, denn selbst in den
+heißesten Oasen der Sahara findet man Tabaksfelder und jeder Neger zieht
+in der Regel seinen Tabaksbedarf in seinem eigenen Garten.
+
+
+3. _Kaffee und Thee, Lakbi, Tetsch und andere alcoholartige Getränke_.
+
+Man kann keineswegs behaupten, daß Kaffee irgendwo in Afrika ein so
+nationales Getränk geworden ist, wie bei verschiedenen Völkern in
+Europa. Und gerade da, wo er am billigsten für das Volk herzustellen
+wäre, scheint er am wenigsten im Gebrauch zu sein, nämlich in den
+südabessinischen Provinzen. Dort, wo die Staude oder der Kaffeebaum
+überall wild wachsen und von wo sie erst im Anfange des 15. Jahrhunderts
+nach Arabien importirt wurden, scheinen die umwohnenden Völker kaum die
+Anwendung der Bohne zu kennen; die Abessinier aber trinken keinen
+Kaffee, weil sie dadurch zu sündigen glauben, sie meinen nämlich,
+Kaffeetrinken sei nur den Mohammedanern eigen.
+
+Der Kaffee wird in Afrika überall ohne Milch genommen, und die Art ihn
+durchzuseihen, ihn zu filtriren oder blos durch einen Aufguß heißen
+Wassers herzustellen, ist ungebräuchlich. "Kaffee machen" ist bei allen
+afrikanischen Völkern nur eine "=decoctio="[18]. Und zwar wird nur
+nach augenblicklichem Bedarfe Kaffee für eine Person, höchstens für drei
+bis vier Personen, in kleinen Gefäßen gekocht. Der auf's Feinste zu Mehl
+gestoßene Kaffee wird in ein kleines eisernes, mit kochend heißem Wasser
+gefülltes Gefäß gethan, dann läßt man diese Mischung einige Male über
+Kohlen aufkochen und das Getränk ist fertig. Diese Kochgefäße sind so
+klein, daß wenn z.B. für eine Person Kaffee bereitet wird, dasselbe
+auch kein größeres Quantum Wasser aufnehmen kann, als jene bekannten
+sogenannten türkischen Tassen fassen.
+
+In ganz Afrika, von Aegypten bis Marokko, von Tripolis bis nach Kuka,
+wird auf _diese_ Art der Kaffee bereitet. Aber wie Kaffee in allen
+diesen Ländern nur als eine Leckerei betrachtet wird, so findet man
+Kaffeehäuser nur in größeren Orten; bei nomadisirenden Stämmen erlaubt
+sich höchstens noch der Schech oder Kaid einer Tribe den Luxus einer
+täglichen Tasse Kaffee; überhaupt kann man sagen, ist Kaffeeverbreitung
+nur nördlich vom Atlas. In den Oasen Tafilet, Draa und Tuat sind die
+wenigen Kaffeehäuser zu zählen und die Besitzer müssen meistenteils noch
+irgend einen anderen Erwerbszweig nebenbei betreiben, um leben zu
+können. In Fesan besteht nur Ein Kaffeehaus in der Hauptstadt Mursuck,
+und der Eigentümer ist ein nach diesem Orte verbannter Türke, sonst
+würde vielleicht gar keins vorhanden sein. In Kuka, in Bautschi, in
+Kano, in Timbuktu sind Kaffeehäuser unbekannt. Man kann also im
+Allgemeinen sagen, südlich vom 30° nördlicher Breite hört in Afrika der
+Gebrauch des Kaffee's auf; denn wenn auch behauptet wird[19]: "der Sohn
+der Wüste trinkt seinen Kaffee ungemischt und den schwarzen, aber
+wahrhaften Satz sammt dem Aufguß; zuweilen bringt er es auf 80 Schälchen
+am Tage," so ist Ersteres richtig, alle Mohammedaner trinken den Kaffee
+mit dem Satze; aber wo wäre der Beduine, und wäre er selbst Chef einer
+Tribe, der die Mittel hätte, 80 Tassen Kaffee zu bezahlen? Kaffee ist
+nur Luxusgetränk in ganz Afrika, d.h. in dem Sinne, als Kaffee im
+Allgemeinen zu theuer ist, um als Volksnahrungs- oder Reizmittel gelten
+zu können. Schon der erste Anlaß, wie der Kaffee unter den Arabern in
+Yemen Aufnahme gefunden, spricht dafür, wenn auch das Ganze eine Fabel
+ist, daß in demselben Etwas enthalten sein muß, was eine
+unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Man erzählt nämlich, ein armer
+Derwisch habe bemerkt, daß seine Schafe und Ziegen jedesmal nach dem
+Abweiden einer gewissen Staude äußerst heiter und lustig gewesen seien,
+und als er sodann selbst von dieser Staude Blätter genossen, habe er
+dieselbe Wirkung verspürt.
+
+Die Sitte, Gischr, d.h. einen Absud von Kaffeehülsen zu trinken, wie Hr.
+v. Maltzan dies in Südarabien beobachtete, kennt man in Afrika nicht. Es
+hat dies übrigens gar nichts zu Verwunderndes. Denn nach Untersuchungen
+von Stenhouse enthalten die Blätter des Kaffeebaumes mehr Koffein als
+die Bohnen[20], also werden die Hülsen der Bohnen auch wohl das
+belebende Princip enthalten. Ebenso fand ich nicht den Gebrauch des
+Milchzugießens, den Maltzan auch an einigen Orten Südarabiens
+beobachtete. Abeken auf seiner Reise nach Oberägypten und Nubien fand
+dort Leute, die eine Abkochung aus rohen, ungebrannten Bohnen
+bereiteten. Abeken fand diese Kaffeebereitung so angenehm und
+schmackhaft, daß er in seinen letzten Lebensjahren immer nur eine
+Decoction aus ungebrannten Bohnen trank. Mir ist dieser Gebrauch
+nirgends vorgekommen.
+
+Noch weniger hat sich der Thee einbürgern können; aber während der
+Kaffeegebrauch im Osten von Nordafrika vorwiegend ist--denn Aegypten
+allein consumirt mehr Kaffee, als Tripolitanien, Tunesien, Algerien,
+Marokko und die Sudanländer zusammen--ist hingegen der Verbrauch von
+Thee im Westen von Nordafrika größer. Marokko bezieht mehr Thee als alle
+übrigen Länder Nordafrikas zusammen. Während nach Marokko jährlich
+wenigstens 5000 Kisten Thee importirt werden, bedarf Aegypten, welches
+doch eine ungefähr gleiche Bevölkerung hat, so wenig, daß unter den
+amtlich genannten Einfuhrartikeln vom Jahre 1868 Thee nicht genannt
+wird. Bibra[21] in seinem unten citirten Werke hat also vollkommen
+Recht, wenn er S. 66 sagt: "Von zweien solcher Aufgußgetränke mit allen
+ihren physiologischen Wirkungen auf den Organismus ist eins aber sicher
+überflüssig," und hier hat der Instinct der Menge entschieden. Beide
+herrschen nirgends neben einander, sondern eines derselben wird stets
+als Luxusgetränk consumirt und erscheint nur ausnahmsweise irgend einem
+einzelnen Individuum angemessener, als das allgemein eingeführte. Im
+Süden findet man auf allen großen Märkten, so in Kuka, wie in Kano,
+Saria und Timbuktu, Thee zu kaufen.
+
+Thee wird in Afrika nie allein bereitet; der Eingeborene von Aegypten
+schüttet ebenso gut wie der Tunesier und Marokkaner zu den Theeblättern
+einige Münzblätter oder auch Absynth, Luisa und andere aromatische
+Kräuter. Denn so wie man in Marokko den Thee braut, so wird er in ganz
+Afrika bereitet. Marokko ist ja der Religionsstaat schlechtweg, und wie
+alle mohammedanischen Afrikaner Malekiten sind wie die Maghrebiner, so
+bekommen sie auch vorzugsweise von Marokko in allen Gebräuchen,
+namentlich wenn diese irgendwie mit der Religion in Verbindung stehen,
+ihre Parole. Thee ist aber ein religiöses Getränk. Es _giebt_ fromme
+Schriftgelehrte, die Kaffee nicht trinken, weil Kaffee _gebrannt_ werden
+muß, Mohammed aber an irgend einer Stelle im Koran sagt: "Alles, was
+verbrannt ist, ist verboten."
+
+Die Afrikaner trinken nur grünen Thee, eine ziemlich geringe Sorte, der
+ihnen fast ausschließlich von den Engländern zugeführt wird. Die
+eigenthümliche Sitte, die Barth in Timbuktu beobachtete, daß man Thee
+und Zucker zusammen verkauft, als ob beide Waaren unzertrennlich wären,
+beobachtete ich auch an verschiedenen Orten. Denn wenn man in Afrika bei
+den Meisten bemerkt, daß sie den Kaffee bitter trinken, pflegen sie den
+Thee jedoch so stark zu süßen, daß an vielen Orten Thee ohne Zucker und
+Zucker ohne Thee nicht gedacht oder verkauft werden kann. Man kennt
+nirgends die Sitte, Thee und Milch zusammen zu mischen. In vielen
+Städten Nordafrika's genießen statt des Thee's verschiedene Leute einen
+Aufguß von Gewürzen. Ingwer, Nelken, Muscatblüthen werden mit heißem
+Wasser übergossen und zu dieser Infusion etwas Zucker gesetzt.
+
+Bedeutend volkstümlicher ist Lakbi, ein aus dem Safte der Dattelpalme
+gewonnenes Getränk. Man findet Lakbi in ganz Nordafrika im Gebrauch vom
+c.25° ö.L.v.F. an, dann im Westen von Nun, im Draathal, in Tafilet und
+Tuat wird nirgends Lakbi getrunken. Aber in Djerid, in den Oasen
+südlich von Konstantine, in ganz Tripolitanien, einschließlich der
+großen Oase Fesan bis nach Aegypten hin, findet man in allen Palmhainen
+immer Bäume, die angezapft sind. Man zieht die männliche Palme zum
+Anzapfen vor, einmal weil dieser Baum weniger Werth hat, dann auch, weil
+der Saft der männlichen Palme kräftiger sein soll. Das Anzapfen wird
+derart gemacht, daß oben der jüngste Sproß ausgehoben wird; dann wird
+eine Rinne nach dem äußeren Umfange gearbeitet und darunter ein Krug
+oder Topf befestigt. Im Frühjahr kann man in den ersten Tagen des
+Anzapfens bis zu 5 Liter erhalten. Die anfangs etwas milchige, fast
+widerlich süß schmeckende Flüssigkeit wird nach Verlauf von 24-36
+Stunden säuerlich, fängt an zu gähren und entwickelt nun Alcohol. In
+diesem Zustande ist Lakbi berauschender als Bier, aber schon nach
+abermals 24 Stunden bildet dies Spiritus haltende Getränk sich in Essig
+um. Den von Rüppel erwähnten _Dattelwein_, "ein widerlich süßes Getränk,
+aus halbgegohrenem Datteldecoct bereitet", habe ich nirgends
+angetroffen.
+
+Bedeutend beschränkter ist Meth, Tetsch oder Honigwein. Man kann sagen,
+daß dies Getränk eigentlich nur in Abessinien und den nächst
+angrenzenden Ländern getrunken wird. Die Bereitung des Tetsch geschieht
+in Abessinien ähnlich wie in England und bei uns, nur daß statt Hefen
+und Hopfen eine andere bittere Pflanze, Amdat genannt, hinzu gethan
+wird. Das Getränk wird in Abessinien gewöhnlich in großen Rindshörnern
+aufbewahrt, auch die Becher zum Trinken bestehen aus Horn. Tetsch ist
+sehr berauschend. Ausnahmsweise bereiten auch centralafrikanische Völker
+Honigwein, aber meistens stellen diese ihr bei uns Europäern unter dem
+Namen Busa oder auch Merissa bekanntes, berauschendes Getränk aus
+Getreide her. Es gehört schon ein guter Magen und ein wenig wählerischer
+Geschmack dazu, um das abscheuliche Getränk genießen zu können. Und da
+Busa und Merissa wenig alkoholartig sind, so gehören schon ungeheure
+Quantitäten dazu, wie sie eben nur ein Negermagen zu bergen vermag, um
+nur einigermaßen Wirkung zu spüren. Dennoch haben verschiedene
+Reisende[22] sich an dies schon äußerlich so widerlich
+(chocoladenfarbig) aussehende Getränk gewöhnen können. Die Maba in Wadai
+vertilgen ungeheure Quantitäten von Merissa, ebenso wird in Bagermi, in
+Mandala stark Busa getrunken; in Bornu, namentlich in der Hauptstadt
+Kuka, weniger.
+
+Von den Eingeborenen Afrika's wird Wein nur in Marokko und Tunis
+bereitet. Die Weinrebe kommt allerdings wohl in Abessinien vor, aber nur
+in einzelnen Stauden. Ebenso findet man in Unterägypten Weinreben, auch
+im Norden von Tripolitanien, aber nur Europäer bereiten etwas Wein
+davon. Es liegt das eben in den Verhältnissen Nordafrika's, das jetzt
+ganz in den Händen der Mohammedaner sich befindet, denen Wein
+bekanntlich verboten ist. Aber wie trefflich der Wein in Nordafrika
+wird, sieht man aus den Sorten, die jetzt von Algerien aus auf den Markt
+kommen; sie stehen an Güte den spanischen nicht nach. Im Weinlande
+Marokko aber verlegen sich trotz des Verbotes ihres Propheten genug
+Leute auf Weinbereitung und Weintrinken. Aber der Wein, den die
+Marokkaner durch Kochen herstellen, ist, obwohl sehr stark von
+Geschmack, herzlich schlecht und von Farbe ebenso abstoßend. Blume ist
+gar nicht vorhanden. Der Gebrauch des Weines in Marokko ist mehr auf dem
+Lande als in der Stadt zu Hause. Man nennt den Wein =Ssammed=,
+=Hammed= oder =Schrab=.
+
+Die in Nordafrika seßhaften Juden bereiten auch Schnaps aus Feigen,
+Rosinen und Datteln. Jeder Jude fast hat seinen eignen kleinen
+Destillationsapparat im Hause und macht sich nach seinen Bedürfnissen
+seinen Schnaps selbst. Der Schnaps der Juden ist gut, auch nicht zu
+stark, besonders rein im Geschmack. Man würde Unrecht thun, wollte man
+sagen, die einzelnen Juden seien Säufer; obschon sie alle Schnaps
+trinken, sind sie im Ganzen sehr mäßig darin. Desto mehr haben sie von
+der mohammedanischen Geistlichkeit zu leiden; oft dringt ein Thaleb oder
+auch ein Scherif in ein jüdisches Haus, bemächtigt sich des ganzen
+Schnapsvorrathes, um sich wie eine Bestie damit vollzusaufen; der arme
+Jude kann in dem Falle noch froh sein, wenn er ohne Prügel dabei
+wegkommt.
+
+Sonst ist beim eigentlichen Volke in Nordafrika das Schnapstrinken nicht
+gebräuchlich, erst wenn man den Niger erreicht hat, in den
+Yorubaländern, also der Küste zu, stößt man auf ganze Karawanen mit
+Kisten, welche Schnapsflaschen enthalten. Hier an der ganzen Westküste
+von Afrika huldigen die Schwarzen dem Gotte "Schnaps". Und welch'
+entsetzliches Getränk, das vorzugsweise in Frankreich und Deutschland
+fabricirt wird, wird ihnen zugeführt. Es unterliegt denn auch wohl
+keinem Zweifel daß nicht Kriege, wohl aber dieses entsetzliche Gift jene
+Völker in kürzester Zeit ausrotten und vertilgen werden. Denn diese
+Völker trinken nicht, sondern saufen, wenn sie Schnaps besitzen, so
+lange, bis sie wie todt auf dem Platze liegen bleiben. Und Schnaps
+können sie ohne Mühe und ohne große Arbeit haben. Wenn auch der
+Sclavenhandel früher die Mittel zum Schnaps für die Großen jener Länder
+geben mußte, oder die Könige auch direct ihre Unterthanen gegen Fässer
+Schnaps weggaben, so geht dies allerdings jetzt nicht mehr, denn an der
+Westküste von Afrika ist dem Sclavenhandel wohl ein Ende gemacht. Aber
+dafür tauscht sich gegen Palmöl, gegen Palmnüsse jetzt Jeder seinen
+Schnapsbedarf ein und die Wälder sind ja vorläufig an Oelpalmen so
+reich, daß an Mangel nicht zu denken ist. Während also früher nur die
+Könige und Vornehmen der Schwarzen Schnaps trinken konnten, kann jetzt
+Jeder diesen Artikel bekommen, der das Glück hat, den Europäern Nüsse
+oder Oel zu bringen. Der Schnaps wird eher mit den Schwarzen fertig
+werden, als es das Schwert oder die Flinte des Europäers vermöchte.
+
+
+4. _Opium und Haschisch_.
+
+In Afrika hat Opium nur geringen Anhang gefunden und wahrscheinlich ist
+dies Betäubungsmittel erst durch die Türken den Eingeborenen dieses
+Continents mitgetheilt worden. Die Mohnpflanze, dieselbe, wie die bei
+uns in Europa gezogene, entwickelt bei anderen klimatischen
+Verhältnissen in Afrika und Asien jene Eigenschaften, gute und böse, die
+in der Heilkunde so segensreich wirken, aber bei unnützem und
+übermäßigem Gebrauche sich als eines der bewährtesten Mittel erweisen,
+ganze Völker der Erde ohne Pulver und Blei von derselben verschwinden
+zu machen.
+
+Um Opium zu erzielen, bauen die Eingeborenen Afrika's die Mohnpflanze
+nur in Aegypten und zwar heute, nach Schweinfurth, _nur_ in Oberägypten.
+Und dem Anbaue des Zuckerrohrs und der Baumwolle wird der Mohn in
+Aegypten wohl bald ganz weichen müssen. Sodann wird aber auch in
+Marokko, namentlich in der Oase Tuat dieses Landes, Mohn des Opiums
+wegen angebaut, aber immer nur der Art, daß der Gewinn des Mohnsamens
+behufs Oelbereitung die Hauptsache bleibt, indem die Köpfe nur
+oberflächlich geritzt werden, damit der Samen seiner Hülsung unberaubt
+zur Reife kommen kann. Man kann deshalb auch sagen, daß der Gebrauch des
+Opiums sich nur auf die Städtebewohner beschränkt und zwar nur in
+Nordafrika.
+
+Man raucht den Opium oder man nimmt das Extract in Form von kleinen
+Stückchen oder Pillen. Aber nicht wie im Orient raucht man Opium allein,
+indem man ein Stückchen in eine kleine Pfeife bringt, eine Flamme
+darüber streichen läßt und den heißen Opiumrauch einathmet, sondern man
+legt das Extract aus eine Narghile und so vermischt man Tabak-und
+Opium-Narcose. In Aegypten, namentlich in Damiette, sah ich indeß auch
+Opium allein und direct rauchen.
+
+Das in Marokko verbrauchte Opium darf in den großen Städten nur durch
+von der Regierung bestellte Leute, die meistens auch den Tabakverkauf
+haben, verkauft werden. Früher wurde nur ägyptisches Opium verkauft,
+welches Pilger von ihrer Reise in kleinen, 2-3 Zoll großen Kuchen, die
+einen Zoll dick waren, mitbrachten. Jetzt wird in Marokko meistens aus
+Frankreich importirtes Opium, =opium crú=. d.h. wässeriges
+Opiumextract, gebraucht, nur in einzelnen Gegenden stellt man selbst
+Opium her. In Tuat, der großen südlich vom Atlas gelegenen Oase, fand
+ich die meisten Opiumesser und zwar Leute, die es so weit gebracht
+hatten, daß sie ohne Opium nicht mehr existiren konnten; in dieser Oase
+waren auch alle anderen Berauschungsmittel unbekannt. Leider giebt es
+aber auch in Afrika Europäer genug, die sich dem Opiumgenusse hingeben.
+Einer der gelehrtesten Männer in Keilschriften war derart dem Opium
+zugethan, daß er ohne dasselbe zu leben vollkommen unfähig war, er nahm
+Opium in roher Form und rauchte Tabak, den er in Opiumtinctur gelegt und
+macerirt hatte. Schon seit Jahren ist er dem Gifte erlegen. Ich selbst
+hatte unter Opiumgenuß monatelang zu leiden.
+
+Erkrankt in Rhadames an einer blutigen Dyssenterie, hatte ich große
+Gaben von Opium genommen und konnte ich mich des Gebrauchs nicht
+entschlagen, da ein Aufhören im Opiumessen oder auch nur ein Vermindern
+der Gaben gleich wieder heftige Diarrhöen zur Folge hatte, bis plötzlich
+der Genuß frischer Datteln (die sonst in der Regel gegenteilig wirken)
+Besserung erzielte.
+
+Keineswegs befand ich mich dabei in einem angenehmen Zustande;
+allerdings ist das "Bessersein", das Befreitsein von einer lästigen
+Krankheit schon Etwas, allerdings verspürt man eine Erleichterung, eine
+Behendigkeit in allen Gliedern, aber angenehme Empfindungen, sensuelle
+Erregungen traten nie bei mir ein. Es ist ja auch vollkommen constatirt,
+daß beständiger Opiumgenuß erotisch dämpfend ist. Das Haschen, das
+Jagen nach Opium hat wohl nur seinen Grund darin, daß es ein gewisses
+Wohlbehagen, eine _körperliche_ und in Folge davon auch eine geistige
+Gleichgültigkeit gegen Alles, was Einen umgiebt, mit sich im Gefolge
+hat.
+
+Viel verbreiteter als Opium ist Haschisch in Afrika. Aber die Angabe v.
+Bibra's, daß es 300 Millionen Haschischesser auf der Erde überhaupt
+gebe, möchte ich doch nicht unterschreiben. In Afrika z.B., wo von
+Marokko jedenfalls das größte Contingent gestellt wird, würde man
+höchstens sagen können, daß von der ungefähren Bevölkerung dieses
+Landes, die man auf circa 6,500,000 Seelen rechnen kann, höchstens die
+Hälfte Haschisch nimmt. Von Westen nach dem Osten nimmt in Afrika der
+Hanfgenuß ab, ebenso von Norden nach Süden. In Tunis, in Algerien giebt
+es noch viele Haschischkneipen, weniger schon in Tripolitanien und
+Aegypten. Schweinfurth fand Hanfesser nur im Delta, doch kommen sie
+sporadisch auch wohl noch weiter nach dem Süden zu vor. In Fesan baut
+man Hanf nur an einzelnen Orten, nach Duveyrier besonders in Tragen.
+Frauen huldigen sehr selten in Afrika dem Hanfe. Im Süden wird nur
+vereinzelt =cannabis indica= genommen und ist dort wohl von den
+Arabern importirt worden, entgegengesetzt der Ansicht von Escayrac de
+Lauture, der die cannabis indica aus dem Süden stammen lassen will.
+Hervorgerufen war wohl diese Ansicht dadurch, daß man früher glaubte,
+die cannabis indica sei unterschieden von der =cannabis sativa=.
+Das ist nicht der Fall. Auch hier bringen die topographischen und
+klimatischen Einflüsse bei _derselben_ Pflanze nur andere und zwar im
+Süden kräftigere Eigenschaften hervor.
+
+Aber wie die Eigenschaften des Hanfes je mehr und mehr nach Norden an
+Wirksamkeit zu verlieren scheinen, so scheint auch die Empfänglichkeit
+für dies Narcoticum im Norden schwieriger vor sich zu gehen, als in
+einem südlichen Klima[23]. Professor Preyer in Jena konnte mit guten
+Haschischblättern, die ich frisch und direct von Tripolis hatte kommen
+lassen, keine besonderen Rauschresultate erzielen; v. Liebig fand in
+Blättern derselben Sendung keine anderen wirksamen Bestandtheile, als in
+der =cannabis sativa=.
+
+Man könnte also fast sagen, um eines vollkommenen Rausches theilhaftig
+zu werden, muß man in südlichen Ländern gezogenen Hanf in südlichen
+Ländern nehmen.
+
+Ich habe an anderen Orten meine an mir selbst angestellten Beobachtungen
+niedergelegt. Und wenn ich diesen im Jahre 1866 angestellten Versuch mit
+denen vergleiche, die Dr. Lay, Dr. Moreau, v. Bibra, Dr. Baierlacher u.
+A. vorgenommen, so kann ich nur bestätigen, daß in der Hauptsache meine
+Empfindungen mit denen der genannten Beobachter übereinstimmen.
+
+Der wirksame Stoff in der cannabis indica ist ein von Gastinel
+hergestelltes und von ihm Haschischin genanntes Alcaloid von schöner
+grüner, jedoch nicht von Chlorophyll herrührender Farbe. Genommen wird
+Hanf in Theeform oder man pulverisirt die getrockneten Blätter und
+schluckt sie mit Wasser hinab, oder man raucht dieselben, oder sie
+werden zu einer mit Zucker und Gewürzen verarbeiteten Pastete, "Madjun"
+genannt, gegessen[24]. Letztere Form findet man nur in den Städten.
+
+Fast in ganz Afrika wird vorzugsweise Hanf _geraucht_, wenigstens fängt
+man hiermit an; erst im zweiten Stadium wird Haschisch gegessen. Das
+Rauchen hat einfach deshalb nicht so großen Erfolg, weil selbst geübte
+Veteranen im Narghilerauchen es schwer vertragen, den beißenden und
+ätzenden Dampf durch die Lunge direct mit dem Blute in Berührung zu
+bringen. Es ist deshalb auch übertrieben, wenn einzelne Reisende
+berichten, es gebe Hanfraucher, die es bis auf 30 Pfeifen und mehr
+täglich bringen könnten. Abgesehen davon, daß die Haschischpfeifenköpfe
+nicht größer sind, als das Viertel eines Fingerhutes einer Dame, so
+ziehen die auf Hanf erpichtesten Raucher selten mehr als zwei bis drei
+Züge aus dem Pfeifchen, pausiren sodann lange Zeit oder lassen die
+Pfeife ausgehen, oder aber, wenn sie reich und großmüthig sind, reichen
+sie die Pfeife zum Mitrauchen einem Nebensitzenden.
+
+Das wirksame Princip des Hanfes sitzt besonders in den Blättern und den
+feinsten Stengeln und zwar zu der Zeit, wenn der Same eben reif geworden
+ist. Im Samen selbst, der stark ölartig ist, scheint Haschischin wenig
+oder gar nicht enthalten zu sein; die Haschischesser werfen denn auch
+den Samen fort, wenn sie die Blätter bereiten. In den Ländern Afrika's,
+die ich durchreist habe, habe ich nie von einem Harz, "Churrus"
+genannt[25], welches aus den Blättern schwitzt, reden hören, noch habe
+ich es selbst zu sehen bekommen.
+
+Die Wirkungen des Haschisch lassen sich dahin zusammenfassen, daß im
+Anfange bei kleinen Dosen die Eßlust stark angeregt wird, während
+fortgesetzter Gebrauch und große Dosen eine Störung aller Lebensprozesse
+im Körper bewirken. Wem cannabis indica zur Gewohnheit geworden ist,
+kann sich davon schwerer entwöhnen, als der Trunkenbold von
+alkoholartigen Getränken, der Opiophage vom Opium. Auf das Nervensystem
+wirkt nach den Resultaten der Versuche, die als glaubwürdig vorliegen,
+das Haschisch so, daß mit einer Erleichterung im "Fühlen alles
+Körperlichen" (man glaubt zu schweben) eine große momentane
+_Gedächtnißstärke_ verbunden ist, man erinnert sich an Ereignisse,
+welche einem seit Jahren nicht mehr ins Gedächtniß gekommen sind. Und
+auch körperlich scheinen die Gegenstände sich zu _vergrößern_ und zu
+_verlängern_: Straßen werden endlos, Häuser scheinen in den Himmel
+hineinzuragen. Dr. Mornau sagt treffend[26]: "Die Grenzen der
+Möglichkeit, das Maß des Raumes in der Zeit hören auf, die Secunde ist
+ein Jahrhundert und mit einem Schritte überschreitet man die Welt;" und
+weiter sagt derselbe Beobachter: "im Gehen sei ihm eine Straße unendlich
+verlängert vorgekommen." Ganz dieselben Beobachtungen habe ich auch
+gemacht.
+
+Es kommen sodann schließlich bei geringstem Anlasse Sinnestäuschungen
+vor, eine unbemalte Wand erscheint in den schönsten Farben, das Gquieke
+einer Thür ertönt wie symphonische Concerte und wenn einerseits das
+Gedächtniß neu belebt erscheint, vergißt man oft bei einem ganz kurzen
+Redesatze den Anfang desselben, als ob man seit Stunden geredet hätte.
+
+So achtungswerth aber auch die Namen gewisser Reisenden sind, so möchte
+ich nicht die Ansicht mit vertreten, daß Haschisch eine Wirkung
+hervorrufen könnte, einen Menschen, wie Treevelgar erzählt, in
+zehntägige Katalepsie zu versetzen. Dagegen finde ich den von
+O'Shangnessy[27] mitgetheilen Fall von einer durch Haschisch bewirkten
+_vorübergehenden_ Katalepsie vollkommen glaubwürdig. Fallen doch fast
+alle veralteten Hanfesser in eine mehr oder weniger lange anhaltende
+Starrsucht.
+
+Jedenfalls wird man nicht zu viel sagen, wenn man behauptet, daß die
+cannabis indica, eines der heftigsten Reizmittel, im Stande ist, nicht
+nur die herrlichsten Empfindungen, die bezauberndsten Bilder zu
+schaffen, sondern auch den Menschen gewissermaßen momentan der Erde zu
+entrücken, aber auch andererseits wegen des Giftes, das darin liegt,
+eines der gefährlichsten Präparate, das mit unwiderstehlicher Gewalt den
+Menschen, der sich ihm hingegeben, festhält und nach Kurzem tödtet.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 15:= Les Touareg du Nord, p. 185=.]
+
+[Footnote 16: Zeitschr. der Gesellsch. für Erdk. VII. Bd. V. Heft.]
+
+[Footnote 17: Papst Urban VIII. erließ 1624 eine Bulle gegen das
+Tabakschnupfen in den Kirchen, aber trotz dieses unfehlbaren Edicts
+schnupfen heute fast alle Priester in den Kirchen wie _außerhalb_.]
+
+[Footnote 18: Europäische Aerzte verordnen übrigens auch nur eine
+=decoctio=, keine =infusio= des Kaffee's]
+
+[Footnote 19: Ausland 1872. S. 948.]
+
+[Footnote 20: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel. Nürnberg 1855.]
+
+[Footnote 21: Dr. v. Bibra, Narcotische Genußmittel.]
+
+[Footnote 22: Auch Schweinfurth sagt, er habe auf seiner letzten Reise
+ein gutes, dem deutschen Biere ähnliches Getränk gefunden.]
+
+[Footnote 23: Globus 1866 und Land und Leute in Afrika, Rüthmann, Bremen
+1870]
+
+[Footnote 24: Ich führe hier an, daß wenn Europäer mit Hanf Versuche
+anstellen wollen, sie sich mit größter Vorsicht dabei des Madjun
+bedienen mögen, da in der Regel auch Cantharibenpulver dazwischen
+gemischt ist.]
+
+[Footnote 25: v. Bibra, S. 266.]
+
+[Footnote 26: v. Bibra, S. 272.]
+
+[Footnote 27: v. Bibra, S. 284.]
+
+
+
+
+8. Aufbruch zur Libyschen Wüste.
+
+
+"Wie ein Afrikareisender mit einer Schlittenpartie seine Reise in die
+Libysche Wüste antritt", hätte ich dieses Mal mein Tagebuch
+überschreiben können. Das ist auch wohl noch nicht dagewesen, und
+doch,--denn als ich meine zweite Reise antrat, mußte ich ja auch nach
+einigen Tagemärschen, wenn auch nicht durch oder über Schnee, so doch
+daran vorbei und noch dazu in Afrika selbst, auf dem großen Atlas.
+
+Diesmal galt es nun zwar nicht, den mit Schnee bedeckten Atlas zu
+übersteigen, sondern auf angenehmste Weise über den herrlichsten aller
+Alpenpässe zu kutschiren, über den Splügen. Am Morgen in der Frühe
+sollte es weiter gehen, und so geschah es auch. Eine ziemlich zahlreiche
+Reisegesellschaft, drei große Postwagen voll Menschen beiderlei
+Geschlechts, von jeglichem Alter, von jedem Stande. Ich hatte für mich
+einen Coupéplatz bekommen und Noël[28] im selben Wagen einen
+Interieurplatz. Neben mir (die Coupés haben nur zwei Plätze) saß noch
+eine junge Dame, ein Mädchen, ein Backfisch, ein Kind--eine jede dieser
+Bezeichnungen würde auf sie gepaßt haben--nicht hübsch, nicht häßlich,
+Schweizern, mit einer entsetzlichen Aussprache des Deutschen und
+ungemein schüchtern, verlegen und blöde. Der Backfisch, nennen wir sie
+so, war in Belfort in Pension gewesen, um Französisch zu lernen; unter
+der Zeit waren seine Eltern von der Schweiz, wo sie ansässig gewesen
+waren, nach Bergamo gezogen und jetzt, nach beendigtem Cursus, sollte
+der Backfisch wieder heim zu den Eltern. Und das ging ganz gut, wie ein
+Packet wurde er befördert. In Chur logirten wir z.B. im "Luckmanier"
+zusammen, der Backfisch wurde von der Wirthin empfangen u. Abends, als
+der Wirth gehört hatte, ich reise nach Italien, kam er zu mir, ob ich
+nicht den Backfisch unter meine Obhut bis Como oder Lecco nehmen wolle,
+dort würde er von verwandten Fischern in Empfang genommen werden.
+Natürlich sagte ich nicht "nein" und merkwürdig genug traf es sich, daß
+im Interieur eine nach--der Türkei, nach Trapezunt reisende Dame sich
+unter Noël's Schutz begab.
+
+Ich unterlasse es, von den Schönheiten der =Via mala= zu sprechen,
+offenbar der schönste und großartigste Paß, der über die Alpen führt und
+welcher, da der Baumbestand aus Nadelhölzern besteht, zu jeder Zeit grün
+ist. Ja, ich möchte sagen, der naturschönheitliche Reiz wird im Winter
+eher erhöht, als vermindert durch die starken Contraste des
+blendendweißen Schnees und des tiefen, fast schwarzen Grüns der Fichten
+und Kiefern. Als sämmtliche Passagiere obligaterweise an der Stelle
+ausgestiegen waren, wo die =Via mala= am engsten ist und wo eine
+Brücke über den Schlund führt, die man auch Teufelsbrücke hätte nennen
+können, ging es weiter und Mittags erreichten wir Splügen.
+
+Eine gemeinschaftliche =Table d'hôte= brachte alle Reisenden
+zusammen und der gute Veltliner Wein, wie das warme Zimmer führten eine
+recht animirte Unterhaltung herbei, denn zur Hälfte waren die Reisenden
+Italiener, welche, froh, bald die Grenze ihrer =cara Italia=
+erreicht zu haben, nicht verfehlten, ein Glas mehr, als gewöhnlich, zu
+trinken. Mit dem Orte Splügen hat man aber keineswegs die Paßhöhe
+erreicht. Im Gegentheil, jetzt beginnt erst das _steile_ Steigen und
+eine Viertelstunde oberhalb des Dorfes fanden wir ein ganzes
+Schlittendepôt. Die Postkutschen wurden verlassen und je Zwei wurden in
+einen eleganten Schlitten gepackt; wir hatten die Schneegrenze erreicht.
+Natürlich geht dieselbe im December noch tiefer, bis Chur selbst,
+hinunter und fängt im Januar und Februar gar unterhalb Chur an, aber im
+November und October fällt Schnee nur bis Splügen und etwas oberhalb.
+
+Hatten wir am Tage vorher abscheulich nebliges Wetter gehabt, so war
+unsere =Via-mala=-Tour, unsere Schlittenpartie über den Splügen,
+durch den sonnigsten, italienischen Himmel verherrlicht. Aber kalt war
+es. Trotz des Südwindes, der allerdings stundenlang über Gletscher und
+Schneefelder fegte, fror man bis auf's Innerste. Wie froh war ich, daß
+ich meinen grauen Mantel und die Pelzdecke mitgenommen hatte. Drei
+Stunden brauchten wir zu dieser Schlittenfahrt und man kann sich einen
+Begriff machen, welche Schneemassen im Laufe des Winters auf den Alpen
+angehäuft werden, wenn ich sage, daß wir manchmal Stellen passirten, wo
+der Schnee schon (durch Anwehen) 10-12' hoch lag. Auf der Südseite, noch
+mitten im Schnee, liegt die italienische Douane, während man die Grenze
+schon früher auf der Kante des Passes selbst passirt hat.
+
+Die Zollbeamten waren diesmal äußerst milde; hielten sie mich für irgend
+eine besondere Persönlichkeit (denn in den Augen aller dieser Leute
+passirte Noël immer als mein Diener), oder ist die Praxis überhaupt
+milder geworden, genug, es wurde nur ein Koffer pro forma geöffnet und
+damit war Alles fertig. Ich war namentlich froh wegen meiner Patronen,
+die ich ja gern versteuert hätte, von denen ich aber fürchten mußte, sie
+würden confiscirt werden.
+
+Bald darauf erreichten wir die südliche Schneegrenze und in ebenso guten
+Postkutschen ging es weiter. Den herrlichen Punkt, wo ein Gießbach ins
+Thal hinab braust und wo man der Fernsicht halber eigens eine Kanzel
+erbaut hat, von der man die schönste Aussicht genießen kann, passirten
+wir noch eben bei Licht, dann noch eine halbe Stunde das schönste
+Alpenglühen, wie ich es nie leuchtender und intensiver gesehen habe, und
+tiefe Nacht senkte sich rasch auf uns herab. Nach zwei Stunden, d.h. um
+6-1/2 Uhr Abends, waren wir in Chiavenna.
+
+Das Hotel zur Post, von dem Herrn Schreiber gehalten, ist berühmt in
+ganz Italien und auch wir konnten mit dem Nachtmahl, welches uns
+aufgetischt wurde, nur zufrieden sein; ja, das Lob seines Valtelliner
+machte, daß er uns noch eine Flasche, natürlich für unser Geld,
+heraufholte. Wir schieden um 10 Uhr als gute Freunde (im ganzen Hôtel
+ist nur deutsche Bedienung) und weiter ging's bis Colico, welchen Ort
+wir um 1 Uhr Nachts erreichten. In Colico selbst wurde nur umgeladen in
+einen anderen Wagen, der nach Lecco bestimmt war.
+
+Aus dieser schönen Tour längs des Lago di Como, die ich übrigens zu
+Lande schon einmal, zur See schon mehreremal gemacht habe, merkten wir
+nun zwar nichts von den Reizen der Natur, aber die milderen Lüfte und
+zur Seite des Wagens die belaubten Olivenbäume bekundeten auch so genug,
+daß wir uns auf der anderen Seite der Alpen befänden.
+
+In Lecco angekommen, wurde ich des kleinen Backfisches ledig. Als wir
+uns aus dem Omnibus Einer nach dem Anderen entwickelten, stand ein Herr
+bereit: "Sind Sie Fräulein Müller?" (Meier, Schulze oder Schmidt, so
+ungefähr klingt der Name). "Ja, ich bin es." Und damit fiel die junge
+Dame in verwandtschaftliche Arme.
+
+Wir Anderen fuhren von Lecco gleich mit der Bahn bis Mailand weiter und
+direct ins Hôtel Reichmann, nächtigten daselbst und fuhren ohne
+Unterbrechung nach Brindisi, wo wir Abends um 10 Uhr anlangten. Von den
+anderen Herren war noch Niemand hier, ich vermuthete, Alle seien wegen
+des Choleragerüchtes über Triest gegangen. Zu meiner Freude hörte ich
+aber bald darauf, daß die Cholera erloschen sei.
+
+In Brindisi ist ein vorzügliches Hôtel, das des =Indes orientales=.
+Die Absicht, in eine Locomda zu gehen, gab ich auf, da ein
+italienischer Reisegefährte mir unterwegs sagte, man bekäme dort
+unfehlbar =pedocchi= d.h. die Thierchen, welche die Franzosen im
+Gegensatze zu den Flöhen, der leichten Cavallerie, die schwere nennen.
+Näher brauche ich diese menschenfreundlichen Thierchen wohl nicht zu
+bezeichnen. Ich dachte aber, es ist noch früh genug; wenn man sich ihrer
+in Afrika nicht wird erwehren _können_, dann muß man mit ihnen
+haushalten.
+
+Komisch erschien mir die Extravaganz der italienischen Damen in den
+neuesten Moden: fußhohe Chignons aller möglichen Formen, selbst die
+Hörner der Pullo-Frauen[29], die Wulste der Mandara-Damen[30] sind nicht
+ausgeschlossen; ich glaube, keine Damen der Welt entwickeln so viel
+Phantasie in der Herstellung aller nur möglichen Haartouren, als die
+schönen Milaneserinnen. Sehr häufig sieht man vorn auf der Stirn kleine
+Löckchen glatt angeklebt mit Pomade, ein entsetzlich schlechter
+Geschmack. Alles dies gilt nur von der vornehmen Welt, das Volk ist in
+dieser Beziehung vernünftiger.
+
+Mein Zimmer in der Bel-Etage des Hôtels von Brindisi ging auf den Hafen,
+und wenn auch keine großartige Aussicht geboten ist, so hat man doch
+immer ein belebtes Bild.
+
+Ich verbrachte meine Zeit damit, daß ich dem englischen Consul einen
+Besuch machte, um seine herrliche Sammlung von Antiken u.s.w. zu
+besehen. Er empfing mich sehr freundlich und hatte, wie er sagte, aus
+der "Times" schon mein Kommen über Brindisi erfahren. Sodann suchte ich
+den Archidiakon Farentini auf, der die Bibliothek unter sich hat, in der
+sich nebenbei ebenfalls ein kleines archäologisches Museum befindet,
+welches einzelne hübsche Sachen, z.B. ein prachtvolles Lacrimale[31] und
+interessante Broncestatuetten enthält. Bei der Gelegenheit zeigte er mir
+auch eine höchst merkwürdige Vase, welche sich im Reliquien-Schreine des
+Doms befindet, von so feinkörnigem Granit, wie ich ihn nie gesehen. Sie
+soll durch Kreuzfahrer aus Palästina gekommen sein, so sagen die
+ältesten Chroniken. Ob sie, wie Pater Farentini behauptet, phönicischen
+Ursprunges ist, wage ich nicht zu bestätigen. Nach dem Volksglauben
+ältester Zeit soll dies dieselbe Vase sein, in der Jesus Wasser in Wein
+verwandelt hat. Pater Giov. Farentini fügte aber hinzu: "Ich für meinen
+Theil halte sie nur werth als ein höchst interessantes Kunstwerk, die
+damit verknüpfte heilige Legende überlassen wir dem Volke." Ein
+liebenswürdiger alter Mann, dieser Domherr, der sich ein über das andere
+Mal selbst besegnete (=benedetto io=), daß er meine Bekanntschaft
+gemacht habe. Am nächsten Tage wollte er mir noch einige
+Merkwürdigkeiten in der Stadt und Umgegend zeigen, obschon Brindisi in
+dieser Beziehung sehr arm ist.
+
+Nur langsam erholt sich diese einst so wichtige Stadt, welche im
+Alterthum über 100,000 Einwohner, jetzt kaum 10,000 Seelen hat.
+
+Strabo, welcher ausführlich von dieser alten Stadt handelt, sagt[32].
+Brundusium soll, wie gesagt wird, eine Colonie der Kreter sein, die mit
+dem Theseus aus Knossus dahin kamen. Sodann lobt Strabo den Hafen der
+Stadt, nach ihm ungleich besser als der Tarents, und fügt hinzu, dieser,
+wie es dem Anscheine nach aussieht, einzige Hafen theilt sich inwendig
+in eine Menge kleinerer Busen, so daß der gesammte Hafen die Gestalt
+eines Hirschkopfes bekommt, daher die Stadt auch ihren Namen erhalten
+haben soll, denn in der Sprache der Messapier heißt ein Hirschkopf
+Brundusium.
+
+Brundusium ist auch nach Strabo der gewöhnliche Hafen, aus dem man
+ausfährt, wenn man nach Griechenland oder Asien übersetzen will, und
+alle Griechen und Asiaten landen auch hier, wenn sie Rom sehen wollen.
+Brundusium gilt als Geburtsstätte des Tragödiendichters Pacuvius, und
+Virgil ist hier gestorben.
+
+Mit dem Zusammensinken des römischen Reiches hörte die Blüthe der Stadt
+aus, natürlich weil der Verkehr zwischen Morgenland und Abendland
+stockte. Und als dann zur Zeit der Kreuzzüge auf einmal wieder ein
+lebhafter, wenn auch feindlicher Zusammenstoß zwischen Occident und
+Orient stattfand, hob sich Brundusium rasch wieder und erlangte eine
+Einwohnerzahl, die auf 60,000 Seelen veranschlagt wird. Kaiser
+Barbarossa bevorzugte namentlich den Hafen und er ist auch der Erbauer
+des Castells. Mit dem Falle Jerusalems, mit der Beendigung der
+Kreuzzüge hing auch der Verfall Brundusiums zusammen.
+
+Erst jetzt, wo Brindisi wieder Hauptausgangspunkt und Ankunftsort für
+Abendland und Morgenland geworden ist, hebt sich die Stadt wieder. Da
+aber jetzt die diese Straße Ziehenden bei Weitem nicht so lange im Hafen
+weilen wie im Alterthum, so ist der Aufschwung der Stadt ein viel
+langsamerer. Aber Brindisi wird jedenfalls, wird diese Linie
+beibehalten, immer eine gewisse Wichtigkeit bewahren.
+
+Die Stadt selbst macht auch nur einen sehr dürftigen Eindruck; zwar sind
+die Straßen mit herrlichen Quadern gepflastert, aber meist sehr schmal,
+die Häuser zum größten Theile einstöckig, und dann macht es einen höchst
+traurigen Eindruck, daß so viele Bauten unvollendet gelassen, zum Theil
+schon wieder Ruine geworden sind. Was war die Ursache davon? Hatte man
+kein Geld, keine Lust zum Weiterbauen? Aber wie erquickt Einen das
+herrliche Grün, wie lächeln Einem die allbekannten Opuntien und
+langblätterigen Aloës zu, wie bekannt und heimisch winkt der hohe
+Palmbaum! Dazu das lebendige Treiben auf der Straße. Die wirklich
+madonnenhaften Antlitze der jungen Mädchen, denn eine durchweg schöne
+Bevölkerung ist in Apulien und namentlich der weibliche Theil, ist fast
+durchaus schön zu nennen.
+
+Und so wie es ist muß es auch sein; ich möchte nichts von dem wissen,
+wie wir uns Italien seit jeher vorgestellt haben und wie es in der That
+ist. Da scandalirt man über den Schmutz[33] der neapolitanischen
+Bevölkerung, über die =shocking= Nacktheit der dort
+herumlaufenden, herumkriechenden Kinder, aber man mache einmal aus
+Neapel eine nach holländischer Art abgewaschene Stadt--und Neapel ist
+nicht mehr Neapel.
+
+Ein ununterbrochener Regen goß herab, auf der Post fand ich einen Brief
+von Ernst[34], dem an der Grenze die Patronen confiscirt waren, der
+sonst aber wohlbehalten mit Taubert[35] in Triest angekommen war. Auch
+Jordan[36] schrieb von dort vom 20.: er sei mit Remelé[37] und drei
+Dienern in Triest angekommen, habe meine beiden Diener gefunden und
+Freitag Nachts hätten sie sich an Bord begeben. Zittel[38] und
+Schweinfurth[39] könnten nun möglicherweise am selben Abend noch hierher
+kommen, wenn sie nicht auch die Route Triest genommen hätten; am Abend
+vorher hatte ich sie vergebens erwartet.
+
+Als ich meine Briefe postirt hatte, legte sich der Platzregen, welcher
+den ganzen Morgen mit ununterbrochener Wuth herabgeströmt war, und bald
+darauf erschien der Archidiakon Farentini, um mich abzuholen. Er zeigte
+mir zuerst eine höchst merkwürdige Kirche, eine sehr alte Baute, die
+ursprünglich frei angelegt, später durch den Ueberbau einer anderen
+Kirche zu einer Krypta gemacht und jetzt wieder durch Hinwegräumung des
+umgebenden Terrains eine überirdische Kirche geworden ist. Sie rührt aus
+dem 5. oder 6. Jahrhundert her. Sodann gingen wir nach einer Rotunde,
+einer Ruine, von der die Reisebücher behaupten, sie sei als christliche
+Kirche gebaut, was indeß keineswegs erwiesen ist. Jedenfalls rühren die
+Säulen, die Capitäler von verschiedener Ordnung von alten römischen oder
+griechischen Tempeln her. Es war mittlerweile dunkel geworden und wir
+verabschiedeten uns von einander.
+
+Bei meiner Nachhausekunft fand ich Zittel und Ascherson vor. Sie waren
+beide über Rom und Neapel Nachmittags in Brindisi eingetroffen und
+Ascherson hatte den kurzen Aufenthalt schon benutzt, um zu botanisiren;
+ganz mit Pflanzen beladen kam er nach Hause. Wir dinirten noch
+gemeinschaftlich und gingen dann um 7 Uhr an Bord. Zuerst hatten Noël
+und ich, Ascherson und Zittel je eine Cajüte für uns, als aber dann in
+unsere Cabinen noch fremde Leute hineingesteckt wurden, tauschten wir
+derart, daß wir Vier zusammenkamen. Ich konnte die Nacht gar nicht
+schlafen, die Betten waren sehr hart und schmal und gegen Morgen
+entstand ein Höllenlärm, denn um 3 Uhr kam ein Londoner Expreßtrain, den
+auch Schweinfurth benutzt hatte, von Bologna und um 8 Uhr Morgens kurz
+vor Frühstückszeit, als wir auf dem Deck erschienen, waren wir schon
+=en route=; es war köstliches Wetter, das Meer leicht gewellt, was
+aber dem sehr großen Dampfer keine Bewegung verursachte.
+
+Um 10 Uhr Morgens fuhren wir bei der griechischen Stadt Navarin vorbei;
+auch an dem Tage herrliches Wetter, wenn auch etwas trüber. Je mehr wir
+nach dem Süden kamen, desto milder wurde die Lufttemperatur und Abends
+hatten wir immer das schönste Meerleuchten, und die Zeit wäre gewiß so
+angenehm wie möglich vergangen, wenn nicht Regenwetter eingetreten wäre,
+welches uns nöthigte unter Deck zu bleiben. Die letzten beiden Tage
+hatten wir sogar Sturm; Zittel und Ascherson waren seekrank,
+Schweinfurth, Noël und ich hielten uns vortrefflich; aber Zittel mußte
+einen ganzen Tag im Bette liegen, da er sich stark erkältet hatte und
+heftige Halsschmerzen bekam. Und doch war es so warm. 20 Grad im
+Schatten.
+
+Um 12 Uhr Mittags kamen wir in den Hafen von Alexandrien; wir mußten die
+Quarantäne am Bord des Schiffes bis übermorgen Mittag halten. Alle
+Sachen waren angekommen und alles Andere war von Menshausen, einem
+deutschen Kaufmanne, besorgt. Der Vicekönig war in Kairo und v. Jasmund
+auch, der dort sich augenblicklich mit dem Prinzen von Hohenzollern
+aufhielt. In Alexandria war projectirt, nur einen Tag zu bleiben, in
+Kairo drei bis vier, um dann gleich bis Minieh oder Siut (Hauptstadt von
+Oberägypten am Nil) vorwärts zu gehen.
+
+Welch' bewegtes Leben hier in Skendria oder Alexandria! Wir lagen am
+Eingange des Hafens auf der Rhede. Rechts der schöne Mex-Palast von Said
+Pascha, links der Leuchtthurm und der schneeweiße Palast von Mehemed
+Ali, der Mastenwald, mit der Stadt im Hintergrunde vor uns. In der Ferne
+ein üppiger Palmenwald: dies das Panorama von unserem Schiffe. Auf dem
+Schiffe selbst zerlumpte Soldaten mit gelber Schärpe, Abzeichen der
+Quarantäne. Dafür, daß ich mit Menshausen sprach, kam der wie ein
+Bänkelsänger aussehende Soldat gleich mit offener Hand auf mich los:
+"=nrid backschisch=", "ich möchte Trinkgeld." Er war sehr
+bedonnert, als ich ihn in arabischer Sprache fragte, wie er dazu käme
+und mit welchem Rechte er bettele. Natürlich gab ich ihm trotzdem sein
+Backschisch.
+
+Schweinfurth war wieder hergestellt und Zittel und Ascherson natürlich
+wie durch Zauber ihrer Krankheit hier im sicheren Hafen überhoben. Mit
+den übrigen Herren auf dem Lloydschiffe, welches auch gekommen war und
+einen Flintenschuß weit von uns lag, tauschten wir, sobald wir uns
+durchs Fernrohr erkannten, laute Hurrahrufe aus und später kamen Jordan
+und Remelé herüber, um uns (natürlich immer in respectvoller Distance,
+da sie fünf, wir aber nur zwei Tage Quarantäne halten sollten) zu
+begrüßen. Die Armen mußten darauf aber das Schiff verlassen, um am Lande
+die Quarantäne abzuhalten. Das ist langweilig und kostspielig für sie;
+aber amüsant mußte es ihnen sein, die zahlreichen Pilger zu beobachten,
+welche, an dem Tage von Marokko kommend, ein englischer Dampfer gebracht
+hatte, etwa 1000 an der Zahl. Das war ein sonderbarer Anblick; ein
+bunteres Bild konnte man kaum sehen, als sie in kleinen Barken zu 8-10
+Mann nach dem Quarantäne-Gebäude geschafft wurden. Aber bunt kann man
+eigentlich nicht sagen, weil alle entweder in einem schmutziggrauen,
+schmutzigbraunen oder schwarzen Burnus eingewickelt waren und offenbar
+die schlechtesten Gewänder trugen, die sie überhaupt in ihrer Heimath
+von ihren Angehörigen hatten auftreiben können. Wie merkwürdig, daß sich
+dieser Pilgerzug mitten durch die civilisirtesten Länder und Völker
+hindurch immer noch erhält, denn eine Abnahme des Pilgerns ist wohl kaum
+zu spüren. Und wie merkwürdig, daß die christlichen Engländer es heute
+unternehmen, die fanatischen Gläubigen zu ihrer heiligen Stätte zu
+führen. Auf der einen Seite geben sie jährlich Hunderttausende von Pfund
+Sterling aus, um dem Umsichgreifen des Islam durch christliche Missionen
+ein Ziel zu setzen, auf der anderen Seite leisten sie demselben Vorschub
+dadurch, daß sie das Pilgern erleichtern, denn es kann nicht geläugnet
+werden, daß die jährlichen Zusammenkünfte am Berge Ararat und beim
+schwarzen Steine in Mekka die Mohammedaner zu immer neuem Fanatismus
+anfachen. Das ist bei den mohammedanischen Pilgerfahrten so gut der
+Fall, wie bei den katholischen. Uebrigens Angesichts unserer eigenen
+Pilgerreisen inmitten des civilisirten Europa ist es kaum erlaubt,
+darüber zu staunen; denn dem Unparteiischen muß es schließlich einerlei
+sein, ob er in Nordafrika dumme Schafheerden nach Mekka strömen sieht,
+oder solche von Frankreich, von Belgien, vom Rhein aus auf dem Wege nach
+Rom erblickt. Hier sowohl wie dort wird Dasselbe erstrebt: In Mekka wie
+in Rom ist für den Hohenpriester die Hauptsache, Geld zu bekommen, für
+die Pilger, sich Verdienste und Vergebung der Sünden zu erwerben. Einen
+Unterschied vermögen wir absolut nicht zu finden. Dummheit und
+Aberglaube sind bei den Mohammedanern wie Christen die Triebfedern.
+
+Langeweile hatten wir an Bord nicht; die Passagiere waren noch fast alle
+geblieben, nur die India-Reisenden gingen am selben Tage mit einem
+direct nach Suez gehenden Zuge ab. Ein solcher Quarantäne-Zug wird
+verschlossen, darf nirgends halten und ohne Aufenthalt geht es in Suez
+wieder an Bord. Der Hafen ist ungemein belebt; Dampfer kommen und gehen;
+einige, die von inficirten Häfen kommen, werden mit der gelben Flagge,
+dem Abzeichen, daß sie in Quarantäne sind, geschmückt; andere, die aus
+gesunden Häfen ausgelaufen sind, bleiben ohne gelbes Abzeichen und
+dürfen gleich mit der Stadt communiciren.
+
+Endlich schlug die ersehnte Stunde: zwei Cavassen vom Generalconsulat
+kamen an Bord, und uns und unsere Sachen einladend ging es fort und bald
+darauf hielten wir vor Abbat's Hôtel, an einem der schönsten Plätze
+Alexandriens gelegen. Ich ging zuerst zu Menshausen und dann auf's
+Consulat. Herr v. Jasmund empfing mich sehr freundlich. Für den Abend
+war ich mit allen meinen Begleitern zum Essen auf's Consulat geladen.
+
+Jordan und Remelé waren gestern Abend auch noch aus der Quarantäne
+befreit werden, welche also keineswegs so streng beobachtet und gehalten
+wurde, wie ursprünglich war angeordnet worden, und so waren wir denn
+Alle vereint im Hôtel Abbat, wo wir zum ersten Male erfahren sollten,
+mit ägyptischen Preisen zu rechnen. Allein für die Diener mußte ich
+täglich 40 Frcs. ausgeben. Im Uebrigen konnte man mit den Zimmern, dem
+Essen und der Bedienung zufrieden sein, obschon die Hôtels in
+Alexandrien nicht so gut sind, wie die in Kairo, da in der Hafenstadt
+die Passagiere nur ein bis zwei Tage zu bleiben pflegen, wogegen sie in
+Kairo manchmal Monate lang weilen.
+
+In Alexandria wurde meine ganze Zeit durch geschäftliche Angelegenheiten
+in Anspruch genommen. Nur Abends hatten wir Ruhe, uns an einem Glase
+Bier zu erlaben.
+
+Bei unserer demnächstigen Abreise von Alexandrien war am Schalter wieder
+eine entsetzliche Wirthschaft: Es ist unglaublich, mit welcher
+Gemüthsruhe der Billeteur die sich drängenden und ungeduldigen Reisenden
+am Schalter abfertigt. Werden sie gar zu lästig, hört er einige
+"=goddam=" oder "=au sacre nom de Dieu=" oder
+Kreuz-Millionen-Donnerwetter, dann entfernt er sich für fünf Minuten,
+nimmt eine Tasse Kaffee, um mit neuen Kräften dem Publicum
+entgegentreten zu können. Endlich war an mich die Reihe gekommen, ich
+hatte meine Billets, die Bagage wurde eingeschrieben und bald darauf
+ging's fort. Da Ascherson, Jordan und Remelé noch zurückblieben, um mit
+einem anderen Zuge nachzufahren, so lud Herr v. Jasmund uns ein, in sein
+Coupé zu steigen. Die Generalkonsuln in Alexandrien bekommen jedesmal
+ein eigenes Coupé, wenn sie reisen.
+
+Ich unterlasse es, über die Fahrt auch nur ein Wort zu sagen, doch muß
+ich erwähnen, daß wir in Kassar Sayet, beim Uebergange des linken
+Nilarmes, mit Nubar Pascha, der von Kairo nach Alexandria fuhr,
+zusammenkamen und demselben vorgestellt wurden. Eigenthümlich, ich hatte
+mir den Mann ganz anders gedacht, mehr diplomatenmäßig, d.h. wie bei uns
+die Staatsmänner auszusehen pflegen. Damit will ich aber keineswegs
+sagen, daß Nubar eine gewöhnliche Physiognomie habe, im Gegentheil,
+namentlich sein Auge ist wunderschön. Im Französischen drückt er sich
+gewandt aus. Er theilte uns mit, der Vicekönig wünsche der Expedition
+einen so wenig officiellen Anstrich wie möglich zu geben und deshalb
+müßten wir von einer militärischen Escorte abstehen. Dahingegen
+garantire er absolute Sicherheit der Gegend zwischen dem Nil und den
+Uah-Oasen. Die Unterredung dauerte nur kurze Zeit, da die Züge bald
+darauf wieder abfuhren. Mir war nichts angenehmer, aus der lästigen
+Escorte ledig zu sein. Wie ich denn überhaupt bemerken muß, daß der
+Gedanke einer militärischen Begleitung keineswegs von mir, sondern
+ursprünglich vom Chedive selbst ausging und zwar so gestellt wurde, daß
+ich glauben mußte, dem Chedive sei daran gelegen, eine militärische
+Bedeckung mitzugeben.
+
+Mit dem Zuge, den wir benutzten, erreicht man Kairo in fünftehalb
+Stunden. Um 1 Uhr waren wir denn auch angelangt, nachdem schon längere
+Zeit vorher die Pyramiden, die Gräber der Chalifen, die schlanken
+Minarets der Mohammed-Ali-Moschee ihren Willkommengruß uns entgegen
+gesandt hatten.
+
+Angekommen, begaben wir uns sogleich ins Nil-Hôtel, nachdem ich vorher
+vergeblich versucht hatte, die Diener in einem billigeren Hôtel
+unterzubringen. Nachmittags besuchten wir das Consulat, fanden aber, daß
+unser deutscher Viceconsul Travers auf einer Tour nach Minieh war, um
+den Prinzen von Hohenzollern dorthin zu begleiten. Abends waren wir im
+Theater und hörten die "Aida" von Verdi, welche in dieser Saison zum
+ersten Male aufgeführt wurde. Wer hätte nicht von den Wundern gehört,
+welche der Chedive durch Zaubergewalt in seiner Hauptstadt seit Jahren
+entstehen läßt? Wenn auch nicht alle gleich an Pracht, wie solche bei
+Eröffnung des Suez-Kanals dem Auge sich darbot, zeigen doch die Werke,
+welche der Vicekönig seitdem nach und nach ins Leben rief, um die
+Freuden des Lebens durch Kunstgenüsse zu erhöhen, einen derartig großen
+Anstrich, daß es sich wohl verlohnt, dabei zu verweilen.
+
+Einen Lieblingsgedanken, eine Oper zu besitzen, verwirklichte Ismael
+Pascha bald, nachdem die Feierlichkeiten der Kanaleröffnung vorüber
+waren, indem er auf dem prächtigen Esbekieh-Platze ein Gebäude mit
+Allem, was dazu gehört, für eine italienische Oper herrichten ließ. Um
+dasselbe würdig einzuweihen, veranlaßte er den Maëstro Verdi, eigens
+eine Oper dafür zu componiren. Den geschichtlichen Stoff lieferte
+Mariette, die literarische Redaction besorgte Ghislanzoni.
+
+Präcis 8 Uhr begann man mit der Ouverture, welche von einem vollkommen
+eingeübten Orchester meisterhaft vorgetragen wurde. Ebenso tadellos war
+die ganze Aufführung. Sänger und Sängerinnen sind durchweg ersten
+Ranges, namentlich der Tenor (Radames) Sigr. Fancelli, von einer Stärke
+und Höhe der Stimme, wie man ihn gewiß selten an einer der größten
+Bühnen Deutschlands findet. Was die Sängerinnen anbetrifft, so waren
+dieselben in der Saison nur aus Deutschland recrutirt, die Aida wurde
+von Fräulein Stolz, Amneris von Fräulein Waldmann repräsentirt. Beide
+waren in ihrer Art vorzüglich.
+
+Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß man bei der Costümirung auf
+größte Genauigkeit gesehen hat, um Kleidung und alte Gegenstände so
+herzustellen, wie sie durch die Aegyptologen uns bekannt und wie sie
+uns in den Museen aufbewahrt sind. Dazu ist Alles mit einer Pracht
+hergerichtet, wie es eben nur ein Fürst zu leisten vermag, dessen Mittel
+fast unbeschränkt sind.
+
+Was das Sujet anbetrifft, so ist es der ägyptischen Geschichte
+entnommen. Aegypten und Abessinien liegen seit Jahren in Krieg
+miteinander. Der Feldherr des Königs von Aegypten, Namens Radames hat
+die Tochter des äthiopischen Königs Amonasro, Namens Aida, gefangen
+genommen, er giebt sie der Tochter seines ägyptischen Königs, Namens
+Amneris, zur Sclavin. Radames verliebt sich aber in Aida und wird von
+Aida wieder geliebt. Später wird der äthiopische König Amonasro auch
+noch gefangen genommen. Amonasro und Aida finden sich wieder, Beide,
+Vater und Tochter, Gefangene am ägyptischen Hofe. Man begnadigt Beide
+und will sie ziehen lassen. Amonasro aber überredet seine Tochter, die
+Liebe Radames' zubenutzen, um ihn über einen Kriegsplan auszuforschen;
+sie weicht endlich den Bitten des Vaters und Radames widersteht nicht
+dem Flehen der Aida. Er fängt an, den Plan zu verrathen, aber gerade in
+dem Momente kommt Amneris hinzu. Radames flieht nicht, er klagt sich
+selbst an, die Königstochter überliefert ihn aus Eifersucht den
+Priestern, er wird zum Tode verurtheilt und kann dann trotz der bitteren
+Reue der Amneris nicht gerettet werden. Lebendig in einem Grabe
+eingemauert, theilt Aida freiwillig sein Loos.
+
+Eine solche Aufführung, wie sie in Kairo Statt hatte, muß selbst den
+verwöhntesten Geschmack befriedigen. Die Musik freilich wird wohl nicht
+überall Beifall finden. Die Freunde der Harmonie werden sagen, es sind
+zu viel Wagner'sche Anklänge vorhanden, die Wagnerianer werden die Musik
+zu dünn und zu wenig überwältigend finden. In der That ist Verdi bei
+dieser Composition ganz aus seiner Rolle gefallen. Der Componist des
+"Ernani", des "Trovatore" hat sich im Wagnerianismus versuchen wollen,
+aber nichts als zwangvolle Sätze sind entstanden, welche das Publicum
+kalt lassen.
+
+Die innere Einrichtung des Opernhauses ist reizend. Die Bühne ist
+verhältnißmäßig groß, ebenso der Orchesterraum. Links hat der Chedive
+eine Prosceniumsloge, die gleich hoch _allen_ Logenreihen ist, darunter
+eine kleine dicht am Orchester. Rechts ist die chedivische Haremsloge,
+durch ein so feines Eisengitter verschleiert, daß die Meisten glauben,
+dies weiße Gewebe seien Tüllgardinen, aber in der That besteht es aus
+dem feinsten Eisendraht. Daran schließen sich vier andere, ähnlich
+verschleierte Logen, für andere Haremsdamen hoher Würdenträger.
+
+Das Opernhaus hat vier Logenreihen übereinander. Im ersten Stock, also
+parallel mit den Logen ersten Ranges, befindet sich ein großes und
+fürstlich eingerichtetes Foyer, zugänglich für Jedermann. Daneben sind
+Restaurationslocale, die man übrigens auch unten findet.
+
+Zu der Zeit wurde das Opernhaus erheblich vergrößert, weil die damaligen
+Räume zur Aufbewahrung der Decorationen keineswegs genügten.
+
+Am folgenden Tage wurden wir um 10-1/2 Uhr zum Vicekönige befohlen; wir
+holten Herrn v. Jasmund ab. Der Vicekönig residirt in einem neuen Palais
+im neuen Stadttheile Ismaelia. Nach wenigen Vorstellungen, die zwischen
+Ali Pascha, dem Ceremonienmeister und dann einem Anderen, der der
+Großsiegelbewahrer ist, stattfanden, führte man uns die Treppe hinauf,
+wo wir oben vom Vicekönige empfangen wurden. Aus dem großen Saale führte
+er uns in ein kleines Zimmer. Die Unterhaltnng drehte sich natürlich nur
+um die Expedition. Zuerst aber, nachdem wir vorgestellt waren, hielt
+Herr v. Jasmund einen kleinen =speech=, worin er dem Vicekönige
+dankte für das, was er für die wissenschaftliche Expedition gethan. Dann
+erwiderte der Vicekönig, wie glücklich er sich schätze, mit solchen
+Leuten eine solche Expedition organisiren zu können, und dann stattete
+ich meine Grüße ab und dankte im Namen des Kaisers und Königs. Als ich
+dies sagte, erhob sich der Chedive von seinem Platze, aus Ehrfurcht vor
+dem Namen Sr. Majestät und Sr. Kaiserlichen Hoheit des Kronprinzen.
+
+Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte 3/4 Stunden) über
+die Expedition und hierbei beklagte sich der Vicekönig bitter über
+Bakers Expedition, der unnütz Menschenblut vergossen und für Abschaffung
+des Sclavenhandels nichts gethan habe. Diese vom Vicekönige gesprochenen
+Worte bekräftigten also in der That, daß Sir Samuel gar nichts erreicht
+hat, daß seine Expedition vielmehr nach der Aussage des Chedive nur
+unheilvoll wirkte. Ich begriff nun auch, warum die ägyptische Regierung
+meiner Expedition so wenig officiellen Charakter, wie möglich, geben
+wollte. Gegen Samuel Baker scheint der Chedive jedoch sich ganz anders
+geäußert zu haben; wenigstens lesen wir in Bakers "Ismailia", daß der
+Chedive seine Dienste durch die Verleihung des Osmanieh-Orden belohnte,
+und daß Baker selbst meint, sein fester Glaube auf die Unterstützung der
+Vorsehung sei nicht unbelohnt geblieben, also seine Aufgaben für gelöst
+hielt. Das kann ich bestätigen, daß der Chedive keineswegs gesonnen
+schien, die Baker'sche Expedition aufzugeben, sondern in Colonel Gordon
+einen würdigen Mann fand, der da wieder anknüpfte, wo Baker sein
+Unternehmen abgebrochen hatte.
+
+Der Vicekönig, 1830 geboren, also jetzt 45 Jahre alt, hat eine
+gedrungene Gestalt, ein sympathisches Gesicht, freundliche Augen, im
+Ganzen ein sehr intelligentes Aeußere. Jedenfalls, nach seiner
+Physiognomie zu schließen, ein Mann, der mehr liebt, das Gute zu thun,
+als das Böse.
+
+Als wir uns verabschiedet hatten, begab ich mich mit v. Jasmund nach
+seinem Hôtel, um noch einige Punkte wegen des Dampfers, der Kamele &c.
+zu präcisiren und zu Papier zu bringen.
+
+Darüber war es Mittag geworden. Nach Tische kam Jasmund, mich abzuholen
+zu einem Besuche bei Hussein Pascha, dem zweiten Sohne des Vicekönigs,
+der den öffentlichen Arbeiten vorsteht. Es handelte sich nämlich darum,
+die Papiere bezüglich des Nivellements der Eisenbahnstrecke von Siut zu
+bekommen, damit wir bei unserem Vorgehen von diesem Punkte eine
+bestimmte Basis hätten. Hussein wohnt auf der Kasbah und im selben
+Palais oder Harem, in welchem der große Mohammed Ali sein Leben
+ausgehaucht hat. Ein großartiges Gebäude von colossalen Dimensionen,
+dessen Bel-Etage ein immenses Kreuz bildet, derart, daß 1 das
+Audienzzimmer, 2 den Saal und 3, 3, 3 noch andere Zimmer umfassen. Wie
+im chedivischen Palaste, war auch hier Alles auf's Geschmachvollste,
+auf's Reichste und ohne Ueberladung decorirt. Aber die Kasbah hat nicht
+nur diesen einen Palast, sondern es ist dies ein Complex von Forts,
+Schlössern und Moscheen. Da ist z.B. das Palais, in dem der Vicekönig
+die Beiramsfestlichkeiten abhält, da ist vor Allem die ganz aus
+Alabaster, oder besser gesagt, aus ägyptischem Marmor erbaute Moschee
+Mehemed Ali's.
+
++---+---+---+
+| 1 | | 3 |
++---+ +---+
+| 2 |
++---+ +---+
+| 3 | | 3 |
++---+---+---+
+
+Mögen nun auch die Architekten sagen, was sie wollen, mögen sie
+behaupten, diese Bauten zeigen keinen bestimmten Stil, mögen sie
+glauben, die Minarets seien im Verhältnis zu ihrer bedeutenden Höhe zu
+dünn oder zu wenig umfangreich, es steht fest, daß gerade diese Moschee
+eine der Hauptzierden Kairos ist, daß man ohne sie sich Kairo nicht mehr
+vorstellen könnte. Und in ihren einzelnen Theilen wie im Ganzen kann man
+sie nur schön nennen, im Innern, wie im Aeußern. Nur der häßliche
+Uhrthurm auf der Westfaçade des Hofes, aus Holz erbaut, paßt nicht zum
+Ensemble. Wir besuchten natürlich auch das Innere, es wurden uns die
+obligaten Schuhe übergezogen, aber ich merkte einen Fortschritt, sie
+waren nicht wie früher aus Stroh, sondern aus Tuch und wurden
+festgebunden durch Bänder.
+
+Eine stark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt und gesagt, es sei
+das der Ort, wo eventuell der türkische Sultan seinen Sitz nähme; dies
+scheint mir problematisch, ich glaube vielmehr, es ist eine Einrichtung
+für den Harem.
+
+Nachdem wir dann die unvergleichlich schöne Aussicht von dem Punkte aus
+genossen hatten, wo beim Massacre der Mameluken einer derselben sich
+durch einen kühnen Sprung in die Tiefe gerettet haben soll, ein Punkt,
+von welchem aus man die Stadt, die Gräber der Chalifen, das rothe
+Gebirge (=Gebel ahmer=), das Mokhatan-Gebirge, die Pyramiden, den
+Nil, ein großes Stück des üppigen Nil-Delta und die unendliche Sahara
+überblickt, ein Punkt, von dem aus man das vollkommenste Bild über
+Aegypten gewinnt, wo man den Charakter dieses Landes mit einem Blick
+überschauen kann--nachdem wir dies in uns aufgenommen, stiegen wir zur
+Hassan-Moschee, am Fuße der Kasbah gelegen, hinab.
+
+Die Hassan- Moschee gilt überall als die schönste Moschee von Kairo und
+doch keineswegs mit Recht. Die Großartigkeit der Steinmauern bestreite
+ich nicht, aber die schon zugeschnittenen Quadern wurden von den
+Pyramiden entnommen. Die Zartheit, das Kühne des Tropfsteingewölbes, das
+Unglaubliche der Stalaktiten-Kuppeln gebe ich gern zu, aber das Material
+dazu ist von Holz, und mit Widerwillen fast wird man hier an das
+Vergängliche, an das Unsolide aller maurischen Bauten erinnert. Dazu
+kommt, daß diese Holz-Stalaktiten-Bauten derart vernachlässigt und
+zerfallen sind, daß alle Schönheit schon zu Grunde gegangen ist.
+
+Was aber für den mit der religiösen Geschichte der Mohammedaner
+Vertrauten ungleich mehr auffällt, ist der Grundriß der Moschee. Bis
+jetzt hat noch kein Architekt darauf aufmerksam gemacht. Im
+gewöhnlichen Stil besteht nämlich jede Moschee aus zwei Körpern: dem
+bedeckten, nach Osten gerichteten Theile, aus manchmal vielen
+Säulenhallen bestehend, und dem unbedeckten Hofe im Westen, beide in der
+Regel viereckig. Die Hassan-Moschee aber hat im Hofe als Grundriß ein
+vollkommenes _Kreuz_. Wenn man weiß, wie furchtbar der Moslim Alles
+haßt, was nur irgendwie an die Form des Kreuzes erinnert, so muß man
+sich wundern, daß dies hier so prägnant zum Ausdruck gekommen ist.
+Jedenfalls ist es unbewußt geschehen, denn der uns begleitende Priester
+gab mir den Schlüssel dazu folgendermaßen: Jeder der Kreuzflügel,
+welche, beiläufig gesagt, überwölbt sind, dient zur Aufnahme der
+Anhänger der vier rechtgläubigen Bekenner, so daß in dem einen die
+Malekiten, im anderen die Schaffeïten, im dritten die Hambaliten, im
+vierten die Hanesiten Platz finden. Sultan Hassan liegt in der Moschee
+begraben und rund um sein Grab sieht man die unvertilgbaren Spuren von
+Blutlachen, Zeugen der Ermordung von Mameluken, welche sich beim
+Massacre in die Moschee geflüchtet hatten.
+
+Hiernach begleiteten wir v. Jasmund nach Hause und fuhren, Zittel und
+ich, sodann zu Mariette Bei, dem Director des Bulac-Museums, fanden ihn
+aber nicht zu Hause. Das Museum konnten wir auch nur sehr flüchtig
+besehen, da es dunkel wurde.
+
+Nach dem Essen gingen die Anderen noch etwas spazieren, ich schrieb,
+machte auch einen Gang auf die Esbekieh und hiernach trafen Zittel und
+ich uns wieder im Nil-Hôtel. Wir saßen Abends noch lange im Mondschein,
+der Mond stand hoch, fast im Zenith über uns. Die blühenden, wie
+Heliotrop duftenden Akazien, die milden Lüfte, Alles war zauberisch
+schön. Solche duftende ruhige Nächte giebt es nur in Nordafrika, wo die
+Nächte Winters und Sommers sich fast stets durch absolute Windlosigkeit
+der Atmosphäre auszeichnen.
+
+Ein wichtiges Geschäft war dann noch abzuwickeln, nämlich gute Diener zu
+engagiren. Eine gewisse Erleichterung gewährte Kairo in sofern, als alle
+unbeschäftigten fremden Leute, alte und junge, in der Stadt einem Schich
+unterstehen, der, so lange sie in Kairo sind, für ihr Betragen der
+Polizei haftbar ist. Dieser Schich besorgte mir sodann Leute, so viel
+ich brauchte, und da außerdem die Polizei sich noch drein mischte,
+konnte ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, gute und brave Leute
+engagirt zu haben. Gleich von vornherein kann ich dies auch hier
+bestätigen, denn im Ganzen hatten wir recht treue Diener; und wenn
+selbst der fromme Doctor der Theologie, welcher Prof. Ascherson's Diener
+war, diesen so unverschämt betrog, so folgte er wohl nur religiösen
+Motiven oder glaubte vielmehr seine Betrügereien durch den Mantel der
+Religion bedecken zu können. Ein alter Diener, den ich in Tripolis aus
+der Sclaverei befreit und über Cyrenaica und Siuah hierher gebracht
+hatte, fand mich hier wieder. Es war rührend, als er kam, mir die Hand
+küßte, weinte und mir das Certificat zurückstellte mit den Worten:
+"Jetzt brauche ich es nicht mehr, jetzt habe ich Dich wiedergefunden."
+
+Nachdem viele Einkäufe besorgt waren, gingen wir sodann zur Sitzung des
+=Institut d'Égypte=, wo man uns zu Ehren eine Versammlung anberaumt
+hatte. Da waren alle Notabilitäten der Wissenschaft Aegyptens
+vertreten. Mariette Bei, der berühmte Aegyptolog, präsidirte. Die
+Sitzung war in einem Saale des Ministeriums des Innern. Nach einer
+einleitenden Rede und nach Verlesung des =procès verbal= der
+letzten Verhandlung verlas ich eine Rede in französischer Sprache. Es
+war recht feierlich, v. Jasmund war auch da und Schweinfurth von
+Alexandrien herüber gekommen.
+
+Nach diesem kurzen Aufenthalte in Alexandrien und Kairo wurde Siut
+erreicht, von wo die eigentliche Expedition beginnen sollte. Aber gleich
+beim Beginne stellten sich die Schwierigkeiten bedeutend größer heraus,
+als man vermuthet hatte, denn es galt, die Kamele mit Futter zu beladen,
+da man sich Angesichts einer absolut vegetationslosen Wüste befand.
+Nachdem die Bohnen, welche zu einer Reise von zwanzig Tagen nothwendig
+wurden, an Ort und Stelle waren, traten wir am 18. December den Marsch
+in die Wüste an. Dieselbe offenbarte denn auch gleich an den ersten
+Tagen ihre ganzen Schrecken und Gefahren, denn man befand sich in der
+trostlosesten Einöde. Allerdings nicht so vegetationslos, daß nicht hier
+und da noch einige Kräuter gesproßt hätten, aber keineswegs so
+krautreich, daß man darin hätte Kamele weiden können.
+
+Nur dieser Theil der Sahara, die sogenannte Libysche Wüste, kennzeichnet
+sich durch eine so außerordentliche Armuth an Pflanzen, denn in der
+ganzen übrigen Sahara nehmen Karawanen nie Futter für die Kamele mit,
+sondern die Thiere begnügen sich mit dem, was sie unterwegs finden. Nur
+südlich von Tedjerri in Fessan hat man auch ein Terrain zu durchziehen,
+wo man für einige Tage Datteln als Kamelfutter mitzunehmen pflegt.
+
+Wir erreichten dann zunächst die kleine Oase Farafrah, keineswegs dem
+Nil zunächst gelegen, im Gegentheil, sie ist von Sinah am Nil die
+entfernteste. Aber ich hatte diesen Weg vorgezogen, weil er ein
+vollkommen neuer, _noch nie von Europäern begangener_ war. Das
+Erscheinen einer so großen Karavane, 100 Kamele und circa 80 Mann, rief
+natürlich die größte Angst, der alsbald das Staunen folgte, bei den
+Eingeborenen hervor, aber als sie schnell gewahr wurden, daß wir in
+friedlicher Absicht gekommen waren, etablirte sich ein leidliches
+Verhältniß zwischen uns, soweit der Fanatismus der Bewohner es
+gestattete.
+
+Sodann mußten wir nach einigen Tagen uns nach Dachel wenden, da wir in
+Farafrah weder für uns noch für unsere Kamele Vorräthe auftreiben
+konnten. Wir folgten derselben Route, welche vor uns Cailliaud gezogen
+war, und erreichten nach einer Woche diese freundlichste aller
+Uah-Oasen. Und so freundlich uns die Landschaft und der Hauptort Gasr
+entgegenlachten, so zuvorkommend wurden wir hier auch empfangen von der
+Behörde und der ganzen Bevölkerung. Erwähnen muß ich allerdings, daß die
+Farafrenser über unsere Ankunft noch nicht unterrichtet waren, als wir
+dort eintrafen, in Dachel hingegen die Behörde von Siut aus schon
+instruirt war, uns freundlich aufzunehmen.
+
+Aber auch hier in Dachel waren die Vorräthe nicht so reichlich, wie man
+uns es vorgespiegelt hatte, und ich war gezwungen, nach Siut
+zurückzusenden, um sechzig neue Kamelladungen Bohnen kommen zu lassen.
+Aber ehe dieselben eintrafen, vermochte ich Prof. Jordan, vorauszugehen.
+Freilich hatte er mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber als dann
+Zittel auch bald nachrücken konnte, wurde abermals weiter vorgegangen
+und die Expedition erreichte fast den 27° O.L. v. Gr. und blieb vor
+einer mächtigen, von Norden nach Süden streichenden Düne liegen. Hier
+fand ich dieselbe lagern, als ich selbst nach einiger Zeit dort eintraf.
+
+Eine Recognoscirung, die Zittel zu Fuße schon vorher gemacht hatte, eine
+andere, die ich selbst mit Prof. Jordan unternahm, stellte nun zur
+Evidenz heraus, daß an ein weiteres Vorgehen nach Westen nicht zu denken
+sei. Wir befanden uns Angesichts eines Sandmeeres, welches aus 100-150
+Meter hohen Sandketten mit steilen Böschungen bestand. Die Zwischenräume
+zwischen diesen Sandketten waren ebenfalls mit Sand bedeckt, zeigten
+_kein nacktes Gestein_. Es traten nun zwei entscheidende Gründe ein, die
+uns zwangen, von weiterem Vorgehen nach Westen abzustehen. Erstens waren
+es die hohen, von _Norden nach Süden_ ziehenden Dünen, welche zu _jeder
+Uebersteigung_ mehrere Stunden nöthig machten und wodurch wir sodann
+höchstens per Tag 20 Kilometer hätten vordringen können mit der
+_gewissen_ Aussicht, nach acht Tagen sämmtliche Kamele todt oder
+"=batal="[40] gehabt zu haben. Zweitens war es unmöglich, im
+Sandmeer Wegzeichen zu errichten; der geringste Samum würde sie umgeweht
+haben; mithin war eine weitere Depôtbildung, die unumgänglich
+nothwendig war, sowie eine constante Verbindung mit dem Hauptdepôt
+Dachel nicht zu ermöglichen.
+
+Sobald daher das Unausführbare, Kufra von Westen aus mit den uns zu
+Gebote stehenden Locomobilen zu erreichen, constatirt war, beschlossen
+wir, mit den Dünen nach Norden zu gehen, um womöglich einen Durchgang,
+ein Aufhören der Dünen zu finden oder Siuah zu erreichen. Die Dünen
+hörten nicht auf, wir waren während 14 Tagen stets zwischen hohen Ketten
+von Sandbergen und legten einen der sonderbarsten Märsche zurück, welche
+je in Afrika gemacht worden sind. _Ohne Führer_ waren wir, wie das
+Schiff auf dem Meere, nur dem Compaß vertrauend, angewiesen, der einmal
+angenommenen Richtung zu folgen. War diese falsch oder wären wir durch
+die öftere nothwendig werdende Uebersteigung der Dünen zu weit
+abgekommen, so mußte voraussichtlich Siuah verfehlt werden[41]. Oder
+wären wir von einem _mehrtägigen_ Samum überrascht worden, so wäre
+voraussichtlich unser Loos ein noch schlimmeres gewesen, indem wir nur
+für eine bestimmte Zahl von Tagen Wasser hatten. Ich konnte es überhaupt
+nur übernehmen, die Karavane nach Siuah zu führen, weil ich dort bekannt
+war und die Formation der Ufer und die Lage der Seen östlich und
+westlich von Siuah mir noch vor Augen stand. Ich brauchte deshalb nicht
+zu fürchten, falls ich zu weit westlich oder östlich herauskäme,
+unorientirt zu bleiben.
+
+Und glücklich erreichten wir denn auch die Oase des Jupiter Ammon, wo
+wir bei der Behörde den freundlichsten Empfang fanden. Schon nach
+wenigen Tagen brachen wir wieder auf, gingen bis Setra zusammen in
+östlicher Richtung und sodann trennten Zittel und ich uns von Jordan, um
+wiederum _ohne Führer und auf nie begangenem_ Wege direct nach Farafrah
+zu gehen, während Jordan mit einem in Siuah gemietheten Führer nach
+Uah-el-behari ging, um die auf den Karten verzeichneten Behar-bela-ma zu
+untersuchen.
+
+Farafrah wurde glücklich von uns erreicht, vonwo Zittel sogleich nach
+Dachel weiter ging, um unseren dortigen um uns in Sorge lebenden
+Gefährten die Nachricht unserer glücklichen Rückkehr zu übermitteln. Ich
+selbst blieb noch einen Tag länger in Farafrah und ging dann auf
+_neuem_, noch nie begangenem Wege nach Dachel, hauptsächlich um die
+Gebirgszüge zu durchschneiden, welche wir früher im Westen von unserem
+ersten Marsche von Farafrah nach Dachel erblickt hatten. In Dachel
+vereinten wir uns dann nach einigen Tagen zu gemeinsamem Vorgehen über
+Chargeh nach Esneh, welches wir am 1. April ohne Unfall erreichten.
+
+Ich komme nun auf die Resultate zu sprechen und hebe hervor, daß uns
+außer der allgemeinen Erforschung der Libyschen Wüste hauptsächlich zwei
+Punkte als beachtenswerth waren bezeichnet worden: die Untersuchung der
+verschiedenen Behar-bela-ma und die Depression der Libyschen Wüste.
+
+Ein Bahr-bela-ma von Dachel ausgehend und nordöstlich von Beharieh in
+das von Ost nach West gerichtete Bahr-bela-ma von Pacho und Belzoni
+mündend existirt nicht. Es breitet sich zwischen ihnen ein einzig
+Kalksteinplateau über 300 Meter hoch aus. In der Sitzung des =Institut
+Égyptien= hatte ich schon darauf aufmerksam gemacht, daß Bahr-bela-ma
+in der Sahara nichts ist, als das gleichbedeutende Wort Wadi, das
+hundertmal vorkommt. Wenn es sich aber durch die geographischen
+Verhältnisse bestimmt erweisen läßt, daß ein Bahr-bela-ma als eine
+Längseinsenkung nicht existirt, so ist andererseits durch die
+geologische Untersuchung des Bodens auf das Schlagendste nachgewiesen,
+daß der Nil nie in dieser Richtung hat fließen können. Nirgends wurden
+von unserer Expedition fluviatile Niederschläge, sondern überall nur
+maritime Bildungen constatirt. Das Bahr-bela-ma als ein continuirliches
+Thal, oder gar als ein westliches Flußbett des Nil muß daher definitiv
+aus der Welt geschafft und von den Karten gestrichen werden.
+
+Die zweite zu lösende Aufgabe betraf die Depressionsfrage, ob nämlich
+die von mir 1869 entdeckte Depression sich über die ganze Libysche Wüste
+erstreckt, oder vielmehr von dem Libyschen Küstenplateau (diesen
+Ausdruck möchte ich vorschlagen für den jetzt gebräuchlichen "Libysches
+Wüstenplateau") sich bedeutend nach Süden zu ausdehnt. Hierin lag
+zugleich die Aufgabe einer Erforschung der ganzen Libyschen Wüste; denn
+als Endziel war die Erreichung der Oase Kufra in Aussicht genommen.
+
+Gleich beim Verlassen der Oase Dachel konnten wir eine merkliche
+Steigerung beobachten, wie ja überhaupt, mit Ausnahme von Siuah, alle
+Uah-Oasen höher als der Ocean gelegen sind und nur relativ Depressionen
+bilden. In Regenfeld waren wir schon über 300 M. gestiegen, und als wir
+dann nach Nord einige Grade zu West den Weg fortsetzten, fanden wir zwar
+eine allmälige Absenkung aber erst in Siuah konnten wir eine eigentliche
+absolute Depression constatiren. Die Producte des Meeres, die hier
+gefunden wurden, die Abwesenheit von Süßwasserbildungen oder gar von
+Nilschlamm schließen aber auch hier jeden Gedanken aus, daß der Nil sich
+durch diese Depression in die Syrte ergossen habe.
+
+Unser Vormarsch in Regenfeld war verhindert worden durch hohe Sanddünen,
+welche von NNW. zu SSO. Richtung hatten und 100-150 M. hoch waren. Ein
+Vormarsch in westlicher Richtung war somit unmöglich geworden, theils
+wegen der Kamele und theils weil aus Mangel an Wegweisern keine
+Depositorien mehr angelegt werden konnten. Denn zwischen den Dünen war
+nicht etwa bloses Gestein, sondern tiefer Sand, welcher das Errichten
+von Wegzeichen unmöglich machte. Wir hatten also Ein einziges Sandmeer
+vor uns, nur unterbrochen durch 1--1-1/2 Kilometer auseinanderstehende
+Sandketten.
+
+Die Sanddünen sind Meeresprodukt; ihre Formenveränderungen sind im
+Allgemeinen constant. Daß die Winde, die hier meist von NNW. nach SSO.
+wehen, während der Chamsin gleiche Richtung, aber aus entgegengesetztem
+Pole hat, sie verursachen, glaube ich nicht; denn dann müßten sie in der
+Grundform in der dem Winde entgegengesetzten Richtung laufen, sie
+verlaufen aber mit dem Winde.
+
+Was die Wärmeverhältnisse anbetrifft, so hatten wir diesmal sehr geringe
+Schwankungen. Während auf früheren Reisen in der Wüste im Winter eine
+Differenz von 30º beobachtet wurde, hatten wir diesmal im Februar,
+welcher sich als der kälteste Monat herausstellte, einen Unterschied,
+der bedeutend geringer war, wenig mehr als die Hälfte. Eine mittlere
+Zahl kann ich noch nicht aus meinen viermal täglich angestellten
+Beobachtungen geben. Aber im Februar hatten wir sieben Tage, wo das
+Thermometer unter Null war, und am 16. zeigte das Thermometer sogar -5°.
+Die größte Wärme, welche im Februar beobachtet wurde, betrug nicht mehr
+als 24° und dies nur an zwei Tagen. Auffallend war die Erscheinung eines
+dreitägigen Regens in der Libyschen Wüste, und zwar erstreckte sich
+dieser Regenfall über ein ziemlich großes Terrain: denn in Dachel und
+Farafrah hatte es an denselben Tagen auch geregnet, während man aber in
+dem dem Mittelmeere näher gelegenen Siuah keinen feuchten Niederschlag
+gehabt hatte. So war denn auch der Feuchtigkeitsgehalt der Wüste ein
+ungemein bedeutender und nur, wenn Südwind eintrat, zeigte sich
+plötzlich eine auffallende Trockenheit in der Atmosphäre. Leider mußten
+Untersuchungen über den Electricitätgehalt der Luft ausgesetzt werden,
+weil die magnetische Nadel des mitgenommenen Electrometers sich als zu
+schwach erwies; sie reagirte gar nicht. Aeußerst interessant waren die
+Untersuchungen über Ozongehalt, wie man sich aus den demnächst zur
+Veröffentlichung kommenden Beobachtungen Zittels wird überzeugen können.
+Je offener der Himmel war, und je entfernter wir von bewohnten Plätzen
+waren, desto mehr Ozon wurde bemerkt. Bei herrschendem Samum war äußerst
+wenig Ozon vorhanden.
+
+Ich unterlasse es hier, ausführlich über die von uns angetroffenen
+Völker in den Oasen zu reden. Bekannt ist, daß die Bevölkerung von Siuah
+berberischer Herkunft ist. In Uah-el-Beharieh, Farafrah und Dachel ist
+zweifelsohne die Abstammung der Bewohner dieselbe, wie die der Fellahin
+im Nilthale; doch haben sich in Uah-el-Beharieh und Dachel einzelne
+Araber früher seßhaft gemacht. Hervorheben müßte ich noch, daß es Prof.
+Ascherson gelungen ist, nachzuweisen, daß nicht Farafrah die Oase
+Trinythis der Alten ist, sondern daß dieser Name mit der =Oasis
+magna= in Verbindung gebracht werden muß.
+
+Was die archäologischen Ergebnisse anbetrifft, so beruhen dieselben auf
+genauen photographischen Bildern, welche die Expedition von den Tempeln
+in Chargeh und Dachel gemacht hat. Zu diesem Behufe mußte der Tempel in
+Dachel erst ganz vom Schutte und Sand ausgeräumt und zum Theil 50
+Centner schwere Blöcke entfernt werden. Prof. Ebers in Leipzig, der die
+Güte hatte, die Bilder durchzusehen, hat auf den Tempelwänden von Dachel
+den Namen des Kaisers Vespasian gelesen und der berühmte Aegyptologe ist
+der Ansicht, daß die feineren Skulpturen von allgemeinen Künstlern
+hergestellt seien, während die gröberen von Dachelaner Steinhauern
+selbst ausgeführt worden wären. Viel ergiebiger und interessanter
+zeigten sich die Inschriften des Tempels von Chargeh. Wir sehen dort den
+opfernden König Darius, dem Ammon Libationen und Rauchopfer anbietend.
+Darius wird als Liebling des Ammon von "Heb" (dies der alte Name für
+Chargeh) bezeichnet, auch ein bisher Ebers unbekannter Vorname des
+Darius, "Basetut", ist angeführt. Nach Ebers wurde der Tempel von
+Chargeh erst nach dem Tode Darius vollendet; daher die vielen leeren
+Königsschilder, welche ursprünglich für den Namen des Darius bestimmt
+waren. Die sehr interessanten Inschriften, schrieb mir Ebers, beweisen,
+daß das ganze ägyptische Pantheon, Ammon an der Spitze, in der Oase
+verehrt wurde, daß dort eine ägyptische Priesterschaft mit reichlicher
+Versorgung dem Cultus vorstand, daß Chargeh Heb hieß, daß Darius als
+König Aegypten und wahrscheinlich auch die Oasen besucht hat. Daß auf
+einer der Platten, welche in Kairo Brugsch vorgelegt wurde, dieser
+Gelehrte den alten Namen der Hauptstadt der Oase Dachel als "Mondstadt"
+bezeichnet fand, glaube ich schon mitgetheilt zu haben.
+
+In Betreff der Ausbeute der mich begleitenden Fachgelehrten kann ich
+noch nichts Detaillirtes mittheilen. Indeß gereicht es mir zur Freude,
+sagen zu können, daß die botanischen Ergebnisse des Prof. Ascherson
+keineswegs so gering gewesen ist, wie wir fürchteten. Gab es auch
+manchmal ganz vegetationslose Strecken, so boten aber gerade die Oasen
+in der Zeit, als wir dort waren, ein um so reicheres Pflanzenleben.
+Prof. Jordan hat alle wichtigen Punkte astronomisch bestimmt. Täglich
+wurden Breitenbestimmungen gemacht und die Declination der Magnetnadel
+notirt. Und was Zittel anbetrifft, so sind dessen Funde in
+paläontologischer Beziehung wahrhaft überraschend gewesen. Der Wahn der
+einförmigen Numinulitenformation, welche man früher für die ganze
+Libysche Wüste annahm, ist somit gründlich zerstört.
+
+Dies die wissenschaftlichen Resultate der Expedition. Praktische hat
+dieselbe keine aufzuweisen, wenn nicht das bewiesen wäre, daß der
+Europäer in Afrika auch ohne Führer reisen kann, daß durch Mitnahme von
+eisernen Wasserbehältern man in der Wüste nicht blos Wege, wo Brunnen
+oder Wasserlöcher sind, zu nehmen braucht, sondern monatelang ohne
+solche existieren kann. Selbst die ausgedehnten Eisensrunde werden nie
+zu verwerthen sein, weil es in der Libyschen Wüste an zwei Bedingungen,
+sie zu verarbeiten, fehlt: Kohlen und Wasser. Aber praktische Resultate
+hat die Expedition auch nie erzielen wollen, und obschon dieselbe Kufra
+aus unüberwindlichen Hindernissen nicht erreichen konnte, wird nicht
+bestritten werden können, daß sie der Hauptsache nach ihre Aufgaben
+gelöst und auf alle Fälle in Anstrebung des vorgesteckten Zieles ihre
+Pflicht gethan hat.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 28: Noël ist der junge stattliche Afrikaner, welcher in Folge
+der Bestimmung Sr. Maj. des Kaisers von Deutschland in Lichtenfelde bei
+Berlin eine deutschen Begriffen entsprechende Bildung genoß, nun aber,
+da ihm das nördliche Klima nicht bekam, auf Befehl des Kaisers mit nach
+Aegypten ging, um dort noch eine weitere Ausbildung zu erhalten.]
+
+[Footnote 29: Centralafrikanischer Volksstamm.]
+
+[Footnote 30: Mandara ist eine Landschaft in Nordafrika, welche von
+einem eigenthümlichen Negervolke von übrigens ausgezeichneter
+Körperbildung bewohnt wird.]
+
+[Footnote 31: Das ist eines jener Thränengläser, die sich oft in Gräbern
+der Alten bei Todtenurnen finden und worin angeblich die Hinterbliebenen
+den Verstorbenen ihre Thränen mitgaben.]
+
+[Footnote 32: Buch VI, S.10, deutsche Uebersetzung von Penzel.]
+
+[Footnote 33: Den Schmutz der internationalen Waggons verdamme ich
+trotzdem.]
+
+[Footnote 34: Mein deutscher Diener.]
+
+[Footnote 35: Herrn Remelé's Diener.]
+
+[Footnote 36: Der Astronom der Expedition.]
+
+[Footnote 37: Photograph.]
+
+[Footnote 38: Archäeolog und Geodät.]
+
+[Footnote 39: Schweinfurth reiste im selben Winter nach Chargeh, aber
+unabhaengig von der Expedition.]
+
+[Footnote 40: =Batal= = tragunfähig.]
+
+[Footnote 41: Eine Breitenbeobachtung konnte Jordan freilich Abends
+machen, aber zu einer Längen-Nahme fehlte die Zeit.]
+
+
+
+
+9. Das jetzige Alexandrien.
+
+
+Mehr als zweiundzwanzig Hundert Jahre steht die Stadt, welche den Namen
+des großen Mannes trägt, der nach Aegypten gekommen war, um im
+weltberühmten Orakelheiligthum des Ammonium die Frage zu stellen, ob er
+wirklich ein Sohn des Zeus sei. Gewaltig sind die Stürme der
+menschlichen Geschichte über die Stadt dahingebraust, welche einst der
+Glanzpunkt der Welt in wissenschaftlicher und commerzieller Beziehung
+war. Alexandrien, die Stadt des Museum und Serapeum, war aber trotz
+seiner Weltlage im Jahre 1790 so herabgekommen, daß, als die Franzosen
+unter Bonaparte landeten, es nur mehr circa 6000 Einwohner hatte. Es
+gehörte aber auch die ganze Wirtschaft knechtischer Beys dazu, um ein
+Land und die Städte so ruiniren zu können, wie wir Aegypten und seine
+Oerter am Anfang dieses Jahrhunderts sehen. Verwundert fragt man sich:
+wie war es möglich, daß eine Stadt, so ungemein günstig gelegen, so tief
+hatte sinken können?
+
+In der That hat Alexandrien, wie keine andere Stadt am Mittelmeere, eine
+vorteilhafte Lage. Wegen des ausgezeichneten Hafens braucht es nicht zu
+befürchten, von Port Said, das allerdings an der Mündung des Kanals von
+Suez liegt, überflügelt zu werden, und mittelst der Eisenbahnen und
+Dampfschiffe auf den Kanälen ist es ohnedieß mit dem großen Kanal in
+intimster Beziehung. Alexandrien liegt an einer der größten
+Verkehrsadern unserer Zeit, einer Verkehrsstraße, welche voraussichtlich
+immer als eine der am lebhaftesten pulsirenden Handelswege fortbestehen
+wird. Aber nicht allein das ist es, gleichsam als Etape zwischen
+Ostindien und Oceanien einerseits und Europa andererseits zu dienen; die
+Stadt Alexander des Großen liegt an der Mündung des einzigen schiffbaren
+Flusses von Nordafrika, welcher mit seiner mächtigen Verästelung ein
+ungeheures Gebiet beherrscht. Welche Zukunft erschließt sich der Stadt,
+wenn die Producte aus Centralafrika nilabwärts ihr zugeführt werden.
+Denn jetzt vermittelt der Nil blos Das, was an Erzeugnissen längs seines
+300 Meilen langen Stammes producirt wird. Welche Zukunft wird aber
+Alexandrien haben, wenn die Felsen der Katarakte gesprengt und man mit
+Dampfschiffen direct vom Mittelmeere bis zu den See'n Innerafrikas, den
+großen Wasserreservoirs des Nils, wird fahren können!
+
+Aber wenn man auch Alexandrien ein immer mehr günstig sich gestaltendes
+Prognostikon stellen kann, so hat die Stadt keineswegs Ursache, mit
+ihrer heutigen Entwickelung unzufrieden zu sein. Es ist der Großvater
+des jetzigen Chedive, Mohammed Ali, dem die Stadt ihren jetzigen
+Aufschwung verdankt. Dadurch, daß er der Stadt den Kanal herstellte,
+wurde ihr nicht nur gutes Trinkwasser, sondern auch ein leichter
+Verkehrsweg mit dem Innern geschaffen. Mohammed Ali war auch der Erste,
+welcher den Schiffen der christlichen Nationen den Eingang in den alten
+Hafen eröffnete; bis vor seiner Regierung mußten sie den neuen, wenig
+sicheren Hafen benutzen.
+
+Alexandrien mit etwa 200,000 Einwohnern zerfällt in zwei Stadttheile,
+von denen der eine von der europäischen Bevölkerung der andere von den
+Eingeborenen bewohnt wird. Der arabische[42] Stadttheil ist im
+Nordwesten und Westen gelegen; die Straßen sind eng, unregelmäßig, im
+Sommer staubig, im Winter mit undurchdringlichem Schmutz erfüllt; die
+Häuser sind meist einstöckig und höchst launenhaft gebaut. Hier steht
+eins mit halber Front, diagonalartig zur Straße, dort hängt eins mit dem
+oberen Stockwerk über; hier ist eins in die Straße selbst hineingebaut,
+dort ist eins, welches einen weiten Hof vor sich hat. Fenster sind
+spärlich vorhanden, namentlich im Erdgeschosse; ist eine Bel-Etage
+vorhanden, so findet man häufig sehr viele, mit feinem Holzgitter
+verschlossene Fenster. Sehr praktisch ist der zickzackartige Bau des
+oberen Geschosses, der Art, daß regelmäßig vorspringende Winkel, mit
+Fenstern versehen, angelegt sind. Alte Gebäude findet man in der
+Alexandrinischen Araberstadt fast gar nicht, so daß sie keineswegs ein
+interessantes Aussehen hat, sich höchstens gut bei Mondscheinbeleuchtung
+ausnimmt. So durchzogen wir sie denn auch eines Abends, ehe wir die
+libysche Expedition antraten, und besuchten sodann ein Kaffeehaus der
+Eingeborenen, um eine Mokka zu schlürfen und einen Tschibuk zu saugen.
+Aber auch hier fängt die Civilisation an, mit mächtiger Gewalt
+einzudringen. Im ganzen arabischen Viertel ist jetzt Gasbeleuchtung. Wie
+lange wird es dauern und die Straßen werden gepflastert, sie werden
+gerade gemacht, besprengt, mit schattigen Bäumen bepflanzt und statt der
+kleinen Gewölbe und Boutiken mit prächtigen Verkaufsläden geschmückt
+werden. Das Letztere wäre namentlich wünschenswert; denn gezwungen durch
+die Kleinheit ihrer Verkaufsbuden, rücken die Kaufleute ihre Waaren weit
+in die Straßen hinein, verengern so die Passage und füllen die Luft mit
+den sich mischenden Gerüchen gekochter Speisen, frischen Gemüsen, rohen
+Fleisches, kurz aller Gegenstände, die sie feil haben.
+
+Das muselmännische Alexandrien hat hundert Moscheen, von denen jedoch
+keine einzige ausgezeichnet und berühmt ist, verschiedene Sauya[43] und
+Medressen[44] und eine Menge Funduks und Karawanseraien, um Menschen und
+Thiere zu beherbergen. Es versteht sich von selbst, daß in diesen
+Funduks nur die Eingeborenen logiren. Die Bevölkerung des arabischen
+Theiles von Alexandrien beträgt etwa 100,000 Einwohner, also die Hälfte
+der Gesammtbevölkerung.
+
+Ganz anders erscheint das europäische Quartier, welches, wie aus dem
+früher Gesagten hervorgeht, eine eigentliche Schöpfung der Neuzeit ist.
+Breite und gerade Straßen, zum Theil mit schönen Baumreihen bestanden,
+hier und da ein reizender Platz mit immergrünen Pflanzen und duftigen
+Blumen, an den Seiten prächtige, mehrstöckige Häuser, massive Bauten
+mit den elegantesten Läden, herrliches Pflaster (die Steine dazu hat
+man von Triest kommen lassen, _jedes Stück_ hat circa 5 Francs gekostet
+bei einer Größe von 15 Zentimeter quadratischer Oberfläche auf 20
+Centimeter Tiefe), mit schönem Trottoir für Fußgänger, machen das
+europäische Alexandrien zu einer der schönsten Städte am Mittelmeere.
+Dazu kommt eine ausreichende Gasbeleuchtung und eine künstliche
+Wasseranstalt (auch die arabische Stadt wird mit Wasser aus derselben
+versorgt), welche bei Moharrem-Bai Nilwasser in ein Reservoir pumpt, aus
+der die ganze Stadt mit dem besten Trinkwasser der Welt versorgt
+wird[45]. Der mittlere Verbrauch von Wasser beläuft sich auf 8000
+kubische Meter täglich.
+
+Auf dem Platze Mohammed Ali's, auch =Place des consuls= genannt,
+concentrirt sich am meisten das europäische Leben; hier sieht man die
+glänzendsten Läden, hier ist das französische Generalconsulat, das
+Stadthaus, mehrere große Hotels und seit zwei Jahren--Allah und Mohammed
+verzeihe dem Chedive und seinen Räthen diese christliche oder vielmehr
+heidnische Ketzerei--erhebt sich inmitten der breiten Allee die über
+lebensgroße Statue des Begründers der jetzigen Dynastie. Die Statue
+Mohammed Alis ist aus Bronce und im Ganzen 11,50 Meter hoch, wovon 6,50
+Meter auf das aus toscanischem Marmor gemeißelte Piedestal kommen,
+während die Reiterstatue selbst 5 Meter hoch ist. Die Statue ist von
+prachtvoller Wirkung. Mohammed Ali in orientalischer Tracht, den Kopf
+beturbant, sitzt in gebietender Stellung zu Roß, seinem energischen
+Gesichtsausdruck sieht man es an, daß er der Mann ist, welcher das
+türkische Joch abschüttelte, der, hätten nicht die Großmächte ihr Veto
+dazwischen gerufen, sein Schwert bis nach Stambul selbst hineingetragen
+haben würde. Furchtsam umstehen die Fellahin das Denkmal, fromme Flüche
+und Verwünschungen murmelt der scheinheilige Taleb oder Faki beim
+Anblick dieses gewaltigen Mannes; am liebsten würde er gleich das "Bild"
+vernichten. Aber der Preis und die Belohnung, welche er sich dafür im
+Paradies unfehlbar erwerben würde, scheint doch nicht so sicher zu sein,
+als die irdische Strafe, welche einem solchen Versuche auf der Stelle
+folgen würde. Ismael, der jetzige Regent von Aegypten, kennt seine
+Leute, er weiß, was er ihnen bieten kann und er weiß, daß der
+einigermaßen denkende Mohammedaner heute der irdischen Belohnung und der
+irdischen Strafe vor den unsicheren zukünftigen Versprechungen oder den
+jenseitigen Qualen den Vorzug giebt. =Tout comme chez nous=. Wer
+fürchtet sich heute bei uns vor den Flammen der Hölle und vor der
+Aussicht, Milliarden von Jahren dem Allerhöchsten ein Hallelujah zu
+singen!--Aber das irdische Gesetz und das eigne Pflichtgefühl, die Liebe
+zum Guten und Schönen, der Haß des Bösen und Häßlichen, welche uns
+_jetzt_ schon erblich, möchte ich sagen, überliefert werden, das sind
+heute die großen Triebfedern, welche die menschliche Ordnung und
+Gesellschaft zusammenhalten müssen.
+
+Daß für die religiösen Bedürfnisse der Europäer reichlich gesorgt ist,
+versteht sich von selbst in einer orientalischen Stadt, wo die meisten
+Europäer Katholiken sind oder der griechischen Kirche angehören. Es
+giebt 3 katholische Kirchen, 4 für den griechischen Ritus, 3
+protestantische, 1 koptische und 1 maronitische Kirche. Die Juden haben
+3 Synagogen. Daß Mönche und Klöster nicht fehlen in einer so großen
+Stadt am Mittelmeere, der Geburtsstätte so vieler Religionen, braucht
+wohl kaum gesagt zu werden. Der koptische Patriarch residirt auch in der
+Regel in Alexandrien.--An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt die Stadt 4
+Hospitäler, das für Militär und Civilpersonen eingerichtete
+Gouvernementshospital, das allgemeine europäische Hospital, das
+Diaconissenhospital und ein griechisches. Von den barmherzigen
+Schwestern wird auch ein Findlinghaus geleitet.--Die Schulen sind alle
+in den Händen der Geistlichkeit, aber es dürfte, seit Herr Dor, ein
+Schweizer, die Leitung des Unterrichts in Aegypten übernommen hat, bald
+eine günstige Veränderung eintreten; auch eine deutsche Schule ist unter
+den Auspicien des deutschen Generalconsulats gegründet worden. Von den
+übrigen europäischen Schulen nenne ich das Institut der Lazaristen
+(=collège des Lazaristes=), ähnlich eingerichtet, wie ein
+französisches Lyceum: man unterrichtet in französischer Sprache
+Lateinisch und Griechisch. Das Arabische, Neugriechische, Italienische
+ist facultativ. Englisch und Zeichnen und Musikunterricht werden
+besonders bezahlt, der Pensionpreis beträgt 1000 Francs jährlich. Die 12
+Lehrer sind sämmtlich Geistliche. Die Schule wurde 1873 von 60 Schülern
+besucht. Das italienische Lyceum steht unter italienischer
+Regierungscontrole; die Zahl der Schüler betrug 255 im selben Jahre. Die
+Schule der schottischen Kirche, die der apostolischen Amerikaner, die
+der Griechen, die allgemeine, unter dem Protectorat des ägyptischen
+Erbprinzen stehende Schule mit unentgeltlichem Unterricht sind alle mehr
+oder weniger stark frequentirt. Auch die Juden haben eine von etwa 120
+Schülern besuchte Anstalt. Außerdem giebt es 6 Mädchenschulen. Sowohl
+von den Kirchen, wie auch von den Schulen haben mehrere ein monumentales
+Aeußere.
+
+Die Vereinigung der ersten Gelehrten, welche jedoch kein eignes Gebäude
+besitzen, ich meine =l'Institut Égyptien= ist seit Anfang dieses
+Jahres nach Kairo verlegt worden. Es giebt sodann viele
+Wohlthätigkeitsvereine und auch gesellige; von den letzteren sind die
+bedeutendsten der Börsencirkel, der philharmonische Gesellschaftskreis,
+vorwiegend aus Franzosen bestehend, und der Club der Deutschen. Für das
+geistige Leben ist durch eine öffentliche Bibliothek und durch das
+Erscheinen von 9 Zeitungen gesorgt, von denen 3 in italienischer, 1 in
+englischer, 2 in griechischer und die übrigen in französischer Sprache
+erscheinen.
+
+Im hübsch gelegenen und elegant erbauten Siziniatheater werden
+italienische Opern aufgeführt, außerdem giebt es noch ein kleines
+Theater, Namens Alsieri. Erwähnen wir schließlich noch, daß
+französische, englische, italienische und griechische Freimaurerlogen in
+Alexandrien sind, im Ganzen 8, an der Zahl, so glauben wir aller
+Anstalten Erwähnung gethan zu haben. Nur möchte ich für etwaige nach
+Aegypten Reisende hervorheben, daß es dort eine Reihe guter Hôtels
+giebt, von denen 2 ersten Ranges, daß Kaffeehäuser und Restaurationen in
+großer Anzahl vorhanden sind, ja daß es sogar viele deutsche Bierstuben
+giebt, wo Wiener Bier verzapft wird. In der Stadt Alexander des Großen,
+des Ptolemäus Philadelphus, deutsches Bier von deutschen Jungfrauen
+geschenkt! In der Stadt des Pompejus, der Cleopatra Gas- und
+Dampffabriken! Welche Gegensätze und doch so groß nicht, wie man denkt!
+Denn in der Stadt, wo das weltberühmte Museum mit 700,000 Büchern oder
+vielmehr Schriftrollen war und die im Serapeum eine zweite Bibliothek
+mit 200,000 Bänden besaß und deren Straßen eben so wohl und gerade
+angelegt waren, wie jetzt die des europäischen Viertels[46], in der zur
+Zeit, als die Römer die Herrschaft antraten, nach Diodorus Siculus fast
+eine Million Einwohner sich befanden, soll die Zukunft erst wieder eine
+gleiche Blüthe und Bevölkerung hervorbringen, wie wir solche zu Zeiten
+der Ptolemäer dort vorfanden.
+
+Von den 200,000 Einwohnern kommen auf die europäische Bevölkerung von
+Alexandrien circa 100,000 Seelen[47] und sind dahin auch die Türken und
+ihre Descendenz zu rechnen, mit einem ziemlich zahlreichen Contingent.
+Sie bewohnen die Halbinsel, welche, ehedem als selbe nur durch einen
+steinernen Damm mit dem Festlande verbunden war, Insel Pharos hieß. Die
+Straßen dieses Viertels sind auch ziemlich breit und gerade, und besser
+im Stande gehalten als im arabischen Viertel. Hier wohnen die Paschas,
+Beys, Effendis und hohen Würdenträger des Königreichs. An der
+westlichen, äußersten Spitze des Vorgebirges =Ras es Tin= oder
+Feigenvorgebirge genannt, ließ Mohammed Ali ein nach dem Plane des
+Serail in Konstantinopel erbautes Schloß errichten. Dasselbe wird noch
+von dem Vicekönig benutzt; auch Harem und Dienstzimmer für die Minister
+befinden sich in demselben. Das Harem steht ganz isolirt inmitten des
+schönen Gartens. Dicht daneben ist auch das Arsenal.
+
+Der alte Hafen von Alexandrien hat seit 1870 eine vollkommene Umwandlung
+erlitten, indem die großartigsten Molenbauten[48] ganz neue Bassins
+schufen. Im Jahre 1876 wird Alexandrien ein äußeres Hafenbecken besitzen
+mit einer Oberfläche von 350 Hektaren und einer Tiefe von wenigstens 10
+Meter. Dieser Vorhafen wird nach der offenen Seite durch einen
+Wellenbrecher geschützt sein, welcher 2340 Meter lang und 8 Meter hoch
+sein soll. Die Blöcke dazu werden zum Theil künstlich hergestellt und
+werden 20,000 benöthigt, jeder 10 Kubikmeter groß und 20 Tonnen[49]
+wiegend. Dieser Wogenbrecher hat zwei Eingänge, einer zwischen dem
+Nordende und =Ras el Tin=, 600 Meter breit, für kleinere Schiffe,
+ein anderer am südlichen Ende, 800 Meter breit, für große Fahrzeuge.
+
+Das innere Hafenbecken wird 72 Hektaren Oberfläche haben und wenigstens
+8,50 Meter tief sein. Auch dieser Hafen wird durch besondere Molen
+geschützt sein und hydraulische Kräne zur Leichterung der Schiffe
+erhalten. Die jährliche Schiffsbewegung beläuft sich jetzt auf circa
+3000 einkommende und ebenso viel ausfahrende Schiffe mit einem Gehalt
+von circa 1,500,000 Tonnen.
+
+Der "Guide" von François Levernay, dem wir die Zahlen für diesen Aufsatz
+entnommen, giebt die mittlere Jahrestemperatur von Alexandrien zu +20º
+C. an, mit einem Maximum von 27º und einem Minimum von 7º. Ich glaube,
+sorgfältiger angestellte Beobachtungen würden eine um einige Grad
+wärmere Temperatur ergeben. In Alexandrien ist noch nie Frost beobachtet
+worden; in der Libyschen Wüste, obschon sich dieselbe bedeutend weiter
+nach Süden erstreckt, fällt das Thermometer jeden Winter unter Null. Der
+kälteste Monat in Alexandrien ist der Januar, Juli und August sind die
+heißeste Zeit. Der Nord und Nord-Nord-West-Wind sind, wie in ganz
+Unterägypten, die vorherrschenden, erst Ende April und im Mai weht der
+Chamsin (d.h. der während 50 Tagen wehende Süd-Süd-Ost-Wind) und bringt
+oft eine unerträgliche Hitze, die jedoch nur während des Windes selbst
+anhält. Während des Chamsin ist selbst am Meeresstrande die Luft kaum
+mit Feuchtigkeit geschwängert, während der übrigen Monate ist aber
+gerade in Alexandrien ein ungemein hoher Feuchtigkeitsgehalt, was den
+Aufenthalt in den Spätsommerwochen so unangenehm macht. Die Quantität
+des Regenfalls variirt zwischen 100 und 335 Mm. jährlich; doch macht man
+auch hier die Wahrnehmung, daß mit der steigenden Baumcultur auch die
+Menge des Regenfalles sich jährlich in Alexandrien vermehrt. Stürme sind
+in Alexandrien selten, Hagel fällt durchschnittlich ein- oder zweimal
+des Jahres, im März oder April; Nebel, aber von kurzer Dauer, treten im
+März, November und December auf.
+
+Wie der Chedive, der Hof und die ganze Regierung im Sommer von Kairo
+nach Alexandrien übersiedeln, der frischen Meeresbrisen wegen, so
+folgen auch die meisten Europäer diesem Beispiel. Aber sie wohnen dann
+weniger in Alexandrien selbst, als im nahe gelegenen Ramleh, einem Orte,
+welcher vor wenigen Jahren seinen Namen (Sand) noch verdiente, jetzt
+aber ein reizender Villencomplex geworden ist. Ramleh hat im Sommer
+6500, im Winter 3200 Einwohner und man findet dort alle Annehmlichkeiten
+einer Villegiatur. Griechische, französische und italienische Schulen,
+Schauspiele, Restaurants und ein Hôtel deutet darauf hin, daß Ramleh
+binnen Kurzem das Scheveningen Alexandriens sein wird.
+
+Aber auch an reizenden Spaziergängen fehlt es den Alexandrinern nicht.
+Längs des Mahmudie-Kanals findet man an den Seiten schattiger Alleen die
+herrlichsten Gärten und darin versteckt die geschmackvollsten Villen.
+Keine herrlichere Spazierfahrt kann man sich denken, als längs dieses
+von Hunderten von größeren und kleineren Schiffen, sowie von eleganten
+Dahabien belebten Kanals. Auch der öffentliche Garten ist hier gelegen,
+wo tägliche Militärmusik die elegante Welt anzieht. Wenn man Abends die
+Hunderte von feinen Landauern mit den schönen griechischen Damen in
+elegantester Toilette daherfahren sieht, dann glaubt man nicht in Afrika
+zu sein, sondern man denkt unwillkürlich an die wagenbelebte Chiaja in
+Neapel. Aber es ist Alles erst im Werden, denn mit Sicherheit fast läßt
+sich voraussagen, daß Alexandrien wieder werden wird, was es war, ein
+Emporium für den Welthandel, die bedeutendste Handelsstadt des
+Mittelmeeres.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 42: Wenn ich "arabisch" sage, so ist damit die eingeborne
+Bevölkerung von Aegypten gemeint, welche aber keineswegs arabisch ist.
+Ich folge in dieser Bezeichnung nur einen angenommenen Gebrauche.]
+
+[Footnote 43: Sauha ist Kloster, Hochschule und Asyl; letzteres hat aber
+in Aegypten heute keine Bedeutung mehr.]
+
+[Footnote 44: Medressa ist Schule.]
+
+[Footnote 45: Die Eingeborenen und auch fremde Araber und Berber
+behaupten, daß das Nilwasser das süßeste und beste Wasser der Welt sei
+und sagen wie die Römer von ihrer Fontana Trevi, wer einmal aus dem Nil
+getrunken habe, den zöge es immer wieder nach Aegypten hin.]
+
+[Footnote 46: Siehe Tafel 5, Zeitschrift für Erdkunde 1872. Kiepert, Zur
+Topographie des alten Alexandrien.]
+
+[Footnote 47: Der Zahl nach kommen zuerst Griechen, dann Italiener, dann
+Engländer (Maltheser), dann Franzosen, endlich Deutsche; die übrigen
+Nationen sind in geringer Zahl vorhanden.]
+
+[Footnote 48: Die Kosten dieser Bauten, mit deren Ausführung das Haus
+Greenfield u. Comp. betraut ist, sind auf 50,000,000 Francs
+veranschlagt. (=Guide annuaire d'Égypte 1873=.)]
+
+[Footnote 49: Eine Tonne gleich 2240 Pfund.]
+
+
+
+
+10. Kairo, Hauptstadt von Aegypten.
+
+
+Ehe wir die Beschreibung von Aegyptens Hauptstadt unternehmen, kehren
+wir zur Vergangenheit zurück und besonders auch kümmern wir uns um die
+Etymologie des Namens der Stadt selbst. Die modernen Völker haben alle
+mehr oder weniger eine gleiche Benennung. Wir Deutsche schreiben Cairo
+und Kairo und sprechen Kairo oder Kaïro; die Franzosen sagen und
+schreiben. =Caire= oder =le grand Caire=; die Engländer
+schreiben Cairo, ebenso die Italiener, welche aber Kaïro sprechen. Der
+gemeine Mann Aegyptens weiß aber von "Kairo" nichts, denn selbst das
+Wort "=el Kâhira=", die Unterjocherin[50], welche Veranlassung zur
+Bildung des Wortes Kaïro gewesen, ist nur den Gebildeten bekannt. Das
+Volk der Hauptstadt, sowie die Eingeborenen des Landes nennen die Stadt
+Masr. Auch dieses Wort finden wir von den Europäern auf die
+verschiedenste Art geschrieben: Masr, Misr, Messr, Masser, Messer und
+noch einige andere Schreibarten.
+
+In der nachfolgenden Erklärung dieses Namens folge ich durchaus der
+Auseinandersetzung des gelehrten Orientalisten Wetzstein in Berlin, der
+die Güte hatte, mir seine bezüglichen Forschungen hierüber mitzutheilen,
+die um so werthvoller sind, weil sie zum Theil neue Gesichtspunkte
+eröffnen und vollkommen originell sind.
+
+Wetzstein sagt: Die Hauptstadt Aegyptens heißt bekanntlich im Lande
+selbst Misr[51]. Da nun dieser Name ursprünglich der Name des ganzen
+Landes ist, denn schon im alten Testamente hieß Aegypten Misraim, so hat
+man hier eine Uebertragung des Landnamens auf die Landeshauptstadt zu
+constatiren; =medinat Misr=, die Hauptstadt Aegyptens, ist also zur
+Stadt Misr geworden. Für eine solche Uebertragung bietet die
+geographische Nomenclatur der Araber viele Beispiele. Hier nur einige:
+Syrien hieß bei den Arabern der Halbinsel schon in den ältesten Zeiten
+Schâm, d.h. das Nordland, und sein Hauptmarkt, bis wohin die arabischen
+Karavanen gingen, war in vormohammedanischer Zeit Bosrâ, die Hauptstadt
+Haurân's; eine Reise nach Syrien war also in der Regel für die Araber
+gleichbedeutend mit der Reise nach Bosrâ. Daher heißt bei ihnen in jener
+Zeit Bosrâ immer Schâm im Sinne von "Markt" von Schâm (Syrien). Als nun
+in den ersten Jahrhunderten des Islam Bosrâ verödete und die Karavanen
+bis Damask gehen mußten, ging die Benennung Schâm naturgemäß auf die
+Stadt über, so daß der Name Damaskus vollständig unterging[52] und
+Schâm seitdem zugleich Syrien und Damask bedeutet. Nur blieb an den
+Ruinen von Bosrâ noch der Name Alt-Schâm (türkisch: Eski-Schâm) haften.
+
+Ein anderes Beispiel: Die Hauptstadt von Bahrein, d.h. von dem
+nordöstlichen Küstenstriche der arabischen Halbinsel, war im Alterthum
+der berühmte Handelsplatz Gerrha (arabisch H'gér), der Ausgangs- und
+Zielpunkt der aus und nach Bahrein expedirten Karawanen. Auch dieses
+Emporium verlor unter den Arabern seinen Eigennamen und nahm den des
+Landes Bahrein an.
+
+Dasselbe geschah mit der alten Hauptstadt Jemâma, dem heutigen
+Wahabiten-Reiche, westlich von Bahrein. Sie hieß Hagr; aber die
+arabischen Geographen erwähnen selten diesen Namen. Meistens nennen sie
+die Stadt entweder Medinat-el-Jemâma oder geradezu Jemâma, wie das Land
+selbst. Diesen Beispielen fügen wir noch die Stadt Ramla (bei Lydda)
+bei, welche bis zum Beginn der Kreuzzüge von großem Umfange und
+Hauptstadt der Provinz Felistin (damals Westpalästina) war; sie wird in
+den arabischen Schriften jener Zeit geradezu Felistin im Sinne von
+"Hauptstadt Palästina's" genannt. Liest man, Jemand habe in Felistin
+übernachtet, oder von Felistin nach Jâhâ oder Jerusalem sei eine
+Tagereise, so ist immer Ramla gemeint.
+
+Diese Bezeichnungsweise ist oft verwirrend und kann das Verständniß
+einer geographischen oder historischen Angabe erschweren. Entstanden
+wird sie sein durch die Redeweise der Karawanen, insofern z.B. die aus
+Arabien abgehende Kâfilat-Misr, Karawane von Misr, immer zugleich die
+nach dessen Hauptstadt dirigirte war, und man darf annehmen, daß Misr
+schon Jahrhunderte lang _vor dem Islam_ bei den Arabern jene doppelte
+Bedeutung hatte.
+
+Uebrigens wäre auch folgende Erklärung denkbar: Unter den Ptolemäern
+entstand zwischen Heliopolis und Memphis ein Waffenplatz, der
+wahrscheinlich das volkreiche Memphis im Zaume halten sollte und zur
+Erinnerung an Alexander's Feldzug in Asien Babylon genannt wurde. Nach
+und nach verödete Memphis, indem es einen kleinen Theil seiner
+Bevölkerung und seines Baumaterials an dieses Babylon abgab, welches in
+den ersten Jahrhunderten der christlichen Aera (abgesehen von
+Alexandrien) der Hauptort Aegyptens geworden zu sein scheint. Denn als
+des Chalifen Omar's Feldherr ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= im Jahre 19 der
+Higra Babylon erobert hatte, befand er sich thatsächlich im Besitze des
+ganzen Landes und brauchte nur noch Alexandrien zu erobern. Dieses
+Babylon hieß nun zum Unterschiede von der berühmten gleichnamigen Stadt
+am Euphrat "das ägyptische Babylon", Bâbeliûn Misr, welche Bezeichnung
+sich, da die Araber lange Ortsnamen hassen, in Misr verkürzte, so daß
+Land und Landeshauptstadt gleichnamig wurden. Doch ist die =primo
+loco= gegebene Erklärung dieser unbedingt vorzuziehen.
+
+Die übrigen Namen der Hauptstadt Aegyptens anlangend, so hieß dieselbe
+in den ersten Jahrhunderten des Islam el Fostât aus folgender
+Veranlassung. Als der vorerwähnte ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= Babylon
+belagerte, stand sein Lager an der Nordseite der Stadt, und um sein
+Zelt, welches el Fostât hieß, bildete sich nach und nach eine
+Baracken-und Hüttenstadt, die sich erhielt und vergrößerte, da ein Theil
+des Lagers auch nach Eroberung der Stadt stehen blieb. Diese nomadische
+Niederlassung verwandelte sich nach und nach in eine Vorstadt Babylons,
+die nach ihrem Mittelpunkte dem ehemaligen Feldherrn-Zelte, el Fostât
+genannt und deren Name allmälig auf die ganze Stadt angewendet wurde, so
+daß die alte Benennung Babylon außer Brauch kam. Doch findet man sie
+noch bei den Geographen, welche sie bald Babeljûn, bald Hisn-el-Iûn
+(Festung des Iûn) schreiben, indem die erste Silbe, welche man für das
+arabische =Bab= Thor hielt, wegfiel.
+
+Der Name el Fostât wurde seit der Occupation Aegyptens durch den
+Fatimiten =el Moizz li-din-Allah= (369 d.H.) verdrängt. Als Ganhal,
+sein Feldherr, mit dem westafrikanischen Heere vor die Hauptstadt
+rückte, ging er mit der Bevölkerung den Vertrag ein, daß seine Soldaten
+die Stadt selbst nicht betreten, sondern außerhalb derselben in Baracken
+und Zelten untergebracht werden sollten. Dieses Lager, welches sich wie
+350 Jahre früher dasjenige des ='Amr-ibn-el-'À[s,]î= allmälig in
+eine militärische Colonie verwandelte und zugleich die Unterwürfigkeit
+der Stadt gewährleistete, erhielt den Namen el Kâhira "die
+Unterjocherin", der sich gerade wie früher el Fostât der ganzen Stadt
+mittheilte.
+
+Man unterscheidet bis auf den heutigen Tag die Stadttheile el Kâhira, el
+Fostât und das ursprüngliche Misr. In amtlichen Acten, bei denen es auf
+Genauigkeit der Ortsangaben ankommt, heißt die Stadt Kâhirat Misr "Kairo
+in Aegypten", oder auch Misr el Kâhira, was der gewöhnliche Mann als die
+"siegreiche Stadt Misr" deutet.
+
+Indem wir so der Auseinandersetzung des gelehrten Orientalen folgten,
+fügen wir noch hinzu, daß Wetzstein etymologisch das Wort Misr
+simitischen Ursprungs erklärt und sich der Ansicht zuneigt, es bedeute
+"die beiden eingeschlossenen Länder", nämlich Ober- und Unter-Aegypten.
+Wetzstein meint nämlich: "gehöre diese Benennung ursprünglich einer
+altägyptischen, d.h. einer Ruschitischen Sprache an, so ließe sich
+nichts über ihre Bedeutung sagen, denn das Koptische sei ein zu
+verkommenes Idiom und das Hieroglyphische mit seinen Schwestern eine zu
+unbekannte Sprachform, als daß sie Aufschlüsse geben könnten."
+
+Genug! Wenn auch nicht an derselben Stelle gelegen, wissen wir und
+müssen das festhalten, daß die heutige Hauptstadt der Aegypter bei den
+Alten Babylon (bei den lateinischen Schriftstellern Babylonia), bei den
+ersten Arabern Fostât hieß und daß sie heute bei den Europäern mit den
+verschiedenen Variationen Kairo, bei den Aegyptern selbst Masr genannt
+wird. Die Namen Masr el-kahirah als Neustadt oder Masr el-attica als
+Altstadt haben nur officiellen Sprachgebrauch erlangt.
+
+Man hat behaupten wollen, die Vorgängerin Kairo's, die Stadt Memphis,
+sei günstiger gelegen gewesen, als die jetzige Hauptstadt Aegyptens. Ich
+wüßte nicht, worauf man dieses Urtheil stützen wollte. Der natürlich
+vortheilhafteste Platz wäre wohl an der Spitze des Delta's selbst
+gewesen, aber die Entwicklung der Stadt selbst zeugt, daß man keineswegs
+eine ungünstige Position zur Anlage einer Stadt gewählt habe. Es ist
+heute freilich leicht zu sagen, die und die Stadt hat eine äußerst
+günstige geographische Lage. In unserer Zeit der Eisenbahnen, der
+Kunststraßen, der Kanäle &c. überläßt man sich gar zu leicht der
+Ansicht, die natürliche Lage der Stadt habe das Blühen und Gedeihen
+derselben verursacht, wenn es doch nichts Anderes war als eben jene
+modernen Kunstmittel.
+
+Kairo liegt auf dem 30º 2' 4'' N.B. und auf dem 28º 58' 30'' O.L. von
+Paris. Die Erhebung der Stadt über dem Meere beträgt durchschnittlich 13
+Meter; obschon einzelne Stadtteile höher sind, so liegt die
+Hassan-Moschee 30 Meter höher, als der Spiegel des Mittelmeeres.
+
+Die mittlere Jahrestemperatur ist 23º C. Selten fällt im Winter der
+Thermometer unter 10º und steigt nur während der Zeit der Chamsinwinde
+auf über 40º. Während früher feuchter Niederschlag zu den Seltenheiten
+gehörte, hat man die Beobachtung gemacht, daß jetzt mit jedem Jahre die
+Regenfälle im Zunehmen begriffen sind; offenbar Folge der so sehr
+vermehrten Baumpflanzungen in der Stadt selbst und in der nächsten
+Umgebung derselben. Aber es liegen noch keine bestimmten Daten hierüber
+vor und so heben wir eben nur die allgemeine Thatsache hervor.
+
+Obschon man wegen der immerhin bedeutenden Hitze nicht sagen kann, daß
+Kairo ein angenehmes Klima habe, so kann man doch auch keineswegs
+behaupten, es sei eine ungesunde Stadt. Im Sommer pflegen wegen der
+unerträglichen Hitze die dort wohnenden Europäer, auch der Hof, die
+ersten Würdenträger und reiche Eingeborene die Stadt zu meiden. Im
+Winter hingegen ist sie Aufenthaltsort zahlreicher Reisender und noch
+zahlreicherer Kranker, welche dort Herstellung ihrer Gesundheit zu
+finden hoffen. Namentlich für Schwindsüchtige wird die Luft Kairo's und,
+wie es scheint, mit Recht, empfohlen. Die sogenannte ägyptische
+Augenkrankheit eine Entzündung der Schleimhaut, der Conjunctiva des
+Auges, sowohl des Augapfels, als auch der Augenlider, welche ansteckend
+und in Aegypten endemisch ist, eine seit Hippokrates Zeit bekannte
+Krankheit, wurde durch die französische Invasion unter Napoleon I. und
+durch die Engländer nach Europa gebracht; indeß befällt sie
+erwiesenermaßen Europäer weniger, als die Eingeborenen und Letztere
+werden besonders davon afficirt, weil sie nicht durch größte
+Reinlichkeit die fortwährenden schädlichen Einwirkungen des Staubes, von
+dem die Luft stets geschwängert ist, unwirksam machen. Und zwar wirkt
+der Staub, der unmittelbar in den Straßen aufgewirbelt wird und aus den
+kleinsten Partikeln zersetzter organischer Stoffe besteht, ebenso
+schädlich, als der kaum sichtbare Staub der Samum-Winde. Woran die
+Europäer am meisten leiden, das sind Krankheiten der Leber und der Milz,
+letztere zum Theil hervorgerufen durch tertiäre Wechselfieber, und sind
+erstere radical nur zu heilen durch Ortsveränderung, durch Rückkehr nach
+Europa. Die Pest kommt seit Jahren nicht mehr in Kairo vor und die
+Cholera eben auch nicht häufiger, als in Europa.
+
+Kairo ist eine unbefestigte Stadt, denn was die Kâsbah betrifft, welche
+ursprünglich zur Verteidigung der Chalifenstadt diente, nebst hohen
+Mauern, welche im Mittelalter die Stadt umfriedigten, so ist erstere
+längst ihres Festungscharakters beraubt, letztere aber sind geschleift
+und abgetragen worden, oder in Ruinen zerfallen. Jedoch zahlreiche
+Mauern im Innern der Stadt, ehemals äußere Stadtmauern, zeugen von der
+beständigen Umwandlung und Vergrößerung der Stadt, sowie die jetzige
+äußere Mauer ebenfalls schon inmitten der Hauptstadt sich befindet.
+Heute ist es kaum noch gestattet, von Masr el Kâhirah, von Masr el
+Attika, von Bulak u.s.w. als unterschiedlichen Städten zu reden,
+namentlich wird es ebenso falsch sein, zu sagen, Bulak sei als _Hafen_
+Kairo's von dieser _Stadt_ zu unterscheiden, sowie man Unrecht hätte,
+Moabit nicht zu Berlin zu rechnen. Heute liegt in der That Kairo am Nil:
+Bulak ist ein Stadttheil der Hauptstadt geworden. Höchstens darf man
+jetzt noch den Unterschied zwischen _dem_ Stadttheile machen, der seinen
+_morgenländischen_ Charakter bewahrt hat und dem, der ganz _europäisch_
+ist.
+
+Der erste Stadttheil, der sich an die Citadelle lehnt, welche selbst auf
+einem der äußersten Ausläufer des Mokattam-Gebirges gelegen ist, den man
+unter dem Namen Chalifenstadt begreifen kann, ist ein großes Labyrinth
+krummer und enger Straßen, oft durch Ueberbauten dunkel und so
+unscheinbar, daß man meinen sollte, man befände sich in einer Gasse des
+Hauptortes der Oase des Jupiter Ammon. Hier kennt man kein Pflaster,
+hier giebt es Abends keine Beleuchtung, geschweige denn von Gas zu
+reden; zahlreiche Sackgassen nötigen den nicht Eingeweihten, stets auf
+seine Schritte zurückzukommen, vom Eintritt eines bestimmten Platzes an
+bis zu einer bestimmten Grenze wird der Fremde, passirt er Nachts diesen
+Stadttheil, von einer klaffenden Meute hungriger Hunde verfolgt, welche
+wild und herrenlos, wie sie sind, doch unter sich eine genaue
+Besitzeintheilung hergestellt haben der Art, daß immer ein Theil eines
+Quartiers oder einer Straße von einer Meute besetzt gehalten wird, die
+auf's Eifrigste über die Unverletzlichkeit ihres Territoriums wacht.
+Wehe dem Fremden, der Nachts ohne Stock durch eine von diesen wilden
+Bestien bewachte Straße geht, namentlich wenn er ein Ungläubiger und in
+europäischer Tracht ist; aber noch mehr wehe, wenn einer ihres Gleichen,
+ein fremder Hund, sich unter sie verirren sollte, er ist unrettbar
+verloren, gelingt es ihm nicht, auf sein eignes Gebiet zurückzuflüchten.
+
+Aber nicht immer haben wir enge und unscheinbare Gassen, in diesem
+Ur-Kairo ist Alles Ueberraschung. Hier giebt es auch Moscheen von allen
+Formen und allen Farben, einfache und prachtvolle, reich mit Arabesken
+und Sculpturen geschmückte und solche, welche äußerlich nur eine nackte
+Wand zeigen. Hier bemerkt man auch jene reich sculptirten Brunnen,
+meistens fromme Stiftungen, welche bis vor Kurzem, wo das Trinkwasser in
+Kairo so spärlich war, zu den größten Wohlthaten zählten, die ein
+frommer Moslim seiner Vaterstadt vermachen konnte. Hier findet man auch
+jene reizenden Muscharabiehen aus Holz geschnitzt, welche die Eifersucht
+des gestrengen Haremgebieters erfand. Muscharabiehen sind Jalousien,
+welche sich stark ausgebuchtet vor den Fenstern befinden. Sie sind auf's
+Kunstvollste aus Holz geschnitzt, oft so fein und zierlich, daß es sich
+von Weitem wie Filigran-Arbeit ausnimmt. Geheimnisvoll ragen sie im
+Halbdunkel der Straßen aus den Häusern hervor; manchmal scheinen sie
+sich bei den überhängenden Etagen der Häuser zu berühren. Dahinter
+lauert die junge Frau des Hausherrn, verlangende Blicke wirft sie auf
+das Leben zu ihren Füßen, sie hört es, sie sieht auch Alles, ohne selbst
+bemerkt zu werden; glühend erröthet sie, wenn ein jugendlicher Frangi
+vorübergeht, der ihr viel vorteilhafter dünkt, als jener alte,
+weißbärtige Mann, dem sie gezwungen war, ihr Leben zu opfern. Da
+erblickt sie gar in einer Carrosse dahersausend zwei hübsche
+Christendamen, sie sind unverschleiert. Sie lächeln, sie freuen sich des
+Lebens, während sie selbst, die Aermste, hinter ihrer Muscharabieh eine
+Thräne im Auge zerdrückt und ihr freudenloses Leben beklagt! Aber was
+ist das? Da biegt um die Ecke ein eleganter Phaëton, laut schreiend vor
+ihm rufen die Läufer ihr ewiges "=Guarda, Guarda=" oder
+=schemalak ia chodja, l'iminak=[53]. Darin sitzen im Wagen zwei
+reizende Moslemata[54], kaum verschleiert die dünne Tüllspitze ihr
+fröhlich lächelndes Gesicht; sie scheinen aber auch gar keine Lust zu
+haben, ihr Antlitz verbergen zu wollen, im Gegentheil, man sieht, daß
+sie nur scheinbar diesen Zwang mitmachen. Es sind Prinzessinnen, Töchter
+oder Nichten des Chedive; ahnungsvoll zieht sich unsere Schöne aus
+ihrer Muscharabieh zurück; ein dunkles Gefühl sagt ihr, daß auch für
+ihres Gleichen bald die Stunde der Befreiung schlagen wird.
+
+Hier finden wir auch jene großen Bazarstraßen, wo die Produkte der drei
+Erdtheile sich einander begegnen und wo in immer geschäftiger Weise
+während des ganzen Tages das regste Leben und Treiben herrscht und
+Groß-und Kleinhandel getrieben wird. Von einigen dieser Bazars soll
+später noch die Rede sein.
+
+Der andere Stadttheil, ganz neu und vorzugsweise eine Schöpfung des
+jetzigen Chedive, daher auch Ismaelia genannt, mit seinen seenartigen
+Gärten, seinen breiten wohlgepflasterten und täglich besprengten
+Straßen, seinen Palästen und Theatern, seinen Gascandelabern und
+prachtvollen Läden ist vollkommen europäisch. Dies moderne Kairo,
+welches heute schon von den Fluthen des Nils berührt wird, steht in
+Nichts den schönsten Städten Europas nach. Was luxuriöse Ausstattung der
+Gebäude und ihrer Fanden anbetrifft, so können sich die der ägyptischen
+Hauptstadt ganz messen mit denen am Ring in Wien oder denen der
+Boulevards von Paris.
+
+Mit Recht sagt Levernay (=guide annuaire d'Égypte 1873 p. 254=):
+Hier ist die Vereinigung des Orients mit dem Occident, hier ist das
+Symbol der religiösen Freiheit; hier ist das Bündniß der Handelsfreiheit
+(?)[55] und der Völkergemeinschaft; findet man nicht in dieser Stadt
+zusammenlebend den flachshaarigen Scandinavier an der Seite des
+wollhaarigen Furer, den fanatischen Magrebiner von der Küste des
+atlantischen Oceans an der Seite des gelbhäutigen Indiers oder den
+südlichen Araber mit kaffeebrauner Haut an der Seite des
+halbeuropäischen Türken? Und dazwischen Tartaren, Perser, Turkomannen,
+Kurden und Chinesen. Ja, hier sieht man Hand in Hand gehend den
+gelehrtesten Professor aus der Hauptstadt der Denker mit dem von Steppe
+zu Steppe vagabondirenden Nomaden, welcher, ohne Gesetze lebend, nur
+seinem eigenen Willen folgt. Ja, es ist ein eigenthümliches Leben in
+Kairo und glücklich Der, welcher Empfängnis hat für die Sitten fremder
+Völker oder der gar die Gabe besitzt, dem Gedankengange der Eingeborenen
+momentan folgen zu können. Hier an der ältesten Wiege menschlicher
+Cultur reichen sich Tag für Tag Asiaten, Europäer und Afrikaner die
+Hand, und wie schon zu verschiedenen Malen von hier aus die menschliche
+Entwickelung zu ihren jeweiligen höchstem Triumphen gelangte, so scheint
+auch jetzt ein neues Leben, ein neues gewaltiges Ringen zum
+Vorwärtskommen erwacht zu sein.
+
+Die Zahl der Bevölkerung von Kairo dürfte man auf circa 400,000 Seelen
+für das Jahr 1875 beziffern. Genaue statistische Erhebungen sind in
+mohammedanischen Städten zur Zeit noch nicht auszuführen. Denn selbst
+wenn eine amtliche Zählung vorgenommen wird, so stößt diese immer auf
+unüberwindliche Hindernisse wegen der Haremverhältnisse und der
+weiblichen Sclaven.
+
+Von diesen 400,000 Einwohnern dürften incl. 800 Perser etwa 20,000
+Europäer sein. Aber man denke nicht, daß etwa die 380,000 verbleibenden
+Menschen alle einer Nationalität angehören. Da sind die verschiedensten
+schwarzen Stämme, da sind Syrier, ächte Araber, seit Jahrhunderten in
+Aegypten lebende Araber, Inder, Chinesen, endlich Fellahin und Kopten
+und eine große Anzahl von Türken. Alle diese stellt man, obschon sie es
+keineswegs sind, als "Eingeborene" oder "Rechtgläubige" den fremden
+Europäern gegenüber. Daß man die Perser ebenfalls als besondere
+Nationalität trennt, verdanken sie dem Umstande, weil sie in Aegypten
+besondere Consuln haben.
+
+Man zählte im Jahre 1873 in Kairo 4200 Griechen, 7000 Italiener, 4000
+Franzosen, 1600 Engländer, 1200 Oestreicher und Ungarn, 800 Deutsche,
+500 Perser, 120 Spanier, 50 Russen, 25 Belgier, 9 Brasilianer, 5
+Portugiesen, 2 Schweden und 1 Nordamerikaner. Was die letzte Zahl
+anbetrifft, so scheint sie uns nicht richtig zu sein, da allein in der
+chedivischen Armee an hundert nordamerikanische Officiere dienen, von
+denen wir bei den eigenen Verhältnissen in Aegypten kaum glauben können,
+daß sie ihre Nationalität aufgegeben haben. Wenn wir überhaupt zu diesen
+Zahlen größere Zuversicht haben dürfen, weil sie eben auf amtliche
+Ermittelung der bezüglichen Consulate fußen, so sind sie doch auch noch
+fern davon, eine so absolute Sicherheit zu gewähren, wie wir gewohnt
+sind, von unseren amtlichen, statistischen Erhebungen zu erwarten.
+
+Kairo hat wenigstens 300 Moscheen, wenn man alle kleinen Kapellen und
+Bethäuser mitrechnet, also ein Gotteshaus auf circa 1200 Individuen;
+denn von den 400,000 Einwohnern sind, wenn wir die Kopten mitrechnen,
+wenigstens 50,000 Christen. Diese letzteren haben 44 Kirchen, was
+ohngefähr dasselbe Verhältniß ergiebt, und rechnet man in Kairo 7000
+Juden und für dieselben 13 Synagogen, so erhält man das Resultat, daß
+diese am günstigsten daran sind, denn es beziffert sich für sie die Zahl
+der zu einem Tempel Gehörigen auf einige mehr als 500.
+
+In der Hauptstadt des Chedive herrscht natürlich die vollste religiöse
+Freiheit, aber erst seit einigen Jahren. Wie aber Alles, was maßlos ist,
+zu Unzuträglichkeiten führt, so auch diese vollkommene religiöse
+Freiheit. Es offenbart sich dies am meisten bei jenen großen
+mohammedanischen Prozessionen, welche oft stundenlang den Verkehr auf
+den Straßen hemmen. Die Zeiten sind allerdings längst vorüber, wo ein
+Andersdenkender beim Zuschauen einer solchen mohammedanischen Prozession
+sein Leben gefährdet sah, und da die Muselmanen ja überhaupt nicht die
+Sitte des Hutabnehmens haben, so ist vom "Huteintreiben" oder
+"Hutabschlagen", wie das in unseren toleranten und civilisirten Ländern
+vorkommt, nie die Rede.
+
+Unerwähnt darf man auch nicht lassen, daß dies die einzigen
+Ausschreitungen sind, welche sich der Cult dem staatlichen Gemeinwesen
+gegenüber erlaubt, denn nicht würde der unbestraft bleiben, wäre er ein
+auch noch so hoher Geistlicher, der sich dem Staats-Gesetze widersetzen
+wollte.
+
+Ueberhaupt lebt man in keinem Lande der Welt so sicher als in Aegypten
+und speciell in Kairo. Es ist wahr, daß auch hier manchmal große
+Diebstähle verübt werden, und ich erinnere nur an den berühmten
+Diamantendiebstahl Ende des Jahres 1874; aber er wurde in dem
+europäischen Viertel und von Europäern vollzogen. Von Mordtaten,
+Raubanfällen und größeren Verbrechen hört man fast nie.
+
+Wenden wir uns zu einzelnen großen Bauten und Anlagen, so zieht vor
+allen im alten Stadttheile die Citadelle unsere Aufmerksamkeit auf sich.
+Schon von Weitem, wenn man mit der Bahn sich nähert, sieht man die hohe
+Kuppel und die eleganten schlanken Minarets der Moschee des Mohammed
+Ali, welche die Citadelle als krönendes Werk überragt. Denn die
+Citadelle ist keineswegs _eine_ Baute, sondern besteht aus verschiedenen
+fortifikatorischen Gebäuden, aus Palästen, Kasernen und kleineren
+Gebäuden. Aber der aus Alabaster errichtete Dom, unter dem die Gebeine
+des großen Begründers der beutigen Dynastie ruhen, mit seinen imposanten
+Formen, in seiner dominirenden Lage, ist doch das Gebäude, welches den
+Fremden am meisten fesselt.
+
+Hier auf der Citadelle ist auch der berühmte Brunnen in den Fels
+hinabgehauen; er ist fast 100 Meter tief und so breit, daß man bis zur
+Quelle mittelst Stufen hinabsteigen kann. Er heißt Josephs-Brunnen, hat
+aber nichts mit dem biblischen Joseph gemein, sondern wurde von Joseph
+ben Agub oder Saladin, dem ersten aglubitischen Sultan, erbaut, damit im
+Falle einer Belagerung die Citadelle nicht des Wassers ermangele.
+Mittelst zweier Schöpfräder (=Norias oder Sakias=) wird das Wasser
+an die Oberfläche gehoben. Der Anblick von der Plattform der Citadelle
+auf die große Stadt zu ihren Füßen, auf Bulak, Rodha und den gewaltigen
+Nil, auf die Pyramiden und im Hintergrunde die mit dem Himmel
+verschwimmende Sahara gehört zu dem Großartigsten, was man sich denken
+kann; die kühnste Phantasie findet hier ihre Befriedigung. Und wenn man
+das Glück hat, bei der Betrachtung dieses Bildes die über dem
+Mokattam-Gebirge heraufsteigende Sonne als Frühbeleuchtung zu haben, so
+spottet das Ganze jeder Beschreibung, und selbst der eingebildetste
+Pedant, der nörgelndste Philister wird von der Großartigkeit dieses
+Panoramas überwältigt werden.
+
+Von den übrigen Moscheen nennen wir zuerst die des Amru, die älteste,
+ungefähr um 640 errichtete, aber von ihrer ehemaligen Pracht ist wenig
+mehr übrig. Bei allen mohammedanischen Gotteshäusern, wie auch bei ihren
+Profanbauten kann man die Bemerkung machen, daß die Mohammedaner mit
+großer Vorliebe Bauten unternehmen, aber nie daran denken, ihre Bauten
+zu _erhalten_. Die Amru-Moschee ist ein Rechteck von 120 Meter zu 75
+Meter. Der Säulenwald an der Ostseite des Hofes aus 21 Säulenreihen, in
+jeder Reihe 6 Säulen, ist imposant.
+
+Interessant für die Geschichte der Architektur ist die im Jahre 877 von
+Ahmed ebn Tulun erbaute Moschee, 80 M. lang aus 76 M. Breite. Man findet
+schon ogivische Bogen in Anwendung und außerdem die Wände mit Kusischen
+Legenden geschmückt. Nach arabischen Inschriften soll der das Gebäude
+umgebende Karnies aus zusammengestampftem Amber gemacht gewesen sein, um
+den Eintretenden Wohlgerüche zuzuführen. Jetzt ist nichts mehr davon zu
+bemerken und auch diese Moschee zeigt Verfall.
+
+Die große und glänzende el Asar-Moschee ist insofern von Wichtigkeit,
+als mit ihr die Hochschule verknüpft ist, die bedeutendste der ganzen
+mohammedanischen Welt. Fast 10,000 Studenten folgen hier dem Unterrichte
+von über 300 Professoren. Es wird aber fast nichts, als Religion gelehrt
+und besonders sind es die vier rechtgläubigen Riten, die Hambaliten,
+Schaffeïten, Hanesiten und Malekiten, welche hier ihre Vorlesungen
+halten. Schaffeïten und Malekiten haben die meisten Zuhörer: erstere
+über 4500, letztere 3700. Die Hanesiten, wozu sich alle Türken rechnen,
+haben ca. 1000, die Hambaliten nur ca. 50 Studenten. Alle diese Schüler
+haben freien Unterricht und freie Kost nebst Bekleidung, ebenso sind
+auch die Professoren vom Staate besoldet. Außer Religion wird etwas
+Poesie, Grammatik und Gesetzgebung, letztere natürlich auf Koran und
+Sunnah basirt, getrieben. Mit dieser Moschee ist verbunden ein großes
+Blinden-Hospital, eine Sauya für Pilger, deren Asylrecht heute aber im
+Strome der Civilisation untergegangen ist.
+
+Eine merkwürdige Universität, wo man weiter nichts treibt, als religiöse
+Forschungen, über nichts Anderes nachdenkt, als über Dinge, die
+außerhalb dem Bereiche des Wirklichen liegen und deren Resultate deshalb
+für das Land, für die Menschheit von gar keinem Nutzen sind.
+
+Die Moschee, welche am meisten die Bewunderung der Europäer auf sich
+zieht, die Hassan-Moschee, hat mich immer ziemlich kalt gelassen. Zum
+Theil kommt das wohl daher, daß ich nie Vorliebe für jenen _unmöglichen_
+Stalactitenbau habe gewinnen können, zum Theil, daß einen die Quadern zu
+sehr an die Bauten der alten Aegypter erinnern. Solche Vandalen, die
+nicht die Energie besitzen, zu einem so großartigen Gebäude eigenes
+Material zu nehmen, sondern andere Bauten _zerstören_, um sie zu den
+ihrigen zu benutzen, soll man die wohl achten? Und sieht man nun gar,
+wie die famosen Stalactiten-Nischen in der Hassan-Moschee nicht aus
+Stucco oder Stein bestehen, sondern elende Holznachbildung sind, so
+schwindet vollends alle Sympathie. Die Moschee wurde 1356 vom Sultan
+Hassan erbaut. Das danebenstehende Minaret hat 80 Meter Höhe; fügt man
+die Höhe des Bodens, auf dem die Moschee erbaut ist--30 Meter--hinzu, so
+hat man die Höhe von Assuan.
+
+Ich übergehe die übrigen Moscheen, welche alle, wie z.B. die von Kalaum
+auch el Barkuk genannt, oder die von Sitti Seinab oder die der Hassanein
+oder die von el Moged für diejenigen, welche sich für
+ägyptisch-mohammedanische Architektur interessieren, sehenswerth sind,
+deren Besuch man sich aber sonst ersparen kann.
+
+In der Stadt selbst hat der Chedive merkwürdiger Weise keinen einzigen
+Palast, der von Außen irgendwie Anspruch auf architektonische Schönheit
+machen könnte.
+
+Wie alle gouvernementalen Gebäude ist seine dermalige Wohnung ein
+äußerst fensterreiches Gebäude, _ganz ohne Styl_. Inwendig lassen diese
+chedivischen Paläste allerdings nichts zu wünschen übrig, weder an
+Eleganz noch an Pracht, noch auch an Geschmack der Decoration oder an
+zweckmäßiger Raumvertheilung.
+
+Die neue Börse, die Bibliothek, die Wohnungen der ersten Beamten
+zeichnen sich durch nichts Besonderes aus. Was die Bibliothek
+anbetrifft, so besitzt dieselbe ca. 30,000 arabische Bände, fast nur
+Handschriften, darunter viele äußerst kostbare. Da sieht man vor allen
+anderen jene Bücher von außerordentlicher Größe, deren Buchstaben von
+Gold mit so großer Regelmäßigkeit gemalt erscheinen, daß man meinen
+sollte, sie seien gedruckt. Natürlich ist der Inhalt weiter nichts als
+der Text des Koran.
+
+Will man schöne Gebäude modernsten Styls, villenartig gebaut, von
+reizenden Gärten umgeben sehen, so wandere man durch den neuen
+Stadttheil. Hier liegt auch die schmucke deutsche protestantische
+Kirche, hier hat der Minister der Justiz, jetzt Scherif Pascha, sein von
+feenhaften Gärten umgebenes Palais.
+
+Was die Theatergebäude betrifft, so läßt sich bezüglich der Bauten
+selbst nichts sagen, als daß es provisorische Gebäude sind, bestimmt,
+mit der Zeit anderen monumentalen Platz zu machen. Was aber innere
+Ausstattung, Inscenirung, Personal und Leitung betrifft, so stehen
+sowohl die chedivische italienische Oper, als auch das französische
+Schauspiel unseren ersten und besten Bühnen würdig zur Seite. Hierüber
+herrscht nur eine Stimme.
+
+Den größten Zauber und Reiz besitzt Neu-Kairo heute in jenem
+Esbekieh-Garten, mitten in der Stadt gelegen, den ich selbst noch bis
+zum Jahre 1868 als einen großen pfützenreichen Platz von hohen Sykomoren
+beschattet gekannt habe. Umfriedigt von Prachtbauten, ähnlich wie die
+der Rue Rivoli zu Paris, ist der harten von einem hohen eisernen Gitter
+umgeben. Zahlreiche Thore, deren Eingänge mit Selbstzählern versehen
+sind, geben Einlaß. Bei dem sonderbaren Hange der Orientalen, stunden-,
+ja tagelang faulenzend auf irgend einem einladenden Platze sich dem
+=Dolce far niente= hinzugeben, war die Vorschrift, ein
+unbedeutendes Entrée zu erheben, unerläßlich, denn nur durch eine solche
+Maßregel konnte der prächtige Park rein gehalten werden von jenem
+ungemein stark in Kairo vertretenen Contingent, das seine Sache auf
+nichts gestellt hat und höchstens vom bequemsten Betteln lebt und
+sicherlich mit angeborener Frechheit die schönsten und anziehendsten
+Punkte des großen Gartens in Besitz genommen haben würde.
+
+Es ist wunderbar, wenn man die Beschreibungen früherer Reisender
+durchgeht und liest, was die Esbekieh _war_ und nun staunt, was sie
+jetzt ist.
+
+Die ganze Esbekieh-Anlage von achteckiger Form mit einem Umfange von 940
+Meter nimmt ein Areal von ca. 82,500 Quadratmetern ein. Die Länge der
+Wege beträgt 2 Kilometer 300 Meter. Das Flüßchen und die von ihm
+gebildeten Teiche, Alles durch Kunst geschaffen, bedecken eine
+Oberfläche von fast 5000 Quadratmeter. Die Teiche sind 2 Meter tief.
+
+Außer den kostbarsten Gewächsen aller Länder und Zonen, welche trotz des
+kurzen Zeitraumes ihres jetzigen Bestandes dort seit 20 Jahren gegrünt
+zu haben scheinen, findet der Spaziergänger in diesem Garten Alles
+vereint, was nur das Leben angenehm macht. Da sind reizende Buden, wo
+Liqueure, Eis und Scherbets verkauft werden. Hier ist eine Bierhalle, wo
+das beste Drehersche oder Münchener Bier in Eis dem durstigen
+Nordländer Labung bietet, Kaffeehäuser mit reizenden Kiosken gut
+eingerichtete Restaurationen, ein kleines Theater-Concert, ein
+arabisches Kaffeehaus, Schaukeln, Carroussels, verschiedene andere
+Kioske und Sammelplätze, endlich =last not least= eine Grotte[56]
+aus Tuffsteinen, die ganz und gar auf's Treueste die Natur nachahmt und
+aus der das Wasser in Cascaden hervorsprudelt, welches die See'n und den
+Bach speist.
+
+Diese Grotte ist von einem künstlich aufgebauten Pic überragt, aus
+großen Tropfsteinblöcken und Steinen errichtet. Man gelangt hinauf
+mittelst eines schattigen Weges oder auch auf äußeren und inneren
+Pfaden, die man durch den künstlich geschaffenen Fels gearbeitet hat.
+Ans der obersten Spitze hat man ein Belvedere angebracht, von wo aus man
+nicht nur den ganzen Garten übersehen kann, sondern von dem aus auch das
+ganze Panorama von Kairo zu den Füßen des entzückten Beschauers
+liegt.--Die Eisenarbeiten sind alle in Paris gefertigt.
+
+Der Esbekieh-Garten bedarf zur Speisung seiner Springbrunnen, zum
+Besprengen der Wege, zum Unterhalten der Teiche eines täglichen
+Wasserquantums von 800 Kubikmeter; die Erleuchtung bei Abend, welche
+feenhaft ist, wird durch 106 Candelaber bewerkstelligt; alle diese
+Candelaber haben Blumenform, 5 Zweige mit je 5 Tulpen, so daß im Ganzen
+allabendlich 2500 Flammen brennen. Dazu spielt jeden Tag, sobald die
+Sonne sich unter den Horizont senkt, ein ausgezeichnetes
+Militärorchester europäische Symphonien und Stücke, auch wohl arabische
+Weisen, welch' letztere ungemein an Wagner'sche Compositionen erinnern.
+
+Leider ist der Esbekieh-Garten lange nicht so besucht, wie er es
+verdiente, es ist eine für Kairo zu vornehme Anstalt; nicht etwa, weil
+das niedrige Entrée von den Besuchern als unerschwinglich bezeichnet
+würde; es sind auch die Genüsse innerhalb desselben dem Publicum zu
+theuer. Dazu kommt, daß das vornehme europäische Publicum, an der Spitze
+die Vertreter der europäischen Länder, blasirt, das vornehme
+mohammedanische apathisch und unempfänglich für solche Genüsse sich
+verhält, der gewöhnliche Mittelstand der Eingeborenen aber in diesem
+Entrée gleich eine Steuer des Chedive wittert und der gemeine
+europäische Mann lieber in den übrigen Vergnügungslocalen Kairo's seine
+Unterhaltung sucht.
+
+Diese sind keineswegs in geringer Anzahl vorhanden. Der Deutsche findet
+in zahllosen Bierhäusern längs der Esbekieh nicht nur Drehersches,
+sondern auch bairisches Bier und zwar wohlgekühlt in Eis; der Franzose
+findet überall seine Café's; der Italiener findet in den Conditoreien
+und auf der Straße seine Sorbetti und in zahlreichen Restaurants kann
+der Engländer, von Engländern bedient, sein Beefsteak und sein Glas
+"=half and half=" trinken. Nur der russische Traktir fehlt noch,
+aber wie lange wird es dauern und irgend ein speculativer Kopf erbaut
+ein solches mit einer mächtigen Orgel versehen an der Seite einer Fonda,
+wo man =Polenta= und =Olla potrida= verkauft.
+
+Denn wenn man Abends durch die auf's Glänzendste von Gas beleuchteten
+Straßen geht und hört, wie einem allerorts Musik entgegenschallt, hier
+des Italieners "=o che la morte honora=" oder "=madre in felice
+corro a salvarti=" dort des Deutschen "Wacht am Rhein"; hier des
+Franzosen "=partant pour la Syrie=" dort des Engländers "=god
+save the queen=", wenn man sieht, daß alle diese Musikbanden aus
+nationalen Kräften bestehen (Kaffee- und Weinhäuser mit deutschen und
+deutsch-böhmischen Musikbanden, Sängern und Sängerinnen giebt es ein
+Dutzend in Kairo), so sollte man nicht glauben, in der Stadt zu sein,
+welche noch bis vor wenigen Jahren als das ächteste Bild einer
+orientalischen Stadt hingestellt wurde.
+
+Und geht man gar in die elegant eingerichteten Spielsalons, wo hier eine
+Roulette, dort König Pharao den Gästen das Geld aus der Tasche lockt und
+die meistens als Aushängeschild die elegantesten =Cafés chantants=
+oder auch kleine Theater mit Ballerinen zeigen, so sollte man nicht
+meinen, daß man nur einige Stunden weit von den Pyramiden des Cheops und
+des Cephren sich befände.
+
+Aber trotz dieses modernen Kairo ist noch ein gut Stück Alt-Kairo, d.h.
+orientalischer Stadt übrig. Jedoch verschwindet es allmälig schneller
+und schneller, und vielleicht schon nach einem Menschenalter wird jene
+alte orientalische Stadt, jene Stadt mit den maurischen Hufeisenbauten,
+mit den schlanken Minarets, mit den engen überdachten Gassen und ihren
+noch engeren Kaufläden--sie wird verschwunden sein, und finden können
+wir sie dann nur noch in den Büchern und Reiseberichten Derer, welche
+sie zu der Zeit besuchten. Und um so spurloser wird das alte Kairo vom
+Erdboden verschwinden, als die Wohnungen der Eingeborenen aus losem,
+schlechtem Material errichtet und selbst die Moscheen und Paläste aus
+Quadern erbaut sind, welche man von alten Monumentalbauten
+zusammengeschleppt hat; sind doch jetzt schon _alle_ Moscheen und die
+Mehrzahl der Paläste früherer Vicekönige halbe Ruinen.
+
+Wenn man aber sieht, mit welcher Rücksichtslosigkeit mitten durch die
+Quartiere der Eingeborenen eine gerade breite Straße gezogen wird, wie
+man weder die Medressen (Schulen) noch die Moscheen schont, wie man
+Untiefen auffüllt, Hügel abträgt, dann muß man staunen ob der Energie
+des Chedive. Aber "Gott soll ihn ewig mit den ungläubigen Christenhunden
+brennen lassen!" murmelt der fromme Mohammedaner, der aus seinem Heim
+vertrieben wird, welches seine Vorfahren inne gehabt hatten und wo er
+selbst schon seit Jahren wohnte. Aber er "murmelt" es nur, offen es
+auszusprechen, wagt er nicht. Ja er preist sich glücklich, wenn die
+chedivische Regierung ihm _umsonst_ ein Stück Land anweist in einem ganz
+anderen Viertel der Stadt, mit der Erlaubnis, ein Haus zu bauen nach
+europäischem Style.
+
+So vollziehen sich die Expropriationen in Aegypten und speciell in
+Kairo. Von Entschädigungen ist nirgends eine Rede. Sobald der Chedive
+beschlossen hat, eine Straße durch den orientalischen Stadttheil zu
+legen, wie er sich solche auf dem Plane der Stadt vorzeichnet, erhalten
+die betreffenden Anwohner des Viertels Befehl, innerhalb einiger Tage
+ihre Immobilien zu räumen. Von Entschädigung wird nicht gesprochen; nur
+wenn europäische Unterthanen von einer solchen Maßregel betroffen
+werden, dann bekommen sie vollen Ersatz für ihr genommenes
+Grundeigentum.
+
+Die Straße, welche früher als Glanzpunkt des europäischen Lebens galt,
+die Muski, ist heute entthront; zwar findet man immer noch elegante
+Läden, aber elegantere giebt es in der Ismaelia (der neue Stadttheil von
+Kairo) und die Straße ist viel zu eng, als daß sie jemals ihren Rang
+wieder einnehmen könnte, nämlich die "Unter den Linden" Kairo's zu sein.
+Dazu kommt noch, daß man aus Utilitätsrücksichten geglaubt hat, davon
+abstehen zu müssen, sie mit Pflasterung zu versehen. Aber die Muski ist
+noch immer das Herz von Kairo, hier pulsirt das größte Leben, welches in
+seinem Dahinfluthen Aehnliches zeigt mit den Wogen des Strand von
+London. Hier ist auch die Vermittelungsstraße vom modernen europäischen
+zum alten orientalischen Kairo.
+
+Wandern wir rasch durch die verschiedenen orientalischen Quartiere,
+durch die Bazars, ehe sie für immer verschwinden, um einer modernen
+"=Avenue=" oder einem "=Boulevard=" Platz zu machen.
+
+Da ist der Khan el Khalil im Gammeliah-Quartier; der Name rührt daher,
+weil hier die Kamele (Gammel, Gemmel oder Djemel) ihre Waaren aufnehmen
+und abladen. Hier sind alle orientalischen Artikel zu haben. An
+endlosen, nicht sehr breiten überdachten Straßen hocken in engen
+Verkaufsläden die Eigentümer. Die Läden sind meistens so eng, daß Alles
+und Jedes im Bereiche des Hockenden ist. Hier finden wir alle Requisiten
+des orientalischen Rauchers. Hier sieht man jene reichen Teppiche aus
+Persien oder Damask, elegante orientalische Stoffe, Elfenbein und
+Straußenfedern und im Allgemeinen alle Artikel aus dem Sudan und Asien;
+reich eingelegte Waffen, Schmucksachen, unverarbeitete Edelsteine, Vasen
+etc. Die Hauptmarkttage von Khan el Khalil sind Montags und Donnerstags.
+
+Diese große Markthalle, wo fast ausschließlich eingeborene Kaufleute
+ihre Buden haben, wo aber manches europäische Haus mit großen Summen
+betheiligt ist, hat natürlich an allen Ecken und Enden feste und
+"fliegende" Café's. Erstere sind solche, wo der Kauadji eine größere
+oder kleinere Räumlichkeit besitzt, welche von seinen Gästen besucht
+wird, in denen man mitunter auch Musik findet. Letztere bestehen auf der
+Straße selbst einfach aus einem kleinen Kochapparat, wo Kaffee bereitet
+wird, den der Cafétier seinen bestimmten Kunden zuträgt. Jeder
+Budenbesitzer schlürft mehrere Male des Tages seinen Mokka, und da
+größere Käufe, welche natürlich längere Zeit in Anspruch nehmen, nur mit
+einer Tasse Kaffee in der Hand abgemacht werden, so haben solche
+fliegende Cafetiers auch eine ganz gute Kundschaft.
+
+Hier findet man vereinzelt auch jene Haschisch-Buden, d.h. Kaffeehäuser,
+wo neben dem Tabaksrauchapparat, der in Narghileh, Tschibuck und
+Cigaretten besteht, vorzugsweise Haschisch geraucht und gegessen wird.
+
+Gehen wir weiter, so kommen wir zum Hamsani-Bazar, wo man hauptsächlich
+Parfümerien, Papier, Porzellan, Krystallsachen, Kattunstoffe, Kramwaaren
+und Arzneien kaufen kann. Erstere, die Parfümerien, sind bei den
+Orientalen ein stark begehrter Gegenstand. Im Allgemeinen haben sie auch
+Vorliebe für dieselben Wohlgerüche, wie wir Europäer, aber bei
+einzelnen, welche bei uns die seine Gesellschaft schon zu "=mauvais
+odeur=" rechnet und welcher sich bei uns nur der =demi monde=
+bedient, nämlich Moschus und Patschuli--diese erklärt der Orientale als
+den Inbegrif des Vollkommensten, was man dem Geruchsorgan bieten könne.
+
+Auch in vergangenen Jahrhunderten war dies so, die Liebhaberei für
+derartige Düfte ist nicht neu. Als Beweis führe ich Leo[57] an, der in
+seiner Beschreibung "von der sehr großen und bewunderungswürdigen Stadt
+Kairo" sagt: "Auf einer anderen Seite (er hatte soeben das auch zu
+seiner Zeit so heißende Can el Halili beschrieben) der erwähnten Straße
+ist eine Gegend für Diejenigen, die mit Räucherwerken, z.B. Zibeth,
+Moschus, Ambra und Benzoin handeln; diese Wohlgerüche sind in solcher
+Menge vorhanden, daß wenn Jemand 25 Pfund verlangt, man ihm wohl 100
+Pfund zeigen kann."
+
+Hieran reihen sich noch andere Bazars, der von Gurich, wo hauptsächlich
+Seidenstoffe, Wollfabrikate und Tuche verkauft werden; ein eigener
+Zuckerbazar fehlt auch nicht und auch ein Waffenbazar dicht bei der
+berühmten Hassan-Moschee existirt noch immer. Man findet hier
+europäische und ägyptische Waffen, das Material indeß, die Klingen,
+Läufe und Schlösser kommen vom Abendlande, nur die Zusammensetzung und
+die Ausbesserungen werden hier vorgenommen.
+
+Der Waffenmarkt hat übrigens bedeutend abgenommen, seitdem das
+Faustrecht in Aegypten aufgehört hat, an der Tagesordnung zu sein.
+Jeder Eingeborene sucht allerdings auch heute noch seinen Stolz darin,
+dermaleinst eine Flinte zu besitzen, um der Jagd, die ja in Aegypten
+frei ist, fröhnen zu können; aber eine _Notwendigkeit_, eine Waffe zu
+haben und zu tragen, wie das früher der Fall war, namentlich vor
+Mohammed-Alis Zeiten, die liegt heute nicht mehr vor.
+
+Wenn nun auch Kairo nicht die erste Handelsstadt des Pharaonenreiches
+ist, das ist heute Alexandrien, so ist der Warenumsatz und geschäftliche
+Verkehr doch immerhin ein bedeutender und durchaus der Einwohnerzahl
+Kairos gemäß.
+
+Der Haupthandel, namentlich der Engros-Handel, befindet sich in den
+Händen der Griechen, nach ihnen kommen die Engländer, Italiener,
+Franzosen und Deutschen; aber der größte Kaufmann, der, welcher allein
+mehr Geschäfte macht, als alle Eingeborenen und Ausländer
+zusammengenommen, das ist der Chedive. Noch größer, denn als Regent,
+zeigt sich Ismael als Geschäftsmann.
+
+Die kaufmännischen Geschäfte werden zwischen den Eingeborenen und
+europäischen Handelsleuten mittelst Makler (arab. =samsar=,
+italienisch =sensale=) abgemacht. Meist wird der Verkauf mittelst
+Credit abgeschlossen, selten gleich baare Zahlung geleistet. Gewöhnlich
+sind die Eingeborenen die pünktlichsten Zahler, obschon sie es auch an
+der knauserigsten Feilscherei nicht fehlen lassen und um einen Para mehr
+oder weniger Himmel und Hölle in Bewegung setzen möchten.
+
+Unter den Ausfuhrartikeln, welche stets in Kairo lagern, nennen wir als
+wichtig: Gummi, Elfenbein, Sennesblätter, Datteln, Weihrauch,
+Perlmutter, sogenannter Mokkakaffee, der aber zum größten Theil aus den
+Landstrichen südlich von Abessynien kommt, Straußenfedern, Felle, Opium,
+Schildpatt, Tamarinden, Wachs, Knochen, Hörner, Lumpen.
+
+In industrieller Beziehung steht die Fabrikation von halbseidenen
+Stoffen oben an. Es giebt in Kairo augenblicklich 500 Webestühle, welche
+jenen unter dem Namen Kutnieh oder Alagieh bekannten halbseidenen Stoff
+fabriciren. Ferner ist die Zahl der Indigofärbereien nicht unbedeutend;
+fast alle Kattunstoffe werden ungefärbt importirt, aber die Eingeborenen
+tragen sie nur indigogefärbt.
+
+Auch die Gerbereien werden =en gros= betrieben. Die Bewohner von
+Kairo verstehen ebenso gut das Leder zu gerben und zuzubereiten, wie die
+von Cordova, von Marokko oder Saffi, von welchen Städten die feinen
+Leder ihre speciellen Namen als Corduan, Maroccain oder Saffian erhalten
+haben. Auch Posamentirarbeiten, Mattenflechterei und Korbmacherei
+erfreut sich in der Hauptstadt eines großen Aufschwunges.
+
+Wollstoffe, grobe Leinwand, welche vorzüglich in Fayum gewebt wird,
+haben in Kairo ihren hauptsächlichsten Umsatz für das ganze Land. In
+Bulak giebt es eine Papierfabrik, eine Kanonengießerei und eine
+bedeutende Schiffswerft. Bulak muß jetzt überhaupt schon als ein
+integrirender Stadttheil Kairo's betrachtet werden, und da wollen wir
+nicht unerwähnt lassen, daß das Sehenswertheste in diesem Stadttheile
+das von Herrn _Mariette_ gegründete ägyptologische Museum ist.
+
+Auch ein Irrenhaus, ein Bagno für weibliche Verbrecher, eine Kunst- und
+Gewerbeschule, das Arsenal, eine arabische und persische Druckerei
+befinden sich in Bulak.
+
+Und =vis-à-vis= von Bulak ist die Perle des Nils, der Palast und
+Garten von Gesirah. Wer je einmal die Wundermärchen von "Tausend und
+Eine Nacht" gelesen hat, der glaubt, daß hier diese Zaubereien
+Wirklichkeit geworden sind. Der Palast selbst erinnert an das
+Meisterstück der Alhambra, den Löwenhof. Der Garten aber übertrifft an
+Ueppigkeit der Pflanzen, an prachtvollen Anlagen, an seltenen exotischen
+Gewächsen selbst noch den der Esbekieh inmitten der Hauptstadt.
+
+Die Grasplätze, Stauden und Blumen, die Statuetten, Grotten,
+Felspartien, Bäche, Brücken, Candelaber, Springbrunnen &c., alles dies
+belebt von Thieren aller Art und Größe, machen diesen Garten zu einer
+Zauberei eigner Art. Namentlich Abends und Nachts, wenn einer jener
+officiellen chedivischen Bälle abgehalten wird, glaubt man beim Lichte
+jener 1000 Gasflammen der Wirklichkeit entrückt zu sein.
+
+In der Mitte des Gartens ist jener herrliche Salamlik, ein Sommerpalast
+des Chedive, von einem Walde von Säulen getragen.
+
+Eine Zierde dieses Wundergartens wird das Aquarium sein, welches von
+eben jenem fähigen Baumeister errichtet wird, Herrn _Combay_, welcher
+die prachtvolle Grotte im Esbekieh-Garten erbaut hat. Dasselbe erhält
+eine Grundfläche von 4800 Quadratmetern und besteht aus zwei Etagen. Die
+Idee ist ebenso großartig, wie kühn. Die prächtig nachgebildeten
+Stalaktiten, welche vom Gewölbe herab sich in die Grotten senken, die
+Korallen und Seegewächse, welche vom Boden aufsteigen, wirken wunderbar,
+und hier auf der Grenze zweier Meere, des rothen und des
+mittelländischen, inmitten eines der mächtigsten Ströme der Erde werden
+wir bald ein Aquarium besitzen, wie kein zweites auf der Welt, welches
+jedenfalls an Reichhaltigkeit lebender Bewohner von Salz- und Süßwasser
+selbst die Aquarien von Brighton und Neapel aus dem Felde schlagen wird.
+
+Wie Bulak heute nur ein Theil Kairo's ist, so ist Masr el Attikah
+(Alt-Kairo, früher officiell so unterschieden als abgetrennte Stadt vom
+eigentlichen Masr, während wir im Verlaufe dieser Abhandlung mit
+Alt-Kairo das bezeichnen, was orientalisch ist, und Neu-Kairo das
+nennen, was neu ist, also vorzüglich den Stadttheil Ismaelia) es
+ebenfalls.
+
+Geht man von der Esbekieh aus über den Abdin-Platz bei der Sitti Seinab
+vorbei, so befindet man sich angesichts des protestantischen und
+katholischen Kirchhofs und angesichts jenes Riesen-Aquaducts, den
+Saladin herstellen ließ, um dadurch die Befestigungen der Citadelle zu
+vervollständigen. Diese Wasserleitung ruht auf 289 Bogen und hat eine
+Länge von etwas über 2 Quadrat-Meilen. Eine schattige Alle führt, sobald
+man unter der Wasserleitung durch ist, nach Masr el Attikah.
+
+Von den 8 christlichen Kirchen, welche hier sind, ist für den Fremden
+die am interessantesten, in welcher das Häuschen sich befindet, worin
+nach der Legende die heilige Familie geweilt haben soll; sie gehört den
+nichtunirten Griechen.
+
+Gegenüber liegt die Insel Rhoda, welche zwar nicht zur Stadt Kairo
+gehört, aber wegen des hier befindlichen Nilmessers, Mekias von den
+Eingeborenen[58] genannt, welcher sich ursprünglich in Memphis befand,
+wird gewiß jeder Europäer, der als Reisender nach Aegypten kommt, zur
+Insel hinüberfahren.
+
+Aber auch auf dieser Insel giebt es prächtige Paläste und Gärten,
+namentlich der Palast von Ibrahim Pascha ist eines Besuches werth. Auf
+dem südlichsten Ende der Insel befindet sich eine Pulvermühle.
+
+Masr el Attikah ist mit Bulak durch eine Reihe schöner Paläste, Villen
+und Gärten verbunden. Das Palais von Soliman Pascha, unmittelbar am Nil
+gelegen, der Khalig-Kanal, bei dem alljährlich die Festlichkeiten
+stattfinden, welche bei der Nilüberschwemmung seit Tausenden von Jahren
+gefeiert werden, eine große Salpeterfabrik, das große Hospital Gasr el
+Ain, welches sowohl für Militär- als Civilpersonen eingerichtet ist,
+endlich das große Schloß Gasr el Nil, ein Hospital und eine ungeheure
+Kaserne, alle diese Bauten bereiten den Wanderer gewissermaßen auf eine
+der kolossalsten Thaten des Chedive vor, welche derselbe im Verlaufe
+seiner so wirksamen und ruhmgekrönten Regierung hat ausführen lassen.
+Wir meinen die feste Nilbrücke, im Februar 1872 eingeweiht; sie hat eine
+Länge von 406 Meter, hat auf dem rechten Nilufer eine Drehscheibe von 30
+Meter Durchschnitt auf einem Thurme ruhend, der 50 Fuß tief in das
+Nilbett eingesenkt ist. Die Brücke hat 2,300,000 Frcs. gekostet.
+Ebenbürtig stellt sie sich den besten Brückenbauten der civilisirten
+Staaten an die Seite.
+
+Aber wir halten, am anderen Ufer des Nils angekommen, an, denn die
+Beschreibung von Giseh, welches jetzt die Abfahrtsstation für
+Ober-Aegypten mit der Bahn geworden ist, die Pyramiden, auf der anderen
+Seite der versteinerten Welt Matarieh und Heliopolis, die Abassieh und
+die heißen Bäder von Hamman Heluan gehören nicht in den Rahmen dieses
+Bildes, der ja nur eine Uebersicht von Kairo, wie es jetzt ist,
+entwerfen sollte.
+
+Eigenthümlich genug, daß die Generalconsulate und politischen Agenturen
+nicht in der Hauptstadt Aegyptens, sondern in Alexandrien sind. Dasselbe
+sehen wir sich wiederholen am westlichsten Punkte von Afrika, in
+Marokko, mit dem Unterschiede, daß im Innern von Marokko überhaupt noch
+keine Vertreter christlicher Mächte zu finden sind, während Tanger von
+den Staaten, die sich am meisten für das Land interessiren.
+Generalconsulate und Viceconsulate, beide von _einer_ Macht, beherbergt.
+Kairo hat blos Consulate.
+
+Der Grund dieser Abnormität, dieser stiefmütterlichen Behandlung der
+Hauptstadt schreibt sich aus den alten Zeiten her, wo der Christ sich
+jede Art roher Behandlung gefallen lassen mußte. Wurde nun einmal ein
+einfacher Consul geohrfeigt von einem Mameluk oder ägyptischen Pascha,
+so konnte das eher verschmerzt werden; wurde aber ein Generalconsul mit
+Füßen getreten, so mußte man schon Notiz davon nehmen[59]. Zudem konnte
+ein Generalconsul eher in einer Hafenstadt geschützt werden, als im
+Innern des Landes.
+
+Da aber alle diese Ursachen längst aufgehört haben, so sollte auch jener
+abnorme Zustand aufhören. Oder denkt man vielleicht, mit der
+Souveränität von Aegypten müßten ohnedies neue diplomatische
+Verbindungen eintreten und die Unabhängigkeit des Landes werde wohl
+nicht lange mehr auf sich warten lassen? Das einzige Land Persien hat
+sein Viceconsulat in Alexandrien, sein Generalconsulat aber in Kairo,
+und auch dies bestätigt meine vorhin ausgesprochene Ursache.
+
+Die verschiedenen christlichen Gemeinschaften in Kairo haben fast alle
+ihre eigenen Kirchen, so die katholische der Väter des heiligen Grabes,
+die unirten Griechen, die orthodoxen Griechen, die katholischen
+Armenier, die nichtkatholischen Armenier, die unirten Syrier, die
+katholischen Maroniten, die reformirten deutsch-französischen Christen,
+die amerikanischen Protestanten, die katholischen Kopten und die
+Jesuiten.
+
+Auch die Juden theilen sich in Talmudisten und Thoraimisten, d.h.
+solche, welche nur das Gesetz Moses anerkennen.
+
+Das Schulwesen in Kairo hat einen ganz neuen Aufschwung genommen unter
+der umsichtigen Leitung des Schweizers, Herrn Dohr. Sein Hauptstreben
+ist dahin gerichtet, die weibliche mohammedanische Jugend der Bildung
+theilhaftig werden zu lassen, derer sie bedarf, und wenn dies gelingt,
+so ist damit ein Hauptfactor zur wirklichen Civilisation des ganzen
+Volkes gegeben.
+
+Hospitäler giebt es zwei, das schon genannte in Gasr el Nil, welches
+jährlich an 5000 Kranke aufnimmt, und das europäische, dessen Kranke in
+den Flügeln des großen Gasr el Ain untergebracht werden. Die Aufnahme
+der Kranken ist hier nicht gratis, sondern der Patient zahlt je 12, 6
+und 3 Frcs. für den Tag. Dies Hospital steht unter Aufsicht eines der
+Consuln, welche zu diesem Zwecke einen der Ihrigen alljährlich hierzu
+auserwählen.
+
+Sollen wir schließlich noch ein Wort über die Absteigequartiere der
+Europäer sagen, so beginnen wir mit dem sowohl äußerlich, wie innerlich
+gleich großartig ausgestatteten New-Hôtel, an der Esbekieh gelegen; es
+ist Eigenthum des Chedive und wird besonders von nach Indien reisenden
+Engländern besucht.
+
+Schaper's Hôtel, jetzt Herrn Zech, einem Schwaben, gehörig, ebenfalls am
+Esbekieh-Platz gelegen, besonders von vornehmen Reisenden frequentirt;
+Art und Weise durchaus englisch.
+
+Nil-Hôtel am Ende einer von der Muskistraße ausgehenden Sackgasse,
+besonders von Deutschen und Nordamerikanern besucht, mit reizendem
+Garten und trefflicher deutscher Bedienung bei vorzüglicher
+französischer Küche.
+
+Andere Hôtels ersten Ranges, wie =Hôtel d'Orient=, =Hôtel des
+Ambassadeurs=, =Hôtel Royal= sind gleichfalls zu empfehlen. Auch
+gute Hôtels zweiten Ranges fehlen nicht, z.B. =Hôtel des Colonies, de
+France, des Princes, du Commerce= u.a.
+
+Mit allen Hotels sind europäische Bäder verknüpft; von den zahlreichen
+maurischen Bädern ist das den Europäern am meisten zu empfehlende das
+Bad Tombaly nahe dem Scharieh-Thore.
+
+Das ist das Kairo im Jahre 1875; heute schon halb eine europäische
+Stadt, wird diese Stätte uralter ägyptischer Cultur--denn Kairo ist doch
+eigentlich weiter nichts, als ein verjüngtes Memphis--bald wieder ein
+neues, ganz der neuesten Civilisation und Cultur sich anpassendes Kleid
+angelegt haben und nach Abschüttelung des Staubes und der Asche wie ein
+Phönix aus derselben emporsteigen.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 50: Uebersetzung nach Wetzstein; andere übersetzen auch "die
+Siegerin".]
+
+[Footnote 51: Ich folge _hier_ der Schreibweise Wetzsteins.]
+
+[Footnote 52: Es ist dies in sofern interessant, als das Umgekehrte
+Regel ist, wenigstens in der Neuzeit. Von verschiedenen Völkern wird das
+türkische Reich nach seiner Hauptstadt Stambul genannt, also das Land
+nach der Hauptstadt. Im ganzen Orient benennt man das Kaiserreich der
+Preußen nach seiner alten Hauptstadt Muscu. Wir selbst nennen die
+Berberstaaten Tripolis, Tunis, Algier nach ihren Hauptstädten. In
+Deutschland haben die kleinen Länder fast alle ihre Benennung nach den
+Hauptstädten.]
+
+[Footnote 53: Aufgepaßt, aufgepaßt, rechts Herr, links!]
+
+[Footnote 54: Weiblicher Plural von Moslim.]
+
+[Footnote 55: Was das anbetrifft, so müssen wir doch anderer Meinung
+sein. In einem Lande, wo eigentlich nur _ein_ Kaufmann ist, nämlich der
+Chedive, kann von Handelsfreiheit nicht wohl die Rede sein.]
+
+[Footnote 56: Siehe p. 275: =guide annuaire par Fr. Levernay=.]
+
+[Footnote 57: Uebersetzung von Lorsbach p. 519.]
+
+[Footnote 58: [Greek: neiloschopion] der Griechen.]
+
+[Footnote 59: Der Schlag mit dem Fliegenwedel ins Gesicht des
+französischen Consuls in Algier führte zur Unterwerfung der
+Regentschaft; leider wurden ähnliche Insulten von anderen Mächten nicht
+so energisch geahndet, sonst hätte das Piratenwesen etc. nicht
+aufkommen, wenigstens nie eine solche Macht werden können und die
+schändliche Menschenräuberei, welche bis 1830 trotz der europäischen
+Mächte von den muselmanischen Beys und Deys betrieben wurde, wäre viel
+eher unterdrückt und ausgerottet worden.]
+
+
+
+
+11. Meine Heimkehr aus der Libyschen Wüste.
+
+
+Schon einen halben Tag vorher, als wir noch inmitten der ödesten
+Steinwüste waren, bemerkten wir die Nähe des lebenspendenden Nilthales.
+Es war gegen 2 Uhr Nachmittags, und in verschiedenen Gruppen zu Fuß
+gehend waren wir den langsamen Kamelen vorausgeeilt; wir unterhielten
+uns gerade über die Möglichkeit, noch am selben Abende oder früh am
+Morgen an's Nilthal zu kommen, als lautes Gejodel hinter uns ausbrach.
+Es waren unsere Diener, die nun heranstürmten und uns auf eine hohe
+Dampfsäule aufmerksam machten, die gerade vor uns im Osten majestätisch
+gen Himmel aufwirbelte. Sie konnte nur aus einem jener
+Fabrikschornsteine herrühren, welche man jetzt in Aegypten, vom Delta an
+bis nach Assuom hinauf, als Zeugen einer höheren Kultur antrifft.
+
+Mit erneuertem Eifer eilten wir voran und eine Stunde vor
+Sonnenuntergang hatten wir den Rand der Sahara, das felsige Steil-Ufer
+des Nil, erreicht. Ja, auf einem erhöhten Vorsprunge konnten wir, in
+weiter Entfernung allerdings, den Nil selbst und seinen grünen Rahmen,
+die schlanken Palmen, erkennen. Sobald die Kamele herangekommen waren,
+wurde dann noch mit Vorsicht der Abstieg ausgeführt, wollten wir doch
+vor allen Dingen noch am selben Abende der traurigen Hammada (steinigen
+Hochebene) entfliehen und der Wüste für immer Lebewohl sagen.
+
+Aber wenn wir auch die Genugthuung hatten, am Fuße des felsigen Ufers
+unsere Zelte aufschlagen zu können, so war es doch zu spät geworden, um
+das eigentliche Nilthal, das, welches unter der unmittelbaren Einwirkung
+des belebenden Wassers steht, erreichen zu können. Die Schwierigkeiten,
+die beladenen Kamele durch die enge, abschüssige Felsspalte
+hinabzutreiben, waren so groß, daß es schon dunkelte, als wir unten am
+Ausgange der majestätischen Schlucht ankamen. Aber ein prachtvoller
+Lagerplatz war es. Da standen unsere Zelte am Fuße der jäh abfallenden
+Kalkwände, vor uns öffneten sie sich, der Ausgang winkte uns Leben
+entgegen, hinter uns thürmten sie sich himmelhoch auf, eine riesige
+Mauer als Scheidewand der ewig todten Sahara vom fruchtbarsten Thale der
+Welt. Und nun ging der Mond auf und ergoß sein Licht über unser
+malerisches Lager; die Feuer prasselten, behaglich hatten sich die müden
+Kamele in den weichen Sand gestreckt und zermalmten langsam ihr
+wohlverdientes Futter; die deutschen Diener provocirten jubelnd durch
+Revolver und Gewehrschüsse das vielfache Echo, während wir Anderen uns
+vor unsere Zelte gesetzt hatten und die Freuden der Nilreise erwogen,
+welche wir sicher schon am andern Tage antreten zu können hofften.
+
+Das war unser letztes Lager, unsere letzte Wüstennacht, die gewiß Jedem
+von uns unvergeßlich sein wird.
+
+Früher als sonst waren wir am anderen Morgen bereit. Schnell wurden die
+Zelte gerollt, die Kamele beladen und vorwärts ging es. Aber so schnell
+war dennoch Esneh, wo wir uns einzuschiffen hoffen konnten, nicht
+erreicht. Wir waren allerdings im Nilthale, aber noch weit von Esneh,
+dessen Palmen noch nicht einmal zu sehen waren. Ein regelrechter
+Tagemarsch mußte noch zurückgelegt werden und zwar kein angenehmer, denn
+das Thermometer zeigte im Schatten über 30 Grad. Indeß zogen wir immer
+längs der fruchtbaren Nilfelder nach Süden und rechts das hohe Ufer bot
+in seiner wechselvollen Form Unterhaltung genug, um die Zeit rasch
+schwinden zu machen.
+
+Nachmittags erreichten wir denn auch die ersten menschlichen Bauten,
+zwar nur Ruinen, aber interessanter Art. Es waren die Reste eines
+ehemaligen bedeutenden koptischen Klosters, welches auch heute noch für
+die ägyptischen Christen ein berühmter Wallfahrtsort ist. Hierher kam in
+der Mitte des vierten Jahrhunderts der Pater Pachomius, ein Held der
+koptischen Kirche. Die Kirche des Klosters, eine Rotunde, ist noch gut
+erhalten, ja einige Zellen, mit Matten belegt, geben Zeugniß, daß
+manchmal Tage lang noch Gottesdienst hier verrichtet wird. Einige in
+Stein gehauene griechische Inschriften deuten auf das hohe Alter des
+merkwürdigen Klosters hin. Am interessantesten sind aber die hübschen
+Mausoleen in der Nähe des Klosters; hier ruhen die Gebeine der
+christlichen Märtyrer, welche im Jahre 303 n. Chr. auf Befehl vom Kaiser
+Diocletian hingerichtet wurden. Reizende Grabkapellen, deren hübsche
+architektonische Formen sich nur vergleichen lassen mit der berühmten
+Nekropolis in Chargeh und die um so bemerkenswerter sind, weil sie zu
+den wenigen Bauüberresten gehören, welche aus _ungebrannten_ Thonziegeln
+errichtet sind.
+
+Jetzt tauchten auch die Gärten von Esneh auf und bald darauf erblickte
+man die größeren Gebäude und die schlanken Minarets der Moscheen. Unser
+Factotum, Mohammed Daud, hatte ich vorausgeschickt, um uns beim Mudir
+anzumelden, und eine halbe Stunde vor der Stadt kam uns auf einem
+prächtigen weißen Berberhengste der Unter-Mudir entgegen, um uns
+willkommen zu heißen. Zittel und ich waren vorausgegangen und betraten
+bald darauf das hübsche Lustschloß des Chedive, unmittelbar am Nil
+gelegen.
+
+Sobald wir im Schlosse, welches der Chedive ganz zu unserer Verfügung
+gestellt hatte, eingerichtet waren, namentlich Jeder von uns sein Zimmer
+in Besitz genommen hatte, stellten sich die Honoratioren der Stadt ein
+und im großen Saale wurde Empfang gehalten. Wir aber forschten vor
+Allem, ob in Esneh ein Trunk Bier zu haben sei, und siehe da, die Stadt
+erwies sich in dieser Beziehung sehr civilisirt, denn bald darauf
+standen vermiedene Flaschen Ale auf dem Tische. Seltsames Verlangen,
+welches wohl nur der Deutsche, vielleicht auch der Engländer
+besitzt--ich glaube, in Esneh ist während der kurzen Zeit unseres
+Aufenthalts so viel Bier wie nie vorher verkauft worden.
+
+Das Schloß des Vicekönigs war reizend gelegen, obschon es sich sonst
+keineswegs durch architektonische Schönheit auszeichnete. Von Mohammed
+Ali erbaut, der fast jeden Winter einige Monate in Esneh zuzubringen
+pflegte, zeigt es im Allgemeinen dieselbe Anordnung der viceköniglichen
+Palais aus jener Periode, d.h. länglich viereckig ist das innere
+Parterre durch ein großes Kreuz getheilt. Sonderbare Vorliebe, welche
+die Aegypter für's Kreuz besitzen, denn sogar die berühmte
+Mulei-Hassan-Moschee in Kairo zeigt ja, wie ich früher schon erwähnte,
+in der Grundform ein Kreuz. In der Bel-Etage war ein großer Saal mit
+verschiedenen Zimmern daneben; letztere hatten wir unter uns vertheilt;
+der Salon, nach türkischer Sitte nur mit einem Divan, der sich rund um
+die Wände zog, möblirt, diente als gemeinsames Speisezimmer und als
+Empfangszimmer. Die Teppiche waren überaus schön und auch die
+Möbelstoffe, Gardinen etc. waren einst schön gewesen, aber vom Zahne der
+Zeit etwas angegriffen.
+
+Ich schlief in der ersten Nacht im Bette Mohammed Ali's, aber in den
+folgenden Nächten zog ich mein Feldbett doch vor. In den Wandschränken
+der Zimmer fand sich überdies der reichste Vorrath von Leinenzeug,
+seidenen und wollenen Decken, Kissen etc., vielleicht seit zwanzig
+Jahren unberührt liegend, denn der jetzige Chedive und seine beiden
+Vorgänger haben nie in diesem Palaste genächtigt.
+
+Ringsum ist ein reizender Garten, da wetteifern Palmen mit Oliven,
+Feigen mit Agaven, Granaten mit Orangen in ewig grüner Pracht, wer am
+ersten seine duftenden Blüthen offenbaren soll. Und vor dem Palais
+selbst ist, ehe man zu den Fluthen des Nils kommt, ein zweiter schöner
+Platz, stets schattig, denn herrliche Lebek-Akazien überwölben ihn.
+
+Unsere Freude, den Nil erreicht zu haben, wieder in civilisirter
+Umgebung sein zu können, wurde aber etwas getrübt, weil kein Dampfer, um
+uns zu holen, gekommen war. Leider war der Brief, den ich von der
+Jupiter-Ammons-Oase aus an unseren Generalconsul in Alexandrien
+geschickt hatte, acht Tage später angekommen, durch die unverzeihliche
+Nachlässigkeit des arabischen Boten, welcher geglaubt hatte. "Acht Tage
+früher oder acht Tage später, was macht das aus?" So fanden wir nur ein
+Telegramm vor, welches besagte, es sei Befehl gegeben, uns von Assuan
+her eine Dahabieh zu besorgen, da Dampfer des niedrigen Wasserstandes
+wegen nicht mehr fahren könnten. Letzteres war nun allerdings eine
+Unwahrheit, aber jedenfalls war die Zeit zu kurz geworden, um jetzt noch
+einen Dampfer von Kairo zu erwarten.
+
+Wir mußten uns also mit Geduld in unser Schicksal ergeben und Jeder
+nutzte die Zeit aus, so gut es ging. Zittel durchforschte noch einmal
+die interessanten Schichten des Nilufers, Jordan operirte mit dem
+Theodolit, Ascherson suchte mit seinem Diener Korb Pflanzen und Herr
+Remelé photographirte im Tempel; nur ich selbst hatte meine Thätigkeit
+geschlossen, denn mit der Erreichung des Nils hatte die Reise ihr Ende
+erreicht. Aber ganz unthätig war ich auch nicht, lag mir doch ob, unsere
+ganze Expedition noch stromabwärts bis zum Mittelmeere zu führen, und da
+gab es noch Mancherlei zu besorgen und anzuordnen.
+
+Esneh mit circa 7000 Einwohnern ist günstiger gelegen, als Siut,
+insofern als es unmittelbar am Nil liegt, aber dennoch ist letztere
+Stadt bedeutend wichtiger für Handel und Wandel. Der jetzige Name Esneh
+ist der alte, ursprünglich ägyptische, wie Quatremère und Champollion
+aus koptischen Urkunden nachgewiesen haben. Letzterer bringt das Wort
+mit =Sna= was auf koptisch Garten bedeutet, in Verbindung. Der
+griechische Name Latopolis kommt, wie Strabo (Bd. XVII, S. 817) sagt,
+von der Verehrung des Fisches Latos her, dem hier mit Minerva göttliche
+Ehre erwiesen wurde. Dies bezeugt der prächtige Tempel, dessen Vorhalle,
+unter Mohammed Ali's Regierung bloßgelegt, zu den wohlerhaltensten
+Denkmälern gehört, welche Aegypten besitzt.
+
+Im Ganzen genommen liegt Esneh äußerst malerisch auf circa 25-30 Fuß
+hohem Nilufer. Der Palast des Chedive, die große Cavallerie-Caserne,
+welche jetzt allerdings leer steht und welcher der Verfall droht, das
+Mudirats-Gebäude, die Wohnung des Schich el Bled, alle am Nil gelegen,
+dann die große Zahl der imposanten und bunt bekalkten Taubenschläge
+verleihen der Stadt ein größeres Aussehen, als sie in Wirklichkeit hat.
+Ich habe früher schon dieser colossalen Taubenschläge erwähnt; ein
+einziger solcher Thurm, viel luxuriöser gebaut, als die danebenstehende
+menschliche Wohnung, beherbergt oft 500 und mehr Tauben. Hauptzweck der
+Taubenzucht ist die Erzielung von Guano, und Leute in Esneh gaben mir
+die Versicherung, daß der Jahresbetrag eines großen Taubenschlags oft
+für 40 bis 50 Ducaten Guano betrage. Man sieht also, daß nicht allein
+die Gewässer des Nils es sind, welche die fruchtbaren Fluren erzeugen,
+sondern daß auch noch durch Dünger nachgeholfen werden muß.
+
+Und da ich doch einmal bei den Tauben verweile, möchte ich hier die
+interessante, schon von Darwin mitgeteilte Thatsache hervorheben, daß
+die Tauben, um zu trinken, direct in den Nil fliegen; natürlich gehen
+sie in so seichtes Wasser, daß sie Grund finden. Aber wie lange wird es
+dauern und Gewohnheit, Notwendigkeit und Zuchtwahl werden
+zusammenwirken, es werden sich Schwimmhäutchen an den Füßen bilden und
+nach 10,000 Jahren oder mehr hat Aegypten vielleicht schwimmende Tauben.
+
+Eine Eigenthümlichkeit hat Esneh noch, welche sich vielleicht in den
+anderen ägyptischen Städten auch findet, aber nicht so hervortritt,
+nämlich ein ganzes Viertel, wo nur Hetären wohnen. In der Nähe sind
+türkische Kaffeehäuser und von da konnten wir die interessantesten
+Beobachtungen anstellen. Da sah man eine ganze ethnographische
+Musterkarte weiblicher Geschöpfe: hier eine blendend weiße
+Deltabewohnerin, vielleicht mit tscherkessischem Blute in ihren Adern,
+dort eine pechschwarze Dame aus Fur, hier eine rothe Dongolanerin, dort
+eine Fellahin aus dem Nilthal mit goldgelber Haut und großen schwarzen
+Augen, hier eine Jüdin, dort eine Christin, hier eine Mohammedanerin,
+dort eine Schwarze, welche vielleicht noch Heidin war, kurz, fast alle
+Racen, jedes Alter und jede Religion war vertreten.
+
+Wir luden diese zuvorkommenden Wesen ein, uns im Palais einen Besuch zu
+machen, aber da erfuhren wir, daß sie aus der Grenze ihres Stadtviertels
+ohne besondere Erlaubniß des Gouverneurs nicht herausgehen durften.
+Unser Photograph, Herr Remelé, wollte nämlich ein Gesammtbild dieser
+ethnographisch interessanten Frauen herstellen. Die Erlaubniß war indeß
+schnell erwirkt. Unter Führung des Unter-Mudir und verschiedener
+Polizisten erschienen sie Nachmittags, gewiß 30 an der Zahl, im Garten
+des chedivischen Palais. Alle waren im höchsten Putze und die Aermste
+hatte mindestens 40-50 Goldstücke zu einer Kette vereint um den Hals.
+Große goldene und silberne Armbänder, Fußspangen, bunte Kleider,
+goldgestickte Schuhe, Alles hatten sie angethan, um möglichst
+vorteilhaft zu erscheinen. Natürlich mußte die Sitzung bezahlt werden,
+aber es gelang Herrn Remelé doch, zwei höchst gelungene Aufnahmen zu
+machen.
+
+Sonst hat die Stadt nichts von Interesse; der Marktplatz, die Buden, die
+Straßen sind eng und klein, aber es ist Alles zu haben. Mehrere von
+Griechen gehaltene Schenken sind mit leiblichen Bedürfnissen aller Art
+wohl versehen.
+
+Doch noch einmal kehren wir zurück zu dem Tempel, der gleich hinter dem
+Marktplatze gelegen ist und sicher zu den staunenswertesten Denkmälern
+Aegyptens gehört. Dabei kam mir der Gedanke, wie angenehm es für uns
+gewesen war, diese alten ägyptischen Bauten immer in aufsteigender Weise
+kennen gelernt zu haben. Nachdem wir zuerst auf unserer Hinreise die
+ziemlich kunstlos gearbeiteten Hypogeen (Katakomben) von Beni Hassan,
+die Grüfte von Siut, gesehen, waren wir zum kleinen Tempel in Dachel,
+dann aber zum viel prächtigeren großen von Chargeh gekommen und nun
+hatten wir hier ein Werk vor uns, das uns die Pracht und die
+Herrlichkeit der ägyptischen Baukunst auf's Vollkommenste
+vergegenwärtigte. Leider ist der größte Theil des Tempels noch unter
+Schutt, nur der Porticus ist zugänglich. Aber seine gewaltigen
+Dimensionen deuten genugsam auf die bedeutenden Bauten hin, welche uns
+augenblicklich der neidische Boden zusammengefallener Hütten und Häuser
+verbirgt.
+
+24 Säulen, über 33 Fuß hoch, in vier Reihen stehend, mit einer
+Peripherie von 16 Fuß jede Säule, lassen in diesem Vortempel nur ahnen,
+welche großartige Verhältnisse dahinter liegen. Die französische
+Expedition schätzt die Grundfläche des ganzen Tempels auf 5000
+Quadratmeter, und Alles ist mit Hieroglyphen und bildlichen
+Darstellungen bedeckt. "Könnte ein Steinmetz auch ein Zehntel
+Quadratmeter in _einem_ Tage mit solchen Hieroglyphen bedecken, so wären
+doch 50,000 Tage zur Beendigung der ganzen Decoration nöthig[60]."
+
+Man sieht überall den Widderkopf des Jupiter Ammon; auch über der Thür,
+welche ins Innere des Tempels führt und die vermauert ist, sieht man ein
+widderköpfiges Bild. Die Säulen, deren Architrav, die Decke des Tempels
+sind alle wohl erhalten und die _erhaben_ gearbeiteten Hieroglyphen im
+Innern des Porticus sind von einer Genauigkeit der Arbeit, als ob sie
+erst gestern aus der Hand des Künstlers hervorgegangen wären. Warum sind
+in dem Innern der Tempel die Hieroglyphen erhaben, an der äußeren Seite
+aber meist vertieft gearbeitet? Das sind Fragen, die Einem einfallen;
+vielleicht hat ein Brugsch oder Lepsius, oder gar schon Champollion
+darauf geantwortet. Ich weiß es nicht, ich verweise daher den, der sich
+mit diesen Gegenständen eingehend beschäftigen will, auf die dahin
+einschlägige Literatur. Interesse hat eine solche Baute gewiß für
+Jedermann; auch der Gleichgültigste muß bewundern und selbst der
+blasirteste Mensch muß verstummen unter dem mächtigen Eindrucke dieses
+Menschenwerks. Schade, daß die Dunkelheit nicht erlaubt, die
+Deckengemälde genauer zu betrachten, wo namentlich ein Thierkreis, durch
+die Sauberkeit seiner Arbeit ausgezeichnet, von großem Interesse sein
+soll. Ich habe ihn nicht gesehen; die Dunkelheit wird hervorgebracht
+durch Schutt, der, fast so hoch wie der Tempel selbst, davor liegt; man
+muß mittelst einer Treppe hinabsteigen.
+
+Fünf Tage waren wir in Esneh, von Assuan kam immer noch kein Schiff. Am
+vierten Tage aber hatten wir schon einen Entschluß gefaßt. Vertraut mit
+den Versprechungen, welche ägyptische Beamte zu machen, aber nicht zu
+halten pflegen, hatten wir eingesehen, daß auf eine Dahabieh nicht zu
+rechnen sei. "Kairo ist weit und der Chedive thront hoch", denken auch
+die ägyptischen Mudire in Oberägypten. Möglich, daß keine Dahabieh in
+Assuan zu haben war, möglich, daß man dahin noch gar nicht um eine
+solche telegraphirt hatte; genug, es kam keine.
+
+Aber in Esneh selbst fanden sich zwei allerdings kleine, aber doch
+taugliche Schiffe, und mit Hülfe des Mudir wurden sie gemiethet. Der
+Mudir verstand etwas Englisch und war einer der besten ägyptischen
+Provinzialbeamten, den ich noch gesehen hatte: Wie fein und
+"=gentlemanlike=" war sein Benehmen gegen das des Siuter Mudir, der
+ein ehemaliger Sclave von Abbas Pascha war! Der Mudir von Esneh hatte
+aber auch früher an der Spitze der Asisieh-Dampfer-Compagnie gestanden,
+er war noch früher See-Capitain gewesen und hatte als solcher die Welt
+kennen gelernt.
+
+Auch die anderen Honoratioren der Stadt waren ordentliche Leute. Da war
+der Unter-Mudir, ein sehr gefälliger Mann; da war der Medicinalrath, der
+etwas Französisch redete, sich auch eine ägyptische Zeitung, die in
+französischer Sprache erschien, hielt, sie nur nie las. Er war so
+liebenswürdig, sie mir täglich zu schicken, aber ich gestehe, nachdem
+ich einige Mal dies Blatt, "=l'Egypte=" genannt, durchgesehen
+hatte, stand ich ebenfalls davon ab, es zu lesen. Kann man sich einen
+langweiligeren Inhalt denken: einige amtliche Bekanntmachungen, Auszüge
+aus den Verhandlungen irgend welcher obscurer französischer
+Gesellschaften, irgend ein französischer Sensationsroman und einige
+Annoncen. Selbst telegraphische Berichte waren nicht einmal vorhanden
+und politische Nachrichten, Leitartikel oder sonstige Raisonnements
+fehlten gänzlich. Glückliche ägyptische Beamte, die mit einem solchen
+officiellen Blatte abgespeist werden, "=l'Egypte=" ist das Organ
+der Regierung.
+
+Da war dann noch der Mufti, der Kadhi, der Schich el Midjelis[61], der
+Ukil[62] des Palais des Vicekönigs und einige andere Notablen, die uns
+alle Abende einen Besuch machten; aber einen kurzen, das muß ich zu
+ihrer Ehre nachrühmen; die langen Sitzungen, wie sie uns von der Behörde
+in Dachel täglich aufoctroyirt wurden, hatten wir hier nicht mehr zu
+erdulden.
+
+Bezaubernd in gewisser Weise waren auch die Tage in Esneh, so recht
+für's =Dolce far niente= angethan. Wenn des Morgens in die offenen
+Fenster hinein die sich mischenden Düfte des Jasmin und Orangenbaumes
+zogen, wenn die Schwalben ihr jubelndes Zwitschern erschallen ließen und
+wir selbst, Zittel und ich, uns auf die Terrasse begaben, um in aller
+Ruhe Kaffee zu schlürfen, zu schreiben oder zu lesen,--oder aber, wenn
+Abends die Sonne sich hinter die Nilufer gesenkt hatte und nun die
+gegenüberliegenden weißlichen Kalkberge in den herrlichsten Farben
+geschmückt prangten, der Himmel und der Nil selbst von ganz anderen
+Tinten übergossen erschien, als man es je anderswo schauen mag--so
+ließen alle diese Bilder Eindrücke zurück, welche nur Der zu würdigen
+weiß, der selbst Aehnliches erlebt und gesehen hat.
+
+Mittags hatten wir die Dahabiehen gemiethet, Nachmittags um 5 Uhr
+konnten wir schon abfahren. Aber die Dahabiehen sind keineswegs alle von
+gleicher Beschaffenheit. Man hat sehr große und schöne, so wie die
+europäischen Nilreisenden sich dieselben in Kairo zu einer Reise auf dem
+Nil miethen; man hat kleinere für eingeborene Reisende und solche, die
+gleichsam für den Waarentransport eingerichtet sind.
+
+Uns standen zwei kleinere zu Gebote, die mit vielen Nachtheilen den
+Vortheil verbanden, daß sie schneller fortzubewegen und besonders, daß
+sie bedeutend billiger waren, als die großen Dahabiehen. Wir verteilten
+uns also in die zwei Schiffchen und zwar so, daß Zittel, Ascherson und
+ich mit zwei europäischen Dienern das eine, Herr Remelé und Jordan mit
+drei ebenfalls europäischen Dienern das andere Schiff einnahmen.
+Räumlich waren letztere besser daran, als wir, denn bei gleich großen
+Cajüten waren sie zu Zweien, wir aber zu Dreien. Jedes Schiff hatte
+nämlich an seinem hinteren Theile zwei kleine Cabinen; in unserem
+bezogen Zittel und ich die eine, Ascherson die andere; letztere diente
+zugleich als Speisesaal und als Ort, wo unsere Kisten standen; beide
+Cajüten waren durch einen nicht näher zu bezeichnenden Ort getrennt,
+dessen unangenehme Einschaltung wir aber dadurch unschädlich machten,
+daß wir uns Allen den Zutritt verboten.
+
+Oben auf den beiden Cajüten wurde gesteuert, dort schliefen der Rais,
+unsere beiden europäischen Diener und der Schich unserer eingeborenen
+Leute. Die Mitte des Schiffes hatte Raum für den Mastbaum, für drei
+improvisirte Bänke, welche die sechs Ruderer inne hatten, und unter Deck
+war unsere Bagage; ganz am Vordertheile des Schiffes befand sich eine
+Art von Küche. Das war die Einrichtung des Schiffes. An Möbeln hatten
+wir Feldtische und Stühle von einem Dampfschiffe des Chedive, welches
+vor Kurzem bei den Ssilsilla-Bergen oberhalb Esneh gescheitert war.
+Unsere eignen Feldstühle waren durch die Reise ganz unbrauchbar
+geworden.
+
+An Proviant hatten wir drei Schafe, mehrere Puter, Eier, Mehl, Butter,
+Reis, Linsen, Brod, Kaffee, Wein und Bier; in dieser Beziehung waren wir
+also wohl versorgt, und um ja zu vermeiden, daß an Bord des anderen
+Schiffes nicht Unzufriedenheit ausbräche, theilte ich die Lebensmittel
+und Getränke stets so, daß jedes Schiff die Hälfte bekam, trotzdem wir
+zu drei Herren, das andere Fahrzeug aber nur mit zweien besetzt war.
+
+Langsam entschwand Esneh unseren Blicken. Es war der erste Abend, den
+wir wieder auf dem Nil verlebten, ein herrlicher in jeder Art, und nun
+konnten wir auch schon mit ziemlicher Gewißheit vorher berechnen, wann
+wir in Kairo, wann wir in Alexandria und wann wir in Neapel sein würden,
+besonders Zittel und ich, die wir gemeinsam zurückreisen wollten, wir
+gaben uns oft diesem frohen Gedanken hin. Da saßen wir nun oben auf der
+Cabine, ein Glas Bier vor uns, schauten auf die in prächtigen Farben
+schimmernden Berge, auf die ruhigen Fluthen des Nil, auf die Barken, die
+leise darüber hinglitten, auf die friedlichen Ufer, wo hier ein Schäfer
+seine Heerde heimtrieb, dort Büffel, die das steile Gehänge
+hinanklommen, hier Männer mit Sicheln bewaffnet, Heubündel einheimsend,
+hier die jungen Fellahmädchen, die Kühe zum Melken herantreibend,--ein
+Bild der Ruhe und des Friedens. Und diese Leute sollen so bedrückt sein,
+daß sie kaum mehr das Geld erschwingen können? So fragte ich mich beim
+Anblick dieses Bildes. Es leuchtete doch nur Zufriedenheit und Frohsinn
+aus aller Leute Gesicht. Hier wurde laut gelacht, dort wurde gesungen.
+Wie stimmt das mit den Klagen über unerschwingliche Steuern?
+
+Ach, es ist leider nur zu wahr, in Aegypten giebt es wohl gar keine
+Gegenstände mehr, die unbesteuert sind und die Steuern sind wirklich für
+das Volk fast unerschwinglich. Die Zufriedenheit und der frohe Sinn, die
+ewige Heiterkeit der armen Fellahin erklärt sich nur daraus, daß sie es
+nie besser gewohnt waren. Seit mehr als 4000 Jahren immer im
+Sclavenjoch, ist es einer Generation am Ende einerlei, ob sie mehr
+bezahlen muß, als die andern früher bezahlten. Auch die Väter haben
+keine Reichthümer gesammelt und haben, trotzdem sie vielleicht weniger
+steuerten, auch nichts hinterlassen.
+
+Was war das? Da tönte von der anderen Barke mit einem Male "Ein lustiger
+Musikante marschirte einst am Nil" &c. herüber und hernach noch andere
+Lieder. Das Singen ist ansteckend; wir antworteten und so etablirten
+sich Wechselgesänge oder auch, wenn die beiden Barken ganz nahe waren,
+sangen wir zusammen. Zittel mit seiner wirklich schönen Stimme mußte die
+Palme zuerkannt werden,--doch nein, ich übertraf ihn. Denn wenn ich mit
+der Kraft meines ganzen Körpers und mit unbeschreiblichem Ausdruck mein
+Schnadahüpfln sang, dann folgte immer ein allgemeines "bis, bis, noch
+ein Mal!" Ja, wie von einem Niemann oder Betz, wie von einer Lucca oder
+Patti (ich vereinige den Zauber und den Schmelz der verschiedensten
+Stimmen, einerlei, ob aus männlichen oder weiblichen Kehlen) wurde stets
+mein Lied drei oder vier Mal zu hören verlangt.
+
+Die Nächte auf dem Schiffe waren nicht allzu angenehm. Daß Ungeziefer
+der verschiedensten Art einheimisch war, sollten wir bald genug
+erfahren, aber in unserem Fahrzeuge waren außerdem noch Wasserratten,
+die auf lästige Art oft unseren ohnedies nicht festen Schlaf störten.
+Ja, eines Nachts sprang eine freche Ratte durch das kleine Fenster
+gerade auf mein Gesicht und als ich erschreckt in die Höhe fuhr, mit
+einem Satze auf Zittels Kopf, der dicht an meiner Seite schlief. Als sie
+auch hier keinen angenehmen Empfang fand, verschwand sie in unserem
+Brodkorbe, den sie sich als Lieblingsaufenthalt ausersehen hatte.
+
+Das war die erste Nacht, aber man gewöhnte sich an derartige
+Unannehmlichkeiten, und die mächtig wirkende Sonnengluth bei Tage suchte
+man durch leichtere Kleidung zu dämpfen, oder es wurde an seichten
+Stellen ein Bad genommen, das freilich nur eine momentane Abkühlung
+bewirkte.
+
+Wir näherten uns Theben, wo reich die Wohnungen sind an Besitzthum:
+
+ "Hundert hat sie der Thor', und es ziehen zweihundert aus jedem,
+ Rüstige Männer zum Streit mit Rossen daher und Geschirren."
+
+So singt Homer, aber ach!--nur Ruinen deuten heute noch auf die einstige
+Größe der Stadt, nach der im grauesten Alterthume, wie Herodot uns sagt,
+ganz Aegypten genannt wurde.
+
+Pocht nur, ihr modernen Städte und Staaten, auf eure Unvergänglichkeit,
+du prahlerisches Rom mit deinen paar Tausend Jahren nennst dich die
+"ewige Stadt". Blicke auf Theben zurück, dem nicht einmal der Name
+geblieben ist. Ja, es ist traurig, die heutigen Bewohner des Ortes
+kennen den Namen Theben nicht. Angesichts der colossalen Ruinen,
+Angesichts eines Tempels, in welchem der Dom von St. Peter fünfmal
+stehen kann, ahnen sie nicht einmal die Bedeutung und die Macht, die
+früher diese Stätte hatte.
+
+Man hätte es sich selbst nie verzeihen können, bei Theben
+vorbeizufahren, ohne wenigstens die hauptsächlichsten Denkmäler gesehen
+zu haben. "Auf Luxor zu halten!" riefen wir, und siehe da: auf einem
+stattlichen Hause unmittelbar am Nil flatterte eine große deutsche Fahne
+empor. Auf dem deutschen Consulate hatte man zwei mit deutschen Flaggen
+versehene Dahabiehen bemerkt, und da man ohnedies von unserer Ankunft
+unterrichtet war, wollte uns der Consul dadurch eine Aufmerksamkeit
+beweisen. Des Consuls Salutschüsse wurden von unseren Schiffen sogleich
+erwidert und bald darauf legten wir dicht bei seinem Hause vor Anker und
+begaben uns hinauf. Ein liebenswürdiger Mann, dieser Vertreter
+Deutschlands, dem nur Eins fehlt, nämlich Gehalt, was doch immerhin
+nothwendig wäre bei der öfteren Repräsentation und der Gastfreundschaft,
+welche dieser freundliche Kopte allen Deutschen erweist. Es wäre dies um
+so wünschenswerther, als die Vertreter der übrigen Mächte in Theben,
+z.B. die von England, Frankreich und Oesterreich, auch Gehalt beziehen.
+Allerdings sind dort keine Deutschen zu beschützen oder sonst irgendwie
+deutsche Interessen wahrzunehmen, aber wenn man schon einmal die
+Nothwendigkeit eines deutschen Consuls für einen Ort anerkannt hat, dann
+soll man ihn auch honoriren.
+
+Es macht einen angenehmen Eindruck, im Hause des Consuls einen
+europäisch eingerichteten Salon zu finden, an den Wänden: unseren
+Kaiser, den Kronprinzen, die Schlachten mit den Franzosen und
+verschiedene Photographien von Deutschen, die Luxor, so heißt dieser
+Theil von Theben, wo die Consulate sich befinden, besucht haben.
+
+Hier befindet sich auch das berühmte Fremdenbuch, worin Engländer und
+Franzosen unsern Lepsius so begeiferten, indem sie unkluger Weise ihm
+die Zerstörung der Ruinen schuld gaben. Kindischere Bemerkungen über die
+Trümmerfelder von Theben sind wohl nie geschrieben worden. Sie bedachten
+wohl nicht, daß Theben schon zur Zeit Strabo's zerstört war. Strabo
+(Bd. XVII, S. 816) sagt ausdrücklich: "Es ist mit Tempeln, die
+größtenteils von Chambyses zerstört worden sind, erfüllet und wird
+gegenwärtig als kleiner Flecken bewohnt &c." Also schon vor ca. 1900
+Jahren war Theben, so wie es heute ist, aber vor ca. 3500 Jahren war es
+in seiner Glanzperiode, an Rom dachte man damals noch nicht. Dies
+Fremdenbuch wurde von Dümichen, als er unseren Kronprinzen auf seiner
+ägyptischen Reise begleitete, an Lepsius geschickt, der es zurücksandte
+mit der einfachen Bemerkung, er habe Kenntniß davon genommen. Auf dem
+Consulate sind übrigens zwei Fremdenbücher, ein allgemeines und ein nur
+für Deutsche bestimmtes. Das allgemeine Album rührt noch aus der Zeit
+her, wo der Consul verschiedene andere Nationen gleichzeitig mit
+vertrat.
+
+Das Verbrechen von Lepsius bestand in Wirklichkeit darin, daß er viele
+der Tempel von Schutt reinigen ließ und zu der Zeit die Erlaubniß
+erhielt, gefundene Kunstgegenstände nach Berlin bringen zu dürfen; aber
+zerbrochen hat Lepsius nichts. Eine solche Barbarei z.B., wie das
+Ausbrechen des Thierkreises aus dem Tempel zu Dendera ist, ist nie von
+Deutschen begangen worden. Derselbe ist jetzt im Louvre.
+
+Nach einem kurzen Besuche auf dem Consulate, wo der übliche Kaffee,
+Scherbet und Araki geschlürft und ein Tschibuk geraucht wurde, gingen
+wir sodann, den Tempel von Luxor zu sehen und ritten darauf nach dem
+Heiligthum von Karnak, dem größten Gebäude der Erde, welches jemals
+einer Gottheit geweiht war. Da eine Beschreibung dieser Bauten mit ihren
+Obelisken, Pylonen und Sphinxen nicht in meiner Absicht liegt, so fahre
+ich gleich fort im Berichten unserer Erlebnisse.
+
+Wir waren Abends am Bord unseres Schiffes, schwelgend in der Erinnerung
+an jene staunenswerten Kunstwerke längst vergangener Generationen, nicht
+vergangener Völker, denn die heutigen Nilthalbewohner sind doch am Ende
+nur die Abkömmlinge jener Titanen, welche diese Riesenwerke aufbauten,
+deren Kraft und Schönheit wir jetzt täglich zu bewundern Gelegenheit
+hatten.
+
+Und der folgende Tag sollte fast einen noch größeren Genuß gewähren: wir
+setzten hinüber auf die andere Seite des Nils, auf die linke, um die
+Königsgräber, die Memnon-Colosse, das Rameseum mit seinen herrlichen
+Bildwerken &c. in Augenschein zu nehmen. Ein ganzer Tag ging damit hin
+und dennoch sahen wir keineswegs alle Denkmäler, sondern nur die
+bemerkenswerthesten. Dankend muß ich erwähnen, daß uns vom Consulate ein
+sehr intelligenter Führer mitgegeben war, ein geborener Schlauberger,
+der dadurch die Backschische der Deutschen reichlicher zu fließen machen
+hoffte, daß er bei jeder Gelegenheit, und wenn diese auch von einem
+Steingemäuer (in Ermangelung eines Zaunes) gebrochen werden mußte, auf
+die Franzosen schimpfte, wie er andererseits muthmaßlich nicht
+verfehlte, auf die Deutschen zu schimpfen, wenn er Franzosen zu führen
+hatte.
+
+Abends vereinigte uns ein solennes Souper auf dem Consulate. Man muß
+aber ein solches Essen mitgemacht haben, um über die Zahl der Gänge und
+Gerichte einen Begriff zu erhalten. Einigermaßen wird man sich eine Idee
+machen können, wenn ich sage, daß drei unserer complicirtesten Diners
+zusammengesetzt etwa ein koptisches bilden würden. Um uns besonders zu
+ehren und uns ganz in die koptische Sitte einzuführen, hatte der Consul
+es auf einer messingenen Riesenschüssel auftragen lassen, und während er
+selbst die Honneurs machte, ohne am Essen Theil zu nehmen, bat er uns,
+mit den Fingern zuzugreifen. Sein Sohn aber, ein liebenswürdiger junger
+Mann, der gut Englisch und etwas Deutsch sprach, nahm Theil an unserem
+Mahle. Als ich aber sah, daß einige von unserer Gesellschaft über das
+adamitische Essen ungeduldig zu werden anfingen (der Gang nach den
+Königsgrüften war ganz danach gewesen, den Appetit mehr als gewöhnlich
+zu reizen), bat ich den Consul, Messer und Gabeln bringen zu lassen, und
+nun ging es rascher von Statten. Aber fast hätte man sich diese wieder
+weggewünscht, denn es folgten so viele Gerichte, so viele Speisen, daß
+es kaum möglich war, von allen auch nur zu kosten. Rothwein, Champagner,
+dann und wann ein Gläschen Araki, um den Magen zu schnellerer
+Bewältigung der Speisen zu reizen, bildeten das Getränk und am Schlusse
+selbstverständlich eine Tasse Mokka mit dem Tschibuk.
+
+Es war schon dunkel, als wir dankend vom Consul Abschied nahmen, uns an
+Bord begaben und noch am selbigen Abend abfuhren. Da erleuchteten, als
+wir dem Consulate gegenüber waren, bengalische Flammen sein Haus und
+gluthübergossen zeigte sich daneben der Tempel von Luxor mit seinem
+hohen Obelisk, dessen Bruder jetzt auf dem Concordienplatze in Paris
+steht. Flinten- und Revolverschüsse tönten dazwischen als Gruß für uns
+in die Heimath. Aber diesmal konnten wir den liebenswürdigen Consul
+überbieten, denn wir hatten noch viel Magnesiumdraht übrig behalten: wie
+durch Zauber erhellten wir die ganze Gegend mit sonnengleichem Lichte,
+noch einmal sahen wir den Karnaktempel, Medinet Abu, die Memnonssäulen,
+das Rameseum und alle die Herrlichkeiten der alten hundertthorigen Stadt
+und dann war lautlose Stille und tiefschwarze Nacht hüllte uns ein,
+selbst die Ruderer sangen nicht, sondern trieben durch leise
+Ruderschläge die Schiffe gen Norden.
+
+Nachts kamen die Schiffe meistens auseinander; das, worauf Jordan war,
+hatte, weil es kleiner war, zwei Ruderer weniger; der Rais (Capitain)
+schlief gern, das Fahrwasser schien er nicht zu kennen, so daß es häufig
+aufrannte, aber des Morgens kamen wir doch immer wieder zusammen.
+
+Unser Botaniker Abu Haschisch erwarb sich, wie überall in den Oasen, so
+auch bei unseren Matrosen, schnell die Sympathie derselben; sie hatten
+ein Gedicht auf ihn gemacht und unterließen nicht, ihn mehrere Male
+täglich zu besingen. Da war in ihrer Poesie von einem Garten, von
+Granatblüthen, von Pflanzen, von einem Quell die Rede, und namentlich
+wurde in gebundenen Worten sein Hemd besungen, welches diese Ehre durch
+einen ungeheuren Tintenklecks erworben hatte. Am Tage war nämlich die
+Hitze so groß, daß wir Alle, wie schon erwähnt, in einem möglichst
+leichten Costüm auftraten.
+
+Hatten wir in Theben das großartigste der ägyptischen Baukunst
+betrachten können, so bot uns Dendera Gelegenheit, den Triumph der
+griechischen und ägyptischen Architektur zu bewundern; denn der
+Denderatempel, vollkommen von Schutt befreit und in allen Theilen
+erhalten, ist das Vollendetste, was von den neueren ägyptischen
+Bauwerken noch erhalten ist.
+
+Sodann fuhren wir ohne weiteren Aufenthalt (nur in Girgeh wurde eine
+Stunde angehalten, um Proviant einzunehmen) nach Siut, von wo aus unsere
+Expedition abgegangen war. Obgleich wir in früher Morgenstunde, um 6
+Uhr, landeten, war Herr Khaiat, des deutschen Consuls Sohn, schon in
+Homra, dem Hasenplatze von Sint. In der Erwartung, daß wir kommen
+würden, hatte er die ganze Nacht dort zugebracht. Hier hatten wir einen
+längeren Anfenthalt, Jordan hatte noch eine astronomische Messung zu
+machen, sodann waren noch sämmtliche Kisten, unsere Sammlungen
+enthaltend, an Bord zu nehmen. Während der Zeit ließ es sich das
+Consulat nicht nehmen, ein Frühstück zu arrangiren. Dem Consul und
+seinem Sohne, welche von der koptischen zur reformirt-koptischen Kirche
+übergetreten sind, pflichten wir den größten Dank. Während der ganzen
+Expedition haben Beide mit unermüdlicher Sorgfalt mit uns Verbindung
+gehalten, unsere Post besorgt, uns Lebensmittel und Alles, was sonst
+nöthig war, nachgeschickt. Ohne sie wäre der Verlauf der ganzen
+Expedition keineswegs so zusammenhängend und ohne Störung von Statten
+gegangen.
+
+Durch ihre Vermittlung gelang es uns auch, die Erlaubniß zu bekommen,
+uns einem Dampfer eines Pascha's anhängen zu dürfen, zwar nur bis
+Monfalut, aber wir gewannen dadurch doch bedeutend an Zeit. Und dann
+erreichten wir bald mit günstigem Chamsin-Winde[63] Rhoda, die
+südlichste Eisenbahnstation. Abends dort angekommen, gelang es uns noch
+am selben Tage, alle unsere Bagage auszuladen und in einem Gepäckwagen
+der Eisenbahn zu verpacken. Der Chedive hatte uns bereitwilligst freie
+Fahrt bis Kairo bewilligt. Die Nacht, welche wir in zwei Zimmern des
+Stationsgebäudes zubrachten, gehörte allerdings nicht zu den
+angenehmsten: Schnaken und tausend Insecten plagten uns derart, daß an
+Schlaf nicht zu denken war.
+
+Anderen Tages fühlte man sich fast wie in Europa; die Eisenbahn hat
+etwas eigenthümlich Heimisches; da, wo das Dampfroß schnaubt, glaubt man
+schon mit einem Fuße wieder in der Heimath zu sein, und in der That, von
+Rhoda aus steht man ja mit jedem größeren Orte Europas, ja der ganzen
+Welt in ununterbrochener Dampffahrt-Verbindung. Vorsorglich hatte ich
+Herrn Friedmann, dem Besitzer des Nil-Hôtel, telegraphirt, uns Wagen an
+der Station Giseh bei Kairo bereit zu halten; wir fanden solche auch und
+im Trapp ging's dann nach der Chalifenstadt hinein, durch die schöne
+neue Allee von Lebeckbäumen, die, wie durch Zauber entstanden, von Kairo
+bis zu den Pyramiden führt, über die neue Brücke und dann direct ins
+Nilhôtel, den sichersten Hafen für Reisende, welche, wie wir, so lange
+den civilisirten Genüssen fern gestanden hatten.
+
+Und wie sahen wir aus! Als wir das Hôtel betraten, riefen mir zwei
+Amerikanerinnen "=shocking, shocking=" entgegen und flohen in den
+Gartenpavillon. Vor einem Spiegel sah ich denn auch, daß ich keineswegs
+ein gesellschaftsmäßiges Aussehen hatte; Schweiß, Staub und Hitze von
+der Eisenbahnfahrt hatten mein Gesicht, das ohnehin verbrannt war, zu
+einem Mohrenantlitz gestempelt, in allen möglichen dunkeln Farben
+schillernd. Ein Bad brachte jedoch Alles in Ordnung und Abends bei der
+=Table d'hôte= fand unsere ganze Reisegesellschaft einen
+freundlichen Empfang.
+
+Ueber meinen Aufenthalt in Kairo habe ich diesmal nicht viel zu sagen.
+Natürlich wurden wir vom Chedive wieder in Audienz empfangen, auch war
+abermals eine Sitzung des Institut =Égyptien= und Gesellschaften
+bei unseren Freunden--uns aber zog es, je näher wir Europa kamen, desto
+mächtiger der Heimath entgegen.
+
+Zittel's und mein ursprünglicher Plan, unsere resp. Frauen nach Cairo
+kommen zu lassen, mußte aufgegeben werden. Die Hitze und der Staub waren
+nun schon so unerträglich, daß die Damen von einer solchen Reise keine
+Annehmlichkeit und keinen Genuß gehabt hätten, aber dafür gaben wir uns
+in Neapel Rendezvous. Und nachdem alles Geschäftliche abgewickelt war,
+ging es in Alexandria an Bord. Zittel und ich hatten uns für das
+französische Boot entschieden, aber es war so übervoll, daß wir keine
+Cabine bekommen konnten, sondern uns blos mit einem Platze erster Classe
+ohne Bett begnügen mußten. Das war freilich schlimm, denn es standen uns
+noch immerhin vier Nächte bevor. Zittel eroberte sich indeß eines der
+zwei Sophas und ich begnügte mich mit einem Seitentische oberhalb seines
+Lagers. Eine eigenthümliche Gesellschaft war am Bord dieses Dampfers,
+ein Abbild des heutigen Franzosenthums. Mit Ausnahme von einigen
+Amerikanern und uns bestand die ganze Passagiergesellschaft aus
+Schauspielern, Pfaffen und Pfäffinnen--Kirche und Theater.
+
+Da war ein Kapuzinermönch, da waren Augustiner, Dominikaner und einige
+Weltgeistliche, im Ganzen, mit einem protestantischen Reverend, vierzehn
+heilige Leute; da waren Schwestern vom heiligen Herzen Jesu und andere
+auffallend gekleidete Nonnen; den ganzen Tag hatten sie ein kleines
+Brevier in der Hand und den unvermeidlichen Rosenkranz, welchen
+Buddhisten, Mohammedaner und Katholiken in brüderlicher Liebe
+gleichmäßig als Gebetzähler adoptirt haben.
+
+Nicht so langweilig wie diese augenverdrehende Gesellschaft war das
+lustige Theatervölkchen, ja eines Abends hatten wir sogar den Genuß, von
+einer der Damen, mit Begleitung des am Bord befindlichen Pianos, hübsche
+Lieder vorgetragen zu hören. Nirgends ist man auf dem Mittelmeere besser
+aufgehoben, als an Bord der französischen Messagerie nationale[64]. Die
+Officiere wie der Capitain sind meist gebildete, liebenswürdige Leute
+und, bei der weltverbreiteten Bedeutung dieser französischen Dampfer,
+sind sie frei von jener krankhaften Neigung, in jedem Deutschen einen
+Feind zu sehen. Die Cabinen sind vortrefflich und jede nur zu zwei
+Betten eingerichtet. Die Küche vorzüglich, ebenso die Getränke.
+
+Wir hatten die Annehmlichkeit, an einem kleinen Tische allein zu
+speisen, nur zwei Yankees, die Erbauer der Pacific-Bahn, ein
+ägyptisch-arabischer Kaufmann, ein Jude und der katholische Patriarch
+von Jerusalem waren unsere Genossen. Man kann sich denken, daß da die
+Unterhaltung eine äußerst mannigfaltige war, wenngleich die
+Verschiedenartigkeit der Sprachen bisweilen wohl etwas hindernd
+erschien.
+
+Die Fahrt durch die unvergleichlich schöne Meerenge von Messina, die
+Einfahrt in den Busen von Neapel werden für Jeden von uns gewiß
+unvergeßlich sei. Da ankerten wir nun im Angesichte der stolzen Königin
+des Mittelmeeres, ungeduldig des Zeichens gewärtig, das Schiff verlassen
+zu dürfen. Eifrig suchten wir unter den hundert kleinen Booten, die den
+Dampfer umkreisten, ob nicht in einem unsere Frauen sein könnten. Aber
+vergebens, keine blonde Dame war unter ihnen. Hier war ein Boot mit
+hübschen schwarzen Damen, auf Verwandte wartend, dort waren Hôteldiener,
+um Fremde zu angeln; hier hatte ein Policinello in schaukelnder Jolle
+sein Theater aufgestellt, hier trillerte ein Leierkasten, dort kam ein
+Schiff mit Mönchen, ja es drängte sich sogar eine ganze Musikbande
+heran; aber so sehr wir auch suchten, unsere Frauen waren nicht
+erschienen.
+
+Endlich erlaubte man uns, an's Land zu gehen. Die italienische Douane
+war höflich und nachsichtig, und in schneller Fahrt eilten wir zum
+=Hôtel de Russie=, =vis-à-vis= von St. Lucia unmittelbar am
+Golf gelegen. Aber eine neue Enttäuschung erwartete uns: "Zwei Damen
+logiren hier nicht," sagte uns der Portier.--Aber eine genauere
+Nachforschung Zittel's brachte uns die Gewißheit, daß am Abend vorher
+unsere Frauen angekommen, doch momentan spazieren gefahren seien. Man
+kann sich unsere Ungeduld denken, die indeß eine nicht zu lange Probe
+zu bestehen hatte; denn kaum hatten wir Jeder unser Zimmer bezogen, als
+mächtig große Camelien-Bouquets hineingeworfen wurden und gleich mit
+ihnen die Frauen hereinstürmten. Ein Wiedersehen nach fünfmonatlicher
+Trennung kann Jeder, der verheirathet ist, sich ausmalen, zumal wenn so
+weite Räume, so beschwerlich zu durchziehende Gegenden von der Heimath
+einen entfernten.
+
+Ich verweile nicht bei Neapel, wo an einigen angenehm verlebten Tagen
+die Reize dieser bevorzugten Stadt uns den freundlichsten Empfang auf
+europäischem Boden bereiteten. Die Chiaja, das neue zoologische Institut
+unter der Direction des Deutschen Dorn[65], eines hervorragenden
+Gelehrten, Sorrent, Capri und Abends unter den Fischerhallen von St.
+Lucia bilden unverwischliche Glanzpunkte Neapels. In Pompeji war ich mit
+Baron v. Keudell, einer alten Bekanntschaft von mir, zusammengetroffen;
+Se. Excellenz lud mich freundlich ein, ihn in Rom zu besuchen. Der
+Einladung folgend, traf es sich aber so unglücklich, daß wir an dem
+Abende, wo meine Frau und ich den Vorzug haben sollten, bei ihm
+zuzubringen, nicht zu Hause waren, da wir die Einladung zu spät erhalten
+hatten; am anderen Morgen vor der Abreise hatte ich indeß Gelegenheit,
+die prachtvolle Wohnung der deutschen Gesandtschaft auf dem Capitol zu
+bewundern. Herr v. Keudell zeigte mir selbst die Räumlichkeiten, den
+Garten und die köstliche Aussicht.
+
+"_Nach Deutschland_" drängte es immer lebhafter in mir, und nur in
+Mailand, der Stadt des Marmor-Doms, hatten wir dann noch einen
+eintägigen Aufenthalt. Im Hôtel Reichmann fanden wir eine ganz
+freundliche Aufnahme, und wenn dies Hotel eine kleine Weile seinen
+Nimbus einbüßen konnte, so ist derselbe seit Kurzem wieder hergestellt.
+Herr Reichmann =jun.= verwaltet jetzt auf's Ausgezeichnetste dies
+von den Deutschen am liebsten besuchte Hôtel.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 60: =Jollois description p. 14=.]
+
+[Footnote 61: Präsident des Gemeinderathes.]
+
+[Footnote 62: Verwalter.]
+
+[Footnote 63: Chamsin heißt fünfzig, die Eingeborenen nennen diesen Wind
+so, weil er 50 Tage lang wehen soll aus SSO.]
+
+[Footnote 64: =Messagerie nationale= hat, wenn Frankreich
+Kaiserreich oder Königreich ist, den Titel =m. impériale= oder
+=m. royale=.]
+
+[Footnote 65: Kein Deutscher, der Neapel besucht, sollte versäumen, das
+Gebäude des zoologischen Instituts, an der Chiaja gelegen, zu besuchen.
+Dort bekommt man den besten Begriff eines reichen Aquariums, wie ein
+solches weder in Brighton, noch Hamburg oder Berlin vorhanden ist.]
+
+
+
+
+12. Bei den Zeltbewohnern in Marokko, eine ethnographische Schilderung.
+
+
+_Geburt, Beschneidung, Hochzeit und Begräbniß._
+
+Wie geschäftig die Frauen seit dem Morgen schon die Esel
+zusammentreiben! Unter Lachen und Schreien haben die Knaben und
+Jünglinge dabei geholfen, die Langohren vor einem großen Zelte (es
+gehört dem Kaid Abu Ssalam) zusammenzuhalten.
+
+Heute wird eine große Festlichkeit vor sich gehen; man erwartet
+stündlich die Entbindung der zweiten Frau des Kaids, der Lella Mariam,
+einer jungen, reizenden Frau von vornehmstem Zelte. Kaid Abu Ssalam, der
+selbst nicht aus dem Geschlechte Mohammed's ist, sonst aber auch aus
+einem großen Zelte[66] stammt, hat durch seinen Reichthum es möglich
+gemacht, eine Scherifa zur Frau zu bekommen, d.h. eine Dame vom Stamme
+des Propheten. Um so mehr ist das zu bewundern, als Abu Ssalam schon
+eine Frau besitzt und Lella Mariam nicht nur jung und schön, ihr Alter
+betrug 15 Jahre, sondern auch reich ist. Aber welch' stattlicher Mann
+ist auch Kaid Abu Ssalam und wie geachtet und unabhängig im ganzen
+Lande! Selbst der Sultan liebt ihn.
+
+Vom Stamme der Beni-Amer hatte er vor etwa 30 Jahren, als die
+Ungläubigen das Gebiet von Tlemßen besetzten, die dortige Gegend
+verlassen und nach einer dreijährigen Wanderung, immer nach Westen
+ziehend und oft genug mit der langen Flinte sich einen Weg bahnend, hat
+er den eigentlichen Westen erreicht, den Rharb el djoani, das gelobte
+Land der Gläubigen. Der Sultan ertheilte gern die Erlaubnis zum Bleiben,
+und nachdem die üblichen Abgaben geregelt waren, erhielt Abu Ssalam, es
+war das schon zu Lebzeiten des Sultans Mulei Abd-er-Rhaman-ben-Hischam,
+die Erlaubniß, seinen Stamm an die Ufer des Ued Ssebu zu führen.
+
+Abu Ssalam herrschte über drei Duar (Zeltdörfer), von denen das größere
+sich aus circa 30 Zelten zusammensetzte und dem er selbst vorstand; die
+beiden kleineren, aus je 20 und 24 Zelten aufgeschlagen, waren von
+seinen jüngeren Brüdern beherrscht. Bei dem Jüngsten lebte außerdem noch
+ihr gemeinschaftlicher Vater, der Hadj Omar-ben-Edris, der aber schon
+lange die Kaidschaft an seinen ältesten Sohn abgetreten hatte.
+
+Die drei Duar, so ziemlich in einer Linie gelegen, machten Front nach
+Westen und lehnten sich an einen Bergrücken; hier bestand derselbe aus
+herrlichen Wiesen, während nach dem Gipfel zu immergrüne Bäume, aus
+Korkeichen, Lentisken und Juniperen bestehend, den Berg bedeckten. Etwa
+eine Viertelstunde unterhalb der drei Zeltdörfer schlängelte sich der
+Ued Ssebu vorbei und ganz in der Ferne erglänzte der blaue Ocean. Der
+Raum zwischen den Dörfern und dem Flusse war durchweg beackert, aber
+unmittelbar neben den Zeltdörfern befanden sich auch kleine
+Gemüsegärtchen, eingezäunt von großen Dorngebüschen des stacheligen
+Lotusstrauches, das, obschon todt, dennoch hinlänglichen Schutz gewährte
+gegen weidende Thiere.
+
+Von dem großen Zelte Abu Ssalam's also zogen sie ab, eine ganze Karawane
+lachender Frauen und Mädchen, einige zwanzig Esel mit leeren ledernen
+Schläuchen beladen vor sich hertreibend. Wohl manche mochte hoffen,
+heute bei der Festlichkeit das Herz eines Jünglings zu fesseln; die
+jungen Mädchen erzählten sich, wie viele Armbänder sie anlegen würden.
+Da sagte eine Andere, sie würde ihr Haar frisch machen lassen[67], und
+unter Jubeln und Lachen war der Ssebu erreicht.
+
+Das Füllen der Schläuche aus einem mächtigen Strome ist leichte Arbeit.
+Die jungen Mädchen gingen bis an die Knie in den Strom, ließen das
+Wasser hineinlaufen und nachdem sodann noch Einige die Zeit benutzten,
+ein Bad zu nehmen, wurden die Schläuche, je zwei, einem Esel aufgeladen
+und zurück ging es zum Duar.
+
+Unter der Zeit war die Geburt vor sich gegangen und Abu Ssalam's größter
+Wunsch war erfüllt, seine junge Frau hatte ihm einen kräftigen Knaben
+geschenkt. Zu Ehren seines Vaters erhielt derselbe noch _am selben Tage_
+den Namen Omar. Es ist Sitte, daß das Namengeben noch am Tage der Geburt
+geschieht. Wie war nun die Geburt vor sich gegangen? Wir können nur nach
+Hörensagen berichten, denn nie, und wenn auch die Frau dadurch vom Tode
+hätte gerettet werden können, darf ein Mann, ein Arzt oder Geburtshelfer
+bei einem solchen Acte zugegen sein.
+
+Es scheint, daß bei Lella Mariam die Geburt leicht von Statten ging;
+Abends vorher waren Hülfsweiber gekommen, und als am anderen Morgen die
+Frauen vom Wasserholen zurückkamen, ertönte durch die Duar der Ruf:
+"=El Hamd ul Lahi mabruck uldo=", "Gott sei gelobt, der Sohn sei
+ihm zum Segen". Und vor dem Zelte, aus einem Arbater Teppiche, saß Abu
+Ssalam und empfing die Glückwünsche der männlichen Bevölkerung der drei
+Zeltdörfer. Auch manche alte Frau, ja manches junge Mädchen kam herbei,
+beugte rasch ein Knie und küßte Abu Ssalam's Hand den Gruß flüsternd:
+"=Rbi ithol amru=", Gott verlängere seine Existenz. Und er konnte
+recht stolz sein, unser Abu Ssalam; sein heißer Wunsch, einen
+Nachfolger, einen Sohn zu haben, war erfüllt. Zwar sein Stamm konnte so
+leicht nicht aussterben; den Stammbaum direct bis zum Chalifen Omar
+zurückführend, waren die Beni-Amer jetzt einer der mächtigsten Stämme
+unter den Arabern, ihre Duar zogen sich durch ganz Nordafrika. Seine
+eignen Leute näherer Verwandtschaft, die er nach dem Rharb (Marokko)
+geführt hatte, zählten über 100 Leute männlichen Geschlechts. Genau
+hatte Abu Ssalam sie nie gezählt, denn ein rechter Gläubiger zählt die
+Seinigen nicht. Aber er selbst hatte von seiner zuerst angeheirateten
+Frau Minana nur zwei Töchter, und Minana mit ihren 21 Jahren schien ihm
+wenig Hoffnung zu machen, ihm noch einen Sohn zu geben. Daher hatte er
+denn auch vor etwa neun Monaten die liebliche Lella Mariam geheirathet.
+
+Jede Vorkehrung war aber auch diesmal getroffen worden, damit Abu Ssalam
+einen Sohn bekäme. Er selbst war nicht nur vor mehreren Monaten nach
+Uesan gepilgert, um die Intervention Sidi-el-Hadj-Abd-es-Ssalam's
+anzurufen, er hatte sogar das feste Versprechen Sidi's[68] erlangt, daß
+der Allerhöchste ihm einen Sohn schenken würde, und der Großscherif
+hatte freundlich dafür ein Pferd als Geschenk anzunehmen geruht; ja, um
+ganz sicher zu gehen, war er nach Fes zum Grabmal Mulei Edris gepilgert
+und hatte den Tholba (Schriftgelehrten) der Djemma (Gotteshaus) des
+Mulei Edris fünfzig Duros geopfert; mußte da Allah ihm nicht einen Sohn
+schenken?
+
+"Gott segne den Großscherif!" rief Abu Ssalam, "Gott gewähre Mulei Edris
+alle Freuden des Paradieses," fügte er hinzu, "denn sie waren es, die
+mir den Knaben schenkten." Und da kam auch schon Lella Mariam aus dem
+kleinen Zelte, welches neben dem Zelte ihres Mannes war, nicht in
+Festgewändern, aber doch in einen neuen Haik gehüllt. Sie hatte vor sich
+das Knäblein und niederknieend legte sie den neuen Familienstammhalter
+vor ihren Gatten hin. Sie selbst in aufgelöstem Haare[69], da sie genau
+nach den Vorschriften des Gesandten Gottes lebte, hielt sich knieend
+abseits, da ihr Mann sie doch nicht, weil sie unrein war, berühren
+durfte. Nachdem die junge Mutter und das Knäblein den Segen vom Manne
+und Vater erhalten und der daneben sitzende Fakih (Doctor der Theologie)
+der Zeltdörfer das Fötah (erstes Capitel des Koran) gebetet hatte, ging
+sie ins Zelt zurück; schon am anderen Morgen machte sich die junge Frau
+an ihre gewöhnlichen Beschäftigungen, denn ein Wochenbett abhalten, wie
+bei uns die Frauen in Europa es zu thun gewohnt sind, kennt man in
+Marokko nicht.
+
+Am selben Abend aber war großes Festessen vor dem Zelte Abu Ssalam's. Er
+hatte viele Hammel und Ziegen schlachten lassen zu Ehren des Tages und
+die Frauen des Duars hatten den ganzen Tag Kuskussu bereiten müssen, der
+in größeren hölzernen Schüsseln für die Gäste hingesetzt wurde.
+
+Was mich anbetrifft, so wollte ich gern Näheres über den Geburtsact
+erfahren. Auf mein Befragen erzählte man mir, es sei Sitte, wenn eine
+Frau in Nöthen sei, so lasse man zuerst einen Fakih kommen, der durch
+Weihrauch und fromme Sprüche den Teufel zu bannen versuche, denn der
+Teufel ist auch in Marokko die Ursache allen Uebels. Hilft das nicht, so
+bekommt die Frau Koransprüche, die auf eine hölzerne Tafel geschrieben
+werden, zu trinken, indem die Sprüche von der Tafel abgewaschen werden;
+hilft auch das Verfahren noch nicht, so werden Koransprüche auf Papier
+geschrieben, zerstampft und mit Wasser gemischt der Leidenden
+eingegeben. Aber manchmal hat der Satan das Weib derart in Besitz
+genommen, daß er selbst durch das heilige Buch nicht ausgetrieben wird.
+Dann werden allerlei Amulete angewandt, z.B. die in ein Ledersäckchen
+eingenähten Haare eines großen Heiligen, die man der Kreißenden auf die
+Brust legt, oder Wasser vom Brunnen Semsem, welches man ihr zu trinken
+giebt, oder Staub aus dem Tempel von Mekka[70], welchen man auf ihr
+Ruhebett legt. In einigen Fällen läßt sodann der Teufel seine Beute los
+und der Vorgang erfolgt für die Mutter auf glückliche Weise. Es kommen
+jedoch genug Fälle vor, wo der Iblis (Teufel) derart sich des Weibes
+bemächtigt, daß er keinem Mittel weichen will; die Hülfsweiber nehmen
+dann selbst den Kampf mit ihm auf. Unter Beschwörungen und fortwährend
+rufend: =Rham-ek-Lab=! (Gott erbarme sich Deiner!) wird die Frau
+ergriffen, ein starkes Band um den Rücken und unter die Achsel
+durchgeschlungen und so in die Luft gezogen. Dadurch wollen sie die
+Wehen beschleunigen, und zeigt sich möglicherweise ein Theil des Kindes,
+entweder der Kopf oder die Füße, so versuchen sie, diese Theile zu
+ergreifen und durch starkes Reißen und Ziehen das Kind zu Tage zu
+befördern. Nur selten gelingt das, meist wird das Kind zerrissen und
+fast immer ist der Tod der Mutter Folge dieses barbarischen Verfahrens:
+Gott verfluche den Teufel!
+
+Der kleine Omar wuchs kräftig heran; wie sollte er auch nicht! Zwei
+Jahre hatte ihn seine Mutter Lella Mariam selbst gesäugt und nur wenig
+war er während dieser Zeit Tags vom Rücken seiner Mutter gekommen und
+Nachts aus dem Schooße derselben. Denn die Frauen pflegen ihre Kinder so
+aufzuziehen, daß sie mit Ausnahme der Augenblicke, wo dem Kleinen die
+Brust gereicht wird, Tags über in einer Falte des Haiks (großes
+Umschlagetuch) auf dem Rücken der Mutter in _reitender_ Stellung sich
+befinden. Es hat das zur Folge, daß die meisten Marokkaner sowohl
+männlichen wie weiblichen Geschlechtes Säbelbeine haben. Nachts aber
+ruht das Kindchen vor seiner Mutter, die während der zwei Jahre
+beständig allein lebt, obschon es ihrem Manne nach Ablauf von drei
+Perioden gestattet ist, sie wieder zu besuchen und mit ihr Umgang zu
+pflegen. Nachdem die zwei Jahre vorbei waren und Omar statt der süßen
+Muttermilch jetzt saure Buttermilch und Abends Kuskussu zu essen bekam,
+wurde ihm auch zum ersten Male das Kopfhaar geschoren; aber sein Vater
+Abu Ssalam gab wohl Acht, daß am Scheitel des Kopfes eine Locke, Gotaya,
+sowie an der rechten Seite des Kopfes außerdem ein Streifen von Haaren
+in der Form eines Halbmondes stehen blieb, denn die Kinder der Beni-Amer
+hatten seit undenklichen Zeiten einen solchen Schmuck getragen. Am
+selben Tage gab er seinem Zelte[71] einen Hammel zum Besten, sonstige
+Festlichkeiten fanden nicht statt.
+
+Dafür wurde aber die Beschneidung Omar's in seinem achten Jahre desto
+festlicher begangen. Omar war jetzt ein kräftiger Bursche geworden;
+fortwährend in der freien Natur hatte er tagelang die Schafe und Ziegen
+seines Vaters mit hüten helfen und gewöhnlich auch das Pferd mit zur
+Schwemme reiten müssen; er verstand es schon, die eignen Kamele oder die
+der etwa ankommenden Fremden mit niederknien zu machen und der
+Thaleb[72] der Zeltdörfer hatte ihn das erste Capitel des Koran gelehrt.
+
+Der feierliche Augenblick war gekommen, wodurch der kleine Omar jetzt in
+die Gemeinschaft der Muselmanen aufgenommen werden sollte. Um den Glanz
+des Festes noch mehr zu erhöhen, hatte Abu Ssalam es übernommen,
+sämmtliche gleichalterige Knaben der drei Zeltdörfer der Beni-Amer, und
+es waren deren noch sieben, auf seine Kosten beschneiden zu lassen. Ja,
+ohne den Neid und die Mißgunst seines eignen Fakih's (Doctor der
+Theologie) und der Tholba[73] der Duars zu erregen, weil sie auch ihre
+Gebühren bekamen, hatte er einen in hohem Ansehen stehenden
+Schriftgelehrten aus Fes kommen lassen. Die Gebühr für die Beschneidung,
+3 Metkal, erlegte er im Voraus. Wie reich aber mußte Abu Ssalam sein,
+daß er so große Summen zahlen konnte, denn zahlte er doch, wie schon
+gesagt, seinen eignen Schriftgelehrten die nämliche Summe. Und wenn man
+bedenkt, daß man in Marokko für die Beschneidung sonst nichts zu
+bezahlen braucht, der bemittelte Mann höchstens eine Maß Korn oder ein
+Huhn oder einige Eier dem Schriftgelehrten für seine Bemühung giebt, so
+kann man ermessen, wie freudig die Eltern ihre Söhne herbeibrachten. Das
+Glück, vom heiligen Sidi Mussa aus Fes beschnitten zu werden, war zu
+groß. Abu Ssalam aber hatte es von jeher als eine Regel der Klugheit
+betrachtet, mit den heiligen Leuten, mit der Geistlichkeit, auf gutem
+Fuße zu leben und er hatte längst eingesehen, daß man mit der
+Geistlichkeit nur dann auf gutem Fuße lebt, _wenn man sie tüchtig
+zahlt_. Aber dafür war er auch des Paradieses sicher; der Segen, den sie
+ihm ertheilten, war _länger_ als der für die übrigen Gläubigen, und
+durch die vielen Wohlthaten, die er den Fakih's und Tholba erwiesen
+hatte und noch immer erwies, war Abu Ssalam selbst in den Ruf großer
+Frömmigkeit gekommen.
+
+Die acht Knaben wurden vor das Djemmazelt[74] in einer Reihe
+aufgestellt, und nachdem vom Fakih Sidi Mussa ein langes Gebet war
+gesprochen worden, ging er auf Omar zu, der von seinem Vater gehalten
+und ermahnt wurde, standhaft zu sein, ergriff sodann das Präputium und
+trennte es mit einem raschen Schnitte von der übrigen Haut; das noch
+übrig gebliebene Frenulum wurde mit einem zweiten Schnitte getrennt und
+sodann kam ein anderer Thaleb und streuete pulverisirten Schöb (Alaun)
+auf die blutenden Ränder. Standhaft hatte der Knabe Omar ausgehalten,
+seine Zähne zusammenbeißend murmelte er fortwährend: "Gott ist der
+größte, es giebt nur einen Gott." Sein Vater trug ihn, Omar war fast
+ohnmächtig geworden, nun gleich ins väterliche Haus zurück, während ein
+Sclave ein ganz neues Hemd und eine neue weißwollene Djilaba[75] vor ihm
+hertrug, Festgeschenke seines Vaters, welche aber erst angelegt werden
+durften, wenn der Kranke vollkommen genesen war. Die Beschneidung der
+übrigen Knaben erfolgte auf dieselbe Weise, nur daß einige von ihnen ein
+entsetzliches Geschrei ausstießen, und merkwürdiger Weise war einer
+unter ihnen ohne Präputium, oder doch nur mit einer Andeutung davon.
+Natürlich wurde er gleich für heilig erklärt, denn wie selten trifft es
+sich, daß ein Mensch beschnitten zur Welt kommt. Die Geschichte (d.h.
+nach der Auffassung der Marokkaner) nennt nur Mulei Edris, Sidna
+Mohammed, Sidna Brahim, Sidna Daud und Sidna Mussa als von Gott
+beschnittene Leute, d.h. ohne Präputium zur Welt gekommen. Der so
+ausgezeichnete Knabe, Namens Hamd-Allahi, hat denn auch später eine
+wichtige Rolle gespielt; er war von Gott beschnitten, er war ein
+Heiliger vor Gott und wer weiß, ob er nicht einst berufen ist, alle
+Menschen zum Islam zurückzuführen, damit alle Menschen des Paradieses
+teilhaftig werden, das Gott ihnen durch seinen Liebling Mohammed
+verheißen hat.
+
+Aber wie segensreich sollte überhaupt diese Beschneidung für die acht
+Knaben werden, wie überhaupt für den ganzen Stamm der Beni-Amer! Die
+Beschneidung nämlich war vollzogen worden mit einem Mus min Hedjr[76]
+(Steinmesser). Seit undenklichen Zeiten vererbte sich ein Steinmesser
+vom Vater auf den Sohn in diesem Stamme der Beni-Amer, und einer
+schriftlichen Tradition zu Folge soll die Beschneiduug Sidni Omar's, des
+Stammvaters der Beni-Amer und zweiten Chalifen, mit diesem selben Messer
+vorgenommen worden sein. Wie ein Heiligthum wurde dasselbe in der
+Familie bewahrt, und selbst als es bei der Eroberung der Provinz Tlemsen
+durch die Ungläubigen, bei der Plünderung des Duars durch die
+Christenhunde, verloren gegangen war, kam es durch ein Wunder wieder in
+den Besitz des Kaids Abu Ssalam. Der Chalif Sidni Omar hatte es ihm
+selbst eines Nachts zurückgebracht, er fand es unter seinem Kopfkissen.
+Alle umliegenden Stämme beneideten die Beni-Amer um einen so köstlichen
+Schatz. Die meisten Marokkaner lassen sich mit gewöhnlichen Rasirmessern
+beschneiden, d.h. diese haben den Namen Rasirmesser, sind aber weiter
+nichts, als die elendesten Klingen dieser Art.
+
+Omar verbrachte nun die nächsten Jahre damit, den Koran zu lernen, d.h.
+schriftlich und auswendig; denn heute gilt es in Marokko für einen Mann,
+der einst Kaid seines Stammes sein will, für unerläßlich, _selbst_ lesen
+und schreiben zu können. Nicht, als ob er jemals diese Wissenschaften
+praktisch verwerthen würde, aber es gehört zum guten Ton, und wie auch
+in Marokko in dieser Beziehung die Mode anfängt, unerbittlich zu sein,
+so mußte sich Omar den langweiligen Unterrichtsstunden im Koranlesen und
+Buchstabenmalen unterwerfen. Sein Vater war glücklicher gewesen; zu
+seiner Zeit erheischte man noch nicht von den jungen Leuten, Lesen und
+Schreiben zu lernen. Omar machte dann in Gemeinsamkeit mit seinem Vater
+mehrere Reisen in Marokko, denn Kaid Abu Ssalam hatte den Entschluß
+gefaßt, die Pilgerfahrt nach Mekka erst dann zu machen, wenn sein Sohn
+eine Frau habe: dann solle die ganze Familie das Haus Gottes besuchen.
+Aber er lernte doch Fes kennen, er sah in Mikenes den Sultan, er
+unternahm eine Siara (Pilgerreise) nach der heiligen Stadt Uesan, er kam
+nach Tanger, um dort die Feuerschiffe der ungläubigen Hunde zu
+bewundern, und hatte das achtzehnte Jahr erreicht, um daran denken zu
+können, eine Frau zu nehmen.
+
+Bei den freien Zeltbewohnern Marokko's ist es keineswegs Sitte, daß die
+Frauen sich verschleiern, wie in den Städten; Jünglinge und Jungfrauen
+haben daher auch Gelegenheit, sich zu sehen, kennen zu lernen und zu
+lieben. Auf dem Lande werden daher auch häufig genug Heirathen aus
+wahrer Neigung geschlossen. Omar hatte seit längerer Zeit Gelegenheit
+gehabt, die Reize und Vorzüge eines jungen Mädchens kennen zu lernen,
+welches nur einige Stunden von seinem Duar entfernt lebte. Es war das
+Aischa bent Abu Thaleb vom Stamme der Uled Hassan. Die beiden Väter
+waren seit Langem durch Freundschaft verbunden; der Duar der Uled Hassan
+lag auf dem Wege vom Ssebu nach Fes. Wenn nun Abu Ssalam nach der
+Hauptstadt reiste, was häufig genug vorkam, so nächtigte er nicht im
+allgemeinen Dar diaf (Fremdenzelt) der Uled Hassan, sondern ging zum
+Zeltendes Abu Thaleb selbst, und umgekehrt machte es dieser so, wenn
+sein Weg ihn in die Nähe des Ued Ssebu führte.
+
+Omar war dann mehrere Male in Begleitung seines Vaters gewesen und seit
+vier Jahren war ihm die wunderbare Schönheit Aischa's aufgefallen;
+Aischa selbst mochte, als er sie zum ersten Male sah, 10 Jahre alt sein,
+jetzt hatte sie 14. Kein Mädchen hatte seiner Meinung nach so feurige
+Gazellenaugen, keine hatte einen kleineren Granatmund und längeres
+schwarzes Haar, keine hatte so volle Formen und kleinere Hände und Füße.
+
+In seinen Augen verstand kein anderes Mädchen so gut die Ziegen zu
+melken wie Aischa, oder mit gleich lieblicher Anmuth einen Teller Brod
+anzubieten oder eine Schale mit Milch zu credenzen. Aber was war Alles
+dies gegen den Zauber ihrer Stimme? Zwar hatte Omar selbst nur einmal
+mit ihr gesprochen, als er ermüdet das Zelt ihres Vaters erreichte und
+um einen Trunk Wasser bat. Da schoß Aischa wie ein Reh davon, und aus
+dem Schlauche eine Tasse füllend, überreichte sie dieselbe mit den
+Worten: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes). Das war Alles, was
+Aischa direct zu ihm gesprochen hatte. Aber von dem Augenblicke sagte
+Omar zu sich: "Du kannst nur Aischa zum Weibe nehmen und keine andere."
+Er glaubte nun auch zu wissen, daß Aischa gern seine Frau werden würde,
+er schien bei ihr eine gewisse Sympathie für sich bemerkt zu haben, und
+ohne daß man mit Worten seine Gedanken auszutauschen braucht, merken
+die jungen Leute in Marokko ebenso leicht wie bei uns, was Liebe ist.
+
+Omar war im Frühling, nur von Gefährten und Sclaven begleitet, von Fes
+zurückgekommen, er hatte wieder bei Abu Thaleb die Nacht zugebracht, er
+hatte die großen Augen Aischa's wiedergesehen, er hatte sie plaudern
+hören mit ihren Gespielinnen und von dem Augenblicke war sein Entschluß
+gefaßt. Als er am anderen Abend den eignen elterlichen Duar erreichte,
+rief er seine Mutter bei Seite; er gestand ihr seine Liebe zu Aischa und
+bat sie, mit dem Vater deshalb zu sprechen.
+
+Obschon seine Mutter, Lella Mariam, eigentlich ein anderes junges
+Mädchen für ihren Sohn im Auge hatte, er sollte eine weitläufige
+Verwandte, die ebenfalls Scherifa (aus dem Stamme des Propheten) war,
+heirathen, so lag ihr das Glück ihres einzigen Sohnes doch viel zu sehr
+am Herzen, als daß sie hätte Schwierigkeiten erheben wollen. Zudem wußte
+sie wohl, daß, obwohl sie großen Einfluß auf ihren Mann hatte, die
+Entscheidung einer so wichtigen Angelegenheit von ihm abhing. Sie
+beeilte sich daher, ihrem Manne Mittheilung davon zu machen, und
+wunderte sich, daß derselbe ihres Sohnes Liebe ziemlich gleichgültig,
+fast kalt aufnahm.
+
+Kaid Abu Ssalam war ein praktischer Mann, auch er hatte längst eine
+Schwiegertochter im Auge; das war aber keineswegs Aischa, die Tochter
+seines armen Freundes, sondern Sasia, die Tochter eines reichen Kaids
+der Uled Sidi Schich, deren Zelte in der Nähe von Udjda standen. Seit
+Jahren hatten die Väter dieses Project genährt. Die Uled Sidi Schich
+waren ebenfalls aus der Provinz Tlemsen vertrieben, aber sie waren nur
+über die Grenze gegangen. Safia mußte um diese Zeit etwa 13 Jahre alt
+sein und noch vor Kurzem hatte ihr Vater an Abu Ssalam geschrieben, nach
+Udjda zu kommen und seinen Sohn mitzubringen und dieser hatte es
+versprochen.--Jetzt sollte aus dieser Heirath, die Abu Ssalam fast schon
+als abgemacht fand, nichts werden, er sollte sein Wort brechen.--Aber
+Omar, der einzige Sohn, kam selbst, er beschwor den Vater, ihm Aischa zu
+verschaffen, er würde sterben, wenn Aischa nicht sein Weib würde, und
+dann flehte die Mutter, Lella Mariam, zu Gunsten des Sohnes; wie konnte
+da der Vater, der Gatte widerstehen?
+
+Vor allen Dingen schickte er daher Leute ab an den Kaid der Uled Sidi
+Schichs, um ihm anzuzeigen, er könne und wolle sein Versprechen nicht
+halten, sein Sohn Omar habe sich eine andere Frau genommen. Sodann ging
+man gleich an die Brautwerbung, um jetzt die Hochzeit so rasch wie
+möglich zum Abschluß zu bringen.
+
+Unter dem Vorwande, nach Fes reisen zu wollen, brach Abu Ssalam, von
+seiner Frau Mariam begleitet, auf und erreichte Nachmittags den Duar der
+Uled Hassen, um bei seinem Freunde Abu Thaleb abzusteigen. Die
+Begleitung der Lella Mariam erregte natürlich das größte Aufsehen und im
+ganzen Zeltdorfe flüsterten die Frauen und jungen Mädchen über dieses
+Ereigniß und prophezeiheten eine baldige Hochzeit. Abu Thaleb, der, wie
+schon gesagt, nicht begütert war, besaß nur ein Zelt, aber durch eine
+Scheidewand von wollenen Stoffen war eine Abtheilung für seine Frau
+hergestellt und in diese begab sich sogleich Lella Mariam zur Mutter
+Aischa's.
+
+Sie fing damit an, von gleichgültigen Sachen zu sprechen und kam dann
+allmälig auf die Vorzüge ihres Sohnes; sie pries dessen Kraft und
+Schönheit, sie deutete an, daß er dereinst Kaid seiner Stämme werden
+würde, sie betonte, daß er von väterlicher Seite das Blut des Chalifen
+Omar, von mütterlicher das des Propheten habe und meinte schließlich,
+daß jedes Mädchen glücklich sein müsse, das er sich als Frau auserwählen
+würde. Sodann fügte sie noch hinzu, daß Aischa ein hübsches und
+tugendhaftes Mädchen sei, die wohl für Omar passen möchte. Aischa, wohl
+ahnend was kommen würde, war gleich im Anfange dem Zelte entschlüpft und
+hatte sich draußen etwas zu thun gemacht. Die Mutter Aischa's hingegen
+hatte nicht genug Lob für ihre Tochter, keine sei so schlau wie sie,
+keine verstehe so dauerhafte Haiks (Umschlagetücher) zu weben wie sie,
+keine verstehe die Kügelchen zum Kuskussu so fein zu reiben wie sie und
+ihre Keuschheit und Sittsamkeit sei über alles Lob erhaben; aber
+schließlich meinte auch sie, daß Aischa wohl für Omar passen würde.
+
+Als nach dem Abendessen, welches die beiden Männer gemeinsam eingenommen
+hatten, ein jeder sich mit seiner Frau allein befand,--Aischa selbst war
+für die Nacht zu einer Freundin gegangen,--erfuhren sie von ihren Frauen
+den Gedankenaustausch und Abu Ssalam beschloß nun, am anderen Morgen von
+Aischa's Vater ihre Hand für seinen Sohn zu verlangen. Ob Aischa
+einwilligen würde, daran dachte er wenig, zumal er nach seines Sohnes
+Worten vermuthen durfte, daß eine gegenseitige Neigung vorhanden sei.
+
+Da Kaid Abu Ssalam entschlossen, seinem Sohne (er hatte ja nur den
+einzigen) schon bei Lebzeiten einen Theil seiner Heerden abzutreten, so
+war er bald mit Aischa's Vater, dem Abu Thaleb, einig, er bezahlte ihm
+200 Duoros, also einen bedeutend höheren Preis[77], als sonst üblich
+ist. Es wurde außerdem festgesetzt, daß Aischa drei neue silberne
+Spangen (um das Gewand festzustecken), zwei silberne Armbänder, zwei
+silberne Fußringe, im Ganzen im Gewichte von fünf Pfund Silber, bekäme,
+daß sie zwei Sack Korn, eine neue große kupferne Gidra[78], einen
+Teppich von Arbat, im Werthe von 20 Duoros, ein neues Hemd, einen neuen
+Haik, ein neues seidenes Kopftuch und eine neue seidene Schürze als
+Aussteuer bekäme, daß endlich das Maulthier, auf dem sie hergeleitet
+würde, Eigenthum ihres Mannes bliebe. Es war also genau so viel der
+Braut an Gegenständen mitzugeben, als der Schwiegervater dem Abu Thaleb
+an Geld gezahlt hatte; einer alten Sitte gemäß hatte überdies Aischa
+noch für ihren Zukünftigen das Hemd selbst zu nähen, welches er am
+Hochzeitstage zu tragen hatte, auch eine rothe Mütze mußte sie ihm
+mitbringen, wofür der Bräutigam am Festtage der Braut einen silbernen
+Ring und eine Halsschnur von Bernstein überreichte.
+
+Nachdem die beiden Väter dieses unter sich abgemacht hatten, begaben
+sie sich zum Kadhi der Uled Hassan, wo alle diese Bestimmungen zu Papier
+gebracht und von Beiden unterzeichnet wurden; auch wurde der Tag der
+Heimführung der Braut, der Hochzeitstag, bestimmt und Alles dies durch
+ein gemeinsames Fötah (Segen, d.h. das erste Capitel des Koran wird
+gesprochen) besiegelt.
+
+Abu Ssalam mit seiner Ehehälfte zog sodann eiligst nach Hause, denn da
+die Hochzeit schon nach acht Tagen stattfinden sollte, mußten jetzt
+rasch die Vorbereitungen zur Festlichkeit gemacht werden. Es mußten die
+Einladungen ergehen an nahe wohnende Freunde, Geschenke für die
+Geistlichkeit mußten gemacht werden, damit diese den Segen Gottes auf
+das neue Ehepaar herabflehe, Lämmer und Ziegen mußten ausgesucht werden
+zum Schlachten, und Tag für Tag waren die Frauen der drei Duar
+beschäftigt, Kuskussukügelchen[79] zu rollen, denn Hunderte von Personen
+waren am Hochzeitstage zu bewirthen.
+
+So nahete der Tag. Einige Tage vorher saß Aischa schon mit umwickelten
+Händen und Füßen; denn während sonst die+ Frauen es für genügend halten,
+während einer Nacht, um eine rothe Färbung hervorzubringen, ihre
+Gliedmaßen in zerstampftes Hennahkraut einzuwickeln, hatte Aischa's
+Mutter, um eine recht rothe Farbe hervorzurufen, es für nothwendig
+gehalten, dies während mehrerer Tage hindurch zu thun. Ihre Augenlider
+wurden mit Kohöl geschwärzt, ebenso die Brauen, und auf ihre Stirn
+hatte ihre Mutter ihr ein reizendes Blümchen gezeichnet, während auf die
+Außenfläche der rothen Hand verschiedene schwarze Zickzacklinien gemalt
+wurden. Ihre Freundinnen und Gespielinnen waren alsdann behülflich, sie
+anzukleiden, nachdem Aischa im nahen Flusse ein Bad mit ihnen genommen
+hatte. Aber weniger prunkvoll, wie dies die Städterinnen zu thun
+pflegen, war das bald geschehen: ein seidenes Tuch um den Kopf
+geschlungen, nur mit Mühe das lange hervorquellende Haar zurückhaltend,
+welches sorgfältig gekämmt, geölt und geflochten war, ein neues Hemd,
+ein neuer weißer Haik, der über den Kopf und um den ganzen Leib
+geschlungen wurde, eine seidene Schürze von Fes, das war nebst rothen
+Pantöffelchen an den Füßen der ganze Anzug; denn Hosen, Westen, Kaftane
+und dergleichen Kleider, wie sie die Städterinnen in Fes, Mikenes oder
+einer anderen Stadt tragen, kennen die Töchter eines Zeltes nicht.
+Sodann wurde Aischa mit Rosenwasser übersprengt, mit Bochor und Djaui
+(Sandelholz und Weihrauch) durchräuchert und in die Kubba auf's
+Maulthier gesetzt.
+
+Unter Thränen hatte sie Abschied von ihrer Mutter und von ihren
+Freundinnen genommen, denn die Sitte erheischte, daß diese daheim
+blieben; nur die männliche Bevölkerung der Uled Hassan und zu beiden
+Seiten des Maulthieres zwei ehrwürdige Greise, ihr Vater und ihr Oheim
+väterlicher Seits, begleiteten sie. Früh aufgebrochen, waren sie schon
+Mittags Angesichts der drei Duar der Beni-Amer, und sobald der Zug
+sichtbar war, kamen sämmtliche Leute der Beni-Amer und viele Fremde der
+Umgegend, die Pferde hatten, auf sie losgesprengt und bewillkommneten
+die Braut durch Flintenschüsse. Der Bräutigam war aber nicht dabei.
+
+Im Duar des Bräutigams selbst angekommen, wurde sie sogleich nach dem
+Zelte ihrer Schwiegermutter geführt, und jetzt, unter lauter ihr fremden
+Frauen, zeigte sie sich zum ersten Male ihren neuen weiblichen
+Verwandten; denn wenn die Frauen des Zeltes auch nicht verschleiert
+sind, so war Aischa doch in der Kubba, d.h. in einer Art Käfig, der auf
+dem Maulthiere ruhte, hergekommen und war somit allen Blicken entzogen.
+Die Frauen verbringen jetzt die Zeit mit Essen und Trinken. Unterdeß
+haben sich aber auch die Männer versammelt, sie ziehen vor das Zelt des
+Bräutigams, der, in neue Gewänder gehüllt, heraustritt. Sein Kopf ist
+vollkommen mit einem Turban umwickelt, nur ein schmaler Spalt für die
+Augen ist gelassen. Man heißt ihn ein Pferd besteigen und sodann reiten
+Alle aus dem Duar heraus, um ein Lab, d.h. ein Wettrennen mit Schießen,
+abzuhalten. Der Bräutigam allein nimmt nicht Theil. Er hält gegenüber
+dem Zelte, wo man weiß, daß die Braut mit den übrigen alten und jungen
+Frauen sich aufhält, und nimmt so gewissermaßen Angesichts seiner Braut
+eine Parade ab. Weder kann er sie sehen, noch sie ihn, denn das Zelt ist
+bis auf einige Schlitze dicht zusammengezogen und sein Kopf ist
+verhüllt. Endlich ergreift, nachdem Alle schon mehrere Male das Pulver
+haben sprechen lassen, Omar ebenfalls eine Flinte, er schwingt sie um
+seinen Kopf, er saust davon, macht Kehrt, um im rasendsten Ritte auf's
+Zelt seiner Braut loszugehen, und angekommen, drückt er seine Flinte ab,
+schwenkt seitwärts, nachdem er noch die Flinte hoch in die Luft
+geschleudert und geschickt wieder aufgefangen hat.
+
+Es wird Abend und der Bräutigam wird nach seinem Zelte zurückgeführt.
+Nun beginnen allgemeine Schmausereien; aber die Frauen, immer in ihrer
+Mitte noch die Braut Aischa behaltend, setzen den Kampf gegen die
+Kuskussuschüsseln allein fort, frischen Muth dazu dann und wann durch
+eine Tasse stark mit Münze aromatisirten Thee's schlürfend. Die meisten
+Männer und Jünglinge essen im Freien, denn die Zelte bieten weder Raum
+noch Helligkeit, nur der Bräutigam bleibt allein. Es scheint sich ein
+wahrer Wettstreit unter den Gästen im Essen zu entwickeln; aber wenn man
+weiß, wie ausnahmsweise und selten in Marokko den Leuten die Gelegenheit
+geboten wird, Fleisch zu essen, so kann man sich vorstellen, wie es dann
+bei einem Mahle hergeht, wo Fleisch in Hülle und Fülle vorhanden ist und
+man seine Höflichkeit und Freude am besten dadurch kund zu geben meint,
+wenn man so viel ißt, als man überhaupt nur essen kann.
+
+Die Dunkelheit ist nun völlig hereingebrochen. Da sieht man plötzlich
+aus dem Zelte der Frauen einen Zug herauskommen, voran die Braut, sie
+allein verschleiert; ihr zur Seite gehen andere junge Mädchen, in der
+einen Hand eine Papierlaterne tragend, in der anderen ein mit
+Rosenwasser geschwängertes Tuch, womit sie der Braut wohlriechende Luft
+zuwehen; andere Frauen, und zwar zunächst die Schwiegermutter Lella
+Mariam, folgen, alle haben Laternen. Sie gehen auf das Zelt Omars zu,
+der fortwährend allein geblieben war, und da von der anderen Seite auch
+die Männer herbeigekommen waren, so ruft Abu Thaleb: "Omar ben Abu
+Ssalam, bist Du im Zelte, so erscheine und bezeuge im Namen des einigen
+Gottes, daß Du meine Tochter Aischa als Deine Frau aufnehmen und
+ernähren willst." Omar erschien und bezeugte es im Namen Gottes. Sodann
+ruft sein Vater: "Ich bezeuge im Namen des Höchsten, daß ich an Abu
+Thaleb 200 Duro gezahlt habe; hast Du sie bekommen, o Freund?"--"Mit
+Hülfe Gottes habe ich das Geld empfangen und laß Deinen Sohn morgen
+zeugen, ob die Morgengabe Aischa's richtig ist."--Darauf wurde das Fötah
+gebetet und die Mutter Omars, die Braut ihm zuschiebend, schlug das Zelt
+über Beide herab, und Omar und Aischa lagen einander in den Armen.
+
+Draußen wurden aber die Schwelgereien im Essen fortgesetzt. Kaid Abu
+Ssalam hatte Sänger und Lautenspieler kommen lassen, Tänzerinnen hatten
+sich eingestellt, kurz, es fehlte nichts einer, einem so reichen und
+mächtigen Kaid würdigen Hochzeitsfeier. Aber stürmischer Jubel brach
+los, als einige Zeit nachher Lella Mariam, die Mutter Omar's, die vor
+dem Zelte Platz genommen hatte, aufstand und ein Hemd, das der gewesenen
+Braut Aischa, durch die Luft schwenkte. Das Hemd enthielt Blutstropfen,
+Omar konnte also den sichtbaren Beweis der Jungfräulichkeit seiner Braut
+liefern und dieser mußte Allen, die an der Hochzeitsfeier Theil nahmen,
+gezeigt werden. Kann dieser nicht beigebracht werden, so ist überhaupt
+die Heirath, _wenn der Gatte will_, als nicht geschehen zu betrachten.
+
+Drei Tage dauerten diese Schmausereien, während welcher Zeit aber das
+junge Paar meistens allein blieb, um ganz das Glück der ersten Liebe zu
+genießen; vielleicht hätte auch Kaid Abu Ssalam die Festlichkeit noch
+länger ausgedehnt, da bei sehr reichen Familien acht Tage lang festirt
+wird, wenn nicht ein Ereigniß eingetreten wäre, das den Lustbarkeiten
+ein jähes Ende setzte.
+
+Wohl durch zu viele Arbeit, die der alte Omar, Vater Abu Thalebs, seinem
+Magen aufgebürdet hatte, vielleicht auch durch Uebermaß des sonst
+ungewohnten Fleischgenusses, erkrankte er und schon nach einigen Stunden
+hatte er aufgehört zu leben.
+
+Sobald man den Tod des alten Omar als sicher constatirt hatte, wurden
+alle alten Weiber vor sein Zelt beordert, um das Klagen und Weinen zu
+besorgen, während die Männer den noch warmen Leichnam wuschen,
+räucherten und in ein neues Stück Kattun einwickelten. Dies dauerte
+einige Stunden, sodann wurde eine Tragbahre geholt und der Verstorbene
+hinaufgelegt, denn bei den Zeltbewohnern herrscht die Sitte, den Todten
+in einen Sarg oder eine Truhe zu legen, nicht. Vier Männer bemächtigten
+sich der Bahre und sodann ging es fort in so schnellem Schritte, als
+man, ohne zu laufen, nur gehen konnte. Beständig wurde nach einförmiger
+Melodie gesungen: =Lah illaha Il Allaha=, und wenn dies etwa
+hundert Mal wiederholt worden war, bildete der Satz: =Mohammed ressul
+ul Lah= den Schluß, um aber gleich wieder von vorn anzufangen. Alle
+zwanzig Schritte lösten sich die Leute im Tragen ab, damit Jeder der
+Ehre, den Todten zur letzten Stätte zu tragen, theilhaftig werden könne.
+Nach dem Gottesacker der Beni-Amer, der ziemlich entfernt vom Duar
+gelegen war, waren aber schon vorher einige Leute geschickt worden, um
+die Gruft zu bereiten, und als der Trauerzug ankam, war Alles in
+Ordnung.
+
+Ein letztes Fötah wurde gebetet und die Sure: "Sag', Gott ist der
+Einzige und Ewige. Gott zeugt nicht und ist nicht gezeugt und kein
+Geschöpf gleicht ihm," wurde von allen Anwesenden gelesen[80] und darauf
+unter dem Ausrufe: "=Bism Allah=!" (im Namen Gottes) der Leichnam
+in die Gruft gelegt. Ein Jeder der Anwesenden warf eine Hand voll Sand
+auf den Körper und hierauf wurde durch Hacken die Grube schnell mit Erde
+gefüllt. Damit nicht etwa Hyänen das Grab eröffnen könnten, wurden
+sodann zum Schlusse schwere Steine über das Ganze gelegt. Zurück wurde
+der Weg eben so rasch und ebenfalls unter dem Gesange: "=Lah illaha Il
+Allaha=" gemacht. Acht Tage lang mußten außerdem Trauerweiber, die
+zum Theil bezahlt waren, klagen und weinen, die Männer aber gingen ihren
+gewöhnlichen Beschäftigungen nach, pflegten sich aber auch Abends beim
+Trauerzelte einzufinden, weniger um der Vorzüge und Tugenden zu
+gedenken, die der verstorbene Omar ben Edris gehabt haben sollte, als um
+an der Mahlzeit Theil zu nehmen, die sein Sohn während der achttägigen
+Klagezeit allen Mittrauernden spenden mußte. Die Trauer durch besondere
+Kleider, z.B. schwarze Gewänder, auszudrücken, ist aber bei den
+Zeltbewohnern so wenig Sitte, wie bei den mohammedanischen Städtern.
+
+Daß der Kaid der Uled Sidi Schich die Kränkung nicht ruhig hinnahm, weil
+man seine Tochter verschmäht hatte, versteht sich von selbst. Und so
+erschien er denn eines Tages mit zwanzig Reitern nach gefahrvollen
+Märschen; es gelang ihm auch, eine Nachts außengebliebene Heerde
+fortzutreiben. Doch die schnell aufgebotenen Beni-Amer, im Verein mit
+einigen Uled Hassan, ereilten die Räuber, ein kurzes Gefecht entspann
+sich, einige Kugeln wurden gewechselt. Die Uled Sidi Schich zogen
+natürlich den Kürzeren, im Triumphe wurde die geraubte Heerde
+zurückgebracht und seit der Zeit lebt Omar zufrieden und ruhig am Ued
+Ssebu, lebt wie sein Vater und seine Vorfahren gelebt hatten und wie
+seine Söhne und Nachkommen unwandelbar nach denselben Sitten und
+Gebräuchen weiter leben werden.
+
+FOOTNOTES:
+
+[Footnote 66: Wie man bei uns sagt, er stammt aus einem großen Hause, so
+sagt man in Marokko min cheima kebira ("von einem großen Zelte").]
+
+[Footnote 67: In Marokko flechten und kämmen die Frauen und Mädchen ihr
+Haar keineswegs alle Tage, sondern nur bei festlichen Gelegenheiten.]
+
+[Footnote 68: Sidi ist der Titel des Großscherifs der heiligen Stadt
+Uesan.]
+
+[Footnote 69: Mohammed sagt im Koran: "Niemand trage seine Haare in
+Flechten bis zu den Schultern herab." Weil, S. 251.]
+
+[Footnote 70: Obschon es Mohammed ausdrücklich verboten ist, Staub aus
+dem Tempel von Mekka als Reliquie mitzunehmen, thun es die meisten
+marokkanischen Pilger doch.]
+
+[Footnote 71: Man sagt so, natürlich sind die Insassen des Zeltes
+gemeint.]
+
+[Footnote 72: Schreiber.]
+
+[Footnote 73: Plural von Thaleb.]
+
+[Footnote 74: In jedem marokkanischen Duar befindet sich ein Zelt, das
+zum Abhalten des freitäglichen Chothagebetes bestimmt ist und Situn el
+Djemma heißt; in der Regel dient es auch als Herberge für Fremde und
+heißt dann Situn el Diaf.]
+
+[Footnote 75: Wollenes Uebergewand.]
+
+[Footnote 76: In einzelnen Familien haben sich behufs der Beschneidung
+Steinmesser oder vielmehr scharfe Steinscherben vom Vater auf den Sohn
+vererbt und wahrscheinlich sind sie aus Arabien mit herübergebracht
+worden.]
+
+[Footnote 77: Der gewöhnliche Preis ist auf 60 französische Thaler, in
+Marokko Doro oder Duoro genannt, fixiert.]
+
+[Footnote 78: Kupferner Kessel.]
+
+[Footnote 79: Die Kuskussukügelchen aus Weizen- oder Gerstenmehl, auf
+einem Palm- oder Strohteller gerieben, sind von der Größe unserer
+Perlgrütze. Getrocknet halten sie sich monatelang, ja über ein Jahr. Man
+nimmt sie auch als Provision auf Reisen mit.]
+
+[Footnote 80: Der Araber braucht das Wort "ikra" er liest, nicht blos
+von der Handlung in unserem Sinne, d.h. wenn man aus einem Buche etwas
+abliest, sondern auch, wenn Jemand aus dem Koran oder sonst einem Buche
+ein Capitel hersagt.]
+
+
+Leipzig,
+
+Druck von Alexander Edelmann.
+
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Beiträge zur Entdeckung und
+Erforschung Africa's., by Gerhard Rohlfs
+
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+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
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+
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+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
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+ways including including checks, online payments and credit card
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+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
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+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
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+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
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+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
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