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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 04:48:36 -0700
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+The Project Gutenberg EBook of Der Heizer, by Franz Kafka
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Der Heizer
+ Ein Fragment
+
+Author: Franz Kafka
+
+Release Date: July 15, 2005 [EBook #16304]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: UTF-8
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HEIZER ***
+
+
+
+
+Produced by Markus Brenner and the Online Distributed
+Proofreading Team at https://www.pgdp.net
+
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+
+ Franz Kafka
+
+ Der Heizer
+
+ Ein Fragment
+
+
+ 1913
+ Kurt Wolff Verlag * Leipzig
+
+
+
+ Dies Buch wurde
+ gedruckt im Mai 1913 als dritter
+ Band der Bücherei »Der jüngste Tag« bei
+ Poeschel & Trepte in Leipzig
+
+
+COPYRIGHT BY KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG 1913
+
+
+
+
+Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach
+Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und
+ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff
+in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst
+beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker
+gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings
+empor und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.
+
+»So hoch!« sagte er sich und wurde, wie er so gar nicht an das Weggehen
+dachte, von der immer mehr anschwellenden Menge der Gepäckträger, die an
+ihm vorüberzogen, allmählich bis an das Bordgeländer geschoben.
+
+Ein junger Mann, mit dem er während der Fahrt flüchtig bekannt geworden
+war, sagte im Vorübergehen: »Ja, haben Sie denn noch keine Lust,
+auszusteigen?« »Ich bin doch fertig,« sagte Karl, ihn anlachend, und hob
+aus Übermut, und weil er ein starker Junge war, seinen Koffer auf die
+Achsel. Aber wie er über seinen Bekannten hinsah, der ein wenig seinen
+Stock schwenkend sich schon mit den andern entfernte, merkte er
+bestürzt, daß er seinen eigenen Regenschirm unten im Schiff vergessen
+hatte. Er bat schnell den Bekannten, der nicht sehr beglückt schien, um
+die Freundlichkeit, bei seinem Koffer einen Augenblick zu warten,
+überblickte noch die Situation, um sich bei der Rückkehr zurechtzufinden
+und eilte davon. Unten fand er zu seinem Bedauern einen Gang, der seinen
+Weg sehr verkürzt hätte, zum erstenmal versperrt, was wahrscheinlich mit
+der Ausschiffung sämtlicher Passagiere zusammenhing und mußte sich
+seinen Weg durch eine Unzahl kleiner Räume, über kurze Treppen, die
+einander immer wieder folgten, durch fortwährend abbiegende Korridore,
+durch ein leeres Zimmer mit einem verlassenen Schreibtisch mühselig
+suchen, bis er sich tatsächlich, da er diesen Weg nur ein- oder zweimal
+und immer in größerer Gesellschaft gegangen war, ganz und gar verirrt
+hatte. In seiner Ratlosigkeit und da er keinen Menschen traf und nur
+immerfort über sich das Scharren der tausend Menschenfüße hörte und von
+der Ferne, wie einen Hauch, das letzte Arbeiten der schon eingestellten
+Maschinen merkte, fing er, ohne zu überlegen, an eine beliebige kleine
+Tür zu schlagen an, bei der er in seinem Herumirren stockte.
+
+»Es ist ja offen,« rief es von innen, und Karl öffnete mit ehrlichem
+Aufatmen die Tür. »Warum schlagen Sie so verrückt auf die Tür?« fragte
+ein riesiger Mann, kaum daß er nach Karl hinsah. Durch irgendeine
+Oberlichtluke fiel ein trübes, oben im Schiff längst abgebrauchtes Licht
+in die klägliche Kabine, in welcher ein Bett, ein Schrank, ein Sessel
+und der Mann knapp nebeneinander, wie eingelagert, standen. »Ich habe
+mich verirrt,« sagte Karl, »ich habe es während der Fahrt gar nicht so
+bemerkt, aber es ist ein schrecklich großes Schiff.« »Ja, da haben Sie
+recht,« sagte der Mann mit einigem Stolz und hörte nicht auf, an dem
+Schloß eines kleinen Koffers zu hantieren, den er mit beiden Händen
+immer wieder zudrückte, um das Einschnappen des Riegels zu behorchen.
+»Aber kommen Sie doch herein!« sagte der Mann weiter, »Sie werden doch
+nicht draußen stehn!« »Störe ich nicht?« fragte Karl. »Ach, wie werden
+Sie denn stören!« »Sind Sie ein Deutscher?« suchte sich Karl noch zu
+versichern, da er viel von den Gefahren gehört hatte, welche besonders
+von Irländern den Neuankömmlingen in Amerika drohen. »Bin ich, bin ich,«
+sagte der Mann. Karl zögerte noch. Da faßte unversehens der Mann die
+Türklinke und schob mit der Türe, die er rasch schloß, Karl zu sich
+herein. »Ich kann es nicht leiden, wenn man mir vom Gang hereinschaut,«
+sagte der Mann, der wieder an seinem Koffer arbeitete, »da läuft jeder
+vorbei und schaut herein, das soll der Zehnte aushalten!« »Aber der Gang
+ist doch ganz leer,« sagte Karl, der unbehaglich an den Bettpfosten
+gequetscht dastand. »Ja, jetzt,« sagte der Mann. »Es handelt sich doch
+um jetzt,« dachte Karl, »mit dem Mann ist schwer zu reden.« »Legen Sie
+sich doch aufs Bett, da haben Sie mehr Platz,« sagte der Mann. Karl
+kroch, so gut es ging, hinein und lachte dabei laut über den ersten
+vergeblichen Versuch, sich hinüberzuschwingen. Kaum war er aber im Bett,
+rief er: »Gottes Willen, ich habe ja ganz meinen Koffer vergessen!« »Wo
+ist er denn?« »Oben auf dem Deck, ein Bekannter gibt acht auf ihn. Wie
+heißt er nur?« Und er zog aus einer Geheimtasche, die ihm seine Mutter
+für die Reise im Rockfutter angelegt hatte, eine Visitkarte.
+»Butterbaum, Franz Butterbaum.« »Haben Sie den Koffer sehr nötig?«
+»Natürlich.« »Ja, warum haben Sie ihn dann einem fremden Menschen
+gegeben?« »Ich hatte meinen Regenschirm unten vergessen und bin
+gelaufen, ihn zu holen, wollte aber den Koffer nicht mitschleppen. Dann
+habe ich mich auch noch verirrt.« »Sie sind allein? Ohne Begleitung?«
+»Ja, allein.« »Ich sollte mich vielleicht an diesen Mann halten,« ging
+es Karl durch den Kopf, »wo finde ich gleich einen besseren Freund.«
+»Und jetzt haben Sie auch noch den Koffer verloren. Vom Regenschirm rede
+ich gar nicht.« Und der Mann setzte sich auf den Sessel, als habe Karls
+Sache jetzt einiges Interesse für ihn gewonnen. »Ich glaube aber, der
+Koffer ist noch nicht verloren.« »Glauben macht selig,« sagte der Mann
+und kratzte sich kräftig in seinem dunklen, kurzen, dichten Haar, »auf
+dem Schiff wechseln mit den Hafenplätzen auch die Sitten. In Hamburg
+hätte Ihr Butterbaum den Koffer vielleicht bewacht, hier ist
+höchstwahrscheinlich von beiden keine Spur mehr.« »Da muß ich aber doch
+gleich hinaufschaun,« sagte Karl und sah sich um, wie er hinauskommen
+könnte. »Bleiben Sie nur,« sagte der Mann und stieß ihn mit einer Hand
+gegen die Brust, geradezu rauh, ins Bett zurück. »Warum denn?« fragte
+Karl ärgerlich. »Weil es keinen Sinn hat,« sagte der Mann »in einem
+kleinen Weilchen gehe ich auch, dann gehen wir zusammen. Entweder ist
+der Koffer gestohlen, dann ist keine Hilfe, oder der Mensch bewacht ihn
+noch immer, dann ist er ein Dummkopf und soll weiter wachen, oder er ist
+bloß ein ehrlicher Mensch und hat den Koffer stehen gelassen, dann
+werden wir ihn, bis das Schiff ganz entleert ist, desto besser finden.
+Ebenso auch Ihren Regenschirm.« »Kennen Sie sich auf dem Schiff aus?«
+fragte Karl mißtrauisch und es schien ihm, als hätte der sonst
+überzeugende Gedanke, daß auf dem leeren Schiff seine Sachen am besten
+zu finden sein würden, einen verborgenen Haken. »Ich bin doch
+Schiffsheizer,« sagte der Mann. »Sie sind Schiffsheizer!« rief Karl
+freudig, als überstiege das alle Erwartungen, und sah, den Ellbogen
+aufgestützt, den Mann näher an. »Gerade vor der Kammer, wo ich mit den
+Slowaken geschlafen habe, war eine Luke angebracht, durch die man in den
+Maschinenraum sehen konnte.« »Ja, dort habe ich gearbeitet,« sagte der
+Heizer. »Ich habe mich immer so für Technik interessiert,« sagte Karl,
+der in einem bestimmten Gedankengang blieb, »und ich wäre sicher später
+Ingenieur geworden, wenn ich nicht nach Amerika hätte fahren müssen.«
+»Warum haben Sie denn fahren müssen?« »Ach was!« sagte Karl und warf die
+ganze Geschichte mit der Hand weg. Dabei sah er lächelnd den Heizer an,
+als bitte er ihn selbst für das Nichteingestandene um seine Nachsicht.
+»Es wird schon einen Grund gehabt haben,« sagte der Heizer und man wußte
+nicht recht, ob er damit die Erzählung dieses Grundes fordern oder
+abwehren wollte. »Jetzt könnte ich auch Heizer werden,« sagte Karl,
+»meinen Eltern ist es jetzt ganz gleichgültig, was ich werde.« »Meine
+Stelle wird frei,« sagte der Heizer, gab im Vollbewußtsein dessen die
+Hände in die Hosentaschen und warf die Beine, die in faltigen,
+lederartigen, eisengrauen Hosen steckten, aufs Bett hin, um sie zu
+strecken. Karl mußte mehr an die Wand rücken. »Sie verlassen das
+Schiff?« »Jawohl, wir marschieren heute ab.« »Warum denn? Gefällt es
+Ihnen nicht?« »Ja, das sind die Verhältnisse, es entscheidet nicht
+immer, ob es einem gefällt oder nicht. Übrigens haben Sie recht, es
+gefällt mir auch nicht. Sie denken wahrscheinlich nicht ernstlich daran,
+Heizer zu werden, aber gerade dann kann man es am leichtesten werden.
+Ich also rate Ihnen entschieden ab. Wenn Sie in Europa studieren
+wollten, warum wollen Sie es denn hier nicht? Die amerikanischen
+Universitäten sind ja unvergleichlich besser als die europäischen.« »Es
+ist ja möglich,« sagte Karl, »aber ich habe ja fast kein Geld zum
+Studieren. Ich habe zwar von irgendjemandem gelesen, der bei Tag in
+einem Geschäft gearbeitet und in der Nacht studiert hat, bis er Doktor
+und ich glaube Bürgermeister wurde, aber dazu gehört doch eine große
+Ausdauer, nicht? Ich fürchte, die fehlt mir. Außerdem war ich gar kein
+besonders guter Schüler, der Abschied von der Schule ist mir wirklich
+nicht schwer geworden. Und die Schulen hier sind vielleicht noch
+strenger. Englisch kann ich fast gar nicht. Überhaupt ist man hier gegen
+Fremde so eingenommen, glaube ich.« »Haben Sie das auch schon erfahren?
+Na, dann ist’s gut. Dann sind Sie mein Mann. Sehen Sie, wir sind doch
+auf einem deutschen Schiff, es gehört der Hamburg-Amerika-Linie, warum
+sind wir nicht lauter Deutsche hier? Warum ist der Obermaschinist ein
+Rumäne? Er heißt Schubal. Das ist doch nicht zu glauben. Und dieser
+Lumpenhund schindet uns Deutsche auf einem deutschen Schiff. Glauben Sie
+nicht« – ihm ging die Luft aus, er fackelte mit der Hand – »daß ich
+klage, um zu klagen. Ich weiß, daß Sie keinen Einfluß haben und selbst
+ein armes Bürschchen sind. Aber es ist zu arg!« Und er schlug auf den
+Tisch mehrmals mit der Faust und ließ kein Auge von ihr, während er
+schlug. »Ich habe doch schon auf so vielen Schiffen gedient« – und er
+nannte zwanzig Namen hintereinander als sei es ein Wort, Karl wurde ganz
+wirr – »und habe mich ausgezeichnet, bin belobt worden, war ein Arbeiter
+nach dem Geschmack meiner Kapitäne, sogar auf dem gleichen Handelssegler
+war ich einige Jahre« – er erhob sich, als sei das der Höhepunkt seines
+Lebens – »und hier auf diesem Kasten, wo alles nach der Schnur
+eingerichtet ist, wo kein Witz erfordert wird, hier taug’ ich nichts,
+hier stehe ich dem Schubal immer im Wege, bin ein Faulpelz, verdiene
+hinausgeworfen zu werden und bekomme meinen Lohn aus Gnade. Verstehen
+Sie das? Ich nicht.« »Das dürfen Sie sich nicht gefallen lassen,« sagte
+Karl aufgeregt. Er hatte fast das Gefühl davon verloren, daß er auf dem
+unsicheren Boden eines Schiffes, an der Küste eines unbekannten Erdteils
+war, so heimisch war ihm hier auf dem Bett des Heizers zumute. »Waren
+Sie schon beim Kapitän? Haben Sie schon bei ihm Ihr Recht gesucht?« »Ach
+gehen Sie, gehen Sie lieber weg. Ich will Sie nicht hier haben. Sie
+hören nicht zu was ich sage und geben mir Ratschläge. Wie soll ich denn
+zum Kapitän gehen!« Und müde setzte sich der Heizer wieder und legte das
+Gesicht in beide Hände.
+
+»Einen besseren Rat kann ich ihm nicht geben,« sagte sich Karl. Und er
+fand überhaupt, daß er lieber seinen Koffer hätte holen sollen, statt
+hier Ratschläge zu geben, die doch nur für dumm gehalten wurden. Als ihm
+der Vater den Koffer für immer übergeben hatte, hatte er im Scherz
+gefragt: »Wielange wirst Du ihn haben?« und jetzt war dieser teuere
+Koffer vielleicht schon im Ernst verloren. Der einzige Trost war noch,
+daß der Vater von seiner jetzigen Lage kaum erfahren konnte, selbst wenn
+er nachforschen sollte. Nur daß er bis New York mitgekommen war, konnte
+die Schiffsgesellschaft gerade noch sagen. Leid tat es aber Karl, daß er
+die Sachen im Koffer noch kaum verwendet hatte, trotzdem er es
+beispielsweise längst nötig gehabt hätte, das Hemd zu wechseln. Da hatte
+er also am unrichtigen Ort gespart; jetzt, wo er es gerade am Beginn
+seiner Laufbahn nötig haben würde, rein gekleidet aufzutreten, würde er
+im schmutzigen Hemd erscheinen müssen. Sonst wäre der Verlust des
+Koffers nicht gar so arg gewesen, denn der Anzug, den er anhatte, war
+sogar besser, als jener im Koffer, der eigentlich nur ein Notanzug war,
+den die Mutter noch knapp vor der Abreise hatte flicken müssen. Jetzt
+erinnerte er sich auch, daß im Koffer noch ein Stück Veroneser Salami
+war, die ihm die Mutter als Extragabe eingepackt hatte, von der er
+jedoch nur den kleinsten Teil hatte aufessen können, da er während der
+Fahrt ganz ohne Appetit gewesen war und die Suppe, die im Zwischendeck
+zur Verteilung kam, ihm reichlich genügt hatte. Jetzt hätte er aber die
+Wurst gern bei der Hand gehabt, um sie dem Heizer zu verehren. Denn
+solche Leute sind leicht gewonnen, wenn man ihnen irgendeine Kleinigkeit
+zusteckt, das wußte Karl noch von seinem Vater her, welcher durch
+Zigarrenverteilung alle die niedrigeren Angestellten gewann, mit denen
+er geschäftlich zu tun hatte. Jetzt besaß Karl an Verschenkbarem nur
+noch sein Geld, und das wollte er, wenn er schon vielleicht den Koffer
+verloren haben sollte, vorläufig nicht anrühren. Wieder kehrten seine
+Gedanken zum Koffer zurück, und er konnte jetzt wirklich nicht einsehen,
+warum er den Koffer während der Fahrt so aufmerksam bewacht hatte, daß
+ihm die Wache fast den Schlaf gekostet hatte, wenn er jetzt diesen
+gleichen Koffer so leicht sich hatte wegnehmen lassen. Er erinnerte sich
+an die fünf Nächte, während derer er einen kleinen Slowaken, der zwei
+Schlafstellen links von ihm gelegen war, unausgesetzt im Verdacht gehabt
+hatte, daß er es auf seinen Koffer abgesehen habe. Dieser Slowake hatte
+nur darauf gelauert, daß Karl endlich, von Schwäche befallen, für einen
+Augenblick einnicke, damit er den Koffer mit einer langen Stange, mit
+der er immer während des Tages spielte oder übte, zu sich hinüberziehen
+könne. Bei Tag sah dieser Slowake genug unschuldig aus, aber kaum war
+die Nacht gekommen, erhob er sich von Zeit zu Zeit von seinem Lager und
+sah traurig zu Karls Koffer hinüber. Karl konnte dies ganz deutlich
+erkennen, denn immer hatte hie und da jemand mit der Unruhe des
+Auswanderers ein Lichtchen angezündet, trotzdem dies nach der
+Schiffsordnung verboten war, und versuchte, unverständliche Prospekte
+der Auswanderungsagenturen zu entziffern. War ein solches Licht in der
+Nähe, dann konnte Karl ein wenig eindämmern, war es aber in der Ferne,
+oder war dunkel, dann mußte er die Augen offenhalten. Diese Anstrengung
+hatte ihn recht erschöpft, und nun war sie vielleicht ganz umsonst
+gewesen. Dieser Butterbaum, wenn er ihn einmal irgendwo treffen sollte!
+
+In diesem Augenblick ertönten draußen in weiter Ferne in die bisherige
+vollkommene Ruhe hinein kleine kurze Schläge, wie von Kinderfüßen, sie
+kamen näher mit verstärktem Klang und nun war es ein ruhiger Marsch von
+Männern. Sie gingen offenbar, wie es in dem schmalen Gang natürlich war,
+in einer Reihe, man hörte Klirren wie von Waffen. Karl, der schon nahe
+daran gewesen war, sich im Bett zu einem von allen Sorgen um Koffer und
+Slowaken befreiten Schlafe auszustrecken, schreckte auf und stieß den
+Heizer an, um ihn endlich aufmerksam zu machen, denn der Zug schien mit
+seiner Spitze die Tür gerade erreicht zu haben. »Das ist die
+Schiffskapelle,« sagte der Heizer, »die haben oben gespielt und gehen
+jetzt einpacken. Jetzt ist alles fertig und wir können gehen. Kommen
+Sie!« Er faßte Karl bei der Hand, nahm noch im letzten Augenblick ein
+eingerahmtes Muttergottesbild von der Wand über dem Bett, stopfte es in
+seine Brusttasche, ergriff seinen Koffer und verließ mit Karl eilig die
+Kabine.
+
+»Jetzt gehe ich ins Bureau und werde den Herren meine Meinung sagen. Es
+ist kein Passagier mehr da, man muß keine Rücksicht nehmen«. Dieses
+wiederholte der Heizer verschiedenartig und wollte im Gehen mit
+Seitwärtsstoßen des Fußes eine den Weg kreuzende Ratte niedertreten,
+stieß sie aber bloß schneller in das Loch hinein, das sie noch
+rechtzeitig erreicht hatte. Er war überhaupt langsam in seinen
+Bewegungen, denn wenn er auch lange Beine hatte, so waren sie doch zu
+schwer.
+
+Sie kamen durch eine Abteilung der Küche, wo einige Mädchen in
+schmutzigen Schürzen – sie begossen sie absichtlich – Geschirr in großen
+Bottichen reinigten. Der Heizer rief eine gewisse Line zu sich, legte
+den Arm um ihre Hüfte und führte sie, die sich immerzu kokett gegen
+seinen Arm drückte, ein Stückchen mit. »Es gibt jetzt Auszahlung, willst
+du mitkommen?« fragte er. »Warum soll ich mich bemühn, bring mir das
+Geld lieber her,« antwortete sie, schlüpfte unter seinem Arm durch und
+lief davon. »Wo hast du denn den schönen Knaben aufgegabelt?« rief sie
+noch, wollte aber keine Antwort mehr. Man hörte das Lachen aller
+Mädchen, die ihre Arbeit unterbrochen hatten.
+
+Sie gingen aber weiter und kamen an eine Tür, die oben einen kleinen
+Vorgiebel hatte, der von kleinen, vergoldeten Karyatiden getragen war.
+Für eine Schiffseinrichtung sah das recht verschwenderisch aus. Karl
+war, wie er merkte, niemals in diese Gegend gekommen, die
+wahrscheinlich während der Fahrt den Passagieren der ersten und zweiten
+Klasse vorbehalten gewesen war, während man jetzt vor der großen
+Schiffsreinigung die Trennungstüren ausgehoben hatte. Sie waren auch
+tatsächlich schon einigen Männern begegnet, die Besen an der Schulter
+trugen und den Heizer gegrüßt hatten. Karl staunte über den großen
+Betrieb, in seinem Zwischendeck hatte er davon freilich wenig erfahren.
+Entlang der Gänge zogen sich auch Drähte elektrischer Leitungen und eine
+kleine Glocke hörte man immerfort.
+
+Der Heizer klopfte respektvoll an der Türe an und forderte, als man
+»herein« rief, Karl mit einer Handbewegung auf, ohne Furcht einzutreten.
+Er trat auch ein, aber blieb an der Türe stehen. Vor den drei Fenstern
+des Zimmers sah er die Wellen des Meeres und bei Betrachtung ihrer
+fröhlichen Bewegung schlug ihm das Herz, als hätte er nicht fünf lange
+Tage das Meer ununterbrochen gesehen. Große Schiffe kreuzten gegenseitig
+ihre Wege und gaben dem Wellenschlag nur soweit nach als es ihre Schwere
+erlaubte. Wenn man die Augen klein machte, schienen diese Schiffe vor
+lauter Schwere zu schwanken. Auf ihren Masten trugen sie schmale, aber
+lange Flaggen, die zwar durch die Fahrt gestrafft wurden, trotzdem aber
+noch hin- und herzappelten. Wahrscheinlich von Kriegsschiffen her
+erklangen Salutschüsse, die Kanonenrohre eines solchen nicht allzuweit
+vorüberfahrenden Schiffes, strahlend mit dem Reflex ihres Stahlmantels,
+waren wie gehätschelt von der sicheren, glatten und doch nicht
+wagrechten Fahrt. Die kleinen Schiffchen und Boote konnte man,
+wenigstens von der Tür aus, nur in der Ferne beobachten, wie sie in
+Mengen in die Öffnungen zwischen den großen Schiffen einliefen. Hinter
+alledem aber stand New York und sah Karl mit den hunderttausend Fenstern
+seiner Wolkenkratzer an. Ja, in diesem Zimmer wußte man, wo man war.
+
+An einem runden Tisch saßen drei Herren, der eine ein Schiffsoffizier in
+blauer Schiffsuniform, die zwei anderen, Beamte der Hafenbehörde, in
+schwarzen, amerikanischen Uniformen. Auf dem Tisch lagen,
+hochaufgeschichtet, verschiedene Dokumente, welche der Offizier zuerst
+mit der Feder in der Hand überflog, um sie dann den beiden anderen zu
+reichen, die bald lasen, bald exzerpierten, bald in ihre Aktentaschen
+einlegten, wenn nicht gerade der eine, der fast ununterbrochen ein
+kleines Geräusch mit den Zähnen vollführte, seinem Kollegen etwas in ein
+Protokoll diktierte.
+
+Am Fenster saß an einem Schreibtisch, den Rücken der Türe zugewendet,
+ein kleinerer Herr, der mit großen Folianten hantierte, die auf einem
+starken Bücherbrett in Kopfhöhe vor ihm aneinander gereiht waren. Neben
+ihm stand eine offene, wenigstens auf den ersten Blick leere Kassa.
+
+Das zweite Fenster war leer und gab den besten Ausblick. In der Nähe des
+dritten aber standen zwei Herren in halblautem Gespräch. Der eine lehnte
+neben dem Fenster, trug auch die Schiffsuniform und spielte mit dem
+Griff des Degens. Derjenige, mit dem er sprach, war dem Fenster
+zugewendet und enthüllte hie und da durch eine Bewegung einen Teil der
+Ordensreihe auf der Brust des andern. Er war in Zivil und hatte ein
+dünnes Bambusstöckchen, das, da er beide Hände an den Hüften festhielt,
+auch wie ein Degen abstand.
+
+Karl hatte nicht viel Zeit, alles anzusehen, denn bald trat ein Diener
+auf sie zu und fragte den Heizer mit einem Blick, als gehöre er nicht
+hierher, was er denn wolle. Der Heizer antwortete, so leise als er
+gefragt wurde, er wolle mit dem Herrn Oberkassier reden. Der Diener
+lehnte für seinen Teil mit einer Handbewegung diese Bitte ab, ging aber
+dennoch auf den Fußspitzen, dem runden Tisch in großem Bogen
+ausweichend, zu dem Herrn mit den Folianten. Dieser Herr – das sah man
+deutlich – erstarrte geradezu unter den Worten des Dieners, kehrte sich
+aber endlich nach dem Manne um, der ihn zu sprechen wünschte, und
+fuchtelte dann, streng abwehrend, gegen den Heizer und der Sicherheit
+halber auch gegen den Diener hin. Der Diener kehrte darauf zum Heizer
+zurück und sagte in einem Tone, als vertraue er ihm etwas an: »Scheren
+Sie sich sofort aus dem Zimmer!«
+
+Der Heizer sah nach dieser Antwort zu Karl hinunter, als sei dieser sein
+Herz, dem er stumm seinen Jammer klage. Ohne weitere Besinnung machte
+sich Karl los, lief quer durchs Zimmer, daß er sogar leicht an den
+Sessel des Offiziers streifte, der Diener lief gebeugt mit zum Umfangen
+bereiten Armen, als jage er ein Ungeziefer, aber Karl war der erste beim
+Tisch des Oberkassiers, wo er sich festhielt, für den Fall, daß der
+Diener versuchen sollte, ihn fortzuziehen.
+
+Natürlich wurde gleich das ganze Zimmer lebendig. Der Schiffsoffizier am
+Tisch war aufgesprungen, die Herren von der Hafenbehörde sahen ruhig,
+aber aufmerksam zu, die beiden Herren am Fenster waren nebeneinander
+getreten, der Diener, welcher glaubte, er sei dort, wo schon die hohen
+Herren Interesse zeigten, nicht mehr am Platze, trat zurück. Der Heizer
+an der Tür wartete angespannt auf den Augenblick, bis seine Hilfe nötig
+würde. Der Oberkassier endlich machte in seinem Lehnsessel eine große
+Rechtswendung.
+
+Karl kramte aus seiner Geheimtasche, die er den Blicken dieser Leute zu
+zeigen keine Bedenken hatte, seinen Reisepaß hervor, den er statt
+weiterer Vorstellung geöffnet auf den Tisch legte. Der Oberkassier
+schien diesen Paß für nebensächlich zu halten, denn er schnippte ihn mit
+zwei Fingern beiseite, worauf Karl, als sei diese Formalität zur
+Zufriedenheit erledigt, den Paß wieder einsteckte.
+
+»Ich erlaube mir zu sagen,« begann er dann, »daß meiner Meinung nach dem
+Herrn Heizer Unrecht geschehen ist. Es ist hier ein gewisser Schubal,
+der ihm aufsitzt. Er selbst hat schon auf vielen Schiffen, die er Ihnen
+alle nennen kann, zur vollständigen Zufriedenheit gedient, ist fleißig,
+meint es mit seiner Arbeit gut, und es ist wirklich nicht einzusehen,
+warum er gerade auf diesem Schiff, wo doch der Dienst nicht so übermäßig
+schwer ist, wie zum Beispiel auf Handelsseglern, schlecht entsprechen
+sollte. Es kann daher nur Verleumdung sein, die ihn in seinem
+Vorwärtskommen hindert und ihn um die Anerkennung bringt, die ihm sonst
+ganz bestimmt nicht fehlen würde. Ich habe nur das Allgemeine über diese
+Sache gesagt, seine besonderen Beschwerden wird er Ihnen selbst
+vorbringen.« Karl hatte sich mit dieser Rede an alle Herren gewendet,
+weil ja tatsächlich auch alle zuhörten und es viel wahrscheinlicher
+schien, daß sich unter allen zusammen ein Gerechter vorfand, als daß
+dieser Gerechte gerade der Oberkassier sein sollte. Aus Schlauheit hatte
+außerdem Karl verschwiegen, daß er den Heizer erst so kurze Zeit kannte.
+Im übrigen hätte er noch viel besser gesprochen, wenn er nicht durch das
+rote Gesicht des Herrn mit dem Bambusstöckchen beirrt worden wäre, das
+er von seinem jetzigen Standort zum erstenmal sah.
+
+»Es ist alles Wort für Wort richtig,« sagte der Heizer, ehe ihn noch
+jemand gefragt, ja ehe man noch überhaupt auf ihn hingesehen hatte.
+Diese Übereiltheit des Heizers wäre ein großer Fehler gewesen, wenn
+nicht der Herr mit den Orden, der, wie es jetzt Karl aufleuchtete,
+jedenfalls der Kapitän war, offenbar mit sich bereits übereingekommen
+wäre, den Heizer anzuhören. Er streckte nämlich die Hand aus und rief
+dem Heizer zu: »Kommen Sie her!« mit einer Stimme, fest, um mit einem
+Hammer darauf zu schlagen. Jetzt hing alles vom Benehmen des Heizers ab,
+denn was die Gerechtigkeit seiner Sache anlangte, an der zweifelte Karl
+nicht.
+
+Glücklicherweise zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß der Heizer
+schon viel in der Welt herumgekommen war. Musterhaft ruhig nahm er aus
+seinem Köfferchen mit dem ersten Griff ein Bündelchen Papiere, sowie ein
+Notizbuch, ging damit, als verstünde sich das von selbst, unter
+vollständiger Vernachlässigung des Oberkassiers, zum Kapitän und
+breitete auf dem Fensterbrett seine Beweismittel aus. Dem Oberkassier
+blieb nichts übrig, als sich selbst hinzubemühn. »Der Mann ist ein
+bekannter Querulant,« sagte er zur Erklärung, »er ist mehr in der Kassa,
+als im Maschinenraum. Er hat Schubal, diesen ruhigen Menschen, ganz zur
+Verzweiflung gebracht. Hören Sie einmal!« wandte er sich an den Heizer,
+»Sie treiben Ihre Zudringlichkeit doch schon wirklich zu weit. Wie oft
+hat man Sie schon aus den Auszahlungsräumen hinausgeworfen, wie Sie es
+mit Ihren ganz, vollständig und ausnahmslos unberechtigten Forderungen
+verdienen! Wie oft sind Sie von dort in die Hauptkassa gelaufen
+gekommen! Wie oft hat man Ihnen im Guten gesagt, daß Schubal Ihr
+unmittelbarer Vorgesetzter ist, mit dem allein Sie sich als sein
+Untergebener abzufinden haben! Und jetzt kommen Sie gar noch her, wenn
+der Herr Kapitän da ist, schämen sich nicht, sogar ihn zu belästigen,
+sondern entblöden sich nicht einmal, als eingelernten Stimmführer Ihrer
+abgeschmackten Beschuldigungen diesen Kleinen mitzubringen, den ich
+überhaupt zum erstenmal auf dem Schiffe sehe!«
+
+Karl hielt sich mit Gewalt zurück, vorzuspringen. Aber schon war auch
+der Kapitän da, welcher sagte: »Hören wir den Mann doch einmal an. Der
+Schubal wird mir sowieso mit der Zeit viel zu selbständig, womit ich
+aber nichts zu Ihren Gunsten gesagt haben will.« Das letztere galt dem
+Heizer, es war nur natürlich, daß er sich nicht sofort für ihn einsetzen
+konnte, aber alles schien auf dem richtigen Wege. Der Heizer begann
+seine Erklärungen und überwand sich gleich am Anfang, indem er den
+Schubal mit »Herr« titulierte. Wie freute sich Karl am verlassenen
+Schreibtisch des Oberkassiers, wo er eine Briefwage immer wieder
+niederdrückte vor lauter Vergnügen. – Herr Schubal ist ungerecht! Herr
+Schubal bevorzugt die Ausländer! Herr Schubal verwies den Heizer aus dem
+Maschinenraum und ließ ihn Klosette reinigen, was doch gewiß nicht des
+Heizers Sache war! – Einmal wurde sogar die Tüchtigkeit des Herrn
+Schubal angezweifelt, die eher scheinbar als wirklich vorhanden sein
+sollte. Bei dieser Stelle starrte Karl mit aller Kraft den Kapitän an,
+zutunlich, als sei er sein Kollege, nur damit er sich durch die etwas
+ungeschickte Ausdrucksweise des Heizers nicht zu dessen Ungunsten
+beeinflussen lasse. Immerhin erfuhr man aus den vielen Reden nichts
+Eigentliches, und wenn auch der Kapitän noch immer vor sich hinsah, in
+den Augen die Entschlossenheit, den Heizer diesmal bis zu Ende
+anzuhören, so wurden doch die anderen Herren ungeduldig, und die Stimme
+des Heizers regierte bald nicht mehr unumschränkt in dem Raume, was
+manches befürchten ließ. Als erster setzte der Herr in Zivil sein
+Bambusstöckchen in Tätigkeit und klopfte, wenn auch nur leise, auf das
+Parkett. Die anderen Herren sahen natürlich hie und da hin, die Herren
+von der Hafenbehörde, die offenbar pressiert waren, griffen wieder zu
+den Akten und begannen, wenn auch noch etwas geistesabwesend, sie
+durchzusehen, der Schiffsoffizier rückte seinem Tische wieder näher, und
+der Oberkassier, der gewonnenes Spiel zu haben glaubte, seufzte aus
+Ironie tief auf. Von der allgemein eintretenden Zerstreuung schien nur
+der Diener bewahrt, der von den Leiden des unter die Großen gestellten
+armen Mannes einen Teil mitfühlte und Karl ernst zunickte, als wolle er
+damit etwas erklären.
+
+Inzwischen ging vor den Fenstern das Hafenleben weiter; ein flaches
+Lastschiff mit einem Berg von Fässern, die wunderbar verstaut sein
+mußten, daß sie nicht ins Rollen kamen, zog vorüber und erzeugte in dem
+Zimmer fast Dunkelheit; kleine Motorboote, die Karl jetzt, wenn er Zeit
+gehabt hätte, genau hätte ansehen können, rauschten nach den Zuckungen
+der Hände eines am Steuer aufrecht stehenden Mannes schnurgerade dahin;
+eigentümliche Schwimmkörper tauchten hie und da selbständig aus dem
+ruhelosen Wasser, wurden gleich wieder überschwemmt und versanken vor
+dem erstaunten Blick; Boote der Ozeandampfer wurden von heiß arbeitenden
+Matrosen vorwärtsgerudert und waren voll von Passagieren, die darin, so
+wie man sie hineingezwängt hatte, still und erwartungsvoll saßen, wenn
+es auch manche nicht unterlassen konnten, die Köpfe nach den wechselnden
+Szenerien zu drehen. Eine Bewegung ohne Ende, eine Unruhe, übertragen
+von dem unruhigen Element auf die hilflosen Menschen und ihre Werke!
+
+Aber alles mahnte zur Eile, zur Deutlichkeit, zu ganz genauer
+Darstellung, aber was tat der Heizer! Er redete sich allerdings in
+Schweiß, die Papiere auf dem Fenster konnte er längst mit seinen
+zitternden Händen nicht mehr halten, aus allen Himmelsrichtungen
+strömten ihm Klagen über Schubal zu, von denen seiner Meinung nach jede
+einzelne genügt hätte, diesen Schubal vollständig zu begraben, aber
+was er dem Kapitän vorzeigen konnte, war nur ein trauriges
+Durcheinanderstrudeln aller insgesamt. Längst schon pfiff der Herr mit
+dem Bambusstöckchen schwach zur Decke hinauf, die Herren von der
+Hafenbehörde hielten schon den Offizier an ihrem Tisch und machten keine
+Miene, ihn je wieder loszulassen, der Oberkassier wurde sichtlich nur
+durch die Ruhe des Kapitäns vor dem Dreinfahren zurückgehalten, der
+Diener erwartete in Habtachtstellung jeden Augenblick einen auf den
+Heizer bezüglichen Befehl seines Kapitäns.
+
+Da konnte Karl nicht mehr untätig bleiben. Er ging also langsam zu der
+Gruppe hin und überlegte im Gehen nur desto schneller, wie er die Sache
+möglichst geschickt angreifen könnte. Es war wirklich höchste Zeit, noch
+ein kleines Weilchen nur, und sie konnten ganz gut beide aus dem Bureau
+fliegen. Der Kapitän mochte ja ein guter Mann sein und überdies gerade
+jetzt, wie es Karl schien, irgend einen besonderen Grund haben, sich als
+gerechter Vorgesetzter zu zeigen, aber schließlich war er kein
+Instrument, das man in Grund und Boden spielen konnte – und gerade so
+behandelte ihn der Heizer, allerdings aus seinem grenzenlos empörten
+Innern heraus.
+
+Karl sagte also zum Heizer: »Sie müssen das einfacher erzählen, klarer,
+der Herr Kapitän kann es nicht würdigen, so wie Sie es ihm erzählen.
+Kennt er denn alle Maschinisten und Laufburschen beim Namen oder gar
+beim Taufnamen, daß er, wenn Sie nur einen solchen Namen aussprechen,
+gleich wissen kann, um wen es sich handelt? Ordnen Sie doch Ihre
+Beschwerden, sagen Sie die wichtigste zuerst und absteigend die anderen,
+vielleicht wird es dann überhaupt nicht mehr nötig sein, die meisten
+auch nur zu erwähnen. Mir haben Sie es doch immer so klar dargestellt!«
+Wenn man in Amerika Koffer stehlen kann, kann man auch hie und da lügen,
+dachte er zur Entschuldigung.
+
+Wenn es aber nur geholfen hätte! Ob es nicht auch schon zu spät war? Der
+Heizer unterbrach sich zwar sofort, als er die bekannte Stimme hörte,
+aber mit seinen Augen, die ganz von Tränen der beleidigten Mannesehre,
+der schrecklichen Erinnerungen, der äußersten gegenwärtigen Not verdeckt
+waren, konnte er Karl schon nicht einmal gut mehr erkennen. Wie sollte
+er auch jetzt – Karl sah das schweigend vor dem jetzt Schweigenden wohl
+ein – wie sollte er auch jetzt plötzlich seine Redeweise ändern, da es
+ihm doch schien, als hätte er alles, was zu sagen war, ohne die
+geringste Anerkennung schon vorgebracht und als habe er andererseits
+noch gar nichts gesagt und könne doch den Herren jetzt nicht zumuten,
+noch alles anzuhören. Und in einem solchen Zeitpunkt kommt noch Karl,
+sein einziger Anhänger, daher, will ihm gute Lehren geben, zeigt ihm
+aber statt dessen, daß alles, alles verloren ist.
+
+»Wäre ich früher gekommen, statt aus dem Fenster zu schauen,« sagte
+sich Karl, senkte vor dem Heizer das Gesicht und schlug die Hände an die
+Hosennaht, zum Zeichen des Endes jeder Hoffnung.
+
+Aber der Heizer mißverstand das, witterte wohl in Karl irgendwelche
+geheime Vorwürfe gegen sich, und in der guten Absicht, sie ihm
+auszureden, fing er zur Krönung seiner Taten mit Karl jetzt zu streiten
+an. Jetzt, wo doch die Herren am runden Tisch längst empört über den
+nutzlosen Lärm waren, der ihre wichtigen Arbeiten störte, wo der
+Hauptkassier allmählich die Geduld des Kapitäns unverständlich fand und
+zum sofortigen Ausbruch neigte, wo der Diener, ganz wieder in der Sphäre
+seiner Herren, den Heizer mit wildem Blicke maß, und wo endlich der Herr
+mit dem Bambusstöckchen, zu welchem sogar der Kapitän hie und da
+freundschaftlich hinübersah, schon gänzlich abgestumpft gegen den
+Heizer, ja von ihm angewidert, ein kleines Notizbuch hervorzog und,
+offenbar mit ganz anderen Angelegenheiten beschäftigt, die Augen
+zwischen dem Notizbuch und Karl hin- und herwandern ließ.
+
+»Ich weiß ja, ich weiß ja,« sagte Karl, der Mühe hatte, den jetzt gegen
+ihn gekehrten Schwall des Heizers abzuwehren, trotzdem aber quer durch
+allen Streit noch ein Freundeslächeln für ihn übrig hatte, »Sie haben
+Recht, Recht, ich habe ja nie daran gezweifelt.« Er hätte ihm gern aus
+Furcht vor Schlägen die herumfahrenden Hände gehalten, noch lieber
+allerdings ihn in einen Winkel gedrängt, um ihm ein paar leise
+beruhigende Worte zuzuflüstern, die niemand sonst hätte hören müssen.
+Aber der Heizer war außer Rand und Band. Karl begann jetzt schon sogar
+aus dem Gedanken eine Art Trost zu schöpfen, daß der Heizer im Notfall
+mit der Kraft seiner Verzweiflung alle anwesenden sieben Männer
+bezwingen könne. Allerdings lag auf dem Schreibtisch, wie ein Blick
+dorthin lehrte, ein Aufsatz mit viel zu vielen Druckknöpfen der
+elektrischen Leitung und eine Hand, einfach auf sie niedergedrückt,
+konnte das ganze Schiff mit allen seinen von feindlichen Menschen
+gefüllten Gängen rebellisch machen.
+
+Da trat der doch so uninteressierte Herr mit dem Bambusstöckchen auf
+Karl zu und fragte, nicht überlaut, aber deutlich über allem Geschrei
+des Heizers: »Wie heißen Sie denn eigentlich?« In diesem Augenblick, als
+hätte jemand hinter der Tür auf diese Äußerung des Herrn gewartet,
+klopfte es. Der Diener sah zum Kapitän hinüber, dieser nickte. Daher
+ging der Diener zur Tür und öffnete sie. Draußen stand in einem alten
+Kaiserrock ein Mann von mittleren Proportionen, seinem Aussehen nach
+nicht eigentlich zur Arbeit an den Maschinen geeignet und war doch –
+Schubal. Wenn es Karl nicht an aller Augen erkannt hätte, die eine
+gewisse Befriedigung ausdrückten, von der nicht einmal der Kapitän frei
+war, er hätte es zu seinem Schrecken am Heizer sehen müssen, der die
+Fäuste an den gestrafften Armen so ballte, als sei diese Ballung das
+Wichtigste an ihm, dem er alles, was er an Leben habe, zu opfern bereit
+sei. Da steckte jetzt alle seine Kraft, auch die, welche ihn überhaupt
+aufrecht erhielt.
+
+Und da war also der Feind, frei und frisch im Festanzug, unter dem Arm
+ein Geschäftsbuch, wahrscheinlich die Lohnlisten und Arbeitsausweise des
+Heizers, und sah mit dem ungescheuten Zugeständnis, daß er die Stimmung
+jedes Einzelnen vor allem feststellen wolle, in aller Augen der Reihe
+nach. Die sieben waren auch schon alle seine Freunde, denn wenn auch der
+Kapitän früher gewisse Einwände gegen ihn gehabt oder vielleicht auch
+nur vorgeschützt hatte, nach dem Leid, das ihm der Heizer angetan hatte,
+schien ihm wahrscheinlich an Schubal auch das Geringste nicht mehr
+auszusetzen. Gegen einen Mann, wie den Heizer, konnte man nicht streng
+genug verfahren, und wenn dem Schubal etwas vorzuwerfen war, so war es
+der Umstand, daß er die Widerspenstigkeit des Heizers im Laufe der Zeit
+nicht so weit hatte brechen können, daß es dieser heute noch gewagt
+hatte, vor dem Kapitän zu erscheinen.
+
+Nun konnte man ja vielleicht noch annehmen, die Gegenüberstellung des
+Heizers und Schubals werde die ihr vor einem höheren Forum zukommende
+Wirkung auch vor den Menschen nicht verfehlen, denn wenn sich auch
+Schubal gut verstellen konnte, er mußte es doch durchaus nicht bis zum
+Ende aushalten können. Ein kurzes Aufblitzen seiner Schlechtigkeit
+sollte genügen, um sie den Herren sichtbar zu machen, dafür wollte Karl
+schon sorgen. Er kannte doch schon beiläufig den Scharfsinn, die
+Schwächen, die Launen der einzelnen Herren und unter diesem
+Gesichtspunkt war die bisher hier verbrachte Zeit nicht verloren. Wenn
+nur der Heizer besser auf dem Platz gewesen wäre, aber der schien
+vollständig kampfunfähig. Wenn man ihm den Schubal hingehalten hätte,
+hätte er wohl dessen gehaßten Schädel mit den Fäusten aufklopfen können.
+Aber schon die paar Schritte zu ihm hinzugehen, war er wohl kaum
+imstande. Warum hatte denn Karl das so leicht Vorauszusehende nicht
+vorausgesehen, daß Schubal endlich kommen müsse, wenn nicht aus eigenem
+Antrieb, so vom Kapitän gerufen. Warum hatte er auf dem Herweg mit dem
+Heizer nicht einen genauen Kriegsplan besprochen, statt, wie sie es in
+Wirklichkeit getan hatten, heillos unvorbereitet einfach dort
+einzutreten, wo eine Tür war? Konnte der Heizer überhaupt noch reden, ja
+und nein sagen, wie es bei dem Kreuzverhör, das allerdings nur im
+günstigsten Fall bevorstand, nötig sein würde? Er stand da, die Beine
+auseinander gestellt, die Knie ein wenig gebogen, den Kopf etwas gehoben
+und die Luft verkehrte durch den offenen Mund, als gebe es innen keine
+Lungen mehr, die sie verarbeiteten.
+
+Karl allerdings fühlte sich so kräftig und bei Verstand, wie er es
+vielleicht zu Hause niemals gewesen war. Wenn ihn doch seine Eltern
+sehen könnten, wie er in fremdem Land, vor angesehenen Persönlichkeiten
+das Gute verfocht und wenn er es auch noch nicht zum Siege gebracht
+hatte, so doch zur letzten Eroberung sich vollkommen bereit stellte!
+Würden sie ihre Meinung über ihn revidieren? Ihn zwischen sich
+niedersetzen und loben? Ihm einmal, einmal in die ihnen so ergebenen
+Augen sehn? Unsichere Fragen und ungeeignetester Augenblick, sie zu
+stellen!
+
+»Ich komme, weil ich glaube, daß mich der Heizer irgendwelcher
+Unredlichkeiten beschuldigt. Ein Mädchen aus der Küche sagte mir, sie
+hätte ihn auf dem Wege hierher gesehen. Herr Kapitän und Sie alle meine
+Herren, ich bin bereit, jede Beschuldigung an der Hand meiner Schriften,
+nötigenfalls durch Aussagen unvoreingenommener und unbeeinflußter
+Zeugen, die vor der Türe stehen, zu widerlegen.« So sprach Schubal. Das
+war allerdings die klare Rede eines Mannes und nach der Veränderung in
+den Mienen der Zuhörer hätte man glauben können, sie hörten zum
+erstenmal nach langer Zeit wieder menschliche Laute. Sie bemerkten
+freilich nicht, daß selbst diese schöne Rede Löcher hatte. Warum war das
+erste sachliche Wort, das ihm einfiel, »Unredlichkeiten«? Hätte
+vielleicht die Beschuldigung hier einsetzen müssen, statt bei seinen
+nationalen Voreingenommenheiten? Ein Mädchen aus der Küche hatte den
+Heizer auf dem Weg ins Bureau gesehen und Schubal hatte sofort
+begriffen? War es nicht das Schuldbewußtsein, das ihm den Verstand
+schärfte? Und Zeugen hatte er gleich mitgebracht und nannte sie noch
+außerdem unvoreingenommen und unbeeinflußt? Gaunerei, nichts als
+Gaunerei! Und die Herren duldeten das und anerkannten es noch als
+richtiges Benehmen? Warum hatte er zweifellos sehr viel Zeit zwischen
+der Meldung des Küchenmädchens und seiner Ankunft hier verstreichen
+lassen, doch zu keinem anderen Zwecke, als damit der Heizer die Herren
+so ermüde, daß sie allmählich ihre klare Urteilskraft verloren, welche
+Schubal vor allem zu fürchten hatte? Hatte er, der sicher schon lange
+hinter der Tür gestanden war, nicht erst in dem Augenblick geklopft, als
+er infolge der nebensächlichen Frage jenes Herrn hoffen durfte, der
+Heizer sei erledigt?
+
+Alles war klar und wurde ja auch von Schubal wider Willen so dargeboten,
+aber den Herren mußte man es anders, noch handgreiflicher zeigen. Sie
+brauchten Aufrüttelung. Also Karl, rasch, nütze jetzt wenigstens die
+Zeit aus, ehe die Zeugen auftreten und alles überschwemmen!
+
+Eben aber winkte der Kapitän dem Schubal ab, der daraufhin sofort – denn
+seine Angelegenheit schien für ein Weilchen aufgeschoben zu sein –
+beiseite trat und mit dem Diener, der sich ihm gleich angeschlossen
+hatte, eine leise Unterhaltung begann, bei der es an Seitenblicken nach
+dem Heizer und Karl sowie an den überzeugtesten Handbewegungen nicht
+fehlte. Schubal schien so seine nächste große Rede einzuüben.
+
+»Wollten Sie nicht den jungen Menschen etwas fragen, Herr Jakob?« sagte
+der Kapitän unter allgemeiner Stille zu dem Herrn mit dem
+Bambusstöckchen.
+
+»Allerdings,« sagte dieser, mit einer kleinen Neigung für die
+Aufmerksamkeit dankend. Und fragte dann Karl nochmals: »Wie heißen Sie
+eigentlich?«
+
+Karl, welcher glaubte, es sei im Interesse der großen Hauptsache
+gelegen, wenn dieser Zwischenfall des hartnäckigen Fragers bald erledigt
+würde, antwortete kurz, ohne, wie es seine Gewohnheit war, durch
+Vorweisung des Passes sich vorzustellen, den er erst hätte suchen
+müssen: »Karl Roßmann«.
+
+»Aber,« sagte der mit Jakob Angesprochene und trat zuerst fast
+ungläubig lächelnd zurück. Auch der Kapitän, der Oberkassier, der
+Schiffsoffizier, ja sogar der Diener zeigten deutlich ein übermäßiges
+Erstaunen wegen Karls Namen. Nur die Herren von der Hafenbehörde und
+Schubal verhielten sich gleichgültig.
+
+»Aber,« wiederholte Herr Jakob und trat mit etwas steifen Schritten auf
+Karl zu, »dann bin ich ja dein Onkel Jakob und du bist mein lieber
+Neffe. Ahnte ich es doch die ganze Zeit über!« sagte er zum Kapitän hin,
+ehe er Karl umarmte und küßte, der alles stumm geschehen ließ.
+
+»Wie heißen Sie?« fragte Karl, nachdem er sich losgelassen fühlte, zwar
+sehr höflich, aber gänzlich ungerührt, und strengte sich an, die Folgen
+abzusehen, welche dieses neue Ereignis für den Heizer haben dürfte.
+Vorläufig deutete nichts darauf hin, daß Schubal aus dieser Sache Nutzen
+ziehen könnte.
+
+»Begreifen Sie doch, junger Mann, Ihr Glück,« sagte der Kapitän, der
+durch Karls Frage die Würde der Person des Herrn Jakob verletzt glaubte,
+der sich zum Fenster gestellt hatte, offenbar, um sein aufgeregtes
+Gesicht, das er überdies mit einem Taschentuch betupfte, den andern
+nicht zeigen zu müssen. »Es ist der Senator Edward Jakob, der sich Ihnen
+als Ihr Onkel zu erkennen gegeben hat. Es erwartet Sie nunmehr, doch
+wohl ganz gegen Ihre bisherigen Erwartungen, eine glänzende Laufbahn.
+Versuchen Sie das einzusehen, so gut es im ersten Augenblick geht, und
+fassen Sie sich!«
+
+»Ich habe allerdings einen Onkel Jakob in Amerika,« sagte Karl zum
+Kapitän gewendet, »aber wenn ich recht verstanden habe, ist Jakob bloß
+der Zuname des Herrn Senators.«
+
+»So ist es,« sagte der Kapitän erwartungsvoll.
+
+»Nun, mein Onkel Jakob, welcher der Bruder meiner Mutter ist, heißt aber
+mit dem Taufnamen Jakob, während sein Zuname natürlich gleich jenem
+meiner Mutter lauten müßte, welche eine geborene Bendelmayer ist.«
+
+»Meine Herren!« rief der Senator, der von seinem Erholungsposten beim
+Fenster munter zurückkehrte, mit Bezug auf Karls Erklärung aus. Alle,
+mit Ausnahme der Hafenbeamten, brachen in Lachen aus, manche wie in
+Rührung, manche undurchdringlich.
+
+»So lächerlich war das, was ich gesagt habe, doch keineswegs,« dachte
+Karl.
+
+»Meine Herren,« wiederholte der Senator, »Sie nehmen gegen meinen und
+gegen Ihren Willen an einer kleinen Familienszene teil und ich kann
+deshalb nicht umhin, Ihnen eine Erläuterung zu geben, da, wie ich
+glaube, nur der Herr Kapitän« – diese Erwähnung hatte eine gegenseitige
+Verbeugung zur Folge – »vollständig unterrichtet ist.«
+
+»Jetzt muß ich aber wirklich auf jedes Wort achtgeben,« sagte sich Karl
+und freute sich, als er bei einem Seitwärtsschauen bemerkte, daß in die
+Figur des Heizers das Leben zurückzukehren begann.
+
+»Ich lebe seit allen den langen Jahren meines amerikanischen
+Aufenthaltes – das Wort Aufenthalt paßt hier allerdings schlecht für
+den amerikanischen Bürger, der ich mit ganzer Seele bin – seit allen den
+langen Jahren lebe ich also von meinen europäischen Verwandten
+vollständig abgetrennt, aus Gründen, die erstens nicht hierher gehören,
+und die zweitens zu erzählen, mich wirklich zu sehr hernehmen würde. Ich
+fürchte mich sogar vor dem Augenblick, wo ich vielleicht gezwungen sein
+werde, sie meinem lieben Neffen zu erzählen, wobei sich leider ein
+offenes Wort über seine Eltern und ihren Anhang nicht vermeiden lassen
+wird.«
+
+»Es ist mein Onkel, kein Zweifel,« sagte sich Karl und lauschte,
+»wahrscheinlich hat er seinen Namen ändern lassen.«
+
+»Mein lieber Neffe ist nun von seinen Eltern – sagen wir nur das Wort,
+das die Sache auch wirklich bezeichnet – einfach beiseitegeschafft
+worden, wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert. Ich will
+durchaus nicht beschönigen, was mein Neffe gemacht hat, daß er so
+gestraft wurde, aber sein Verschulden ist ein solches, daß sein
+einfaches Nennen schon genug Entschuldigung enthält.«
+
+»Das läßt sich hören,« dachte Karl, »aber ich will nicht, daß er es
+allen erzählt. Übrigens kann er es ja auch nicht wissen. Woher denn?«
+
+»Er wurde nämlich,« fuhr der Onkel fort und stützte sich mit kleinen
+Neigungen auf das vor ihm eingestemmte Bambusstöckchen, wodurch es ihm
+tatsächlich gelang, der Sache die unnötige Feierlichkeit zu nehmen, die
+sie sonst unbedingt gehabt hätte, »er wurde nämlich von einem
+Dienstmädchen, Johanna Brummer, einer etwa 35jährigen Person, verführt.
+Ich will mit dem Worte »verführt« meinen Neffen durchaus nicht kränken,
+aber es ist doch schwer, ein anderes, gleich passendes Wort zu finden.«
+
+Karl, der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten war, drehte sich hier
+um, um den Eindruck der Erzählung von den Gesichtern der Anwesenden
+abzulesen. Keiner lachte, alle hörten geduldig und ernsthaft zu.
+Schließlich lacht man auch nicht über den Neffen eines Senators bei der
+ersten Gelegenheit, die sich darbietet. Eher hätte man schon sagen
+können, daß der Heizer, wenn auch nur ganz wenig, Karl anlächelte, was
+aber erstens als neues Lebenszeichen erfreulich und zweitens
+entschuldbar war, da ja Karl in der Kabine aus dieser Sache, die jetzt
+so publik wurde, ein besonderes Geheimnis hatte machen wollen.
+
+»Nun hat diese Brummer,« setzte der Onkel fort, »von meinem Neffen ein
+Kind bekommen, einen gesunden Jungen, welcher in der Taufe den Namen
+Jakob erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit, welche, selbst
+in den sicher nur ganz nebensächlichen Erwähnungen meines Neffen, auf
+das Mädchen einen großen Eindruck gemacht haben muß. Glücklicherweise,
+sage ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung der Alimentenzahlung oder
+sonstigen bis an sie selbst heranreichenden Skandales – ich kenne, wie
+ich betonen muß, weder die dortigen Gesetze noch die sonstigen
+Verhältnisse der Eltern – da sie also zur Vermeidung der
+Alimentenzahlung und des Skandales ihren Sohn, meinen lieben Neffen,
+nach Amerika haben transportieren lassen, mit unverantwortlich
+ungenügender Ausrüstung, wie man sieht, so wäre der Junge, ohne die
+gerade noch in Amerika lebendigen Zeichen und Wunder, auf sich allein
+angewiesen, wohl schon gleich in einem Gäßchen im Hafen von New York
+verkommen, wenn nicht jenes Dienstmädchen in einem an mich gerichteten
+Brief, der nach langen Irrfahrten vorgestern in meinen Besitz kam, mir
+die ganze Geschichte samt Personenbeschreibung meines Neffen und
+vernünftigerweise auch Namensnennung des Schiffes mitgeteilt hätte. Wenn
+ich es darauf angelegt hätte, Sie, meine Herren, zu unterhalten, könnte
+ich wohl einige Stellen jenes Briefes« – er zog zwei riesige,
+engbeschriebene Briefbogen aus der Tasche und schwenkte sie – »hier
+vorlesen. Er würde sicher Wirkung machen, da er mit einer etwas
+einfachen, wenn auch immer gutgemeinten Schlauheit und mit viel Liebe zu
+dem Vater des Kindes geschrieben ist. Aber ich will weder Sie mehr
+unterhalten, als es zur Aufklärung nötig ist, noch vielleicht gar zum
+Empfang möglicherweise noch bestehende Gefühle meines Neffen verletzen,
+der den Brief, wenn er mag, in der Stille seines ihn schon erwartenden
+Zimmers zur Belehrung lesen kann.«
+
+Karl hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen. Im Gedränge einer immer
+mehr zurücktretenden Vergangenheit saß sie in ihrer Küche neben dem
+Küchenschrank, auf dessen Platte sie ihren Ellbogen stützte. Sie sah ihn
+an, wenn er hin und wieder in die Küche kam, um ein Glas zum
+Wassertrinken für seinen Vater zu holen oder einen Auftrag seiner
+Mutter auszurichten. Manchmal schrieb sie in der vertrackten Stellung
+seitlich vom Küchenschrank einen Brief und holte sich die Eingebungen
+von Karls Gesicht. Manchmal hielt sie die Augen mit der Hand verdeckt,
+dann drang keine Anrede zu ihr. Manchmal kniete sie in ihrem engen
+Zimmerchen neben der Küche und betete zu einem hölzernen Kreuz; Karl
+beobachtete sie dann nur mit Scheu im Vorübergehen durch die Spalte der
+ein wenig geöffneten Tür. Manchmal jagte sie in der Küche herum und fuhr
+wie eine Hexe lachend zurück, wenn Karl ihr in den Weg kam. Manchmal
+schloß sie die Küchentüre, wenn Karl eingetreten war und behielt die
+Klinke solange in der Hand, bis er wegzugehn verlangte. Manchmal holte
+sie Sachen, die er gar nicht haben wollte, und drückte sie ihm
+schweigend in die Hände. Einmal aber sagte sie »Karl« und führte ihn,
+der noch über die unerwartete Ansprache staunte, unter Grimassen
+seufzend in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte. Würgend umarmte sie
+seinen Hals und während sie ihn bat, sie zu entkleiden, entkleidete sie
+in Wirklichkeit ihn und legte ihn in ihr Bett, als wolle sie ihn von
+jetzt niemandem mehr lassen und ihn streicheln und pflegen bis zum Ende
+der Welt. »Karl, o du mein Karl!« rief sie, als sähe sie ihn und
+bestätige sich seinen Besitz, während er nicht das Geringste sah und
+sich unbehaglich in dem vielen warmen Bettzeug fühlte, das sie eigens
+für ihn aufgehäuft zu haben schien. Dann legte sie sich auch zu ihm und
+wollte irgendwelche Geheimnisse von ihm erfahren, aber er konnte ihr
+keine sagen und sie ärgerte sich im Scherz oder Ernst, schüttelte ihn,
+horchte sein Herz ab, bot ihre Brust zum gleichen Abhorchen hin, wozu
+sie Karl aber nicht bringen konnte, drückte ihren nackten Bauch an
+seinen Leib, suchte mit der Hand, so widerlich, daß Karl Kopf und Hals
+aus den Kissen heraus schüttelte, zwischen seinen Beinen, stieß dann den
+Bauch einige Male gegen ihn, ihm war, als sei sie ein Teil seiner selbst
+und vielleicht aus diesem Grunde hatte ihn eine entsetzliche
+Hilfsbedürftigkeit ergriffen. Weinend kam er endlich nach vielen
+Wiedersehenswünschen ihrerseits in sein Bett. Das war alles gewesen und
+doch verstand es der Onkel, daraus eine große Geschichte zu machen. Und
+die Köchin hatte also auch an ihn gedacht und den Onkel von seiner
+Ankunft verständigt. Das war schön von ihr gehandelt und er würde es ihr
+wohl noch einmal vergelten.
+
+»Und jetzt,« rief der Senator, »will ich von dir offen hören, ob ich
+dein Onkel bin oder nicht.«
+
+»Du bist mein Onkel,« sagte Karl und küßte ihm die Hand und wurde dafür
+auf die Stirne geküßt. »Ich bin sehr froh, daß ich dich getroffen habe,
+aber du irrst, wenn du glaubst, daß meine Eltern nur Schlechtes von dir
+reden. Aber auch abgesehen davon, sind in deiner Rede einige Fehler
+enthalten gewesen, das heißt, ich meine, es hat sich in Wirklichkeit
+nicht alles so zugetragen. Du kannst aber auch wirklich von hier aus die
+Dinge nicht so gut beurteilen, und ich glaube außerdem, daß es keinen
+besonderen Schaden bringen wird, wenn die Herren in Einzelheiten einer
+Sache, an der ihnen doch wirklich nicht viel liegen kann, ein wenig
+unrichtig informiert worden sind.«
+
+»Wohl gesprochen,« sagte der Senator, führte Karl vor den sichtlich
+teilnehmenden Kapitän und fragte: »Habe ich nicht einen prächtigen
+Neffen?«
+
+»Ich bin glücklich,« sagte der Kapitän mit einer Verbeugung, wie sie nur
+militärisch geschulte Leute zustandebringen, »Ihren Neffen, Herr
+Senator, kennen gelernt zu haben. Es ist eine besondere Ehre für mein
+Schiff, daß es den Ort eines solchen Zusammentreffens abgeben konnte.
+Aber die Fahrt im Zwischendeck war wohl sehr arg, ja, wer kann denn
+wissen, wer da mitgeführt wird. Nun, wir tun alles Mögliche, den Leuten
+im Zwischendeck die Fahrt möglichst zu erleichtern, viel mehr zum
+Beispiel, als die amerikanischen Linien, aber eine solche Fahrt zu einem
+Vergnügen zu machen, ist uns allerdings noch immer nicht gelungen.«
+
+»Es hat mir nicht geschadet,« sagte Karl.
+
+»Es hat ihm nicht geschadet!« wiederholte laut lachend der Senator.
+
+»Nur meinen Koffer fürchte ich verloren zu –« und damit erinnerte er
+sich an alles, was geschehen war und was noch zu tun übrigblieb, sah
+sich um und erblickte alle Anwesenden stumm vor Achtung und Staunen auf
+ihren früheren Plätzen, die Augen auf ihn gerichtet. Nur den
+Hafenbeamten sah man, soweit ihre strengen, selbstzufriedenen Gesichter
+einen Einblick gestatteten, das Bedauern an, zu so ungelegener Zeit
+gekommen zu sein und die Taschenuhr, die sie jetzt vor sich liegen
+hatten, war ihnen wahrscheinlich wichtiger, als alles, was im Zimmer
+vorging und vielleicht noch geschehen konnte.
+
+Der erste, welcher nach dem Kapitän seine Anteilnahme ausdrückte, war
+merkwürdigerweise der Heizer. »Ich gratuliere Ihnen herzlich,« sagte er
+und schüttelte Karl die Hand, womit er auch etwas wie Anerkennung
+ausdrücken wollte. Als er sich dann mit der gleichen Ansprache auch an
+den Senator wenden wollte, trat dieser zurück, als überschreite der
+Heizer damit seine Rechte; der Heizer ließ auch sofort ab.
+
+Die übrigen aber sahen jetzt ein, was zu tun war, und bildeten gleich um
+Karl und den Senator einen Wirrwarr. So geschah es, daß Karl sogar eine
+Gratulation Schubals erhielt, annahm und für sie dankte. Als letzte
+traten in der wieder entstandenen Ruhe die Hafenbeamten hinzu und sagten
+zwei englische Worte, was einen lächerlichen Eindruck machte.
+
+Der Senator war ganz in der Laune, um das Vergnügen vollständig
+auszukosten, nebensächlichere Momente sich und den anderen in Erinnerung
+zu bringen, was natürlich von allen nicht nur geduldet, sondern mit
+Interesse hingenommen wurde. So machte er darauf aufmerksam, daß er sich
+die in dem Brief der Köchin erwähnten hervorstechendsten
+Erkennungszeichen Karls in sein Notizbuch zu möglicherweise notwendigem
+augenblicklichen Gebrauch eingetragen hatte. Nun hatte er während des
+unerträglichen Geschwätzes des Heizers zu keinem anderen Zweck, als um
+sich abzulenken, das Notizbuch herausgezogen und die natürlich nicht
+gerade detektivisch richtigen Beobachtungen der Köchin mit Karls
+Aussehen zum Spiel in Verbindung zu bringen gesucht. »Und so findet man
+seinen Neffen!« schloß er in einem Ton, als wolle er noch einmal
+Gratulationen bekommen.
+
+»Was wird jetzt dem Heizer geschehen?« fragte Karl, vorbei an der
+letzten Erzählung des Onkels. Er glaubte in seiner neuen Stellung alles,
+was er dachte, auch aussprechen zu können.
+
+»Dem Heizer wird geschehen, was er verdient,« sagte der Senator, »und
+was der Herr Kapitän für gut erachtet. Ich glaube, wir haben von dem
+Heizer genug und übergenug, wozu mir jeder der anwesenden Herren sicher
+zustimmen wird.«
+
+»Darauf kommt es doch nicht an, bei einer Sache der Gerechtigkeit,«
+sagte Karl. Er stand zwischen dem Onkel und dem Kapitän, und glaubte,
+vielleicht durch diese Stellung beeinflußt, die Entscheidung in der Hand
+zu haben.
+
+Und trotzdem schien der Heizer nichts mehr für sich zu hoffen. Die Hände
+hielt er halb in dem Hosengürtel, der durch seine aufgeregten Bewegungen
+mit dem Streifen eines gemusterten Hemdes zum Vorschein gekommen war.
+Das kümmerte ihn nicht im geringsten, er hatte sein ganzes Leid geklagt,
+nun sollte man auch noch die paar Fetzen sehen, die er am Leibe hatte,
+und dann sollte man ihn forttragen. Er dachte sich aus, der Diener und
+Schubal, als die zwei hier im Range Tiefsten, sollten ihm diese letzte
+Güte erweisen. Schubal würde dann Ruhe haben und nicht mehr in
+Verzweiflung kommen, wie sich der Oberkassier ausgedrückt hatte. Der
+Kapitän würde lauter Rumänen anstellen können, es würde überall
+rumänisch gesprochen werden, und vielleicht würde dann wirklich alles
+besser gehen. Kein Heizer würde mehr in der Hauptkassa schwätzen, nur
+sein letztes Geschwätz würde man in ziemlich freundlicher Erinnerung
+behalten, da es, wie der Senator ausdrücklich erklärt hatte, die
+mittelbare Veranlassung zur Erkennung des Neffen gegeben hatte. Dieser
+Neffe hatte ihm übrigens vorher öfters zu nützen gesucht und daher für
+seinen Dienst bei der Wiedererkennung längst vorher einen mehr als
+genügenden Dank abgestattet; dem Heizer fiel gar nicht ein, jetzt noch
+etwas von ihm zu verlangen. Im übrigen, mochte er auch der Neffe des
+Senators sein, ein Kapitän war er noch lange nicht, aber aus dem Munde
+des Kapitäns würde schließlich das böse Wort fallen. – So wie es seiner
+Meinung entsprach, versuchte auch der Heizer nicht zu Karl hinzusehen,
+aber leider blieb in diesem Zimmer der Feinde kein anderer Ruheort für
+seine Augen.
+
+»Mißverstehe die Sachlage nicht,« sagte der Senator zu Karl, »es handelt
+sich vielleicht um eine Sache der Gerechtigkeit, aber gleichzeitig um
+eine Sache der Disziplin. Beides und ganz besonders das letztere
+unterliegt hier der Beurteilung des Herrn Kapitäns.«
+
+»So ist es,« murmelte der Heizer. Wer es merkte und verstand, lächelte
+befremdet.
+
+»Wir aber haben überdies den Herrn Kapitän in seinen Amtsgeschäften,
+die sich sicher gerade bei der Ankunft in New York unglaublich häufen,
+so sehr schon behindert, daß es höchste Zeit für uns ist, das Schiff zu
+verlassen, um nicht zum Überfluß auch noch durch irgendwelche höchst
+unnötige Einmischung diese geringfügige Zänkerei zweier Maschinisten zu
+einem Ereignis zu machen. Ich begreife deine Handlungsweise, lieber
+Neffe, übrigens vollkommen, aber gerade das gibt mir das Recht, dich
+eilends von hier fortzuführen.«
+
+»Ich werde sofort ein Boot für Sie flottmachen lassen,« sagte der
+Kapitän, ohne zum Erstaunen Karls auch nur den kleinsten Einwand gegen
+die Worte des Onkels vorzubringen, die doch zweifellos als eine
+Selbstdemütigung des Onkels angesehen werden konnten. Der Oberkassier
+eilte überstürzt zum Schreibtisch und telephonierte den Befehl des
+Kapitäns an den Bootsmeister.
+
+»Die Zeit drängt schon,« sagte sich Karl, »aber ohne alle zu beleidigen,
+kann ich nichts tun. Ich kann doch jetzt den Onkel nicht verlassen,
+nachdem er mich kaum wiedergefunden hat. Der Kapitän ist zwar höflich,
+aber das ist auch alles. Bei der Disziplin hört seine Höflichkeit auf,
+und der Onkel hat ihm sicher aus der Seele gesprochen. Mit Schubal will
+ich nicht reden, es tut mir sogar leid, daß ich ihm die Hand gereicht
+habe. Und alle anderen Leute hier sind Spreu.«
+
+Und er ging langsam in solchen Gedanken zum Heizer, zog dessen rechte
+Hand aus dem Gürtel und hielt sie spielend in der seinen. »Warum sagst
+du denn nichts?« fragte er. »Warum läßt du dir alles gefallen?«
+
+Der Heizer legte nur die Stirn in Falten, als suche er den Ausdruck für
+das, was er zu sagen habe. Im übrigen sah er auf Karls und seine Hand
+hinab.
+
+»Dir ist ja unrecht geschehen, wie keinem auf dem Schiff, das weiß ich
+ganz genau.« Und Karl zog seine Finger hin und her zwischen den Fingern
+des Heizers, der mit glänzenden Augen ringsumher schaute, als widerfahre
+ihm eine Wonne, die ihm aber niemand verübeln möge.
+
+»Du mußt dich aber zur Wehr setzen, ja und nein sagen, sonst haben doch
+die Leute keine Ahnung von der Wahrheit. Du mußt mir versprechen, daß du
+mir folgen wirst, denn ich selbst, das fürchte ich mit vielem Grund,
+werde dir gar nicht mehr helfen können.« Und nun weinte Karl, während er
+die Hand des Heizers küßte und nahm die rissige, fast leblose Hand und
+drückte sie an seine Wangen, wie einen Schatz, auf den man verzichten
+muß. – Da war aber auch schon der Onkel Senator an seiner Seite und zog
+ihn, wenn auch nur mit dem leichtesten Zwange, fort.
+
+»Der Heizer scheint dich bezaubert zu haben,« sagte er und sah
+verständnisinnig über Karls Kopf zum Kapitän hin. »Du hast dich
+verlassen gefühlt, da hast du den Heizer gefunden und bist ihm jetzt
+dankbar, das ist ja ganz löblich. Treibe das aber, schon mir zuliebe,
+nicht zu weit und lerne deine Stellung begreifen.«
+
+Vor der Türe entstand ein Lärmen, man hörte Rufe und es war sogar, als
+werde jemand brutal gegen die Türe gestoßen. Ein Matrose trat ein, etwas
+verwildert, und hatte eine Mädchenschürze umgebunden. »Es sind Leute
+draußen,« rief er und stieß einmal mit dem Ellbogen herum, als sei er
+noch im Gedränge. Endlich fand er seine Besinnung und wollte vor dem
+Kapitän salutieren, da bemerkte er die Mädchenschürze, riß sie herunter,
+warf sie zu Boden und rief: »Das ist ja ekelhaft, da haben sie mir eine
+Mädchenschürze umgebunden.« Dann aber klappte er die Hacken zusammen und
+salutierte. Jemand versuchte zu lachen, aber der Kapitän sagte streng:
+»Das nenne ich eine gute Laune. Wer ist denn draußen?«
+
+»Es sind meine Zeugen,« sagte Schubal vortretend, »ich bitte ergebenst
+um Entschuldigung für ihr unpassendes Benehmen. Wenn die Leute die
+Seefahrt hinter sich haben, sind sie manchmal wie toll.«
+
+»Rufen Sie sie sofort herein!« befahl der Kapitän und gleich sich zum
+Senator umwendend sagte er verbindlich, aber rasch: »Haben Sie jetzt die
+Güte, verehrter Herr Senator, mit Ihrem Herrn Neffen diesem Matrosen zu
+folgen, der Sie ins Boot bringen wird. Ich muß wohl nicht erst sagen,
+welches Vergnügen und welche Ehre mir das persönliche Bekanntwerden mit
+Ihnen, Herr Senator, bereitet hat. Ich wünsche mir nur, bald Gelegenheit
+zu haben, mit Ihnen, Herr Senator, unser unterbrochenes Gespräch über
+die amerikanischen Flottenverhältnisse wieder einmal aufnehmen zu können
+und dann vielleicht neuerdings auf so angenehme Weise, wie heute,
+unterbrochen zu werden.«
+
+»Vorläufig genügt mir dieser eine Neffe,« sagte der Onkel lachend. »Und
+nun nehmen Sie meinen besten Dank für Ihre Liebenswürdigkeit und leben
+Sie wohl. Es wäre übrigens gar nicht so unmöglich, daß wir« – er drückte
+Karl herzlich an sich – »bei unserer nächsten Europareise vielleicht für
+längere Zeit mit Ihnen zusammenkommen könnten.«
+
+»Es würde mich herzlich freuen,« sagte der Kapitän. Die beiden Herren
+schüttelten einander die Hände, Karl konnte nur noch stumm und flüchtig
+seine Hand dem Kapitän reichen, denn dieser war bereits von den
+vielleicht fünfzehn Leuten in Anspruch genommen, welche unter Führung
+Schubals zwar etwas betroffen, aber doch sehr laut einzogen. Der Matrose
+bat den Senator, vorausgehen zu dürfen und teilte dann die Menge für ihn
+und Karl, die leicht zwischen den sich verbeugenden Leuten durchkamen.
+Es schien, daß diese im übrigen gutmütigen Leute den Streit Schubals mit
+dem Heizer als einen Spaß auffaßten, dessen Lächerlichkeit nicht einmal
+vor dem Kapitän aufhöre. Karl bemerkte unter ihnen auch das
+Küchenmädchen Line, welche, ihm lustig zuzwinkernd, die vom Matrosen
+hingeworfene Schürze umband, denn es war die ihrige.
+
+Weiter dem Matrosen folgend verließen sie das Bureau und bogen in einen
+kleinen Gang ein, der sie nach ein paar Schritten zu einem Türchen
+brachte, von dem aus eine kurze Treppe in das Boot hinabführte, welches
+für sie vorbereitet war. Die Matrosen im Boot, in das ihr Führer gleich
+mit einem einzigen Satz hinuntersprang, erhoben sich und salutierten.
+Der Senator gab Karl gerade eine Ermahnung zu vorsichtigem
+Hinuntersteigen, als Karl noch auf der obersten Stufe in heftiges
+Weinen ausbrach. Der Senator legte die rechte Hand unter Karls Kinn,
+hielt ihn fest an sich gepreßt und streichelte ihn mit der linken Hand.
+So gingen sie langsam Stufe für Stufe hinab und traten engverbunden ins
+Boot, wo der Senator für Karl gerade sich gegenüber einen guten Platz
+aussuchte. Auf ein Zeichen des Senators stießen die Matrosen vom Schiffe
+ab und waren gleich in voller Arbeit. Kaum waren sie ein paar Meter vom
+Schiff entfernt, machte Karl die unerwartete Entdeckung, daß sie sich
+gerade auf jener Seite des Schiffes befanden, wohin die Fenster der
+Hauptkassa gingen. Alle drei Fenster waren mit Zeugen Schubals besetzt,
+welche freundschaftlichst grüßten und winkten, sogar der Onkel dankte,
+und ein Matrose machte das Kunststück, ohne eigentlich das gleichmäßige
+Rudern zu unterbrechen, eine Kußhand hinaufzuschicken. Es war wirklich,
+als gebe es keinen Heizer mehr. Karl faßte den Onkel, mit dessen Knien
+sich die seinen fast berührten, genauer ins Auge, und es kamen ihm
+Zweifel, ob dieser Mann ihm jemals den Heizer werde ersetzen können.
+Auch wich der Onkel seinem Blicke aus und sah auf die Wellen hin, von
+denen ihr Boot umschwankt wurde.
+
+
+
+[Anmerkungen zur Transkription: Dieses elektronische Buch wurde auf
+Grundlage der Erstausgabe erstellt.
+
+Nach dem Korrekturlesen auf PGDP wurde der Text mit der eigens für
+diesen Zweck eingescannten Fassung aus »Franz Kafka: Die Erzählungen –
+Originalfassung, Fischer Taschenbuchverlag, 8. Auflage: August 2003«
+verglichen. Jene Fassung basiert auf der Kritischen Kafka-Ausgabe.
+Entsprechend dieser Textvergleiche wurden folgende Korrekturen
+vorgenommen:
+
+p 05: sechszehnjährige -> sechzehnjährige
+p 08: »Ja, warum haben sie -> Sie
+p 21: Kofferchen -> Köfferchen
+p 34: beseitegeschafft -> beiseitegeschafft
+p 42: in Verzweiflung kommen wie -> kommen, wie ]
+
+
+
+[Transcriber’s Note: This ebook has been prepared from scans of a first
+edition copy.
+
+After proofreading on PGDP had been completed, the text was compared
+with another version scanned from a recent printing of »Franz Kafka: Die
+Erzählungen – Originalfassung, Fischer Taschenbuchverlag, 8. Auflage:
+August 2003«; which follows the critical edition of Kafka’s works. While
+I kept most of the peculiarities of the first edition, I corrected the
+following list of words and punctuation which I believe to be misprints:
+
+p 05: sechszehnjährige -> sechzehnjährige
+p 08: »Ja, warum haben sie -> Sie
+p 21: Kofferchen -> Köfferchen
+p 34: beseitegeschafft -> beiseitegeschafft
+p 42: in Verzweiflung kommen wie -> kommen, wie ]
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Der Heizer, by Franz Kafka
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HEIZER ***
+
+***** This file should be named 16304-0.txt or 16304-0.zip *****
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+Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
+individual work is in the public domain in the United States and you are
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+are removed. Of course, we hope that you will support the Project
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+
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+must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
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+permission of the copyright holder found at the beginning of this work.
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+work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.
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+electronic work, or any part of this electronic work, without
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+Gutenberg-tm License.
+
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+compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
+word processing or hypertext form. However, if you provide access to or
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+you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
+copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
+request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
+form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
+License as specified in paragraph 1.E.1.
+
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+electronic work or group of works on different terms than are set
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+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
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+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
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+The Project Gutenberg EBook of Der Heizer, by Franz Kafka
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Der Heizer
+ Ein Fragment
+
+Author: Franz Kafka
+
+Release Date: July 15, 2005 [EBook #16304]
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HEIZER ***
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+Produced by Markus Brenner and the Online Distributed
+Proofreading Team at https://www.pgdp.net
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+ Franz Kafka
+
+ Der Heizer
+
+ Ein Fragment
+
+
+ 1913
+ Kurt Wolff Verlag * Leipzig
+
+
+
+ Dies Buch wurde
+ gedruckt im Mai 1913 als dritter
+ Band der Bücherei »Der jüngste Tag« bei
+ Poeschel & Trepte in Leipzig
+
+
+COPYRIGHT BY KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG 1913
+
+
+
+
+Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach
+Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und
+ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff
+in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er die schon längst
+beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker
+gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings
+empor und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.
+
+»So hoch!« sagte er sich und wurde, wie er so gar nicht an das Weggehen
+dachte, von der immer mehr anschwellenden Menge der Gepäckträger, die an
+ihm vorüberzogen, allmählich bis an das Bordgeländer geschoben.
+
+Ein junger Mann, mit dem er während der Fahrt flüchtig bekannt geworden
+war, sagte im Vorübergehen: »Ja, haben Sie denn noch keine Lust,
+auszusteigen?« »Ich bin doch fertig,« sagte Karl, ihn anlachend, und hob
+aus Übermut, und weil er ein starker Junge war, seinen Koffer auf die
+Achsel. Aber wie er über seinen Bekannten hinsah, der ein wenig seinen
+Stock schwenkend sich schon mit den andern entfernte, merkte er
+bestürzt, daß er seinen eigenen Regenschirm unten im Schiff vergessen
+hatte. Er bat schnell den Bekannten, der nicht sehr beglückt schien, um
+die Freundlichkeit, bei seinem Koffer einen Augenblick zu warten,
+überblickte noch die Situation, um sich bei der Rückkehr zurechtzufinden
+und eilte davon. Unten fand er zu seinem Bedauern einen Gang, der seinen
+Weg sehr verkürzt hätte, zum erstenmal versperrt, was wahrscheinlich mit
+der Ausschiffung sämtlicher Passagiere zusammenhing und mußte sich
+seinen Weg durch eine Unzahl kleiner Räume, über kurze Treppen, die
+einander immer wieder folgten, durch fortwährend abbiegende Korridore,
+durch ein leeres Zimmer mit einem verlassenen Schreibtisch mühselig
+suchen, bis er sich tatsächlich, da er diesen Weg nur ein- oder zweimal
+und immer in größerer Gesellschaft gegangen war, ganz und gar verirrt
+hatte. In seiner Ratlosigkeit und da er keinen Menschen traf und nur
+immerfort über sich das Scharren der tausend Menschenfüße hörte und von
+der Ferne, wie einen Hauch, das letzte Arbeiten der schon eingestellten
+Maschinen merkte, fing er, ohne zu überlegen, an eine beliebige kleine
+Tür zu schlagen an, bei der er in seinem Herumirren stockte.
+
+»Es ist ja offen,« rief es von innen, und Karl öffnete mit ehrlichem
+Aufatmen die Tür. »Warum schlagen Sie so verrückt auf die Tür?« fragte
+ein riesiger Mann, kaum daß er nach Karl hinsah. Durch irgendeine
+Oberlichtluke fiel ein trübes, oben im Schiff längst abgebrauchtes Licht
+in die klägliche Kabine, in welcher ein Bett, ein Schrank, ein Sessel
+und der Mann knapp nebeneinander, wie eingelagert, standen. »Ich habe
+mich verirrt,« sagte Karl, »ich habe es während der Fahrt gar nicht so
+bemerkt, aber es ist ein schrecklich großes Schiff.« »Ja, da haben Sie
+recht,« sagte der Mann mit einigem Stolz und hörte nicht auf, an dem
+Schloß eines kleinen Koffers zu hantieren, den er mit beiden Händen
+immer wieder zudrückte, um das Einschnappen des Riegels zu behorchen.
+»Aber kommen Sie doch herein!« sagte der Mann weiter, »Sie werden doch
+nicht draußen stehn!« »Störe ich nicht?« fragte Karl. »Ach, wie werden
+Sie denn stören!« »Sind Sie ein Deutscher?« suchte sich Karl noch zu
+versichern, da er viel von den Gefahren gehört hatte, welche besonders
+von Irländern den Neuankömmlingen in Amerika drohen. »Bin ich, bin ich,«
+sagte der Mann. Karl zögerte noch. Da faßte unversehens der Mann die
+Türklinke und schob mit der Türe, die er rasch schloß, Karl zu sich
+herein. »Ich kann es nicht leiden, wenn man mir vom Gang hereinschaut,«
+sagte der Mann, der wieder an seinem Koffer arbeitete, »da läuft jeder
+vorbei und schaut herein, das soll der Zehnte aushalten!« »Aber der Gang
+ist doch ganz leer,« sagte Karl, der unbehaglich an den Bettpfosten
+gequetscht dastand. »Ja, jetzt,« sagte der Mann. »Es handelt sich doch
+um jetzt,« dachte Karl, »mit dem Mann ist schwer zu reden.« »Legen Sie
+sich doch aufs Bett, da haben Sie mehr Platz,« sagte der Mann. Karl
+kroch, so gut es ging, hinein und lachte dabei laut über den ersten
+vergeblichen Versuch, sich hinüberzuschwingen. Kaum war er aber im Bett,
+rief er: »Gottes Willen, ich habe ja ganz meinen Koffer vergessen!« »Wo
+ist er denn?« »Oben auf dem Deck, ein Bekannter gibt acht auf ihn. Wie
+heißt er nur?« Und er zog aus einer Geheimtasche, die ihm seine Mutter
+für die Reise im Rockfutter angelegt hatte, eine Visitkarte.
+»Butterbaum, Franz Butterbaum.« »Haben Sie den Koffer sehr nötig?«
+»Natürlich.« »Ja, warum haben Sie ihn dann einem fremden Menschen
+gegeben?« »Ich hatte meinen Regenschirm unten vergessen und bin
+gelaufen, ihn zu holen, wollte aber den Koffer nicht mitschleppen. Dann
+habe ich mich auch noch verirrt.« »Sie sind allein? Ohne Begleitung?«
+»Ja, allein.« »Ich sollte mich vielleicht an diesen Mann halten,« ging
+es Karl durch den Kopf, »wo finde ich gleich einen besseren Freund.«
+»Und jetzt haben Sie auch noch den Koffer verloren. Vom Regenschirm rede
+ich gar nicht.« Und der Mann setzte sich auf den Sessel, als habe Karls
+Sache jetzt einiges Interesse für ihn gewonnen. »Ich glaube aber, der
+Koffer ist noch nicht verloren.« »Glauben macht selig,« sagte der Mann
+und kratzte sich kräftig in seinem dunklen, kurzen, dichten Haar, »auf
+dem Schiff wechseln mit den Hafenplätzen auch die Sitten. In Hamburg
+hätte Ihr Butterbaum den Koffer vielleicht bewacht, hier ist
+höchstwahrscheinlich von beiden keine Spur mehr.« »Da muß ich aber doch
+gleich hinaufschaun,« sagte Karl und sah sich um, wie er hinauskommen
+könnte. »Bleiben Sie nur,« sagte der Mann und stieß ihn mit einer Hand
+gegen die Brust, geradezu rauh, ins Bett zurück. »Warum denn?« fragte
+Karl ärgerlich. »Weil es keinen Sinn hat,« sagte der Mann »in einem
+kleinen Weilchen gehe ich auch, dann gehen wir zusammen. Entweder ist
+der Koffer gestohlen, dann ist keine Hilfe, oder der Mensch bewacht ihn
+noch immer, dann ist er ein Dummkopf und soll weiter wachen, oder er ist
+bloß ein ehrlicher Mensch und hat den Koffer stehen gelassen, dann
+werden wir ihn, bis das Schiff ganz entleert ist, desto besser finden.
+Ebenso auch Ihren Regenschirm.« »Kennen Sie sich auf dem Schiff aus?«
+fragte Karl mißtrauisch und es schien ihm, als hätte der sonst
+überzeugende Gedanke, daß auf dem leeren Schiff seine Sachen am besten
+zu finden sein würden, einen verborgenen Haken. »Ich bin doch
+Schiffsheizer,« sagte der Mann. »Sie sind Schiffsheizer!« rief Karl
+freudig, als überstiege das alle Erwartungen, und sah, den Ellbogen
+aufgestützt, den Mann näher an. »Gerade vor der Kammer, wo ich mit den
+Slowaken geschlafen habe, war eine Luke angebracht, durch die man in den
+Maschinenraum sehen konnte.« »Ja, dort habe ich gearbeitet,« sagte der
+Heizer. »Ich habe mich immer so für Technik interessiert,« sagte Karl,
+der in einem bestimmten Gedankengang blieb, »und ich wäre sicher später
+Ingenieur geworden, wenn ich nicht nach Amerika hätte fahren müssen.«
+»Warum haben Sie denn fahren müssen?« »Ach was!« sagte Karl und warf die
+ganze Geschichte mit der Hand weg. Dabei sah er lächelnd den Heizer an,
+als bitte er ihn selbst für das Nichteingestandene um seine Nachsicht.
+»Es wird schon einen Grund gehabt haben,« sagte der Heizer und man wußte
+nicht recht, ob er damit die Erzählung dieses Grundes fordern oder
+abwehren wollte. »Jetzt könnte ich auch Heizer werden,« sagte Karl,
+»meinen Eltern ist es jetzt ganz gleichgültig, was ich werde.« »Meine
+Stelle wird frei,« sagte der Heizer, gab im Vollbewußtsein dessen die
+Hände in die Hosentaschen und warf die Beine, die in faltigen,
+lederartigen, eisengrauen Hosen steckten, aufs Bett hin, um sie zu
+strecken. Karl mußte mehr an die Wand rücken. »Sie verlassen das
+Schiff?« »Jawohl, wir marschieren heute ab.« »Warum denn? Gefällt es
+Ihnen nicht?« »Ja, das sind die Verhältnisse, es entscheidet nicht
+immer, ob es einem gefällt oder nicht. Übrigens haben Sie recht, es
+gefällt mir auch nicht. Sie denken wahrscheinlich nicht ernstlich daran,
+Heizer zu werden, aber gerade dann kann man es am leichtesten werden.
+Ich also rate Ihnen entschieden ab. Wenn Sie in Europa studieren
+wollten, warum wollen Sie es denn hier nicht? Die amerikanischen
+Universitäten sind ja unvergleichlich besser als die europäischen.« »Es
+ist ja möglich,« sagte Karl, »aber ich habe ja fast kein Geld zum
+Studieren. Ich habe zwar von irgendjemandem gelesen, der bei Tag in
+einem Geschäft gearbeitet und in der Nacht studiert hat, bis er Doktor
+und ich glaube Bürgermeister wurde, aber dazu gehört doch eine große
+Ausdauer, nicht? Ich fürchte, die fehlt mir. Außerdem war ich gar kein
+besonders guter Schüler, der Abschied von der Schule ist mir wirklich
+nicht schwer geworden. Und die Schulen hier sind vielleicht noch
+strenger. Englisch kann ich fast gar nicht. Überhaupt ist man hier gegen
+Fremde so eingenommen, glaube ich.« »Haben Sie das auch schon erfahren?
+Na, dann ist's gut. Dann sind Sie mein Mann. Sehen Sie, wir sind doch
+auf einem deutschen Schiff, es gehört der Hamburg-Amerika-Linie, warum
+sind wir nicht lauter Deutsche hier? Warum ist der Obermaschinist ein
+Rumäne? Er heißt Schubal. Das ist doch nicht zu glauben. Und dieser
+Lumpenhund schindet uns Deutsche auf einem deutschen Schiff. Glauben Sie
+nicht« -- ihm ging die Luft aus, er fackelte mit der Hand -- »daß ich
+klage, um zu klagen. Ich weiß, daß Sie keinen Einfluß haben und selbst
+ein armes Bürschchen sind. Aber es ist zu arg!« Und er schlug auf den
+Tisch mehrmals mit der Faust und ließ kein Auge von ihr, während er
+schlug. »Ich habe doch schon auf so vielen Schiffen gedient« -- und er
+nannte zwanzig Namen hintereinander als sei es ein Wort, Karl wurde ganz
+wirr -- »und habe mich ausgezeichnet, bin belobt worden, war ein Arbeiter
+nach dem Geschmack meiner Kapitäne, sogar auf dem gleichen Handelssegler
+war ich einige Jahre« -- er erhob sich, als sei das der Höhepunkt seines
+Lebens -- »und hier auf diesem Kasten, wo alles nach der Schnur
+eingerichtet ist, wo kein Witz erfordert wird, hier taug' ich nichts,
+hier stehe ich dem Schubal immer im Wege, bin ein Faulpelz, verdiene
+hinausgeworfen zu werden und bekomme meinen Lohn aus Gnade. Verstehen
+Sie das? Ich nicht.« »Das dürfen Sie sich nicht gefallen lassen,« sagte
+Karl aufgeregt. Er hatte fast das Gefühl davon verloren, daß er auf dem
+unsicheren Boden eines Schiffes, an der Küste eines unbekannten Erdteils
+war, so heimisch war ihm hier auf dem Bett des Heizers zumute. »Waren
+Sie schon beim Kapitän? Haben Sie schon bei ihm Ihr Recht gesucht?« »Ach
+gehen Sie, gehen Sie lieber weg. Ich will Sie nicht hier haben. Sie
+hören nicht zu was ich sage und geben mir Ratschläge. Wie soll ich denn
+zum Kapitän gehen!« Und müde setzte sich der Heizer wieder und legte das
+Gesicht in beide Hände.
+
+»Einen besseren Rat kann ich ihm nicht geben,« sagte sich Karl. Und er
+fand überhaupt, daß er lieber seinen Koffer hätte holen sollen, statt
+hier Ratschläge zu geben, die doch nur für dumm gehalten wurden. Als ihm
+der Vater den Koffer für immer übergeben hatte, hatte er im Scherz
+gefragt: »Wielange wirst Du ihn haben?« und jetzt war dieser teuere
+Koffer vielleicht schon im Ernst verloren. Der einzige Trost war noch,
+daß der Vater von seiner jetzigen Lage kaum erfahren konnte, selbst wenn
+er nachforschen sollte. Nur daß er bis New York mitgekommen war, konnte
+die Schiffsgesellschaft gerade noch sagen. Leid tat es aber Karl, daß er
+die Sachen im Koffer noch kaum verwendet hatte, trotzdem er es
+beispielsweise längst nötig gehabt hätte, das Hemd zu wechseln. Da hatte
+er also am unrichtigen Ort gespart; jetzt, wo er es gerade am Beginn
+seiner Laufbahn nötig haben würde, rein gekleidet aufzutreten, würde er
+im schmutzigen Hemd erscheinen müssen. Sonst wäre der Verlust des
+Koffers nicht gar so arg gewesen, denn der Anzug, den er anhatte, war
+sogar besser, als jener im Koffer, der eigentlich nur ein Notanzug war,
+den die Mutter noch knapp vor der Abreise hatte flicken müssen. Jetzt
+erinnerte er sich auch, daß im Koffer noch ein Stück Veroneser Salami
+war, die ihm die Mutter als Extragabe eingepackt hatte, von der er
+jedoch nur den kleinsten Teil hatte aufessen können, da er während der
+Fahrt ganz ohne Appetit gewesen war und die Suppe, die im Zwischendeck
+zur Verteilung kam, ihm reichlich genügt hatte. Jetzt hätte er aber die
+Wurst gern bei der Hand gehabt, um sie dem Heizer zu verehren. Denn
+solche Leute sind leicht gewonnen, wenn man ihnen irgendeine Kleinigkeit
+zusteckt, das wußte Karl noch von seinem Vater her, welcher durch
+Zigarrenverteilung alle die niedrigeren Angestellten gewann, mit denen
+er geschäftlich zu tun hatte. Jetzt besaß Karl an Verschenkbarem nur
+noch sein Geld, und das wollte er, wenn er schon vielleicht den Koffer
+verloren haben sollte, vorläufig nicht anrühren. Wieder kehrten seine
+Gedanken zum Koffer zurück, und er konnte jetzt wirklich nicht einsehen,
+warum er den Koffer während der Fahrt so aufmerksam bewacht hatte, daß
+ihm die Wache fast den Schlaf gekostet hatte, wenn er jetzt diesen
+gleichen Koffer so leicht sich hatte wegnehmen lassen. Er erinnerte sich
+an die fünf Nächte, während derer er einen kleinen Slowaken, der zwei
+Schlafstellen links von ihm gelegen war, unausgesetzt im Verdacht gehabt
+hatte, daß er es auf seinen Koffer abgesehen habe. Dieser Slowake hatte
+nur darauf gelauert, daß Karl endlich, von Schwäche befallen, für einen
+Augenblick einnicke, damit er den Koffer mit einer langen Stange, mit
+der er immer während des Tages spielte oder übte, zu sich hinüberziehen
+könne. Bei Tag sah dieser Slowake genug unschuldig aus, aber kaum war
+die Nacht gekommen, erhob er sich von Zeit zu Zeit von seinem Lager und
+sah traurig zu Karls Koffer hinüber. Karl konnte dies ganz deutlich
+erkennen, denn immer hatte hie und da jemand mit der Unruhe des
+Auswanderers ein Lichtchen angezündet, trotzdem dies nach der
+Schiffsordnung verboten war, und versuchte, unverständliche Prospekte
+der Auswanderungsagenturen zu entziffern. War ein solches Licht in der
+Nähe, dann konnte Karl ein wenig eindämmern, war es aber in der Ferne,
+oder war dunkel, dann mußte er die Augen offenhalten. Diese Anstrengung
+hatte ihn recht erschöpft, und nun war sie vielleicht ganz umsonst
+gewesen. Dieser Butterbaum, wenn er ihn einmal irgendwo treffen sollte!
+
+In diesem Augenblick ertönten draußen in weiter Ferne in die bisherige
+vollkommene Ruhe hinein kleine kurze Schläge, wie von Kinderfüßen, sie
+kamen näher mit verstärktem Klang und nun war es ein ruhiger Marsch von
+Männern. Sie gingen offenbar, wie es in dem schmalen Gang natürlich war,
+in einer Reihe, man hörte Klirren wie von Waffen. Karl, der schon nahe
+daran gewesen war, sich im Bett zu einem von allen Sorgen um Koffer und
+Slowaken befreiten Schlafe auszustrecken, schreckte auf und stieß den
+Heizer an, um ihn endlich aufmerksam zu machen, denn der Zug schien mit
+seiner Spitze die Tür gerade erreicht zu haben. »Das ist die
+Schiffskapelle,« sagte der Heizer, »die haben oben gespielt und gehen
+jetzt einpacken. Jetzt ist alles fertig und wir können gehen. Kommen
+Sie!« Er faßte Karl bei der Hand, nahm noch im letzten Augenblick ein
+eingerahmtes Muttergottesbild von der Wand über dem Bett, stopfte es in
+seine Brusttasche, ergriff seinen Koffer und verließ mit Karl eilig die
+Kabine.
+
+»Jetzt gehe ich ins Bureau und werde den Herren meine Meinung sagen. Es
+ist kein Passagier mehr da, man muß keine Rücksicht nehmen«. Dieses
+wiederholte der Heizer verschiedenartig und wollte im Gehen mit
+Seitwärtsstoßen des Fußes eine den Weg kreuzende Ratte niedertreten,
+stieß sie aber bloß schneller in das Loch hinein, das sie noch
+rechtzeitig erreicht hatte. Er war überhaupt langsam in seinen
+Bewegungen, denn wenn er auch lange Beine hatte, so waren sie doch zu
+schwer.
+
+Sie kamen durch eine Abteilung der Küche, wo einige Mädchen in
+schmutzigen Schürzen -- sie begossen sie absichtlich -- Geschirr in großen
+Bottichen reinigten. Der Heizer rief eine gewisse Line zu sich, legte
+den Arm um ihre Hüfte und führte sie, die sich immerzu kokett gegen
+seinen Arm drückte, ein Stückchen mit. »Es gibt jetzt Auszahlung, willst
+du mitkommen?« fragte er. »Warum soll ich mich bemühn, bring mir das
+Geld lieber her,« antwortete sie, schlüpfte unter seinem Arm durch und
+lief davon. »Wo hast du denn den schönen Knaben aufgegabelt?« rief sie
+noch, wollte aber keine Antwort mehr. Man hörte das Lachen aller
+Mädchen, die ihre Arbeit unterbrochen hatten.
+
+Sie gingen aber weiter und kamen an eine Tür, die oben einen kleinen
+Vorgiebel hatte, der von kleinen, vergoldeten Karyatiden getragen war.
+Für eine Schiffseinrichtung sah das recht verschwenderisch aus. Karl
+war, wie er merkte, niemals in diese Gegend gekommen, die
+wahrscheinlich während der Fahrt den Passagieren der ersten und zweiten
+Klasse vorbehalten gewesen war, während man jetzt vor der großen
+Schiffsreinigung die Trennungstüren ausgehoben hatte. Sie waren auch
+tatsächlich schon einigen Männern begegnet, die Besen an der Schulter
+trugen und den Heizer gegrüßt hatten. Karl staunte über den großen
+Betrieb, in seinem Zwischendeck hatte er davon freilich wenig erfahren.
+Entlang der Gänge zogen sich auch Drähte elektrischer Leitungen und eine
+kleine Glocke hörte man immerfort.
+
+Der Heizer klopfte respektvoll an der Türe an und forderte, als man
+»herein« rief, Karl mit einer Handbewegung auf, ohne Furcht einzutreten.
+Er trat auch ein, aber blieb an der Türe stehen. Vor den drei Fenstern
+des Zimmers sah er die Wellen des Meeres und bei Betrachtung ihrer
+fröhlichen Bewegung schlug ihm das Herz, als hätte er nicht fünf lange
+Tage das Meer ununterbrochen gesehen. Große Schiffe kreuzten gegenseitig
+ihre Wege und gaben dem Wellenschlag nur soweit nach als es ihre Schwere
+erlaubte. Wenn man die Augen klein machte, schienen diese Schiffe vor
+lauter Schwere zu schwanken. Auf ihren Masten trugen sie schmale, aber
+lange Flaggen, die zwar durch die Fahrt gestrafft wurden, trotzdem aber
+noch hin- und herzappelten. Wahrscheinlich von Kriegsschiffen her
+erklangen Salutschüsse, die Kanonenrohre eines solchen nicht allzuweit
+vorüberfahrenden Schiffes, strahlend mit dem Reflex ihres Stahlmantels,
+waren wie gehätschelt von der sicheren, glatten und doch nicht
+wagrechten Fahrt. Die kleinen Schiffchen und Boote konnte man,
+wenigstens von der Tür aus, nur in der Ferne beobachten, wie sie in
+Mengen in die Öffnungen zwischen den großen Schiffen einliefen. Hinter
+alledem aber stand New York und sah Karl mit den hunderttausend Fenstern
+seiner Wolkenkratzer an. Ja, in diesem Zimmer wußte man, wo man war.
+
+An einem runden Tisch saßen drei Herren, der eine ein Schiffsoffizier in
+blauer Schiffsuniform, die zwei anderen, Beamte der Hafenbehörde, in
+schwarzen, amerikanischen Uniformen. Auf dem Tisch lagen,
+hochaufgeschichtet, verschiedene Dokumente, welche der Offizier zuerst
+mit der Feder in der Hand überflog, um sie dann den beiden anderen zu
+reichen, die bald lasen, bald exzerpierten, bald in ihre Aktentaschen
+einlegten, wenn nicht gerade der eine, der fast ununterbrochen ein
+kleines Geräusch mit den Zähnen vollführte, seinem Kollegen etwas in ein
+Protokoll diktierte.
+
+Am Fenster saß an einem Schreibtisch, den Rücken der Türe zugewendet,
+ein kleinerer Herr, der mit großen Folianten hantierte, die auf einem
+starken Bücherbrett in Kopfhöhe vor ihm aneinander gereiht waren. Neben
+ihm stand eine offene, wenigstens auf den ersten Blick leere Kassa.
+
+Das zweite Fenster war leer und gab den besten Ausblick. In der Nähe des
+dritten aber standen zwei Herren in halblautem Gespräch. Der eine lehnte
+neben dem Fenster, trug auch die Schiffsuniform und spielte mit dem
+Griff des Degens. Derjenige, mit dem er sprach, war dem Fenster
+zugewendet und enthüllte hie und da durch eine Bewegung einen Teil der
+Ordensreihe auf der Brust des andern. Er war in Zivil und hatte ein
+dünnes Bambusstöckchen, das, da er beide Hände an den Hüften festhielt,
+auch wie ein Degen abstand.
+
+Karl hatte nicht viel Zeit, alles anzusehen, denn bald trat ein Diener
+auf sie zu und fragte den Heizer mit einem Blick, als gehöre er nicht
+hierher, was er denn wolle. Der Heizer antwortete, so leise als er
+gefragt wurde, er wolle mit dem Herrn Oberkassier reden. Der Diener
+lehnte für seinen Teil mit einer Handbewegung diese Bitte ab, ging aber
+dennoch auf den Fußspitzen, dem runden Tisch in großem Bogen
+ausweichend, zu dem Herrn mit den Folianten. Dieser Herr -- das sah man
+deutlich -- erstarrte geradezu unter den Worten des Dieners, kehrte sich
+aber endlich nach dem Manne um, der ihn zu sprechen wünschte, und
+fuchtelte dann, streng abwehrend, gegen den Heizer und der Sicherheit
+halber auch gegen den Diener hin. Der Diener kehrte darauf zum Heizer
+zurück und sagte in einem Tone, als vertraue er ihm etwas an: »Scheren
+Sie sich sofort aus dem Zimmer!«
+
+Der Heizer sah nach dieser Antwort zu Karl hinunter, als sei dieser sein
+Herz, dem er stumm seinen Jammer klage. Ohne weitere Besinnung machte
+sich Karl los, lief quer durchs Zimmer, daß er sogar leicht an den
+Sessel des Offiziers streifte, der Diener lief gebeugt mit zum Umfangen
+bereiten Armen, als jage er ein Ungeziefer, aber Karl war der erste beim
+Tisch des Oberkassiers, wo er sich festhielt, für den Fall, daß der
+Diener versuchen sollte, ihn fortzuziehen.
+
+Natürlich wurde gleich das ganze Zimmer lebendig. Der Schiffsoffizier am
+Tisch war aufgesprungen, die Herren von der Hafenbehörde sahen ruhig,
+aber aufmerksam zu, die beiden Herren am Fenster waren nebeneinander
+getreten, der Diener, welcher glaubte, er sei dort, wo schon die hohen
+Herren Interesse zeigten, nicht mehr am Platze, trat zurück. Der Heizer
+an der Tür wartete angespannt auf den Augenblick, bis seine Hilfe nötig
+würde. Der Oberkassier endlich machte in seinem Lehnsessel eine große
+Rechtswendung.
+
+Karl kramte aus seiner Geheimtasche, die er den Blicken dieser Leute zu
+zeigen keine Bedenken hatte, seinen Reisepaß hervor, den er statt
+weiterer Vorstellung geöffnet auf den Tisch legte. Der Oberkassier
+schien diesen Paß für nebensächlich zu halten, denn er schnippte ihn mit
+zwei Fingern beiseite, worauf Karl, als sei diese Formalität zur
+Zufriedenheit erledigt, den Paß wieder einsteckte.
+
+»Ich erlaube mir zu sagen,« begann er dann, »daß meiner Meinung nach dem
+Herrn Heizer Unrecht geschehen ist. Es ist hier ein gewisser Schubal,
+der ihm aufsitzt. Er selbst hat schon auf vielen Schiffen, die er Ihnen
+alle nennen kann, zur vollständigen Zufriedenheit gedient, ist fleißig,
+meint es mit seiner Arbeit gut, und es ist wirklich nicht einzusehen,
+warum er gerade auf diesem Schiff, wo doch der Dienst nicht so übermäßig
+schwer ist, wie zum Beispiel auf Handelsseglern, schlecht entsprechen
+sollte. Es kann daher nur Verleumdung sein, die ihn in seinem
+Vorwärtskommen hindert und ihn um die Anerkennung bringt, die ihm sonst
+ganz bestimmt nicht fehlen würde. Ich habe nur das Allgemeine über diese
+Sache gesagt, seine besonderen Beschwerden wird er Ihnen selbst
+vorbringen.« Karl hatte sich mit dieser Rede an alle Herren gewendet,
+weil ja tatsächlich auch alle zuhörten und es viel wahrscheinlicher
+schien, daß sich unter allen zusammen ein Gerechter vorfand, als daß
+dieser Gerechte gerade der Oberkassier sein sollte. Aus Schlauheit hatte
+außerdem Karl verschwiegen, daß er den Heizer erst so kurze Zeit kannte.
+Im übrigen hätte er noch viel besser gesprochen, wenn er nicht durch das
+rote Gesicht des Herrn mit dem Bambusstöckchen beirrt worden wäre, das
+er von seinem jetzigen Standort zum erstenmal sah.
+
+»Es ist alles Wort für Wort richtig,« sagte der Heizer, ehe ihn noch
+jemand gefragt, ja ehe man noch überhaupt auf ihn hingesehen hatte.
+Diese Übereiltheit des Heizers wäre ein großer Fehler gewesen, wenn
+nicht der Herr mit den Orden, der, wie es jetzt Karl aufleuchtete,
+jedenfalls der Kapitän war, offenbar mit sich bereits übereingekommen
+wäre, den Heizer anzuhören. Er streckte nämlich die Hand aus und rief
+dem Heizer zu: »Kommen Sie her!« mit einer Stimme, fest, um mit einem
+Hammer darauf zu schlagen. Jetzt hing alles vom Benehmen des Heizers ab,
+denn was die Gerechtigkeit seiner Sache anlangte, an der zweifelte Karl
+nicht.
+
+Glücklicherweise zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß der Heizer
+schon viel in der Welt herumgekommen war. Musterhaft ruhig nahm er aus
+seinem Köfferchen mit dem ersten Griff ein Bündelchen Papiere, sowie ein
+Notizbuch, ging damit, als verstünde sich das von selbst, unter
+vollständiger Vernachlässigung des Oberkassiers, zum Kapitän und
+breitete auf dem Fensterbrett seine Beweismittel aus. Dem Oberkassier
+blieb nichts übrig, als sich selbst hinzubemühn. »Der Mann ist ein
+bekannter Querulant,« sagte er zur Erklärung, »er ist mehr in der Kassa,
+als im Maschinenraum. Er hat Schubal, diesen ruhigen Menschen, ganz zur
+Verzweiflung gebracht. Hören Sie einmal!« wandte er sich an den Heizer,
+»Sie treiben Ihre Zudringlichkeit doch schon wirklich zu weit. Wie oft
+hat man Sie schon aus den Auszahlungsräumen hinausgeworfen, wie Sie es
+mit Ihren ganz, vollständig und ausnahmslos unberechtigten Forderungen
+verdienen! Wie oft sind Sie von dort in die Hauptkassa gelaufen
+gekommen! Wie oft hat man Ihnen im Guten gesagt, daß Schubal Ihr
+unmittelbarer Vorgesetzter ist, mit dem allein Sie sich als sein
+Untergebener abzufinden haben! Und jetzt kommen Sie gar noch her, wenn
+der Herr Kapitän da ist, schämen sich nicht, sogar ihn zu belästigen,
+sondern entblöden sich nicht einmal, als eingelernten Stimmführer Ihrer
+abgeschmackten Beschuldigungen diesen Kleinen mitzubringen, den ich
+überhaupt zum erstenmal auf dem Schiffe sehe!«
+
+Karl hielt sich mit Gewalt zurück, vorzuspringen. Aber schon war auch
+der Kapitän da, welcher sagte: »Hören wir den Mann doch einmal an. Der
+Schubal wird mir sowieso mit der Zeit viel zu selbständig, womit ich
+aber nichts zu Ihren Gunsten gesagt haben will.« Das letztere galt dem
+Heizer, es war nur natürlich, daß er sich nicht sofort für ihn einsetzen
+konnte, aber alles schien auf dem richtigen Wege. Der Heizer begann
+seine Erklärungen und überwand sich gleich am Anfang, indem er den
+Schubal mit »Herr« titulierte. Wie freute sich Karl am verlassenen
+Schreibtisch des Oberkassiers, wo er eine Briefwage immer wieder
+niederdrückte vor lauter Vergnügen. -- Herr Schubal ist ungerecht! Herr
+Schubal bevorzugt die Ausländer! Herr Schubal verwies den Heizer aus dem
+Maschinenraum und ließ ihn Klosette reinigen, was doch gewiß nicht des
+Heizers Sache war! -- Einmal wurde sogar die Tüchtigkeit des Herrn
+Schubal angezweifelt, die eher scheinbar als wirklich vorhanden sein
+sollte. Bei dieser Stelle starrte Karl mit aller Kraft den Kapitän an,
+zutunlich, als sei er sein Kollege, nur damit er sich durch die etwas
+ungeschickte Ausdrucksweise des Heizers nicht zu dessen Ungunsten
+beeinflussen lasse. Immerhin erfuhr man aus den vielen Reden nichts
+Eigentliches, und wenn auch der Kapitän noch immer vor sich hinsah, in
+den Augen die Entschlossenheit, den Heizer diesmal bis zu Ende
+anzuhören, so wurden doch die anderen Herren ungeduldig, und die Stimme
+des Heizers regierte bald nicht mehr unumschränkt in dem Raume, was
+manches befürchten ließ. Als erster setzte der Herr in Zivil sein
+Bambusstöckchen in Tätigkeit und klopfte, wenn auch nur leise, auf das
+Parkett. Die anderen Herren sahen natürlich hie und da hin, die Herren
+von der Hafenbehörde, die offenbar pressiert waren, griffen wieder zu
+den Akten und begannen, wenn auch noch etwas geistesabwesend, sie
+durchzusehen, der Schiffsoffizier rückte seinem Tische wieder näher, und
+der Oberkassier, der gewonnenes Spiel zu haben glaubte, seufzte aus
+Ironie tief auf. Von der allgemein eintretenden Zerstreuung schien nur
+der Diener bewahrt, der von den Leiden des unter die Großen gestellten
+armen Mannes einen Teil mitfühlte und Karl ernst zunickte, als wolle er
+damit etwas erklären.
+
+Inzwischen ging vor den Fenstern das Hafenleben weiter; ein flaches
+Lastschiff mit einem Berg von Fässern, die wunderbar verstaut sein
+mußten, daß sie nicht ins Rollen kamen, zog vorüber und erzeugte in dem
+Zimmer fast Dunkelheit; kleine Motorboote, die Karl jetzt, wenn er Zeit
+gehabt hätte, genau hätte ansehen können, rauschten nach den Zuckungen
+der Hände eines am Steuer aufrecht stehenden Mannes schnurgerade dahin;
+eigentümliche Schwimmkörper tauchten hie und da selbständig aus dem
+ruhelosen Wasser, wurden gleich wieder überschwemmt und versanken vor
+dem erstaunten Blick; Boote der Ozeandampfer wurden von heiß arbeitenden
+Matrosen vorwärtsgerudert und waren voll von Passagieren, die darin, so
+wie man sie hineingezwängt hatte, still und erwartungsvoll saßen, wenn
+es auch manche nicht unterlassen konnten, die Köpfe nach den wechselnden
+Szenerien zu drehen. Eine Bewegung ohne Ende, eine Unruhe, übertragen
+von dem unruhigen Element auf die hilflosen Menschen und ihre Werke!
+
+Aber alles mahnte zur Eile, zur Deutlichkeit, zu ganz genauer
+Darstellung, aber was tat der Heizer! Er redete sich allerdings in
+Schweiß, die Papiere auf dem Fenster konnte er längst mit seinen
+zitternden Händen nicht mehr halten, aus allen Himmelsrichtungen
+strömten ihm Klagen über Schubal zu, von denen seiner Meinung nach jede
+einzelne genügt hätte, diesen Schubal vollständig zu begraben, aber
+was er dem Kapitän vorzeigen konnte, war nur ein trauriges
+Durcheinanderstrudeln aller insgesamt. Längst schon pfiff der Herr mit
+dem Bambusstöckchen schwach zur Decke hinauf, die Herren von der
+Hafenbehörde hielten schon den Offizier an ihrem Tisch und machten keine
+Miene, ihn je wieder loszulassen, der Oberkassier wurde sichtlich nur
+durch die Ruhe des Kapitäns vor dem Dreinfahren zurückgehalten, der
+Diener erwartete in Habtachtstellung jeden Augenblick einen auf den
+Heizer bezüglichen Befehl seines Kapitäns.
+
+Da konnte Karl nicht mehr untätig bleiben. Er ging also langsam zu der
+Gruppe hin und überlegte im Gehen nur desto schneller, wie er die Sache
+möglichst geschickt angreifen könnte. Es war wirklich höchste Zeit, noch
+ein kleines Weilchen nur, und sie konnten ganz gut beide aus dem Bureau
+fliegen. Der Kapitän mochte ja ein guter Mann sein und überdies gerade
+jetzt, wie es Karl schien, irgend einen besonderen Grund haben, sich als
+gerechter Vorgesetzter zu zeigen, aber schließlich war er kein
+Instrument, das man in Grund und Boden spielen konnte -- und gerade so
+behandelte ihn der Heizer, allerdings aus seinem grenzenlos empörten
+Innern heraus.
+
+Karl sagte also zum Heizer: »Sie müssen das einfacher erzählen, klarer,
+der Herr Kapitän kann es nicht würdigen, so wie Sie es ihm erzählen.
+Kennt er denn alle Maschinisten und Laufburschen beim Namen oder gar
+beim Taufnamen, daß er, wenn Sie nur einen solchen Namen aussprechen,
+gleich wissen kann, um wen es sich handelt? Ordnen Sie doch Ihre
+Beschwerden, sagen Sie die wichtigste zuerst und absteigend die anderen,
+vielleicht wird es dann überhaupt nicht mehr nötig sein, die meisten
+auch nur zu erwähnen. Mir haben Sie es doch immer so klar dargestellt!«
+Wenn man in Amerika Koffer stehlen kann, kann man auch hie und da lügen,
+dachte er zur Entschuldigung.
+
+Wenn es aber nur geholfen hätte! Ob es nicht auch schon zu spät war? Der
+Heizer unterbrach sich zwar sofort, als er die bekannte Stimme hörte,
+aber mit seinen Augen, die ganz von Tränen der beleidigten Mannesehre,
+der schrecklichen Erinnerungen, der äußersten gegenwärtigen Not verdeckt
+waren, konnte er Karl schon nicht einmal gut mehr erkennen. Wie sollte
+er auch jetzt -- Karl sah das schweigend vor dem jetzt Schweigenden wohl
+ein -- wie sollte er auch jetzt plötzlich seine Redeweise ändern, da es
+ihm doch schien, als hätte er alles, was zu sagen war, ohne die
+geringste Anerkennung schon vorgebracht und als habe er andererseits
+noch gar nichts gesagt und könne doch den Herren jetzt nicht zumuten,
+noch alles anzuhören. Und in einem solchen Zeitpunkt kommt noch Karl,
+sein einziger Anhänger, daher, will ihm gute Lehren geben, zeigt ihm
+aber statt dessen, daß alles, alles verloren ist.
+
+»Wäre ich früher gekommen, statt aus dem Fenster zu schauen,« sagte
+sich Karl, senkte vor dem Heizer das Gesicht und schlug die Hände an die
+Hosennaht, zum Zeichen des Endes jeder Hoffnung.
+
+Aber der Heizer mißverstand das, witterte wohl in Karl irgendwelche
+geheime Vorwürfe gegen sich, und in der guten Absicht, sie ihm
+auszureden, fing er zur Krönung seiner Taten mit Karl jetzt zu streiten
+an. Jetzt, wo doch die Herren am runden Tisch längst empört über den
+nutzlosen Lärm waren, der ihre wichtigen Arbeiten störte, wo der
+Hauptkassier allmählich die Geduld des Kapitäns unverständlich fand und
+zum sofortigen Ausbruch neigte, wo der Diener, ganz wieder in der Sphäre
+seiner Herren, den Heizer mit wildem Blicke maß, und wo endlich der Herr
+mit dem Bambusstöckchen, zu welchem sogar der Kapitän hie und da
+freundschaftlich hinübersah, schon gänzlich abgestumpft gegen den
+Heizer, ja von ihm angewidert, ein kleines Notizbuch hervorzog und,
+offenbar mit ganz anderen Angelegenheiten beschäftigt, die Augen
+zwischen dem Notizbuch und Karl hin- und herwandern ließ.
+
+»Ich weiß ja, ich weiß ja,« sagte Karl, der Mühe hatte, den jetzt gegen
+ihn gekehrten Schwall des Heizers abzuwehren, trotzdem aber quer durch
+allen Streit noch ein Freundeslächeln für ihn übrig hatte, »Sie haben
+Recht, Recht, ich habe ja nie daran gezweifelt.« Er hätte ihm gern aus
+Furcht vor Schlägen die herumfahrenden Hände gehalten, noch lieber
+allerdings ihn in einen Winkel gedrängt, um ihm ein paar leise
+beruhigende Worte zuzuflüstern, die niemand sonst hätte hören müssen.
+Aber der Heizer war außer Rand und Band. Karl begann jetzt schon sogar
+aus dem Gedanken eine Art Trost zu schöpfen, daß der Heizer im Notfall
+mit der Kraft seiner Verzweiflung alle anwesenden sieben Männer
+bezwingen könne. Allerdings lag auf dem Schreibtisch, wie ein Blick
+dorthin lehrte, ein Aufsatz mit viel zu vielen Druckknöpfen der
+elektrischen Leitung und eine Hand, einfach auf sie niedergedrückt,
+konnte das ganze Schiff mit allen seinen von feindlichen Menschen
+gefüllten Gängen rebellisch machen.
+
+Da trat der doch so uninteressierte Herr mit dem Bambusstöckchen auf
+Karl zu und fragte, nicht überlaut, aber deutlich über allem Geschrei
+des Heizers: »Wie heißen Sie denn eigentlich?« In diesem Augenblick, als
+hätte jemand hinter der Tür auf diese Äußerung des Herrn gewartet,
+klopfte es. Der Diener sah zum Kapitän hinüber, dieser nickte. Daher
+ging der Diener zur Tür und öffnete sie. Draußen stand in einem alten
+Kaiserrock ein Mann von mittleren Proportionen, seinem Aussehen nach
+nicht eigentlich zur Arbeit an den Maschinen geeignet und war doch --
+Schubal. Wenn es Karl nicht an aller Augen erkannt hätte, die eine
+gewisse Befriedigung ausdrückten, von der nicht einmal der Kapitän frei
+war, er hätte es zu seinem Schrecken am Heizer sehen müssen, der die
+Fäuste an den gestrafften Armen so ballte, als sei diese Ballung das
+Wichtigste an ihm, dem er alles, was er an Leben habe, zu opfern bereit
+sei. Da steckte jetzt alle seine Kraft, auch die, welche ihn überhaupt
+aufrecht erhielt.
+
+Und da war also der Feind, frei und frisch im Festanzug, unter dem Arm
+ein Geschäftsbuch, wahrscheinlich die Lohnlisten und Arbeitsausweise des
+Heizers, und sah mit dem ungescheuten Zugeständnis, daß er die Stimmung
+jedes Einzelnen vor allem feststellen wolle, in aller Augen der Reihe
+nach. Die sieben waren auch schon alle seine Freunde, denn wenn auch der
+Kapitän früher gewisse Einwände gegen ihn gehabt oder vielleicht auch
+nur vorgeschützt hatte, nach dem Leid, das ihm der Heizer angetan hatte,
+schien ihm wahrscheinlich an Schubal auch das Geringste nicht mehr
+auszusetzen. Gegen einen Mann, wie den Heizer, konnte man nicht streng
+genug verfahren, und wenn dem Schubal etwas vorzuwerfen war, so war es
+der Umstand, daß er die Widerspenstigkeit des Heizers im Laufe der Zeit
+nicht so weit hatte brechen können, daß es dieser heute noch gewagt
+hatte, vor dem Kapitän zu erscheinen.
+
+Nun konnte man ja vielleicht noch annehmen, die Gegenüberstellung des
+Heizers und Schubals werde die ihr vor einem höheren Forum zukommende
+Wirkung auch vor den Menschen nicht verfehlen, denn wenn sich auch
+Schubal gut verstellen konnte, er mußte es doch durchaus nicht bis zum
+Ende aushalten können. Ein kurzes Aufblitzen seiner Schlechtigkeit
+sollte genügen, um sie den Herren sichtbar zu machen, dafür wollte Karl
+schon sorgen. Er kannte doch schon beiläufig den Scharfsinn, die
+Schwächen, die Launen der einzelnen Herren und unter diesem
+Gesichtspunkt war die bisher hier verbrachte Zeit nicht verloren. Wenn
+nur der Heizer besser auf dem Platz gewesen wäre, aber der schien
+vollständig kampfunfähig. Wenn man ihm den Schubal hingehalten hätte,
+hätte er wohl dessen gehaßten Schädel mit den Fäusten aufklopfen können.
+Aber schon die paar Schritte zu ihm hinzugehen, war er wohl kaum
+imstande. Warum hatte denn Karl das so leicht Vorauszusehende nicht
+vorausgesehen, daß Schubal endlich kommen müsse, wenn nicht aus eigenem
+Antrieb, so vom Kapitän gerufen. Warum hatte er auf dem Herweg mit dem
+Heizer nicht einen genauen Kriegsplan besprochen, statt, wie sie es in
+Wirklichkeit getan hatten, heillos unvorbereitet einfach dort
+einzutreten, wo eine Tür war? Konnte der Heizer überhaupt noch reden, ja
+und nein sagen, wie es bei dem Kreuzverhör, das allerdings nur im
+günstigsten Fall bevorstand, nötig sein würde? Er stand da, die Beine
+auseinander gestellt, die Knie ein wenig gebogen, den Kopf etwas gehoben
+und die Luft verkehrte durch den offenen Mund, als gebe es innen keine
+Lungen mehr, die sie verarbeiteten.
+
+Karl allerdings fühlte sich so kräftig und bei Verstand, wie er es
+vielleicht zu Hause niemals gewesen war. Wenn ihn doch seine Eltern
+sehen könnten, wie er in fremdem Land, vor angesehenen Persönlichkeiten
+das Gute verfocht und wenn er es auch noch nicht zum Siege gebracht
+hatte, so doch zur letzten Eroberung sich vollkommen bereit stellte!
+Würden sie ihre Meinung über ihn revidieren? Ihn zwischen sich
+niedersetzen und loben? Ihm einmal, einmal in die ihnen so ergebenen
+Augen sehn? Unsichere Fragen und ungeeignetester Augenblick, sie zu
+stellen!
+
+»Ich komme, weil ich glaube, daß mich der Heizer irgendwelcher
+Unredlichkeiten beschuldigt. Ein Mädchen aus der Küche sagte mir, sie
+hätte ihn auf dem Wege hierher gesehen. Herr Kapitän und Sie alle meine
+Herren, ich bin bereit, jede Beschuldigung an der Hand meiner Schriften,
+nötigenfalls durch Aussagen unvoreingenommener und unbeeinflußter
+Zeugen, die vor der Türe stehen, zu widerlegen.« So sprach Schubal. Das
+war allerdings die klare Rede eines Mannes und nach der Veränderung in
+den Mienen der Zuhörer hätte man glauben können, sie hörten zum
+erstenmal nach langer Zeit wieder menschliche Laute. Sie bemerkten
+freilich nicht, daß selbst diese schöne Rede Löcher hatte. Warum war das
+erste sachliche Wort, das ihm einfiel, »Unredlichkeiten«? Hätte
+vielleicht die Beschuldigung hier einsetzen müssen, statt bei seinen
+nationalen Voreingenommenheiten? Ein Mädchen aus der Küche hatte den
+Heizer auf dem Weg ins Bureau gesehen und Schubal hatte sofort
+begriffen? War es nicht das Schuldbewußtsein, das ihm den Verstand
+schärfte? Und Zeugen hatte er gleich mitgebracht und nannte sie noch
+außerdem unvoreingenommen und unbeeinflußt? Gaunerei, nichts als
+Gaunerei! Und die Herren duldeten das und anerkannten es noch als
+richtiges Benehmen? Warum hatte er zweifellos sehr viel Zeit zwischen
+der Meldung des Küchenmädchens und seiner Ankunft hier verstreichen
+lassen, doch zu keinem anderen Zwecke, als damit der Heizer die Herren
+so ermüde, daß sie allmählich ihre klare Urteilskraft verloren, welche
+Schubal vor allem zu fürchten hatte? Hatte er, der sicher schon lange
+hinter der Tür gestanden war, nicht erst in dem Augenblick geklopft, als
+er infolge der nebensächlichen Frage jenes Herrn hoffen durfte, der
+Heizer sei erledigt?
+
+Alles war klar und wurde ja auch von Schubal wider Willen so dargeboten,
+aber den Herren mußte man es anders, noch handgreiflicher zeigen. Sie
+brauchten Aufrüttelung. Also Karl, rasch, nütze jetzt wenigstens die
+Zeit aus, ehe die Zeugen auftreten und alles überschwemmen!
+
+Eben aber winkte der Kapitän dem Schubal ab, der daraufhin sofort -- denn
+seine Angelegenheit schien für ein Weilchen aufgeschoben zu sein --
+beiseite trat und mit dem Diener, der sich ihm gleich angeschlossen
+hatte, eine leise Unterhaltung begann, bei der es an Seitenblicken nach
+dem Heizer und Karl sowie an den überzeugtesten Handbewegungen nicht
+fehlte. Schubal schien so seine nächste große Rede einzuüben.
+
+»Wollten Sie nicht den jungen Menschen etwas fragen, Herr Jakob?« sagte
+der Kapitän unter allgemeiner Stille zu dem Herrn mit dem
+Bambusstöckchen.
+
+»Allerdings,« sagte dieser, mit einer kleinen Neigung für die
+Aufmerksamkeit dankend. Und fragte dann Karl nochmals: »Wie heißen Sie
+eigentlich?«
+
+Karl, welcher glaubte, es sei im Interesse der großen Hauptsache
+gelegen, wenn dieser Zwischenfall des hartnäckigen Fragers bald erledigt
+würde, antwortete kurz, ohne, wie es seine Gewohnheit war, durch
+Vorweisung des Passes sich vorzustellen, den er erst hätte suchen
+müssen: »Karl Roßmann«.
+
+»Aber,« sagte der mit Jakob Angesprochene und trat zuerst fast
+ungläubig lächelnd zurück. Auch der Kapitän, der Oberkassier, der
+Schiffsoffizier, ja sogar der Diener zeigten deutlich ein übermäßiges
+Erstaunen wegen Karls Namen. Nur die Herren von der Hafenbehörde und
+Schubal verhielten sich gleichgültig.
+
+»Aber,« wiederholte Herr Jakob und trat mit etwas steifen Schritten auf
+Karl zu, »dann bin ich ja dein Onkel Jakob und du bist mein lieber
+Neffe. Ahnte ich es doch die ganze Zeit über!« sagte er zum Kapitän hin,
+ehe er Karl umarmte und küßte, der alles stumm geschehen ließ.
+
+»Wie heißen Sie?« fragte Karl, nachdem er sich losgelassen fühlte, zwar
+sehr höflich, aber gänzlich ungerührt, und strengte sich an, die Folgen
+abzusehen, welche dieses neue Ereignis für den Heizer haben dürfte.
+Vorläufig deutete nichts darauf hin, daß Schubal aus dieser Sache Nutzen
+ziehen könnte.
+
+»Begreifen Sie doch, junger Mann, Ihr Glück,« sagte der Kapitän, der
+durch Karls Frage die Würde der Person des Herrn Jakob verletzt glaubte,
+der sich zum Fenster gestellt hatte, offenbar, um sein aufgeregtes
+Gesicht, das er überdies mit einem Taschentuch betupfte, den andern
+nicht zeigen zu müssen. »Es ist der Senator Edward Jakob, der sich Ihnen
+als Ihr Onkel zu erkennen gegeben hat. Es erwartet Sie nunmehr, doch
+wohl ganz gegen Ihre bisherigen Erwartungen, eine glänzende Laufbahn.
+Versuchen Sie das einzusehen, so gut es im ersten Augenblick geht, und
+fassen Sie sich!«
+
+»Ich habe allerdings einen Onkel Jakob in Amerika,« sagte Karl zum
+Kapitän gewendet, »aber wenn ich recht verstanden habe, ist Jakob bloß
+der Zuname des Herrn Senators.«
+
+»So ist es,« sagte der Kapitän erwartungsvoll.
+
+»Nun, mein Onkel Jakob, welcher der Bruder meiner Mutter ist, heißt aber
+mit dem Taufnamen Jakob, während sein Zuname natürlich gleich jenem
+meiner Mutter lauten müßte, welche eine geborene Bendelmayer ist.«
+
+»Meine Herren!« rief der Senator, der von seinem Erholungsposten beim
+Fenster munter zurückkehrte, mit Bezug auf Karls Erklärung aus. Alle,
+mit Ausnahme der Hafenbeamten, brachen in Lachen aus, manche wie in
+Rührung, manche undurchdringlich.
+
+»So lächerlich war das, was ich gesagt habe, doch keineswegs,« dachte
+Karl.
+
+»Meine Herren,« wiederholte der Senator, »Sie nehmen gegen meinen und
+gegen Ihren Willen an einer kleinen Familienszene teil und ich kann
+deshalb nicht umhin, Ihnen eine Erläuterung zu geben, da, wie ich
+glaube, nur der Herr Kapitän« -- diese Erwähnung hatte eine gegenseitige
+Verbeugung zur Folge -- »vollständig unterrichtet ist.«
+
+»Jetzt muß ich aber wirklich auf jedes Wort achtgeben,« sagte sich Karl
+und freute sich, als er bei einem Seitwärtsschauen bemerkte, daß in die
+Figur des Heizers das Leben zurückzukehren begann.
+
+»Ich lebe seit allen den langen Jahren meines amerikanischen
+Aufenthaltes -- das Wort Aufenthalt paßt hier allerdings schlecht für
+den amerikanischen Bürger, der ich mit ganzer Seele bin -- seit allen den
+langen Jahren lebe ich also von meinen europäischen Verwandten
+vollständig abgetrennt, aus Gründen, die erstens nicht hierher gehören,
+und die zweitens zu erzählen, mich wirklich zu sehr hernehmen würde. Ich
+fürchte mich sogar vor dem Augenblick, wo ich vielleicht gezwungen sein
+werde, sie meinem lieben Neffen zu erzählen, wobei sich leider ein
+offenes Wort über seine Eltern und ihren Anhang nicht vermeiden lassen
+wird.«
+
+»Es ist mein Onkel, kein Zweifel,« sagte sich Karl und lauschte,
+»wahrscheinlich hat er seinen Namen ändern lassen.«
+
+»Mein lieber Neffe ist nun von seinen Eltern -- sagen wir nur das Wort,
+das die Sache auch wirklich bezeichnet -- einfach beiseitegeschafft
+worden, wie man eine Katze vor die Tür wirft, wenn sie ärgert. Ich will
+durchaus nicht beschönigen, was mein Neffe gemacht hat, daß er so
+gestraft wurde, aber sein Verschulden ist ein solches, daß sein
+einfaches Nennen schon genug Entschuldigung enthält.«
+
+»Das läßt sich hören,« dachte Karl, »aber ich will nicht, daß er es
+allen erzählt. Übrigens kann er es ja auch nicht wissen. Woher denn?«
+
+»Er wurde nämlich,« fuhr der Onkel fort und stützte sich mit kleinen
+Neigungen auf das vor ihm eingestemmte Bambusstöckchen, wodurch es ihm
+tatsächlich gelang, der Sache die unnötige Feierlichkeit zu nehmen, die
+sie sonst unbedingt gehabt hätte, »er wurde nämlich von einem
+Dienstmädchen, Johanna Brummer, einer etwa 35jährigen Person, verführt.
+Ich will mit dem Worte »verführt« meinen Neffen durchaus nicht kränken,
+aber es ist doch schwer, ein anderes, gleich passendes Wort zu finden.«
+
+Karl, der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten war, drehte sich hier
+um, um den Eindruck der Erzählung von den Gesichtern der Anwesenden
+abzulesen. Keiner lachte, alle hörten geduldig und ernsthaft zu.
+Schließlich lacht man auch nicht über den Neffen eines Senators bei der
+ersten Gelegenheit, die sich darbietet. Eher hätte man schon sagen
+können, daß der Heizer, wenn auch nur ganz wenig, Karl anlächelte, was
+aber erstens als neues Lebenszeichen erfreulich und zweitens
+entschuldbar war, da ja Karl in der Kabine aus dieser Sache, die jetzt
+so publik wurde, ein besonderes Geheimnis hatte machen wollen.
+
+»Nun hat diese Brummer,« setzte der Onkel fort, »von meinem Neffen ein
+Kind bekommen, einen gesunden Jungen, welcher in der Taufe den Namen
+Jakob erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit, welche, selbst
+in den sicher nur ganz nebensächlichen Erwähnungen meines Neffen, auf
+das Mädchen einen großen Eindruck gemacht haben muß. Glücklicherweise,
+sage ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung der Alimentenzahlung oder
+sonstigen bis an sie selbst heranreichenden Skandales -- ich kenne, wie
+ich betonen muß, weder die dortigen Gesetze noch die sonstigen
+Verhältnisse der Eltern -- da sie also zur Vermeidung der
+Alimentenzahlung und des Skandales ihren Sohn, meinen lieben Neffen,
+nach Amerika haben transportieren lassen, mit unverantwortlich
+ungenügender Ausrüstung, wie man sieht, so wäre der Junge, ohne die
+gerade noch in Amerika lebendigen Zeichen und Wunder, auf sich allein
+angewiesen, wohl schon gleich in einem Gäßchen im Hafen von New York
+verkommen, wenn nicht jenes Dienstmädchen in einem an mich gerichteten
+Brief, der nach langen Irrfahrten vorgestern in meinen Besitz kam, mir
+die ganze Geschichte samt Personenbeschreibung meines Neffen und
+vernünftigerweise auch Namensnennung des Schiffes mitgeteilt hätte. Wenn
+ich es darauf angelegt hätte, Sie, meine Herren, zu unterhalten, könnte
+ich wohl einige Stellen jenes Briefes« -- er zog zwei riesige,
+engbeschriebene Briefbogen aus der Tasche und schwenkte sie -- »hier
+vorlesen. Er würde sicher Wirkung machen, da er mit einer etwas
+einfachen, wenn auch immer gutgemeinten Schlauheit und mit viel Liebe zu
+dem Vater des Kindes geschrieben ist. Aber ich will weder Sie mehr
+unterhalten, als es zur Aufklärung nötig ist, noch vielleicht gar zum
+Empfang möglicherweise noch bestehende Gefühle meines Neffen verletzen,
+der den Brief, wenn er mag, in der Stille seines ihn schon erwartenden
+Zimmers zur Belehrung lesen kann.«
+
+Karl hatte aber keine Gefühle für jenes Mädchen. Im Gedränge einer immer
+mehr zurücktretenden Vergangenheit saß sie in ihrer Küche neben dem
+Küchenschrank, auf dessen Platte sie ihren Ellbogen stützte. Sie sah ihn
+an, wenn er hin und wieder in die Küche kam, um ein Glas zum
+Wassertrinken für seinen Vater zu holen oder einen Auftrag seiner
+Mutter auszurichten. Manchmal schrieb sie in der vertrackten Stellung
+seitlich vom Küchenschrank einen Brief und holte sich die Eingebungen
+von Karls Gesicht. Manchmal hielt sie die Augen mit der Hand verdeckt,
+dann drang keine Anrede zu ihr. Manchmal kniete sie in ihrem engen
+Zimmerchen neben der Küche und betete zu einem hölzernen Kreuz; Karl
+beobachtete sie dann nur mit Scheu im Vorübergehen durch die Spalte der
+ein wenig geöffneten Tür. Manchmal jagte sie in der Küche herum und fuhr
+wie eine Hexe lachend zurück, wenn Karl ihr in den Weg kam. Manchmal
+schloß sie die Küchentüre, wenn Karl eingetreten war und behielt die
+Klinke solange in der Hand, bis er wegzugehn verlangte. Manchmal holte
+sie Sachen, die er gar nicht haben wollte, und drückte sie ihm
+schweigend in die Hände. Einmal aber sagte sie »Karl« und führte ihn,
+der noch über die unerwartete Ansprache staunte, unter Grimassen
+seufzend in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte. Würgend umarmte sie
+seinen Hals und während sie ihn bat, sie zu entkleiden, entkleidete sie
+in Wirklichkeit ihn und legte ihn in ihr Bett, als wolle sie ihn von
+jetzt niemandem mehr lassen und ihn streicheln und pflegen bis zum Ende
+der Welt. »Karl, o du mein Karl!« rief sie, als sähe sie ihn und
+bestätige sich seinen Besitz, während er nicht das Geringste sah und
+sich unbehaglich in dem vielen warmen Bettzeug fühlte, das sie eigens
+für ihn aufgehäuft zu haben schien. Dann legte sie sich auch zu ihm und
+wollte irgendwelche Geheimnisse von ihm erfahren, aber er konnte ihr
+keine sagen und sie ärgerte sich im Scherz oder Ernst, schüttelte ihn,
+horchte sein Herz ab, bot ihre Brust zum gleichen Abhorchen hin, wozu
+sie Karl aber nicht bringen konnte, drückte ihren nackten Bauch an
+seinen Leib, suchte mit der Hand, so widerlich, daß Karl Kopf und Hals
+aus den Kissen heraus schüttelte, zwischen seinen Beinen, stieß dann den
+Bauch einige Male gegen ihn, ihm war, als sei sie ein Teil seiner selbst
+und vielleicht aus diesem Grunde hatte ihn eine entsetzliche
+Hilfsbedürftigkeit ergriffen. Weinend kam er endlich nach vielen
+Wiedersehenswünschen ihrerseits in sein Bett. Das war alles gewesen und
+doch verstand es der Onkel, daraus eine große Geschichte zu machen. Und
+die Köchin hatte also auch an ihn gedacht und den Onkel von seiner
+Ankunft verständigt. Das war schön von ihr gehandelt und er würde es ihr
+wohl noch einmal vergelten.
+
+»Und jetzt,« rief der Senator, »will ich von dir offen hören, ob ich
+dein Onkel bin oder nicht.«
+
+»Du bist mein Onkel,« sagte Karl und küßte ihm die Hand und wurde dafür
+auf die Stirne geküßt. »Ich bin sehr froh, daß ich dich getroffen habe,
+aber du irrst, wenn du glaubst, daß meine Eltern nur Schlechtes von dir
+reden. Aber auch abgesehen davon, sind in deiner Rede einige Fehler
+enthalten gewesen, das heißt, ich meine, es hat sich in Wirklichkeit
+nicht alles so zugetragen. Du kannst aber auch wirklich von hier aus die
+Dinge nicht so gut beurteilen, und ich glaube außerdem, daß es keinen
+besonderen Schaden bringen wird, wenn die Herren in Einzelheiten einer
+Sache, an der ihnen doch wirklich nicht viel liegen kann, ein wenig
+unrichtig informiert worden sind.«
+
+»Wohl gesprochen,« sagte der Senator, führte Karl vor den sichtlich
+teilnehmenden Kapitän und fragte: »Habe ich nicht einen prächtigen
+Neffen?«
+
+»Ich bin glücklich,« sagte der Kapitän mit einer Verbeugung, wie sie nur
+militärisch geschulte Leute zustandebringen, »Ihren Neffen, Herr
+Senator, kennen gelernt zu haben. Es ist eine besondere Ehre für mein
+Schiff, daß es den Ort eines solchen Zusammentreffens abgeben konnte.
+Aber die Fahrt im Zwischendeck war wohl sehr arg, ja, wer kann denn
+wissen, wer da mitgeführt wird. Nun, wir tun alles Mögliche, den Leuten
+im Zwischendeck die Fahrt möglichst zu erleichtern, viel mehr zum
+Beispiel, als die amerikanischen Linien, aber eine solche Fahrt zu einem
+Vergnügen zu machen, ist uns allerdings noch immer nicht gelungen.«
+
+»Es hat mir nicht geschadet,« sagte Karl.
+
+»Es hat ihm nicht geschadet!« wiederholte laut lachend der Senator.
+
+»Nur meinen Koffer fürchte ich verloren zu --« und damit erinnerte er
+sich an alles, was geschehen war und was noch zu tun übrigblieb, sah
+sich um und erblickte alle Anwesenden stumm vor Achtung und Staunen auf
+ihren früheren Plätzen, die Augen auf ihn gerichtet. Nur den
+Hafenbeamten sah man, soweit ihre strengen, selbstzufriedenen Gesichter
+einen Einblick gestatteten, das Bedauern an, zu so ungelegener Zeit
+gekommen zu sein und die Taschenuhr, die sie jetzt vor sich liegen
+hatten, war ihnen wahrscheinlich wichtiger, als alles, was im Zimmer
+vorging und vielleicht noch geschehen konnte.
+
+Der erste, welcher nach dem Kapitän seine Anteilnahme ausdrückte, war
+merkwürdigerweise der Heizer. »Ich gratuliere Ihnen herzlich,« sagte er
+und schüttelte Karl die Hand, womit er auch etwas wie Anerkennung
+ausdrücken wollte. Als er sich dann mit der gleichen Ansprache auch an
+den Senator wenden wollte, trat dieser zurück, als überschreite der
+Heizer damit seine Rechte; der Heizer ließ auch sofort ab.
+
+Die übrigen aber sahen jetzt ein, was zu tun war, und bildeten gleich um
+Karl und den Senator einen Wirrwarr. So geschah es, daß Karl sogar eine
+Gratulation Schubals erhielt, annahm und für sie dankte. Als letzte
+traten in der wieder entstandenen Ruhe die Hafenbeamten hinzu und sagten
+zwei englische Worte, was einen lächerlichen Eindruck machte.
+
+Der Senator war ganz in der Laune, um das Vergnügen vollständig
+auszukosten, nebensächlichere Momente sich und den anderen in Erinnerung
+zu bringen, was natürlich von allen nicht nur geduldet, sondern mit
+Interesse hingenommen wurde. So machte er darauf aufmerksam, daß er sich
+die in dem Brief der Köchin erwähnten hervorstechendsten
+Erkennungszeichen Karls in sein Notizbuch zu möglicherweise notwendigem
+augenblicklichen Gebrauch eingetragen hatte. Nun hatte er während des
+unerträglichen Geschwätzes des Heizers zu keinem anderen Zweck, als um
+sich abzulenken, das Notizbuch herausgezogen und die natürlich nicht
+gerade detektivisch richtigen Beobachtungen der Köchin mit Karls
+Aussehen zum Spiel in Verbindung zu bringen gesucht. »Und so findet man
+seinen Neffen!« schloß er in einem Ton, als wolle er noch einmal
+Gratulationen bekommen.
+
+»Was wird jetzt dem Heizer geschehen?« fragte Karl, vorbei an der
+letzten Erzählung des Onkels. Er glaubte in seiner neuen Stellung alles,
+was er dachte, auch aussprechen zu können.
+
+»Dem Heizer wird geschehen, was er verdient,« sagte der Senator, »und
+was der Herr Kapitän für gut erachtet. Ich glaube, wir haben von dem
+Heizer genug und übergenug, wozu mir jeder der anwesenden Herren sicher
+zustimmen wird.«
+
+»Darauf kommt es doch nicht an, bei einer Sache der Gerechtigkeit,«
+sagte Karl. Er stand zwischen dem Onkel und dem Kapitän, und glaubte,
+vielleicht durch diese Stellung beeinflußt, die Entscheidung in der Hand
+zu haben.
+
+Und trotzdem schien der Heizer nichts mehr für sich zu hoffen. Die Hände
+hielt er halb in dem Hosengürtel, der durch seine aufgeregten Bewegungen
+mit dem Streifen eines gemusterten Hemdes zum Vorschein gekommen war.
+Das kümmerte ihn nicht im geringsten, er hatte sein ganzes Leid geklagt,
+nun sollte man auch noch die paar Fetzen sehen, die er am Leibe hatte,
+und dann sollte man ihn forttragen. Er dachte sich aus, der Diener und
+Schubal, als die zwei hier im Range Tiefsten, sollten ihm diese letzte
+Güte erweisen. Schubal würde dann Ruhe haben und nicht mehr in
+Verzweiflung kommen, wie sich der Oberkassier ausgedrückt hatte. Der
+Kapitän würde lauter Rumänen anstellen können, es würde überall
+rumänisch gesprochen werden, und vielleicht würde dann wirklich alles
+besser gehen. Kein Heizer würde mehr in der Hauptkassa schwätzen, nur
+sein letztes Geschwätz würde man in ziemlich freundlicher Erinnerung
+behalten, da es, wie der Senator ausdrücklich erklärt hatte, die
+mittelbare Veranlassung zur Erkennung des Neffen gegeben hatte. Dieser
+Neffe hatte ihm übrigens vorher öfters zu nützen gesucht und daher für
+seinen Dienst bei der Wiedererkennung längst vorher einen mehr als
+genügenden Dank abgestattet; dem Heizer fiel gar nicht ein, jetzt noch
+etwas von ihm zu verlangen. Im übrigen, mochte er auch der Neffe des
+Senators sein, ein Kapitän war er noch lange nicht, aber aus dem Munde
+des Kapitäns würde schließlich das böse Wort fallen. -- So wie es seiner
+Meinung entsprach, versuchte auch der Heizer nicht zu Karl hinzusehen,
+aber leider blieb in diesem Zimmer der Feinde kein anderer Ruheort für
+seine Augen.
+
+»Mißverstehe die Sachlage nicht,« sagte der Senator zu Karl, »es handelt
+sich vielleicht um eine Sache der Gerechtigkeit, aber gleichzeitig um
+eine Sache der Disziplin. Beides und ganz besonders das letztere
+unterliegt hier der Beurteilung des Herrn Kapitäns.«
+
+»So ist es,« murmelte der Heizer. Wer es merkte und verstand, lächelte
+befremdet.
+
+»Wir aber haben überdies den Herrn Kapitän in seinen Amtsgeschäften,
+die sich sicher gerade bei der Ankunft in New York unglaublich häufen,
+so sehr schon behindert, daß es höchste Zeit für uns ist, das Schiff zu
+verlassen, um nicht zum Überfluß auch noch durch irgendwelche höchst
+unnötige Einmischung diese geringfügige Zänkerei zweier Maschinisten zu
+einem Ereignis zu machen. Ich begreife deine Handlungsweise, lieber
+Neffe, übrigens vollkommen, aber gerade das gibt mir das Recht, dich
+eilends von hier fortzuführen.«
+
+»Ich werde sofort ein Boot für Sie flottmachen lassen,« sagte der
+Kapitän, ohne zum Erstaunen Karls auch nur den kleinsten Einwand gegen
+die Worte des Onkels vorzubringen, die doch zweifellos als eine
+Selbstdemütigung des Onkels angesehen werden konnten. Der Oberkassier
+eilte überstürzt zum Schreibtisch und telephonierte den Befehl des
+Kapitäns an den Bootsmeister.
+
+»Die Zeit drängt schon,« sagte sich Karl, »aber ohne alle zu beleidigen,
+kann ich nichts tun. Ich kann doch jetzt den Onkel nicht verlassen,
+nachdem er mich kaum wiedergefunden hat. Der Kapitän ist zwar höflich,
+aber das ist auch alles. Bei der Disziplin hört seine Höflichkeit auf,
+und der Onkel hat ihm sicher aus der Seele gesprochen. Mit Schubal will
+ich nicht reden, es tut mir sogar leid, daß ich ihm die Hand gereicht
+habe. Und alle anderen Leute hier sind Spreu.«
+
+Und er ging langsam in solchen Gedanken zum Heizer, zog dessen rechte
+Hand aus dem Gürtel und hielt sie spielend in der seinen. »Warum sagst
+du denn nichts?« fragte er. »Warum läßt du dir alles gefallen?«
+
+Der Heizer legte nur die Stirn in Falten, als suche er den Ausdruck für
+das, was er zu sagen habe. Im übrigen sah er auf Karls und seine Hand
+hinab.
+
+»Dir ist ja unrecht geschehen, wie keinem auf dem Schiff, das weiß ich
+ganz genau.« Und Karl zog seine Finger hin und her zwischen den Fingern
+des Heizers, der mit glänzenden Augen ringsumher schaute, als widerfahre
+ihm eine Wonne, die ihm aber niemand verübeln möge.
+
+»Du mußt dich aber zur Wehr setzen, ja und nein sagen, sonst haben doch
+die Leute keine Ahnung von der Wahrheit. Du mußt mir versprechen, daß du
+mir folgen wirst, denn ich selbst, das fürchte ich mit vielem Grund,
+werde dir gar nicht mehr helfen können.« Und nun weinte Karl, während er
+die Hand des Heizers küßte und nahm die rissige, fast leblose Hand und
+drückte sie an seine Wangen, wie einen Schatz, auf den man verzichten
+muß. -- Da war aber auch schon der Onkel Senator an seiner Seite und zog
+ihn, wenn auch nur mit dem leichtesten Zwange, fort.
+
+»Der Heizer scheint dich bezaubert zu haben,« sagte er und sah
+verständnisinnig über Karls Kopf zum Kapitän hin. »Du hast dich
+verlassen gefühlt, da hast du den Heizer gefunden und bist ihm jetzt
+dankbar, das ist ja ganz löblich. Treibe das aber, schon mir zuliebe,
+nicht zu weit und lerne deine Stellung begreifen.«
+
+Vor der Türe entstand ein Lärmen, man hörte Rufe und es war sogar, als
+werde jemand brutal gegen die Türe gestoßen. Ein Matrose trat ein, etwas
+verwildert, und hatte eine Mädchenschürze umgebunden. »Es sind Leute
+draußen,« rief er und stieß einmal mit dem Ellbogen herum, als sei er
+noch im Gedränge. Endlich fand er seine Besinnung und wollte vor dem
+Kapitän salutieren, da bemerkte er die Mädchenschürze, riß sie herunter,
+warf sie zu Boden und rief: »Das ist ja ekelhaft, da haben sie mir eine
+Mädchenschürze umgebunden.« Dann aber klappte er die Hacken zusammen und
+salutierte. Jemand versuchte zu lachen, aber der Kapitän sagte streng:
+»Das nenne ich eine gute Laune. Wer ist denn draußen?«
+
+»Es sind meine Zeugen,« sagte Schubal vortretend, »ich bitte ergebenst
+um Entschuldigung für ihr unpassendes Benehmen. Wenn die Leute die
+Seefahrt hinter sich haben, sind sie manchmal wie toll.«
+
+»Rufen Sie sie sofort herein!« befahl der Kapitän und gleich sich zum
+Senator umwendend sagte er verbindlich, aber rasch: »Haben Sie jetzt die
+Güte, verehrter Herr Senator, mit Ihrem Herrn Neffen diesem Matrosen zu
+folgen, der Sie ins Boot bringen wird. Ich muß wohl nicht erst sagen,
+welches Vergnügen und welche Ehre mir das persönliche Bekanntwerden mit
+Ihnen, Herr Senator, bereitet hat. Ich wünsche mir nur, bald Gelegenheit
+zu haben, mit Ihnen, Herr Senator, unser unterbrochenes Gespräch über
+die amerikanischen Flottenverhältnisse wieder einmal aufnehmen zu können
+und dann vielleicht neuerdings auf so angenehme Weise, wie heute,
+unterbrochen zu werden.«
+
+»Vorläufig genügt mir dieser eine Neffe,« sagte der Onkel lachend. »Und
+nun nehmen Sie meinen besten Dank für Ihre Liebenswürdigkeit und leben
+Sie wohl. Es wäre übrigens gar nicht so unmöglich, daß wir« -- er drückte
+Karl herzlich an sich -- »bei unserer nächsten Europareise vielleicht für
+längere Zeit mit Ihnen zusammenkommen könnten.«
+
+»Es würde mich herzlich freuen,« sagte der Kapitän. Die beiden Herren
+schüttelten einander die Hände, Karl konnte nur noch stumm und flüchtig
+seine Hand dem Kapitän reichen, denn dieser war bereits von den
+vielleicht fünfzehn Leuten in Anspruch genommen, welche unter Führung
+Schubals zwar etwas betroffen, aber doch sehr laut einzogen. Der Matrose
+bat den Senator, vorausgehen zu dürfen und teilte dann die Menge für ihn
+und Karl, die leicht zwischen den sich verbeugenden Leuten durchkamen.
+Es schien, daß diese im übrigen gutmütigen Leute den Streit Schubals mit
+dem Heizer als einen Spaß auffaßten, dessen Lächerlichkeit nicht einmal
+vor dem Kapitän aufhöre. Karl bemerkte unter ihnen auch das
+Küchenmädchen Line, welche, ihm lustig zuzwinkernd, die vom Matrosen
+hingeworfene Schürze umband, denn es war die ihrige.
+
+Weiter dem Matrosen folgend verließen sie das Bureau und bogen in einen
+kleinen Gang ein, der sie nach ein paar Schritten zu einem Türchen
+brachte, von dem aus eine kurze Treppe in das Boot hinabführte, welches
+für sie vorbereitet war. Die Matrosen im Boot, in das ihr Führer gleich
+mit einem einzigen Satz hinuntersprang, erhoben sich und salutierten.
+Der Senator gab Karl gerade eine Ermahnung zu vorsichtigem
+Hinuntersteigen, als Karl noch auf der obersten Stufe in heftiges
+Weinen ausbrach. Der Senator legte die rechte Hand unter Karls Kinn,
+hielt ihn fest an sich gepreßt und streichelte ihn mit der linken Hand.
+So gingen sie langsam Stufe für Stufe hinab und traten engverbunden ins
+Boot, wo der Senator für Karl gerade sich gegenüber einen guten Platz
+aussuchte. Auf ein Zeichen des Senators stießen die Matrosen vom Schiffe
+ab und waren gleich in voller Arbeit. Kaum waren sie ein paar Meter vom
+Schiff entfernt, machte Karl die unerwartete Entdeckung, daß sie sich
+gerade auf jener Seite des Schiffes befanden, wohin die Fenster der
+Hauptkassa gingen. Alle drei Fenster waren mit Zeugen Schubals besetzt,
+welche freundschaftlichst grüßten und winkten, sogar der Onkel dankte,
+und ein Matrose machte das Kunststück, ohne eigentlich das gleichmäßige
+Rudern zu unterbrechen, eine Kußhand hinaufzuschicken. Es war wirklich,
+als gebe es keinen Heizer mehr. Karl faßte den Onkel, mit dessen Knien
+sich die seinen fast berührten, genauer ins Auge, und es kamen ihm
+Zweifel, ob dieser Mann ihm jemals den Heizer werde ersetzen können.
+Auch wich der Onkel seinem Blicke aus und sah auf die Wellen hin, von
+denen ihr Boot umschwankt wurde.
+
+
+
+[Anmerkungen zur Transkription: Dieses elektronische Buch wurde auf
+Grundlage der Erstausgabe erstellt.
+
+Nach dem Korrekturlesen auf PGDP wurde der Text mit der eigens für
+diesen Zweck eingescannten Fassung aus »Franz Kafka: Die Erzählungen --
+Originalfassung, Fischer Taschenbuchverlag, 8. Auflage: August 2003«
+verglichen. Jene Fassung basiert auf der Kritischen Kafka-Ausgabe.
+Entsprechend dieser Textvergleiche wurden folgende Korrekturen
+vorgenommen:
+
+p 05: sechszehnjährige -> sechzehnjährige
+p 08: »Ja, warum haben sie -> Sie
+p 21: Kofferchen -> Köfferchen
+p 34: beseitegeschafft -> beiseitegeschafft
+p 42: in Verzweiflung kommen wie -> kommen, wie ]
+
+
+
+[Transcriber's Note: This ebook has been prepared from scans of a first
+edition copy.
+
+After proofreading on PGDP had been completed, the text was compared
+with another version scanned from a recent printing of »Franz Kafka: Die
+Erzählungen -- Originalfassung, Fischer Taschenbuchverlag, 8. Auflage:
+August 2003«; which follows the critical edition of Kafka's works. While
+I kept most of the peculiarities of the first edition, I corrected the
+following list of words and punctuation which I believe to be misprints:
+
+p 05: sechszehnjährige -> sechzehnjährige
+p 08: »Ja, warum haben sie -> Sie
+p 21: Kofferchen -> Köfferchen
+p 34: beseitegeschafft -> beiseitegeschafft
+p 42: in Verzweiflung kommen wie -> kommen, wie ]
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Der Heizer, by Franz Kafka
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HEIZER ***
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+ has agreed to donate royalties under this paragraph to the
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+ must be paid within 60 days following each date on which you
+ prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
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+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
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+ License. You must require such a user to return or
+ destroy all copies of the works possessed in a physical medium
+ and discontinue all use of and all access to other copies of
+ Project Gutenberg-tm works.
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+- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
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+ of receipt of the work.
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+receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy
+is also defective, you may demand a refund in writing without further
+opportunities to fix the problem.
+
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+in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
+WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.
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+1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
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+law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
+interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
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+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
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+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
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+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
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+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
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+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
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+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
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+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
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+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
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+ The Project Gutenberg eBook of Der Heizer, by Franz Kafka.
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+The Project Gutenberg EBook of Der Heizer, by Franz Kafka
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+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
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+Title: Der Heizer
+ Ein Fragment
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+Author: Franz Kafka
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+Release Date: July 15, 2005 [EBook #16304]
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+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HEIZER ***
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+Produced by Markus Brenner and the Online Distributed
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+<p><a class="page" name="Page_3" id="Page_3" title="3"></a></p>
+<h2>Franz Kafka</h2>
+<h1>Der Heizer</h1>
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+<h3>Ein Fragment</h3>
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+<h5>1913<br />
+Kurt Wolff Verlag &#8226; Leipzig</h5>
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+<p><a class="page" name="Page_4" id="Page_4" title="4"></a></p>
+<p class="seriesinfo">Dies Buch wurde<br />
+gedruckt im Mai 1913 als dritter<br />
+Band der B&uuml;cherei &raquo;Der j&uuml;ngste Tag&laquo; bei<br />
+Poeschel &amp; Trepte in Leipzig</p>
+
+
+<p class="copyright">COPYRIGHT BY KURT WOLFF VERLAG, LEIPZIG 1913</p>
+
+<hr style="width: 65%;" />
+<p><a class="page" name="Page_5" id="Page_5" title="5"></a></p>
+<p class="newsection">Als der sechzehnj&auml;hrige Karl Ro&szlig;mann, der von seinen
+armen Eltern nach Amerika geschickt worden war,
+weil ihn ein Dienstm&auml;dchen verf&uuml;hrt und ein Kind von
+ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen
+Schiff in den Hafen von New York einfuhr, erblickte er
+die schon l&auml;ngst beobachtete Statue der Freiheitsg&ouml;ttin
+wie in einem pl&ouml;tzlich st&auml;rker gewordenen Sonnenlicht.
+Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor
+und um ihre Gestalt wehten die freien L&uuml;fte.</p>
+
+<p>&raquo;So hoch!&laquo; sagte er sich und wurde, wie er so gar
+nicht an das Weggehen dachte, von der immer mehr
+anschwellenden Menge der Gep&auml;cktr&auml;ger, die an ihm
+vor&uuml;berzogen, allm&auml;hlich bis an das Bordgel&auml;nder geschoben.</p>
+
+<p>Ein junger Mann, mit dem er w&auml;hrend der Fahrt
+fl&uuml;chtig bekannt geworden war, sagte im Vor&uuml;bergehen:
+&raquo;Ja, haben Sie denn noch keine Lust, auszusteigen?&laquo;
+&raquo;Ich bin doch fertig,&laquo; sagte Karl, ihn anlachend, und
+hob aus &Uuml;bermut, und weil er ein starker Junge war,
+seinen Koffer auf die Achsel. Aber wie er &uuml;ber seinen
+Bekannten hinsah, der ein wenig seinen Stock schwenkend
+sich schon mit den andern entfernte, merkte er best&uuml;rzt,
+da&szlig; er seinen eigenen Regenschirm unten im Schiff vergessen
+hatte. Er bat schnell den Bekannten, der nicht sehr
+begl&uuml;ckt schien, um die Freundlichkeit, bei seinem Koffer
+einen Augenblick zu warten, &uuml;berblickte noch die Situation,<a class="page" name="Page_6" id="Page_6" title="6"></a>
+um sich bei der R&uuml;ckkehr zurechtzufinden und eilte davon.
+Unten fand er zu seinem Bedauern einen Gang, der
+seinen Weg sehr verk&uuml;rzt h&auml;tte, zum erstenmal versperrt,
+was wahrscheinlich mit der Ausschiffung s&auml;mtlicher Passagiere
+zusammenhing und mu&szlig;te sich seinen Weg durch
+eine Unzahl kleiner R&auml;ume, &uuml;ber kurze Treppen, die einander
+immer wieder folgten, durch fortw&auml;hrend abbiegende
+Korridore, durch ein leeres Zimmer mit einem verlassenen
+Schreibtisch m&uuml;hselig suchen, bis er sich tats&auml;chlich, da
+er diesen Weg nur ein- oder zweimal und immer in
+gr&ouml;&szlig;erer Gesellschaft gegangen war, ganz und gar verirrt
+hatte. In seiner Ratlosigkeit und da er keinen Menschen
+traf und nur immerfort &uuml;ber sich das Scharren der
+tausend Menschenf&uuml;&szlig;e h&ouml;rte und von der Ferne, wie
+einen Hauch, das letzte Arbeiten der schon eingestellten
+Maschinen merkte, fing er, ohne zu &uuml;berlegen, an eine
+beliebige kleine T&uuml;r zu schlagen an, bei der er in seinem
+Herumirren stockte.</p>
+
+<p>&raquo;Es ist ja offen,&laquo; rief es von innen, und Karl &ouml;ffnete
+mit ehrlichem Aufatmen die T&uuml;r. &raquo;Warum schlagen Sie
+so verr&uuml;ckt auf die T&uuml;r?&laquo; fragte ein riesiger Mann, kaum
+da&szlig; er nach Karl hinsah. Durch irgendeine Oberlichtluke
+fiel ein tr&uuml;bes, oben im Schiff l&auml;ngst abgebrauchtes
+Licht in die kl&auml;gliche Kabine, in welcher ein Bett, ein
+Schrank, ein Sessel und der Mann knapp nebeneinander,
+wie eingelagert, standen. &raquo;Ich habe mich verirrt,&laquo; sagte
+Karl, &raquo;ich habe es w&auml;hrend der Fahrt gar nicht so bemerkt,
+aber es ist ein schrecklich gro&szlig;es Schiff.&laquo; &raquo;Ja,
+da haben Sie recht,&laquo; sagte der Mann mit einigem Stolz<a class="page" name="Page_7" id="Page_7" title="7"></a>
+und h&ouml;rte nicht auf, an dem Schlo&szlig; eines kleinen Koffers
+zu hantieren, den er mit beiden H&auml;nden immer wieder
+zudr&uuml;ckte, um das Einschnappen des Riegels zu behorchen.
+&raquo;Aber kommen Sie doch herein!&laquo; sagte der Mann weiter,
+&raquo;Sie werden doch nicht drau&szlig;en stehn!&laquo; &raquo;St&ouml;re ich nicht?&laquo;
+fragte Karl. &raquo;Ach, wie werden Sie denn st&ouml;ren!&laquo; &raquo;Sind
+Sie ein Deutscher?&laquo; suchte sich Karl noch zu versichern,
+da er viel von den Gefahren geh&ouml;rt hatte, welche besonders
+von Irl&auml;ndern den Neuank&ouml;mmlingen in Amerika
+drohen. &raquo;Bin ich, bin ich,&laquo; sagte der Mann. Karl
+z&ouml;gerte noch. Da fa&szlig;te unversehens der Mann die T&uuml;rklinke
+und schob mit der T&uuml;re, die er rasch schlo&szlig;, Karl
+zu sich herein. &raquo;Ich kann es nicht leiden, wenn man mir
+vom Gang hereinschaut,&laquo; sagte der Mann, der wieder
+an seinem Koffer arbeitete, &raquo;da l&auml;uft jeder vorbei und
+schaut herein, das soll der Zehnte aushalten!&laquo; &raquo;Aber der
+Gang ist doch ganz leer,&laquo; sagte Karl, der unbehaglich
+an den Bettpfosten gequetscht dastand. &raquo;Ja, jetzt,&laquo; sagte
+der Mann. &raquo;Es handelt sich doch um jetzt,&laquo; dachte Karl,
+&raquo;mit dem Mann ist schwer zu reden.&laquo; &raquo;Legen Sie sich
+doch aufs Bett, da haben Sie mehr Platz,&laquo; sagte der
+Mann. Karl kroch, so gut es ging, hinein und lachte
+dabei laut &uuml;ber den ersten vergeblichen Versuch, sich hin&uuml;berzuschwingen.
+Kaum war er aber im Bett, rief er:
+&raquo;Gottes Willen, ich habe ja ganz meinen Koffer vergessen!&laquo;
+&raquo;Wo ist er denn?&laquo; &raquo;Oben auf dem Deck, ein
+Bekannter gibt acht auf ihn. Wie hei&szlig;t er nur?&laquo; Und
+er zog aus einer Geheimtasche, die ihm seine Mutter f&uuml;r
+<a class="page" name="Page_8" id="Page_8" title="8"></a>die Reise im Rockfutter angelegt hatte, eine Visitkarte.
+&raquo;Butterbaum, Franz Butterbaum.&laquo; &raquo;Haben Sie den
+Koffer sehr n&ouml;tig?&laquo; &raquo;Nat&uuml;rlich.&laquo; &raquo;Ja, warum haben
+Sie ihn dann einem fremden Menschen gegeben?&laquo; &raquo;Ich
+hatte meinen Regenschirm unten vergessen und bin
+gelaufen, ihn zu holen, wollte aber den Koffer nicht
+mitschleppen. Dann habe ich mich auch noch verirrt.&laquo;
+&raquo;Sie sind allein? Ohne Begleitung?&laquo; &raquo;Ja,
+allein.&laquo; &raquo;Ich sollte mich vielleicht an diesen Mann
+halten,&laquo; ging es Karl durch den Kopf, &raquo;wo finde
+ich gleich einen besseren Freund.&laquo; &raquo;Und jetzt haben
+Sie auch noch den Koffer verloren. Vom Regenschirm
+rede ich gar nicht.&laquo; Und der Mann setzte sich
+auf den Sessel, als habe Karls Sache jetzt einiges Interesse
+f&uuml;r ihn gewonnen. &raquo;Ich glaube aber, der Koffer
+ist noch nicht verloren.&laquo; &raquo;Glauben macht selig,&laquo; sagte
+der Mann und kratzte sich kr&auml;ftig in seinem dunklen,
+kurzen, dichten Haar, &raquo;auf dem Schiff wechseln mit den
+Hafenpl&auml;tzen auch die Sitten. In Hamburg h&auml;tte Ihr
+Butterbaum den Koffer vielleicht bewacht, hier ist h&ouml;chstwahrscheinlich
+von beiden keine Spur mehr.&laquo; &raquo;Da mu&szlig;
+ich aber doch gleich hinaufschaun,&laquo; sagte Karl und sah
+sich um, wie er hinauskommen k&ouml;nnte. &raquo;Bleiben Sie
+nur,&laquo; sagte der Mann und stie&szlig; ihn mit einer Hand
+gegen die Brust, geradezu rauh, ins Bett zur&uuml;ck. &raquo;Warum
+denn?&laquo; fragte Karl &auml;rgerlich. &raquo;Weil es keinen Sinn
+hat,&laquo; sagte der Mann &raquo;in einem kleinen Weilchen gehe
+ich auch, dann gehen wir zusammen. Entweder ist der
+Koffer gestohlen, dann ist keine Hilfe, oder der Mensch
+<a class="page" name="Page_9" id="Page_9" title="9"></a>bewacht ihn noch immer, dann ist er ein Dummkopf und
+soll weiter wachen, oder er ist blo&szlig; ein ehrlicher Mensch
+und hat den Koffer stehen gelassen, dann werden wir
+ihn, bis das Schiff ganz entleert ist, desto besser finden.
+Ebenso auch Ihren Regenschirm.&laquo; &raquo;Kennen Sie sich auf
+dem Schiff aus?&laquo; fragte Karl mi&szlig;trauisch und es schien
+ihm, als h&auml;tte der sonst &uuml;berzeugende Gedanke, da&szlig; auf
+dem leeren Schiff seine Sachen am besten zu finden sein
+w&uuml;rden, einen verborgenen Haken. &raquo;Ich bin doch Schiffsheizer,&laquo;
+sagte der Mann. &raquo;Sie sind Schiffsheizer!&laquo; rief
+Karl freudig, als &uuml;berstiege das alle Erwartungen, und
+sah, den Ellbogen aufgest&uuml;tzt, den Mann n&auml;her an. &raquo;Gerade
+vor der Kammer, wo ich mit den Slowaken geschlafen
+habe, war eine Luke angebracht, durch die man
+in den Maschinenraum sehen konnte.&laquo; &raquo;Ja, dort habe
+ich gearbeitet,&laquo; sagte der Heizer. &raquo;Ich habe mich immer
+so f&uuml;r Technik interessiert,&laquo; sagte Karl, der in einem
+bestimmten Gedankengang blieb, &raquo;und ich w&auml;re sicher
+sp&auml;ter Ingenieur geworden, wenn ich nicht nach Amerika
+h&auml;tte fahren m&uuml;ssen.&laquo; &raquo;Warum haben Sie denn fahren
+m&uuml;ssen?&laquo; &raquo;Ach was!&laquo; sagte Karl und warf die ganze
+Geschichte mit der Hand weg. Dabei sah er l&auml;chelnd
+den Heizer an, als bitte er ihn selbst f&uuml;r das Nichteingestandene
+um seine Nachsicht. &raquo;Es wird schon einen
+Grund gehabt haben,&laquo; sagte der Heizer und man wu&szlig;te
+nicht recht, ob er damit die Erz&auml;hlung dieses Grundes
+fordern oder abwehren wollte. &raquo;Jetzt k&ouml;nnte ich auch
+Heizer werden,&laquo; sagte Karl, &raquo;meinen Eltern ist es jetzt
+ganz gleichg&uuml;ltig, was ich werde.&laquo; &raquo;Meine Stelle wird
+<a class="page" name="Page_10" id="Page_10" title="10"></a>frei,&laquo; sagte der Heizer, gab im Vollbewu&szlig;tsein dessen
+die H&auml;nde in die Hosentaschen und warf die Beine, die
+in faltigen, lederartigen, eisengrauen Hosen steckten, aufs
+Bett hin, um sie zu strecken. Karl mu&szlig;te mehr an die
+Wand r&uuml;cken. &raquo;Sie verlassen das Schiff?&laquo; &raquo;Jawohl, wir
+marschieren heute ab.&laquo; &raquo;Warum denn? Gef&auml;llt es Ihnen
+nicht?&laquo; &raquo;Ja, das sind die Verh&auml;ltnisse, es entscheidet nicht
+immer, ob es einem gef&auml;llt oder nicht. &Uuml;brigens haben Sie
+recht, es gef&auml;llt mir auch nicht. Sie denken wahrscheinlich
+nicht ernstlich daran, Heizer zu werden, aber gerade
+dann kann man es am leichtesten werden. Ich also
+rate Ihnen entschieden ab. Wenn Sie in Europa studieren
+wollten, warum wollen Sie es denn hier nicht?
+Die amerikanischen Universit&auml;ten sind ja unvergleichlich
+besser als die europ&auml;ischen.&laquo; &raquo;Es ist ja m&ouml;glich,&laquo; sagte
+Karl, &raquo;aber ich habe ja fast kein Geld zum Studieren.
+Ich habe zwar von irgendjemandem gelesen, der bei
+Tag in einem Gesch&auml;ft gearbeitet und in der Nacht
+studiert hat, bis er Doktor und ich glaube B&uuml;rgermeister
+wurde, aber dazu geh&ouml;rt doch eine gro&szlig;e Ausdauer,
+nicht? Ich f&uuml;rchte, die fehlt mir. Au&szlig;erdem war ich gar
+kein besonders guter Sch&uuml;ler, der Abschied von der
+Schule ist mir wirklich nicht schwer geworden. Und die
+Schulen hier sind vielleicht noch strenger. Englisch kann
+ich fast gar nicht. &Uuml;berhaupt ist man hier gegen Fremde
+so eingenommen, glaube ich.&laquo; &raquo;Haben Sie das auch
+schon erfahren? Na, dann ist&#8217;s gut. Dann sind Sie mein
+Mann. Sehen Sie, wir sind doch auf einem deutschen
+Schiff, es geh&ouml;rt der Hamburg-Amerika-Linie, warum
+<a class="page" name="Page_11" id="Page_11" title="11"></a>sind wir nicht lauter Deutsche hier? Warum ist der
+Obermaschinist ein Rum&auml;ne? Er hei&szlig;t Schubal. Das ist
+doch nicht zu glauben. Und dieser Lumpenhund schindet
+uns Deutsche auf einem deutschen Schiff. Glauben Sie
+nicht&laquo; &#8211; ihm ging die Luft aus, er fackelte mit der
+Hand &#8211; &raquo;da&szlig; ich klage, um zu klagen. Ich wei&szlig;, da&szlig;
+Sie keinen Einflu&szlig; haben und selbst ein armes B&uuml;rschchen
+sind. Aber es ist zu arg!&laquo; Und er schlug auf den
+Tisch mehrmals mit der Faust und lie&szlig; kein Auge von
+ihr, w&auml;hrend er schlug. &raquo;Ich habe doch schon auf so
+vielen Schiffen gedient&laquo; &#8211; und er nannte zwanzig
+Namen hintereinander als sei es ein Wort, Karl wurde
+ganz wirr &#8211; &raquo;und habe mich ausgezeichnet, bin belobt
+worden, war ein Arbeiter nach dem Geschmack meiner
+Kapit&auml;ne, sogar auf dem gleichen Handelssegler war ich
+einige Jahre&laquo; &#8211; er erhob sich, als sei das der H&ouml;hepunkt
+seines Lebens &#8211; &raquo;und hier auf diesem Kasten,
+wo alles nach der Schnur eingerichtet ist, wo kein Witz
+erfordert wird, hier taug&#8217; ich nichts, hier stehe ich dem
+Schubal immer im Wege, bin ein Faulpelz, verdiene
+hinausgeworfen zu werden und bekomme meinen Lohn
+aus Gnade. Verstehen Sie das? Ich nicht.&laquo; &raquo;Das d&uuml;rfen
+Sie sich nicht gefallen lassen,&laquo; sagte Karl aufgeregt. Er
+hatte fast das Gef&uuml;hl davon verloren, da&szlig; er auf dem
+unsicheren Boden eines Schiffes, an der K&uuml;ste eines unbekannten
+Erdteils war, so heimisch war ihm hier auf
+dem Bett des Heizers zumute. &raquo;Waren Sie schon beim
+Kapit&auml;n? Haben Sie schon bei ihm Ihr Recht gesucht?&laquo;
+&raquo;Ach gehen Sie, gehen Sie lieber weg. Ich will Sie
+<a class="page" name="Page_12" id="Page_12" title="12"></a>nicht hier haben. Sie h&ouml;ren nicht zu was ich sage und
+geben mir Ratschl&auml;ge. Wie soll ich denn zum Kapit&auml;n
+gehen!&laquo; Und m&uuml;de setzte sich der Heizer wieder und
+legte das Gesicht in beide H&auml;nde.</p>
+
+<p>&raquo;Einen besseren Rat kann ich ihm nicht geben,&laquo; sagte
+sich Karl. Und er fand &uuml;berhaupt, da&szlig; er lieber seinen
+Koffer h&auml;tte holen sollen, statt hier Ratschl&auml;ge zu geben,
+die doch nur f&uuml;r dumm gehalten wurden. Als ihm der
+Vater den Koffer f&uuml;r immer &uuml;bergeben hatte, hatte er
+im Scherz gefragt: &raquo;Wielange wirst Du ihn haben?&laquo;
+und jetzt war dieser teuere Koffer vielleicht schon im
+Ernst verloren. Der einzige Trost war noch, da&szlig; der
+Vater von seiner jetzigen Lage kaum erfahren konnte,
+selbst wenn er nachforschen sollte. Nur da&szlig; er bis New
+York mitgekommen war, konnte die Schiffsgesellschaft
+gerade noch sagen. Leid tat es aber Karl, da&szlig; er die
+Sachen im Koffer noch kaum verwendet hatte, trotzdem
+er es beispielsweise l&auml;ngst n&ouml;tig gehabt h&auml;tte, das Hemd
+zu wechseln. Da hatte er also am unrichtigen Ort gespart;
+jetzt, wo er es gerade am Beginn seiner Laufbahn
+n&ouml;tig haben w&uuml;rde, rein gekleidet aufzutreten, w&uuml;rde er
+im schmutzigen Hemd erscheinen m&uuml;ssen. Sonst w&auml;re der
+Verlust des Koffers nicht gar so arg gewesen, denn der
+Anzug, den er anhatte, war sogar besser, als jener im
+Koffer, der eigentlich nur ein Notanzug war, den die
+Mutter noch knapp vor der Abreise hatte flicken m&uuml;ssen.
+Jetzt erinnerte er sich auch, da&szlig; im Koffer noch ein
+St&uuml;ck Veroneser Salami war, die ihm die Mutter als
+Extragabe eingepackt hatte, von der er jedoch nur den
+<a class="page" name="Page_13" id="Page_13" title="13"></a>kleinsten Teil hatte aufessen k&ouml;nnen, da er w&auml;hrend der
+Fahrt ganz ohne Appetit gewesen war und die Suppe,
+die im Zwischendeck zur Verteilung kam, ihm reichlich
+gen&uuml;gt hatte. Jetzt h&auml;tte er aber die Wurst gern bei
+der Hand gehabt, um sie dem Heizer zu verehren. Denn
+solche Leute sind leicht gewonnen, wenn man ihnen
+irgendeine Kleinigkeit zusteckt, das wu&szlig;te Karl noch
+von seinem Vater her, welcher durch Zigarrenverteilung
+alle die niedrigeren Angestellten gewann, mit denen er
+gesch&auml;ftlich zu tun hatte. Jetzt besa&szlig; Karl an Verschenkbarem
+nur noch sein Geld, und das wollte er, wenn er
+schon vielleicht den Koffer verloren haben sollte, vorl&auml;ufig
+nicht anr&uuml;hren. Wieder kehrten seine Gedanken
+zum Koffer zur&uuml;ck, und er konnte jetzt wirklich nicht einsehen,
+warum er den Koffer w&auml;hrend der Fahrt so
+aufmerksam bewacht hatte, da&szlig; ihm die Wache fast den
+Schlaf gekostet hatte, wenn er jetzt diesen gleichen Koffer
+so leicht sich hatte wegnehmen lassen. Er erinnerte sich an
+die f&uuml;nf N&auml;chte, w&auml;hrend derer er einen kleinen Slowaken,
+der zwei Schlafstellen links von ihm gelegen war,
+unausgesetzt im Verdacht gehabt hatte, da&szlig; er es auf
+seinen Koffer abgesehen habe. Dieser Slowake hatte nur
+darauf gelauert, da&szlig; Karl endlich, von Schw&auml;che befallen,
+f&uuml;r einen Augenblick einnicke, damit er den
+Koffer mit einer langen Stange, mit der er immer
+w&auml;hrend des Tages spielte oder &uuml;bte, zu sich hin&uuml;berziehen
+k&ouml;nne. Bei Tag sah dieser Slowake genug unschuldig
+aus, aber kaum war die Nacht gekommen, erhob
+er sich von Zeit zu Zeit von seinem Lager und sah
+<a class="page" name="Page_14" id="Page_14" title="14"></a>traurig zu Karls Koffer hin&uuml;ber. Karl konnte dies ganz
+deutlich erkennen, denn immer hatte hie und da jemand
+mit der Unruhe des Auswanderers ein Lichtchen angez&uuml;ndet,
+trotzdem dies nach der Schiffsordnung verboten
+war, und versuchte, unverst&auml;ndliche Prospekte der Auswanderungsagenturen
+zu entziffern. War ein solches Licht
+in der N&auml;he, dann konnte Karl ein wenig eind&auml;mmern,
+war es aber in der Ferne, oder war dunkel, dann
+mu&szlig;te er die Augen offenhalten. Diese Anstrengung hatte
+ihn recht ersch&ouml;pft, und nun war sie vielleicht ganz umsonst
+gewesen. Dieser Butterbaum, wenn er ihn einmal
+irgendwo treffen sollte!</p>
+
+<p>In diesem Augenblick ert&ouml;nten drau&szlig;en in weiter
+Ferne in die bisherige vollkommene Ruhe hinein kleine
+kurze Schl&auml;ge, wie von Kinderf&uuml;&szlig;en, sie kamen n&auml;her
+mit verst&auml;rktem Klang und nun war es ein ruhiger
+Marsch von M&auml;nnern. Sie gingen offenbar, wie es in
+dem schmalen Gang nat&uuml;rlich war, in einer Reihe, man
+h&ouml;rte Klirren wie von Waffen. Karl, der schon nahe
+daran gewesen war, sich im Bett zu einem von allen
+Sorgen um Koffer und Slowaken befreiten Schlafe
+auszustrecken, schreckte auf und stie&szlig; den Heizer an, um
+ihn endlich aufmerksam zu machen, denn der Zug schien
+mit seiner Spitze die T&uuml;r gerade erreicht zu haben. &raquo;Das
+ist die Schiffskapelle,&laquo; sagte der Heizer, &raquo;die haben oben
+gespielt und gehen jetzt einpacken. Jetzt ist alles fertig
+und wir k&ouml;nnen gehen. Kommen Sie!&laquo; Er fa&szlig;te Karl
+bei der Hand, nahm noch im letzten Augenblick ein eingerahmtes
+Muttergottesbild von der Wand &uuml;ber dem
+<a class="page" name="Page_15" id="Page_15" title="15"></a>Bett, stopfte es in seine Brusttasche, ergriff seinen Koffer
+und verlie&szlig; mit Karl eilig die Kabine.</p>
+
+<p>&raquo;Jetzt gehe ich ins Bureau und werde den Herren
+meine Meinung sagen. Es ist kein Passagier mehr da,
+man mu&szlig; keine R&uuml;cksicht nehmen&laquo;. Dieses wiederholte
+der Heizer verschiedenartig und wollte im Gehen mit
+Seitw&auml;rtssto&szlig;en des Fu&szlig;es eine den Weg kreuzende
+Ratte niedertreten, stie&szlig; sie aber blo&szlig; schneller in das
+Loch hinein, das sie noch rechtzeitig erreicht hatte. Er
+war &uuml;berhaupt langsam in seinen Bewegungen, denn
+wenn er auch lange Beine hatte, so waren sie doch zu
+schwer.</p>
+
+<p>Sie kamen durch eine Abteilung der K&uuml;che, wo einige
+M&auml;dchen in schmutzigen Sch&uuml;rzen &#8211; sie begossen sie
+absichtlich &#8211; Geschirr in gro&szlig;en Bottichen reinigten.
+Der Heizer rief eine gewisse Line zu sich, legte den Arm
+um ihre H&uuml;fte und f&uuml;hrte sie, die sich immerzu kokett
+gegen seinen Arm dr&uuml;ckte, ein St&uuml;ckchen mit. &raquo;Es gibt
+jetzt Auszahlung, willst du mitkommen?&laquo; fragte er.
+&raquo;Warum soll ich mich bem&uuml;hn, bring mir das Geld
+lieber her,&laquo; antwortete sie, schl&uuml;pfte unter seinem Arm
+durch und lief davon. &raquo;Wo hast du denn den sch&ouml;nen
+Knaben aufgegabelt?&laquo; rief sie noch, wollte aber keine
+Antwort mehr. Man h&ouml;rte das Lachen aller M&auml;dchen,
+die ihre Arbeit unterbrochen hatten.</p>
+
+<p>Sie gingen aber weiter und kamen an eine T&uuml;r, die
+oben einen kleinen Vorgiebel hatte, der von kleinen,
+vergoldeten Karyatiden getragen war. F&uuml;r eine Schiffseinrichtung
+sah das recht verschwenderisch aus. Karl war,
+<a class="page" name="Page_16" id="Page_16" title="16"></a>wie er merkte, niemals in diese Gegend gekommen, die
+wahrscheinlich w&auml;hrend der Fahrt den Passagieren der
+ersten und zweiten Klasse vorbehalten gewesen war,
+w&auml;hrend man jetzt vor der gro&szlig;en Schiffsreinigung die
+Trennungst&uuml;ren ausgehoben hatte. Sie waren auch tats&auml;chlich
+schon einigen M&auml;nnern begegnet, die Besen an
+der Schulter trugen und den Heizer gegr&uuml;&szlig;t hatten.
+Karl staunte &uuml;ber den gro&szlig;en Betrieb, in seinem
+Zwischendeck hatte er davon freilich wenig erfahren.
+Entlang der G&auml;nge zogen sich auch Dr&auml;hte elektrischer
+Leitungen und eine kleine Glocke h&ouml;rte man immerfort.</p>
+
+<p>Der Heizer klopfte respektvoll an der T&uuml;re an und
+forderte, als man &raquo;herein&laquo; rief, Karl mit einer Handbewegung
+auf, ohne Furcht einzutreten. Er trat auch
+ein, aber blieb an der T&uuml;re stehen. Vor den drei Fenstern
+des Zimmers sah er die Wellen des Meeres und
+bei Betrachtung ihrer fr&ouml;hlichen Bewegung schlug ihm
+das Herz, als h&auml;tte er nicht f&uuml;nf lange Tage das Meer
+ununterbrochen gesehen. Gro&szlig;e Schiffe kreuzten gegenseitig
+ihre Wege und gaben dem Wellenschlag nur soweit
+nach als es ihre Schwere erlaubte. Wenn man die
+Augen klein machte, schienen diese Schiffe vor lauter Schwere
+zu schwanken. Auf ihren Masten trugen sie schmale, aber
+lange Flaggen, die zwar durch die Fahrt gestrafft wurden,
+trotzdem aber noch hin- und herzappelten. Wahrscheinlich
+von Kriegsschiffen her erklangen Salutsch&uuml;sse, die
+Kanonenrohre eines solchen nicht allzuweit vor&uuml;berfahrenden
+Schiffes, strahlend mit dem Reflex ihres
+Stahlmantels, waren wie geh&auml;tschelt von der sicheren,
+<a class="page" name="Page_17" id="Page_17" title="17"></a>glatten und doch nicht wagrechten Fahrt. Die kleinen
+Schiffchen und Boote konnte man, wenigstens von der
+T&uuml;r aus, nur in der Ferne beobachten, wie sie in
+Mengen in die &Ouml;ffnungen zwischen den gro&szlig;en Schiffen
+einliefen. Hinter alledem aber stand New York und sah
+Karl mit den hunderttausend Fenstern seiner Wolkenkratzer
+an. Ja, in diesem Zimmer wu&szlig;te man, wo man war.</p>
+
+<p>An einem runden Tisch sa&szlig;en drei Herren, der eine
+ein Schiffsoffizier in blauer Schiffsuniform, die zwei
+anderen, Beamte der Hafenbeh&ouml;rde, in schwarzen, amerikanischen
+Uniformen. Auf dem Tisch lagen, hochaufgeschichtet,
+verschiedene Dokumente, welche der Offizier
+zuerst mit der Feder in der Hand &uuml;berflog, um sie dann
+den beiden anderen zu reichen, die bald lasen, bald exzerpierten,
+bald in ihre Aktentaschen einlegten, wenn nicht
+gerade der eine, der fast ununterbrochen ein kleines Ger&auml;usch
+mit den Z&auml;hnen vollf&uuml;hrte, seinem Kollegen etwas
+in ein Protokoll diktierte.</p>
+
+<p>Am Fenster sa&szlig; an einem Schreibtisch, den R&uuml;cken der
+T&uuml;re zugewendet, ein kleinerer Herr, der mit gro&szlig;en
+Folianten hantierte, die auf einem starken B&uuml;cherbrett
+in Kopfh&ouml;he vor ihm aneinander gereiht waren. Neben
+ihm stand eine offene, wenigstens auf den ersten Blick
+leere Kassa.</p>
+
+<p>Das zweite Fenster war leer und gab den besten Ausblick.
+In der N&auml;he des dritten aber standen zwei Herren
+in halblautem Gespr&auml;ch. Der eine lehnte neben dem
+Fenster, trug auch die Schiffsuniform und spielte mit
+dem Griff des Degens. Derjenige, mit dem er sprach,
+<a class="page" name="Page_18" id="Page_18" title="18"></a>war dem Fenster zugewendet und enth&uuml;llte hie und da
+durch eine Bewegung einen Teil der Ordensreihe auf
+der Brust des andern. Er war in Zivil und hatte ein
+d&uuml;nnes Bambusst&ouml;ckchen, das, da er beide H&auml;nde an den
+H&uuml;ften festhielt, auch wie ein Degen abstand.</p>
+
+<p>Karl hatte nicht viel Zeit, alles anzusehen, denn bald
+trat ein Diener auf sie zu und fragte den Heizer mit
+einem Blick, als geh&ouml;re er nicht hierher, was er denn
+wolle. Der Heizer antwortete, so leise als er gefragt
+wurde, er wolle mit dem Herrn Oberkassier reden. Der
+Diener lehnte f&uuml;r seinen Teil mit einer Handbewegung
+diese Bitte ab, ging aber dennoch auf den Fu&szlig;spitzen,
+dem runden Tisch in gro&szlig;em Bogen ausweichend, zu dem
+Herrn mit den Folianten. Dieser Herr &#8211; das sah man
+deutlich &#8211; erstarrte geradezu unter den Worten des
+Dieners, kehrte sich aber endlich nach dem Manne um,
+der ihn zu sprechen w&uuml;nschte, und fuchtelte dann, streng
+abwehrend, gegen den Heizer und der Sicherheit halber
+auch gegen den Diener hin. Der Diener kehrte darauf
+zum Heizer zur&uuml;ck und sagte in einem Tone, als vertraue
+er ihm etwas an: &raquo;Scheren Sie sich sofort aus dem
+Zimmer!&laquo;</p>
+
+<p>Der Heizer sah nach dieser Antwort zu Karl hinunter,
+als sei dieser sein Herz, dem er stumm seinen Jammer
+klage. Ohne weitere Besinnung machte sich Karl los,
+lief quer durchs Zimmer, da&szlig; er sogar leicht an den
+Sessel des Offiziers streifte, der Diener lief gebeugt mit
+zum Umfangen bereiten Armen, als jage er ein Ungeziefer,
+aber Karl war der erste beim Tisch des Ober<a class="page" name="Page_19" id="Page_19" title="19"></a>kassiers,
+wo er sich festhielt, f&uuml;r den Fall, da&szlig; der
+Diener versuchen sollte, ihn fortzuziehen.</p>
+
+<p>Nat&uuml;rlich wurde gleich das ganze Zimmer lebendig.
+Der Schiffsoffizier am Tisch war aufgesprungen, die
+Herren von der Hafenbeh&ouml;rde sahen ruhig, aber aufmerksam
+zu, die beiden Herren am Fenster waren nebeneinander
+getreten, der Diener, welcher glaubte, er sei dort,
+wo schon die hohen Herren Interesse zeigten, nicht mehr
+am Platze, trat zur&uuml;ck. Der Heizer an der T&uuml;r wartete
+angespannt auf den Augenblick, bis seine Hilfe n&ouml;tig
+w&uuml;rde. Der Oberkassier endlich machte in seinem Lehnsessel
+eine gro&szlig;e Rechtswendung.</p>
+
+<p>Karl kramte aus seiner Geheimtasche, die er den Blicken
+dieser Leute zu zeigen keine Bedenken hatte, seinen Reisepa&szlig;
+hervor, den er statt weiterer Vorstellung ge&ouml;ffnet
+auf den Tisch legte. Der Oberkassier schien diesen Pa&szlig;
+f&uuml;r nebens&auml;chlich zu halten, denn er schnippte ihn mit
+zwei Fingern beiseite, worauf Karl, als sei diese Formalit&auml;t
+zur Zufriedenheit erledigt, den Pa&szlig; wieder einsteckte.</p>
+
+<p>&raquo;Ich erlaube mir zu sagen,&laquo; begann er dann, &raquo;da&szlig;
+meiner Meinung nach dem Herrn Heizer Unrecht geschehen
+ist. Es ist hier ein gewisser Schubal, der ihm aufsitzt.
+Er selbst hat schon auf vielen Schiffen, die er Ihnen
+alle nennen kann, zur vollst&auml;ndigen Zufriedenheit gedient,
+ist flei&szlig;ig, meint es mit seiner Arbeit gut, und es ist wirklich
+nicht einzusehen, warum er gerade auf diesem Schiff,
+wo doch der Dienst nicht so &uuml;berm&auml;&szlig;ig schwer ist, wie zum
+Beispiel auf Handelsseglern, schlecht entsprechen sollte.
+<a class="page" name="Page_20" id="Page_20" title="20"></a>Es kann daher nur Verleumdung sein, die ihn in seinem
+Vorw&auml;rtskommen hindert und ihn um die Anerkennung
+bringt, die ihm sonst ganz bestimmt nicht fehlen w&uuml;rde.
+Ich habe nur das Allgemeine &uuml;ber diese Sache gesagt,
+seine besonderen Beschwerden wird er Ihnen selbst vorbringen.&laquo;
+Karl hatte sich mit dieser Rede an alle Herren
+gewendet, weil ja tats&auml;chlich auch alle zuh&ouml;rten und es
+viel wahrscheinlicher schien, da&szlig; sich unter allen zusammen
+ein Gerechter vorfand, als da&szlig; dieser Gerechte gerade
+der Oberkassier sein sollte. Aus Schlauheit hatte au&szlig;erdem
+Karl verschwiegen, da&szlig; er den Heizer erst so kurze
+Zeit kannte. Im &uuml;brigen h&auml;tte er noch viel besser gesprochen,
+wenn er nicht durch das rote Gesicht des Herrn
+mit dem Bambusst&ouml;ckchen beirrt worden w&auml;re, das er
+von seinem jetzigen Standort zum erstenmal sah.</p>
+
+<p>&raquo;Es ist alles Wort f&uuml;r Wort richtig,&laquo; sagte der Heizer,
+ehe ihn noch jemand gefragt, ja ehe man noch &uuml;berhaupt
+auf ihn hingesehen hatte. Diese &Uuml;bereiltheit des Heizers
+w&auml;re ein gro&szlig;er Fehler gewesen, wenn nicht der Herr
+mit den Orden, der, wie es jetzt Karl aufleuchtete, jedenfalls
+der Kapit&auml;n war, offenbar mit sich bereits &uuml;bereingekommen
+w&auml;re, den Heizer anzuh&ouml;ren. Er streckte n&auml;mlich
+die Hand aus und rief dem Heizer zu: &raquo;Kommen
+Sie her!&laquo; mit einer Stimme, fest, um mit einem Hammer
+darauf zu schlagen. Jetzt hing alles vom Benehmen des
+Heizers ab, denn was die Gerechtigkeit seiner Sache anlangte,
+an der zweifelte Karl nicht.</p>
+
+<p>Gl&uuml;cklicherweise zeigte sich bei dieser Gelegenheit, da&szlig;
+der Heizer schon viel in der Welt herumgekommen war.
+<a class="page" name="Page_21" id="Page_21" title="21"></a>Musterhaft ruhig nahm er aus seinem K&ouml;fferchen mit
+dem ersten Griff ein B&uuml;ndelchen Papiere, sowie ein Notizbuch,
+ging damit, als verst&uuml;nde sich das von selbst, unter
+vollst&auml;ndiger Vernachl&auml;ssigung des Oberkassiers, zum
+Kapit&auml;n und breitete auf dem Fensterbrett seine Beweismittel
+aus. Dem Oberkassier blieb nichts &uuml;brig, als sich
+selbst hinzubem&uuml;hn. &raquo;Der Mann ist ein bekannter Querulant,&laquo;
+sagte er zur Erkl&auml;rung, &raquo;er ist mehr in der
+Kassa, als im Maschinenraum. Er hat Schubal, diesen
+ruhigen Menschen, ganz zur Verzweiflung gebracht. H&ouml;ren
+Sie einmal!&laquo; wandte er sich an den Heizer, &raquo;Sie treiben
+Ihre Zudringlichkeit doch schon wirklich zu weit. Wie
+oft hat man Sie schon aus den Auszahlungsr&auml;umen hinausgeworfen,
+wie Sie es mit Ihren ganz, vollst&auml;ndig
+und ausnahmslos unberechtigten Forderungen verdienen!
+Wie oft sind Sie von dort in die Hauptkassa gelaufen
+gekommen! Wie oft hat man Ihnen im Guten gesagt,
+da&szlig; Schubal Ihr unmittelbarer Vorgesetzter ist, mit dem
+allein Sie sich als sein Untergebener abzufinden haben!
+Und jetzt kommen Sie gar noch her, wenn der Herr
+Kapit&auml;n da ist, sch&auml;men sich nicht, sogar ihn zu bel&auml;stigen,
+sondern entbl&ouml;den sich nicht einmal, als eingelernten
+Stimmf&uuml;hrer Ihrer abgeschmackten Beschuldigungen diesen
+Kleinen mitzubringen, den ich &uuml;berhaupt zum erstenmal
+auf dem Schiffe sehe!&laquo;</p>
+
+<p>Karl hielt sich mit Gewalt zur&uuml;ck, vorzuspringen. Aber
+schon war auch der Kapit&auml;n da, welcher sagte: &raquo;H&ouml;ren
+wir den Mann doch einmal an. Der Schubal wird mir
+sowieso mit der Zeit viel zu selbst&auml;ndig, womit ich aber
+<a class="page" name="Page_22" id="Page_22" title="22"></a>nichts zu Ihren Gunsten gesagt haben will.&laquo; Das letztere
+galt dem Heizer, es war nur nat&uuml;rlich, da&szlig; er sich nicht
+sofort f&uuml;r ihn einsetzen konnte, aber alles schien auf dem
+richtigen Wege. Der Heizer begann seine Erkl&auml;rungen
+und &uuml;berwand sich gleich am Anfang, indem er den
+Schubal mit &raquo;Herr&laquo; titulierte. Wie freute sich Karl am
+verlassenen Schreibtisch des Oberkassiers, wo er eine
+Briefwage immer wieder niederdr&uuml;ckte vor lauter Vergn&uuml;gen.
+&#8211; Herr Schubal ist ungerecht! Herr Schubal
+bevorzugt die Ausl&auml;nder! Herr Schubal verwies den
+Heizer aus dem Maschinenraum und lie&szlig; ihn Klosette
+reinigen, was doch gewi&szlig; nicht des Heizers Sache war! &#8211;
+Einmal wurde sogar die T&uuml;chtigkeit des Herrn Schubal
+angezweifelt, die eher scheinbar als wirklich vorhanden
+sein sollte. Bei dieser Stelle starrte Karl mit aller Kraft
+den Kapit&auml;n an, zutunlich, als sei er sein Kollege, nur
+damit er sich durch die etwas ungeschickte Ausdrucksweise
+des Heizers nicht zu dessen Ungunsten beeinflussen lasse.
+Immerhin erfuhr man aus den vielen Reden nichts Eigentliches,
+und wenn auch der Kapit&auml;n noch immer vor sich
+hinsah, in den Augen die Entschlossenheit, den Heizer
+diesmal bis zu Ende anzuh&ouml;ren, so wurden doch die
+anderen Herren ungeduldig, und die Stimme des Heizers
+regierte bald nicht mehr unumschr&auml;nkt in dem Raume,
+was manches bef&uuml;rchten lie&szlig;. Als erster setzte der Herr
+in Zivil sein Bambusst&ouml;ckchen in T&auml;tigkeit und klopfte,
+wenn auch nur leise, auf das Parkett. Die anderen
+Herren sahen nat&uuml;rlich hie und da hin, die Herren von
+der Hafenbeh&ouml;rde, die offenbar pressiert waren, griffen
+<a class="page" name="Page_23" id="Page_23" title="23"></a>wieder zu den Akten und begannen, wenn auch noch
+etwas geistesabwesend, sie durchzusehen, der Schiffsoffizier
+r&uuml;ckte seinem Tische wieder n&auml;her, und der Oberkassier,
+der gewonnenes Spiel zu haben glaubte, seufzte aus
+Ironie tief auf. Von der allgemein eintretenden Zerstreuung
+schien nur der Diener bewahrt, der von den
+Leiden des unter die Gro&szlig;en gestellten armen Mannes
+einen Teil mitf&uuml;hlte und Karl ernst zunickte, als wolle
+er damit etwas erkl&auml;ren.</p>
+
+<p>Inzwischen ging vor den Fenstern das Hafenleben
+weiter; ein flaches Lastschiff mit einem Berg von F&auml;ssern,
+die wunderbar verstaut sein mu&szlig;ten, da&szlig; sie nicht ins
+Rollen kamen, zog vor&uuml;ber und erzeugte in dem Zimmer
+fast Dunkelheit; kleine Motorboote, die Karl jetzt, wenn
+er Zeit gehabt h&auml;tte, genau h&auml;tte ansehen k&ouml;nnen, rauschten
+nach den Zuckungen der H&auml;nde eines am Steuer
+aufrecht stehenden Mannes schnurgerade dahin; eigent&uuml;mliche
+Schwimmk&ouml;rper tauchten hie und da selbst&auml;ndig aus
+dem ruhelosen Wasser, wurden gleich wieder &uuml;berschwemmt
+und versanken vor dem erstaunten Blick; Boote der
+Ozeandampfer wurden von hei&szlig; arbeitenden Matrosen
+vorw&auml;rtsgerudert und waren voll von Passagieren, die
+darin, so wie man sie hineingezw&auml;ngt hatte, still und
+erwartungsvoll sa&szlig;en, wenn es auch manche nicht unterlassen
+konnten, die K&ouml;pfe nach den wechselnden Szenerien
+zu drehen. Eine Bewegung ohne Ende, eine Unruhe,
+&uuml;bertragen von dem unruhigen Element auf die hilflosen
+Menschen und ihre Werke!</p>
+
+<p>Aber alles mahnte zur Eile, zur Deutlichkeit, zu ganz
+<a class="page" name="Page_24" id="Page_24" title="24"></a>genauer Darstellung, aber was tat der Heizer! Er redete
+sich allerdings in Schwei&szlig;, die Papiere auf dem Fenster
+konnte er l&auml;ngst mit seinen zitternden H&auml;nden nicht mehr
+halten, aus allen Himmelsrichtungen str&ouml;mten ihm Klagen
+&uuml;ber Schubal zu, von denen seiner Meinung nach jede
+einzelne gen&uuml;gt h&auml;tte, diesen Schubal vollst&auml;ndig zu begraben,
+aber was er dem Kapit&auml;n vorzeigen konnte, war
+nur ein trauriges Durcheinanderstrudeln aller insgesamt.
+L&auml;ngst schon pfiff der Herr mit dem Bambusst&ouml;ckchen
+schwach zur Decke hinauf, die Herren von der Hafenbeh&ouml;rde
+hielten schon den Offizier an ihrem Tisch und
+machten keine Miene, ihn je wieder loszulassen, der Oberkassier
+wurde sichtlich nur durch die Ruhe des Kapit&auml;ns
+vor dem Dreinfahren zur&uuml;ckgehalten, der Diener erwartete
+in Habtachtstellung jeden Augenblick einen auf den Heizer
+bez&uuml;glichen Befehl seines Kapit&auml;ns.</p>
+
+<p>Da konnte Karl nicht mehr unt&auml;tig bleiben. Er ging
+also langsam zu der Gruppe hin und &uuml;berlegte im Gehen
+nur desto schneller, wie er die Sache m&ouml;glichst geschickt
+angreifen k&ouml;nnte. Es war wirklich h&ouml;chste Zeit, noch ein
+kleines Weilchen nur, und sie konnten ganz gut beide aus
+dem Bureau fliegen. Der Kapit&auml;n mochte ja ein guter
+Mann sein und &uuml;berdies gerade jetzt, wie es Karl schien,
+irgend einen besonderen Grund haben, sich als gerechter
+Vorgesetzter zu zeigen, aber schlie&szlig;lich war er kein Instrument,
+das man in Grund und Boden spielen konnte &#8211;
+und gerade so behandelte ihn der Heizer, allerdings aus
+seinem grenzenlos emp&ouml;rten Innern heraus.</p>
+
+<p>Karl sagte also zum Heizer: &raquo;Sie m&uuml;ssen das einfacher
+<a class="page" name="Page_25" id="Page_25" title="25"></a>erz&auml;hlen, klarer, der Herr Kapit&auml;n kann es nicht w&uuml;rdigen,
+so wie Sie es ihm erz&auml;hlen. Kennt er denn alle
+Maschinisten und Laufburschen beim Namen oder gar
+beim Taufnamen, da&szlig; er, wenn Sie nur einen solchen
+Namen aussprechen, gleich wissen kann, um wen es sich
+handelt? Ordnen Sie doch Ihre Beschwerden, sagen Sie die
+wichtigste zuerst und absteigend die anderen, vielleicht wird es
+dann &uuml;berhaupt nicht mehr n&ouml;tig sein, die meisten auch nur
+zu erw&auml;hnen. Mir haben Sie es doch immer so klar dargestellt!&laquo;
+Wenn man in Amerika Koffer stehlen kann, kann
+man auch hie und da l&uuml;gen, dachte er zur Entschuldigung.</p>
+
+<p>Wenn es aber nur geholfen h&auml;tte! Ob es nicht auch
+schon zu sp&auml;t war? Der Heizer unterbrach sich zwar
+sofort, als er die bekannte Stimme h&ouml;rte, aber mit seinen
+Augen, die ganz von Tr&auml;nen der beleidigten Mannesehre,
+der schrecklichen Erinnerungen, der &auml;u&szlig;ersten gegenw&auml;rtigen
+Not verdeckt waren, konnte er Karl schon nicht
+einmal gut mehr erkennen. Wie sollte er auch jetzt &#8211;
+Karl sah das schweigend vor dem jetzt Schweigenden
+wohl ein &#8211; wie sollte er auch jetzt pl&ouml;tzlich seine Redeweise
+&auml;ndern, da es ihm doch schien, als h&auml;tte er alles,
+was zu sagen war, ohne die geringste Anerkennung schon
+vorgebracht und als habe er andererseits noch gar nichts
+gesagt und k&ouml;nne doch den Herren jetzt nicht zumuten,
+noch alles anzuh&ouml;ren. Und in einem solchen Zeitpunkt
+kommt noch Karl, sein einziger Anh&auml;nger, daher, will
+ihm gute Lehren geben, zeigt ihm aber statt dessen, da&szlig;
+alles, alles verloren ist.</p>
+
+<p>&raquo;W&auml;re ich fr&uuml;her gekommen, statt aus dem Fenster
+<a class="page" name="Page_26" id="Page_26" title="26"></a>zu schauen,&laquo; sagte sich Karl, senkte vor dem Heizer das
+Gesicht und schlug die H&auml;nde an die Hosennaht, zum
+Zeichen des Endes jeder Hoffnung.</p>
+
+<p>Aber der Heizer mi&szlig;verstand das, witterte wohl in
+Karl irgendwelche geheime Vorw&uuml;rfe gegen sich, und in
+der guten Absicht, sie ihm auszureden, fing er zur Kr&ouml;nung
+seiner Taten mit Karl jetzt zu streiten an. Jetzt, wo doch
+die Herren am runden Tisch l&auml;ngst emp&ouml;rt &uuml;ber den
+nutzlosen L&auml;rm waren, der ihre wichtigen Arbeiten st&ouml;rte,
+wo der Hauptkassier allm&auml;hlich die Geduld des Kapit&auml;ns
+unverst&auml;ndlich fand und zum sofortigen Ausbruch neigte,
+wo der Diener, ganz wieder in der Sph&auml;re seiner Herren,
+den Heizer mit wildem Blicke ma&szlig;, und wo endlich der
+Herr mit dem Bambusst&ouml;ckchen, zu welchem sogar der
+Kapit&auml;n hie und da freundschaftlich hin&uuml;bersah, schon
+g&auml;nzlich abgestumpft gegen den Heizer, ja von ihm angewidert,
+ein kleines Notizbuch hervorzog und, offenbar
+mit ganz anderen Angelegenheiten besch&auml;ftigt, die Augen
+zwischen dem Notizbuch und Karl hin- und herwandern lie&szlig;.</p>
+
+<p>&raquo;Ich wei&szlig; ja, ich wei&szlig; ja,&laquo; sagte Karl, der M&uuml;he
+hatte, den jetzt gegen ihn gekehrten Schwall des Heizers
+abzuwehren, trotzdem aber quer durch allen Streit noch
+ein Freundesl&auml;cheln f&uuml;r ihn &uuml;brig hatte, &raquo;Sie haben
+Recht, Recht, ich habe ja nie daran gezweifelt.&laquo; Er
+h&auml;tte ihm gern aus Furcht vor Schl&auml;gen die herumfahrenden
+H&auml;nde gehalten, noch lieber allerdings ihn in
+einen Winkel gedr&auml;ngt, um ihm ein paar leise beruhigende
+Worte zuzufl&uuml;stern, die niemand sonst h&auml;tte h&ouml;ren
+m&uuml;ssen. Aber der Heizer war au&szlig;er Rand und Band.
+<a class="page" name="Page_27" id="Page_27" title="27"></a>Karl begann jetzt schon sogar aus dem Gedanken eine
+Art Trost zu sch&ouml;pfen, da&szlig; der Heizer im Notfall mit
+der Kraft seiner Verzweiflung alle anwesenden sieben
+M&auml;nner bezwingen k&ouml;nne. Allerdings lag auf dem
+Schreibtisch, wie ein Blick dorthin lehrte, ein Aufsatz
+mit viel zu vielen Druckkn&ouml;pfen der elektrischen Leitung
+und eine Hand, einfach auf sie niedergedr&uuml;ckt, konnte
+das ganze Schiff mit allen seinen von feindlichen Menschen
+gef&uuml;llten G&auml;ngen rebellisch machen.</p>
+
+<p>Da trat der doch so uninteressierte Herr mit dem
+Bambusst&ouml;ckchen auf Karl zu und fragte, nicht &uuml;berlaut,
+aber deutlich &uuml;ber allem Geschrei des Heizers:
+&raquo;Wie hei&szlig;en Sie denn eigentlich?&laquo; In diesem Augenblick,
+als h&auml;tte jemand hinter der T&uuml;r auf diese &Auml;u&szlig;erung
+des Herrn gewartet, klopfte es. Der Diener sah
+zum Kapit&auml;n hin&uuml;ber, dieser nickte. Daher ging der
+Diener zur T&uuml;r und &ouml;ffnete sie. Drau&szlig;en stand in einem
+alten Kaiserrock ein Mann von mittleren Proportionen,
+seinem Aussehen nach nicht eigentlich zur Arbeit an den
+Maschinen geeignet und war doch &#8211; Schubal. Wenn
+es Karl nicht an aller Augen erkannt h&auml;tte, die eine
+gewisse Befriedigung ausdr&uuml;ckten, von der nicht einmal
+der Kapit&auml;n frei war, er h&auml;tte es zu seinem Schrecken
+am Heizer sehen m&uuml;ssen, der die F&auml;uste an den gestrafften
+Armen so ballte, als sei diese Ballung das
+Wichtigste an ihm, dem er alles, was er an Leben habe,
+zu opfern bereit sei. Da steckte jetzt alle seine Kraft,
+auch die, welche ihn &uuml;berhaupt aufrecht erhielt.</p>
+
+<p>Und da war also der Feind, frei und frisch im Fest<a class="page" name="Page_28" id="Page_28" title="28"></a>anzug,
+unter dem Arm ein Gesch&auml;ftsbuch, wahrscheinlich
+die Lohnlisten und Arbeitsausweise des Heizers,
+und sah mit dem ungescheuten Zugest&auml;ndnis, da&szlig; er die
+Stimmung jedes Einzelnen vor allem feststellen wolle,
+in aller Augen der Reihe nach. Die sieben waren auch
+schon alle seine Freunde, denn wenn auch der Kapit&auml;n
+fr&uuml;her gewisse Einw&auml;nde gegen ihn gehabt oder vielleicht
+auch nur vorgesch&uuml;tzt hatte, nach dem Leid, das ihm
+der Heizer angetan hatte, schien ihm wahrscheinlich an
+Schubal auch das Geringste nicht mehr auszusetzen.
+Gegen einen Mann, wie den Heizer, konnte man nicht
+streng genug verfahren, und wenn dem Schubal etwas
+vorzuwerfen war, so war es der Umstand, da&szlig; er die
+Widerspenstigkeit des Heizers im Laufe der Zeit nicht
+so weit hatte brechen k&ouml;nnen, da&szlig; es dieser heute noch
+gewagt hatte, vor dem Kapit&auml;n zu erscheinen.</p>
+
+<p>Nun konnte man ja vielleicht noch annehmen, die
+Gegen&uuml;berstellung des Heizers und Schubals werde die
+ihr vor einem h&ouml;heren Forum zukommende Wirkung
+auch vor den Menschen nicht verfehlen, denn wenn sich
+auch Schubal gut verstellen konnte, er mu&szlig;te es doch
+durchaus nicht bis zum Ende aushalten k&ouml;nnen. Ein
+kurzes Aufblitzen seiner Schlechtigkeit sollte gen&uuml;gen, um
+sie den Herren sichtbar zu machen, daf&uuml;r wollte Karl
+schon sorgen. Er kannte doch schon beil&auml;ufig den Scharfsinn,
+die Schw&auml;chen, die Launen der einzelnen Herren
+und unter diesem Gesichtspunkt war die bisher hier
+verbrachte Zeit nicht verloren. Wenn nur der Heizer
+besser auf dem Platz gewesen w&auml;re, aber der schien voll<a class="page" name="Page_29" id="Page_29" title="29"></a>st&auml;ndig
+kampfunf&auml;hig. Wenn man ihm den Schubal
+hingehalten h&auml;tte, h&auml;tte er wohl dessen geha&szlig;ten Sch&auml;del
+mit den F&auml;usten aufklopfen k&ouml;nnen. Aber schon die paar
+Schritte zu ihm hinzugehen, war er wohl kaum imstande.
+Warum hatte denn Karl das so leicht Vorauszusehende
+nicht vorausgesehen, da&szlig; Schubal endlich kommen m&uuml;sse,
+wenn nicht aus eigenem Antrieb, so vom Kapit&auml;n gerufen.
+Warum hatte er auf dem Herweg mit dem Heizer
+nicht einen genauen Kriegsplan besprochen, statt, wie
+sie es in Wirklichkeit getan hatten, heillos unvorbereitet
+einfach dort einzutreten, wo eine T&uuml;r war? Konnte der
+Heizer &uuml;berhaupt noch reden, ja und nein sagen, wie
+es bei dem Kreuzverh&ouml;r, das allerdings nur im g&uuml;nstigsten
+Fall bevorstand, n&ouml;tig sein w&uuml;rde? Er stand da,
+die Beine auseinander gestellt, die Knie ein wenig gebogen,
+den Kopf etwas gehoben und die Luft verkehrte
+durch den offenen Mund, als gebe es innen keine Lungen
+mehr, die sie verarbeiteten.</p>
+
+<p>Karl allerdings f&uuml;hlte sich so kr&auml;ftig und bei Verstand,
+wie er es vielleicht zu Hause niemals gewesen war.
+Wenn ihn doch seine Eltern sehen k&ouml;nnten, wie er in
+fremdem Land, vor angesehenen Pers&ouml;nlichkeiten das
+Gute verfocht und wenn er es auch noch nicht zum
+Siege gebracht hatte, so doch zur letzten Eroberung sich
+vollkommen bereit stellte! W&uuml;rden sie ihre Meinung &uuml;ber
+ihn revidieren? Ihn zwischen sich niedersetzen und loben?
+Ihm einmal, einmal in die ihnen so ergebenen Augen
+sehn? Unsichere Fragen und ungeeignetester Augenblick,
+sie zu stellen!</p>
+
+<p><a class="page" name="Page_30" id="Page_30" title="30"></a>&raquo;Ich komme, weil ich glaube, da&szlig; mich der Heizer
+irgendwelcher Unredlichkeiten beschuldigt. Ein M&auml;dchen
+aus der K&uuml;che sagte mir, sie h&auml;tte ihn auf dem Wege
+hierher gesehen. Herr Kapit&auml;n und Sie alle meine
+Herren, ich bin bereit, jede Beschuldigung an der Hand
+meiner Schriften, n&ouml;tigenfalls durch Aussagen unvoreingenommener
+und unbeeinflu&szlig;ter Zeugen, die vor der
+T&uuml;re stehen, zu widerlegen.&laquo; So sprach Schubal. Das
+war allerdings die klare Rede eines Mannes und nach
+der Ver&auml;nderung in den Mienen der Zuh&ouml;rer h&auml;tte man
+glauben k&ouml;nnen, sie h&ouml;rten zum erstenmal nach langer
+Zeit wieder menschliche Laute. Sie bemerkten freilich
+nicht, da&szlig; selbst diese sch&ouml;ne Rede L&ouml;cher hatte. Warum
+war das erste sachliche Wort, das ihm einfiel, &raquo;Unredlichkeiten&laquo;?
+H&auml;tte vielleicht die Beschuldigung hier
+einsetzen m&uuml;ssen, statt bei seinen nationalen Voreingenommenheiten?
+Ein M&auml;dchen aus der K&uuml;che hatte den
+Heizer auf dem Weg ins Bureau gesehen und Schubal
+hatte sofort begriffen? War es nicht das Schuldbewu&szlig;tsein,
+das ihm den Verstand sch&auml;rfte? Und Zeugen hatte
+er gleich mitgebracht und nannte sie noch au&szlig;erdem unvoreingenommen
+und unbeeinflu&szlig;t? Gaunerei, nichts als
+Gaunerei! Und die Herren duldeten das und anerkannten
+es noch als richtiges Benehmen? Warum hatte er
+zweifellos sehr viel Zeit zwischen der Meldung des
+K&uuml;chenm&auml;dchens und seiner Ankunft hier verstreichen
+lassen, doch zu keinem anderen Zwecke, als damit der
+Heizer die Herren so erm&uuml;de, da&szlig; sie allm&auml;hlich ihre
+klare Urteilskraft verloren, welche Schubal vor allem
+<a class="page" name="Page_31" id="Page_31" title="31"></a>zu f&uuml;rchten hatte? Hatte er, der sicher schon lange hinter
+der T&uuml;r gestanden war, nicht erst in dem Augenblick
+geklopft, als er infolge der nebens&auml;chlichen Frage jenes
+Herrn hoffen durfte, der Heizer sei erledigt?</p>
+
+<p>Alles war klar und wurde ja auch von Schubal wider
+Willen so dargeboten, aber den Herren mu&szlig;te man es
+anders, noch handgreiflicher zeigen. Sie brauchten Aufr&uuml;ttelung.
+Also Karl, rasch, n&uuml;tze jetzt wenigstens die Zeit
+aus, ehe die Zeugen auftreten und alles &uuml;berschwemmen!</p>
+
+<p>Eben aber winkte der Kapit&auml;n dem Schubal ab, der
+daraufhin sofort &#8211; denn seine Angelegenheit schien f&uuml;r
+ein Weilchen aufgeschoben zu sein &#8211; beiseite trat und
+mit dem Diener, der sich ihm gleich angeschlossen hatte,
+eine leise Unterhaltung begann, bei der es an Seitenblicken
+nach dem Heizer und Karl sowie an den &uuml;berzeugtesten
+Handbewegungen nicht fehlte. Schubal schien
+so seine n&auml;chste gro&szlig;e Rede einzu&uuml;ben.</p>
+
+<p>&raquo;Wollten Sie nicht den jungen Menschen etwas
+fragen, Herr Jakob?&laquo; sagte der Kapit&auml;n unter allgemeiner
+Stille zu dem Herrn mit dem Bambusst&ouml;ckchen.</p>
+
+<p>&raquo;Allerdings,&laquo; sagte dieser, mit einer kleinen Neigung
+f&uuml;r die Aufmerksamkeit dankend. Und fragte dann Karl
+nochmals: &raquo;Wie hei&szlig;en Sie eigentlich?&laquo;</p>
+
+<p>Karl, welcher glaubte, es sei im Interesse der gro&szlig;en
+Hauptsache gelegen, wenn dieser Zwischenfall des hartn&auml;ckigen
+Fragers bald erledigt w&uuml;rde, antwortete kurz,
+ohne, wie es seine Gewohnheit war, durch Vorweisung
+des Passes sich vorzustellen, den er erst h&auml;tte suchen
+m&uuml;ssen: &raquo;Karl Ro&szlig;mann&laquo;.</p>
+
+<p><a class="page" name="Page_32" id="Page_32" title="32"></a>&raquo;Aber,&laquo; sagte der mit Jakob Angesprochene und trat
+zuerst fast ungl&auml;ubig l&auml;chelnd zur&uuml;ck. Auch der Kapit&auml;n,
+der Oberkassier, der Schiffsoffizier, ja sogar der Diener
+zeigten deutlich ein &uuml;berm&auml;&szlig;iges Erstaunen wegen Karls
+Namen. Nur die Herren von der Hafenbeh&ouml;rde und
+Schubal verhielten sich gleichg&uuml;ltig.</p>
+
+<p>&raquo;Aber,&laquo; wiederholte Herr Jakob und trat mit etwas
+steifen Schritten auf Karl zu, &raquo;dann bin ich ja dein
+Onkel Jakob und du bist mein lieber Neffe. Ahnte ich
+es doch die ganze Zeit &uuml;ber!&laquo; sagte er zum Kapit&auml;n hin,
+ehe er Karl umarmte und k&uuml;&szlig;te, der alles stumm geschehen
+lie&szlig;.</p>
+
+<p>&raquo;Wie hei&szlig;en Sie?&laquo; fragte Karl, nachdem er sich losgelassen
+f&uuml;hlte, zwar sehr h&ouml;flich, aber g&auml;nzlich unger&uuml;hrt,
+und strengte sich an, die Folgen abzusehen,
+welche dieses neue Ereignis f&uuml;r den Heizer haben d&uuml;rfte.
+Vorl&auml;ufig deutete nichts darauf hin, da&szlig; Schubal aus
+dieser Sache Nutzen ziehen k&ouml;nnte.</p>
+
+<p>&raquo;Begreifen Sie doch, junger Mann, Ihr Gl&uuml;ck,&laquo; sagte
+der Kapit&auml;n, der durch Karls Frage die W&uuml;rde der
+Person des Herrn Jakob verletzt glaubte, der sich zum
+Fenster gestellt hatte, offenbar, um sein aufgeregtes Gesicht,
+das er &uuml;berdies mit einem Taschentuch betupfte, den
+andern nicht zeigen zu m&uuml;ssen. &raquo;Es ist der Senator
+Edward Jakob, der sich Ihnen als Ihr Onkel zu erkennen
+gegeben hat. Es erwartet Sie nunmehr, doch wohl
+ganz gegen Ihre bisherigen Erwartungen, eine gl&auml;nzende
+Laufbahn. Versuchen Sie das einzusehen, so gut
+es im ersten Augenblick geht, und fassen Sie sich!&laquo;</p>
+
+<p><a class="page" name="Page_33" id="Page_33" title="33"></a>&raquo;Ich habe allerdings einen Onkel Jakob in Amerika,&laquo;
+sagte Karl zum Kapit&auml;n gewendet, &raquo;aber wenn ich recht
+verstanden habe, ist Jakob blo&szlig; der Zuname des Herrn
+Senators.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;So ist es,&laquo; sagte der Kapit&auml;n erwartungsvoll.</p>
+
+<p>&raquo;Nun, mein Onkel Jakob, welcher der Bruder meiner
+Mutter ist, hei&szlig;t aber mit dem Taufnamen Jakob, w&auml;hrend
+sein Zuname nat&uuml;rlich gleich jenem meiner Mutter
+lauten m&uuml;&szlig;te, welche eine geborene Bendelmayer ist.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Meine Herren!&laquo; rief der Senator, der von seinem
+Erholungsposten beim Fenster munter zur&uuml;ckkehrte, mit
+Bezug auf Karls Erkl&auml;rung aus. Alle, mit Ausnahme
+der Hafenbeamten, brachen in Lachen aus, manche wie
+in R&uuml;hrung, manche undurchdringlich.</p>
+
+<p>&raquo;So l&auml;cherlich war das, was ich gesagt habe, doch
+keineswegs,&laquo; dachte Karl.</p>
+
+<p>&raquo;Meine Herren,&laquo; wiederholte der Senator, &raquo;Sie
+nehmen gegen meinen und gegen Ihren Willen an einer
+kleinen Familienszene teil und ich kann deshalb nicht
+umhin, Ihnen eine Erl&auml;uterung zu geben, da, wie ich
+glaube, nur der Herr Kapit&auml;n&laquo; &#8211; diese Erw&auml;hnung
+hatte eine gegenseitige Verbeugung zur Folge &#8211; &raquo;vollst&auml;ndig
+unterrichtet ist.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Jetzt mu&szlig; ich aber wirklich auf jedes Wort achtgeben,&laquo;
+sagte sich Karl und freute sich, als er bei einem
+Seitw&auml;rtsschauen bemerkte, da&szlig; in die Figur des Heizers
+das Leben zur&uuml;ckzukehren begann.</p>
+
+<p>&raquo;Ich lebe seit allen den langen Jahren meines amerikanischen
+Aufenthaltes &#8211; das Wort Aufenthalt pa&szlig;t
+<a class="page" name="Page_34" id="Page_34" title="34"></a>hier allerdings schlecht f&uuml;r den amerikanischen B&uuml;rger,
+der ich mit ganzer Seele bin &#8211; seit allen den langen
+Jahren lebe ich also von meinen europ&auml;ischen Verwandten
+vollst&auml;ndig abgetrennt, aus Gr&uuml;nden, die erstens
+nicht hierher geh&ouml;ren, und die zweitens zu erz&auml;hlen, mich
+wirklich zu sehr hernehmen w&uuml;rde. Ich f&uuml;rchte mich sogar
+vor dem Augenblick, wo ich vielleicht gezwungen sein
+werde, sie meinem lieben Neffen zu erz&auml;hlen, wobei sich
+leider ein offenes Wort &uuml;ber seine Eltern und ihren
+Anhang nicht vermeiden lassen wird.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Es ist mein Onkel, kein Zweifel,&laquo; sagte sich Karl
+und lauschte, &raquo;wahrscheinlich hat er seinen Namen &auml;ndern
+lassen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Mein lieber Neffe ist nun von seinen Eltern &#8211;
+sagen wir nur das Wort, das die Sache auch wirklich
+bezeichnet &#8211; einfach beiseitegeschafft worden, wie man
+eine Katze vor die T&uuml;r wirft, wenn sie &auml;rgert. Ich will
+durchaus nicht besch&ouml;nigen, was mein Neffe gemacht hat,
+da&szlig; er so gestraft wurde, aber sein Verschulden ist ein
+solches, da&szlig; sein einfaches Nennen schon genug Entschuldigung
+enth&auml;lt.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Das l&auml;&szlig;t sich h&ouml;ren,&laquo; dachte Karl, &raquo;aber ich will
+nicht, da&szlig; er es allen erz&auml;hlt. &Uuml;brigens kann er es ja
+auch nicht wissen. Woher denn?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Er wurde n&auml;mlich,&laquo; fuhr der Onkel fort und st&uuml;tzte
+sich mit kleinen Neigungen auf das vor ihm eingestemmte
+Bambusst&ouml;ckchen, wodurch es ihm tats&auml;chlich gelang, der
+Sache die unn&ouml;tige Feierlichkeit zu nehmen, die sie sonst
+unbedingt gehabt h&auml;tte, &raquo;er wurde n&auml;mlich von einem
+<a class="page" name="Page_35" id="Page_35" title="35"></a>Dienstm&auml;dchen, Johanna Brummer, einer etwa 35j&auml;hrigen
+Person, verf&uuml;hrt. Ich will mit dem Worte &raquo;verf&uuml;hrt&laquo;
+meinen Neffen durchaus nicht kr&auml;nken, aber es ist doch
+schwer, ein anderes, gleich passendes Wort zu finden.&laquo;</p>
+
+<p>Karl, der schon ziemlich nahe zum Onkel getreten war,
+drehte sich hier um, um den Eindruck der Erz&auml;hlung
+von den Gesichtern der Anwesenden abzulesen. Keiner
+lachte, alle h&ouml;rten geduldig und ernsthaft zu. Schlie&szlig;lich
+lacht man auch nicht &uuml;ber den Neffen eines Senators
+bei der ersten Gelegenheit, die sich darbietet. Eher h&auml;tte
+man schon sagen k&ouml;nnen, da&szlig; der Heizer, wenn auch
+nur ganz wenig, Karl anl&auml;chelte, was aber erstens als
+neues Lebenszeichen erfreulich und zweitens entschuldbar
+war, da ja Karl in der Kabine aus dieser Sache, die
+jetzt so publik wurde, ein besonderes Geheimnis hatte
+machen wollen.</p>
+
+<p>&raquo;Nun hat diese Brummer,&laquo; setzte der Onkel fort,
+&raquo;von meinem Neffen ein Kind bekommen, einen gesunden
+Jungen, welcher in der Taufe den Namen Jakob
+erhielt, zweifellos in Gedanken an meine Wenigkeit,
+welche, selbst in den sicher nur ganz nebens&auml;chlichen Erw&auml;hnungen
+meines Neffen, auf das M&auml;dchen einen
+gro&szlig;en Eindruck gemacht haben mu&szlig;. Gl&uuml;cklicherweise,
+sage ich. Denn da die Eltern zur Vermeidung der Alimentenzahlung
+oder sonstigen bis an sie selbst heranreichenden
+Skandales &#8211; ich kenne, wie ich betonen
+mu&szlig;, weder die dortigen Gesetze noch die sonstigen Verh&auml;ltnisse
+der Eltern &#8211; da sie also zur Vermeidung der
+Alimentenzahlung und des Skandales ihren Sohn, meinen
+<a class="page" name="Page_36" id="Page_36" title="36"></a>lieben Neffen, nach Amerika haben transportieren lassen,
+mit unverantwortlich ungen&uuml;gender Ausr&uuml;stung, wie man
+sieht, so w&auml;re der Junge, ohne die gerade noch in
+Amerika lebendigen Zeichen und Wunder, auf sich allein
+angewiesen, wohl schon gleich in einem G&auml;&szlig;chen im
+Hafen von New York verkommen, wenn nicht jenes
+Dienstm&auml;dchen in einem an mich gerichteten Brief, der
+nach langen Irrfahrten vorgestern in meinen Besitz kam,
+mir die ganze Geschichte samt Personenbeschreibung
+meines Neffen und vern&uuml;nftigerweise auch Namensnennung
+des Schiffes mitgeteilt h&auml;tte. Wenn ich es darauf
+angelegt h&auml;tte, Sie, meine Herren, zu unterhalten, k&ouml;nnte
+ich wohl einige Stellen jenes Briefes&laquo; &#8211; er zog zwei
+riesige, engbeschriebene Briefbogen aus der Tasche und
+schwenkte sie &#8211; &raquo;hier vorlesen. Er w&uuml;rde sicher Wirkung
+machen, da er mit einer etwas einfachen, wenn
+auch immer gutgemeinten Schlauheit und mit viel Liebe
+zu dem Vater des Kindes geschrieben ist. Aber ich will
+weder Sie mehr unterhalten, als es zur Aufkl&auml;rung
+n&ouml;tig ist, noch vielleicht gar zum Empfang m&ouml;glicherweise
+noch bestehende Gef&uuml;hle meines Neffen verletzen,
+der den Brief, wenn er mag, in der Stille seines
+ihn schon erwartenden Zimmers zur Belehrung lesen kann.&laquo;</p>
+
+<p>Karl hatte aber keine Gef&uuml;hle f&uuml;r jenes M&auml;dchen.
+Im Gedr&auml;nge einer immer mehr zur&uuml;cktretenden Vergangenheit
+sa&szlig; sie in ihrer K&uuml;che neben dem K&uuml;chenschrank,
+auf dessen Platte sie ihren Ellbogen st&uuml;tzte. Sie
+sah ihn an, wenn er hin und wieder in die K&uuml;che kam,
+um ein Glas zum Wassertrinken f&uuml;r seinen Vater zu
+<a class="page" name="Page_37" id="Page_37" title="37"></a>holen oder einen Auftrag seiner Mutter auszurichten.
+Manchmal schrieb sie in der vertrackten Stellung seitlich
+vom K&uuml;chenschrank einen Brief und holte sich die Eingebungen
+von Karls Gesicht. Manchmal hielt sie die
+Augen mit der Hand verdeckt, dann drang keine Anrede
+zu ihr. Manchmal kniete sie in ihrem engen Zimmerchen
+neben der K&uuml;che und betete zu einem h&ouml;lzernen
+Kreuz; Karl beobachtete sie dann nur mit Scheu im
+Vor&uuml;bergehen durch die Spalte der ein wenig ge&ouml;ffneten
+T&uuml;r. Manchmal jagte sie in der K&uuml;che herum und
+fuhr wie eine Hexe lachend zur&uuml;ck, wenn Karl ihr in
+den Weg kam. Manchmal schlo&szlig; sie die K&uuml;chent&uuml;re, wenn
+Karl eingetreten war und behielt die Klinke solange
+in der Hand, bis er wegzugehn verlangte. Manchmal
+holte sie Sachen, die er gar nicht haben wollte, und
+dr&uuml;ckte sie ihm schweigend in die H&auml;nde. Einmal aber
+sagte sie &raquo;Karl&laquo; und f&uuml;hrte ihn, der noch &uuml;ber die unerwartete
+Ansprache staunte, unter Grimassen seufzend
+in ihr Zimmerchen, das sie zusperrte. W&uuml;rgend umarmte
+sie seinen Hals und w&auml;hrend sie ihn bat, sie zu entkleiden,
+entkleidete sie in Wirklichkeit ihn und legte ihn
+in ihr Bett, als wolle sie ihn von jetzt niemandem mehr
+lassen und ihn streicheln und pflegen bis zum Ende der
+Welt. &raquo;Karl, o du mein Karl!&laquo; rief sie, als s&auml;he sie
+ihn und best&auml;tige sich seinen Besitz, w&auml;hrend er nicht
+das Geringste sah und sich unbehaglich in dem vielen
+warmen Bettzeug f&uuml;hlte, das sie eigens f&uuml;r ihn aufgeh&auml;uft
+zu haben schien. Dann legte sie sich auch zu ihm
+und wollte irgendwelche Geheimnisse von ihm erfahren,
+<a class="page" name="Page_38" id="Page_38" title="38"></a>aber er konnte ihr keine sagen und sie &auml;rgerte sich im
+Scherz oder Ernst, sch&uuml;ttelte ihn, horchte sein Herz ab,
+bot ihre Brust zum gleichen Abhorchen hin, wozu sie Karl
+aber nicht bringen konnte, dr&uuml;ckte ihren nackten Bauch
+an seinen Leib, suchte mit der Hand, so widerlich, da&szlig;
+Karl Kopf und Hals aus den Kissen heraus sch&uuml;ttelte,
+zwischen seinen Beinen, stie&szlig; dann den Bauch einige
+Male gegen ihn, ihm war, als sei sie ein Teil seiner
+selbst und vielleicht aus diesem Grunde hatte ihn eine
+entsetzliche Hilfsbed&uuml;rftigkeit ergriffen. Weinend kam er
+endlich nach vielen Wiedersehensw&uuml;nschen ihrerseits in
+sein Bett. Das war alles gewesen und doch verstand es
+der Onkel, daraus eine gro&szlig;e Geschichte zu machen.
+Und die K&ouml;chin hatte also auch an ihn gedacht und den
+Onkel von seiner Ankunft verst&auml;ndigt. Das war sch&ouml;n
+von ihr gehandelt und er w&uuml;rde es ihr wohl noch einmal
+vergelten.</p>
+
+<p>&raquo;Und jetzt,&laquo; rief der Senator, &raquo;will ich von dir offen
+h&ouml;ren, ob ich dein Onkel bin oder nicht.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Du bist mein Onkel,&laquo; sagte Karl und k&uuml;&szlig;te ihm die
+Hand und wurde daf&uuml;r auf die Stirne gek&uuml;&szlig;t. &raquo;Ich
+bin sehr froh, da&szlig; ich dich getroffen habe, aber du irrst,
+wenn du glaubst, da&szlig; meine Eltern nur Schlechtes von
+dir reden. Aber auch abgesehen davon, sind in deiner
+Rede einige Fehler enthalten gewesen, das hei&szlig;t, ich
+meine, es hat sich in Wirklichkeit nicht alles so zugetragen.
+Du kannst aber auch wirklich von hier aus die
+Dinge nicht so gut beurteilen, und ich glaube au&szlig;erdem,
+da&szlig; es keinen besonderen Schaden bringen wird, wenn
+<a class="page" name="Page_39" id="Page_39" title="39"></a>die Herren in Einzelheiten einer Sache, an der ihnen
+doch wirklich nicht viel liegen kann, ein wenig unrichtig
+informiert worden sind.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Wohl gesprochen,&laquo; sagte der Senator, f&uuml;hrte Karl
+vor den sichtlich teilnehmenden Kapit&auml;n und fragte:
+&raquo;Habe ich nicht einen pr&auml;chtigen Neffen?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ich bin gl&uuml;cklich,&laquo; sagte der Kapit&auml;n mit einer Verbeugung,
+wie sie nur milit&auml;risch geschulte Leute zustandebringen,
+&raquo;Ihren Neffen, Herr Senator, kennen gelernt
+zu haben. Es ist eine besondere Ehre f&uuml;r mein Schiff,
+da&szlig; es den Ort eines solchen Zusammentreffens abgeben
+konnte. Aber die Fahrt im Zwischendeck war wohl
+sehr arg, ja, wer kann denn wissen, wer da mitgef&uuml;hrt
+wird. Nun, wir tun alles M&ouml;gliche, den Leuten im
+Zwischendeck die Fahrt m&ouml;glichst zu erleichtern, viel
+mehr zum Beispiel, als die amerikanischen Linien, aber
+eine solche Fahrt zu einem Vergn&uuml;gen zu machen, ist
+uns allerdings noch immer nicht gelungen.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Es hat mir nicht geschadet,&laquo; sagte Karl.</p>
+
+<p>&raquo;Es hat ihm nicht geschadet!&laquo; wiederholte laut lachend
+der Senator.</p>
+
+<p>&raquo;Nur meinen Koffer f&uuml;rchte ich verloren zu &#8211;&laquo; und
+damit erinnerte er sich an alles, was geschehen war und
+was noch zu tun &uuml;brigblieb, sah sich um und erblickte
+alle Anwesenden stumm vor Achtung und Staunen auf
+ihren fr&uuml;heren Pl&auml;tzen, die Augen auf ihn gerichtet.
+Nur den Hafenbeamten sah man, soweit ihre strengen,
+selbstzufriedenen Gesichter einen Einblick gestatteten, das
+Bedauern an, zu so ungelegener Zeit gekommen zu sein
+<a class="page" name="Page_40" id="Page_40" title="40"></a>und die Taschenuhr, die sie jetzt vor sich liegen hatten,
+war ihnen wahrscheinlich wichtiger, als alles, was im
+Zimmer vorging und vielleicht noch geschehen konnte.</p>
+
+<p>Der erste, welcher nach dem Kapit&auml;n seine Anteilnahme
+ausdr&uuml;ckte, war merkw&uuml;rdigerweise der Heizer.
+&raquo;Ich gratuliere Ihnen herzlich,&laquo; sagte er und sch&uuml;ttelte
+Karl die Hand, womit er auch etwas wie Anerkennung
+ausdr&uuml;cken wollte. Als er sich dann mit der gleichen
+Ansprache auch an den Senator wenden wollte, trat
+dieser zur&uuml;ck, als &uuml;berschreite der Heizer damit seine
+Rechte; der Heizer lie&szlig; auch sofort ab.</p>
+
+<p>Die &uuml;brigen aber sahen jetzt ein, was zu tun war,
+und bildeten gleich um Karl und den Senator einen
+Wirrwarr. So geschah es, da&szlig; Karl sogar eine Gratulation
+Schubals erhielt, annahm und f&uuml;r sie dankte.
+Als letzte traten in der wieder entstandenen Ruhe die
+Hafenbeamten hinzu und sagten zwei englische Worte,
+was einen l&auml;cherlichen Eindruck machte.</p>
+
+<p>Der Senator war ganz in der Laune, um das Vergn&uuml;gen
+vollst&auml;ndig auszukosten, nebens&auml;chlichere Momente
+sich und den anderen in Erinnerung zu bringen, was
+nat&uuml;rlich von allen nicht nur geduldet, sondern mit Interesse
+hingenommen wurde. So machte er darauf aufmerksam,
+da&szlig; er sich die in dem Brief der K&ouml;chin erw&auml;hnten
+hervorstechendsten Erkennungszeichen Karls in
+sein Notizbuch zu m&ouml;glicherweise notwendigem augenblicklichen
+Gebrauch eingetragen hatte. Nun hatte er
+w&auml;hrend des unertr&auml;glichen Geschw&auml;tzes des Heizers zu
+keinem anderen Zweck, als um sich abzulenken, das Notiz<a class="page" name="Page_41" id="Page_41" title="41"></a>buch
+herausgezogen und die nat&uuml;rlich nicht gerade detektivisch
+richtigen Beobachtungen der K&ouml;chin mit Karls
+Aussehen zum Spiel in Verbindung zu bringen gesucht.
+&raquo;Und so findet man seinen Neffen!&laquo; schlo&szlig; er in einem
+Ton, als wolle er noch einmal Gratulationen bekommen.</p>
+
+<p>&raquo;Was wird jetzt dem Heizer geschehen?&laquo; fragte Karl,
+vorbei an der letzten Erz&auml;hlung des Onkels. Er glaubte
+in seiner neuen Stellung alles, was er dachte, auch aussprechen
+zu k&ouml;nnen.</p>
+
+<p>&raquo;Dem Heizer wird geschehen, was er verdient,&laquo; sagte
+der Senator, &raquo;und was der Herr Kapit&auml;n f&uuml;r gut erachtet.
+Ich glaube, wir haben von dem Heizer genug
+und &uuml;bergenug, wozu mir jeder der anwesenden Herren
+sicher zustimmen wird.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Darauf kommt es doch nicht an, bei einer Sache
+der Gerechtigkeit,&laquo; sagte Karl. Er stand zwischen dem
+Onkel und dem Kapit&auml;n, und glaubte, vielleicht durch
+diese Stellung beeinflu&szlig;t, die Entscheidung in der Hand
+zu haben.</p>
+
+<p>Und trotzdem schien der Heizer nichts mehr f&uuml;r sich
+zu hoffen. Die H&auml;nde hielt er halb in dem Hoseng&uuml;rtel,
+der durch seine aufgeregten Bewegungen mit dem Streifen
+eines gemusterten Hemdes zum Vorschein gekommen war.
+Das k&uuml;mmerte ihn nicht im geringsten, er hatte sein
+ganzes Leid geklagt, nun sollte man auch noch die paar
+Fetzen sehen, die er am Leibe hatte, und dann sollte
+man ihn forttragen. Er dachte sich aus, der Diener und
+Schubal, als die zwei hier im Range Tiefsten, sollten
+ihm diese letzte G&uuml;te erweisen. Schubal w&uuml;rde dann
+<a class="page" name="Page_42" id="Page_42" title="42"></a>Ruhe haben und nicht mehr in Verzweiflung kommen,
+wie sich der Oberkassier ausgedr&uuml;ckt hatte. Der Kapit&auml;n
+w&uuml;rde lauter Rum&auml;nen anstellen k&ouml;nnen, es w&uuml;rde &uuml;berall
+rum&auml;nisch gesprochen werden, und vielleicht w&uuml;rde dann
+wirklich alles besser gehen. Kein Heizer w&uuml;rde mehr in
+der Hauptkassa schw&auml;tzen, nur sein letztes Geschw&auml;tz
+w&uuml;rde man in ziemlich freundlicher Erinnerung behalten,
+da es, wie der Senator ausdr&uuml;cklich erkl&auml;rt hatte, die
+mittelbare Veranlassung zur Erkennung des Neffen gegeben
+hatte. Dieser Neffe hatte ihm &uuml;brigens vorher
+&ouml;fters zu n&uuml;tzen gesucht und daher f&uuml;r seinen Dienst bei
+der Wiedererkennung l&auml;ngst vorher einen mehr als gen&uuml;genden
+Dank abgestattet; dem Heizer fiel gar nicht
+ein, jetzt noch etwas von ihm zu verlangen. Im &uuml;brigen,
+mochte er auch der Neffe des Senators sein, ein Kapit&auml;n
+war er noch lange nicht, aber aus dem Munde des
+Kapit&auml;ns w&uuml;rde schlie&szlig;lich das b&ouml;se Wort fallen. &#8211;
+So wie es seiner Meinung entsprach, versuchte auch der
+Heizer nicht zu Karl hinzusehen, aber leider blieb in
+diesem Zimmer der Feinde kein anderer Ruheort f&uuml;r
+seine Augen.</p>
+
+<p>&raquo;Mi&szlig;verstehe die Sachlage nicht,&laquo; sagte der Senator
+zu Karl, &raquo;es handelt sich vielleicht um eine Sache der
+Gerechtigkeit, aber gleichzeitig um eine Sache der Disziplin.
+Beides und ganz besonders das letztere unterliegt
+hier der Beurteilung des Herrn Kapit&auml;ns.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;So ist es,&laquo; murmelte der Heizer. Wer es merkte
+und verstand, l&auml;chelte befremdet.</p>
+
+<p>&raquo;Wir aber haben &uuml;berdies den Herrn Kapit&auml;n in
+<a class="page" name="Page_43" id="Page_43" title="43"></a>seinen Amtsgesch&auml;ften, die sich sicher gerade bei der Ankunft
+in New York unglaublich h&auml;ufen, so sehr schon
+behindert, da&szlig; es h&ouml;chste Zeit f&uuml;r uns ist, das Schiff
+zu verlassen, um nicht zum &Uuml;berflu&szlig; auch noch durch
+irgendwelche h&ouml;chst unn&ouml;tige Einmischung diese geringf&uuml;gige
+Z&auml;nkerei zweier Maschinisten zu einem Ereignis
+zu machen. Ich begreife deine Handlungsweise, lieber
+Neffe, &uuml;brigens vollkommen, aber gerade das gibt mir
+das Recht, dich eilends von hier fortzuf&uuml;hren.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Ich werde sofort ein Boot f&uuml;r Sie flottmachen
+lassen,&laquo; sagte der Kapit&auml;n, ohne zum Erstaunen Karls
+auch nur den kleinsten Einwand gegen die Worte des
+Onkels vorzubringen, die doch zweifellos als eine Selbstdem&uuml;tigung
+des Onkels angesehen werden konnten. Der
+Oberkassier eilte &uuml;berst&uuml;rzt zum Schreibtisch und telephonierte
+den Befehl des Kapit&auml;ns an den Bootsmeister.</p>
+
+<p>&raquo;Die Zeit dr&auml;ngt schon,&laquo; sagte sich Karl, &raquo;aber ohne
+alle zu beleidigen, kann ich nichts tun. Ich kann doch
+jetzt den Onkel nicht verlassen, nachdem er mich kaum
+wiedergefunden hat. Der Kapit&auml;n ist zwar h&ouml;flich, aber
+das ist auch alles. Bei der Disziplin h&ouml;rt seine H&ouml;flichkeit
+auf, und der Onkel hat ihm sicher aus der Seele
+gesprochen. Mit Schubal will ich nicht reden, es tut mir
+sogar leid, da&szlig; ich ihm die Hand gereicht habe. Und
+alle anderen Leute hier sind Spreu.&laquo;</p>
+
+<p>Und er ging langsam in solchen Gedanken zum Heizer,
+zog dessen rechte Hand aus dem G&uuml;rtel und hielt sie
+spielend in der seinen. &raquo;Warum sagst du denn nichts?&laquo;
+fragte er. &raquo;Warum l&auml;&szlig;t du dir alles gefallen?&laquo;</p>
+
+<p><a class="page" name="Page_44" id="Page_44" title="44"></a>Der Heizer legte nur die Stirn in Falten, als suche
+er den Ausdruck f&uuml;r das, was er zu sagen habe. Im
+&uuml;brigen sah er auf Karls und seine Hand hinab.</p>
+
+<p>&raquo;Dir ist ja unrecht geschehen, wie keinem auf dem
+Schiff, das wei&szlig; ich ganz genau.&laquo; Und Karl zog seine
+Finger hin und her zwischen den Fingern des Heizers,
+der mit gl&auml;nzenden Augen ringsumher schaute, als widerfahre
+ihm eine Wonne, die ihm aber niemand ver&uuml;beln
+m&ouml;ge.</p>
+
+<p>&raquo;Du mu&szlig;t dich aber zur Wehr setzen, ja und nein sagen,
+sonst haben doch die Leute keine Ahnung von der Wahrheit.
+Du mu&szlig;t mir versprechen, da&szlig; du mir folgen wirst,
+denn ich selbst, das f&uuml;rchte ich mit vielem Grund, werde
+dir gar nicht mehr helfen k&ouml;nnen.&laquo; Und nun weinte Karl,
+w&auml;hrend er die Hand des Heizers k&uuml;&szlig;te und nahm die
+rissige, fast leblose Hand und dr&uuml;ckte sie an seine Wangen,
+wie einen Schatz, auf den man verzichten mu&szlig;. &#8211; Da
+war aber auch schon der Onkel Senator an seiner Seite
+und zog ihn, wenn auch nur mit dem leichtesten Zwange,
+fort.</p>
+
+<p>&raquo;Der Heizer scheint dich bezaubert zu haben,&laquo; sagte er
+und sah verst&auml;ndnisinnig &uuml;ber Karls Kopf zum Kapit&auml;n
+hin. &raquo;Du hast dich verlassen gef&uuml;hlt, da hast du den
+Heizer gefunden und bist ihm jetzt dankbar, das ist ja
+ganz l&ouml;blich. Treibe das aber, schon mir zuliebe, nicht
+zu weit und lerne deine Stellung begreifen.&laquo;</p>
+
+<p>Vor der T&uuml;re entstand ein L&auml;rmen, man h&ouml;rte Rufe
+und es war sogar, als werde jemand brutal gegen die
+T&uuml;re gesto&szlig;en. Ein Matrose trat ein, etwas verwildert,
+<a class="page" name="Page_45" id="Page_45" title="45"></a>und hatte eine M&auml;dchensch&uuml;rze umgebunden. &raquo;Es sind Leute
+drau&szlig;en,&laquo; rief er und stie&szlig; einmal mit dem Ellbogen
+herum, als sei er noch im Gedr&auml;nge. Endlich fand er
+seine Besinnung und wollte vor dem Kapit&auml;n salutieren,
+da bemerkte er die M&auml;dchensch&uuml;rze, ri&szlig; sie herunter, warf
+sie zu Boden und rief: &raquo;Das ist ja ekelhaft, da haben
+sie mir eine M&auml;dchensch&uuml;rze umgebunden.&laquo; Dann aber
+klappte er die Hacken zusammen und salutierte. Jemand
+versuchte zu lachen, aber der Kapit&auml;n sagte streng: &raquo;Das
+nenne ich eine gute Laune. Wer ist denn drau&szlig;en?&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Es sind meine Zeugen,&laquo; sagte Schubal vortretend,
+&raquo;ich bitte ergebenst um Entschuldigung f&uuml;r ihr unpassendes
+Benehmen. Wenn die Leute die Seefahrt hinter sich
+haben, sind sie manchmal wie toll.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Rufen Sie sie sofort herein!&laquo; befahl der Kapit&auml;n
+und gleich sich zum Senator umwendend sagte er verbindlich,
+aber rasch: &raquo;Haben Sie jetzt die G&uuml;te, verehrter
+Herr Senator, mit Ihrem Herrn Neffen diesem
+Matrosen zu folgen, der Sie ins Boot bringen wird.
+Ich mu&szlig; wohl nicht erst sagen, welches Vergn&uuml;gen und
+welche Ehre mir das pers&ouml;nliche Bekanntwerden mit
+Ihnen, Herr Senator, bereitet hat. Ich w&uuml;nsche mir nur,
+bald Gelegenheit zu haben, mit Ihnen, Herr Senator,
+unser unterbrochenes Gespr&auml;ch &uuml;ber die amerikanischen
+Flottenverh&auml;ltnisse wieder einmal aufnehmen zu k&ouml;nnen
+und dann vielleicht neuerdings auf so angenehme Weise,
+wie heute, unterbrochen zu werden.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Vorl&auml;ufig gen&uuml;gt mir dieser eine Neffe,&laquo; sagte der
+Onkel lachend. &raquo;Und nun nehmen Sie meinen besten
+<a class="page" name="Page_46" id="Page_46" title="46"></a>Dank f&uuml;r Ihre Liebensw&uuml;rdigkeit und leben Sie wohl.
+Es w&auml;re &uuml;brigens gar nicht so unm&ouml;glich, da&szlig; wir&laquo; &#8211;
+er dr&uuml;ckte Karl herzlich an sich &#8211; &raquo;bei unserer n&auml;chsten
+Europareise vielleicht f&uuml;r l&auml;ngere Zeit mit Ihnen zusammenkommen
+k&ouml;nnten.&laquo;</p>
+
+<p>&raquo;Es w&uuml;rde mich herzlich freuen,&laquo; sagte der Kapit&auml;n.
+Die beiden Herren sch&uuml;ttelten einander die H&auml;nde, Karl
+konnte nur noch stumm und fl&uuml;chtig seine Hand dem
+Kapit&auml;n reichen, denn dieser war bereits von den vielleicht
+f&uuml;nfzehn Leuten in Anspruch genommen, welche
+unter F&uuml;hrung Schubals zwar etwas betroffen, aber doch
+sehr laut einzogen. Der Matrose bat den Senator, vorausgehen
+zu d&uuml;rfen und teilte dann die Menge f&uuml;r ihn
+und Karl, die leicht zwischen den sich verbeugenden Leuten
+durchkamen. Es schien, da&szlig; diese im &uuml;brigen gutm&uuml;tigen
+Leute den Streit Schubals mit dem Heizer als einen
+Spa&szlig; auffa&szlig;ten, dessen L&auml;cherlichkeit nicht einmal vor
+dem Kapit&auml;n aufh&ouml;re. Karl bemerkte unter ihnen auch
+das K&uuml;chenm&auml;dchen Line, welche, ihm lustig zuzwinkernd,
+die vom Matrosen hingeworfene Sch&uuml;rze umband, denn
+es war die ihrige.</p>
+
+<p>Weiter dem Matrosen folgend verlie&szlig;en sie das Bureau
+und bogen in einen kleinen Gang ein, der sie nach ein paar
+Schritten zu einem T&uuml;rchen brachte, von dem aus eine
+kurze Treppe in das Boot hinabf&uuml;hrte, welches f&uuml;r sie
+vorbereitet war. Die Matrosen im Boot, in das ihr
+F&uuml;hrer gleich mit einem einzigen Satz hinuntersprang,
+erhoben sich und salutierten. Der Senator gab Karl
+gerade eine Ermahnung zu vorsichtigem Hinuntersteigen,
+<a class="page" name="Page_47" id="Page_47" title="47"></a>als Karl noch auf der obersten Stufe in heftiges Weinen
+ausbrach. Der Senator legte die rechte Hand unter Karls
+Kinn, hielt ihn fest an sich gepre&szlig;t und streichelte ihn
+mit der linken Hand. So gingen sie langsam Stufe f&uuml;r
+Stufe hinab und traten engverbunden ins Boot, wo der
+Senator f&uuml;r Karl gerade sich gegen&uuml;ber einen guten
+Platz aussuchte. Auf ein Zeichen des Senators stie&szlig;en
+die Matrosen vom Schiffe ab und waren gleich in voller
+Arbeit. Kaum waren sie ein paar Meter vom Schiff
+entfernt, machte Karl die unerwartete Entdeckung, da&szlig;
+sie sich gerade auf jener Seite des Schiffes befanden,
+wohin die Fenster der Hauptkassa gingen. Alle drei
+Fenster waren mit Zeugen Schubals besetzt, welche freundschaftlichst
+gr&uuml;&szlig;ten und winkten, sogar der Onkel dankte,
+und ein Matrose machte das Kunstst&uuml;ck, ohne eigentlich
+das gleichm&auml;&szlig;ige Rudern zu unterbrechen, eine Ku&szlig;hand
+hinaufzuschicken. Es war wirklich, als gebe es keinen
+Heizer mehr. Karl fa&szlig;te den Onkel, mit dessen Knien
+sich die seinen fast ber&uuml;hrten, genauer ins Auge, und es
+kamen ihm Zweifel, ob dieser Mann ihm jemals den
+Heizer werde ersetzen k&ouml;nnen. Auch wich der Onkel seinem
+Blicke aus und sah auf die Wellen hin, von denen ihr
+Boot umschwankt wurde.</p>
+
+
+
+<div class="note">
+<p>Anmerkungen zur Transkription: Dieses elektronische Buch wurde auf
+Grundlage der Erstausgabe erstellt.</p>
+
+<p>Nach dem Korrekturlesen auf PGDP wurde der Text mit der eigens f&uuml;r
+diesen Zweck eingescannten Fassung aus &raquo;Franz Kafka: Die Erz&auml;hlungen &#8211;
+Originalfassung, Fischer Taschenbuchverlag, 8. Auflage: August 2003&laquo;
+verglichen. Jene Fassung basiert auf der Kritischen Kafka-Ausgabe.
+Entsprechend dieser Textvergleiche wurden folgende Korrekturen
+vorgenommen:</p>
+
+<p>
+p 05: sechszehnj&auml;hrige -> sechzehnj&auml;hrige<br />
+p 08: &raquo;Ja, warum haben sie -> Sie<br />
+p 21: Kofferchen -> K&ouml;fferchen<br />
+p 34: beseitegeschafft -> beiseitegeschafft<br />
+p 42: in Verzweiflung kommen wie -> kommen, wie</p>
+</div>
+
+
+
+<div class="note">
+<p>Transcriber&#8217;s Note: This ebook has been prepared from scans of a first
+edition copy.</p>
+
+<p>After proofreading on PGDP had been completed, the text was
+compared with another version scanned from a recent printing of &raquo;Franz
+Kafka: Die Erz&auml;hlungen &#8211; Originalfassung, Fischer Taschenbuchverlag,
+8. Auflage: August 2003&laquo;; which follows the critical edition of Kafka&#8217;s
+works. While I kept most of the peculiarities of the first edition, I
+corrected the following list of words and punctuation which I believe to
+be misprints:</p>
+
+<p>
+p 05: sechszehnj&auml;hrige -> sechzehnj&auml;hrige<br />
+p 08: &raquo;Ja, warum haben sie -> Sie<br />
+p 21: Kofferchen -> K&ouml;fferchen<br />
+p 34: beseitegeschafft -> beiseitegeschafft<br />
+p 42: in Verzweiflung kommen wie -> kommen, wie</p>
+</div>
+
+
+
+
+
+
+
+
+<pre>
+
+
+
+
+
+End of the Project Gutenberg EBook of Der Heizer, by Franz Kafka
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HEIZER ***
+
+***** This file should be named 16304-h.htm or 16304-h.zip *****
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+
+Produced by Markus Brenner and the Online Distributed
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+
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+*** START: FULL LICENSE ***
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+and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
+works. See paragraph 1.E below.
+
+1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
+or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
+Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual works in the
+collection are in the public domain in the United States. If an
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+ must be paid within 60 days following each date on which you
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+ returns. Royalty payments should be clearly marked as such and
+ sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
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+ the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
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+ and discontinue all use of and all access to other copies of
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+ money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
+ electronic work is discovered and reported to you within 90 days
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+the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any
+provision of this agreement shall not void the remaining provisions.
+
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+harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
+that arise directly or indirectly from any of the following which you do
+or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
+work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
+Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.
+
+
+Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm
+
+Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
+electronic works in formats readable by the widest variety of computers
+including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists
+because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
+people in all walks of life.
+
+Volunteers and financial support to provide volunteers with the
+assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
+goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
+remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
+Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
+and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
+To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
+and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
+and the Foundation web page at https://www.pglaf.org.
+
+
+Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive
+Foundation
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
+501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
+state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
+Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
+number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at
+https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
+permitted by U.S. federal laws and your state's laws.
+
+The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
+Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
+throughout numerous locations. Its business office is located at
+809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
+business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact
+information can be found at the Foundation's web site and official
+page at https://pglaf.org
+
+For additional contact information:
+ Dr. Gregory B. Newby
+ Chief Executive and Director
+ gbnewby@pglaf.org
+
+
+Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
+Literary Archive Foundation
+
+Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
+spread public support and donations to carry out its mission of
+increasing the number of public domain and licensed works that can be
+freely distributed in machine readable form accessible by the widest
+array of equipment including outdated equipment. Many small donations
+($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
+status with the IRS.
+
+The Foundation is committed to complying with the laws regulating
+charities and charitable donations in all 50 states of the United
+States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
+considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
+with these requirements. We do not solicit donations in locations
+where we have not received written confirmation of compliance. To
+SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
+particular state visit https://pglaf.org
+
+While we cannot and do not solicit contributions from states where we
+have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
+against accepting unsolicited donations from donors in such states who
+approach us with offers to donate.
+
+International donations are gratefully accepted, but we cannot make
+any statements concerning tax treatment of donations received from
+outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.
+
+Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
+methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
+ways including including checks, online payments and credit card
+donations. To donate, please visit: https://pglaf.org/donate
+
+
+Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic
+works.
+
+Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
+concept of a library of electronic works that could be freely shared
+with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project
+Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.
+
+
+Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
+unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+
+Most people start at our Web site which has the main PG search facility:
+
+ https://www.gutenberg.org
+
+This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
+including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
+Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
+subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.
+
+
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+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
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+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this eBook outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
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